(Vorsicht, Mammutbeitrag)
Nachdem es im First-Move-Thema angeschnitten wurde und sich die Mindestzahl (einer

) positiv dazu geäußert hat, mache ich hier das Thema Abwarten und Unterbrechen in Kampfsystemen auf.
Wie meistens beziehe ich mich dabei schwerpunktmäßig auf altmodische, eher kleinteilige und verlaufsorientierte Systeme mit spezialisierten Kampfregeln. Bei abstrakteren/gröberen Ansätzen ergibt sich die Fragestellung spielmechanisch kaum, die Betrachtung mag aber interessant sein, wenn es darum geht, was für erzählerische Ansätze als plausibel gelten kann.
Abwarten ist hauptsächlich für "richtige" Kampfrunden in Abgrenzung zu Tick-Systemen wichtig, aber auch bei Letzteren (oder bei Action Point-Ansätzen) gibt es Konstellationen, wo man nur durch eine passende Regelung weiter kommt.
Warum also Abwarten?
Abwarten kann logischerweise immer nur jemand, der eigentlich jetzt sofort dran wäre, aber nicht sinnvoll handeln kann oder bestimmte Entwicklungen abwarten will.
Man hat also beispielsweise eine Person aufgefordert, etwas Bestimmtes zu tun (oder sonst...) und muss nun zwangsweise erst mal schauen, was der andere macht.
Oder man weiß um die Anwesenheit eines Gegners, hat aber gerade weder Sicht- noch Feuerlinie zu diesem und wartet, dass er sich passend bewegt.
An eher spielmechanisch geprägten Überlegungen gäbe es noch die Situation, dass man jemanden mit einer schwächeren Waffe beim Angriff auf einen schon angeschlagenen Gegner den Vortritt lässt mit dem Hintergedanken, die stärkere Waffe dann ggf. anderweitig einsetzen zu können – davon gibt es viele Variationen auch mit Heilversuchen und allem Möglichen anderen Zeugs, die aber letztlich alle in eine ähnliche Richtung gehen.
Die letztgenannte Konstellation ist meistens eher unproblematisch (auch wenn, wie wir gleich sehen werden, das Kernproblem beim Abwarten auch hier zum Tragen kommen kann/könnte).
In den zuerst genannten Fällen dient die Abwarten-Regel dazu, die Rundenmechanik etwas aufzuweichen. Eine so starre Handlungsreihenfolge mit einer Unterteilung in konkrete Kampfrunden (bzw. bei Tick- oder Action Point-Systemen konkrete Handlungszeitpunkte) soll den Kampf ja eigentlich "nur" abhandelbar machen.
Ohne Abwarten ergeben sich aus konkreten Kampfrunden/Handlungszeitpunkten, in denen ein Akteur alle ihm zustehenden Optionen in dieser Runde auf einen Schlag ausschöpfen kann, aber einige Unstimmigkeiten.
Eine ganz typische Variante (und ein gutes Beispiel für die Grundlagenklärung) wäre ein Nahkampfgegner in geringer Distanz, aber in voller Deckung, gegen einen Schützen.
Der Schütze kann ohne eine Abwarten-Regel nicht verhindern, dass der Gegner in seiner eigenen Handlung die Deckung verlässt, die Distanz schließt und ihn angreift.
Genau so gilt das für oben genannte Situation, in der ein Bewaffneter in relativ geringer Entfernung aufgefordert wird, die (Nahkampf-)Waffe fallen zu lassen und sich hinzulegen – ohne Abwarten-Regel kann das niemals gut für den Schützen ausgehen, wenn der andere sich für den Angriff entscheidet.
Nun gibt es mehrere Varianten, wie man das umsetzen kann.
Die erste wäre es, dass der Abwartende immer nach dem gerade Agierenden handelt. Er kann also nur seine Position in der Handlungsreihenfolge frei wählen, aber niemanden unterbrechen.
Das hilft immerhin schon mal dem Schützen in durchschnittenem Gelände, wenn sich ein Gegner so bewegt, dass er am Ende seiner Bewegung ohne Deckung da steht – ohne Abwarten hätte der Schütze seine Handlung verfallen lassen und auf einen guten Ini-Wurf in der folgenden Runde hoffen müssen. Bei fester Initiative handelt er mit Abwarten zwei Mal, bevor der Gegner wieder dran ist, statt ohne Abwarten einmal.
Dieser Ansatz hilft aber nichts gegen Nahkämpfer in überbrückbarer Distanz – ist also nicht gerade vielseitig und kann somit verworfen werden.
Die zweite Variante wäre, dass der Abwartende nach der aktuellen Teilhandlung eines Gegners handeln kann. Er dürfte also z.B. auf den Nahkämpfer schießen, wenn dieser sich schon heranbewegt, aber noch nicht angegriffen hat. Aber nicht auf den Gegner, der sich innerhalb einer Runde von Deckung zu Deckung bewegt (selbe Teilhandlung).
Funktioniert schon etwas besser, aber immer noch nicht optimal und produziert auch einige seltsam anmutende Artefakte in der Vorstellung – bei einem Sturmangriff erfolgt der Angriff des Abwartenden also immer ganz genau in der nächsten Distanz? Und wie solll man hier Bewegung und Angriff überhaupt sauber trennen?
Bei einem aus der Deckung zum Schießen auftauchenden Gegner ist man als Abwartender
immer zuerst dran?
Wirkt immer noch etwas holprig.
Der dritte Ansatz führt uns dann aufgrund seiner Mängel zum Knackpunkt, wie eine halbwegs plausible, vorstellbare Lösung aussehen sollte.
Hier darf der Abwartende jederzeit unterbrechen, auch mitten in einer Handlung. Gegner fängt an, sich für seinen folgenden Angriff zu bewegen – ich handle zuerst.
Gegner verlässt seine Deckung – ich handle zuerst.
Klingt endlich mal toll für den Abwartenden, führt aber umgekehrt dazu, dass Abwarten spielmechanisch eine enorm starke Option wird (man kann ja nichts verlieren) und die Abwartenden im Vorstellungsraum geradezu übermenschliche Fähigkeiten erhalten.
Als Beispiel zwei Schützen, von denen einer den anderen auffordert, seine Waffe fallen zu lassen und dann spielmechanisch abwartet. "Wenn der andere jetzt trotzdem anfängt abzudrücken, schieße ich zuerst."
Regeltechnisch bei diesem Ansatz völlig ok, moralisch sauber, nur leider in Sachen Wahrnehmung und Reaktionsfähigkeit völlig an der Realität vorbei.
Ach, der YY wieder mit seinem blöden Realismus.
Ja, natürlich
Wenn man schon Kämpfe kleinteilig verregelt, dann doch bitte so, dass man sich die Abläufe auch vorstellen kann, ohne Hirnkrämpfe zu kriegen. Und da liegt die Messlatte bei unterschiedlichen Personen eben unterschiedlich hoch.
Will heißen, diese Variante führt uns ins Extrem getrieben zu der Erkenntnis, dass man als Abwartender auf bestimmte Dinge nicht reagieren kann.
Ein gegnerischer Schütze wird stets schneller einfach abdrücken können als man selbst reagieren kann. Ein freier (d.h. nach Art und Zielsetzung völlig dem Angreifer überlassen) Angriff aus der unmittelbaren Nahdistanz wird nicht im Ansatz verhinderbar sein.
Ein unmittelbar neben einer Deckung stehender, mit der Waffe bedrohter Gegner wird sich hinter diese bewegen können, bevor eine saubere Schussabgabe möglich ist.
In diesem Kontext wird die Reaktionsfähigkeit eher über- als unterschätzt, d.h. ein Unterbrechen ist oftmals schwieriger, als man es zunächst vermutet.
Aber auch das muss wieder relativiert werden, wenn man sich z.B. Fechter anschaut. Hier gibt es ja sehr wohl die geplante Aktion im gleichen Tempo, d.h. für alle praktischen Zwecke gleichzeitig. Das dürfte es nach obiger Überlegung nicht geben.
Knackpunkt ist hier die Vorhersehbarkeit; wer erfolgreich kontern will, muss schon im Vorfeld mit dem passenden Angriff gerechnet haben.
Das lässt sich im Fechten (und anderswo) v.A. dadurch erreichen, dass man bestimmte Ziele (idealerweise genau eines) anbietet und der Gegner darauf anspringt. Dann ist bekannt, was gleich passiert. Die Entscheidung, was man tut, fällt im Vorfeld und die eigene Handlung wird auf diese Weise schnell genug, um erfolgreich sein zu können.
Für die Kampfregeln hieße das, dass recht konkrete Trigger angesagt werden müssen statt nur "ich warte ab".
Also für den Schützen und den von ihm bedrohten Nahkämpfer: "Wenn er sich auf mich zu bewegt, schieße ich." Oder – wenn es Rechtslage und Ethik hergeben – "wenn er jetzt irgendetwas anderes tut als seine Waffe fallen zu lassen, schieße ich."
Ein so vorbereiteter Abwartender wird freilich nichts anderes mehr tun können. Im Gegensatz zu einem "frei" Abwartenden kann er also nicht beispielsweise auch auf einen unvermutet auftauchenden zweiten Gegner schießen.
"Ich schieße auf alles, was sich bewegt!" Geht zumindest im unmittelbaren Wahrnehmungsraum und Schussfeld (und hat damit Überschneidungen zu Facing-Regeln etc.), aber damit hat der Spieler auch jede weitere Entscheidungsgewalt über seine Angriffe bis zu seiner nächsten Handlung abgegeben – kann unschön ausgehen

Jetzt sind wir also so weit, eine konkrete Handlungsansage vom Abwartenden zu fordern.
Wenn wir schon dabei sind, können wir hier die verzögerte Handlung auch so weit begrenzen, dass sie keiner vollen Runde entspricht – denn eine ganze eigene Runde, also alle Handlungsmöglichkeiten, zwischen zwei gegnerische Teilhandlungen oder mitten in eine gegnerische Handlung zu schieben, wirkt auch schnell ziemlich seltsam.
Das machen viele Systeme allerdings ohnehin so - als Handlung nach dem Abwarten darf man dann z.B. nur einen Angriff durchführen anstatt anzugreifen und sich zu bewegen.
Auch jetzt wird es aber immer noch Fälle geben, auf die man nicht reagieren kann.
In Tick- oder Action Point-Systemen ist das eher unproblematisch; zumindest dann, wenn in bestimmten Tick-Abständen bzw. nach Aufwenden eines AP reagiert werden kann.
Als komplexe Variante betrachten Tick-Systeme Anfangs- und Endzeitpunkt einer Handlung, anstatt sie zu Beginn der Handlung wirksam werden zu lassen.
Hier erfolgt das Unterbrechen einfach durch ein Handeln zwischen Anfangs- und Endzeitpunkt der zu unterbrechenden Handlung.
Etwas einfacher ist die Möglickeit, in sofortige und kontinuierliche Handlungen zu unterscheiden und letztere in bestimmten Abständen unterbrechbar zu machen.
So können sehr kurze (oder tick-mäßig lange, aber eben sofort wirksame) Handlungen eben nicht unterbrochen werden, der Rest aber schon.
Bei klassischen Kampfrunden wird man kaum drumherum kommen, eine konkrete Liste zu erstellen, was unterbrochen werden kann und was nicht.
Als Modifikation einiger oben genannter Unterbrechungsvarianten und als kleine/begrenzte Umgehungsmöglichkeit für eine ausufernde Liste an nicht unterbrechbaren Handlungen gibt es die Variante, für eine schwierige (oder auch für jede) Unterbrechung würfeln zu lassen.
Das kann auch nützlich sein, um gleichzeitig getriggerte Handlungen zeitlich zu sortieren (Stichwort Mexican Stand-Off).
Wer unbedingt mag, kann dann noch je nach Konstellation Modifikatoren für den Unterbrechenden verteilen (wieder recht schön für Tick-Systeme, wenn man eine Tickzahl als "normale" Reaktionszeit festlegt und alles, was kürzer dauert, pro darunterliegendem Tick mit einem passenden Abzug versieht).
Auch hier sind aber wieder Artefakte möglich, wenn z.B. eigentlich sicher unterbrechbare Handlungen durch einen schlechten Wurf doch wieder komplett ablaufen, bevor reagiert wird.
Als verwandte Modifikation kann man auch eine Reaktion auf dem Trigger ähnliche Ereignisse erschwert zulassen oder überraschende Ereignisse als Trigger werten (ist dann aber meist eher negativ für den Abwartenden bzw. seine Zielsetzung).
Aus diesen Überlegungen kann man eine kleine Checkliste an größtenteils schon benannten Situationen ableiten, die eine Abwarten-Regel sinnvoll behandeln können sollte.
- Den von einem Schützen in kurzer Distanz bedrohten Nahkämpfer, der sich für einen Angriff entscheidet.
- Den Gegner, der sich von Deckung zu Deckung bewegt.
- Mexican Stand-Off.
- Zwei Gegner, die sich mit Fernwaffen beschießen, indem sie aus ihrer Deckung auftauchen und wieder dahinter verschwinden. Hier als Sonderfälle und für besonders kleinteilige Systeme dann u.A. das Wechseln der Stelle, an welcher der Schütze auftaucht und die Unterscheidung, wie sinnvoll es jeweils ist, immer neu aufzutauchen oder einmal rauszugucken und den so "eroberten" Raum weiter zu halten (führt hier aber ggf. schon zu weit).
Wenn es hierbei irgendwo hakt, sieht man recht schnell, in welcher Weise die Regeln angepasst werden sollten.
Also noch mal in kurz:
Abwarten dient dazu, a) weitgehend abseits der konkreten Spielmechanik Handlungen zeitlich sinnvoll zu verorten und b) Artefakte und Abstrusitäten als Nebenwirkung der verwaltungstechnisch notwendigen Handlungsreihenfolge zu reduzieren.
Sinnvoll verregelt ist das mMn erst dann, wenn das Abwarten mit einer konkreten Ansage hinsichtlich Auslöser und folgender Handlung verbunden wird und es Aktionen gibt, die dennoch nicht oder zumindest nicht ohne Wurf unterbrechbar sind.
Wo das Ganze ab hier genau hingeht, lasse ich erst mal offen - ich wollte das Obige nur mal gesagt haben

(Und beim Schreiben ist mir im Geiste das halbwegs verwandte Thema Gelegenheitsangriffe wieder negativ aufgefallen, auch wenn hier nichts dazu steht.
Das wird dann aber eher ein rationaler Rant für ein anderes Thema

)