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Warum Charakterentwicklung?
Ucalegon:
--- Zitat von: 6 am 6.06.2017 | 13:41 ---Da bin ich dann ziemlich flott auf ein komplettes Genre gekommen. Nämlich die Tragödie. Dort ist ja eines der Grundpfeiler, dass der Protagonist eine tödliche, charakterliche Schwäche hat, die ihn in den Untergang reisst. Würde der Charakter eine Entwicklung vollführen, würde die ganze Idee hinter der Tagödie in sich zusammen fallen.
Also ja: Es gibt gute Medien, bei denen eine fehlende Charakterentwicklung Feature und nicht Bug ist.
--- Ende Zitat ---
Was ist denn "Charakterentwicklung" überhaupt? Wenn aus der bösen am Ende eine gute Figur wird? Wenn Ödipus erkennt, dass seine Taten unausweichlich waren und sich die Augen aussticht? Wenn Medea verraten wird und ihre Kinder umbringt?
6:
Okay. Dann fangen wir mal an (@Mentor: Mein Angebot gilt immer noch. Allerdings können wir diesen Teil auch gerne alternativ aus dem Thread abteilen).
Zuerst mal eine Definition "Charakterentwicklung". Mir gefällt die von TV-Tropes ziemlich gut:
Character Development is, by definition, the change in characterization of a Dynamic Character, who changes over the course of a narrative. At its core, it shows a character changing.
--- Zitat von: Chiungalla am 6.06.2017 | 14:57 ---Das eine bestimmte Richtung der Charakterentwicklung ausgeschlossen ist bedeutet nicht, dass Charakterentwicklung im allgemeinen ausgeschlossen ist. Und letzteres bräuchtest Du damit Deine Argumentation auch nur im geringsten valide ist.
--- Ende Zitat ---
Mir ging es jetzt eigentlich nur um einzelne Charaktere oder hier um die Protagonisten. Aber da natürlich dann den kompletten Charakter.
--- Zitat ---Beispiel:
Romeo und Julia
--- Ende Zitat ---
Meinst Du Shakespeares Version? Wenn dann 2 Punkte:
1. Ich bin jetzt schon mehrere Male drüber gestolpert, dass bei "Romeo und Julia" von Shakespeare gerne mal drüber debattiert wird, ob Romeo and Juliet nicht eher eine schwarze Komödie im Tragödiengewand wäre. Darüber kann man sicherlicher debattieren, aber die Argumente dafür hörten sich für mich als Laien zumindest als nicht aus der Luft gegriffen an. Aber davon mal ab:
2. Wo verändern sich denn Romeo und Julia? Ich sehe da im gesamten Stück bei den Beiden keine Charakterentwicklung.
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--- Zitat von: Ucalegon am 6.06.2017 | 15:18 ---Wenn Ödipus erkennt, dass seine Taten unausweichlich waren und sich die Augen aussticht?
--- Ende Zitat ---
Über beide Stücke kannst Du sicherlich mehr erzählen als ich.
Was zu Ödipus gelesen habe war folgendes:
Oedipus is a man of swift action and great insight. At the opening of Oedipus the King, we see that these qualities make him an excellent ruler who anticipates his subjects’ needs. ... The final scene of the play has the haste and drive of the beginning of Oedipus the King, but this haste, for Oedipus at least, is toward peace rather than horror.
Klingt für mich nach einer logischen Handlung ohne Charakterentwicklung.
--- Zitat ---Wenn Medea verraten wird und ihre Kinder umbringt?
--- Ende Zitat ---
Hm. Ich habe da mal folgende Analyse von Medea gelesen: Medea is a straight up serial killer. Let's take a look at her bloody career. Back in her and Jason's Golden Fleece days, she killed her own brother and chopped him into pieces. Later on, she tricked King Pelias' daughters into chopping him into pieces. During Euripides's play, she incinerates King Creon and his daughter, Glauke. She concludes this bloody rampage by slaughtering her own two sons. Medea, what in the name of Zeus is wrong with you?
Ich seh da jetzt keine Charakterentwicklung von vor dem Verrat zu danach.
Ucalegon:
Mein Punkt ist: Zuerst sollte man fragen, ob die grundlegende charakterliche Veränderung einer Figur - die die TVTropes Definition meint, obwohl sie ziemlich vage formuliert ist - überhaupt ein sinnvolles Kriterium ist, nach dem man sortieren möchte.
Damit kommt man nämlich in die merkwürdige Situation, dass zwei tragische Figuren, die Unvorstellbares durchmachen - Ödipus, der sich erkennend, dass er seinen Vater getötet und mit seiner Mutter geschlafen hat, die Augen aussticht bzw. Medea, die entscheidet, ihre eigenen Kinder zu töten - in derselben Schublade landen können wie Homer Simpson oder der Dude [oder die festen Figurentypen aus antiken Komödien].
Aber wie gesagt: Ich denke, Mentors Problem liegt bei den Kritiken. Wobei ich für die insoweit eine Lanze brechen würde, als es in Film und Literatur logischerweise viel Schrott mit flachen und langweiligen Figuren gibt. Sturgeon's Law.
Mentor:
--- Zitat von: 6 am 6.06.2017 | 19:15 ---@Mentor: Mein Angebot gilt immer noch.
--- Ende Zitat ---
Passt schon so, ich lese hier gern mit :)
6:
--- Zitat von: Ucalegon am 6.06.2017 | 22:13 ---Mein Punkt ist: Zuerst sollte man fragen, ob die grundlegende charakterliche Veränderung einer Figur - die die TVTropes Definition meint, obwohl sie ziemlich vage formuliert ist - überhaupt ein sinnvolles Kriterium ist, nach dem man sortieren möchte.
--- Ende Zitat ---
Klar ist es ein sinnvolles Kriterium. Wie ich ja schon sagte, gibt es ganze Genres, die mit einer Art dieser Kategorisierung funktioniert (Tragödie + statischer Charakter). Genauso gibt es auf der anderen Seite die Heldenreise, die nur mit der anderen Art funktioniert (Heldenreise + dynamischer Charakter).
Eigentlich sollte genau das ja meine These zeigen.
--- Zitat ---Damit kommt man nämlich in die merkwürdige Situation, dass zwei tragische Figuren, die Unvorstellbares durchmachen - Ödipus, der sich erkennend, dass er seinen Vater getötet und mit seiner Mutter geschlafen hat, die Augen aussticht bzw. Medea, die entscheidet, ihre eigenen Kinder zu töten - in derselben Schublade landen können wie Homer Simpson oder der Dude [oder die festen Figurentypen aus antiken Komödien].
--- Ende Zitat ---
Wo ist das eine merkwürdige Situation? Du setzt ja nicht die Charaktere und deren Geschichte gleich, sondern nur einen Aspekt dieser Charaktere. Das soll als Hilfsmittel und als Beispiel für den Einsatz des Tropes dienen.
--- Zitat ---Aber wie gesagt: Ich denke, Mentors Problem liegt bei den Kritiken. Wobei ich für die insoweit eine Lanze brechen würde, als es in Film und Literatur logischerweise viel Schrott mit flachen und langweiligen Figuren gibt. Sturgeon's Law.
--- Ende Zitat ---
Moment! Flache und langweilige Charaktere sind nicht deckungsgleich mit Charakteren ohne Charakterentwicklung. Mentor hatte ja schon mehrmals relativ ausführlich erklärt, dass er nicht versteht, warum Charaktere ohne Charakterentwicklung automatisch als flach und langweilig abgestempelt werden.
Sturgeon's Law gilt halt auch für die Heldenreise.
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