Vorab: Dieser Text ist auch mit Bildern auf meinem Blog erschienen.
EinleitungVermi hat einen "Essay über den Spielleiter" geschrieben, in dem er viel Kluges über diesen Spielertypus zusammenfasst. Überhaupt ist der SL sehr im Fokus der Betrachtung, es gibt Ratgeber, Blogs mit dem Namen "Richtig Spielleiten!" (Übrigens sehr empfehlenswerte Lektüre
), Hilfestellungen,
Kummerkästen ohne Ende. Vielleicht zu sehr! Denn selbst der weltbeste SL kann ohne oder gegen seine Spieler kein tolles Spiel erzwingen - Rollenspiel ist eine Teamsportart.
Deshalb soll es hier nicht um den SL gehen, sondern um die andern 1w4+2 Teilnehmer der Rollenspielrunde. Denn ohne sie geht nichts - und ihr Verhalten ist für einen gelungenen Spielabend von mindestens ebenso großer Bedeutung wie die des SL - oder sogar mehr. Lediglich die Tatsache, dass sie sich ihre Aufgaben teilen, lässt sie nach meinem Empfinden in den Hintergrund treten. Oder um mal einen außerordentlich guten SL auf dem Tanelorntreffen zu zitieren - "Bei der Gruppenzusammensetzung komme ich mir überflüssig vor." Offenbar kommt es also auch auf die Spieler an, wie auch Vermi in seinem Essay erkennt:
"Ohne gute Spieler ist der beste SL verraten und verkauft."Die KlischeesWas wissen wir über den Spieler?
Er kommt gerne nicht oder zu spät, ggf. hat er seinen Charakterbogen wieder vergessen.
Sie muss die Regeln nicht so gut können.
Er braucht sich auf die Runde nicht vorbereiten.
Es gibt Problemspieler (vom Munchkin über den Powergamer bis hin zum
Taschenlampenfallenlasser.
Die Rollenspieltheorie ist nicht viel weiter gekommen, als die Aufteilung von Laws (zitiert nach
Wikipedia)
- Powergamer (optimiert seinen Charakter, indem er die spielrelevanten Werte erhöht, die dessen Fähigkeiten und Eigenschaften beschreiben),
- Butt-Kicker (kämpft gerne),
- Tactician (plant gerne),
- Specialist (spielt gerne einen bestimmten Charaktertypen),
- Method Actor (spielt seine Charaktere gerne aus),
- Storyteller (möchte, dass eine gute Geschichte entsteht) und
- Casual Gamer (Rollenspiel ist ihm eigentlich egal, Hauptsache, er ist mit den anderen Spielern zusammen. Sprich auch der Gelegenheitsspieler)
für überholt zu halten. Laws hat diese Typisierung 2002 aufgestellt - als Hilfestellung für den SL, damit dieser Spielerpräferenzen erkennt und bedienen kann. Als solche Hilfe ist die List noch immer sinnvoll. Aber sie ist nicht, was ich hier betrachten möchte, denn es geht ja nicht um die Aufgaben des SL.
SpielerrollenIch sehe die Spieler eher in ihrer (idealisierten) Funktion
- Antreiberin
Die Antreiberin will das es weitergeht. Plot erleben. Dramatische Situationen erleben und auflösen. Sie treibt die anderen an, stellt ggf. das Wohl des eigenen Charakters hintenan, um die Probleme aufzulösen. Schreitet enthusiastisch voran. Dominiert sie, wird der Plot linear abgearbeitet - kein Schritt links oder rechts, immer nur vorwärts, Augen geradeaus, im Geschwindschritt, MARSCH!. - Quertreiberin
Die Quertreiberin steht auf Konflikte. Sie möchte sie auskosten, nicht auflösen. Sie handelt nicht "lösungsorientiert", sondern dramaorientiert. Sie ist ein toller Nährboden für weitere Verwicklungen und spielergetriebene Handlungsstränge. Dominiert sie, kommt Game of Thrones dabei raus. Tausend Plotanfänge, keiner aufgelöst, alle drehen sich um ihre Figur. - Bedenkenträger
Der Bedenkenträger sieht die Schwierigkeiten. Er ist deshalb für das Drama wichtig - er zeigt auf, welche Dimension die Schwierigkeiten haben, um was es geht, was das Scheitern bedeutet. Er lässt die Helden strahlen, wenn sie sich gegen ihn durchsetzen, er sorgt dafür, dass die Reaktionen der Spielwelt auf das Spielerhandeln wichtig sind. Dominiert er, geht es nicht weiter. - Planer
Der Planer mag es, die Situation im Griff zu haben. Im Vorfeld durchdacht zu haben, die richtige Ausrüstung mitgebracht zu haben, das Ass aus dem Ärmel zu ziehen. Er ist oft gut belesen im Setting und den Regeln, weil er unangenehme Überraschungen nicht schätzt - es sei denn, er überrascht die Gegner. Er sorgt für Spielweltplausibilität, Gruppenzusammenspiel, Spotlightverteilung. Dominiert er, wird die Planungsphase nicht verlassen. - Resonanzbodin
Die Resonanzbodin (seufz, gendern ist nicht leicht, aber ich verteile das Geschlecht nach den Musterbeispielen in meiner Gruppe) ist die perfekte Tanzpartnerin. Sie führt nicht, reagiert aber perfekt auf jeden noch so kleinen Impuls. Sie greift die Ideen der anderen auf und "macht was draus". Sie ist der perfekte Ausdruck von "ja, und ..." (Im Sinne von: Großartig, und wenn ich noch X dazu mache, wird es noch toller!). Sie steht hinter der Antreiberin und haut sie raus, wenn sie sich übernommen hat. Der Quertreiberin ist sie die Partnerin für die dramatischen Konflikte. Im Diskurs zwischen Antreiberin und Bedenkenträger kann sie das Zünglein an der Waage sein. Sie dominiert eher nicht - im Zweifel rutscht sie eher in eine andere Rolle.
Es ist wichtig, dass die Rollen (es mag noch mehr geben, dazu freue ich mich über die Diskussion) gut besetzt sind.
Es gibt immer jemanden, der die Antreiberin gibt - denn jemand muss die Impulse setzen, dem Abenteuer nachzugehen. Irgendjemand muss zum SL sagen: "Wir gehen jetzt los." Das muss aber nicht notwendig derjenige sein, der diese Rolle atmet - es kann auch jemand sein, der eigentlich lieber Bedenkenträger wäre. Dann ist die Rolle ungünstig besetzt, und alles geht langsamer voran - nicht hilfreich für einen gelungenen Rollenspielabend. Zu viele Antreiber sind aber auch ungünstig.
In meiner Dresden Files-Runde gibt es ein fast perfektes Dreieck zwischen der Antreiberin, der Quertreiberin und der Resonzbodin. Das die Quertreiberin diese Rolle so gut ausfüllen kann, liegt sicherlich an dem relativ hohen Maß an Erzählrecht über die Spielwelt, die Spieler bei dem mit Fate befeuerten Dresden Files genießen, aber es scheint mir auch auf andere, traditionellere, Systeme übertragbar. Die Runde lässt spürbar nach, wenn eine der drei Spielerinnen nicht anwesend ist. Die anderen Slots sind längst nicht so ausschlaggebend, können aber extrem bereichernd sein.
SpielertugendenDamit eine Gruppe gut zusammenspielen kann, sind neben der sinnvollen Besetzung der Spielerrollen auch noch einige Tugenden notwendig.
KooperationEs ist extrem hilfreich, andere Spieler anzuspielen. "Ohne magischen Support gehe ich da nicht rein" kann man als Blockade lesen - oder als Anspielen des Charakters, der magische Unterstützung bieten kann. Wenn man etwas statt alleine zusammen mit Gruppenmitgliedern machen kann, dann sollte man das auch tun. Rollenspiel ist Teamsport.
FokusDamit meine ich jetzt nicht nur ein generelles Interesse an den Dingen, die gerade am Spieltisch passieren (im Gegensatz dazu, mal zu gucken, was auf Tinder gerade geht), sondern etwas mehr: Wie kann ich mich einbringen, welche Entscheidungen öffnen sich gerade, was brauchen die anderen von mir? Beispiel: Steckt die Gruppe in der Planung fest, sollte ich nicht die Schwierigkeiten betonen, sondern eine Lösung suchen - und sei es nur, die mentale Blockade aufzulösen. Nicht jeder ist eine Antreiberin, aber man kann Verantwortung für die Geschichte übernehmen.
InputSpieler gestalten die Spielwelt. Das ist kein Ding von Fate oder anderen Hippie-Spielen! Selbst hardcore DSA-Spieler kennen das: In Form der Frage an den Spielleiter. "Ist da ein Kronleuchter?" ist lediglich eine (aus Sicht von Erzählspielen) sehr ungelenke Art, einen Spielweltfakt zu etablieren, ohne die klassische Rolle des SL in Frage zu stellen. Aber eigentlich erschafft hier der Spieler gerade einen Kronleuchter, da machen wir uns nichts vor. Im Idealfall wird die Spielwelt mit Spielerinput spannender, leuchtender, detailreicher und insgesamt toller.
Die anderen Spieler gut aussehen lassenPraktisch jeder Beziehungsratgeber, jeder Ratgeber für Chefs, Lehrer, Coaches und überhaupt alle: Sie raten zum Loben. Nicht ohne Grund! Nimm dir das Loben mal für deine Spielrunde vor und lobe als Spieler einen anderen Spieler. Das kann gerne ingame passieren: "Sire, darf ich ihnen Sir Hundel vorstellen, dem Helden von Trollbrück, der alleine 20 Oger erschlagen hat?" oder (vor allem, wenn du in der Szene nicht mitgespielt hast) outgame: "Als du eben die
Dunkle Königin nicht umbringen konntest, weil dich ihr Töchterchen so traurig angesehen hat: Da hatte ich Tränen in den Augen". Beides flasht, beides zeigt den Mitspielern, dass sie etwas machen, was dir gefallen hat. Dem SL gibt es übrigens auch etwas - denn er hat ja in der Regel die Gegenseite gespielt, und für ihn ist es eine riesige Belohnung, wenn das zu einem Moment wurde, der jemanden gut gefallen hat.
FeedbackDamit meine ich nicht den Feedbackbogen zum Ankreuzen, oder ein intensives Gespräch unter moderierender Aufsicht eines Konfliktcoaches - das ist viel zu formell für mich. Feedback kann haptisch: Spieler, die angespannt und vorgebeugt auf die Würfel starren. Die Fanmail geben. Die nach einer Szene applaudieren. Die im Spiel einfach noch mal zusammenfassen, was gerade passiert ist. Die ihre Begeisterung zeigen - oder auch mal nicht. Die überhaupt Emotionen am Spieltisch zulassen.
StorymitverantwortungAls letztes, weil besonders kontrovers: Als Spieler trägst du Verantwortung für die Story. Also solltest du überlegen, was dein Verhalten auslöst. Klar, du kannst allen noch mal vor Augen führen, wie albern es ist, als Stufe 1 Charaktere in den Dungeon zu gehen: Ihr könntet alle sterben! Vielleicht ist sogar ein Drache darin! Aber dann wirst du nie herausfinden, was im Dungeon auf dich wartet. Und warum spielt ihr gerade ein Spiel namens Dungeons & Dragons?
Klar kannst du einen einsamen Waldläufer aus Ganz-weit-weg-hausen spielen, der schweigsam ist und einsam durch den Wald streicht. Aber wem hilft das jetzt genau? Ein Spieler hier aus der Gegend, der Beziehungen zu relevanten NSCs aufgebaut hat, der gerne in der Gruppe arbeitet und der Assassinengilde noch echt viel Geld schuldet, der wird vermutlich mehr Spaß haben, weil er viel mehr Gelegenheit bietet, mit den anderen Spielern und der Spielwelt zu interagieren.
FazitAlle erwähnten Spielertugenden verlangen von dir eine etwas von dem eigenen Charakter gelöste Betrachtung (Autorenblick). Der Extrem-Immersionsspieler mag das vielleicht nicht, aber - Rollenspiel ist Teamsport. Der Blick auf die Mitspieler ist nicht zuviel verlangt, finde ich: Denn selbst der völlig in der Immersion gefangene Spieler findet seine Würfel noch, sogar die realweltliche Chipstüte. Dann kann er auch mal gucken, wie es den anderen Menschen am Spieltisch so gefällt, was er gerade treibt. Diese Perspektive darauf, wie eine Erzählung ankommt, welche Intention der SL mit einer Szene wohl verfolgt, wer gerade Spotlight haben sollte: Das sind die SL-Regionen des Spielerhirns. Es ist daher kein Wunder: Die besten Spieler sind selbst oft und gerne SL.
SpielersündenDen Tugenden stehen die Sünden gegenüber. Oft natürlich spiegelbildlich und daher redundant. Aber ich möchte die Gelegenheit nutzen, noch mal ein paar besonders auffällige Sünden anzusprechen - auch weil sie anderswo als Tugend empfunden werden.
Ich-Fokus"Mein Charakter ist aber so" - für mich ist das ein Alarmzeichen. Dieser Satz fällt immer dann, wenn ein Charakter die Handlungen der anderen Spieler stört. Wer so denkt, ist kein Teamspieler! Charaktere fallen nicht vom Himmel, der Spieler hat ihn erstellt. Also bedeutet dieser Satz nur, dass der Spieler die Verantwortung für den Spielspaß der Mitspieler nicht annimmt - sonst hätte er seinen Charakter nicht so gemacht. Baue deinen Charakter NICHT so, dass du keine Motivation daran hast, Abenteuer zu erleben. Baue deinen Charakter NICHT so, dass er die Mitspieler nervt. Baue deinen Charakter NICHT so, dass er alles besser kann, als ein Charakter eines Mitspielers.
Gerade die Spieler, die Immersion als wichtigstes Gut im Rollenspiel nennen, haben oft den Ich-Fokus. Mehr Spaß hat eine Gruppe, wenn die Spieler auf den Spielspaß der anderen achten und diesen befördern.
Spotlight stehlenWenn die SL eine Herausforderung präsentiert, die am besten durch den schleichenden Dieb gelöst werden kann, dann sollte der Magier nicht hingehen und mit seinem Unsichtbarkeitszauber die Szene an sich reißen. Selbst wenn er es kann. Selbst wenn er es besser kann. Insbesondere, wenn sein "Charakter eben so ist!" Ein brauchbarer SL achtet auf die Spotlightverteilung. Unterstütze ihn. Oder ersetze ihn, wenn er darin versagt. Aber reiß das Spotlight nicht gegen die anderen Spieler an dich.
Spotlight-HoggingWenn du im grellen Licht der Bühnenscheinwerfer stehst (also die Aufmerksamkeit des SL erfolgreich auf dich gezogen hast), dann mach hin. Jetzt stehst du auf der Bühne,
also sei unterhaltsam. Es ist NICHT der richtige Zeitpunkt, zwei fast gleich gute Optionen langwierig gegeneinander abzuwägen. Tue was spannendes! Oder hole einen Mitspieler mit dir ins Spotlight, denn unterhaltsamer Dialog ist einfacher, als alleine das Spotlight zu rocken. Oder gib das Spotlight elegant wieder ab - spätestens, wenn du fertig bist. Echt jetzt, dass ist wichtig. Woher soll der SL wissen, dass du durch bist? Mach es klar und eindeutig.
Guck dir die Schnitttechnik moderner Filme an - das soll dir ein Beispiel sein, wie lange du das Spotlight hast. Der Abend ist besser für alle, wenn dein Spotlight oft aber kurz kommt, als selten, aber dafür lang. Überfordere dich nicht selbst mit langem Spotlight - es ist schwer über lange Zeit unterhaltsam zu sein. Ein guter Rocksong ist nicht ohne Grund 3:40 Minuten lang.
Auf die Bremse treten"Ich gehe erst mal einkaufen." Wenn die Gruppe eine Handlung plant, dann ist es keine spaßfördernde Maßnahme, alles wieder zu bremsen. Gerade vorsichtige Spieler, Bedenkenträger und Taktiker sind an dieser Stelle gefährdet. Tritt aufs Gas, nicht auf die Bremse.
SchlusswortEine tolle Spielrunde hängt weniger vom SL ab, als man denkt. Die Zusammensetzung macht es aus! Aktive, treibende Spieler, die zusammen spielen wollen - auf den Spielspaß der anderen achtend, sich gegenseitig die Bälle zuspielend, fokussiert und enthusiastisch, können ganz ohne SL oder mit minimalstem SL-Input eine fantastische Rollenspielrunde sein. Bestimmte Defizite der Runde kann ein SL ausgleichen - aber selten besser als ein entsprechender Spieler. Sei ein besserer Spieler!