Autor Thema: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm - Fr., 16.09.1927  (Gelesen 11358 mal)

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[SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm - Fr., 16.09.1927
« am: 15.12.2017 | 08:47 »
Freitag, 16. Sept. 1927


Das Haus der Lohensteins ist ein herrschaftliches Gebäude aus der Gründerzeit, Kaiserdamm 118, zw. Reichskanzlerplatz und Tiergarten, im Bezirk Wilmersdorf.
« Letzte Änderung: 11.09.2018 | 21:17 von Der Läuterer »
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #1 am: 15.12.2017 | 13:26 »
VOR DEM HAUS DER VON EISENSTEINS

Anton, Euer Chauffeur, wartet im Automobil auf Euch. Zuverlässig wie immer.
Im Font liegen die von Anton besorgten Abendzeitungen für Euch bereit.
Der Wagen ist angenehm warm, da der Motor satt vor sich hin brummt.
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Joran

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #2 am: 15.12.2017 | 18:18 »
VOR DEM HAUS DER VON EISENSTEINS

Als ich die Lohensteins aus dem Haus treten sehe, steige ich aus, umrunde wie üblich das Fahrzeug und öffne die Tür zum Font.

Den beiden ist deutlich anzusehen, dass dies für sie kein gewöhnlicher Besuch war, noch nicht einmal gemessen an den besonderen Umständen einer Beerdigung. Ihnen scheint einiges durch den Kopf zu gehen.

"Das könnte eine interessante Rückfahrt werden", denke ich. Innerlich bereite ich mich darauf vor, die Ohre zu spitzen. "Ich tippe auf drei bis vier Minuten, nicht viel weiter als ein oder zwei Kreuzungen, bevor es aus ihnen herausbricht." Diese Erwartung versetzt mich in eine angenehme, gespannte Erregung.

Offline Katharina

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #3 am: 17.12.2017 | 09:53 »
Als ich aus dem Haus trete, atme ich zunächst tief durch und genieße sogar die einzelnen kühlen Regentropfen, die trotz des Schirms meine Haut erreichen. Noch immer schwirrt mein Kopf von all den Eindrücken. Der seltsame Pfarrer, die Geschichten von dem neuen Planeten, die Ohnmacht der Haushälterin...es fühlt sich an, als wäre dies alles nicht binnen weniger Stunden passiert, sondern als hätte ich Tage in diesem Haus verbracht. Entsprechend erschöpft lasse ich mich daher auf die Rückbank des Wagens fallen. Mein Hand sucht die von Hans und ich blicke ihn an. "Entschuldige bitte, dass ich so erschöpft wirke, aber es war für mich doch ein sehr ungewöhnlicher Abend. Was hältst du von diesem neuen Stern? Kann die Geschichte stimmen oder hat sich da bloß ein Hochstapler einen Spaß mit uns erlaubt?"
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #4 am: 17.12.2017 | 16:54 »
Du presst das voluminöse Buch gegen Deine Brust, als wäre es ein Schatz, den man Dir noch wegnehmen könnte.

Nach einer Weile entspannst Du Dich mehr und mehr. Das Buch liegt nun auf Deinem Schoss. Deine Hände und Deine Augen ruhen auf ihm.

Welcher Inhalt könnte sich hier wohl verbergen?
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #5 am: 26.12.2017 | 21:39 »
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Während ich auf eine Antwort von Hans warte, blättere vorsichtig ich in dem Buch auf meinem Schoß, darauf bedacht, dass abgewetzte Material nicht noch weiter zu beanspruchen. Meine Gedanken sind ohnehin noch immer bei dem Leichenschmaus und so nehme ich erst nach einer Weile wahr, dass große Teile des Buches auf Lateinisch geschrieben sind, manche Passagen aber auch in fremdartigen Schriftzeichen verfasst sind. Ich versuche ein paar Brocken des Textes zu verstehen, vergeblich. Irritiert blicke ich die Blätter vor mir an. Der Titel klingt nach einem Einführungswerk und auch Dr. Alexander Roth hat nichts davon erwähnt, dass dieses Buch außergewöhnliche Sprachkenntnisse erfordert. Angestrent blicke ich daher auf die Schrift, bis die Symbole vor meinem Auge verschwinden. Dann zeige ich Hans eine der Passagen. "Hast du eine solche Schrift schon einmal gesehen?"
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Joran

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #6 am: 4.01.2018 | 21:32 »
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Die angespannte Stimmung verweilt nicht im Font, sondern ergreift unvermutet auch von mir Besitz. Als hätten die beiden eine nicht materielle und dennoch spürbare atmosphärische Spannung aus dem Haus der Witwe mit in den Wagen gebracht, die nun leise knisternd auf die unausweichliche Entladung wartet.

Während der Fahrt muss ich immer wieder an das Gespräch mit Lewi denken: "... von Eisensteins uneheliches Kind und sein Verhältnis zu einer ... Minderjährigen? ... der Physiker Nebolowski, der offenbar für von Eisensteins finanzielle Misere verantwortlich ist, den Mann vielleicht erpresst hat ..." Und dann sind da noch die Gesprächsfetzen, die ich durch den Speiseaufzug und zuvor im Wohnzimmer mitbekommen habe ... "Wie war das mit der Tochter? ..."

"Und was stimmt mit diesem rüde Kerl im Rollstuhl nicht? ... Dann noch die Toten, nicht zu vergessen! ... Gibt es da wohlmöglich irgendeinen Zusammenhang? ... Es wäre verwunderlich, wenn es nicht so wäre ... Wenn Menschen gewaltsam oder unter mysteriösen Umständen ums Leben kommen, geht es meistens entweder um Geld oder um Gefühle ... Eifersucht, Hass, Liebe ... Hier scheint beides in Unordnung geraten zu sein: das Finanzielle und die Gefühle!"


Ich rutsche unruhig auf meinem Sitz hin und her. Seufzend gebe ich den untauglichen Versuch auf, durch eine Veränderung meiner Sitzhaltung das ungute Gefühl zu vertreiben. Mein Blick verweilt immer wieder auf dem Rückspiegel, durch den ich verstohlen die Lohensteins beobachte.

"Was kann schon an diesem Buch so besonders sein? Warum schaut sie nicht in die Zeitungen?"

Meine Stirn legt sich in Falten, als ich erfolglos versuche, durch den Rückspiegel einen Blick auf den Buchtitel zu erhaschen.

"Und der Professor bekommt die Zähne mal wieder nicht auseinander! ... Manchmal möchte ich ihn einfach nur packen und ordentlich durchschütteln, damit sein Verstand aufwacht und zurückkommt ... von wo auch immer er dann ist!"

Resignierend schüttele ich kaum merklich den Kopf.

"Das ist sicher kein guter Augenblick, um Klatsch und Tratsch zu verbreiten. Die Lohensteins wären vermutlich eher angewidert von solchen Reden über einen Toten. Die Konversation der Herrschaft unterliegt anderen Regeln als die Gespräche der Dienstboten bei der Arbeit. ... Aber letztendlich reden 'DIE' auch über ihren Arbeitstag und unsere Arbeit, SIND nun einmal die, für die wir buckeln. Da kommt es auch schon mal vor, dass man sich ein wenig Luft macht oder einen kleinen persönlichen Ausgleich für die Unbillen des Lebens schafft. ..."

Und doch gehen mir das Kind, das Geld und Nebolowski nicht aus dem Kopf. Ich werde das Gefühl nicht los, dass hier irgendetwas gar nicht gut läuft. "Ein Gefühl, dass mir im Krieg schon das eine oder andere Mal das Leben gerettet hat. ... Nur hat damals niemand über sowas geredet."

Schlussendlich bin ich darum über mich selbst verärgert und mahne mich zur Vernunft: "Ein uneheliches Kind kommt in den besten Familien vor ... schlechte Investitionen auch ... Vergiss es einfach! ... Du wirst Dich doch von Trudi mit ihrer Neigung zu Räuberpistolen nicht aus der Spur bringen lassen!!!"
« Letzte Änderung: 5.01.2018 | 13:08 von Joran »

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #7 am: 8.01.2018 | 23:10 »
IM AUTO

Eine zunehmende Unruhe erfasst mich, während ich durch die Buchseiten blättere und ich rücke intuitiv eine Spur näher zu Hans. Dennoch übt dieses Werk auch eine befremdliche Faszination auf mich aus, sodass ich immer weiterlese. Oder es zumindest versuche. "Herr Anton", sage ich schließlich, ohne jedoch den Blick von den Seiten zu heben, "Sprechen Sie eigentlich irgendwelche Fremdsprachen? Sie sind ja im Krieg vielleicht ein wenig herumgekommen?"
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #8 am: 9.01.2018 | 12:13 »
Im Auto

"Ich bedaure, Frau Professor! Auf der Volksschule hat man uns sowas nicht beigebracht ... und im Krieg ... nun ... da haben Franzosen nur eine andere Sprache verstanden, wenn Sie verstehen, was ich sagen will ... wir waren nun einmal nicht zum Reden dort, auch wenn zu Beginn manche glaubten, es ginge auf eine Urlaubsreise. Mit Kriegsgefangenen hatte ich auch nicht wirklich zu tun. ... Ich kann Ihnen da leider nicht behilflich sein."

Nachdem Agathe Lohenstein mich angesprochen hat, wäge ich erneut ab, ob ich nicht doch auf das Gespräch mit Lewi eingehen sollte. "Ich kann es wenigstens versuchen. Mal sehen, wie sie reagieren."

"Ich habe Ihnen die Zeitungen bereitgelegt. ... Da stehen ein paar Artikel drin ... die Sie vielleicht lesen sollten. Sie scheinen den seligen Herrn Professor von Eisenstein zu betreffen. ... Man redet hier in der Nachbarschaft darüber ... vielleicht nur Tratsch ... aber ich weiß nicht recht, mir scheint mehr dran zu sein ..."

"Dieser Physiker, Krassimir Nebolowski, hat in der Archenhold-Sternwarte gearbeitet bevor er ... nun ... vielleicht lesen Sie es besser selbst. ... Der Herr Professor von Eisenstein, Gott hab' ihn selig, soll so manchen Ärger mit diesem Mann gehabt haben. Man sieht ja jetzt, dass das ein übler Kerl zu sein scheint."

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #9 am: 12.01.2018 | 20:03 »
Im Auto

Als Herr Hempel zu verstehen gibt, dass er keine Fremdsprachen spricht, gebe ich bloß ein knappes "Schade.", von mir und lese dann weiter in dem Buch, während Herr Hempel noch spricht.

Erst als Herr Eisenstein erwähnt wird, blicke ich überrascht wieder auf und ich höre den Worten des Fahrers nun wieder bewusst zu, während ich mir die angesprochene Zeitung nehme. "Vielen Dank, sehr aufmerksam."

Rasch überfliege ich den Artikel und will ihn schon Hans reichen, als ich bemerke, dass dieser eingeschlafen ist. Kurz betrachte ich ihn, ein leichtes Lächeln auf den Lippen, bevor ich mich wieder Herrn Hempel zuwende. "Das alles ist in der Tat sehr seltsam...und interessant." Nochmals blicke ich zu Hans, diesemal jedoch um mich zu vergewissern, dass er tatsächlich schläft. Immerhin ist es nicht gerade höflich, mit dem Personal Klatsch und Tratsch über Hans Bekannte auszutauschen. Doch wie so oft ist meine Neugier einfach zu groß. "Sagen Sie, was erzählt man sich denn in der Nachbarschaft? Und warum glauben Sie, dass da mehr dahintersteckt?" Ich habe meine Stimme dabei gedämpft, obwohl der Regen, der laut gegen die Scheiben des Autos klatscht, die meisten Geräusche ohnehin verschluckt.
« Letzte Änderung: 15.01.2018 | 21:24 von Der Läuterer »
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #10 am: 12.01.2018 | 20:11 »
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Hans ist seit dem Verlassen des Hauses bei den von Eisensteins sehr in sich gekehrt und still.
Eng in seinen Mantel gehüllt, mit hoch geschlagenem Kragen und gekreuzten Armen, sitzt er hinter seinem Schauffeur und macht es sich noch bequemer.
Seine Atmung wird ruhiger. Seine Augen sind geschlossen. Er scheint eingeschlafen zu sein.
« Letzte Änderung: 13.01.2018 | 18:23 von Der Läuterer »
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #11 am: 15.01.2018 | 16:42 »
Im Auto

Tatsächlich schien Hans eingeschlafen zu sein. Jetzt ruckt er mit einem Satz wieder hoch.

"Ach du meine Güte."

Entfährt es mir und ich blinzele etwas verwirrt, um mich zu orientieren.

"Wir sind ja schon wieder zuhause."

Noch immer unsicher, wo ich mich eigentlich genau befinde, reibe ich mir die Stirn und betrachte Agathe neben mir.

"Was liest du denn da?"
Hans Hermann Lohenstein
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #12 am: 15.01.2018 | 22:18 »
Im Auto

Ich lächle Hans an, als ich bemerke, dass er wach ist und lege im beruhigend die Hand auf die Schulter. "Ich hoffe, nach allem was wir heute erlebt mussten, hattest du keine Alpträume?" Unauffällig schiebe ich eine Hand über das Buch, damit Hans nicht gleich eines der seltsamen Bilder sieht, bevor er noch richtig munter ist. Erst danach fahre ich fort: "Das ist das Buch von Herrn Eisenstein, das ich mitnehmen durfte. Ein wirklich seltsames Werk."
In diesem Moment hält der Wagen und es scheint fast, als würde beinahe gleichzeitig auch der Regen schwächer werden. "Wir sollten zusehen, dass ins Warme kommen, dann zeige ich dir das Buch gerne." Trotz dieser Worte mache ich noch keinen Anstand auszusteigen, sondern blicke nach vorne zu unserem Fahrer. "Herr Hempel, entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie unterbrochen habe. Ich bin wirklich interessiert daran, was Ihre Meinung zu diesem Thema ist."
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #13 am: 16.01.2018 | 00:22 »
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"Ja natürlich. Entschuldige bitte."

Nuschele ich vor mich hin und warte darauf, dass Anton und Agathe ihr Gespräch zu Ende führen.
Hans Hermann Lohenstein
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Joran

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #14 am: 16.01.2018 | 11:33 »
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„Also … nicht, dass Sie schlecht von mir denken. … Einem Verstorbenen soll man nicht übel nachreden, ich weiß. … Und vielleicht ist an all dem ja auch nichts dran. … Aber merkwürdig ist das ganze schon.“

Im Rückspiegel sehe ich den auffordernden, leicht ungeduldigen Blick von Agathe Lohenstein.

„Nun, der Herr Professor von Eisenstein hat offenbar in der Sternwarte mit zwei Russen oder Polen zusammengearbeitet, Krassimir Nebolowski und ein Kirill. Die beiden gehörten wohl irgendwie zusammen, vielleicht Brüder. Vor allem der Krassimir ist hier von Nachbarn häufiger gesehen worden. Und jetzt wird er in den Zeitungen des mehrfachen Mordes beschuldigt, der Nebolowski.“

„Zuletzt war er wohl vor ungefähr drei Jahren bei den von Eisensteins zu Besuch, könnte auch ein wenig länger her sein. Das hat mir die Trudi, ich meine das Fräulein Massmann, erzählt, als sie die Zeitungen gebügelt und die Artikel über Krassimir Nebolowski gesehen hat. Naja, es kommt ja nicht oft vor, dass man einem Mörder das Essen serviert hat, nicht wahr? Da kann man es ihr schon nachsehen, dass sie ein wenig aufgeregt war…“

„Das mit dem Besuch bei den von Eisensteins muss kurz vor seiner Einweisung in die Irrenanstalt gewesen sein. Denn die Zeitungen schreiben, er sei  schon seit drei Jahren in der Klapse gewesen … Entschuldigung! … in der Anstalt. Jedenfalls ist die Frau Professor damals bei seinem Besuch in der Villa der von Eisensteins dann irgendwann zu Bett gegangen, ebenso die Dienerin. Aber der Krassimir ist wohl noch bis spät in die Nacht geblieben. Das scheint sein letzter, vielleicht sogar der einzige 'offizielle' Privatbesuch von Krassimir Nebolowski bei den Eisensteins gewesen zu sein. Dann war er hinter Schloss und Riegel.“

„Da ist es doch etwas merkwürdig, dass die Nachbarn den Krassimir Nebolowski häufiger hier in der Straße gesehen haben. Das Fräulein Massmann erzählte mir aber, der Herr Nebolowski sei 'mal dort gewesen, so vor ungefähr drei Jahren' und beschrieb konkret diesen einen Besuch. Sie sagte nicht, 'der war öfter mal hier'. Und ich hatte den Eindruck, dass es für die von Eisensteins ungewöhnlich war, dass Gäste bis spät in die Nacht bleiben. Sonst hätte die Trudi diesen Umstand vermutlich nicht erinnert und erwähnt, oder?“

„Bevor der Krassimir Nebolowski in die Anstalt kam, hat er in der Nachbarschaft noch damit geprahlt, in ein Bonzenviertel umgezogen zu sein. Dabei war er erst wenige Jahre zuvor – vielleicht vier, fünf Jahre – aus dem Osten nach Deutschland gekommen … Wie soll man in so kurzer Zeit auf ehrlichem Wege ein kleines Vermögen verdienen, das eine solche Wohnlage ermöglicht? … Und zur gleichen Zeit ging es bei den von Eisensteins finanziell steil bergab. … Das ist doch auffällig, oder? …“

„Und dann ist da noch etwas: Es heißt, der Herr von Eisenstein habe damals, also bevor der Nebolowski in die Anstalt kam, ein Verhältnis mit einem jungen Mädchen mit auffällig langen Beinen gehabt. Das Mädchen sei von ihm schwanger geworden und der Herr von Eisenstein habe zahlen müssen. Das scheint der Nebolowski eingefädelt zu haben. Jedenfalls hat der Herr von Eisenstein wohl enorm viel Geld an den Nebolowski gezahlt … ich vermute wegen des Kegels.“

„Klar, habe auch ich gedacht, das ist nur neidisches Gerede von den Nachbarn. … Aber jetzt diese Morde, die dem Nebolowski zugeschrieben werden. Bei seinem Ausbruch soll er eine Krankenschwester umgebracht und einen Pfleger schwer verletzt haben.“

„Dann ist noch ein Wachmann der Sternwarte verschwunden, der inzwischen tot aufgefunden wurde. Komisch ist, dass die B.Z. am Mittag von einem „Doppelmord in Weißensee" spricht, während man den Wachmann doch im Treptower Park gefunden hat. Auch die Neue Preußische Zeitung spricht in der Mehrzahl von den „Archenhold Morden“, berichtet dann aber nur von einer Toten, der Krankenschwester. Offenbar schreibt man Nebolowski den dubiosen Todesfall des Wachmanns ebenfalls zu … aber eine mumifizierte Leiche? Wie sollte der Nebolowski das in so kurzer Zeit geschafft haben können? Ich habe schon viele Leichen gesehen, auch solche, die schon eine Weile in der Natur gelegen haben, aber ausgetrocknet war davon keine. Wie lange würde sowas dauern? Außerdem wurde der Wachmann Walter Heinzmann schon seit Mittwoch vermisst und der Nebolowski soll erst am späten Donnerstagabend ausgebrochen sein! Wie passt das zusammen? Die Todesursache ist noch nicht geklärt und doch geht man offenbar davon aus, dass der Wachmann erst in der Nacht vom Donnerstag auf Freitag von Nebolowski getötet wurde?“

„Und jetzt sind da auch noch die zwei toten Lumpensammler, die wie Moorleichen ausgesehen haben sollen und deren Kleidung der Nebolowski gestohlen haben soll.“

„Das alles soll der Nebolowski gewesen sein?! Dabei soll der schon bei seiner Einlieferung in die Anstalt blind gewesen sein. 'Äußerst gefährlich' soll er auch sein … ein Blinder besonders gefährlich? Außerdem hat mir der Nachbar den Nebolowski als einen ‘abjebroch'nen, abjehalftaten Zwerch‘ beschrieben. Die amtliche Verlautbarung im Berliner Abendblatt sagt hingegen, der Gesuchte sei 1,85 m gross, von kräftiger, robuster Statur und habe einen gebeugten, affenartigen Gang. Das ist ein wenig gruselig, oder? Entweder einer von beiden war nicht Nebolowski oder wir haben es hier mit dem seltsamen Fall von ‘Dr. Jekyll und Mr. Hyde‘ zu tun.“

100 RM haben sie für ihn ausgesetzt. Das ist 'ne schöne Stange Geld. Da wird so mancher jetzt die Augen offen halten.“

„Jedenfalls für jemanden, der so viele Menschen umbringt, wäre eine Erpressung mit einem kleinen Moment der Schwäche keine große Sache. Und vermutlich hat der Nebolowski die Kleine gezielt auf den armen Professor von Eisenstein angesetzt, so dass es gar nicht seine Schuld war. … Ist nicht schwer, ein Mädchen für sowas zu finden, wenn genug Geld winkt.“

„Ganz gleich, wieviel von alldem wahr und wieviel erfunden ist. Es scheinen mir ein paar Ungereimtheiten zuviel zu sein, als dass nicht mehr dahinter steckt.“

„Und dann … nun … das ‘plötzliche Leiden‘ des Herrn von Eisenstein. … Ich kann mir nicht helfen, ich habe kein gutes Gefühl bei der ganzen Sache.“

„Ich will keine Gerüchte streuen, ganz sicher nicht“, beeile ich mich mit einem sorgenvollen Blick in den Rückspiegel abschließend hinzuzusetzen, „aber ich fand, Sie sollten das wenigstens einmal gehört haben … für den Fall, dass das Gerede weitergeht. Wegen des angeblichen Kegels und so … Ich sage nur, was die Leute so reden und die Zeitungen schreiben.“

Prüfend versuche ich in den Gesichtern der Lohensteins zu lesen, ob mir nach diesen unangenehmen Informationen Ungemach droht.
« Letzte Änderung: 19.01.2018 | 16:49 von Joran »

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #15 am: 18.01.2018 | 15:28 »
Im Auto

Ich nehme die ganzen Schlussfolgerungen und die komprimierten Infos Antons erst einmal schweigend auf. Dann streiche ich mir nachdenklich durchs Gesicht.

"Sie haben recht, Hempel. Da steckt mehr dahinter."

Eine kurze Weile schaue ich aus dem Fenster, ehe ich mit leiserer Stimme fortfahre, die den typischen Dozentenduktus annimmt.

"Also im Kern haben wir es mit in der "Causa Neblowsk" mit drei Strängen zu tun. 1. Neblowskis Beziehung zu von Eisenstein und den merkwürdigen amorösen und finanziellen Verstrickungen. 2. Die mysteriösen Umstände des Ausbruchs und den nicht zueinanderpassenden Umständen und 3. und letztens die Frage, ob es einen Komplizen in dieser ganzen Angelegenheit gab. Habe ich das so richtig zusammengefasst?"

Bestätigung suchend blicke ich in den Rückspiegel und dann zu Agathe.
« Letzte Änderung: 25.01.2018 | 07:46 von Der Läuterer »
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Joran

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #16 am: 18.01.2018 | 16:42 »
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"Scheint so. Um Klarheit in die Sache zu bringen, könnte es hilfreich sein, ein paar Worte mit dem Wachmann, dem Mädchen und diesem Kirill zu wechseln ... wenn man etwa den guten Ruf des Herrn Professor bewahren will ..."

"Aber mit dem Mädchen, falls man es denn ausfindig machen kann, sollten Sie sich besser nicht abgeben. Das wäre nicht standesgemäß und könnte Ihren Ruf beschädigen. Ich könnte das für Sie übernehmen. Ich finde schon den rechten Ton. ... Nur müsste ich sie erst finden ..."

Ich beginnen zu überlegen, wohin ein solches Mädchen gegangen sein könnte: "Sie könnte das Kind nach der Geburt verlassen haben, so dass es in einem der Heime gelandet ist. Dann könnte die Dirn wieder ein ganz normales Leben führen. Oder sie ist auf die schiefe Bahn geraten, etwa wenn der Nebolowski das Geld für sich behalten hat. Oder sie konnte bei ihren Eltern Unterschlupf finden. Da gibt es viele Möglichkeiten. Angesichts der aktuellen Anschuldigungen gegen Nebolowski kann man nicht einmal ausschließen, dass der das Mädel umgebracht hat, sobald von Einsenstein die Brieftasche gezückt hatte. Andererseits erschien es ihm vielleicht nützlicher, das Mädchen als Druckmittel in der Hinterhand zu behalten. Selbst dann wird er es aber kaum in seiner Residenz im Bonzenviertel einquartiert haben."

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #17 am: 22.01.2018 | 22:28 »
Aufmerksam lausche ich den Ausführungen von Herrn Hempel, beginne aber schon nach wenigen Sätzen in meiner Tasche nach dem kleinen Notizbüchlein zu suchen, in dem ich sonst Ideen für Geschichten oder Sätze, die mir gut gefallen, festhalte. Jetzt schreibe ich jedoch all die Namen mit, die Herr Hempel erwähnt, male Verbindungslinien und habe schon bald eine komplizierte Skizze auf zwei gegenüberliegenden A6-Seiten verewigt. Erst als Herr Hempel endet, wird mir bewusst, dass er wohl den Tag damit verbracht hat, zu unseren Gastgebern und den Verstorbenen zu recherchieren. Statt dies tadelnd zu kommentieren, schlucke ich jedoch und presse unangenehm berührt die Lippen aufeinander. Hans und ich hatten uns heute schließlich nicht viel anders benommen.

Ich werfe meinem Gemahl einen Blick zu und erwarte bereits, dass es all das Gerede als weibisches Geschwätz abtuen würde. Als ich merke, dass er jedoch selbst Interesse an dieser Geschichte zu haben scheint, weicht mein zerknirschter Gesichtsausdruck für einen kurzen Moment einem glücklichen und erleichternden Lächeln, bevor ich meine Contenance wiederfinde.

"Das sind in der Tat sehr viele seltsame Zufälle.", antworte ich mich mit neutraler Stimme, "Und es könnte ein guter Stoff für eine neue Kriminalgeschichte sein. Ich hatte ohnehin vor, mir morgen die Sternwarte anzusehen. Vielleicht wissen wir danach ja schon mehr. Herr Hempel, Sie fahren mich bitte morgen Früh dorthin. Falls Sie sich danach einige Stunden nach dem Mädchen umhören möchten, spricht aus meiner Sicht nichts dagegen." Bei meinen letzten Worten werfe ich Hans einen fragenden Blick zu.
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #18 am: 23.01.2018 | 09:41 »
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"Gerne, Frau Professor!"

"Weil der verschwundene und angeblich ermordete Wachmann allerdings ein Angestellter der Sternwarte war und dieser Kirill, dessen Rolle wir noch nicht kennen, sich dort vielleicht auch noch aufhält, schlage ich vor, dass ich zumindest in Ihrer Nähe bleibe, solange Sie die Sternwarte besuchen. Immerhin wäre es denkbar, dass Krassimir Nebolowski zur Sternwarte zurückkehrt. Er hat ja sonst wenig Orte in Berlin, wo er hingehen könnte, und er erhofft sich vielleicht Hilfe von Kirill."

"Vielleicht schlüpft er aber auch bei diesem Mädchen unter? Wer weiß? Die würde ihn kaum an die Polizei verpfeifen. Wenn Nebolowski nach einer Festnahme über die Erpressung auspacken sollte, warten auf sie möglicherweise auch 'Schwedische Gardinen'. Nur, wo findet man das leichte Mädel? ... Ich muss mir Lewi nochmal vorknöpfen. Er weiß ganz sicher mehr. Und Trudi? Auch mit ihr sollte ich vielleicht noch ein paar Wörtchen in dieser Sache wechseln. Kann es sein, dass sie nichts von der Nebenbeschäftigung von Eisensteins mitbekommen hat? Sie ist neugierig und hat ihre sieben Sinne beisammen. ... Ja, ich sollte auch noch einmal mit Trudi sprechen!", beschließe ich.
« Letzte Änderung: 23.01.2018 | 09:45 von Joran »

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #19 am: 23.01.2018 | 11:59 »
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"Sicher. Das sollte kein Problem sein. Setzen sie uns einfach am Morgen an der Sternwarte ab und wir treffen uns dort am Nachmittag wieder."

Ich schaue zu Agathe rüber.

"Wenn du dir da alles angesehen hast, können wir das ja direkt mit einem kleinen Spaziergang verbinden."

Kurz zieht sich meine Stirn kraus.

"Erinnere mich nur daran, dass ich meiner Sekretärin Bescheid gebe, dass mein Doktorand dann das Seminar übernehmen muss."
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Joran

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #20 am: 23.01.2018 | 12:17 »
Im Auto

"Wie Sie wünschen", antworte ich mit einem Rest Zweifel in der Stimme.

"Sie müssen es ja wissen, Chef ... wenn Sie im Notfall selbst den Helden spielen wollen, bitte gerne!", setze ich still für mich hinzu. Dann kreisen meine Gedanken bereits um Möglichkeiten, wie ich das Mädchen ausfindig machen könnte.

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #21 am: 25.01.2018 | 07:56 »
IM AUTO

Euer Mercedes W03 schnurrt und Du fährst den Kaiserdamm entlang.

Auch abends hält der Berliner Strassenverkehr die Stadt weiterhin in seinem dröhnenden, ratternden Griff.

Es ist viel los.
Die Stasse ist voll. Automobile, Fussgänger, Lastwagen. Der Belag ist nass. Die Scheinwerfer grell. Strassenlaternen. Erleuchtete Schaufenster.

Es ist nicht mehr weit. Vielleicht noch fünfhundert Meter bis daheim.
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #22 am: 25.01.2018 | 13:51 »
AM KAISERDAMM

Du parkst den Wagen vor dem Haus, steigst aus und hilfst Frau Lohenstein heraus.
Als Ihr zu dritt über den Bürgersteig zum Haus geht...

Ein lauter Knall.
« Letzte Änderung: 25.01.2018 | 14:07 von Der Läuterer »
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #23 am: 25.01.2018 | 14:09 »
AM KAISERDAMM

Das Geräusch hallt in Euren Ohren.

knirschend
                  scheppernd
                                     klappernd
                                                      quietschend
                                                                          kreischend...
...gestauchtes, verformtes Metall.

kratzend
               knackend
                               klirrend
                                            rasselnd
                                                          schreiend...
...zerberstendes Glas.
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #24 am: 25.01.2018 | 17:47 »
AM KAISERDAMM

Einem alten Reflex folgend bin ich versucht, mich auf den Boden zu werfen und Agathe Lohenstein, die mit ihrem Mann ein paar Schritte voraus geht, dabei mit mir zu hinunter zu ziehen. Aber die Glassplitter spritzen bereits über das Pflaster und ich kann mich im letzten Moment zurückhalten. Stattdessen blicke ich wie in Trance an meinem Körper herab. Meine Ohren sind erfüllt von einem hellen Pfeifen, welches der Rest der Welt nur noch gedämpft und unterschwellig zu durchdringen vermag. Ich spüre keinen Schmerz. "Aber was heißt das schon? Ich habe Menschen gesehen, denen ganze Gliedmaßen fehlten, ohne dass sie in ihrer Schockstarre Schmerzen fühlten." Ich suche nach Wunden und mache mir unsinnigerweise Sorgen um meinen Schwarzen Mantel und den guten Anzug, den ich anlässlich der Beerdigung trage. "Die Scherben ... die Schnitte ..."

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #25 am: 26.01.2018 | 00:58 »
AM KAISERDAMM

Nachdem Ihr den ersten Schrecken überwunden habt, dreht Ihr Euch zur Strasse.

Ein Auffahrunfall.

Das Fahrzeug, ein Dux Typ S, steht auf der Strasse. Die Frontseite des Wagens ist zerbeult und teilweise eingedrückt.

Der Fahrer wurde durch die Windschutzscheibe geschleudert und liegt blutend auf der Kühlerhaube. Er stöhnt. Als er sich bewegt schreit er vor Schmerz laut auf.

Glassplitter liegen auf der Kühlerhaube und neben dem Automobil.

Von dem anderen Fahrzeug fehlt jede Spur.

Die nachfolgenden Autos haben indes angehalten oder umfahren den Unfallort.
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #26 am: 26.01.2018 | 09:53 »
Zuerst habe ich mich auch instinktiv in die Hocke fallen lassen. Als ich beginne das Chaos um mich herum zu erfassen, schaue ich zuerst, ob es Agathe und Anton gut geht. Dann schaue ich fassungslos auf die Straße, während ich versuche Agatha auf die Beine zu helfen.

"Geht es dir gut? Hast du dir etwas getan?"

Sind meine ersten Worte, die ich an Agathe richte. Nach wie vor aber blinzle ich wie jemand der versucht zu verstehen, was gerade passiert ist.
Hans Hermann Lohenstein
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #27 am: 27.01.2018 | 19:43 »
AM KAISERDAMM

Agathe
(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)

Der Fahrer des nachfolgenden Wagens ist bereits ausgestiegen. Er hat sich dem Verunfallten bereits genährt und versucht anscheinend zu helfen. Doch zuerst schaut er sich den Wagen nur ungläubig an und kratzt sich am Kopf.

Vor dem Automobil sind keinerlei Anzeichen auszumachen, die für einen Unfall sprechen würden. Dafür neben dem Wagen um so mehr; Glassplitter und Metallteile.

Der Asphalt unterhalb des Fahrzeugs wurde aufgeworfen und ist unerklärlicherweise wellenförmig gefaltet worden, wie ein Teppich, der beim Wegrutschen von einer Wand gestoppt und in Falten gelegt wurde.
« Letzte Änderung: 29.01.2018 | 19:40 von Der Läuterer »
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #28 am: 28.01.2018 | 10:26 »
AM KAISERDAMM

Ein kurzer Schrei entfährt mir, als ich den Unfall höre, wäre ich mich instinktiv ducke. Anschließend blicke ich mich zu der Unfallstelle um. Das gibt es doch nicht! Das Chaos in meinen Gedanken drückt sich nicht nur in meinem rastlosen Blick auf, der zwischen dem zerstörrten Auto und der Straße hinundher wechselt, sondern ich nehme auch den verletzten Mann kaum wahr. Stattdessen laute ich zu der Straße und blicke mich irritiert um. Etwa zwanzig Schritt entdecke ich zwei junge Frauen, eine führt einen großen Regenschirm, die andere schiebt einen dieser modernen Kinderwägen aus Stahl vor sich. Ohne recht auf den Verkehr zu achten, laufe ich den beiden. "Entschuldigen Sie bitte!", bringe ich außer Atem hervor, "Dieser Unfall eben, haben Sie gesehen, was passiert ist? Oder haben Sie etwas gehört?"
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #29 am: 29.01.2018 | 09:22 »
AM KAISERDAMM

"Es tut mir so leid. Ich glaube, dass ich Ihnen da überhaupt nicht weiter helfen kann."

Sie beugt sich über den Kinderwagen und wackelt mit dem Zeigefinger vor dem Gesicht des Babys hin und her. "Butschi, butschi, butschi, butschi. Ja, wo ist denn meine Kleine?"

"Ich habe mich um das Baby gekümmert. Es tut mir so leid. Ich hatte keinen Blick für die Strasse."
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #30 am: 29.01.2018 | 10:03 »
Am Kaiserdamm

Schon will ich dem Verletzten zur Hilfe eilen, als ich die skurrile Situation und die verwirrten Gesichter der Umstehenden zu erfassen beginne. "Ein Auffahrunfall ohne Hindernis? Wie kann das sein? ... Ruhe bewahren! Keine Franzosen ... nur ein Autounfall ... alle sind friedlich." Irritiert sehe ich mich wie viele andere nach einer Erklärung um, bleibe damit aber erfolglos. Überall nur ratlose Mienen.

"Bitte rufen Sie eine Ambulanz, Herr Lohenstein. Ich werde derweil nach dem Mann sehen", überschreite ich beeindruckt von der Situation ein wenig meine Kompetenzen.

Etwas besorgt nehme ich wahr, wie Frau Agathe Lohenstein zu anderen Passanten läuft, ohne weiter auf den Verkehr zu achten. Ich verfalle ins gegenteilige Extrem. Sorgsam erfasse ich zunächst den Verkehr auf der Straßen. Nur langsam und skeptisch betrete ich dann das gewellte Pflaster, als würde ich das unsichere Eis eines tiefen Sees betreten, immer damit rechnend, im nächsten Moment ein Knacken und Knirschen unter mir zu hören und in einen eisigen Abgrund gerissen zu werden.

Gefahren, denen ich ins Auge blicken kann, die ich verstehe, kann ich auch begegnen. Aber das hier ist etwas ganz anderes. Das hier KANN NICHT SEIN. Das Nichtbegreifen des Vorgangs ... seiner Ursache ... seines Ursprungs ... verunsichert mich. Und das ist ein ungewohntes, unangenehmes Gefühl für mich. Wie kleine Antennen, wie winzige Fühler, die nach der Quelle einer unbekannten Gefahr tasten, beginnen sich einem archaischen Instinkt folgend die Haare auf meinen Armen aufzustellen. Darin unterscheide ich mich im Moment wohl kaum von einem steinzeitlichen Höhlenmenschen, der gerade aus nächster Nähe den Einschlag eines Meteors überlebt hat.
« Letzte Änderung: 29.01.2018 | 11:05 von Joran »

Joran

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #31 am: 30.01.2018 | 10:55 »
Am Kaiserdamm

Aber das Straßenpflaster bleibt, was es immer war: Stein und Erde ... rissig und aufgeworfen zwar, aber immer noch fester Boden. Dennoch bin ich erleichtert, als ich endlich den Unfallwagen erreiche. Der Mann auf der Kühlerhaube ist bei Bewusstsein. Aber er blutet heftig aus einer Schnittwunde am Bauch. Alle anderen Verletzungen scheinen mir eher unerheblich ... kleine Stiche und Schnitte diverser Glassplitter vor allem am Kopf, mit dem der Mann die Frontscheibe zertrümmert hat. Ich öffne das zerrissene Hemd des Mannes und betrachte die Wunde am Bauch. Die Scherbe ist nicht tief eingedrungen und ich kann sie vorsichtig entfernen. Dann presse ich mein weißes Taschentuch fest auf die Wunde, um die Blutung zu stoppen.

Der weiche, gefaltete Stoff beginnt sofort, den Lebenssaft in sich aufzusaugen. Das Weiß verwandelt sich vor meinen Augen in ein dunkles und doch kraftvoll leuchtendes Rot. "Ob Gott ein solches Bild im Sinn hatte, als er die Farbe von Blut auswählte?" Es erscheint mir offensichtlich, dass das, was immer die Menschen erschaffen hat, ihrem gewaltsamen Tod jedenfalls eine kräftige, lustvolle Farbe geben wollte. ... Fasziniert beobachte ich das sich stetig wandelnde Gemälde. Der Anblick ist für mich nicht unbekannt, aber jedes dieser Bilder ist neu ... einzigartig ... magisch ... wie aufziehende Wolken der Kontrolle der Menschen entzogen ... ein vierdimensionales Bild, von einer höheren Macht gezeichnet, das unserer Phantasie leise mahnende Botschaften jenseits unserer Verständnisfähigkeit zuflüstert. Den Blick von von dem vergänglichen Werk zu lösen, würde bedeuten, einen Teil der Botschaft zu versäumen ... nicht reproduzierbar ... ... Man kann nur die Leinwand für neue Bilder reichen, SO malen kann der Mensch nicht selbst.

Noch immer habe ich ein dumpfes Gefühl in meinen Ohren, aber die Geräusche um mich herum dringen wieder zu mir. "Bleiben Sie ruhig liegen, bis die Ambulanz hier ist", sage ich ruhig und emotionslos zu dem Verletzten, den Blick unverändert auf das Tuch gerichtet. Nach einem kurzen Augenblick setze ich nach: "Was ist hier eigentlich passiert?"
« Letzte Änderung: 30.01.2018 | 11:00 von Joran »

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #32 am: 30.01.2018 | 11:48 »
Am Kaiserdamm

Während ich erst Antons Anweisung höre und Agathe wie schlafwandlerisch durch den Verkehr gehen sehe, schüttel ich ob größerer Verwirrung den Kopf.

"Sind denn heute alle verrückt geworden?"

Murmele ich in meinen Bart, als ich mich gen Haus umwende, um eine Ambulanz zu rufen. Dabei rede ich mit dem Kopf auf die rechte Seite gelegt

"Mir gehts auch gut. Danke der Nachfrage."

Der Kopf wandert nach links

" Aber natürlich doch. Wärst du trotzdem so liebenswürdig eine Ambulanz zu rufen?"

Und wieder nach rechts.

"Das mach ich doch gern. Aber warte. Ich brauch noch eine Anweisung meines Fahrers."

Jetzt schüttele ich den Kopf, wie um die Posse zu vertreiben. Dann furcht sich meine Stirn und ich beschleunige meinen Schritt, während ich die Haustürschlüssel hervorkrame. Vor mich hin brumme ich noch

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #33 am: 1.02.2018 | 23:34 »
"Aber Sie haben vielleicht etwas gehört?", frage ich ein wenig zu vehement nach und werfe dem kleinen Kind einen ärgerlichen Blick zu. Einen Augenblick später habe ich meine Emotionen wieder ein Stück weit unter Kontrolle. "Ich meine, das hat sich doch nicht normal angehört. Das war nicht einfach nur ein Knall, sondern...so wie bei diesem Zeitmikroscop, wenn sie davon gehört haben? Nur das eben nicht das Bild, sondern der Schall langsamer ablief?" Ich merke selbst, dass meine Worte für für jemand anderen wohl nicht viel Sinn ergeben. "Haben Sie denn gar nichts Auffällige wahrgenommen?", versuche ich daher nochmals mein Anliegen auf den Punkt zu bringen.
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #34 am: 2.02.2018 | 16:50 »
AM KAISERDAMM

Das Baby schaut Dich mit seinen grossen, blauen Augen interessiert an. Seine Pausbäckcken leuchten gerötet und seine Pink-farbene Haut glänzt. "Da brum brum goo goo, bubi duh brum oh buh ba da bum."

Du hörst die glucksenden Laute des Säuglings, während die Frau ihre Unwissenheit beteuert.

"Es tut mir so leid Ihnen nicht weiter helfen zu können. Das Auto ist vorbei gefahren und dann ist es gegen ein Hindernis geprallt. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen und ich muss jetzt wirklich weiter. Entschuldigen Sie bitte."
« Letzte Änderung: 3.02.2018 | 18:15 von Der Läuterer »
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #35 am: 4.02.2018 | 08:51 »
Ich werfe dem Kind ein gezwungenes Lächeln zu, bevor ich mich von der Frau verabschiede. "Ich verstehe, danek trotzdem. Und passen Sie auf sich auf!"
Dann begebe ich mich zu dem Auto, wobei ich diesmal zumindest kurz nach links und rechts blicke, ob bevor ich die Straße überquere. Ich sehe, wie Herr Hempel den Verletzten fachmännisch versorgt und versuche, meinen Blick von dem Blut fernzuhalten. Stattdessen umrunde ich das Auto und betrachte die Schäden, in der Hoffnung, so mehr über den Unfallhergang sagen zu können. Dass der Nieselregen allmählich durch meine dicke Kleidung dringt, nehme ich dabei nur am Rande wahr.
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #36 am: 10.02.2018 | 18:46 »
AM KAISERDAMM

Als Du die Strasse überquerst sind die Autofahrer rücksichtsvoller als sonst. Auf allen Spuren verlangsamen die Automobile ihre Geschwindigkeit, so dass Du fast wie Moses nach der Teilung des Roten Meeres, von der einen auf die andere Seite kommst.
Als Du drüben angekommen bist, nehmen die Autos ihre ursprüngliche Geschwindigkeit wieder auf.

Du erreichst den verunfallten Wagen, blickst Anton an und nickst ihm zustimmend zu.

Ein Blick auf das Tuch am Verletzten zeigt Dir, dass er unter Blutverlust leidet.

Dann nimmst Du ein leises metallisches Knirschen wahr und siehst, dass sich der Kotflügel zurück zu verformen scheint. Nur ein wenig aber auffallend als Du es betrachtest.
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #37 am: 12.02.2018 | 23:38 »
AM KAISERDAMM

Verwirrt wandert mein Blick zwischen all den seltsamen Details hin- und her. Es scheint, als wäre die Zeit stehen geblieben und verschwimmt nun, wie in einem einzigen Traum. Es ist fast schon kindliche Neugier, die mich ein verbeifahrendes Auto aufmerksam betrachten lässt, nur um mich im nächsten Augenblick fast schon traumwandlerisch zu dem geborstenen Autospiegel gehen zu lassen. Meine Finger bewegen sich sanft über das Glas, das sich unter meiner Berührung wieder zusammensetzt. Zumindest wirkt es für einen Augenblick so. Doch nicht nur die Umwelt ist langsamer geworden, auch die rote Flüssigkeit tropft nur erstaunlich langsam auf das Auto und die Glasscherben hinab. Es ist meine Flüssigkeit, wie ich weiß, auch wenn es sich nicht so anfühlt. Es ist mehr ein seltsames Phänomen, das nichts mit mir zu tun hat.

"Schau mal, Hans!", mache ich meinen Gatten auf meine Entdeckung aufmerksam. "Schau, wie langsam das Blut doch tropft."
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #38 am: 13.02.2018 | 11:38 »
Am Kaiserdamm

Ich bin so überrascht über Agathes Worte, dass ich einen Augenblick verwirrt zu ihr aufblicke. Dann weicht der Ausdruck der Verwirrung einem seligen und zugleich verschwörerischen Lächeln, das auf meinem Gesicht vermutlich - wie so oft - eher dümmlich wirkt. Ich suche in Agathes Gesicht nach einer Bestätigung für die vermeintlich geteilte Faszination ... für das Blut ... das langsam tropfende, sich verbreitende Blut ...

"Ich hätte nie gedacht, dass jemand diese Faszination mit mir teilen könnte!"

"Ja, faszinierend ... jedesmal von neuem!", bestätige ich knapp und wende meinen Blick eilig wieder dem Gemälde unter meiner Hand zu.

Der Anblick des Mannes auf der Kühlerhaube erfüllt mich mit innerer Ruhe und Glück. "Die Kameraden an der Front und die Kollegen auf der Ambulanz hielten das für eine professionelle Gelassenheit und damit für eine besondere Qualität zum Nutzen der Verletzten. Niemand von Ihnen hat die Wahrheit erkannt ... dieses Gefühl ... tiefer ... spiritueller ... Befriedigung! ... Keiner außer mir hat die Schönheit des Sterbens sehen können, nur den Schmutz, den Gestank, die Angst ... Ich dachte immer, niemand sonst könnte das verstehen!"

"Natürlich darf ich Agathe Lohenstein nicht darauf ansprechen. Aber vielleicht gibt es eine stumme Übereinkunft ... einen unausgesprochenen Pakt ... ein tieferes wortloses Verstehen?", hoffe ich. Nach außen flüchte ich mich wieder in meine geistlose Miene, aber innerlich sauge ich das Bild vor mir in mich auf: der Mann, die Wunde, das Blut, die messergleiche Scherbe ... "Ein Anblick wie er sich einem Aztekenpriester vor dem Opferaltar geboten haben muss. ... Kann es verwundern, dass die Azteken überzeugt waren, mit einem solchen Bild die Götter zu erfreuen?"
« Letzte Änderung: 13.02.2018 | 12:26 von Joran »

Offline Mondsänger

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #39 am: 14.02.2018 | 13:10 »
Am Kaiserdamm

Ich komme wieder aus dem Haus, nachdem ich die Ambulanz verständigt habe. Geraden Schrittes gehe ich zu Agathe und dem Auto.

*Sehe ich auch die merkwürdig langsamen Bewegungen?*
Hans Hermann Lohenstein
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #40 am: 14.02.2018 | 20:51 »
Die Minuten vergehen. Langsam. Träge. Schleppend. Wie in Zeitlupe.

Fussgänger bleiben stehen und schauen neugierig. Kaum jemand hilft. Und keiner geht weiter.
Mehr und mehr gesellen sich hinzu. Eine grosse Menschentraube entsteht.

Berauscht vom Unglück des Einzelnen. Sie alle können den Blick nicht abwenden. Sie scheinen gefangen zu sein. Gefangen von einem Bannspruch, der sie zwingt.

Das Blut. Das Grauen. Das alle fasziniert. Und alle sind froh, dass nicht sie es sind. Dass es einen anderen getroffen hat und atmen durch. Das Blutopfern ist dargebracht worden. Aber vielleicht ist man morgen schon selbst an der Reihe. Doch niemand weiss es mit Sicherheit.

Einige schütteln den Kopf. Andere tuscheln miteinander oder halten sich erschreckt die Hand vor den Mund. Sie deuten mit dem Finger auf dies und das, als wüssten sie was geschehen ist. Unwissende Narren. Nicht einmal Knallzeugen. Aber jeder weiss etwas. Manche sprechen sogar zu Gott.

Doch Gott ist gerade nicht hier.
Dafür aber die Physik. Sie hat allen Anwesenden ihr Prinzip der Fliegkraft demonstriert.

Die schwarzen Regenschirme der Menschen formen einen düsteren Regenwald riesiger Pilze. Bedrohlich. Und doch feige.

Die Situation scheint sich wieder normalisiert zu haben, als aus der Ferne ein Signalhorn zu hören ist. Vermutlich nähert sich der Rote Kreuz Wagen.

Der Zustand des Verunglückten ist noch immer gleich. Kritisch? Noch lebt er. Sein Körper hebt und senkt sich. Wenn er nicht stirbt, gilt das Ritual als nicht vollzogen. Dann ist ein anderer fällig. Der Moloch ist gierig und will befriedigt werden.

Blut tropft. Agathes Blut. Tropft in eine Pfütze aus Wasser und Öl. Schlieren in Regenbogenfarben verbreiten sich kreisförmig. Ein kleines, fast unmerkliches Kunstwerk. Ein Werk aus Schmerz und Schmutz.

Niemand nimmt jedoch dieses Kunstwerk wahr. Niemand sieht es entstehen oder hörte den Tropen aufschlagen. Ein faszinierend schönes Schauspiel. Und schon ist es wieder vorbei.

Die Ambulanz hält. Zwei steigen aus. Drei steigen ein...

Der Unfallwagen verändert sich nicht mehr. Hat er sich überhaupt verändert?

Und noch immer ist unklar, was hier überhaupt geschehen ist.
« Letzte Änderung: 14.02.2018 | 20:55 von Der Läuterer »
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #41 am: 15.02.2018 | 13:09 »
Am Kaiserdamm

Gedankenverloren bleibe ich noch einen Moment auf der Straße stehen und betrachte das Tuch in meinen Händen. Ich werde es sorgsam trocknen und dann zu den anderen legen. Eine Sammlung, von der jedes einzelne Stück die Geschichte eines Lebens schreibt ... und die nur ich zu lesen vermag ...

Nachdem die Ambulanz sich eilig entfernt hat, wird der Verkehr wieder drängender. Das gelegentliche Hupen und die Motorengeräusche der beschleunigenden Fahrzeuge rufen meine Aufmerksamkeit auf die Straße zurück. Eilig trete ich ein paar Schritte zurück und verschmelze mit der in Auflösung begriffenen Menge der Gaffer. Ich nutze die Anonymität der Menge als Mantel, aber ich fühle mich diesen Menschen nicht verbunden. Sie haben nicht gesehen, was ich erkennen kann. Daher nutze ich die erste sich bietende Möglichkeit, um die Straße sicher in Richtung Villa zu überqueren. Ich werfe noch einen Blick zurück, um mich zu vergewissern, ob die Lohensteins ebenfalls folgen oder sich noch näher mit dem Unfallwagen beschäftigen.

Offline Katharina

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #42 am: 15.02.2018 | 23:04 »
Am Kaiserdamm

"Hans!", rufe ich aus, als meinen Gatten erblicke. Endlich ein vertrauter Anblick, während doch alles andere so seltsam wirkt. Erleichtert werfe ich mich Hans an die Brust und merke gar nicht, wie das Blut meiner Hand sein Hemd beschmutzt. Das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit lässt die Anspannung von mir abfallen. Meine Hände beginnen zu zittern - oder zittern sie schon die ganze Zeit und ich merke es erst jetzt? Auch meine Beine fühlen sich weich an. "Was ist hier los, Hans?", frage ich, eine Spur von Verzweiflung in der Stimme. "Warum bewegt sich plötzlich alles so langsam? Und was war das für ein seltsamer Unfall? Das war kein Auffallunfall, sondern da war etwas. Das Auto muss gegen eine unsichtbare Wand gefahren sein."
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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #43 am: 16.02.2018 | 11:09 »
Am Kaiserdamm

"Nun, hier störe ich nur ... der 'Held' ist erschienen ...", registriere ich mit gemischten Gefühlen das Bild.

Ich wende mich dem Dienstboteneingang der Villa zu, um meinen guten Anzug gegen die Arbeitskleidung zu tauschen ... und das Tuch zu trocknen.

Nachdem dies geschehen ist, öffne ich die Garage, setze den Wagen herein und wasche den Dreck vom Friedhofsparkplatz ab. Eine leise rauschende Gaslaterne spendet mir Licht, wo ich es brauche. Ich genieße die Abgeschiedenheit und Ruhe der Garage ... mein Reich. Draußen ist es bereits dunkel, als Lack und Chrom wieder zu meiner Zufriedenheit glänzen. Als ich nach getaner Arbeit den Eimer mit einer trübe Brühe aus geweihter Erde, Wasser und Seife in den Rinnstein gieße, fällt mein Blick erneut auf den Unfallwagen. Die Straße hat sich inzwischen geleert. Der Zinkeimer gibt ein leises Scheppern von sich, als ich ihn neben mich auf den Bürgersteig setze und den Lappen über den Henkel hänge. Einen Augenblick ringe ich mir, den Wagen nach Wertsachen zu durchstöbern. Ein Blick über meine Schulter zeigt mir, dass die Fenster der Villa noch erleuchtet sind. Ich wäge Chancen und Risiken gegeneinander ab und überlege es mir anders.

Wieder blicke ich zum Wagen. Die Umstände des Unfalls gehen mir noch einmal durch den Kopf. "Merkwürdige Sache das! Niemand scheint etwas gesehen zu haben."

Mit einem Achselzucken schaffe ich den Eimer zurück in die Garage und verschließe diese sorgsam. Nachdem ich mich gewaschen habe, treffe ich das Mädchen in der Küche beim Abwasch. Ich greife mir das Trockentuch und beginne eine belanglose Unterhaltung. Das Mädchen steht leicht über das Becken gebeugt vor mir, die Schürze eng um ihre Taille gebunden. Meine rückwärtige Position gestattet es mir, sie unverholen und eingehender zu betrachten als es der Schicklichkeit entspricht. Als die Arbeit fast getan ist, nutze ich die Gelegenheit, nach Ausgaben des Berliner Adressbuchs der letzten Jahre zu fragen.
« Letzte Änderung: 16.02.2018 | 12:41 von Joran »

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #44 am: 9.03.2018 | 20:23 »
AM KAISERDAMM - CHAUFFEURSWOHNUNG

Du suchst Dir die beiden letzten Adressbücher von Berlin heraus und nimmst diese mit in Dein Quartier - die Jahrgänge 1919 und 1924.

Im jüngsten Band ist ein K. Nebolowski unter Königsallee 133a, Grunewald, gelistet, der im vorherigen Band noch fehlte.
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Nur wenige Menschen sind stark genug, um die Wahrheit zu sagen und die Wahrheit zu hören.
- Luc de Clapiers Marquis de Vauvenargues -

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #45 am: 10.03.2018 | 12:56 »
AM KAISERDAMM

Als das Haus endlich zur Ruhe gekommen ist und die letzten Lichter gelöscht wurden, fallt Ihr, nach einem anstrengenden Tag voller unglaublicher Entwicklungen, in einen tiefen Schlaf.
Agathe träumt von einem sternenlosen, schwarzen Himmel. Ein kontinuierlicher und sanfter Wind trägt dabei wieder und wieder das gleiche, geflüsterte Wort an Dein Ohr; A - S - S - A - S - S - O - T.
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Joran

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Re: [SoA 2. Akt] Am Kaiserdamm
« Antwort #46 am: 10.03.2018 | 20:11 »
AM KAISERDAMM - CHAUFFEURSSTUBE UNTER DEM DACH

Im Bett liege ich noch eine Weile wach. Der Mond scheint durch das kleine Fenster. Wie ein Bilderrahmen legt sich ein silbernes Quadrat auf dem Kissen um mein Gesicht. Ich grinse bei dem Gedanken, welches Gemälde mein Gesicht hergeben würde. Doch das Lächeln verschwindet, als mir die Portraitzeichnungen im Haus der Witwe Elfriede von Eisenstein wieder in den Sinn kommen. "Ob das Silberlicht des Mondes die bösen Geister in den Zeichnungen jetzt gerade zum Leben erweckt?", frage ich mich. Hier alleine in der Stille meiner Kammer erscheint mir dieser Gedanke plötzlich nicht so abwegig. "Nachts geschehen mit den Menschen merkwürdige Dinge ... dann machen sie Sachen, die sie am Tage nicht in Betracht ziehen würden. Die Nacht ist die Zeit der schleichenden Schrecken..."

Ich versuche mich abzulenken. Mein Blick fällt auf die Adressbücher auf meinem Nachttisch. Die Anschrift erscheint mir vielversprechend. "Die Königsallee ist eine sehr gute Adresse. Viele reiche Anwohner, die dort in ihren Villen ihr Vermögen demonstrieren. Wenn Nebolowski dort ein Haus erwerben konnte, muss er tatsächlich zu viel Geld gekommen sein." Ich beschließe, mir das Haus gleich am Montag einmal genauer anzusehen. "Vielleicht finde ich dort tatsächlich das Mädchen mit dem Bastard ... wer weiß!"


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« Letzte Änderung: 27.08.2018 | 17:12 von Joran »