Ich würde gerne ein System vorstellen, das mich aktuell ziemlich begeistert und über das es hier im Forum bisher so gut wie nichts gibt: Tiny Dungeon
Tiny Dungeon basiert auf dem Tiny D6-Universalsystem, wurde ursprünglich von Smoking Salamander entwickelt und wird seit 2016 von Gallant Knight Games fortgeführt. Die aktuelle zweite Edition kann man über die üblichen DTRPG-Kanäle digital und als print on demand erwerben.
Weitere Spiele, die auf Tiny D6 basieren sind
Tiny Frontiers (Sci-Fi; mittlerweile gibt es mit „Revised“ eine deutlich erweiterte Neuauflage)
Tiny Frontiers: Mecha and Monsters (Riesenroboter gegen Megamonster à la Godzilla oder Pacific Rim; eigentlich ein Ableger von Tiny Frontiers, aber ein eigenständiges Regelbuch)
Magnum Vice Fury Force (80er Jahre Actionfilme und Fernsehserien)
Tiny Wasteland (Postapokalypse; die Kickstarter-Unterstützer haben es schon, für die Allgemeinheit wird es bald erhältlich sein)
Tiny Supers (Superhelden; der Kickstarter wurde gerade sehr erfolgreich abgeschlossen)
Tiny Dungeon wird – ebenso wie alle anderen Tiny D6-Varianten vom Verlag als „minimalistisches“ Rollenspielsystem beworben, und das trifft es auch ziemlich gut.
Spielercharaktere bei Tiny Dungeon haben keine Attribute (außer Trefferpunkten) und nur eine einzige Fertigkeit (eine Berufsfertigkeit, die sie vor Beginn der Abenteurerkarriere erlernt haben). Allerdings besitzt jeder SC mehrere „Traits“. Die entsprechen im Wesentlichen Talenten/Vorteilen aus anderen Regelsystemen. Einer der Traits wird durch die Rasse (Tiny Dungeon spricht von „Heritage“) des Charakters vorgegeben, drei weitere können frei gewählt werden. Die meisten Traits bringen einen Vorteil („Advantage“, s.u.) beim Würfeln, mache erlauben es dem SC, besondere Dinge zu tun (Zaubern, mit Tieren sprechen, Heilen, schneller Schießen usw.).
Das Regelsystem ist denkbar einfach. Grundsätzlich würfelt man bei einem „Test“ 2W6. Jede 5 oder 6 zählt als Erfolg. Hat man einen Vorteil wirft man 3W6, bei einem Nachteil 1W6. Die Zahl der gewürfelten Erfolge spielt grundsätzlich keine Rolle.
Das Kampfsystem ist sehr klassisch: Erst wird die Initiative erwürfelt, dann handeln die Beteiligten in der entsprechenden Reihenfolge. Wer am Zug ist, hat zwei Aktionen (Bewegen, Zaubern, Angreifen, Ausweichen usw.), wobei auch dieselbe Aktion zweimal durchgeführt werden kann. Wer ausweicht, hat eine Chance, von gegnerischen Angriffen nicht getroffen zu werden.
Bei einem erfolgreichen Angriff richtet jede (!) Waffe einen Punkt Schaden an (es gibt allerdings Traits, die den Schaden erhöhen). Rüstung spielt grundsätzlich keine Rolle, es sei denn, man hat den Trait „Armor Master“, dann gibt sie zusätzliche Trefferpunkte.
Das war’s im Prinzip schon. Das Buch enthält noch zahlreiche optionale Regeln, die leider etwas verstreut sind (manche stehen bei den entsprechenden Standardregeln, andere sind in ein eigenes Kapitel ausgegliedert): Regeln für verschiedene Entfernungszonen im Kampf, Charakterentwicklung (ist hier „nur“ eine optionale Regel), Belastung durch und Verbrauch von Ausrüstung, kritische Treffer und Kampf auf Schiffen und Reittieren. Diese Optionalregeln umfassen aber jeweils maximal eine Seite (selbst wenn man sie alle verwendet, bleibt das System noch sehr regelleicht).
Es gibt außerdem ausführlichere Optionalregeln für „Prestige Traits“ (die man nur wählen kann, wenn man bereits bestimmte Traits besitzt), ein Magiesystem mit verschiedenen Zauberschulen und ein Martial Arts-System mit verschiedenen Kampfstilen.
Auch sind Optionalregeln für variablen Waffenschaden und Schutz durch verschiedene Rüstungen enthalten. Die weichen dann aber so sehr von vielen Grundregeln ab, dass man, wenn man sie verwenden will, noch zahlreiche andere Dinge wird anpassen müssen. Alan Bahr, der Autor der Regeln, hat bei facebook erklärt, dass er diese Zusatzregeln „hasst“ und sie nur auf den Wunsch vieler Fans der 1. Auflage aufgenommen habe.
Es gibt ein paar Meistertipps und einen Abenteuergenerator. Der ist aber wirklich sehr rudimentär ausgefallen und außer der grundlegenden Idee für das Abenteuer kann man damit nicht viel erwürfeln. Außerdem vorhanden ist ein Bestiarium (wobei allerdings die Hälfte der vorgestellten Gegner Dinosaurier sind).
Damit endet der eigentliche Regelbuchteil auf Seite 84. Der Rest des gut 200seitigen Textes (im Kleinformat von ca. DIN A 5) entfällt auf insg. 20 „Micro Settings“, also kurze Kampagnenhintergründe. Dort werden der Hintergrund, NSCs und Abenteuerideen auf 6 – 9 Seiten vorgestellt.
Die Qualität der Micro Settings ist leider stark schwankend. Während einige ganz nett sind und auch wirklich einiges über das Setting verraten, sind andere eigentlich nur eine etwas ausformulierte Idee (und meist auch nicht unbedingt eine besonders originelle). Richtig frech finde ich es, wenn in einem Setting („Chosen“) zwei der acht Seiten auf eine „Kurzgeschichte“ entfallen, die allerdings die Stimmung des Settings auch nicht wirklich gut transportiert.
Vielen der Micro Settings merkt man an, dass sie deutlich besser geworden wären, wenn man ihnen mehr Raum gegeben hätte. „Raptorland“ z.B. schildert eine Welt intelligenter Dinosaurier in der offensichtlich gewollt ist, dass die Spieler Dinos spielen. Allerdings fehlen entsprechende Heritages. Ähnliches gilt für „Home Sweet Dungeon“, wo (wie bei „Dungeon Keeper“) davon ausgegangen wird, dass die Spieler Monster führen, die ihren Heimat-Dungeon gegen lästige Abenteurer verteidigen. Eine schöne Idee, aber ohne Regeln für die Erschaffung der wichtigsten Monstertypen als SCs und den Unterhalt eines Dungeons ist das doch ein bisschen zu sehr Micro.
Andere der Micro Settings enthalten allerdings tolle Zusatzregeln: So gibt es in „Spirit World“ Regeln für Schamanismus und „The Land of Roses and Thorns“ (der unvermeidliche „Game of Thrones“-Klon) enthält Regeln für Massengefechte, die Erschaffung von Adelshäusern und das Ausspielen politischer und militärischer Konfliktsituationen.
Insgesamt hat mich das Regelsystem begeistert. Ich habe zwar die Regeln noch nicht im Spiel verwendet, werde aber in zwei Wochen unsere „Beyond the Wall“-Kampagne auf Tiny Dungeon umstellen.
Auch wenn es wirklich wenige Regeln sind, ergeben sich sogar – vor allem im Kampf – einige interessante taktische Optionen und Möglichkeiten der Charakterentwicklung. Ich denke, meine Spieler werden am meisten an der „Einheitsschaden“-Regel zu knabbern haben, aber über kritische Treffer und einige Traits lässt sich da ja auch noch etwas machen.
Anders als andere minimalistische Systeme habe ich hier das Gefühl, doch ein echtes Regelsystem präsentiert zu bekommen und nicht (wie etwa bei TWERPS) nur eine Persiflage.
Ein paar negative Punkte möchte ich auch noch erwähnen:
1. Der Preis. Knapp 16 € für da Regelwerk als PDF finde ich schon ganz schön happig. Und fast 22 € für das Softcover-Regelbuch in schwarz-weiß und im Kleinformat ist auch nicht gerade ein Fitsch (da kriegt man etwa bei OneDice deutlich mehr für sein Geld).
2. Bei dem Preis hätte ich mich ein etwas besseres Lektorat gewünscht. Einige Schreibfehler und redundante Satzteile sind noch enthalten und manche Regeln hätten – auch bei einem minimalistischen Regelwerk – besser erklärt werden können und hätten von einigen Beispielen profitiert.
3. Die Zeichnungen. Sie sind eigentlich sehr schön, wenn man auf einen Bilderbuch/Manga-Stil steht (für mich ist das okay). Allerdings könnten es doch noch ein paar Bilder mehr sein; die einzelnen Grafiken wiederholen sich meist mehrfach im Buch und das finde ich nicht so schön.
Tiny D6-Systeme scheinen derzeit viel Erfolg zu haben (jedenfalls für einen Kleinverlag): Neben mehreren immer erfolgreicheren Kickstarter gibt es wohl mittlerweile erste Lizenznehmer, die Sourcebooks und Übersetzungen veröffentlichen wollen.