Hach, eins meiner Lieblingsthemen in neuem Gewand
Man findet hier im Board schon das eine oder andere dazu, aber die Stoßrichtung ist anders genug, dass ich erst mal nichts verlinke.
Zuerst Kommentare zu anderen Beiträgen:
Dabei ist eins Fakt, wenn man alleine schon heute Sicherheitsmaßnahmen nimmt, zb. militärische, wäre es für die meisten Spieler ohne den entsprechenden beruflichen Hintergrund unmöglich Land zu sehen.
Damit machst du schon ein Riesenfaß auf. In anderen Systemen ist das gar kein Problem, aber in SR gibt es die für mich völlig unverständliche Tendenz, gerade in diesem Kontext enorm auf Spielerfähigkeiten abzustellen.
Will heißen: Ja, es kann durchaus Spaß machen, sich entsprechend einzuarbeiten und
auf Spielerebene herausforderungsorientiert zu spielen.
Aber das ist doch nicht der einzige gangbare Weg.
Dafür gibt es doch gerade Werte und sonstiges Gedöns auf dem Charakterblatt sowie zugehörige Regeln - damit ich das abbilden kann,
ohne mich als Spieler bzw. als Gruppe mühsam einarbeiten zu müssen, wenn ich da keinen Bock drauf habe.
Ist der Charakter z.B. Spezialist für Alarmanlagen, dann weiß der natürlich Sachen mit völliger Selbstverständlichkeit, die der Spieler nicht weiß.
Der Schuh drückt da ganz woanders: Wenn der SL abseits aller Spielmechanik massiv Spielerfähigkeiten einfordert, welche sich die Spieler gar nicht aneignen wollen, muss man sich mal zusammensetzen und darüber reden, wie man eigentlich spielen will. Nicht zuletzt, weil man sich den Großteil der SR-Regeln komplett sparen kann, wenn man so sehr auf die Spielerebene abzielt.
Außerdem wurde das Ganze Ende der 80er entworfen und arbeitet mit Annahmen aus der Zeit.
"Ordentliche" Sicherheitskonzepte gab es damals auch schon.
Natürlich haben sich Bedrohungen geändert und manches läuft heute anders, aber die Grundzüge stehen auf organisatorischen, psychologischen und logischen Grundlagen, die relativ zeitlos sind.
Da ist das Problem von SR viel mehr, dass es nie erkannt oder wenigstens nie offen angesprochen hat, wie verschieden die Spielperspektive auf das Thema Heist sein kann.
Mit dieser wilden Mischung aus Filmen, Büchern und realen Konzepten/Vorlagen kommen seit Ende der 80er auch immer wieder die gleichen Fragen aus der Spielerschaft - und das völlig zu Recht.
SR hat es bis heute nicht geschafft, z.B. über verschiedene Erweiterungslinien verschiedene Spielstile und Ansätze zu bedienen. Stattdessen will man immer alles für alle sein und unterm Strich lädt man jede Menge Arbeit bei allen ab, die etwas anderes machen wollen als in diesem wirren Geschwampfe rumzueiern.
Also ich halte nach wie vor folgendes für absolut fragwürdig: Dass man _regelmäßig_ mit ein bisschen Schleichen und Flecktarn-Muster durch einen seriös bewachten Eingangbsereich eines Sicherheitstrakts spazieren kann, ohne dass das wem auffällt.
Wo ist das denn bitte in SR so?
Außer in beklopptem Fluff, (zumindest diesbezüglich) hirnrissigen Videospielumsetzungen u.Ä. - ok, ist wohl wirklich an einigen Stellen zu finden
Trotzdem ist das doch recht einfach behoben.
Speziell SR5 vermittelt in der Hinsicht aber wie oben angesprochen auch nicht mal ansatzweise ein halbwegs einheitliches und schlüssiges Bild.
Zuviel Realismus macht häufig einfach keinen Spaß, er killt das Spiel. Bei SR heißt das, das Spiel ist ein Dungeoncrawler mit Cyberpunk-Anstrich und genauso wie Fantasy-Dungeons nie eine Toilette haben, sind die Sicherheitsmaßnahmen beim Seader-Krupp-Dungeon realistisch gesehen ein Witz bzw. genauso stark wie es eben noch Spaß macht.
Wieder die Frage nach dem Spielstil.
"D&D with guns" macht mir z.B. weder als SR-Spieler noch als SR-SL Spaß.
Ich will da ganz entschieden gerade keinen Dungeoncrawl mit abgefeilten Seriennummern und dementsprechend anders sehen "meine" Anlagen aus.
Obendrauf ist der klassische Anlagen-Heist bei mir eher die Ausnahme als die Regel.
Da ist die eine Achse der Grad an Realismus/Glaubwürdigkeit und die andere die Frage nach Combat as Sport vs. Combat as War (bzw.
running as Sport).
SR verliert für mich durch "mitwachsende" bzw. immer schön an die Runner skalierte Sachen ziemlich viel.
Gäbe es realistische Sicherheitsmaßnahmen, könnte man das Tischgerunne gleich einstellen.
Wobei bei dieser Diskussion unter "realistisch" oft sinngemäß verstanden wird: Funktioniert absolut perfekt im Sinne des Erfinders und denkbare Gegenmaßnahmen lasse ich per SL-Willkür nicht gelten. Also gerade
nicht realistisch...
Man muss sich natürlich fragen, wie "echt" es denn sein muss. Aber es ist ja nicht so, als gäbe es IRL keine erfolgreichen "Runs". Und selbst die nicht erfolgreichen scheitern oft genug an Dingen, die in SR so nicht mehr gegeben sind (allen voran flächendeckend und sogar staatenübergreifend relevante Polizei).
Die hermetisch abgeriegelte, hochsichere Einrichtung mag es geben, aber das ist vermutlich auch nicht das Alltagsgeschäft der Runner, oder?
Kommt drauf an, wen man fragt.
Ziemlich unumgänglich ist für mich folgendes:
a) Runner sind selten. Das ergibt sich allein schon daraus, was für ein funktionierendes Runnerteam alles an Voraussetzungen erfüllt sein muss.
Und im Umkehrschluss aus der Settingbetrachtung: Wenn Runnerangriffe absolutes Alltagsgeschäft wären, würden Sicherheit und Rest des Settings ganz anders aussehen.
b) Die richtig dicken Dinger sind für Runner auch selten und brauchen entsprechend Vorlaufzeit. Man steigt sicher nicht bei jedem Auftrag in eine AAA-Anlage ein und hat genau so wenig jede Woche so einen Auftrag am Start.
Das ist ein Stück weit Frage der Settingperspektive, aber es erreicht mMn relativ früh den Punkt, wo man nicht weiter aufdrehen kann, ohne die Glaubwürdigkeit zu zerlegen.
Und jetzt meine Antworten auf/Gedanken zu den Eingangsfragen:
Warum würde ein Unternehmen eine Tür zu einem Hochsicherheits-Trakt mit einem Schloss versehen, das weder einen digitalen, kryptographisch sicheren Schlüssel besitzt, noch einen zuverlässigen Output über den Zustand (offen oder zu) der Anlage?
Wo ist das in SR denn so?
Bzw. andersrum und konstruktiver:
Das kennt SR natürlich auch in gut und "richtig", ohne Frage.
Ich weiß jetzt nicht, wo deine Informationen herkommen, die den Eingangsbeitrag ausgelöst haben.
(Auch offizielle) Abenteuer mit beschissenen Sicherheitskonzepten gibt es sicher genug, aber zumindest die grundlegenden Werkzeuge stellt einem das Regelwerk schon zur Verfügung.
Warum stopfe ich - wenn ich Forschung betreibe oder Menschen verstecke - nicht einfach mein gesamtes Gebäude voll mit flächendeckenden Sensoren, Überwachungspersonal und Kampfkraft?
Hauptsächlich (jenseits der schon mehrfach genannten Kostenfrage): Weil da noch jemand arbeiten (können) muss.
Einfach alles dicht machen geht dann schon mal nicht und unterm Strich wird mit unüberlegtem Masseneinsatz von Personal und Technik am Ende mehr Sicherheitstheater als Sicherheit produziert*.
Denn wenn ich als Angreifer eine Sicherheitsmaßnahme "sauber" überwinden kann, bringt es nichts, wenn die in achtfacher Ausfertigung vorliegt.
Ansonsten ist eine Konzernanlage in SR quasi per Definition unheimlich sicher.
Man schaue sich mal an, mit welch banalen Methoden heute teilweise Industriespionage betrieben wird - genau das geht in SR durch die Sicherheitstechnik, die Organisation, die Rechtslage und die Sicherheitskultur nicht mehr.
Dafür ist die ganze "normale" Sicherheit erst mal da und damit ist enorm viel an Angriffen aller Art außen vor, womit heutige Werkssicherheit ein Riesenproblem hätte.
Runner sind die Königsklasse an Angriff auf Sicherheitssysteme, die sich überhaupt erst dadurch entwickelt hat, dass die normalen/alten Wege in Hochsicherheitsanlagen nicht mehr funktionieren. Deswegen bewegen sich Runner an der Schnittkante zwischen Heist und (para-)militärischer Kommando-Operation.
Und gegen die kann man sich letztlich nur mit hervorragenden Interventionskräften halbwegs schützen - flächendeckend Sicherheitskräfte vorzuhalten, die eine offene Konfrontation mit Runnern regelmäßig gewinnen, ist nicht machbar (das walze ich bei Bedarf aus).
Gerade der klassischste aller Shadowrun-Verläufe ist im Settingkontext glaubwürdig:
Erst werden die äußeren Sicherheitsbereiche in irgendeiner Form verdeckt oder unerkannt überwunden und spätestens am McGuffin sind die Sicherheitsmaßnahmen so gestaltet, dass es nur noch mit dem großen Hammer geht:
Man kommt zwar dran, aber unter Garantie bleibt man dabei nicht unentdeckt.
Dann wirds laut, man unterläuft nach Möglichkeit die Reaktionszeit der Interventionskräfte und verkrümelt sich in eine andere Jurisdiktion, wo man wartet, bis Gras über die Sache gewachsen ist - ggf. wird man als Variante das Objekt der Begierde "öffentlich" los und ist damit aus der Nummer raus.
Das passt unter den ALTEN Settingprämissen Balkanisierung, fehlendes Gewaltmonopol usw. ganz hervorragend.
SR5 tut sich da allerdings an manchen Stellen mit seinem Überwachungsstaat-Gewichse keinen Gefallen.
*Eines meiner Lieblingsbeispiele aus eigener Erfahrung:
Geschlossene Veranstaltung mit Eingangskontrollen wie am Flughafen - Identitätsprüfung, Riesenscanneranlage, Metalldetektorrahmen usw. usf. mit Einziehung/Einlagerung von Gegenständen bis runter zur Nagelschere oder dem kleinsten Schweizer Messerchen am Schlüsselbund.
Was gibts zum Mittagessen im Cateringbereich
hinter der Kontrolle? Steak. Mit was schneidet man Steak? Richtig, mit ratzescharfen Steakmessern, die dann dort in großer Zahl frei zugänglich rumliegen.
Gut, dass Oma Schulte unten ihre Nagelknipse abgegeben hat
Und warum sollten Dinge überhaupt Online sein? Isolierte Intra-Nets oder autonome Maschinen sind gerade im Sicherheitsbereich doch viel verlässlicher.
Das ist doch in SR ganz entschieden so.
Genau das ist ja der Grund dafür, dass man für "banale" Industriespionage mit Software bzw. abstrakter Information als Ziel überhaupt aufs Gelände muss: Der Decker kann nur unmittelbar vor Ort darauf zugreifen.
SR5 kommuniziert auch das wie so vieles andere sehr schlecht - wenn man das nicht gewohnt ist, überliest man es schnell.
Das ist aber der Grundgedanke beim Thema Informationsklau.
Also bei allen klassischen "Infiltriert Anlage X"-Aufträgen habe ich das Gefühl, dass der Konzern sich alle Mühe gegeben hat, die Anlage "infiltrierbar" zu bauen, statt auch nur halbwegs vernünftige Sicherungssysteme zu entwerfen. Und bei den guten Sicherungssystemen wiederum stellt sich die Frage nach der Bespielbarkeit.
Wie gesagt: Schlecht entworfene Abenteuer gibt es zuhauf.
Man sollte aber andersrum auch nicht in die Falle tappen, "vernünftige" Sicherheitssysteme als das Maß aller Dinge zu betrachten.
Wenn schon, muss man das jenseits der Frage nach der Manipulierbarkeit (s.u.) zu Ende denken: Was passiert denn überhaupt, wenn der Alarm los geht?
Da ist der Maßstab ganz entschieden nicht der klassische unbewaffnete Einbrecher, der sich brav festnehmen lässt, wenn der erste Streifenwagen da ist.
Es ist ja nicht so, als gäbe es IRL nie Fluchtfahrten und/oder Schießereien mit Sicherheitskräften bzw. Polizei, welche die Angreifer auch mal ziemlich souverän hinkriegen.
Hier steht einem vor allem dieser elende Gedanke "Wenn der Alarm losgeht/wenn der erste Schuss fällt, ist der Run gescheitert" im Weg.
Das ist für "normales" SR schlicht falsch (weil es mal so gar nicht zu den Settingprämissen passt).
Und wenn man anders (also mit "eleganten" und unblutigen Heists) spielen will, muss man eben schauen, wo man entsprechend schraubt, damit am Ende ein interessantes Spiel rauskommt.
Dabei muss einem aber von Anfang an klar sein, dass SR das
by the book mal so gar nicht leisten kann und auch nicht leisten will.
Müsste ich mich einfach mehr auf die Fantasy-Elemente einlassen?
In Sachen Überwindbarkeit von Sicherungselementen: Sicher.
Sowohl Decking als auch Magie haben ja im Grunde die selbe Rolle im Setting, nämlich dem Underdog mächtige Werkzeuge gegen "den Mann" in die Hand zu geben.
Und was konkretes running angeht, liefern beide starke Methoden,
ansonsten schwer überwindbare Sicherheitssysteme zu überwinden.
Da muss das Sicherheitskonzept dann schon ziemlich gut verschachtelt und vernetzt sein, um relevanten Widerstand zu bieten und wenn man an einer Stelle komplett durchgebrochen ist, rollt man den Rest relativ leicht auf.
Oder gibt es alternative Settings, die sowohl das urbane, quietschbunte Cyberpunk-Setting mit Sneaky stuff vereinen, ohne so unglaubwürdig wie SR zu erscheinen?
Da ist das große Problem, das "moderne" Heist-Systeme nur die eine Methode kennen, nämlich die Genresimulation über Rückblenden, Retcons, Gummipunkte usw.
Damit ist das zwar ingame immer glaubwürdig, bietet aber kein klassisch herausforderungsorientiertes Spiel.
Für letzteres gibt es dann tatsächlich nichts, was mir bekannt wäre.
Man kann natürlich selbst basteln, aber andererseits kann man diesen (oder etwas geringeren) Aufwand auch in SR stecken und das Setting damit zum Laufen bekommen.
Das SR-Setting hat schließlich auch seine atmosphärischen und spielerischen Vorteile.
Trotz aller Lästerei bin ich nämlich der Ansicht, dass SR ungeachtet aller Macken und vor allem ungeachtet aller miesen Anwendungsbeispiele für seine Grundprämissen ziemlich gut aufgestellt ist, wenn man die einzelnen Elemente aus der richtigen Perspektive betrachtet.
Das ist wie erwähnt hier im SR-Board auch schon an diversen Stellen geschehen und mir fällt immer wieder mal auf, dass bestimmte Einzelteile vielleicht nicht mit Plan und Absicht super durchdacht gestaltet wurden, aber quasi versehentlich hervorragend passen, wenn man sie in den richtigen Kontext stellt oder kleine Details anpasst.
Zuletzt vielleicht noch mal die Rückfrage:
Was genau ist an SR so unglaubwürdig?
Doch eher nur einzelne missratene Anwendungsbeispiele statt das Setting an sich.