Als die Borbaradkampagne geschrieben wurde, stand das Rollenspiel längst nicht mehr in den Kinderschuhen, es hatte zuvor auch für DSA schon längere, epische Kampagnen gegeben, und den Autoren dürften die Klassiker des Genres (Dragonlance, Enemy Within etc) anderer Akteure bekannt gewesen sein. Spätere Großkampagnen und epische Einzelabenteuer haben bewiesen, dass die Probleme der Borbelkampagne keine Anfängerschwierigkeiten waren, sondern ein Muster, das fleißig weiter verfolgt wurde. Und Ulisses hat auch noch zu Zeiten kleinerer Auflagen entsprechende Versager herausgebracht (Drachenchronik, Donnersturm, etc). Und die Theaterritter-Kampagne legt nahe, dass sich das auch fortsetzen wird.
Bei DSA haben sich recht schnell Romanautoren als Abenteuerschreiber durchgesetzt, was zu einer Betonung von Plot, geskripteten Szenen und vorgefasster Dramaturgie führte. Die "Meister", die sich die Abenteuer dann durchgelesen haben, waren bestens unterhalten, weil sie der Abenteuerhandlung fast wie bei der Lektüre eines Romans folgen konnten. Natürlich gab es immer auch Ausnahmen, aber das war der Tenor, und die Abenteuer, die in aller Munde waren, folgten zumeist diesem Schema.
Zu den Ausnahmen gehörten tatsächlich die Sachen von Bernhard Hennen (Löwe & Rabe, Jahr des Greifen und Phileasson). In diesen Kampagnen waren tatsächlich immer nur ein paar Szenen geskriptet, und dazwischen wurden grob alle möglichen Szenarien skizziert. Das war schon relativ offen für DSA-Verhältnisse, und ich kann verstehen, wenn man das "sandboxig" nennt, würde das wahrscheinlich selber auch eher so nennen. Dafür hatten diese Abenteuer dann wieder ein ganz anderes Problem: sie waren furchtbar schlecht aufbereitet für das, was sie bieten sollten. Zum "Sandboxigen" hätten durchaus noch mehr konkret ausgearbeitete Encounters und Locations gehört. Aber der Gestus dieser Kampagnen war: Schaut mal, was ich alles für geile Ideen habe! Seht selber zu, wie ihr daraus ein Abenteuer macht.
Bis heute ist das Abenteuer als Geschichte das Muster, dem die Mehrheit der Abenteuer folgt. Und folglich rührt auch das Ressentiment gegen Sandboxen von dem Irrglauben, Sandboxen hätten keine Handlung und schon gar keine komplexe. Und mir ist schon klar, wie man das zwangsläufig glauben muss, wenn man so und so viele DSA-Abenteuer gelesen hat, wo sich "Meistertipps" sehr häufig darin erschöpfen, wie man die Charaktere auf den vorgegebenen Handlungspfaden hält oder wieder auf sie zurückführt, falls sie davon abweichen. Dass Handlung aber erst durch das entsteht, was die Figuren machen, wie sie mit den Gegebenheiten und NPCs interagieren, ist ein Konzept, das sich auch in den ach so tollen, modernen Abenteuern leider etwas selten findet (aber immerhin!).
Vor Jahren hatte ich hier sehr lange Diskussionen zu dem DSA-Abenteuer "Unter Wudu". Das ist nun wirklich ein sandboxiges Abenteuer. Es gibt keine Handlung vor, sondern ein Grundproblem/einen Auftrag und dann eine extrem gut strukturierte Beschreibung des Handlungsorts mit all seinen NPCs und ihren Einstellungen und Zielen. Was dort passiert, wird sich erst weisen, wenn die SCs dort interagieren. In den Beschreibungen ist aber alles angelegt, damit eine spannende Handlung entstehen kann, wenn die SCs erst einmal mitmischen. Das ist gutes Abenteuerdesign. Das Gegenteil vom Skripten eines verkappten Romanautors.
Solche Abenteuer lesen sich aber nicht mit Genuss von jemandem, der nicht gewöhnt ist, nur den im Design angelegten Möglichkeiten nachzuspüren, aber keine Handlung vorgesetzt zu bekommen. In solchen Fällen scheint es mir an Vertrauen ins Abenteuerdesign zu mangeln. (Wobei: das Heldenwerk-Abenteuer Hexenreigen, das sich an einem solchen Design versucht, wenn auch mit etwas weniger Erfolg und auf sprachlichem Subniveau, wurde bei seinem Erscheinen ziemlich gut angenommen -- umso rätselhafter für mich, dass der Ruf nach solchen Abenteuern nicht lauter wird.)
Ich habe auch gar keine ausgesprochene Allergie gegen Railroading. Ich finde, man kann durchaus mal ein bisschen lenken oder einen Flaschenhals durchschreiten. Die Abenteuer für Symbaroum, so weit ich sie kenne, sind für mich ein gutes Beispiel, wie ich mir epische Abenteuer, die keine Sandboxen sind, vorstelle. Zunächst einmal sind sie meist so offen konzipiert, dass es immer mehrere Einstiege gibt, je nachdem, welche Interessen die SCs verfolgen bzw welcher Fraktion sie angehören. Das ist dann auch am Ende noch relevant, denn viele der Abenteuer geben nicht ein Ziel vor, sondern das Ziel ist abhängig davon, was die SCs beabsichtigen oder wem sie loyal sind (bei DSA wurde so etwas mal bei Esche & Kork versucht, dessen Lektüre mir ziemlich gefallen hat). Im Verlauf der Abenteuer wechseln geskriptete Szenen mit eher offenen Passagen, meist Nachforschung etc., die dann letztlich (also quasi Flaschenhals) zu dem führen, was die Autoren "Abenteuerlandschaft" nennen. Diese sind dann eigentlich zumeist ähnlich gestaltet wie "Unter Wudu". Und das Ende ist nicht nur im Sinne von Erfolg und Misserfolg offen, sondern eben, wie gesagt, auch dahingehend, was die SCs eigentlich für Ziele verfolgen.
Und diese "Abenteuerlandschaften", diese Minisandboxen im Abenteuer, die sind es, die mir leider zu oft in DSA-Abenteuern fehlen. Stattdessen hangelt man sich von Szene zu Szene. Und dann kommt es zum Endkampf, und anstatt dass man gerade für den eine spannende "Abenteuerlandschaft" geliefert bekäme, heißt es (bzw hieß es) oft: Gestalten Sie den Kampf möglichst dramatisch, und wenn xy, dann lassen Sie (im allerletzten Moment!) z auftauchen. Das war jahrzehntelang eigentlich state of the art bei DSA. Kein gutes Abenteuerdesign, keine gute Aufbereitung von Handlungsorten, offenen Schlüsselszenen, wichtigen Kämpfen etc, dafür reichlich Tipps zum dramaturgischen Handwedeln. Und das wirkt eben immer noch nach.
Klingen der Nacht ist übrigens ein Abenteuer, das so ein Konzept verfolgt. Ich finde es nur in der Umsetzung und der Aufbereitung nicht sonderlich gelungen. So löblich zum Beispiel das Setting für den Schlusskampf gedacht ist (eigentlich ganz im Sinne, wie ich es mir wünsche), so dürftig ist dann die tatsächliche Beschreibung der Örtlichkeiten, Geheimnisse und NPCs. Es wird viel über Dungeoncrawler gelächelt, aber was Strukturierung von wichtigen Informationen angeht, haben sie den Meistern komplexer Abenteuerhandlungen halt echt was voraus.
Es wird für meinen Geschmack viel zu oft hier gesagt, dass Dungeons ja außen vor wären, weil ja sowieso nicht komplex und Kinderkram. Aber je mehr gute Dungeon Crawls ich lese, desto mehr erkenne ich, dass gutes Abenteuerdesign genau daher kommt. Ich habe bei DCC dramatischere Dungeons gelesen und gespielt als mancher tiefsinnige Abenteuerversuch bei DSA. Und zwar lehrt der Dungeon: Handlung entsteht erst durch Interaktion, ansonsten passiert im Dungeon nichts. Alles, was eine spannende Handlung braucht, ist im Dungeon nicht als solche ausgeführt, sondern als Möglichkeit angelegt. Ob und wie und in welche Richtung das dann getriggert wird, das ist Sache der SC-Aktionen. Und genau auf diese Weise sollten Abenteuerszenen angelegt werden, ob sie nun in einem Dungeon, in einem Ballsaal oder auf der Druidenwiese spielen.
Auf die Frage, welche andere Systeme denn tolle Abenteuer hervorgebracht haben: Toll vielleicht nicht, aber im Sinne dessen, um was es mir geht, fallen mit halt bei Symbaroum, Warhammer, Runequest, D&D, DCC etc einfach viel mehr gelungene oder okayne Beispiele ein wie bei DSA.
Und als Nachtrag: Ich könnte vielen DSA-Abenteuern das Skripten und das schlechte Design von Szenen auch eher verzeihen, wenn das offener, deutlicher als Ziel kommuniziert würde und dann auch regeltechnisch unterstützt würde.