Wir hängen am "telling a story together" sei der grundsätzliche Modus Operandi jedes Rollenspiels und so wie "story" hier definiert wurde, kannste das dann für alle Brettspiele und auch alle Sportarten sagen.
Moment, also jetzt wird das, was ich oben angestoßen habe, doch zu weit ausgedehnt... aber ich habe das nicht klar genug gemacht, was ich meine.
Wenn ich Badminton oder Halma spiele, ergibt das vielleicht eine Story, aber ich betreibe trotzdem kein "Storytelling". Eben weil ich nicht aktiv etwas erzähle. Es gibt kein, wie Vermi schon schrieb, Aushandeln der gemeinsamen Fiktion beim Halma oder Badminton. Deswegen führt Marzaans Fußball-Beispiel auch zu überhaupt nichts, einfach weil beim Fußball nicht erzählt wird, sondern weil Leute auf Spielfeldern rumrennen und gegen Bälle oder Mitspieler treten.
Ich kann (retrospektiv) eine Geschichte über Fußball erzählen, indem ich ausschmücke, wie sich dieses Fußballspiel zugetragen hat. Aber wenn ich Fußball spiele, dann tue ich das nicht, um eine Geschichte mitzugestalten, sondern um einen Sport zu treiben.
Und beim Rollenspiel ist Erzählen quasi die Art und Weise, wie wir Input in die gemeinsame Fiktion liefern. Und wenn ein Dungeon nur eine Ansammlung von Encountern ist, die wir abreißblockartig hintereinander wegkämpfen: Wenn ich dem SL sage "I waste them with my crossbow!", dann ist das eine erzählerische Handlung. Denn ich verändere damit die Spielwelt und die Handlung, mit Worten, und schreibe so die gemeinsame Geschichte fort. Selbst wenn mein Ziel nicht primär ist eine spannende Geschichte zu erzählen, muss ich mich der Handlungsweise des Geschichtenerzählens ("storytelling") bedienen, um überhaupt mit dem Rollenspiel interagieren zu können. (Ja, das kann bedeuten, dass Spiele wie "Werwölfe vom Düsterwald" tatsächlich ins Rollenspielerische abgleiten können...)
Aushandeln der Fiktion = Erzählen. Sogar, wenn die Würfel eindeutige Ergebnisse vorgeb,en, gibt es immer noch eine rollenspielerische Transferleistung, bei der die Zahlen in Fiktion übersetzt werden. Beim Fußball hingegen gibt es keine Fiktion die ausgehandelt wird.
Und wenn wir dann in diesen "War Stories" dazu tendieren das Erspielte zu "dramatisieren" (im Sinne von "als möglichst runde Geschichte aufzubereiten"), zeigt sich doch ganz besonders, dass wir dazu neigen, dieses Erspielte eben auch als Erzählung zu begreifen. Ich würde sogar sagen viele Dinge formen wir unterbewusst so um, dass sie irgendwie "runde" Geschichten ergeben. Bei Erinnerungen ist das der Fall.
Insofern ist es vielleicht sogar zwingend, dass die Spieler in Vermis Vom-Stufe-1-Kleriker-zum-Burgmillionär-D&D-Kampagne über die gemeinsam erspielte Story ins Schwärmen geraten und gerade das loben. Denn Story meint hier nicht: Geschichte objektiv bewertet nach Joseph Campbells 1-mal-1 der Heldenreise. Es meint: Die Erlebnisse, die gemeinsam am Tisch erzählt wurden. Also tatsächlich mal nicht "Story", sondern der Akt des "Storytelling".
Mehr noch, ich habe in meiner 20-jährigen Rollenspielzeit noch keinen Spieler erlebt, egal welchen Spielstils, der, wenn er von seinem Charakter oder seiner Kampagne erzählt hat, da nicht verstärkten Fokus auf die gemeinsam erzählte Fiktion gelegt hätte, vor allem anderen. Klar, der redet auch schon einmal über den Build, den er sich da gebastelt hat. Aber er erzählt halt auch, was sein Charakter so für ein Typ ist. Und was der Bösewicht so ein Typ war. Und was den Dungeon des Bösewichts so besonders machte. Also werden unsere Ur-D&Dler sicherlich auch finden können, dass sie eine tolle Story gespielt haben, einfach weil sie darin "mitgespielt" haben. Weil sie das Gefühl haben, da erzählerischen Input gegeben zu haben, selbst wenn sie das nicht so nennen.
Also ja, ich würde schon sagen: "Storytelling" (nicht im Sinne der Storyteller-Systeme, sondern im Sinne des gemeinsamen Schaffens einer Fiktion) ist das entscheidende Element beim Rollenspiel. Die Leute, die sagen, "Story" ist das Wichtigste meinen genau das. Und klar, interaktive Geschichten sind einprägsamer und vielleicht auch auf einer bestimmten Ebene befriedigender als passiv konsumierte.
Auf dem Papier sind viele Geschichten in Videospielen längst nicht so ausgeklügelt wie vergleichbare in Filmen oder Fernsehserien. Und trotzdem reden wir uns seit Jahrzehnten ein, "The Witcher" oder "Final Fantasy VII" oder "Baldurs Gate" hätten ja ganz tolle Geschichten, obwohl das gar nicht mal stimmt. Die ganze Kategorie der
"Emergent Narratives" in Open World-Games bringt sicherlich keine oscarreifen Drehbuchideen hervor. Und doch glauben wir sie tun es, weil wir eben beteiligt sind.
Ob wir das nun lieber aus Charakterperspektive oder Autorenperspektive tun ist für das Aushandeln der Fiktion erstmal von sekundärem Interesse. Das ist eine Geschmacksfrage.
Aber: Erzählen ist beim Rollenspiel ein Muss, sonst passiert am Tisch einfach gar nichts. Und Fußball kann ich gut ohne gemeinsames Erzählen spielen.