Autor Thema: Wie handhabt ihr das Balancing?  (Gelesen 3603 mal)

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Offline ArneBab

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Re: Wie handhabt ihr das Balancing?
« Antwort #25 am: 18.12.2020 | 11:46 »
Wow, viel Input! Vielen Dank dafür und ich nehme mit:
  • Probekämpfe vor der ersten Runde für mich
  • ggf. kleine Kämpfe um das System allen verständlich zu machen
  • eine Niederlage muss nicht zum Tod führen (Alternative Ausgänge einplanen)
  • nicht (nur) in Kämpfen planen, sondern die Handlung hinreichend offen lassen
  • letztlich geht nichts über Erfahrung!
Habe ich irgendwas vergessen?
Schauen, ob im System schon was dazu steht — z.B. Angemessene Herausforderungen, Gegnerstärke und Taktik.
1w6 – Ein-Würfel-System — konkret und direkt, einfach saubere Regeln.
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Offline Torsten (Donnerhaus)

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Re: Wie handhabt ihr das Balancing?
« Antwort #26 am: 21.12.2020 | 16:36 »
Für mich ist einer der wichtigsten Dreh- und Angelpunkte von Rollenspiel, die Fähigkeit Entscheidungen zu treffen und der Nervenkitzel kaskadierender Ereignisketten.

Das bedeutet für die große, immer wiederkehrende, Balancingfrage, dass sie am falschen Punkt ansetzt. Wenn ich als Spielleitung einen Kampf herbeiführe, bzw. erzwinge, und ich einen bestimmten Ausgang haben will, muss ich gut genug sein das System ausreichend zu beherrschen. Und ich muss auch wissen, ob das System überhaupt einigermaßen beherrschbar ist. Wenn ich das beides nicht gewährleisten kann, dann muss ich meine Erwartungen der Realität anpassen. Ich kann kein Fixergebnis erwarten, wenn ich mit zu vielen Zufallsfaktoren jongliere.

Bei Würfelproben gilt im Allgemeinen, zumindest aus der Spielforschungsperspektive heraus, dass eine Probe nur dann richtig gut funktioniert, wenn alle möglichen Resultate interessant sind. Binärschnittstellen sind der Tod für interaktive Storyspiele wie Rollenspiel. Und genau das hat man ja, wenn man einen unausweichlichen Kampf hat, dessen Ausgang ausschließlich ein Sieg sein darf, weil eine Niederlage den gewünschten Verlauf ruiniert.

Wenn man hingegen dafür sorgt, dass es nicht nur diese eine Lösung gibt, wird Balancing bedeutungslos.

MUSS denn zwingend DER Endkampf kommen, direkt nach diesem Encounter?
Kann der Endkampf, sofern es überhaupt einen geben muss, nicht auch zu einem ganz anderen Zeitpunkt stattfinden?

Ein Haken dabei ist natürlich, dass viele Rollenspieler bei solchen Dingen sehr binär denken. Spieler geben nur sehr ungern auf, wenn ihre Figuren unterlegen sind. Das liegt in der Natur der Sache, aber man kann ihnen das beibringen und man kann auch offplay darüber sprechen. Spieler geben ja nur deshalb ungern auf, weil sie erstmal davon ausgehen, dass sie dann eine schlechtere Geschichte erleben, als wenn sie siegen. Und eine Niederlage JETZT kann ja genauso gut zu einem Triumph führen. Später!

Natürlich gibt es Mittel und Wege gewünschte Ergebnisse zu erzwingen. Die sind aber fast alle manipulative Eingriffe in den optimalen Ablauf. Das heißt nicht, dass sie falsch, verwerflich oder böse wären. Sie schwächen aber die gamistische Immersion. Das ist für sich erst einmal nicht wünschenswert, wenn es sich vermeiden lässt.

Einfache Stellschrauben, einen nicht nach Wunsch verlaufenden Kampf zu verändern, ist Würfelwürfe zu manipulieren. Dann patzt der Gegner unerwartet, wo er sonst nicht gepatzt hätte. Das hat aber den Haken, dass die Situation sich dadurch anders anfühlt. Der Gegner wirkt dann nicht schwächer, sondern oftmals inkompetenter oder dusseliger. Muss kein Problem sein, kann aber.
Eine elegantere Methose ist es, NSCs Dinge tun zu lassen, die taktisch unklug sind oder Aktionen verbraten. Wenn der Feindzauberer auf einmal einen größeren Zauber beginnt, der ja bekanntlich soundsoviele Runden zu zaubern braucht und der ja toooootal schlimm wäre, wenn... Aber den kann man dann ja unterbrechen und auf einmal haben die Spieler ihren Triumph und merken vielleicht gar nicht, dass der Zauberer sie auch einfach hätte wegputzen können, wenn er was einfacheres gemacht hätte. Oder sie freuen sich sogar darüber. Nutzt sich aber schnell ab und es lässt wahlweise die NSC oder die SL weniger kompetent, weniger taktisch und weniger regelkundig wirken. Hat eigene Nachteile.
Die mit Abstand schwächste Lösung sind Meisterpenischaraktere, wie DSA sie früher immer mal wieder gern verwendet hat. Kampf gegen großen Bösi läuft nicht wie im Abenteuer geschrieben? Dann taucht eben der ehemalige SC von Autor XY auf, mit wallendem blonden Haar, und rettet den Tag. Lässt aber die SC dastehen wie Statisten.
Eine etwas elegantere Alternative dazu ist, eine dritte Fraktion aufkreuzen zu lassen, die Beef mit beiden Seiten hat oder einfach nur opportunistisch ist. Das kann die Situation ausreichend in Chaos stürzen, dass es sich neu zugunsten der SC ordnet. Oder es gibt ihnen eine Chance sich "ehrbar" zu verkrümeln, weil sie dann ja zumindest nicht vor dem Gegner fliehen müssen, dem gegenüber sie bereits committed haben.
Deus Ex Machina kommt allgemein nie so gut an.
Je nachdem wie schnell ein Kampfsystem ist, kann man auch mit Wetter arbeiten. So manche Schlacht und so manches Gefecht wurden dramatisch verändert, durch plötzlichen Wetterumschwung. Die SC werden von Bogenschützen auseinandergenommen? Was wenn Sturm und Gewitter mit Starkregen das Spielfeld verändern? Was ist, wenn der Oger auf einmal jede Runde würfeln muss, ob er auf dem schmierig werdenden Untergrund aus Lehmboden und Blut auf die Schnauze fäll? Was wenn die beeindruckenden roten Umhänge der Gegner sich auf einmal mit Wasser vollsaugen und sie alle eine Aktion vergeuden müssen, um sie abzuwerfen?
Man kann natürlich auch die Werte von Gegnern verändern. Das funktioniert besonders einfach dann, wenn diese Werte noch nicht aktiv genutzt wurden. Der Bogenschütze, der etwas besser ist als erwartet, könnte seinen Bogen ablegen und sein Schwert ziehen, während man gleichzeitig seine Schwertkampfwerte senkt. Das war vorher nicht sichtbar und wirkt sich dann entsprechend aus. Und es gibt durchaus Gründe, warum ein Bogenschütze vielleicht doch lieber in den Nahkampf geht. Leider aber auch nicht besonders viele. Es lässt NSC erratischer wirken, wenn sie auf einmal Zeug machen, was sie eigentlich weniger gut können. Das ist wie weiter oben die Option des Zauberers etwas zu tun, das nur "vermeintlich" plausibel ist.

Es gibt noch viele andere "Tricks", wie man eine Situation am offenen Herzen operierend neu ausbalancieren kann. Am besten aber fährt man, wenn man das überhaupt nicht muss, will und erwartet.

Offline ArneBab

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Re: Wie handhabt ihr das Balancing?
« Antwort #27 am: 21.12.2020 | 21:43 »
Der Bogenschütze, der etwas besser ist als erwartet, könnte seinen Bogen ablegen und sein Schwert ziehen, während man gleichzeitig seine Schwertkampfwerte senkt. Das war vorher nicht sichtbar und wirkt sich dann entsprechend aus. Und es gibt durchaus Gründe, warum ein Bogenschütze vielleicht doch lieber in den Nahkampf geht. Leider aber auch nicht besonders viele.
Hier wäre noch ein anderer Ansatzpunkt: NSCs, die etwas füreinander empfinden. Der Bogenschütze, der in den Nahkampf stürmt, weil ein Gefährte schwerverletzt am Boden liegt. In der Situation könnten die SCs das Blatt sogar wenden, indem sie den am Boden liegenden bedrohen und den Bogenschützen zur Aufgabe zwingen, oder gar zum Seitenwechsel.
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Offline nobody@home

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Re: Wie handhabt ihr das Balancing?
« Antwort #28 am: 21.12.2020 | 21:51 »
Hier wäre noch ein anderer Ansatzpunkt: NSCs, die etwas füreinander empfinden. Der Bogenschütze, der in den Nahkampf stürmt, weil ein Gefährte schwerverletzt am Boden liegt. In der Situation könnten die SCs das Blatt sogar wenden, indem sie den am Boden liegenden bedrohen und den Bogenschützen zur Aufgabe zwingen, oder gar zum Seitenwechsel.

Was, NSC mit einer Persönlichkeit? Ne, ne, ne, das geht ja nun mal überhaupt nicht -- wie soll man die denn dann noch seelenruhig und ohne Gewissensbisse abmetzeln können? >;D

Offline Torsten (Donnerhaus)

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Re: Wie handhabt ihr das Balancing?
« Antwort #29 am: 22.12.2020 | 02:24 »
Hier wäre noch ein anderer Ansatzpunkt: NSCs, die etwas füreinander empfinden.

Auch gut bei negativen Emotionen! Wenn der Kampfeswille beim Tod eines bestimmten Gegners bei einem oder mehreren anderen bricht. Oder wenn nicht alle tatsächlich so richtig interessiert sind an diesem Kampf und nur aus bestimmten Gründen mitmachen.

Von "Kacke! Sie haben Jurgo erschlagen! Das wars für mich! LAUFT!"
Bis "Okay, das wars! Das war vor allem Jurgos dumme Idee. Jurgo war unser Anführer und er ist jetzt tot! Ich habe keinen Streit mit euch, Leute! Wie wäre es, wenn wir einfach getrennte Wege gehen?"

Interessanter ist es natürlich, wenn das tatsächlich von Anfang an als Dynamik in dieser Form vorhanden war und nicht einfach improvisiert ist. Auch weil es dann mehr Potential zu noch viel interessanteren Szenen hat und Vorausschatten hätte werfen können. Darum beraubt man sich, wenn man sowas zu sehr dem Handwavium überlässt.

Offline Marot

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Re: Wie handhabt ihr das Balancing?
« Antwort #30 am: 10.01.2021 | 06:17 »
Balancing ist für mich vollkommen und uneingeschrängt der Geschichte untergeordnet. Ich passe die Stärke von Gegner dem Flow der Story an, immer auf Suche nach der Richtigen  Mischung aus Herausfordeurng, Dramapotential und Erfolgsmöglichkeit.
Balancing zwischen den Spielern finde ich insofern nötig, dass die Machtverhältnisse die Geschichte transportieren und nicht hemmen dürfen. Es ist völlig ok wenn eine Figur deutlich mächtiger ist als eine andere, so lange dies der Geschichtenentwicklung dient ( Sie die Avengers Filme 😉)
 Aber diese zugegebener Maßen recht extreme Haltung stammt aus der One-Shot- Erfahrung, wo eine Abwägen der verschiedenen Stärkestufen eben nichts o wichtig ist, weil die Figuren eh nur für den Progress einer kurzen pointierten Geschichte existieren.

Offline Rentin

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Re: Wie handhabt ihr das Balancing?
« Antwort #31 am: 18.01.2021 | 19:12 »
Ahoi Zusammen,

eine meiner Spielrunden hat immer das Faible, selbst wenn alle Hinweise gefunden wurden, noch weiter zu suchen.
Seitdem habe ich mir als SL angeeignet, kleine Hinweise einzubauen wie...

"Jetzt wo Ihr alles beisammen habt, wie geht's weiter?"

So (sollten) meine Spieler erkennen, dass sie keine weiteren Hinweise benötigen und die Zeit kann eingespart werden.
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