Dramaturgische Charaktererschaffung nach Drama System (Hillfolk)Ursprünglich aus: Hillfolk
Das System Hillfolk von Robin D. Laws basiert auf dem Drama System, das vor allem auf interpersonelles Drama setzt. Das Regelwerk ist allgemein brillant, aber sein Prinzip der Charaktererschaffung lässt sich sehr gut verallgemeinern und auf andere Systeme anwenden. (Ich habe es
hier für Fate veröffentlicht.)
1. Als erstes legt ihr zufällig eine
Reihenfolge der Spieler fest – bspw. indem ihr eure Namen auf Karteikarten schreibt und mischt.
2. Dann entwickelt ihr
Figuren und Beziehungen.
Der erste Spieler in der Reihenfolge legt fest, wie sein Charakter heißt und was die Rolle seines SCs in der Gruppe sein wird (z. B. Erich ist der Arzt des Dorfes). Diese Rolle sollte später auch in das Konzept des SCs übertragen werden.
Der zweite Spieler legt fest, wie sein Charakter heißt und was die Rolle seines SCs in der Gruppe sein wird. Dann erklärt er, welche Beziehung sein Charakter zu SC #1 hat. (Z. B. Ich bin die Müllerin Frieda und die Schwester des Arztes Erich.)
Wenn ein Spieler eine Beziehung etablieren möchte, dann hat der betroffene Spieler natürlich ein Veto-Recht. Meistens lässt sich eine Verhandlungslösung finden, im Zweifelsfall kann der Betroffene natürlich strikt ablehnen. (Möchte bspw. ein Spieler den Ehemann der Müllerin spielen, dann muss deren Spieler das nicht hinnehmen, wenn er es nicht will. Man sucht dann nach einer Einigung. Vielleicht sind die beiden SCs geschieden oder es handelt sich nur um unerwiderte Liebe.)
Der dritte Spieler legt fest, wie sein Charakter heißt und was die Rolle seines SCs in der Gruppe sein wird. Dann erklärt er, welche Beziehung sein Charakter zu SC #1 und SC #2 hat. (Z. B. Ich bin Tim, der Schreinermeister des Dorfes. Ich bin der beste Freund von Frieda. Aber ich kann Erich nicht ausstehen, weil der ach so gebildete Schnösel mir zu intellektuell ist.)
So geht das Spiel immer weiter, bis alle Figuren etabliert sind, und mit ihnen auch alle Beziehungen. Der letzte Spieler n beschreibt also die Verknüpfungen zwischen seinem SC und den n-1 anderen SCs.
3. Ihr legt eine
neue Reihenfolge fest.
4. Der Reihe nach bestimmt jeder Spieler, was das
wichtigste Bedürfnis seines Charakters ist. Mit dem Bedürfnis ist nicht etwa ein praktisches Ziel gemein, sondern das Verlangen, welches dahintersteckt. (Will jemand bspw. der neue Konsul werden, dann ist das Bedürfnis dahinter vielleicht Macht, oder Anerkennung von seinem Vater.)
Klassische Bedürfnisse wären Dinge wie Liebe, Anerkennung, Freundschaft, Respekt, Macht, Sicherheit, Rache.
Das wichtigste Bedürfnis eines Charakters kann später oft regeltechnisch abgebildet werden, durch Aspekte, Nachteile o. Ä. (Z. B. Konzept: Pirat auf der Suche nach der großen Liebe, Dilemma: Ich will Respekt trotz Querschnittslähmung!, Nachteil: Kontrollwahn)
5. Dann legt ihr wieder eine
neue Reihenfolge fest.
6. Dieser neuen Reihe nach darf jeder Spieler die
zwei Seelen seines Charakters aussuchen. Interessante Figuren sind häufig zwischen zwei Polen hin- und hergezogen – zwei Seelen wohnen ach in ihrer Brust. (Mein Land oder meine Familie?, Vertrauen gut oder Kontrolle besser?, Bruce Wayne oder Batman?)
Dieser Schritt ist optional. Nicht alle SCs müssen zwei Seelen haben, aber es bereichert das Spiel, wenn es mindestens ein oder zwei Figuren gibt, die zwei widersprüchliche Verlangen jonglieren müssen.
7. Wen sollte es überraschen, es ist Zeit für eine
neue Reihenfolge. Keine Sorge, es wird die letzte sein.
8. Jetzt kommt der Teil der Charaktererschaffung, der die dramatische Konstellation zementiert: Im achten Schritt dreht sich alles um
Verlangen und Ablehnung. Der Reihe nach erklärt jeder Spieler, was seine Figur von einer beliebigen anderen Figur möchte. Das kann kein einfaches, praktisches Ziel sein, sondern muss irgendein emotionales oder zwischenmenschliches Verlangen sein. (Z. B.: Ich möchte, dass meine Schwester mir vergibt, dass ihr Kind verstarb, als ich es damals als Wache nicht schaffte, die Angreifer zurückzuschlagen.)
Weil der Spieler damit wieder Aussagen über den Charakter eines Mitspielers trifft, hat besagter Mitspieler natürlich wieder Veto- und Verhandlungsrecht.
Es kommt aber kein Drama auf, wenn Charaktere einfach bekommen, was sie wollen. Deshalb kommt sofort die Ablehnung: Direkt nachdem Spieler A erklärt hat, was sein SC vom SC von Spieler B möchte, erklärt Spieler B, warum er das nicht haben kann. (Um das Beispiel von eben wieder aufzugreifen: Du hattest geschworen, die Kinder mit deinem Leben zu schützen. Du bist ein Eidbrecher. Schlimmer noch, wäre mein Sohn wenigstens sofort gestorben. Aber als ich ihn sah… Rao, er war so verletzt, hatte solche Schmerzen. Ich musste mein eigenes Kind mit dem Gnadenstoß erlösen, weil du deine Pflicht nicht tatst. Wie könnte ich das je vergeben?!)
Dieser achte Schritt wird in der aktuellen Reihenfolge immer wieder durchgegangen, bis jeder Spielercharakter das Ziel von mindestens einem Verlangen ist. Die Spielleitung kann hier ein wenig dirigieren, damit nicht alle Verlangen an nur einen oder zwei SCs gehen usw. Die Zahl der Verlangen pro SC muss nicht für alle gleich sein, aber sie sollten sich schon halbwegs die Waage halten.
9. Jetzt da man praktisch alles Wichtige über die Charaktere und ihre Beziehungen etabliert hat, wandelt jeder Spieler diese Ideen in einen regelkonformen Charakter um und
schreibt ihn nieder.…
Vorteile: Großartige Beziehungsgeflechte und eine Grundlage für tiefes, immersives und einfach gutes Charakterspiel.
Nachteile: Die Grenze zur Seifenoper ist fließend. Außerdem ist es für Runden mit hoher Charaktersterblichkeit unpassend, weil ständig Figuren aus dem Geflecht gerissen werden.