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Authentizität/Korrektheit von Medien bei der Verarbeitung von wahren Dingen

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Shihan:
Moin liebes  :t:,

im Filme-Smalltalk hat Niniane etwas geschrieben, was ich spannend genug für eine ausgelagerte Diskussion finde:

--- Zitat von: Niniane am 14.06.2021 | 10:19 ---Dass die historisch völliger Mumpitz sind, ist in Hollywood imho Grundvoraussetzung, zeigt mir doch mal bitte einen Film, der halbwegs historisch korrekt ist.

--- Ende Zitat ---

Eine spannende Thematik. Muss man nicht per se davon ausgehen, dass historisch korrekte Medien im fiktiven Bereich nicht existieren können?
Selbst Non-Fiction wird doch oft genug von neuen Erkenntnissen der Geschichtsforschung überrollt.

Man könnte natürlich jetzt argumentieren, dass es auch um den Grad der Authentizität geht und 90% besser sind als 30%. Aber stimmt das wirklich?

Historische Korrektheit ist für mich schwer zu beurteilen, da mir da oftmals Wissen einfach fehlt.
Aber als Software-Nerd durch und durch betrifft mich die grundsätzliche Thematik beim Hollywood-Hacking  ;D

Und da ist es so, dass es mich weitaus weniger stört, wenn das Hacking total absurd und schwachsinnig dargestellt wird. Also irgendwelche bunten und nicht im Ansatz existierenden Interfaces, in denen es wild blinkt und blitzt, bis dann irgendwann in grüner Schrift "Success" in der Mitte steht. Das ist soweit weg von der Realität, dass es schon wieder niedlich ist.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch Medien, die einen realistischeren Weg verfolgen wollen. Wenn dann da Quellcode über den Bildschirm läuft, wird's in meinen Augen haarig. Grundsätzlich nähern wir uns damit der Realität an. Aber wenn man dann das Video etwas verlangsamt und dort jQuery-Code für die Manipulation eines Email-Formulars sieht, während in der Story eigentlich eine Datenbank der NSA gehackt werden soll, dann geht mir das auf den Keks. Das ist zwar irgendwie näher dran, wirkt aber durch seine Unkorrektheit noch viel schlimmer. Dann lieber weiter weg und irgendwas fiktives, was auch so aussieht.


Jetzt könnte ich mir vorstellen, dass es bei historischen Medien auch so ist. Also z.B. falsche Darstellung und Einordnung der handelnden Personen, die es wirklich gegeben hat und die sich in der Realität (nach aktuellem Wissen) deutlich anders verhalten haben. Aber sicher bin ich mir nicht, weil ich kein Historiker bin.


Worauf ich hinaus will: Was kann man ignorieren, was kann man übersehen und was geht einem wirklich auf die Nerven?

Ring frei  ~;D

Eismann:
Klingt nach der IT-Version des Uncanny Valleys.

Zed:
Ich finde es  okay, wenn Zeit gerafft wird. Filmstories funktionieren besser, wenn sie nur wenig Zeitsprünge machen. Geschichte findet leider nicht filmtauglich statt, sondern oft über einen langen Zeitraum.

Das Hinzuerfinden von Figuren kann helfen oder nerven. Die Figur Ulana Khomyk ist eine gelungene Kunstfigur in Chernobyl, ein Mashup, in der viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vereint sind, die Untersuchungen zum Unglück beigetragen haben.

Mich nerven hinzuerfundene Figuren in historischen Filmen, die die Geschichte in eine Liebesgeschichte (und sei es als Subplot) umwandeln. Entweder ist diese Liebesgeschichte historisch passiert, dann sollte man das Original nehmen. Oder sie ist nicht geschehen, hinzuerfunden - und dann kann gleich die gesamte Geschichte fiktional sein. (Verdammt, ein Gegenbeispiel, wo es für mich doch funktioniert, ist "Titanic": Sehr, sehr viel ist sehr akkurat in dem Film, außer der Liebesgeschichte.)

Und schließlich nerven mich Fehler, Verkürzungen und Hinzuerfindungen, deren dramaturgischer Grund sich mir nicht erschließt, auf Ausstattungs-, Handlungs- und Figurenebene.

Gelungen und (wohl auch sehr) akkurat fand ich Terrence Malicks "The New World".

Megavolt:

--- Zitat von: Shihan am 14.06.2021 | 17:28 ---Eine spannende Thematik. Muss man nicht per se davon ausgehen, dass historisch korrekte Medien im fiktiven Bereich nicht existieren können?

--- Ende Zitat ---

Der Denkfehler ist, dass es mMn per se keine historische Korrektheit gibt.

Es gibt nur Quellen. Die "historische Korrektheit" sind die Wollfäden, mit denen man die Quellen nachträglich miteinander verbandelt. Wir sind halt Kausalitäts-Tiere, wir brauchen das tief in unserem Inneren. Wer Kausalitäten erkennt, der überlebt, das ist ein starkter evolutionärer Vorteil. Die genannten Wollfäden kann man aber ziemlich beliebig spinnen und sie sind immer Teil der Perspektive.

Gegenposition: Ich finde z.B. den Wallenstein vom Schiller historisch solide, und das ist nur ein blödes Theaterstück und schon arg alt. Gute Dramatiker bringen das halt. Weiterhin: Es gibt schon auch historische Sachen, die einfach für sich genommen genug dramatischen Gehalt haben, da brauchste nicht mehr sonderlich viel montieren. Man denke exemplarisch z.B. an Al den Großen.

Abschließend: Die Realität ist lame, was bringt im fiktiven Bereich "Korrektheit" also überhaupt? Nix. Man spielt auch nicht aus, wie seine Rollenspielhelden nachts schlafen, auch wenn das korrekt simuliert wäre.

Isegrim:

--- Zitat von: Shihan am 14.06.2021 | 17:28 ---Muss man nicht per se davon ausgehen, dass historisch korrekte Medien im fiktiven Bereich nicht existieren können?
--- Ende Zitat ---

Zuerst müsste man sich fragen, was "historisch korrekt" überhaupt bedeuten soll. Hat sich ein bestimmtes Ereignis nachweisbar so abgespielt wie dargestellt? Hätte es so sein können? Reicht es, wenn die Zeit getroffen ist, auch wenn es um erfundene Begebenheit geht? Muss das für jedes Detail eines Films gelten, damit der "historisch korrekt" ist? Wenn man die strengsten vorstellbaren Kriterien anlegt, gibt es natürlich keine "historisch korrekten" Filme. Aber will/sollte man das?

Es gibt grandiose historische Filme, wenn auch selten aus Hollywood...

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