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Meine 2. Krise des Fantasy-Lesens

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Weltengeist:
Vor vielleicht 20 Jahren hatte ich meine erste Krise des Fantasy-Lesens. Ich konnte die immer gleichen Geschichten mit den immer gleichen Bausteinen, die sich ewig zu wiederholen schienen, nicht mehr ertragen, und habe in der Folge bestimmt 10 Jahre lang kaum noch einen Fantasy-Roman in die Hand genommen. Inzwischen hat sich das aber wieder gebessert. Gefühlt gibt es eine größere Bandbreite von Geschichten und Stilrichtungen - oder zumindest ist es mir besser als früher gelungen, abwechslungsreiche Romane zu finden.

Jetzt aber stelle ich fest, dass ich ein neues Problem habe, und davon wollte ich hier erzählen. Ich stelle nämlich fest, dass ich bei fantastischen Romanen (also solchen, die eine eigene Welt verwenden) oft nicht mehr in der Lage bin, den Geschichten zu folgen. Das liegt daran, dass die Erzählungen über ein teilweise wirklich tolles Worldbuilding verfügen. Da wird auf den ersten hundert Seiten eine unfassbare Fülle von Begriffen für Personen, Gruppierungen, Regionen, Gegenstände, Kreaturen usw. ausgeschüttet, und irgendwann kämpfe ich mich von Seite zu Seite und frage mich nur noch: "Und wer war das jetzt noch mal? Und wo habe ich das schon mal gehört? Müsste ich das jetzt wissen?"

Mag sein, dass sich einfach nur mein Alter langsam bemerkbar macht und meine Merkfähigkeit nachlässt. Aber da mir das in den letzten Monaten mehrfach passiert ist und ich wiederholt fantastische Romane im Frust abgebrochen habe, auf die ich eigentlich wirklich Lust hatte, frage ich mich schon, ob das eigentlich anderen genauso geht? Und ob das Phänomen eigentlich so alt ist wie die Fantastik selbst, oder ob sich an der Art, wie solche Romane geschrieben werden, etwas verändert hat?

Supersöldner:
gibt es den am ende von solchen Büchern nicht oft einen Index der Namen und begriffe erklärt ?

Rackhir:
Ich denke, man kann auf die Ausgangsthese auf zwei Arten antworten, je nachdem welche Maßzahl man anlegt:
1) Phrasenhäufigkeit: Könnte schon sein. Der Trend in der Phantastik geht ja schon lange zur "Trilogie plus". Und selbst bei den raren Standalones gibt es massive Seiteninflation. Während die Klassiker noch mit 200 Seiten auskamen oder sogar *keuch* Kurzgeschichten schrieben, gibt es heute immer weniger unter 400. Insofern: mehr Platz, mehr Eigennamen, mehr Figuren, Schauplätze usw.
2) Phrasendichte: Eher nicht. Das Verhältnis Phrasen/Seite ist aus meiner Perspektive nicht angestiegen. Bekloppte Namen ausdenken, am besten mit sinnlosen Apostrophen, war schon immer eine verbreitete Praxis. (Siehe dazu als Beispiel die Persiflage im ersten Absatz hier.)

Insofern: it's probably you?

Ich möchte auch nochmal die Prämisse hinterfragen, dass Detailreichtum = tolles Worldbuilding sei. (Weiß nicht, ob das so gemeint war, aber man könnte Deinen Post so lesen.) Ich bin ein gewaltiger Fan von Worldbuilding, aber die Präsentation davon ist auch eine Kunst. Man kann das nicht als Infodump auf den ersten hundert Seiten bewältigen, sonst geschieht das, was dem werten Weltengeist passiert - ein Grund, warum ich die Nebel von Avalon noch ein paar Kapiteln verwirrt beiseite gelegt habe.

Ayou:
Ich kann mich da Weltengeist nur anschließen. Passiert mir inzwischen auch immer häufiger, weswegen ich Fantasybücher nur noch lese, wenn es Stand Alones sind, oder die ersten Teile als StandAlones funktionieren. Ich finde manchmal die Namensgebung einfach so schrecklich das ich mir Dinge nicht mehr merke, weil das Wort so krude ist oder mit so vielen Apostrophen versehen wurde, um es "cool" aussehen zu lassen. Dabei frage ich mich immer, ob der Autor auch darüber nachgedacht hat wie man das ausspricht. In meinem Kopf spreche ich normalerweise irgendwie mit, wenn ich etwas lese. Solche Worte überspringe ich dann und merke mir sie dementsprechend auch nicht.

Noch schlimmer wird das dann, wenn der Autor eine eigene Sprache einführt und alles mit Wörtern aus dieser Sprache beschreibt, von Sprachenentwicklung ber offenbar nichts versteht. Dann wird es unsinnig und am Ende verliere ich den Faden. Also Weltengeist es liegt nicht nur an dir.

Issi:
Theorie:
Es gibt Leser, die denken sich: "Wer ist das nochmal? Ach egal, wenn die Figur wichtig ist, wird sie später nochmal auftauchen."
Oder solche, die sich sehr stark an mangelndem Überblick stören.

Jetzt sind Bücher keine Filme. Alles wird nur mit Worten gezeichnet ( Gesichter, Persönlichkeiten, Orte usw.,)  - Ohne Verknüpfung mit Bild, Eindruck oder Emotion, sind Namen schnell vergessen.

Eine komplexe Welt ist zudem kein Garant für eine unterhaltsame Story.
Die braucht mMn. auch Überschaubarkeit, und einprägsame Charaktere.
Zuviel kann leicht zu viel werden.
Wenn man sich den Cast von Filmen ansieht, wird klar: Es sind nicht unüberschaubar viele wichtige Rollen.

( Man darf halt mMn. als Autor nicht vergessen, dass man eine unterhaltsame Geschichte schreibt.( Die Geschichte darf nicht unter der "Welt -Vorstellung" leiden. Und die Gefahr, dass das passiert ist mMn. durchaus da)

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