Pen & Paper - Rollenspiel > Pen & Paper - Spielberichte
[AD&D 2.5E] Von Feuer und Düsternis – Erzählungen aus Euborea
Jenseher:
Heergren und Edda schauten sich die Säulen an, während Neire zu Jiarlirae betete. Die Feuerriesen um Jarl Eldenbarrer bewachten die beiden Ausgänge der Halle. Auch der einohrige Hügelriese Kulde Kopfstampfer hatte sich zu den Feuerriesen gestellt, betrachtete aber immer wieder die schwarzen Pfeiler. Dort waren die Abbildungen von männlichen Nachtzwergen zu sehen, die mit einer Vielzahl von Details in den Stein gearbeitet worden waren. Eddas blaue Augen glitzerten im schwachen Licht der Ölfackeln. Sie starrte entweder auf die Säulen oder zu Heergren, als wollte sie die Schatten sowie die Flammen meiden. Heergren war viel kleiner als Edda. Er hatte seine runenverzierte Schlachtenaxt über die linke Armbeuge gelegt, wo auch der befestigte Beschützer zu sehen war, den er am Schildarm trug. Der Waffen- und Rüstungsschmied aus dem Tempel des Jensehers blickte grimmig auf die Säule. Feine bläuliche Venen waren auf der Haut seines haarlosen Schädels zu sehen und sein weißer, geflochtener Bart hing bis auf die Brustpartie seiner Rüstung hinab. Edda trat näher zu Heergren und flüsterte. „Wurden diese Statuen von eurer Rasse errichtet? Was haben sie sich dabei gedacht Heergren?“ Ein Grummeln kam als Antwort, dann legte Heergren die Axt über seine rechte Schulter und strich sich durch den Bart. Über seinem rechten Ohr war eine lange Schnittnarbe zu sehen, die Heergren aus dem Aufstand in Unterirrling davongetragen hatte. Er blickte Edda mit seinen stahlblauen Augen an. „Es sind die Helden meines Volkes. Die Helden der Eisenfeste Sverundwiel, nehme ich an. Sie wurden im Stein verewigt. Gibt es nicht eine derartige Ehrerweisung bei euch Menschen? Der erforderliche Zoll, der dem ewigen Tatenruhm eurer Ahnen gerecht wird?“ Edda dachte bei den Worten an Vintersvakt. An alte Könige und Sagen. „Ja, dort wo ich herkomme gibt es das. Da ist der weiße Berg, der über dem heißen Dschungel thront. Die Priester des Eises halten seit jeher ihre Wacht von dort oben. Sie denken, sie stehen über den alten Königen, die, wie einst sie selbst, vor Urzeiten aus dem Norden kamen. Dieser verdammte Frostviggier.“ Sie verzog ihr Gesicht in gespieltem Ekel und Heergren begann zu Grinsen. Dann hörten sie den Schrei. Es war der Feuerriese Hurolk, der schützend sein gewaltiges Schwert vor sich hielt. Hurolk hatte von Jarl Eldenbarrer die Aufgabe zur Bewachung des noch unerforschten Tunnels erhalten. Jetzt jedoch blickte er panisch zu einer Säule und wich wimmernd zurück. Dabei murmelte er Worte in der Sprache der Feuerriesen, die Edda immer besser verstand. „Da… seht… da ist etwas… es bewegt sich… es kommt näher und folgt mir… es kommt auf mich zu.“ Hurolk schüttelte panisch sein aschgraues Antlitz, so dass die Hautlappen, die einst sein gewaltiges Doppelkinn geformt hatten, in Wallung kamen. Dann erstarrte der kolossale Körper der Kreatur und Hurolk brach auf seine Knie hinab. Angstschweiß hatte sich auf seinem Haupt gebildet. Edda konnte erkennen, dass Hauk sich zum betenden Neire hinabbeugte. Der Unteroffizier von Jarl Eldenbarrer sprach leise Worte, die Edda aber verstehen konnte. Hauk wählte dafür die Sprache der Menschen: „Prophet… Hurolk bald sterben muss… vor Wahnsinn sterben muss.“ Sie sah Neire nicken, der seine Gebete beendete. Dann bewegte sich das Kind der Flamme zu Hurolk und sprach ihn an. „Hurolk, schaut mich an. Was habt ihr dort gesehen?“ Hurolk reagierte zuerst nicht. Dann schreckte er auf, als hätte er Neire nicht erwartet. Seine Stimme zitterte als er antwortete. „Die Säule sie hatte… sie hatte… ein Maul. Ein großes Maul. Es folgte mir und wollte mich fressen. Wollte meine Arme und Beine abbeißen.“ Neire nickte und kam zu Edda und Heergren. Die Miene des wohlgeformten Gesichtes, auf dessen Stirn eine silberne Krone den bläulich funkelnden Diamanten hielt, war ernst. Neires gold-blonde Locken waren noch nass, von ihrem Abstieg ins Wasser. Er flüsterte, als er zu ihnen sprach. „Es ist Hurolk. Er gleitet in einen anhaltenden Angstzustand ab und ich befürchte es wird schlimmer, je länger wir hier verweilen. Ich werde Eldenbarrer heilen. Doch wir müssen weiter, was auch immer uns dort erwartet.“
Neire war alleine vorgeschlichen. Er hatte immer wieder gehorcht und sich in seinem Tarnmantel verborgen. Aus dem Tunnel hatte er ein Plätschern von Wasser gehört, das dann plötzlich hinter ihm gewesen war. Der Gang war inmitten einer Halle geendet – wie aus dem Nichts. Der unterirdische Saal war von noblen Steinfliesen aus einem helleren Marmor ausgelegt und sechs Steinstatuen unterschiedlicher Zwerge waren in einem Kreis um die Mitte angeordnet gewesen. Alle Statuen waren mit verschiedensten Details ausgearbeitet. Neire hatte bei den Statuen Abbildungen von Rüstungen, wie Harnischen, zwergischen Plattenpanzern sowie Schuppenpanzern betrachtet. Sie hatten zudem unterschiedliche Waffen getragen. Nur eine Statue war in Robe gehüllt gewesen und zwergische Runen waren in ihr Gesicht und über ihre Extremitäten gezeichnet worden. Auch war Neire aufgefallen, dass einer Statue der Ringfinger der rechten Hand gefehlt hatte. Neire hatte den Kreis verlassen und die Halle abgesucht. Drei angrenzende Säle hatte er entdeckt und einen Tunnel, der sich in einen Rundgang mit kleineren Nachtzwergenstatuen eröffnete. Die gesamte Halle hatte in einem bläulichen Licht gefunkelt, das von einem steinernen Sternenhimmel kam. Neire hatte nicht ausmachen können, was die Vielzahl der leuchtenden Punkte an der Decke waren. Er hatte auf die anderen gewartet und Edda hatte ihm berichtet. Sie konnte die Dunkelheit weiter durchblicken. Edda hatte einen Saal eines mit Fresken verzierten Bades, eine kleine Halle mit Schätzen und eine Grabkammer entdecken können. In der Grabkammer hatte sie sechs Nachtzwergenkrieger erblicken können, die dort bewegungslos standen. Wie zuvor waren Haut und Fleisch eingefallen und an einigen Stellen kam der nackte Knochen zum Vorschein. Neire hatte sich danach mit Jarl Eldenbarrer beraten und war in die Dunkelheit der Grabkammer geschlichen. Er hatte all seinen Mut aufbringen müssen, als er an den reglosen Kreaturen vorbeikam. Obwohl sie sich nicht bewegten, bemerkte Neire den Fluch, der das schwelende Unleben an sie band. Sie schienen dort zu verharren, zu warten bis in alle Ewigkeit. Neire postierte sich gerade in der Mitte der drei rechten Wesen, da hörte er stampfende Schritte, die sich näherten. Als er den Jarl mit dem glatzköpfigen Schädel und dem roten Bart sah, begannen die Gestalten sich zu regen. Zuckend strömte das Unleben durch ihre toten Glieder. Jetzt reagierte Neire. Er stach mit seinem Degen zu. Die morschen Knochen zitterten, als der Degen aus Ne’ilurum in den Kopf drang. Dann brach die erste Kreatur in einer Woge von Staub zusammen. Neire stach auf eine weitere Gestalt ein, noch bevor sie regieren konnte. Ein wilder Kampf entfesselte sich, als Eldenbarrer, Kulde und Edda die Kreaturen angriffen. Die Untoten öffneten ihre Mäuler und beschworen bläuliche Strahlen aus Frostmagie. Diesmal jedoch war Jiarlirae auf ihrer Seite. Durch den Hinterhalt Neires geschwächt und durch den folgenden Zangenangriff, ging schließlich auch die letzte der Kreaturen nieder.
Keuchend und ächzend zog sich Kulde Kopfstampfer durch den Tunnel. Das Flackern des Lichtes war um ihn herum und er robbte auf allen Vieren. Die Wände waren bedrückend eng, doch Kuldes Geist war nicht aufgeweckt genug um die Gefährlichkeit der Situation zu realisieren. Hinter ihm hörte er das weinerliche Jammern von Hurolk. Er lachte auf, als er sich weiter voran zog. Das waren also die starken Feuerriesen? Riesen, die jammerten und jaulten? Riesen, die ausgemergelt und schwach schienen. Kulde erinnerte sich nicht mehr an die Goldschätze, die er in der jetzt schweren Tasche trug. Er hatte sich den Sack an seinen Fuß binden lassen und zog ihn hinter sich her. Die mit Edelsteinen verzierten goldenen Rüstungen und Schwerter klimperten, doch Kulde hielt das Geräusch für Bewegungen der Feuerriesen. Er hatte auch das lange Warten nach dem Kampf vergessen, als der jugendliche Prophet mit den Feuerriesen die weiteren Hallen abgesucht hatte. Er hatte weiter nach Gegnern Ausschau gehalten und sich gewünscht, dass er kämpfen und töten konnte. Nur an das Gespräch mit Edda konnte er sich noch ein wenig erinnern. Als ihn die Wut übermannt hatte – er hatte die Untoten mit seinem Morgenstern nicht treffen können – hatte Edda ihn gefragt ob er nicht das goldene Symbol von Laduguer zerstampfen könne. Kulde hatte nicht verstanden was sie meinte, doch er hatte gemeint seinen Namen Kopfstampfer gehört zu haben. Dann hatte er gesehen, wohin Edda gezeigt hatte. Er hatte wutentbrannt geantwortet „Kulde Krieger… Kulde Kopfsshampfa… Krieger grossh, Kulde“. Er hatte auf das Symbol gestampft und es dann mit seinem Morgenstern zertrümmert. Heergren und Edda hatten ihm zugelächelt und das hatte ihm Genugtuung gegeben. Dann, nach der langen Zeit des Wartens, war der Jüngling zu ihnen zurückgekehrt. Neire hatte von einem geheimen Tunnel berichtet, der durch eine Illusion und eine mächtige Runenfalle gesichert gewesen war. Der Prophet hatte von dem Ausweg erzählt, doch Kulde hatte weder zugehört, noch den Sinn der Worte verstanden. Er hatte aber instinktiv bemerkt, dass das Warten vorbei war und dass er wieder kämpfen würde. Jetzt hatte er das Ende des engen Tunnels erreicht und Kulde zog sich aus dem Schacht heraus. Der Tunnel hatte aus dem Säulenrundgang der Nachtzwergenkrieger hier hinab geführt und war immer steiler nach unten gegangen. Im flackernden Licht der Ölfackeln sah Kulde die Feuerriesen, die sich um ihn sammelten. Auch Heergren und Edda standen unweit von ihm. Sie waren in eine natürliche Höhle gelangt, die von schroffen, scharfkantigen Felsnadeln durchzogen war. Wie Speerspitzen ragten die steinernen Gebilde von Decke, Wänden und Boden auf. Sie waren durchzogen von glitzernden Mineralien – eine seltsame Mischung, wie von Mithril und Ne’ilurum. Neben ihm murmelte Heergren etwas, als sich die Riesen in der militärischen Formation einer Speerspitze in Bewegung setzten. „Voran Kulde! Haltet Schritt mit Jarl Eldenbarrer.“ Kulde verstand auch diese Worte nicht ganz, doch er folgte den Feuerriesen. Er spürte das Kribbeln und die Anspannung. Er atmete tief. Plötzlich war da die warnende Stimme von Edda. Sie sprach zum Jarl, denn Kulde konnte den Namen Eldenbarrer hören. Edda wählte jedoch die Sprache der Feuerriesen, die Kulde nicht verstand. Dann ging alles ganz schnell. Der Jarl stürmte nach vorne und seine Krieger folgten ihm. Kulde wurde mitgerissen und er brüllte seinen Kriegsschrei. Dann sah Kulde sie. Sie traten sie hervor, im schattentanzenden Licht der Ölfackeln. Untote nachtzwergische Krieger. Der Jarl griff an und auch Kulde führte seinen Morgenstern. Doch was er auch tat, die Eisenspitzen-besetzte Kugel glitt durch die Gestalten hindurch; zerschmetterte den Stein der Felsnadeln. Kulde tobte, er stampfte. Er wurde noch wütender und steigerte sich in einen Rausch. Doch was er nur tat, seine Schläge gingen ins Leere. Fast hätte er den nächsten Riesen angegriffen, wäre da nicht die Stimme der Menschenfrau gewesen, die er mittlerweile kannte und liebte. Kulde wollte töten mit seiner Waffe und die Gegner dann zerstampfen. Er wollte Steine werfen und seine Gegner zermalmen. Er wollte Steine greifen, Steine wuchten, Steine schleudern. Er wollte dafür bewundert werden. Er hörte die Worte von Edda und er glaubte, sie würde ihn bewundern. Kulde erinnerte sich nicht mehr an das Steinspiel, an die Schmach der Reise. Er wollte verehrt werden von der hübschen Menschenfrau. Der Frau mit dem wohlgeformten Gesicht aus Porzellan, den Augen aus Eis und den Haaren aus schwarzen Nebeln düsterer Nacht.
Jenseher:
Mit schweren knirschen Schritten bewegte sich Eldenbarrer durch die unnatürliche Höhle. Hauerartig ragten die scharfkantigen Steinobelisken von Boden, Wänden und Decke auf. Die Felsnadeln waren durchzogen von glitzernden Adern von Ne’ilurum sowie Mithril und in unregelmäßigen Abständen über die Höhle verteilt. Sie mussten hier und dort die schroffen Spitzen umrunden, um ihre Speerformation beizubehalten. Sie - das waren Eldenbarrer und seine Feuerriesenkrieger, die ihm als Jarl erneut die Treue geschworen hatten. Er wusste, dass er sich auf sie wie auf alte Kameraden verlassen konnte. Hauk, Furgrar, Gramraug und Wulfrug. Sie alle folgten ihm. Nur Hurolk hielt sich dahinter. Zuerst hatte Hurolk ihn verraten, jetzt zitterte der einst fettleibige Riese, gekleidet in eine Kettenweste, vor Angst. Ich hätte ihn erwürgen sollen, denn er ist eine Schande für unsere Rasse. Voll von Hass war Eldenbarrer, als er sich umdrehte. Doch er erinnerte sich auch an die Worte des Propheten von Jiarlirae. Neire hatte vom Schicksal gesprochen, dass seine Göttin für ihn und seine Riesen vorgesehen hatte. Und wer konnte schon ahnen, welch‘ Schicksal die Göttin für ihn geplant hatte. Der Jarl dachte an die letzten Worte zurück, die der Prophet zu ihm gesprochen hatte. Neire hatte wohl die Schritte von gepanzerten Stiefeln gehört und ihm geraten sich kampfbereit zu machen. Dann war der Jüngling in die Dunkelheit verschwunden. Sie hatten einige Zeit gewartet und waren danach aufgebrochen. Neben ihm ging auch Kulde Kopfstampfer, den Eldenbarrer versuchte nicht zu beachten. Der junge Hügelriese mit der fliehenden Stirn, der platten Nase, den schwarzen, kleinen, bösartigen Augen und dem ausgeprägten Unterbiss atmete schwer. Außerdem bewegte er sich ungeschickt. Eldenbarrer hatte aber die Kampfkraft und die Wut von Kulde gesehen, die er achtete. Außerdem schützte die grobschlächtige Kreatur die beiden Gefährten seines neuen Freundes, Edda und Heergren. Die Höhle begann sich alsbald zu verbreitern und das bleiche Licht der Ölfackeln verlor sich in den glitzernden Weiten. Die Spitzen erinnerten Eldenbarrer an das zahnbesetzte Maul einer monströsen Kreatur. Er hatte aber nicht die Muße darüber nachzudenken. Er wusste nicht mehr, wie viele Nächte er jetzt bereits wach war. Sein Körper war ausgemergelt vor Hunger und er spürte die Prellungen der Schlägerei. Er musste weitergehen, er musste sie als Jarl führen. Er musste alles seinem eisernen Willen unterordnen. Er durfte kein Schmerz empfinden, durfte keine Schwäche zeigen. Das war Eldenbarrers Leben gewesen, seitdem er klein war. Seitdem er in diese grausame Welt gekommen war. Er kannte nichts anderes. Der Jarl hob die Flamme von Thiangjord. Die Luft um das schwarze Schwert flimmerte und er spürte die Klinge nach seinem eigenen Blut lechzen. Für einen Augenblick spürte er Hass und Mordlust. Er vergaß den Schmerz. Der Prophet hatte Hauk gesagt, dass sie beobachtet würden und Hauk hatte es ihm heimlich mittgeteilt. Hauk hatte von einem zwergischen Gesicht gesprochen und Eldenbarrer hatte Hoffnung verspürt. Beobachtet mich nur… was mich beobachtet, werde ich suchen und finden… ich kann und werde es töten… hatte er sich gedacht. Augenblicklich wurde der Jarl aus seinen Gedanken gerissen. Ein rötliches Licht blendete ihn von vorn. Es war wie ein Regen gewaltiger Tropfen. Wie Magma bewegten sie sich rasend schnell hinab auf den Boden. Dorthin, wo ein berüsteter Nachtzwerg stand. Der Nachtzwerg war zwar nicht so groß wie er, doch mit drei Schritten größer als jeder Mensch. Er war in einen Plattenpanzer gekleidet und er trug einen doppelköpfigen Hammer. Sein Haupt war von einer Glatze gekennzeichnet. Im Licht des roten Blitzes sah Eldenbarrer auch die zweite Gestalt, die danebenstand. Der zweite Nachtzwerg war auch drei Schritt groß und geschützt von einem Harnisch. Er trug eine Kriegspicke, hatte lange lockige Haare und einen gezwirbelten Schnauzbart. Beide Gestalten hatten eine bleiche Haut, in der keine bläulichen Venen zu sehen waren. Die Lichterscheinung währte nur kurz, dann explodierten die Magmakugeln im Körper. Einen Augenblick später hörte Eldenbarrer den Donnerhall. Auch wenn er ihn nicht sah, er wusste: Der Prophet von Jiarlirae hatte den Angriff eröffnet. Jarl Eldenbarrer hob sein schwarzes, sechs Schritt langes Zweihandschwert und brüllte seinen Schlachtenruf. „Ruhm der Glut“, waren seine Worte, als er begann nach vorn zu stürmen. Ein Grollen ging durch die Halle – unter ihren rhythmischen Schritten und von ihren Stimmen - als seine Kameraden antworteten: „Ehre den Flammen.“ Eldenbarrer steigerte sich in einen Kampfrausch, in dem er die Höhle verschwimmen sah. Er hob das Schwert, dessen Widerhall, dessen feurige Resonanz er spürte. Seine Lungen drohten zu bersten, als er donnerte: „Schwarz ist unsere Flamme“, die seine Streiter mit einem grölenden „die Flamme von Thiangjord“ beantworteten. Dann brachen die Feuerriesen über die verhassten Nachtzwerge hinweg.
Wie eine Welle ausgemergelten Hasses, waren die Feuerriesen über den Nachtzwerg hinweggefegt. Hultrum Aschfall, der Baumeister des Stahls, der einen doppelköpfigen Kriegshammer trug, war bereits durch Neires grauenvolle Magie vernichtet worden. Doch sein Körper hatte sich in seinem Tode zu wandeln begonnen und war spurlos im Boden versunken. Der zweite Nachtzwerg, Hjelmin Niederstein, der Meister des Steins, hatte noch das Grinsen im Gesicht, als Thiangjord ihm in die Seite fuhr. Er betrachtete aber nicht den Jarl, sondern die Gestalt hinter Eldenbarrer, die sich dort heimtückisch aus den Schatten schälte. Der Nachtzwerg war dicklich und besaß ein Doppelkinn sowie mittellanges Haar, das er sich mit Fett nach hinten gestrichen hatte. Er trug einen Schuppenpanzer und ein Schwert mit gebogener Spitze, das er dem Jarl in die Seite stieß. Der Angriff war mit einer präzisen Gewalt geführt und ging tief in das Fleisch von Eldenbarrer. Der Knochen des Jarls brach mit einem fürchterlichen Knacken und kam zum Vorschein. Es war Dardal Vengerbergh, der Meister des Goldes, der an zu lachen fing und weiter auf den Jarl einstach. Drei Nachtzwerge normaler Größe waren jetzt aus einem Gebilde hervorgetreten. Ein Saal, der wie von gewachsenen Felsnadeln eingerahmt war. Um den Jarl war ein chaotisches Gemenge ausgebrochen. Grünliches Licht breitete sich aus, als Edda eine Kugel aus purer Säure beschwor, die über Hjelmin Niederstein hinabregnete. Dann waren da die Gebete. Es war Theodek Nihthruk, der Meister des Erzes, der den Gesang zum Gotte Laduguer beschwor. Der nachtzwergische Priester hatte ein rundliches Gesicht und lange Haare, welche die Spuren einer anfangenden Glatze zeigten. Er trug ein Kettenhemd aus Ne’ilurum und einen Kriegshammer. Der Gesang währte jedoch nicht lange. Er wurde behindert von den zischelnden Lauten Neires, der wiederum zu Jiarlirae betete. Jarl Eldenbarrer richtete sich qualvoll auf und wurde von mehreren Schnitten und Schlägen getroffen. Kulde und seine Riesen kämpften tapfer, doch jeder Angriff schien ins Leere zu gehen. Der Jarl hatte seine Klinge gerade erhoben, da zog der Nachtzwerg am Portal den kleinen rötlichen Edelstein hervor. Licht schimmerte in dem Rubin, den Daerdrin Balnhelm, Meister des Feuers, zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Im rötlichen Licht wurden die Runen der bemäntelten Gestalt sichtbar, die über seinen gesamten Körper eingebracht waren. Dann zerdrückte der Runenleger den Stein, der in tausende kleinerer Feuerfunken zersprang. Um Eldenbarrer und die Riesen löste sich eine Explosion von hellweißen Flammen. Eldenbarrer taumelte. Hauk ging blutüberströmt und verbrannt zu Boden. Der Jarl nahm sein Schwert Thiangjord und schnitt sich damit durch die linke Hand des eigenen Fleisches. Seine Augen begannen zu glühen wie rote Kohlen, sein langer roter Bart fing an zu brennen. Dann brüllte Eldenbarrer und atmete das Feuer des Lindwurmes Thiangjord. Hjelmin Niederstein und Dardal Vengerbergh wurden augenblicklich dahingerafft. Ihre Körper verschrumpelten zu Haufen schwelender, schwarzer Asche. Doch aus den Flammen trat der in einen Plattenpanzer gekleidete Nimnor Steinbart, Meister des Werkzeugs. Er war schlank und groß für einen Nachtzwerg – von langem, glattem Haar und ohne Bart. Der noch junge Krieger trug ein Langschwert in der rechten und eine kürzere Klinge in der Linken. Er rammte das Langschwert in den Bauch des Jarls. Eldenbarrer spukte Blut und sein schwarzes Schwert fiel klirrend zu Boden. In dem Chaos des Kampfes wendete sich der Nachtzwerg den Riesen zu und erhob erneut das Schwert. Hinter ihm zuckten die Lichter von Explosionen, als seine beiden Gefährten Daerdrin Balnhelm und Theodek Nihthruk im Feuer Neires getötet wurden. Nimnor Steinbart war der letzte der Baumeister und er kämpfte furchtlos weiter.
Da war der Geschmack von Blut in meinem Mund. Da waren diese Stimmen. Sie waren überall und ich konnte sie anfangs nicht verstehen. Doch je länger ich in der Schattenmark verweilte, desto klarer wurden die Worte. Der Kampf war vorbei und ich begann bereits zu vergessen. Der Geschmack von Blut war bereits vergangen. Alles um mich herum war es grau und schemenhaft. Alles war kalt… so kalt. Kein verheißendes Feuer der Herrin des Propheten. Keine geheimnisvollen Schatten. Es war wie ein Gefängnis in dem ich mich befand. Ein Gefängnis an einem fremden Ort im Stein. Ein Gefängnis, von dem ich mit bestimmter Sicherheit wusste – es gab nur mich an diesem Ort.
Ich trat in den Saal hinein, der dort lag in den Schatten. Die Wände waren wie ein Spinnennetz. Ein komplexes Muster aus glitzernden Metallarten im Felsen. Da war eine nachtzwergische Statue in der Mitte, gesichtslos… formlos. Da waren sechs dunkle Throne, mit nachtzwergischen Runen. Eine Rune glühte und auf diesem Thron saß er. Jetzt wusste ich, dass ich nicht allein war. Die Gestalt war schemenhaft und wie aus einem weißen Schleier. Ich sprach zu ihm und er antwortete mir. Er war eine von den sechs Stimmen, die ich zuvor gehört hatte. Er war uralt und von übernatürlicher Weisheit.
Hulthrum Aschfall: „Kommet herein mein König Eldenbarrer. Ihr wandelt nun hier für eine Weile. Auch wenn ihr bald in ein anderes Reich schreiten müsset.“
Jarl Eldenbarrer: „Wer seid ihr und was ist das für ein Ort? Wie kam ich nur hierher?“
Hulthrum Aschfall: „Töricht wart ihr mein König, denn atmetet ihr einst das Feuer… die Flammen, die dem ewigen Leben meiner Brüder ein Ende bereiteten. Jetzt seid ihr tot König Eldenbarrer. Nur ich werde hier verweilen… nur Hulthrum Aschfall ist noch übrig, der Meister des Stahls.“
Jarl Eldenbarrer: „Was ist es was euch hier hält? Was mag es sein, was ihr begehret?“
(Hulthrum Aschfall lacht.)
Hulthrum Aschfall: „Dreht euch um, seht ihr es nicht, blinder König? Es ist der Kragen der Träume. Wir schufen einst diese ewige Welt im Stein. Eine Welt in einer anderen Welt und doch eine Welt. Wir schufen sie und wir dienten dem Kragen. Doch jetzt dient der Kragen uns.“
(Der Jarl – mit tödlichen Wunden überzogen und halb durchsichtig – dreht sich um und blickt auf den Kopf der Statue hinab. Dort sieht er die eiserne Kette, in die zwei Sapphire und ein Rubin eingelassen sind. Aus der Kette sind fünf haarfeine Fäden herausgeführt, die den gesichtslosen Kopf wie eine Hand umschlingen. Der Kragen der Träume glüht in einem Funkeln von Silber und Edelsteinen.)
Jarl Eldenbarrer: „Ihr erschüfet diesen Ort und ihr dientet einst diesem Geschmeide? Jetzt dient es euch? Hulthrum Aschfall, Meister des Stahls.“
Hulthrum Aschfall: „So möge es sein, mein schwacher König. Doch euch mag es nicht mehr kümmern. Wir wissen, wie es um eure Seele steht. Habt sie hier verkauft, hier in unseren Gefilden. Werdet hinabsteigen einst, in IHR Reich aus Flamme und Düsternis… kleiner König, armer König, einsamer König… zu ewiger Höllenqual verdammter König…“
Jarl Eldenbarrer: „Spotte er nicht über mich. Ich bin… mein Name ist… ich bin… ihr sagtet, ich bin König Eldenbarrer. Man spottet nicht über einen König.“
Hulthrum Aschfall: „So möge es sein, mein König. Wir sahen euer Volk und wir wollten sie beherrschen. So wie wir Eurborea beherrschen wollten. Wir wollten nicht mehr die Baumeister von Stahl, Gold, Erz, Feuer, Stein und Werkzeug sein. Wir wollten die Baumeister der Gedanken sein. Doch verratet mir euer Geheimnis, König. Wieso konnten wir sie nicht kontrollieren, die Gedanken eures Volkes? Wieso wurde euer Gezücht wahnsinnig und begann sich gegenseitig zu fressen? Bei all dem Blutvergießen, ihr seid mir eure Antwort schuldig. Bevor ihr gehen müsst, so antwortet mir. Ich werde euch alles erzählen König. Alle unsere Geheimnisse. Wir waren bereit in den Tod zu gehen, um unseren Traum von Macht zu verwirklichen, um die Baumeister der Gedanken zu werden. Und wir sind in den Tod gegangen, doch kamen zurück, um in unseren leblosen Hüllen zu weilen. Was ist euer Geheimnis, König Eldenbarrer?“
(Hulthrum schreit Eldenbarrer in Verzweiflung an.)
Jarl Eldenbarrer: „Die alten Weisen meiner Rasse sprechen von einem Gott, der das Schwert aus Sternenfeuer trägt. Er ist der Vater unseres Blutes, der größten Rasse auf Erden. Er versprach uns alles zu Beherrschen und er gab uns die Fähigkeit zu träumen. Denn sein war das Reich aus ewigem Feuer und aus schwarzem Unleben. Er sollte einst den Weltenbrand bringen, doch in seinem Reich konnte man nicht träumen. Es war das Reich von eiserner Disziplin und blindem Gehorsam. So mussten wir träumen, die Rasse der Jötunar. Und seitdem träumen wir vom Weltenbrand. Denn im Reich des Feuergottes wandeln die Toten. Und Tote träumen nicht. Selbst nicht vom Weltenbrand träumen sie.“
(Ein Schrei von Hulthrum Aschfall dringt durch die Schattenmark. Er versucht noch nach dem Kragen der Träume zu greifen, als er seinen Fluch bemerkt. Dann zerplatzt die glühende Rune seines Thrones und seine Seele wird in ewige Schwärze gerissen.)
Jenseher:
Jarl Eldenbarrer hielt seine Klinge vor sich und stürzte in die Höhle. Er führte seine Männer in den Kampf. Entgegen dem Licht des Feuers, das in der großen Kaverne loderte. Eldenbarrer musste all seine Konzentration sammeln. Seine Gedanken waren immer öfter abgeschweift in den letzten Tagen ihrer Wanderung. Nach seinem Traum, seiner verblassenden Nahtoderinnerung, war er mit einem Aufkeuchen in das Leben zurückgekehrt. Eldenbarrer hatte den jugendlichen Propheten über sich gesehen, der sich seiner Wunden angenommen hatte. Neire hatte die Schwertherrscherin angerufen, die jetzt auch seine Göttin war und seine Wunden hatten geschlossen. Doch noch Tage später hatte er die Narben der eiskalten zwergischen Klingen gespürt, die das Leben wie von Geisterhand aus ihm gesaugt hatten. Neire hatte auch seinen engsten Berater, den Unteroffizier Hauk, vor dem Tode retten können. So waren die Höhlen der nachtzwergischen Baumeister von ihnen durchsucht worden. Sie hatten die Schätze an sich genommen und neben dem Kragen der Träume, ein metallisches Konstrukt gefunden, das ihnen die Rückkehr durch den dimensionsverbindenden Darm erlaubt hatte. Dann hatten sie die Eisenfeste Sverundwiel hinter sich gelassen. Die ersten Tage ihrer Reise waren schwer gewesen. Doch die Krieger hatten Hauk und ihn gestützt. Der dumme Hügelriese Kulde Kopfstampfer hatte auf Neires Befehl, Essen und Wasser mit ihnen geteilt. Schließlich waren sie der feurigen Landschaft des Höllenkessels entflohen und in die südlichsten Ausläufer der Kristallnebelberge gekommen. Am dritten Tag der Reise war ihnen dann das Jagdglück hold gewesen. Edda von Hohenborn hatte schwere Mammutspuren entdeckt, denen sie in ein ausgetrocknetes Hochtal gefolgt waren. Im Schatten der Nacht hatten sie sich an die Tiere geschlichen, die gerade versuchten einige vertrocknete Bergtannen um ihre letzten lebende Äste zu bringen. Ein jeder der Feuerriesen hatte einen schweren Steinbrocken aufgenommen. Als Eldenbarrer das Kommando gegeben hatte, hatten sie die gewaltigen Steine geworfen. Drei Brocken hatten verfehlt und sein eigener Stein hatte eine der vier Schritt großen Kreaturen, die mit einem langen, schwarzen, zotteligen Fell bewachsen waren, am Hinterteil gestreift. Der Brocken, der von Furgrar geschleudert worden war, hatte den Kopf einer der Kreaturen getroffen, der durch den Felsen eingeschlagen worden war. Mit zuckenden Gliedmaßen war die mächtige Kreatur zu Boden gesunken. Seine drei Artgenossen hatten mit einem Brüllen ihre Stoßzähne gezeigt, waren aber dann stürmend durch das Tal verschwunden. Als der Tag bald anbrach, hatten sie ein Feuer gemacht, das Tier geschlachtet und gebraten. Sie hatten sich an den Fleischmassen sattgefressen, die knusprig und von Fett triefend waren. Obwohl sie alle ausgehungert gewesen waren, hatten sie nur einen Bruchteil des Fleisches essen können und den Rest haltbar gemacht. In der nächsten Nacht hatten sie ihre Reise fortgesetzt und Edda hatte wieder Spuren gefunden. Die Abdrücke hatten drei krallenbesetzte Zehen gezeigt und waren frisch gewesen. Auch Schleifspuren, wie von einer gewaltigen Beute, waren zu sehen gewesen. Sie hatten dann den Eingang zu der Höhle entdeckt, aus dem Rauch aufstieg und aus dem sie den Schimmer von Feuerlicht gesehen hatten. Eldenbarrer hatte seine Krieger in Formation gebracht und so waren sie in die Öffnung vorgedrungen. Hinter dem Eingang offenbarte sich ihnen eine lange, bauchförmige Höhle. Die Decke war bis zu zehn Schritt hoch und die Höhle fast 30 Schritt lang. An einem großen Feuer waren drei Kreaturen zu sehen, die fast vier Schritt groß waren. Sie trugen ein rostfarbenes Fell mit einer bräunlichen Fleckung. Rote Augen schimmerten im Feuerschein und dünne Extremitäten zerrten an dem Fleischberg des Mammut-Jungtieres, das sie auf ein primitives Metallkonstrukt aus alten Waffen gelegt hatten. Ihre Gesichter waren von langen, krummen Nasen geprägt und zeigten eine primitive, hinterlistige Boshaftigkeit. Für einen Augenblick dachte der Jarl an das Mammut, das er mit dem Stein am Hinterteil verletzt hatte. Doch es spielte keine Rolle, welches Tier die drei Ungeheuer erbeutet hatten. Als Eldenbarrer ihren Kampfschrei brüllte, drehten sich die Kreaturen mit einem Jaulen um. Eldenbarrer schwang sein schwarzes Schwert und neben ihm war Kulde aufgetaucht, der in Anbetracht des kommenden Kampfes dümmlich grinste. Sie hatten die Kreaturen überrascht und sie machten sie durch die Gewalt ihrer Angriffe nieder. Als der Prophet Jiarliraes sein Magmafeuer beschwor, ging die letzte der niederen Kreaturen zu Boden. Mit ihren erlahmenden Zuckungen erstarben auch die Schmerzschreie der felligen Bergtrolle. Danach folgten sie hastig den Worten von Neire und warfen die Leiber der Kreaturen ins Feuer. Noch war nicht alles Leben aus den Monstrositäten gewichen, wie ein letztes Aufbäumen zeigte.
~
Es herrschte eine wohlige Wärme in Huldas Thronraum. Das Gemach wurde von Fackellicht erhellt. Kostbare Möbel an den Wänden und seltene Felle auf dem Boden deuteten auf den Reichtum der Feuerriesin hin, die auf ihrem Thron aus Ne’ilurum saß. Die beiden dunklen Schweinsaugen in dem rattenartig zugespitzten Gesicht Huldas blickten gespannt auf das Geschehen. Sie hatte sich in feine Gewänder gehüllt, die in einer übertriebenen Freizügigkeit ihre faltige Haut zeigten. Auch ihr Busen war zu sehen, dessen Brustwarzen in obszöner Offenheit auf Bauchhöhe baumelten. Die Riesen hinter Eldenbarrer starrten auf die rot-goldenen Wandteppiche, die Runen von Jiarlirae trugen und siegreiche Feuerriesen im Kampf zeigten. Zwei eiserne Türen führten in anliegende Gemächer und die Luft um den Ofen aus Ne’ilurum flimmerte. Edda stand hinter Neire und betrachtete das Geschehen. Die Feuerriesen Hauk, Gramraug, Wulfrug und Hurolk nahmen gerade auf den Holzbänken Platz. Kulde hatten sie schon zuvor zu seinen beiden Gefährten Gruschuk und Gulgra geschickt. Der Jarl Eldenbarrer stand neben ihnen und überragte sie. Er hatte während der Reise wieder seine alte Kraft zurückgewonnen. Edda erinnerte sich auch, dass Eldenbarrer lange Gespräche mit Neire geführt und ihn viel über Nebelgard gefragt hatte. Die Feuerriesen waren beeindruckt gewesen von Neires Fähigkeiten. Irgendwie hatte der Prophet von Jiarlirae es geschafft in den Geist von Hurolk einzudringen und ihm seine Angst zu nehmen. Der Riese mit den eingeschlagenen Zähnen, Hurolk, hatte auf der Reise mehrfach seine Treue der Göttin von Feuer und Dunkelheit geschworen. Es war Edda so vorgekommen, als hätte Hurolk sein gesamtes Leben Jiarlirae gewidmet. Die weitere Reise war ereignislos geblieben und so waren sie siegreich in Nebelgard einmarschiert. Sie waren direkt durch die Baustelle der Feste Nebelgard und den Tunnel in den Tempel des Jensehers gereist. Jetzt hörte Edda Neires Stimme und beugte ihren Kopf in alter höfischer Sitte. „Königin Hulda von Isenbuk. Es ist mir eine Ehre euch Jarl Eldenbarrer, den Träger der Flamme von Thiangjord vorzustellen. Ich kehre mit ihm zu euch zurück. Jiarlirae sprach durch mich und sie gab euch ihr Wort.“ Edda bemerkte, wie die Königin lächelte. Sie zeigte dabei ihre schiefen, fauligen Zähne. Auch die Warzen und Geschwüre ihrer linken Gesichtshälfte wurden sichtbar, die sie sonst abwendet hatte. Jetzt donnerte die Stimme von Eldenbarrer neben Edda: „Ich grüße euch, hochverehrte Königin. Ich grüße euch im Namen von Jiarlirae, im Namen von Feuer und Schatten. Ich bin vor euch getreten, auf dass Jiarlirae Zeuge sei: Um eure Hand zu bitten, ich Jarl Eldenbarrer, Träger der Flamme von Thiangjord.“ Als sich Eldenbarrer verbeugte, ließ er den Sack mit Geschmeiden und Gold sinken den er als Mitgift den Nachtzwergen geraubt hatte. Im Schimmern von Gold und Edelsteinen erhob sich die Königin. Ihre aschgraue Haut errötete sich sichtbar, doch sie lächelte Eldenbarrer lüstern an. Hulda fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sprach: „Auch ich grüße euch, Jarl Eldenbarrer. Euer Ruhm und eure Macht sind weit jenseits des Höllenkessels bekannt. Es wäre mir eine Ehre euer Weib zu sein und gemeinsam mit euch ein neues Reich aufzubauen. Ein Reich im Namen der Herrin Jiarlirae.“ Edda trat zu Neire heran und ergriff seine Hand. Sie verstand die Sprache der Feuerriesen jetzt flüssig und war berührt von der Szene. War es ein Schicksal, nach dem sie sich selbst sehnte? Sie flüsterte in Neires Ohr, das sich hinter seinen langen gold-blonden Locken verbarg. „Eine solche Feier sollte nicht überstürzt werden. Eine Krönung eines neuen Königs sollte gebührend gefeiert werden. Sagt es ihm Neire, bevor Eldenbarrer auf andere Gedanken kommt.“ Edda bemerkte, dass Neire nickte und das Wort erhob. „Königin Hulda, Jarl Eldenbarrer. Ihr beide habt den Segen von Jiarlirae. Das Reich soll groß werden und es soll mehr als 1000 Jahre währen. Aber horcht… Etwas so Bedeutsames benötigt keinen bescheidenen, keinen formlosen Anfang. Es soll ein Fest geben, ein Fest, das den Anfang einer neuen Zeit einläuten wird. Ein solches Fest braucht Vorbereitung, bedenkt dies. Jetzt wollen wir jedoch Königin Hulda von Isenbuk und Jarl Eldenbarrer ehren. Götterheil soll ihnen zuteilwerden. Erhebt euch Feuerriesen und preiset die Verlobten.“ Edda vernahm das Rumpeln der Bänke, als die kolossalen Kreaturen sich erhoben. Dann wurde die steinerne Halle durch ohrenbetäubendes Schreien erfüllt. „Heil Königin Hulda, Heil Königin Hulda, Heil Königin Hulda… Heil Jarl Eldenbarrer, Heil Jarl Eldenbarrer, Heil Jarl Eldenbarrer.“
Jenseher:
Nach ihrem Besuch bei Königin hatten Edda, Neire und Heergren die Gemächer der Feuerriesen verlassen. Königin Hulda hatte sie aber gewarnt, dass die Späher Halbohrs auf sie warten würden. Sie hatten sich der Sache direkt angenommen und den Spähern im inneren Tempel eine Audienz gewährt. Vorgefunden hatten eine Reihe dreckiger und unscheinbarer Gestalten. Sie hatten das Aussehen von einfachen Tagelöhnern, die in zerschlissene graue Gewänder gehüllt waren. Die Späher hatten ihnen von der Stiurmark berichtet, die wohl in den in den letzten beiden Jahren verweist war. Die Angriffe der Riesen waren zwar weniger geworden, jedoch lag die Sphäre der Dunkelheit wohl noch immer über Aschwind. Die Einwohner hatten den Landstrich verlassen und waren über die Berge in das Fribönder Land oder das Orumanische Reich geflohen. Keines der beiden Länder hatte den Einwohnern geholfen die Stiurmark zurück zu erobern. Die vereinigten Grafschaften und Herzogtümer des Fribönder Landes hatten selbst gegen die Riesen gekämpft und befanden sich mit dem Orumanischen Reich in mehreren kleinen Grenzkonflikten. Die Ritter des Orumanischen Reiches hatten wiederum einen jahrhundertelangen Niedergang erlebt. Sie schwelgten in ihren Traditionen der Runenschwerter, auf die sie den Namen ihres Reiches zurückführten. Auch Neire hatte bereits von der alten Sprache der ersten Menschen gehört, die sich als Ortrunarmannen oder Schwertrunenmänner bezeichneten. Die Benennung der Orumanen ging wohl auf eine Verschleifung des ursprünglichen Namens der Ortrunarmannen zurück. Die Späher hatten aber auch von einer drängenden Gefahr für den Tempel des Jensehers berichtet. Sie hatten einen Zustrom von Flüchtlingen in das Protektorat Dreistadt bemerkt. Insbesondere in Dreistadt war ein reges Treiben und eine ungebremste Bautätigkeit bemerkt worden. Die Stadt gewann wohl wieder an Macht und hatte bereits die Adlerburg mit Soldaten bemannt. Neire, Edda und Heergren hatten eine Weile zugehört und die Späher dann entlassen. Sie hatten sich schnell entschieden, in Dreistadt nach dem Rechten zu schauen. Nur kurz hatten sie geruht und weitere Sprüche vorbereitet. Dann waren sie aufgebrochen. Neire hatte seine schwarze Kunst benutzt, um sie sofort nach Dreistadt zu bringen. Sie waren in ihrem alten Gemach unter dem Dachfirst erschienen, das sie einst von Ariold, dem Wirt der Dreistädter Taverne gemietet hatten. Das Gemach war jedoch belegt gewesen. Der Geruch von Alkohol und Ausdünstungen war in dem kleinen Zimmer zu vernehmen, das jetzt mit einem Bett, einem Waschzuber und einer Kommode eingerichtet war. Aus dem Bett kam ein Schnarchen. Sie konnten dort eine dickliche Gestalt liegen sehen, die eine Halbglatze und ein von Fettwülsten besetzter Nacken auszeichnete. Über einem Stuhl hing ein zerschlissenes Lederwams. Dort waren auch dreckige Stiefel und eine Zimmermannstasche mit Nägeln und einem Hammer zu sehen. Kurz glitzerten Neires Augen mit einem rötlichen Schimmer in der Dunkelheit. Der jugendliche Priester beugte sich über die schlafende Gestalt und flüsterte: „Wacht auf Menschlein und lauschet den Worten eines Freundes.“ Das schwere Atmen des Mannes hörte auf, als er sich räusperte und langsam erhob. Er konnte Neire nicht sehen und starrte fragend in die Dunkelheit. Das pausbackige Gesicht des Fremden schimmerte rötlich und hatte zwei eng zusammenstehende braune Augen. Ein fauliger Atem von Restalkohol strömte Neire entgegen. „Ist das ein Traum? Eure Stimme, so vertraut. Ja, Freund… ich bin hier, doch ich kann euch nicht sehen. Es ist so dunkel.“ Neire legte dem Fremden seine linke Hand auf die Schulter. „Das macht nichts Menschlein. Wie ist euer Name und was macht ihr hier in Dreistadt?“ Die Stirn des Fremden legte sich in Falten, als er nachdachte. „Wie meint ihr Freund. Mein Name ist Harivald und ich bin noch nicht lange hier. Bin geflohen aus dem Hornheimer Land. Ein langer Weg, lang und beschwerlich. Jetzt habe ich Arbeit hier in Dreistadt. Arbeit und Unterkunft.“ Neire nickte Harivald zu, dessen Augen ziellos durch die Dunkelheit glitten. „Wer herrscht hier in Dreistadt? Und wie finde ich ihn?“ Jetzt glättete sich die Stirn Harivalds. „Sein Name ist Oordrin. Habe ihn noch nicht gesehen. Aber er soll im mittleren der drei Türme wohnen.“ Neire beugte sich nun zu Harivald hinab und flüsterte zischelnd. „Habt dank Harivald und vergesst diesen kurzen Traum. Schlaft euren Rausch aus und vergesst die Stimme aus den Schatten.“ Schon schloss Harivald seine Augen und sank in einen tiefen Schlaf.
Edda folgte Neire in den Schankraum, aus dem sie lebhafte Stimmen hörte. Sie hatten zuvor das Gemach Harivalds über die Außentreppe verlassen und sie hatte den Geruch der Meeresluft gerochen. Dreistadt hatte sich verändert, seitdem Neire und Bargh vor fast zwei Jahren hier gewesen war. Obwohl es Nacht gewesen war, hatten sie Bürger auf den Straßen gesehen. Viele Häuser, die vorher verrammelt gewesen waren, waren jetzt erneuert worden. Auch neue Bauten waren errichtet worden und sie hatte selbst auf dem Hügel neue Häuser gesehen. Die Ruinen der einst verbrannten Türme waren von Steinmetzen wiederaufgebaut worden und überragten erneut die Stadt. Edda trat ein in den Raum, aus dem sie den Geruch von gebratenem Fleisch und Bier vernehmen konnte. Da war auch der Duft von Kräutern und Pilzen. Jüngere Männer saßen an verschiedenen Tischen. Die Besucher hatten zerschlissene Kleidung, Schwielen-besetzte Hände und heruntergelebte Gesichter. Einige trugen Zimmermanns- oder Steinmetzwerkzeuge; andere hatten ihre schweren Arbeitergürtel auf die Tische gelegt. Augenpaare wendeten sich ihnen zu, doch der Geräuschpegel nahm nicht ab. Als sie sich an einen Tisch gesetzt hatten, kam ihnen eine dickliche Gestalt entgegen. Der Mann hatte vielleicht 45 Winter erlebt. Er war in einen einfachen rot-braunen Umhang gekleidet und hatte sich das braune Haar mit Fett nach hinten gekämmt. Er lächelte sie an, als er sich an ihrem Tisch verbeugte. „Fremde, willkommen in unserer einfachen Schenke. Willkommen in Dreistadt. Mein Name ist Lom. Mein Bruder Volgund und ich werden für euer Wohl sorgen. Trinkt und esst, soviel wie ihr könnt.“ Edda mochte den Wirt nicht, der gespielt freundlich wirkte. Neire antwortete in seinem zischelnden Nebelheimer Dialekt. „Gehört diese Schenke nicht Ariold? Wir hörten einst von dem missmutigen Wirt aus Dreistadt.“ Jetzt lachte Lom auf. „Ariold? Nein, das ist lange her. Er ist verschwunden, so erzählte man mir. Ward plötzlich nicht mehr gesehen. Jetzt sorgen wir uns um die Gäste. Mein Bruder und ich.“ Neire nickte Lom zu, der sich jetzt zu ihnen beugte. „Ich vertraue euch ein kleines Geheimnis an, auch wenn ich euch nicht kenne. Wir haben nicht viel zu tun hier. Erhalten all unser Bier und Essen aus den Türmen. Müssen es nur warm machen und dafür sorgen, dass es schön knusprig wird. Wir haben unser eigenes Getränk, das wir hier brauen. Es hat das gewisse Etwas, ja, ich kann es euch nur empfehlen. Soll ich euch einen Humpen davon bringen?“ Edda nickte und antworte. „Bringt mir einen Humpen und etwas von eurem Essen.“ Lom richtete sich auf und strich sich über seinen Bauch. Seine Pausbacken glänzten rosig im Schein der Lampen. „Nun gut. Ihr solltet aber nicht zu viel davon trinken. Wie gesagt, es hat das gewisse Etwas.“ Sie unterhielten sich mit Heergren, bis Lom mit seinem Bruder zurückkam. Sein Bruder Volgund war jünger, hatte braunes Haar, ein eingefallenes bleiches Gesicht und einen stoppeligen Bart. Er schwankte und verströmte den penetranten Geruch von Alkohol. Volgund und Lom brachten ihnen dampfende Teller mit knusprig-braun gebratenen Hähnchenschenkeln. Auch einen frischen Laib eines dunklen Kräuterbrotes stellten sie ihnen, zusammen mit drei großen Humpen, auf den Tisch. Als Neire fragte, was sie dem Wirt schuldeten, lachte Lom. „Nein, Reisende. Ihr schuldet uns nichts. Das Essen ist umsonst in Dreistadt, umsonst für jeden der hier arbeitet. Und natürlich auch für euch. Auch, wenn ihr nur auf der Durchreise seid.“ Heergren beugte sich bereits über den Teller und begann zu essen. Er riss dicke Stücke aus dem Hähnchenbollen und Fett rann über den Bart des Nachtzwerges. Lom beugte sich aber nochmal zu ihnen hinab und flüsterte. „Für unser Bräu müsstet ihr eigentlich zahlen. Aber das Getränk geht aufs Haus. Ich mag euch, Fremde. Und ihr seid meine Gäste.“ Edda bedankte sich lächelnd, während Neire zischelnd eine Frage stellte. „Was ist das für eine Stadt Mensch? Wer zahlt für das Essen? Im Leben gibt es nichts umsonst.“ „Das Essen kommt von Oordrin. Er bereitet es natürlich nicht selbst zu, aber er sorgt sich um alle. Und ja, hier in Dreistadt ist das Essen umsonst. Essen gibt es hier gegen Arbeit. Wer arbeitet, der kann Essen; soviel wie er will.“ Der Wirt entfernte sich mit diesen Worten und sie waren wieder allein an ihrem Tisch. Edda schaute zuerst Neire dann Heergren an. Dann sagte sie: „Ihr habt Recht Neire. Was ist das für ein seltsamer Ort, an dem sich Pöbel und Abschaum vollfressen können. Und wer zur Hölle ist dieser Oordrin?“ Bevor Neire antworten konnte rülpste Heergren und sprach schmatzend. Das Fett lief dem Nachtzwerg aus den Mundwinkeln hinab. „Ach, was kümmert es uns… Fräulein von Hohenborn. Es sind einfältige Bastarde. Sie sind fett und schwach. Sie werden schon bald sterben.“ Edda lachte und nahm sich jetzt einen Hähnchenschenkel. Sie stellte sich vor, wie sie ihre Schattenkräfte beschwören würde. „Wir werden Oordrin aufsuchen und einmal mit ihm sprechen. Irgendetwas ist faul in Dreistadt.“ Edda nickte und dachte ihre Zeit in Sturmhort am Ostend. Hatte sie Heimweh nach ihrem alten, höfischen Leben? Nein, das hier war so viel besser. Sie konnte tun und machen, was sie wollte. Sie lernte die Geheimnisse jenseits der Schatten zu verstehen. Und sie war verliebt. Sie war verliebt in Neire von Nebelheim, den kindlichen Propheten. Sie wusste in ihrem Herzen, dass Neire sie liebte. Sie betete zu Jiarlirae um eine glorreiche Zukunft. Eine Zukunft unter dem Runenbanner der Dualität von Flamme und Düsternis.
Jenseher:
Sie waren aus dem Gasthaus herausgetreten und hatten die laute Gesellschaft und die Kneipenluft hinter sich gelassen. Nach der von Alkohol, Schweiß, Bier und Braten, geschwängerten Luft, vernahmen sie jetzt die abgekühlte Meeresbrise der Sommernacht. Die Wolken waren hier und dort aufgebrochen und offenbarten einen glitzernden Sternenhimmel sowie die dünne Scheibe des aufgehenden Mondes. Dreistadt schlief größtenteils, doch neben dem fernen Rauschen der Brandung an den Klippen konnten sie die Stimmen von Einwohnern hören. Öllaternen baumelten an Pfählen und Soldaten waren mit ihren Patrouillengängen beschäftigt. Neire hatte seinen Tarnumhang abgelegt. Seine schwarze Robe glitzerte im Sternenlicht. Er warf seine gold-blonden Locken zurück und schaute mit einem Lächeln in Richtung der Anhöhe. Neben den drei Türmen konnte er einige Neubauten dort sehen. Der junge Priester erinnerte sich, dass das Gebiet um die Türme zuletzt dem Magistraten aus Dreistadt vorbehalten war. Die Zeiten mussten sich wahrlich geändert haben in Dreistadt, wenn sie jetzt sogar den Bau von Häusern dort erlaubten. „Lasst uns die drei Türme aufsuchen und mit diesem Oordrin sprechen. Vielleicht erfahren wir von ihm, wie…“ Weiter kam Neire nicht, denn hinter ihm knallte die Tür der Schenke zu. Erschienen war Heergren, der ein lautstarkes Rülpsen von sich ließ und sich den Mund abwischte. Seine blauen Augen schimmerten eiskalt in der Dunkelheit und Schweiß bedeckte seine von blauen Venen überzogene Glatze. Heergren nahm einen tiefen Zug der Abendluft. Dann verzog er etwas das Gesicht, als würde er den Geruch nicht kennen: „Ist das die See, Prophet?“ Der Nachtzwerg hatte seine Schlachtenaxt geschultert und strich sich durch den grauen Bart, um dort Fett- und Fleischreste zu beseitigen. Ihn störte nicht, dass das Fett auch seinen Schienenpanzer besudelte. Jetzt lächelte Neire Heergren und auch Edda an. Dann deutete er über die düstere Silhouette der Stadt und gen Himmel. „Schaut, betrachtet… Heergren. Diese Weite der Oberwelt, die Sterne.“ Heergren kratzte sich mit der linken Hand an seiner roten, hässlichen Narbe, die waagerecht über seinem Ohr und bis in sein Gesicht zu sehen war. Dann antwortete er Neire. „Wie Löcher in der Decke einer Höhle… wenn man dort hinaufsteigt, kann man durch sie hindurchsehen?“ Jetzt war das helle Lachen von Edda zu hören, die zu Neire herangetreten war und seine Hand hielt. „Nein Heergren. Sie sind unerreichbar für uns. Aber Legenden ranken sich um die Sterne. Einige wandern und andere nicht. Meine Vorfahren haben schon vor tausenden von Jahren mit Hilfe der Sterne die Meere navigiert.“ Edda trug ihr schwarzes Haar offen. Ihre Haut schimmerte schneeweiß im Mondlicht, in Kontrast zu ihren roten Lippen. „Wie solle man navigieren nach ihnen, wenn sie sich bewegen? Wie könnt ihr mit einem Boot euer Ziel erreichen?“ „Ich habe nie ein Boot gesteuert, auch wenn ich eine Tochter von Vintersvakt bin. Ihr solltet dort einen Seefahrer fragen. Tief im Süden, wo Vintersvakt liegt. Oder auch in Sturmhort am Ostend, dem Vasallenstaat von Vintersvakt in den Küstenlanden.“ Heergren schüttelte sich und spukte aus. „Waah, ihr Menschen. Ich bevorzuge die Reiche unten im Stein. Der Stein erzählt mir seine Geschichte und dreht sich nicht, wie ein laues Lüftchen.“ Bei diesen Worten rümpfte Heergren die Nase und Edda lachte erneut. Neire schaute indessen wieder hinauf und sprach zu Edda und Heergren. „Ich habe von den Sternen gelesen. Schon damals in der Bibliothek von Nebelheim. Ich habe von ihnen geträumt, wie die ersten Menschen, die sie einst betrachteten. Ich träumte von ihnen selbst da, als ich sie noch nie gesehen hatte. Ihre Bewegungen verlaufen immer gleich. Kennt ihr die Jahreszeiten und die Bewegung, so könnt ihr nach ihnen navigieren. Auch werden die Sterne in Bildnissen gedeutet.“ Neire hob seine verbrannte linke Hand und deutete in den Himmel. Er umarmte Edda dabei und hielt sein Gesicht an das ihre. „Dort schaut Edda. Es ist das Zeichen der Schlange. Die Menschen erzählen sich, dass die große Schlange einst von den Sternen kam und hinabstürzte, auf diese Erde. Dort soll sie an den Wurzeln der alten Esche nagen, die irgendwo in der Erde versteckt sind. Es sind diese und andere Geschichten, die die Menschen trügen. Nur die Menschenschlange des wahren Blutes ist heilig. Sie wird auf den Abstieg vorbereitet und…“ Weiter kam Neire nicht. Er wurde unterbrochen von den Geräuschen des Karrens, der näher auf sie zukam. Zwei junge, gut beleibte, aber nicht fettleibige Männer zogen den Karren. Einer hatte braune lockige Haare, braune Augen und ein blasses Gesicht mit erstem Bartflaum. Der andere hatte blondes, kurzes Haar und gräuliche Augen. Beide zogen das offene Gefährt, dessen Ladefläche mit Körben von frisch gebackenem Brot gefüllt war. Die beiden Männer beachteten sie nicht weiter, stellten den Wagen vor der Tür ab und hämmerten mit der Faust auf das Holz. „Lom, Volgund. Die Lieferung aus den Türmen ist da. Kommt heraus!“ Es dauerte nicht lange, da erschien Lom, gefolgt von seinem Bruder Volgund. Lom schien nicht besonders erfreut über die Arbeit und Volgund verzog gar miesmutig sein Gesicht. „Angnar, Baldwin… was bringt ihr uns zu dieser späten Stunde?“ Angnar, der Junge mit den braunen Locken, antworte schneller und war sichtlich gereizt. „Das seht ihr doch selbst Lom, so dunkel ist es nicht. Die letzte Lieferung für uns, für diese Nacht. Ladet endlich ab, wir sind müde und wollen schlafen.“ Lom und Volgund begutachteten die Brote, fingen dann aber an den Wagen zu entladen. Angnar und Baldwin lehnten sich gegen die Wand des Gasthauses und ruhten sich aus. Schweiß bedeckte ihre Gesichter und ihnen war die Müdigkeit anzuerkennen. „Grüßt euch, ihr da! Bringt ihr das Essen aus den Türmen?“ Neire war zu den jungen Männern getreten. Edda und Heergren folgten ihm. Angnar schaute mürrisch drein, doch Baldwins Blick musterte für einen Augenblick Edda. Er versuchte ein Lächeln zu verkneifen und schaute schüchtern zu Boden. „Na.. natürlich. Wir… äh…. wir bringen die Lieferungen.“ Edda hatte ihren Kopf auf Neires Schulter gelegt und sprach Baldwin lächelnd an. „Arbeitet ihr für Oordin?“ Dem jungen Mann stieg die Röte ins Gesicht, als er seinen Blick schnell wieder abwendete. „Ja, ehrenwerte Dame. Wir arbeiten für Oordin. Ohne uns, bekommen sie hier kein Essen.“ Nachdem Baldwin den Satz beendet hatte, war deutlich das Aufächzen von Angnar zu hören, der zudem die Augen verdrehte. Edda fragte: „Braucht er noch Arbeiter? Und was zahlt er, dieser Oordrin.“ Wieder war da dieses Lächeln, das sich fast in ein Grinsen wandelte. „Nein… edle Dame. So läuft das nicht hier, in Dreistadt. Wir verrichten ehrenwerte Arbeit und erhalten dafür Brot und Unterkunft. Essen so viel wir wollen.“ Er hielt kurz inne und seine Augen berührten schüchtern die von Edda. „Bis jetzt ist es nur ein Bett und ein Dach über dem Kopf. Aber vielleicht erhalten wir bald schon ein Gehalt…“ „Nun, wir müssen Oordrin einmal besuchen und ihn selber fragen. Gewährt er den Bürgern Audienzen?“ Während Neire sprach, räumten Lom und Volgund die letzten Körbe vom Wagen. „Jeder kann ihn sprechen. Er befindet sich im mittleren Turm. Ist immer da für uns… Nun, vielleicht zahlt er dem Herrn Krieger“ - er schaute zu Heergren - „einen Sold. Sie sind auf der Suche nach Kämpfern, die edle, schöne Fräuleins wie euch beschützen.“ Edda lachte laut auf und Baldwins Gesicht errötete erneut. Dann nahm der Junge all seinen Mut zusammen und stotterte: „Vielleicht… vielleicht können wir ja nachher… nachher etwas zusammen essen… zusammen essen? Meine… meine Dame. Meine Arbeit für heute ist heute getan.“
Sie hatten die beiden Träger danach verabschiedet und waren in Richtung der drei Türme aufgebrochen. Edda hatte die Frage nach dem gemeinsamen Essen nicht verneint und mit der Andeutung eines möglichen Wiedersehens geantwortet. Neires Gesicht war versteinert gewesen und er hatte geschwiegen. Erst Heergren hatte die Stille gebrochen und Edda auf das merkwürdige Verhalten des Karrenziehers angesprochen. Der Nachtzwerg hatte sich gewundert, warum die Menschen so seltsam reagieren, wenn sie sich mit Weibern unterhielten. Edda hatte betont beleidigt reagiert und Heergren darauf hingewiesen, dass sie ihn eigentlich schätzte. Sie hatte ihm erklärt, dass der Karrenzieher zweifelsohne von ihrer Schönheit und ihrem hohen Stand beeindruckt gewesen war und dass Heergrens Frage eine Beleidigung für sie sei. Der Nachtzwerg hatte sich danach mehrfach entschuldigt, aber Neire derweil unterwürfig angeschaut. Es musste wohl Loms Getränk, mit dem gewissen Etwas gewesen sein, dass sie zu derartigem Verhalten angestiftet hatte. Nachdem sie das Streitgespräch beendet hatten, hatten sie sich mit einfacher Kleidung getarnt und ihre magischen Gegenstände verborgen. Dann waren sie in Richtung der Anhöhe der drei Türme geschritten. Sie hatten die Gatter als geöffnet vorgefunden. Auf den einst grünen Wiesen des aufsteigenden Geländes waren die Bauten von neuen Häusern sowie einige Baustellen zu sehen gewesen. Ihr Weg hatte sie an den beiden vorgelagerten kleineren Türmen vorbeigeführt, deren Mauern wiederaufgebaut worden waren. Jedoch hatten sie aus dem jeweiligen Erdgeschoss ein Stimmengewirr sowie Schreien und Lachen von Kindern gehört. Edda hatte einen Blick in das dunkle Innere werfen können und eine Ansammlung von Betten und Lagern gesehen. Sie waren an dem Treiben des Gesindes vorbei und auf die Eingänge des großen hinteren Turmes hinzumarschiert. Beide Türen waren weit geöffnet und so konnten sie in das Innere eintreten. Licht und Feuerschein strömte ihnen entgegen. Da war ein Gewusel, ein Gewimmel von Menschen. Da war der Geruch von frisch gebackenem Brot, von gebratenem Fisch und geröstetem Fleisch. In diesem Geschoss arbeiten Männer an großen Backöfen; Frauen bereiteten einen Teig aus verschiedenen Zutaten zu. In einer ohrenbetäubenden Lautstärke riefen sich die Arbeiter Befehle durch den Raum. Der Großteil war gut beleibt, andere stark übergewichtig. Die Hitze und die Arbeit trieben ihnen den Schweiß in die Augen. Es war aber nicht das Treiben, das die Aufmerksamkeit von Neire fesselte. In der Mitte der Turmhalle hatte sich eine Gruppe von fünf Personen gesammelt, von denen drei niedergekniet waren. Sie waren Neire mit dem Rücken zugewendet und trugen Kettenhemden. Vor den drei Knienden stand eine sonnengebräunte Kriegerin mit rotbraunen Haaren. Sie hatte ein grobkantiges Gesicht, in dem Striemen von Narben zu sehen waren. Besonders markant war aber ihre schiefe, einst wohl gebrochene, Nase. Sie war gekleidet in einen silbern schimmernden Feldharnisch. Zudem trug sie einen Schild, auf dem ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen zu sehen war, der wiederum eine stilisierte Sonne in seinen Klauen trug. Hinter der Kriegerin stand ein unscheinbarer Mann, gekleidet in einfache Leinengewänder. Er hatte ein glattes, bartloses Gesicht und kurze hellblonde Haare. Die Silhouette seiner Robe wurde hier und dort von Ansätzen von Fett gewölbt. Seine beiden grünen Augen betrachteten allerdings forsch die Umgebung. „So erhebet euch nun als Krieger der Adlerfeste. Euer Schwur, sie mit eurem Leben zu verteidigen, ist erhört worden. Eure Kinder und eure Kindeskinder werden euch um eure Taten beneiden und euch frohlocken. Ihr habt euch als stark und als fähig erwiesen. So geht nun und meldet euch beim Kommandanten der Feste. Eure Wacht soll nun beginnen.“ Die Stimme der Kriegerin war lieblich klingend und selbst einige Arbeiter horchen auf. Sie drehten sich um, schenkten dem Geschehen ihre Aufmerksamkeit und applaudierten, indem sie mit ihren Werkzeugen auf die Öfen und Anrichten schlugen. Die Kriegerin holte jetzt drei Amulette hervor, die an eisernen Ketten befestigt waren. Sie trugen das Wappen des Adlers und der Sonne. Neire kannte das Symbol nicht, doch Edda konnte es als neues Wappen der Krieger der Adlerfestung identifizieren. Nachdem sich die Geweihten erhoben hatten, wurden sie von der Kriegerin hinausgeleitet. Neire, Edda und Heergren näherten sich nun dem unscheinbaren Mann in den Leinengewändern. Als sie weiter in den Raum getreten waren, wurden sie von der Kriegerin mit ernstem Blick gemustert. Die liebliche Stimme war nochmals zu hören, als sie in Richtung Edda sprach: „Mädchen, ihr seht erschöpft aus. Meldet euch bei Oordrin, dem Verwalter. Er wird sich um euch kümmern und für euch sorgen. Lasst mich euch sagen. Hier seid ihr sicher. Ihr müsst keine Angst mehr haben.“ Sie lächelte Edda zu und verschwand mit den drei Kriegern durch den Eingang. Sie waren mittlerweile bis in die Mitte der großen Halle vorgedrungen, in der das Treiben wieder mit voller Lautstärke fortgesetzt wurde. Auch der Verwalter musterte sie und Heergren, der sich jetzt an ihre Spitze gesetzt hatte. Der Nachtzwerg sprach den Berobten in der gemeinen Zunge an. „Ihr müsst Oordrin, der Verwalter sein. Ich bringe euch zwei Flüchtlinge, die von jenseits der Berge stammen. Sie sagten mir, ihr würdet hier für die Ablieferung von Flüchtlingen bezahlen. Also stehe ich hier und verlange mein Gold. Begutachtet sie, wenn ihr mögt, aber ich versichere euch, es ist ihnen nichts zugestoßen. Ich habe dafür Sorge getragen.“ Oordrin zog eine Augenbraue hoch, bevor er antwortete. Dann erklang seine ruhige und bedachte Stimme. „Ist das so? Nun, wenn man euch dies erzählt hat, mein Freund, dann hat man euch nicht die Wahrheit gesagt. Wir kaufen hier keine Flüchtlinge. Wir sind keine Menschenhändler. Doch wir nehmen Flüchtlinge auf. Jeder ist sicher hier und erhält kostenlos Unterkunft und Brot. Im Gegenzug verlangen wir Arbeit. Doch auch jene, die gelitten haben und nicht arbeiten können, werden von uns nicht ausgeschlossen. In einer Sache lagt ihr jedoch richtig. Ich bin Oordrin und ich bin der Verwalter hier.“ Oordrin wendete sich jetzt Neire und Edda zu und winkte sie heran. „Ihr beiden, ihr seht ja grauenvoll aus. Kommt näher und erzählt. Wo kommt ihr her? Erzählt…“ Heergren unterbrach Oordrin. „Seht sie an. So schlimm sehen sie gar nicht aus. Sie können euch bestimmt nützlich ein. Ich will meine gerechte Bezahlung haben.“ Für einen Augenblick konnten sie Schatten über Oordrins Gesicht gleiten sehen, dann lächelte er Heergren an. „Ihr seid fehlgeleitet worden, Freund. Leute werden hier nicht verkauft. Aber vielleicht kann ich euch etwas geben. Unsere Reserven sind knapp, aber ein paar Edelsteine sollte ich noch haben.“ Als Heergren verbissen nickte, wendete sich Oordrin wieder Edda und Neire zu. „Erzählt ihr beiden, was ist euch zugestoßen? Kommt ihr von jenseits des Schilds.“ Neire dachte an die Gebirgskette, die Berghof von den Küstenlanden im Süden trennte und als Der Schild bezeichnet wurde. Er nickte und antwortete weinerlich. „Ja, Herr. Unser Hof, dessen Name Hof Lindenbach war, wurde von Riesen angegriffen und zerstört. Wir haben dort als Knechte gearbeitet. Das ist Ylvi und mein Name ist Dödnar.“ Edda nickte und verzog ihr Gesicht zu einer traurigen Grimasse. Der Verwalter kam zu ihnen und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Es tut mir leid für eure Familien und Freunde. Doch hier seid ihr sicher. Wir haben schon von diesen Riesen gehört. Sie treiben in den Bergen ihr Unwesen. Sollen aus dem Norden gekommen sein. Aus den Schneebergen… Nun ich schweife ab. Esst und trinkt, soviel wie ihr wollt. Es kostet hier nichts. Ich werde mich um eure Unterkunft kümmern.“ Bevor der Verwalter sich umdrehte, knurrte Heergren ihn an. „Ich will meine Bezahlung, Verwalter!“ Oordrin drehte sich um. „Ja, die sollt ihr haben, aber wisset: Ihr kommt nicht weit damit hier. Wir handeln nicht mit Gold.“ Heergren gab jetzt ein abfälliges Geräusch von sich. „Waah… was ist das für eine Stadt, die Gold verschmäht. Mit Gold kann sich alles kaufen. Jeden und alles. Gold und Reichtum sind Macht.“ Das Lächeln des Verwalters drückte Mitleid aus. Dann antwortete Oordrin: „Viele haben diesen Irrglauben. Doch Gold ist wertlos. Man kann es nicht essen oder trinken. Wenn nichts zum Essen oder zum Trinken da ist? Was macht ihr dann mein Freund?“ Oordrin ließ Heergren zurück, während er sich einer Treppe nach oben zuwendete. Der Nachtzwerg murmelte allerdings weiter Verschmähungen. „Dieser elende Bastard. Gold ist nichts wert?… waah… Gold ist Lohn für harte Arbeit. Wer nicht hart arbeitet oder kämpft, bekommt nichts und geht zu Grunde. Das ist der natürliche Kreislauf der Dinge. Die Tradition unserer Vorväter, die eisern beibehalten werden muss.“
Navigation
[0] Themen-Index
[#] Nächste Seite
[*] Vorherige Sete
Zur normalen Ansicht wechseln