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[AD&D 2.5E] Von Feuer und Düsternis – Erzählungen aus Euborea

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Jenseher:
Der große Schankraum war eingehüllt in eine schummrige Atmosphäre. Durch die geschlossenen Fensterläden drangen hier und dort vereinzelte Lichtstrahlen. Erhellt wurde der Raum jedoch hauptsächlich von milchigen Öllampen. Bargh, Gundaruk und Neire saßen an einem der Tische, nahe des großen Kaminfeuers. Auch Gundaruk hatte mittlerweile sein Essen erhalten und so widmeten sie sich genüsslich dem knusprigen Fleisch. Bargh hatte bereits zwei große Humpen des faden Biers getrunken und einen seiner beiden Teller hastig geleert. Jetzt ließ er sich etwas zurücksinken, verlangsamte seine Ess- und Trinkgeschwindigkeit und ließ ein lautstarkes Rülpsen von sich. Während Bargh sich nicht besonders für die weiteren Gäste zu interessieren schien, blickte sich Neire immer wieder im Raum um und betrachtete die Gesellschaft der drei Bauern sowie den vereinzelt sitzenden älteren Mann. Neire fragte sich, ob alle Bewohner der Oberwelt ein solch tristes und trostloses Leben fristeten. Ob ihre einfältigen Geister nicht in der Lage waren von Größerem zu träumen. Als Gundaruk den fettleibigen Wirt ein weiteres Mal zu ihrem Tisch rief, erhob er zischelnd seine Stimme. „Mensch… seid ihr alle eines kargen Geistes Kinder? Seid ihr Sklaven in diesem Lande?“ Der Wirt, der die vier randvoll gefüllte Bierhumpen auf ihren Tisch gestellt hatte, wollte sich bereits wieder seinem Spieß widmen. Er zuckte auf bei Neires Frage und blickte unterwürfig zu Boden - als wollte er nach einer Antwort suchen. Eine Antwort auf zwei Fragen, von denen er mindestens eine nicht richtig verstand. „Junger Herr, Sklaven sagt ihr? … Nein Sklaven gibt es hier nicht… ähh… vielleicht in den Küstenlanden. Dort gibt es sicher Sklaven. In den Küstenlanden… Sklaven, ja.“ Neire war bereits gelangweilt während er sprach und musste grinsen über die armselige Kreatur, doch Bargh erhob seine tiefe Stimme. „Dann trinken wir auf die freien Menschen von Kusnir, freie Menschen wahrlich…“ Seine Stimme erfüllte den Raum und klang seinem Trinkspruch genehm, doch Neire ahnte den Spott, als er in das Gesicht von Bargh blickte. Weiter kam der Krieger Jiarliraes allerdings nicht. Ein Bauer mittleren Alters hatte sich bereits erhoben, forderte seine beiden Kameraden auf es ihm gleichzutun und erwiderte Barghs Trinkgruß: „Auf die freien Menschen von Kusnir, Freunde! Gesellt euch gerne zu uns, wir machen Platz und die nächste Runde geht auf uns.“

Neire betrachte die drei Bauern und den in sich gesunkenen älteren Mann. Sie hatten ihre Tische am Feuer des Kamins zusammengestellt und der Wirt hatte eine weitere Runde des faden Bieres gebracht. Neire hatte sich bis jetzt zurückgehalten und die vier Fremden mit einer Mischung aus Neugier und latenter Arroganz gemustert. Der mittelalte Bauer hatte sich erneut gehoben und leicht verbeugt, bevor er zu sprechen begann. „Gestattet mir uns euch vorzustellen, edle Herren. Mein Name ist Siguard Einhand, das ist mein jüngerer Bruder Lorkan und der ältere hier heißt Lorn… Ach ja, dann ist da noch der, der das miesepetrige Gesicht zieht. Er ist unser Dorfvorsteher, Kurst.“ Tatsächlich nickte der ältere, korpulente Mann mit dem speckigen Lederwams ihnen zu, als er seinen Namen, Kurst, hörte. Für einen kurzen Moment lang herrschte Schweigen, dann war die zischende Stimme von Neire zu hören. „Es wäre unhöflich, wenn wir uns nicht vorstellen würden… Mensch. Das ist Gundaruk. Er war tot, doch er ist aus dem Grab in das Reich der Lebenden zurückgekehrt. Hier sitzt Bargh, der Drachentöter. Mein Name ist Neire.“ Die Bauern hatten sie - bis auf Kurst - mit bewundernden Augen angestarrt. Sie schienen auf etwas zu warten, als Neire sich zuletzt vorstellte und so fuhr er fort. „Ich diene Heria Maki, sie ist Schatten und bringt das Feuer. Sie belohnt die Rechtschaffenen und bestraft die Frevler.“ Tatsächlich sah Neire, dass Kurst seinen bereits wieder hinabgesunkenen Kopf ein weiteres Mal erhob und irgendetwas in seinen Augen aufblitzte, als er den Namen Heria Maki und die Rechtschaffenen hörte. „Trinken wir auf Heria Maki!“ sprach Bargh, während er versuchte ein Grinsen zu verbergen. Siguard, bereits deutlich lallend, war der erste der reagierte. „Auf Herio Mako! Wir trinken auf sie.“ Jetzt musste auch Neire lachen. Vielleicht ahnen sie es und spüren die Schwäche von Heria Maki. Würden sie so den Namen der Schwertherrscherin in den Mund nehmen, würde ich sie auf diesem Spieß rösten. Neire malte bereits das Bild in seinen Gedanken, wie die Bauern dort bei lebendigem Leibe brennen würden. Doch er mochte sie auch irgendwie. Er mochte ihre trunkene Einfalt. Und sie hatten bereits über Heria Maki gespottet, indem sie ihren Namen fehlerhaft gelallt hatten. Während er noch nachdachte, sprach Siguard bereits weiter. „Ich habe auch große Taten vollbracht, müsset ihr wissen, edle Herren. Ich habe die blauen Teufel gejagt. Bis in ihren Bau. Gejagt und getötet habe ich sie.“ Neire hatte in alten Schriften von blauen Teufeln gehört. Niederträchtige Wesen mit bläulich schimmernder Haut, die in Hügeln und Mittelgebirgen lebten. Sie waren böse und hinterlistig und so glaubte er den Worten von Siguard nicht ganz. „Es ist schon eine Schande, dass jetzt der Bau wieder bewohnt ist.“ Beide Bauern nickten, während Siguard fortfuhr. „Ein übles Wesen hat sich dort eingenistet. Es hat bereits unser Dorf überfallen. Sogar eine ganze Familie wurde getötet. Sogar Frauen und Kinder. Könnt ihr das glauben? Sogar Kinder.“ „Es ist ein Skulk, der in unserem Land sein Unwesen treibt. Diesem Unwesen muss ein Ende bereitet werden. Doch die Söldner, die Krieger sind alle hinfort. Es ist ein Fluch.“ Kurst, der seine tiefe, klare Stimme erhoben hatte, ließ jetzt wieder den Kopf sinken und grübelte weiter. „Wie hoch sind eure Verluste, Kurst. Könnt ihr nicht die Natur um Hilfe bitten?“ Gundaruk, hatte sein Luchsfell von seinem Kopf zurückgezogen und seinen haarlosen großen Schädel offenbart. Er blickte auf Kurst hinab und seine Worte waren fast fordernd. „Wir haben viele Tote zu beklagen. Ich muss gestehen, ich habe sie nicht gezählt. Doch die Natur? Früher gab dort etwas, wie ein Schimmer über dem See, den Feldern und den Hainen… Ehlonna. Sie beschützte das Land und gab uns reiche Ernten. Doch sie ist fort. Nun müssen wir selber zurechtkommen. Es braucht Ritter oder rechtschaffene Krieger hier. Vielleicht könnt ihr uns helfen, ihr dient der rechtschaffenen Göttin des Feuers, ja?“ Neire sah die Verzweiflung im Blick des alten Mannes, doch das erregte kein Mitleid in ihm. Es waren eher die Geheimnisse des Skulks, die ihn reizten. Von dieser Kreatur hatte er nämlich noch nichts gehört. „Wir sind auf der Suche nach Geheimnissen, Mensch. Ich habe die roten, arkanen Runen gesehen, die in eurem Dorf im Holz zu sehen sind,“ antwortete Neire, dessen seltsamer Singsang und Akzentuierung trunkene Blicke auf sich zog. Auch konnte man immer wieder seine gespaltene Zunge sehen, wenn er sie zwischen den Worten über seine weiß glänzenden Zähne gleiten ließ. „Dann könnt ihr also die Zeichen lesen? Es war der Skulk, der sie mit dem Blut seiner Opfer dort hinterließ.“ Die Worte von Kurst, der seinen lethargischen Zustand längst verlassen hatte, klangen verzweifelt und eindringlich. Neire bemerkte, dass der Dorfvorsteher zudem begann zügiger an seinem Bier zu trinken. „Wir können euch helfen, Mensch. Doch Heria Maki benötigt ein Brandopfer. Ihr solltet uns nach getaner Aufgabe belohnen und wir werden dieses Brandopfer verrichten. Grüne Edelsteine, wie Smaragde oder Jade, nehmen wir gerne an.“ Kurst dachte einen Moment nach. „Grüne Edelsteine haben wir leider nicht. Doch wir haben Edelsteine. Ich kann euch aus dem Familienerbe bezahlen. Rubine und sogar ein paar Diamanten.“ Neire blickte zu Bargh und sah, dass sein Begleiter nickte. Auch Gundaruk schien nichts gegen das Vorhaben einzuwenden. „Dann soll es so sein, Mensch. Ihr werdet uns morgen den Weg weisen und wir werden uns der Sache annehmen. Doch lasst uns trinken jetzt! Wirt, bringt uns eine Fiedel oder eine Harfe. Wir wollten singen und feiern!“ Die Bauern begannen zu jubeln und auch Kurst leerte seinen Humpen in einem Zug. Als der Wirt mit neuen Bierhumpen zum Tisch kam und den Besitz einer Fiedel oder Harfe verneinte, hatte Neire bereits mehrere kleine Stücke eines gelblichen Pilzes auf den Tisch fallen lassen. „Und lasst uns das fade Gesöff mit diesem Gewürzpilz aufbessern. Diese Pilze verleihen einem Getränk das gewisse Etwas.“ Zu seiner Überraschung sah Neire, dass Lorkan, der jüngste der Bauern, bereits einen Pilz verschlungen hatte und den Humpen zu mehreren gierigen Schlücken ansetzte. Nur Siguard schien ablehnend gegenüber dem Vorschlag zu sein. „Kommt Siguard oder habt ihr etwa Angst. Selbst euer Dorfältester hier will mit uns anstoßen.“ Tatsächlich nahm auch Gundaruk jetzt einen Pilz, stand auf und blickte auf den zögerlichen Bauern hinab. „Nun gut, dann lasst uns trinken!“ Neire beobachtete belustigt, wie sie gierig das Bier tranken und bereits ein neues forderten. Er würde ihnen schon zeigen wie man richtige Feste feiert. Nach einiger Zeit des trunkenen Austausches – Lorkan konnte fast nicht mehr reden und schwankte im Sitzen – erhob Neire wieder seine Stimme. „Mensch, ihr sagtet ihr habet die blauen Teufel bekämpft. Ihr müsst wahrlich mutig sein. Aber so mutig, dass ihr euch traut ein Spiel mit mir zu spielen?“ Neire hatte auf Siguard gezeigt, bei dem der Alkohol bereits deutliche Wirkung zeigte. „Ein Spiel meint ihr, eh? Natürlich spiele ich ein Spiel mit euch.“ Neire fing an zu grinsen und strich sich seine gold-blonden Locken zurück. Er zog zwei Platinstücke nebelheimer Prägung hervor und legte sie auf den Tisch. Eine leichte Wehmut befiel ihn, als er das Wappen von Nebelheim auf den Münzen glitzern sah; den Chaosstern, der dort in die Andeutung der Menschenschlange des wahren Blutes eingeflochten war. „Es ist ein Spiel zu Ehren der Göttin, Heria Maki. Wenn ihr die Münze länger in der Hand halten könnt, seid ihr der Sieger und dürft die beiden Stücke behalten. Vielmehr noch bestätigt die Göttin eure Rechtschaffenheit mit der Reinheit des Feuers.“ Sie sahen alle, dass Siguard seine Faust auf den Tisch knallen ließ. „Ist das das Spiel? Natürlich werde ich gewinnen.“ Noch während er lachte stand Neire auf, nahm die Münzen und schritt zum Feuer. Er blickte dabei zu Bargh und sah, dass der Krieger ihm zunickte. Neire nahm eine Ascheschaufel und stieß die beiden Platinmünzen vorsichtig unter die Glut der dicken Holzscheite. Er trat zurück und blieb hinter den Tischen stehen. „Erhebet euch für das Spiel, Menschen. Wir werden in Kürze beginnen.“ Tatsächlich erhoben sich die Bauern. Bargh, der jetzt eine Hand auf sein Schwert gelegt hatte stellte sich an den Kamin. Die Flammen schimmerten auf seinem silbernen Plattenpanzer. Neire spürte, dass der Pilz jetzt seine volle Wirkung entfaltete. Wärme raste durch seine Arme und verstärkte die Wirkung des Rausches. Doch nicht in geistes-vernebelnder Form. Die Farben um ihn herum waren nicht mehr so trist. Das Feuer glänzte wie tanzende Schatten und transparente Arme aus Flammen. Die vier Säulen des Raumes hörte er ächzen, die hölzernen Wände flüstern. Auch die Bauern waren wie in einem tiefen Rausch. Kurst torkelte schwankend hin und her und rief abgehackte Worte. Lorkan war bereits an einem Tisch zusammengesunken und Lorn, der sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, sprach Worte des Abschiedes und verschwand. Neire spürte, dass sein Geist sich langsam öffnete. Er trat an das Feuer und beförderte die Platinstücke auf die Schaufel. Sie funkelten glühend wie kleine Sterne und zogen im Rausch lange feurige Fäden mit sich mit. Neire schwankte zu Siguard hinüber und reichte ihm die Schaufel. Nur aus den Augenwinkeln sah er, dass Kurst, in einem Anfall von blindem Wahnsinn, nach einer der brennenden Münzen greifen wolle. Doch er zog die Schaufel rechtzeitig zurück und der alte Mann torkelte ins Leere. Als Siguard zögerte sprach Neire. „Stimmen eure Geschichten, ist euer Heldenmut wahr? Oder seid ihr doch ein Feigling? Ein Feigling, der selbst weit unter eurem Dorfältesten steht.“ Neire deutete dabei in Richtung von Kurst, der in ein paar Stühle gefallen war und gerade versuchte sich aufzurichten. Die Blicke lagen jetzt auf Siguard. Gundaruk stand hinter ihm und Bargh rückte bedrohlich näher. Noch immer zögernd begann der Bauer nach der Münze zu greifen. Auch Neire zog jetzt seine linke, grausam verbrannte Hand hervor. Im letzten Moment realisierte Siguard die Brandwunden an Neires Arm. Doch es war zu spät. Er hatte das glühende Metall bereits ergriffen und es brannte sich zischend in seinen Handballen hinein. Einen Moment lang versuchte er die Münze zu halten, doch der Schmerz war zu groß. Er ließ sie fallen und brach auf die Knie. Neire hielt seine Münze hoch. Sie brannte in seinem Fleisch und er genoss den Schmerz. Er blickte in die Flammen und suchte nach Zeichen. Seine Augen funkelten wie brodelndes, dunkles Magma, als er vor dem Kamin zu tanzen begann. Er sang den Choral einer fremden zischelnden Sprache und Bargh stimmte ein. Der Schankraum um ihn herum versank in einem feurigen Traum aus Licht und Schatten. Zeichen im Feuer sah er nicht, doch er dachte an die Münze und das Wappen von Nebelheim, dass der Bauer nun für immer mit sich herumtragen würde. Eine innere Freude erfüllte ihn als er den Gedanken sponn. Er musste sein eigenes Symbol weben. Es musste die Runen des Chaos tragen und die Dualität weisen. Er dachte an Schatten und Feuer.

Als Gundaruk wach wurde hämmerte sein Kopf. Sie hatten zu dritt in einer kleinen Dachkammer übernachtet, die der Wirt mit improvisierten Strohlagern für sie hergerichtet hatte. Er erinnerte sich nur noch schemenhaft an den letzten Abend. Die Bauern waren einer nach dem anderen im Suff zusammengebrochen und hatten schließlich schlafend auf dem Boden des Schankraumes gelegen. Als Neire seinen Tanz beendet hatte, hatten sie nach dem Nachtlager verlangt und der Wirt hatte den Raum verlassen. Neire war zu den Bauern getreten und hatte Bargh aufgefordert ihm zu helfen sie zu entkleiden. Als die Bauern schließlich nackt dort lagen, hatte Neire sich ein Stück erkaltete Kohle geholt. Er hatte begonnen obszöne Zeichnungen auf die Körper zu malen, die andeuteten, dass die Bauern sich gegenseitig verspottet hätten. Bargh und er hatten immer wieder gelacht und weiter Bier getrunken. Auch Gundaruk hatte die Szene belustigt. Er erinnerte sich an vergangene Abende im Krieg. Als sie nach einer siegreichen Schlacht in den immer noch warmen Ruinen einer abgebrannten Burg gezecht hatten. Die Menschen waren immer zuerst umgefallen, während er der letzte gewesen war. Ja, der Krieg. Er war grausam gewesen, doch er hatte die Abende ausschweifender, die Freundschaften und Gefühle intensiver gemacht. Schließlich war der Wirt zurückgekehrt und hatte gefragt was passiert war. Neire hatte geantwortet. Er hatte erklärt, dass die Menschen die Fassung verloren hätten. Dass ihnen der Alkohol zu Kopf gestiegen sei. So hatte schließlich er, Gundaruk, die nackten Leiber vor die Türe des Gasthauses geschleift. Das ganze Dorf sollte schließlich sehen, was den Zechern widerfahren war. Tatsächlich hatte er irgendwann im Halbschlaf das Lachen und das Applaudieren einer Menge gehört, die sich anscheinend vor dem Gasthaus gesammelt hatte. Gundaruk richtete sich auf und kleidete sich an. Die Luft in der engen Kammer war schlecht und er erinnerte sich schwach an das Ritual der Fackeln, dass das Kind der Flamme am letzten Abend noch durchgeführt hatte. Er raffte seine Sachen zusammen und ging durch das Gasthaus ins Freie. Von den Bauern war keine Spur mehr zu sehen. Die Sonne war bereits aufgestiegen und brach hier und dort durch die Wolken hindurch. Er vernahm den Geruch des Sees und der Felder und zog tief die Luft ein. Er spürte noch immer den Alkohlrausch und die Wirkung des bunten Vierlings. Die Farben waren so intensiv, das Sonnenlicht so lieblich. Es war, als ob seine Sinne geschärft, als ob er immer noch in Tierform verwandelt wäre. Er konnte sogar den Duft von Gras und Kräutern riechen, die an den Rändern der Straße wuchsen. Gundaruk fasste den Gedanken und begann zu suchen. Hier und dort pflückte er Kräuter, als er durch das Dorf schritt. Nach einiger Zeit kam er zum Gasthaus zurück, mit einem Bündel von Pflanzen. Er bemerkte, dass dort Bargh und Neire zu sehen waren, die gerade ihre Pferde sattelten. „Ah, Gundaruk. Da seid ihr.“ Neire winkte ihn heran und er bückte sich unter das Dach des Stalls. Neire trat jetzt näher und begann zu flüstern. „Gundaruk, ich habe die Runen Kraft meiner Göttin untersucht. Eine schwache Magie, doch ich konnte die Bedeutung erahnen. Es ist wie eine Botschaft, wie ein Hilferuf.“ Gundaruk sah Falten auf Neires gerader Stirn. „Die Worte befreit mich und Träger konnte ich entziffern. Vielleicht ist von einem alten Gegenstand die Sprache. Vielleicht von einem alten Fluch, um dessen Träger es hier geht.“ Gundaruk nickte und dachte nach. Auch er hatte von alten Geschichten gehört. Legendäre Gegenstände die in vergangen Zeiten erschaffen wurden. Oftmals hatten sie ihre Träger ins Verderben gestürzt. Geschichten rankten sich nicht nur um ihre Erschaffung, sondern auch um ihre Vernichtung. „Lasst uns erst einmal zu Kurst gehen und ihn nach dem Weg fragen.“ Gundaruk deutete zudem auf die Gräser, die er in beiden Händen trug. „Ich habe außerdem etwas vorbereitet, um ihnen zu helfen. Vielleicht ist ja doch noch ein Teil von Ehlonna hier, der mir antworten wird.“ Er sah jedoch, dass ihn Neire angewidert anschaute, als er den Namen erwähnte. „Die Götter sind schwach Gundaruk… nur die Schwertherrscherin, nur Jiarlirae…“ Gundaruk zuckte mit den Schultern. Er musste es versuchen. Was in der Zeit passiert war, seit er in diesem Grab gelegen hatte? Er musste es selbst herausfinden. Nach kurzer Zeit kamen sie über den Lehmweg zum Steinhaus des Dorfvorstehers. Es war neben dem Gasthaus das zweite Haus aus Stein, dass es in Kusnir gab. Bargh trat hervor und schlug mit seinem gepanzerten Handschuh gegen die hölzerne Eingangstüre. Doch das dumpfe Donnern provozierte keine Reaktion. Ein weiteres Mal, jetzt noch lauter dröhnte der Schlag. „Kurst, alter Säufer! Kommt hervor.“ Nach kurzer Zeit waren tatsächlich Geräusche zu hören und ins Sonnenlicht trat der gezeichnete alte Mann. Noch immer waren die verwischten Symbole der Kohle an seinem von Schlamm besudelten Oberkörper zu sehen. Zudem konnte Kurst anscheinend kaum seinen Hals bewegen. „Was wollt ihr?“ ächzte er mit heiserer Stimme. „Kurst. Weißt uns den Weg zum Bau. Wir werden heute aufbrechen,“ sprach Neire. Sie lauschten den abgehackten Worten des Dorfvorstehers. Als er seine Beschreibung beendete, trat Gundaruk hervor. „Kurst, ich habe Kräuter und Pflanzen gesammelt und werde versuchen eure Göttin anzurufen. Vielleicht wird Ehlonna euch helfen und weitere reiche Ernten schenken.“ Kurst starrte ihn einige Zeit an. „Tut was ihr nicht lassen könnt, Gundaruk. Ich weiß, ihr meint es gut mit uns, doch Hoffnung habe ich nicht.“ Damit trat der Mann in die Schatten zurück uns ließ die Türe hinter sich zufallen. Gundaruk begann mit seinem Speer Kreise in das Gras des kleinen Platzes zu zeichnen. Er verstreute die Kräuter und murmelte die Gebete zu Ehlonna. Neire und Bargh beobachteten ihn wortlos vom Rücken ihrer Pferde. Gundaruk beendete das Ritual, doch er spürte keine Antwort, keine göttliche Resonanz. Er war sich auch nicht sicher ob der Zauber gewirkt hatte. So brachen sie auf und folgten der Beschreibung. Gundaruk ging neben den beiden Pferden her. Nach einiger Zeit gelangten sie an einen Fluss und dann in einen Wald, in dem das Wasser schneller dahinschoß. Das Gurgeln erfüllte die von Vogelstimmen erfüllte Umgebung. Die Sonne stand mittlerweile hoch am bewölkten Himmel und vertrieb langsam die Nässe des gefallenen Regens. Gundaruk sah, dass Neire immer wieder den Wald und die Sonne betrachtete. „Neire, der Wald. Er scheint euch zu gefallen.“ Bemerkte Gundaruk und deutete mit seinem Speer in das schattige Unterholz. „Die Oberwelt ist groß und der Wald ist voller Schatten. Er scheint die Sonne zu verschlucken.“ Gundaruk nickte und antwortete bedacht. „Die Sonne und der Wald. Die Sonne dringt nicht tief hinein, doch der Wald benötigt die Sonne. Fast wie euer Dualismus von Schatten und Feuer. Vielleicht kann ich Ehlonna zurückbringen, vielleicht hat sie dieses Land nur vergessen.“ Gundaruk sah, dass sich die Miene Neires augenblicklich verfinsterte. Die Neugier und Freude in seinem Gesicht waren hinfort. „Ah, dieser Name einer schwachen Kreatur. Vielleicht solltet ihr ein paar Menschen opfern, den Boden mit ihrem Blut tränken und sie dann essen. Vielleicht ist es das, was Ehlonna braucht.“ Gundaruk blickte ausdruckslos in das spottende Gesicht Neires. Es überkam ihn ein seltsames Gefühl, wie ein dunkler Bote. Ein Gefühl, dass er nicht deuten konnte, dass ihn abstieß, aber auch seine Neugier weckte.

Jenseher:
Durch die Baumwipfel drangen Sonnenstrahlen des von Quellwolken überzogenen Himmels. Die Luft war klar und es roch nach nassem Wald. Um sie herum war das Gluckern des Bachlaufs zu hören, der den dichten Wald wie eine Schneise durchzog. Sie hatten mit den Pferden am kleinen Fluss haltgemacht. Die Tiere grasten jetzt dort und tranken das klare Wasser, das aus den nahen bewaldeten Bergen stammen musste. Eine Zeitlang waren sie dem Fluss in die Richtung der Hügel gefolgt, deren rollende Höhen sie immer wieder dunkel über dem Wald hatten aufragen sehen können. Neire zog die Luft ein und betrachte vom Rücken seines Pferdes seine Mitstreiter. Er genoss jeden Moment in der ihm fremden Oberwelt, in der er sich von Tag zu Tag sicherer fühlte. Ab und an war ein Vogel im Unterholz zu hören, mal konnte er Eichhörnchen sehen, die von Baum zu Baum sprangen. Neire blickte einen kurzen Moment zu Bargh. Der Alkohol und die Pilze der gestrigen Nacht hatten das Gesicht des jungen Krieger Jiarliraes gezeichnet. Das linke Auge, das Bargh nicht mit der Binde überdeckt hatte, wirkte glasig. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn und auf seinem von Brandnarben bedeckten, haarlosen Schädel gesammelt. Als ob Bargh seine Gedanken erahnen konnte, drehte sich der einstige Paladin auf seinem Reittier sitzend um und griff in eine der Satteltaschen. Bargh förderte einen von den Weinschläuchen hervor, die sie aus der verlassenen Feste mitgenommen hatten. „Neire, nehmt einen Schluck. Der Wein wird unsere Laune steigen lassen.“ Neire beugte sich zu Bargh hinüber und nahm wortlos den Schlauch entgegen. Auch er spürte eine Leere in seinem Kopf, die immer wieder plagende Gedanken hervorrief. Er trank mehrere Schlücke des würzigen Tranks bevor er in Richtung Gundaruk nickte. „Gundaruk, was ist mit euch? Probiert den Wein aus der verlassenen Feste, er ist wirklich vorzüglich.“ Neire wollte zu Gundaruk hinabreichen, doch der große Krieger verneinte kopfschüttelnd. „Wir sollten uns auf unsere Aufgabe konzentrieren. Ich will klar denken können, um meine Umwelt richtig wahrzunehmen. Ich will auf alle möglichen Ereignisse vorbereitet sein.“ Neire reichte den Schlauch wieder Bargh hinüber, der gierig einige tiefe Züge nahm. „Ahhh… Gundaruk,“ sprach Bargh in abfälligen Worten und wischte sich den an seinem Kinn herunterlaufenden Wein mit seinem Panzerhandschuh hinfort. „Ein paar Schlücke Wein haben auch vor einem Kampf nie geschadet. In einer Kneipenschlägerei, wie auch in einem Gemetzel, kann eine leichte Trunkenheit von Vorteil sein.“ Um seine letzten Worte zu unterstreichen schlug sich Bargh mit dem Handschuh gegen die silberne Brustplatte seines leicht verbeulten Plattenpanzers. Neire spürte jetzt die Wirkung des Alkohols und seine Laune stieg. Er blickte zu Gundaruk, der sich mittlerweile in einen Kniesitz begeben und seine Luchsfellmütze von seinem kahlen Schädel gezogen hatte. „Gundaruk, wie lange wart ihr eigentlich in diesem Grab gefangen? Kann es sein, dass ihr dort das Leben und das Feiern vergessen habt?“ Mit einer Kopfbewegung deutete Neire lächelnd auf den Wein. „Ich weiß es nicht Neire. Sagt, welches Zeitalter, welches Jahr haben wir jetzt?“ Neire war erstaunt von der Ernsthaftigkeit in Gundaruks grünen Augen. Der immer noch ein wenig fremde, große Krieger schien anscheinend wirklich nicht zu wissen, wie lange er dort verbracht hatte. „Es ist das Zeitalter von Ziansassith. Ziansassith, Menschenschlange des wahren Blutes.“ Als Neire den Namen des vergangenen Herrschers von Nebelheim zischelnd aussprach, meinte er für einen Augenblick den Wind in den Wipfeln rascheln. Es war, als wollten ihm die Lichtstrahlen der Sonne einen Weg in die Schatten weisen.

Sie waren eine Weile dem Fluss gefolgt, der sie langsam bergauf führte. Gundaruk war voraus gegangen, während Bargh und Neire ihm auf ihren Pferden folgten. Neire hatte während der Reise erzählt und ihre Umgebung kommentiert. Er – Gundaruk - hatte unweigerlich zuhören müssen. Doch er hatte sich langsam an den Jüngling mit den gold-blonden Locken gewöhnt, der sich selbst Kind der Flamme nannte. Teilen des Gespräches zwischen den beiden hatte er allerdings nicht folgen können. Er hatte bemerkt, dass Bargh und Neire sich immer öfter in einer fremden Sprache unterhielten, die ihn an einen zischelnden Singsang erinnerte. Er hatte bereits vermutet, dass Neire Bargh in einer fremden Lautung unterrichtete. Bargh schien bereits einige Sätze zu beherrschen. Als die Sonne höher stieg, war der Weg am Fluss schließlich steiler geworden. Auch hatten sie mehrere kleinere Stromschnellen umrunden müssen. Schließlich waren sie auf eine große Lichtung gestoßen, die von bewaldeten Hügeln umrundet war. Hier hatten sie abgesattelt und Bargh hatte Spuren entdeckt, die von dem Hügel in ihre Richtung geführt hatten. Die Spuren waren von den Stiefeln von vier Gestalten zu identifizieren gewesen, von denen eine leichter war. Sie hatte weniger tiefe Abdrücke hinterlassen. Auch konnte Bargh feststellen, dass die Spuren wohl relativ frisch waren – weniger als einen Tag alt. Gundaruk dachte einen Moment nach und erinnerte sich an alte Geschichten aus dem Krieg. Vielleicht sind es Späher, die wie wir den Bau erkundschaften. Doch dann müssten doch auch Spuren in diese Richtung führen. Vielleicht haben sie sich aus einer anderen Richtung angeschlichen und sind dann hier am Fluss in Richtung Kusnir weitergereist. Wir sollten jedenfalls auf der Hut sein. In der Ferne, in die Bargh die Richtung der auf sie zukommenden Spuren deutete, hatte Gundaruk das Bollwerk einer Einzäunung gesehen. Ein Wall von angespitzten Baumstämmen ragte vom höheren Teil der Lichtung hervor. Von dort war keine Bewegung zu sehen gewesen. Seine Erfahrung hatte Gundaruk instinktiv handeln lassen. Er hatte Neire mit den Worten „Könnt ihr euch noch an die Krähe vor Kusnir erinnern, Neire?“ angegrinst. Doch mit dröhnendem Kopf und steifem Nacken war der Schmerz der Verwandlung noch unerträglicher gewesen. Zuerst hatte sich alles gedreht, als er sich in der Gestalt der großen schwarzen Krähe in die Lüfte erhob. Doch dann hatten mehr und mehr die Instinkte des Tieres Kontrolle übernommen. Jetzt hob er sich höher und höher. Die Winde und Luftströmungen trugen ihn hinauf. Seine scharfen Augen überblickten die Lichtung, die anscheinend gerodet war. Modernde Baumstämme und Geäst bedeckten den größten Teil des Schlags. Den Fluss sah er von hier oben wie ein glitzerndes Band. Dieser machte eine große Schleife um die Lichtung und verschwand dann im Wald der höheren Hügel. Vorsichtig näherte sich Gundaruk dem primitiven Wall. Er sah dort Speere aufragen, wie die von Wachen. Doch keine Bewegung. Auf der Hügelkuppe war zudem ein kleiner Turm zu erkennen, der als einstöckige Plattform aus Baumstämmen errichtet war. Auch von dort war keine Bewegung zu erkennen. Gundaruk zog langsam einen langen Kreis über den Turm und in Richtung des Flusstals. Dann sah er plötzlich das gähnende schwarze Loch im Hang des Hügels. Unweit des Lochs konnte er zudem eine Bresche im Wall erkennen. Doch auch dort war keine Bewegung zu sehen. So kehrte er wieder zurück. Seine Krähenlaute hallten durch das einsame Tal und kündeten von seiner Ankunft.

Bargh und Neire hatten die Pferde am Rande der Lichtung ein Stück in den Wald geführt. Sie hatten ihnen gut zugesprochen und sie dort zum Grasen zurückgelassen. Daraufhin waren sie zum Fluss zurückgekehrt und hatten auf die Rückkehr der Krähe gewartet. Neire hatte die Zeit genutzt und sich am Fluss gewaschen. Gerade schaute er in das klare, quirlige Wasser hinab, das sein Antlitz immer wieder verzerrte. Der Wein und der Rausch des bunten Vierlings ließen das Sonnenlicht tausendfach brechen. Als ob jede Blase im Wasser ein kleiner funkelnder Stern wäre. Neire war so bewegt von dem Schauspiel, dass er an Nebelheim zurückdachte. Er dachte an Lyriell. Ihr Gesicht vom kostbaren Goldstaub glitzernd erhellt. Die langen roten Haare schimmernd in den Flammen des Festes – gleich einer Corona über ihm aufragend. Er erinnerte sich, wie sie von ihm gegangen war. Wie sie in der Tiefe verschwand. Tränen rollen über Neires Wange und er murmelte ihren Namen. In diesem Moment spürte er den Panzerhandschuh auf seiner Schulter. Er hörte die Stimme Barghs. „Neire, ihr sagtet ich sei wie ein Bruder für euch. Eigentlich geht es mich nichts an. Doch als dieser Bruder frage ich euch. Was bedrückt euch? Wer ist Lyriell?“ Neire blickte zu Bargh auf und seine blauen Augen schimmerten glasig. „Sie war meine erste und einzige Liebe, Bargh. Doch nun ist sie fort. Sie ist in das Reich der Göttin eingekehrt und für immer vereint mit Feuer und Schatten.“ Als Neire sprach, blickte er den gezeichneten Krieger vor ihm an. Er wusste, er lebte im jetzt und Lyriell war weit weg; vielleicht für immer fort. „Bargh. Wir müssen Nebelheim retten. Lyriell war nur der Anfang. Sie öffnete mir die Augen. Der nächste Schritt ist eure Aufgabe und wir müssen zuerst eure Maske herstellen.“ Neire, bemerkte, wie Bargh nickte und ihn mit fanatischem Blick anschaute. „Was immer wir tun müssen Neire, ich bin bereit.“ Neire drehte sich um und ließ seinen Blick über das Tal schweifen. „Also, wo ist diese verdammte Krähe?“ Kaum hatte er die Worte beendet, hörten sie die Schreie des großen Tieres. Sie sahen, dass Gundaruk unweit von ihnen landete und sich qualvoll verwandelte. Als der große Krieger sich schließlich erhob und ihnen von seinem Flug über das Lager berichtete, war Neire hervorgetreten und hatte eine schwarze Feder von seiner Schulter gehoben. Gundaruk hatte dabei auf ihn hinabgeblickt und die Worte „Ihr dürft die Feder behalten Neire“, gesprochen. Neire hatte dabei genickt und an alte Prophezeiungen und Flüche gedacht. Wer sollte schon wissen, welchen Zweck diese Feder einst erfüllen würde. Doch schon hatte Bargh das Wort ergriffen, der voll Tatendrang in Richtung des Walls zeigte. „Lasst uns aufbrechen. Wir werden niedermachen, was sich uns in den Weg stellt. Wir werden sehen, ob dieser Skulk ein würdiges Opfer für Jiarlirae ist.“ Neire nickte, stimmte mit Bargh ein kurzes Gebet an und schloss sich dem einstigen Paladin an. Er freute sich um den Tatendrang von Bargh, der sich in einem urwüchsigen Fanatismus und wallendem Hass seine Bahn brach. Es erinnerte ihn an den Dualismus von Schatten und Feuer – so dachte er an Jiarlirae, seine Schwertherrscherin, Königin von Flammen und Dunkelheit, Dame des aufsteigendes Chaos des Abgrundes.

Bargh hatte sie mit sich gezogen. Er war furchtlos den Hang hinauf und hineinmarschiert in das Erdloch, das sich im Eingangsbereich wie ein gestützter Minengang vor ihnen auftat. Geruch von Nässe und Stein waren ihnen entgegengekommen, wie auch ein Schwall kühlerer Luft. Ein paar Schritte hinab war es dunkel geworden und sie hatten die gehauenen Steinwände aufschimmern sehen können. An einer Kreuzung hatte Neire schließlich ein Geräusch gehört. So hatten sie den Gang zur Rechten sowie den Gang geradeaus nicht weiter beachtet und waren nach links abgebogen. Wenige Schritte in dem Tunnel, hörten sie alle plötzlich ein Krachen. Bargh war in diesem Moment auf ein Brett getreten, das er im schmutzigen Boden nicht gesehen hatte. Die morschen Bohlen brachen und er drohte in die Tiefe zu stürzen. Doch Neire fasste nach ihm und so konnte er sich gerade noch zurückwerfen. Seine Stimme hallte - viel zu laut - durch den Tunnel „Wer auch immer… diese Bastarde… dafür werden sie bezahlen!“ Als sie ihren Weg über die Fallgrube fortsetzten hörte Neire plötzlich ein Geräusch. Sie konnten eine kleine Höhle sehen sowie einen Tunnel, der nach rechts abbog. Das Geräusch schien aus dem Tunnel zur Rechten zu kommen. Doch Bargh war bereits dort hineingeeilt und Gundaruk gefolgt, der jetzt als erster ging. Was nun kam waren Ereignisse, die sich in der Dunkelheit überschlugen. Eine riesenhafte graue Raubkatze sprang aus einem weiteren unterirdischen Raum hervor, der die Größe einer kleinen Halle hatte. Gundaruk torkelte überrascht zurück, doch Bargh und Neire drängten voran. Neire bemerkte sofort eine weitere Kreatur, die am linken Eingang des Gewölbes in den Schatten lauerte. So stieß er zu mit seinem Degen. Bargh wandte sich ebenfalls der in den Schatten lauernden Gestalt zu und ließ sein Langschwert hinabfahren. Der Kampf war kurz und blutig. Zuerst fiel das humanoide Wesen aus dem Schatten – es hatte grobe Gesichtszüge, eine grünlich-graue Haut und Reißzähne. Dann brachten die Angriffe das Riesenpuma zur Strecke. Die Helden keuchten auf und betrachteten das Gewölbe vor ihnen. Neben vielen kleineren Nischen war ein weiterer Ausgang zu sehen. Gegenstände und Einrichtung füllten in einer Unordnung die unterirdische Halle. Wortlos begannen sie ihre Suche. Immer wieder blickten sie in der Dunkelheit nach weiteren Gegnern. Schließlich fand Bargh eine kleine Schatulle, die er sofort öffnete. Hervor kam grünlicher Nebel, der ihn aufhusten ließ. Für einen Moment röchelte er und spuckte ein paar Tropfen Blut. Doch dann weckte das Schimmern von wertvollen Gegenständen seine Aufmerksamkeit. Außerdem war eine vergilbte Karte zu sehen, die sich in der kleinen Truhe befand. Ein näherer Blick auf die Karte offenbarte kleine gekritzelte Runen der normalen Sprache: Villa und Skulk.

Jenseher:
Die Kreatur in der Höhle brüllte in einem hohen Krächzen. Der Schrei ging Neire durch Mark und Bein. Er war mittlerweile zu Bargh und Gundaruk aufgeschlossenen und konnte durch den schmalen Spalt im Stein hindurchsehen. In der Kammer, in der das Wesen in seinen Exkrementen und auf den Knochen seiner Opfer saß, waren sonst keine Ausgänge zu erkennen. Die Kreatur richtete sich auf und drehte sich langsam um. Sie hatte den Unterkörper eines Bären. Der Kopf war von Federn bedeckt und durch einen langen, gefährlichen Schnabel geziert. Neire handelte instinktiv. Er fing an seltsam zischende Laute zu murmeln und zerrieb Schwefel und Fledermausdung in seiner Hand. Als die Kreatur auf sie zu schnellte, warf er die Kugel aus rötlichem Feuer. Eine gewaltige Explosion von Magma erfüllte die Höhle und ließ den Eulenbär für einen Moment aus Neires Blickfeld verschwinden. Er spürte, wie die Flammen in den Tunnel hinausschossen in dem sie standen. Dann hörte Neire einen dumpfen Aufschlag. Als das Feuer sich legte sah er, dass die riesenhafte Kreatur grässlich verbrannt am Boden lag. Sie hatte ihr Leben in den Flammen Jiarliraes ausgehaucht. Neire bückte sich und trat hervor in die noch brennenden Flammen der Felskammer. Einen Moment lang dachte er zurück an die vergangenen Stunden. Sie hatten Höhle um Höhle des Baus untersucht. Ein Wirrwarr von Gängen hatten sie vorgefunden, doch keine weiteren Kreaturen. Schließlich hatten aus einem Gang die Geräusche der in Ketten gelegten Kreatur gehört. Neire fragte sich, wer den Eulenbär wohl versklavt hatte. Er bewegte mit einem seiner Stiefel die schweren Gliedmaßen. Doch er sah keine Symbole an den Ketten. Auch eine Untersuchung des Raumes ergab keine weiteren Ergebnisse. So drehte er sich um und kehrte zu seinen Kameraden zurück. Bargh nickte ihm respektvoll zu und sprach ein Gebet zu Ehren der Göttin. Neire stimmte ein in den zischelnden disharmonischen Choral. Nur kurz hielten sie inne um zu beten. Dann brachen auf und erkundeten weitere Gänge, die unerforscht in der Dunkelheit lagen.

Gundaruk ließ seine Augen über den von Wolken überzogenen Himmel gleiten. Sie waren gerade aus den unterirdischen Sälen des Baus aufgestiegen. Weitere Gänge und Kammern hatten sie entdeckt, doch keine Kreaturen. Ein Tunnel hatte sie am Fluss ins Freie geführt, doch sie waren wieder zurückgekehrt in die Erde und hatten weitergesucht. Schließlich hatten Gundaruks geübte Augen eine geheime Türe entdeckt. Vielleicht war es der Teil seines elfischen Blutes, der ihm dies ermöglicht hatte. Sie hatten die kleine Kammer hinter der Türe durchsucht und einen wertvollen elfischen Tarnumhang gefunden. Neire hatte erzählt von einem solchen Gegenstand schon einmal in alten Legenden gehört zu haben. Als alle Gänge erkundet waren, hatten sie sich entschlossen aufzubrechen und der Karte zu folgen, die sie hier unten gefunden hatten. Gundaruk betrachtete die bewaldeten Hügel und die Felsen. Eine malerische Landschaft, die von der jetzt etwas tiefer stehenden Sonne in ein prachtvolles Licht gehüllt wurde. Das Rauschen des Windes war zu hören und aus der Ferne drang das sanfte Geräusch der Stromschnellen des Flusses. Er nickte Bargh und Neire zu, die hinter ihm aus der Tiefe in die Sonne hervorkamen. Besonders Neire schien das helle Licht nicht zu vertragen und kniff die Augen zu. Bargh hatte bereits die Augenbinde umgelegt und den roten Rubin seines rechten Auges verdeckt. „Also reisen wir der Karte nach, Neire? Zu dem Punkt, wo Villa und Skulk steht?“ Neire blinzelte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Noch immer waren Reste des getrockneten Blutes in seinen gold-blonden Locken zu sehen. Seine Kleidung war hier und da von Schlamm und Spinnweben bedeckt. „Gundaruk, ihr habt euch tapfer geschlagen dort unten. Und eure verborgenen Fähigkeiten das Verdeckte zu erkennen haben sich euch ausgezeichnet.“ Gundaruk wusste nicht genau worauf Neire hinaus wollte und so zögerte er einen Moment. Doch schon fuhr der junge Priester fort. „Wir wissen nicht ob wir den Skulk bereits getötet haben, Gundaruk. Lasst uns zu unseren Pferden zurückkehren und nach der Villa suchen.“ Auch Bargh nickte und zeigte mit seinem rechten Panzerhandschuh in die Richtung des Waldsaumes der unteren Lichtung. So setzten sie sich alle in Bewegung. Gundaruk bemerkte, dass Bargh immer wieder nach Spuren Ausschau hielt und sich für einen Moment niederkniete. Nach kurzer Zeit kamen sie am Waldrand an und fanden dort die Pferde – friedlich grasend. Als Neire ihm ein weiteres Mal den Weinschlauch anbot um auf seine Taten anzustoßen, verneinte er nicht. Der Wein aus der verlassenen Festung hatte tatsächlich einen vorzüglichen Geschmack. Auch verdrängte er die langsam aufkommende Müdigkeit. Sie setzten ihre Wanderung am Fluss fort. Dann wurde langsam das Licht der Sonne weniger und die Schatten länger. Plötzlich hörte Gundaruk ein Knacken im Wald. Wie ein Zweig, der durch Bewegung zerbrochen wurde. Nach seinem warnendem Hinweis sattelten Neire und Bargh augenblicklich ab und ließen die Pferde zurück. Sie drangen in Richtung des Geräusches vor, weg vom Fluss. Zuerst sahen sie nichts, doch im dichteren dunkleren Wald konnten sie die Silhouette einer Gestalt erkennen, die einen Bogen trug. Knöcherne Gesichtszüge, eine gedrungene Stirn und platte Nase sowie spitze Eckzähne ließen eine Ähnlichkeit zu dem Bewohner des Baus erkennen, den sie dort erschlagen hatten. Gundaruk zögerte nicht lange. Er beschwor die Natur zur Bewegung. Jetzt überschlugen sich die Ereignisse. Neire und Bargh bewegten sich auf den Bogenschützen zu. Doch hervor stürmten zwei Krieger, mit Langschwert und Dolch bewaffnet - dem Aussehen nach dem Bogenschützen ähnlich. Doch ihr Fortkommen kam jäh zum Erliegen. Ranken und Wurzeln begannen zu greifen wie dunkle Schatten. Der Wald knackte und raunte. Die Krieger ächzten und schrien. Gundaruk sah, wie eine vierte Gestalt hervortrat. Die ältere Frau war zwar nicht größer als die Krieger, aber fettleibig und häßlich. Warzen bedeckten ihr unförmiges Gesicht und sie hinkte beim Gehen. Ein intensiver Kampf entbrannte. Die Frau beschwor faule Magie und für einen Moment wirkte es, als wolle Bargh der Flucht ergreifen. Doch der heilige Krieger riss sich zusammen. Dann ließ Neire die Macht seiner Göttin Chaos und Verderben über die Kreaturen bringen. Schattenhafte Blitze und Feuerkugeln aus Magma ließen die Körper ihrer Gegner zerplatzen. Gundaruk sah, dass der Junge die Flamme von Chaos und Schatten in seiner Hand hielt. Seine Augen glühten wie Kohlen in der Dunkelheit.

Jenseher:
Neire ließ sich verzweifelt niedersinken. Die Flamme in seiner linken Hand brannte unkontrollierbar hernieder. Er spürte einen ziehenden Schmerz von seinen Herzsteinen im linken Arm ausgehen. Das Gefühl von Ohnmacht breitete sich in ihm aus. Er wagte es nicht sich umzublicken. Barghs verbliebenes lebendes Auge betrachtete ihn forschend. Er spürte, dass sich etwas verändert hatte. Er spürte den Verlust des Feuers. Kälte, die vom Boden aus an ihm hochkroch. Doch er konnte sich nicht erheben; verharrte er doch wie gelähmt. Tränen rannen über seine Wangen. Er versuchte die alten Gebete zu rezitieren, doch sie klangen farblos und falsch. Da war auch etwas, etwas anderes. Die tiefer stehende Sonne drang nicht mehr weit durch den dichten Wald. Nur vereinzelte Strahlen durchbrachen das Dickicht. Alles mischte sich in einem idyllischen Licht aus knorrigen Bäumen und Schatten. Auch das entfernte Rauschen des Flusses verwusch dieses Bild. Neire war sich sicher. Zwischen in Bäumen sah er Thaakaz, die Rune von Nebel und Dunkelheit. Die Rune schmiegte sich gegenüber von Neire und Bargh in ein Tor von Bäumen. Auch Bargh war an diesem Abbild beteiligt. Er stand in der Sonne und brach einen Teil der Strahlen. Einen Moment lang sammelte Neire seine Gedanken. Soll es heißen…? muss ich den Weg des Feuers verlassen? Soll ich den Weg des Schattens wandeln? Es musste so sein. Das Schwinden seiner Fähigkeiten hatte er bis jetzt nicht erlebt. Und ein Zeichen dieser Intensität hatte er nur ein einziges Mal zuvor gesehen. Neire erhob sich langsam. Er spürte den gepanzerten Handschuh von Bargh sanft auf seiner Schulter. Er hörte, dass der gefallene Paladin mit ihm betete. Doch weiter liefen die Tränen an seinen Wangen hinab. Er fühlte sich wieder wie das, was er eigentlich war. Ein fünfzehn Jahre alter, schwacher und unerfahrener Junge. Kaum nahm er Notiz vom siegreichen Ende des Kampfes; er betrachtete nicht die zerkochten und aufgeplatzten Körper seiner Widersacher. Er hatte seine geliebte Flamme verloren und würde nun in den Schatten wandeln.

Gundaruk richtete sich ruckhaft auf. Ein Traum des vergangenen Krieges hatte ihn geplagt. Er hatte auf die Angreifer mit seinem Speer eingestochen, doch sie waren immer näher gerückt. So war der Traum weitergegangen und hatte ihn gequält. Er hatte diese Angewohnheit. Aus den vergangenen Tagen des Krieges. Beim Aufwachen schnell an der Waffe zu sein. Meist nach viel zu kurzem Schlaf. Doch er hatte sich an dieses Leben gewöhnt und es hatte ihm das ein oder andere Mal zu einem taktischen Vorteil verholfen. Doch jetzt spürte er, dass irgendetwas ihn behinderte. Irgendein Ding um ihn herum. In der Nacht brauchten seine grünen Augen eine gewisse Zeit, um die Dunkelheit auch ohne Licht zu durchblickten. Dann sah er das Zelt, das er bei seinem wüsten Aufstehen mit sich gerissen hatte und er erinnerte sich an den letzten Abend. Sie hatten nach dem Kampf die Gegenstände der Kreaturen geplündert und ein kostbares Langschwert sowie einen seltenen Dolch gefunden. Sie waren dann aufgebrochen und hatten nach der Karte navigiert. Die Stimmung von Neire war nach dem Kampf in ewiges Trübsal abgesunken. Der Junge kam ihm auch ängstlicher vor, als zuvor. Und Gundaruk kannte Neire jetzt schon einige Zeit. Als die Sonne hinter den Hügeln verschwand hatte Bargh eine kleine Lichtung erspäht und sie hatten dort ihr Lager aufgeschlagen. Bargh und Neire hatten Wein getrunken. Tatsächlich war Neires Stimmung etwas besser geworden. Doch noch immer hatte er eine tiefe Melancholie ausgestrahlt. Schließlich war Gundaruk in sein Zelt gekrochen und Neire hatte die erste Wache übernommen. Gundaruk riss das Zelt von seinem riesenhaften Leib und blickte sich um. Er war instinktiv mit seinem Speer aufgestanden, den er immer an seiner Seite hatte. An einen Baum gelehnt schlief Bargh, in seinem silbrigen Plattenpanzer. Doch von Neire war keine Spur zu sehen. Hatte der Jüngling sie unbewacht zurückgelassen? Gundaruk kam nicht weiter mit den Gedanken. Von hinten spürte er ein Stechen in seiner Milzgegend und keuchte auf. Doch es war keine Waffe die ihn traf. Eher, als ob ein Kind ihn kitzeln wollte. Als er sich umdrehte sah er tatsächlich schemenhaft Neire in den Schatten stehen. Der Junge hatte sich den elfischen Tarnumhang umgelegt und war kaum von der Umgebung zu unterscheiden. Nur als er seine Kapuze zurückzog und seine gold-blonden Locken offenbarte, erblickte Gundaruk Neires Gesicht. „Ihr solltet nicht so leichtfertig und unachtsam sein, Gundaruk. Die Schatten bergen oft nicht nur Geheimnisse, sondern auch unangenehme Überraschungen!“ „Ah, Neire“, erwiderte Gundaruk. Er hatte sich erschrocken und sogar kampffertig gemacht, doch irgendwie erfreute ihn der kindliche Humor von Neire. Er blickte auf den Lockenschopf hinab und brummte: „Ja, wir werden sehen was euch überraschen wird, Kleiner.“

Sie waren am nächsten Morgen aufgebrochen. Die Nacht war ohne weitere Ereignisse verstrichen. Auch an diesem Tag hatten sie Sonne und Wolken begleitet. Der Weg am Fluß war schließlich steiniger geworden und hatte sie dann zu einem Steilufer geführt. Sie hatten sich für den kleinen Kieselstrand entschieden, der dann immer breiter geworden war. Nach einer Zeit, es war immer noch in den Morgenstunden gewesen, hatten sie in der Ferne einen Leichnam entdeckt. Eine nähere Untersuchung offenbare einen grausam ermordeten Mönch des Gelehrten Gottes Oghma. Die linke Gesichtshälfte war von Krallenspuren zerfetzt und einer seiner Arme endete in einem rot verkrusteten Stumpf. Sie hatten sich dazu entschieden den blutigen Fußspuren zu folgen und waren schließlich an eine Öffnung in der Steilwand gelangt. Zwei Statuen von steinernen Greifen waren zu sehen gewesen. Eine hoch oben in der Wand und eine andere vor einem hölzernen Vorbau. Als sie sich weiter näherten, hatten sich die Statuen in lebende Wesen mit rotglühenden Augen verwandelt. Der Kampf war kurz und intensiv gewesen. Ein Wesen hatte sie im Nahkampf angegriffen, während das andere sie im Sturzflug attackiert hatte. Doch mit vereinten Kräften hatten sie beide Wesen niedergestreckt. Ihr Weg hatte sie dann in die große Öffnung unter dem hölzernen Vorbau geführt. Dahinter offenbarte sich ihnen eine Höhle. Die einstige Wohnhöhle des Mönchs war gänzlich verwüstet. Zudem war der grauenvolle Anblick einer umgekehrt aufgehängten Gestalt zu sehen, deren Haut abgezogen war und deren Gliedmaßen abgetrennt wurden. Noch war kein Fäulnisgeruch vernehmbar. Die Blutspuren sahen frisch aus. Eine Untersuchung des Gemachs offenbarte einen weiteren Ausgang, ein umgestürztes Pult und Schriftzeichen: „Auf der Heide Schwerter machen ihren garstigen Tanz und Sensen auf dem üppigen Feld - Feuer webt einen tödlichen Kranz, doch die Feder allein ist, was im Bann mich hält.“ Sie blickten sich immer wieder hastig um, während sie die Schriftzeichen entzifferten.

Jenseher:
Gundaruk hatte sich am kleinen Feuer niedergekniet, das der junge Priester entzündet hatte. Er hatte eine Zeitlang meditiert. Nun löste sich sein Blick aus der Erstarrung. Er betrachtete den Raum der kleinen Höhle. Sie befanden sich in der Kammer im Stein der Felswand. Das Licht der morgendlichen Sonne drang durch die Öffnung unter dem Vorbau und brach sich im Rauch des Feuers. Der Rauch hatte den penetranten Geruch von Blut verdrängt, der das Gemach zuvor erfüllt hatte. Wie eine Warnung hing dort der Körper der gehäuteten Leiche. Der verstümmelte Mann konnte noch nicht lange tot sein, denn sein Blut tropfte auf den verwüsteten Boden. Doch Gundaruk ließ sich von diesem Anblick nicht ablenken. Er begann einen Singsang alter Worte anzustimmen. Während er die Tropfen von Wasser und den getrockneten Dung den Flammen übergab, leuchteten die Runen des Waffenbandes golden auf. Schließlich stützte er sich auf den Speer und erhob sich. Die Flammen des Feuers kamen ihm plötzlich fern und fremd vor. Der Rauch offenbarte das Gras der Pflanze, die jenseits der Höhle im fortführenden Tunnel wuchs. Neire hatte das Grasgewächs als Dörrkraut identifiziert: Eine Pflanze, die eine niedere Intelligenz besaß und ein instinktives Verhalten aufweisen konnte. Die Grashalme des Dörrkrauts besaßen kleine Nadeln, deren Gift Muskelkrämpfe verursachen konnte. Zudem hatte er von einer Kultivierung des Dörrkrauts in alten Zivilisationen berichtet. Aus den Halmen wurde gar wertvoller Papyrus für Bücher und Schriftrollen hergestellt. Gundaruk wendete sich dem Kraut zu und sprach langsam und bedächtig. „Hört mich an, Dörrkraut. Berichtet mir. Von dem, was sich hier zugetragen hat.“ Für einen kurzen Moment herrschte Stille. Doch dann spürte er die Visionen von Bildern auf ihn einwirken. Wie das Echo eines Chores vieler einzelner Stimmen vermischten sich die Bilder und erzeugten so Unschärfe. Gundaruk erblickte die Höhle in aufgeräumtem Zustand. Dort war ein Mann mittleren Alters zu erkennen, gebeugt über das Pult; Schreibfeder in der Hand. Dann sah er die steinernen Greifen in die Höhle hineinstürmen. Rote Augen leuchteten im Fackellicht und das Gemetzel begann. Die Visionen endeten mit dem Bild der gehäuteten Gestalt, deren Gedärme auf den Boden hinabhingen – der jetzige Zustand. Gundaruk drehte sich um zu Neire. „Die Greifen kamen in die Höhle und haben ihn so zugerichtet.“ Neire nickte und antwortete. „Fragt es nach dem Rätsel, nach Schwertern und Sensen, nach Feuer und der Feder.“ Gundaruk manövrierte seinen Geist ein weiteres Mal in Richtung der Pflanze. „Dörrkraut, was hat die Feder für eine Bedeutung?“ Tatsächlich antwortete die Kreatur mit weiteren Visionen. Er sah die Bilder des Mannes, der die Schreibfeder vor sich hielt und so durch den Tunnel schritt. Das Dörrkraut zog sich zurück, als würde es eine Art Ehrfurcht vor der Feder verspüren. Nachdem Gundaruk Neire und Bargh von der Antwort berichtet hatte, dachten sie über das Rätsel nach. Das Feuer webt einen tödlichen Kranz musste eine Warnung vor dem Entzünden des Dörrkrauts sein. Die Feder schien das Wesen zu bannen und einen Gang durch den Tunnel zu ermöglichen.

„Das Buch ist eine Art Ahnengeschichte. Es berichtet vom Geschlecht der Arthogs, einer Sippe von schwachen Bastarden und Sklaven.“ Neire sprach den Namen mit herablassender Abscheu und hatte den Zusatz selbst hinzugefügt. Sie hatten sich um das Feuer versammelt, nachdem sie mit einer erhobenen Schreibfeder den Tunnel erforscht hatten. Tatsächlich war das Dörrkraut zurückgewichen. Hinter dem Tunnel hatten sie eine kleine Bibliothek entdeckt und eines der Bücher mitgenommen. Jetzt saßen sie um das Feuer und Neire begann die Geschichte des Herrschergeschlechts vorzulesen. Es wurde berichtet von einem Herrschaftssitz. Das Herrenhaus der Arthogs sollte sich am See von Splendow befinden, unweit von Kusnir. Tatsächlich stimmte dieser Hinweis mit der Markierung der Karte zusammen, die sie im Bau gefunden hatten. Das Buch beschrieb auch das Wappen der Familie von Arthog. Es stellte einen Handschuh dar, an dessen Ringfinger sich ein Ring befand. Neire hatte schon einmal von diesem Wappen gehört. Der Handschuh stellte ein magisches Artefakt dar, dass die Familie selbst erschaffen und dann zu ihrem Wappen gemacht hatte. Der Handschuh diente wohl dem Schutze des Fürstentums und war als Wächter benannt. Neire dachte zurück. Er erinnerte sich an die Runen im Blut. Es war von einem Träger die Rede gewesen. Vielleicht hatte dies etwas mit diesem Handschuh zu tun. Das Buch endete schließlich mit der Erwähnung des letzten Herrschers. Er hatte beim Volk kein großes Ansehen genossen und den Familienbesitz in den Küstenlanden verprasst. Mit ihm war das Geschlecht der von Arthogs schließlich untergegangen. Nachdem Neire die letzten Worte gelesen hatte, verließen sie den Ort. Sie brachen in Richtung des Herrenhauses auf, bewegten sich zurück über den Strand und dann schließlich in den Wald hinein. Hier fand Bargh die Spuren der vier Kreaturen, die sie auf dem Weg vom Bau ermordet hatten. Sie entschieden sich den Spuren zu folgen und erreichten schließlich eine Lichtung. Inmitten dieser Lichtung und auf einer Landzunge zum See, sahen sie die Ruinen des Herrenhauses. Es stellte eine Mischung zwischen einer gotischen Kathedrale und einer Wehrburg dar und verfügte über Vorgebäude, die einen kleinen Hof umschlossen. Die Spuren der vier Kreaturen endeten am Ufer und in einiger Entfernung des Herrenhauses. Anscheinend hatten sie sich nicht getraut den inneren Hof aufzusuchen. Vielleicht hatten sie aber auch von hier das Gebäude eine Zeitlang observiert. Langsam und vorsichtig näherten sie sich dem Eingang. Eine steinerne Treppe führte hinauf in den Hof. Neire, in seinem Tarnumhang fast nicht zu erkennen, schlich vor und warf einen Blick in das Innere. Er sah zur rechten Seite zwei monströse Gestalten, die über dem blutigen Leichnam eines menschlichen Opfers verweilten. Beide gingen aufrecht auf Hinterbeinen, doch sie besaßen ein bläuliches Federkleid. Ihre Köpfe jedoch erinnerten an Hirsche und waren von schwarzen Federn bedeckt. Spitze Reißzähne kamen aus ihren blutverschmierten Mäulern und an ihren Köpfen waren verdrehte Hörner zu erkennen. Sie hatten bereits die gesamte Brust ihres Opfers aufgerissen und pickten gerade das Herz heraus. Aus den Schatten heraus hörte Neire die schweren Schritte von Gundaruk und Bargh nahen. Als die Wesen sich umdrehten hatten sie ihn anscheinend nicht erkannt. Der Kampf brach los und die Wesen gingen in einen Sturmangriff über. Neire nutze seine Chance und bewegte sich in den Rücken einer der Kreaturen. Hinterlistig stieß er den Schlangendegen in die Stelle, wo er glaubte das Wesen sei am verwundbarsten. Die gewundene Klinge blitzte auf in der Sonne und drang tief in den Körper ein. Auch Gundaruk stach in diesem Moment mit dem Speer zu und die erste der Kreaturen ging zu Boden. Die zweite Kreatur rangen sie mit vereinten Kräften nieder. So blickten sie sich hastig um, ob der Kampfeslärm weitere Angreifer geweckt hatte. Neire nutze abermals seinen Tarnmantel und verschwand in den Schatten.

Es war nicht besonders warm, doch die Strahlen der Mittagssonne brannten auf ihren Gesichtern. Sie hatten sich der Türe genähert, die den Eingang in den Herrschaftssitz versperrte. Drei große Riegel waren dort zu sehen. Zwei davon trugen noch ein Schloss. Das Schloss des dritten Riegels war entfernt worden – mit einem unguten Ausgang für die diebische Kreatur, die dort noch immer lag. Allerdings musste dies schon vor einer Weile passiert sein, denn von der Gestalt war nur noch ein Skelett übrig. Sie hatten die Räume der Gebäude durchsucht. In einem Haus hatten sie drei Nestlinge der zuvor bekämpften Kreaturen gefunden, die an drei Leichen fraßen. Sie hatten die Nestlinge getötet und kleinere Wertgegenstände bei den Leichen gefunden. Die anderen Häuser waren leer gewesen oder die Einrichtung war vor langer Zeit zerstört worden. Doch Gundaruks elfisches Blut hatte erneut ein geheimes Fach erspäht, was sich in einem Holzbalken im Gebälk befand. Hier hatten sie eine kleine Truhe entdeckt. Nach kurzer Untersuchung hatte Neire auf die Falle hingewiesen, die die Truhe sicherte. Neire hatte die Falle schließlich entschärft und sie hatten einige wertvolle Edelsteine gefunden. Doch jetzt mussten sie in das Innere der Ruine vordringen. Neire blickte ein letztes Mal in die Sonne und zog seinen Tarnmantel enger. Er brachte seine Dietriche hervor und begab sich in den Schatten der Türe. Seine Hände zitterten als er sich den Schlössern näherte.

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