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[AD&D 2.5E] Von Feuer und Düsternis – Erzählungen aus Euborea
Jenseher:
„Dort seht. Die Burg… Das muss die Adlerburg sein.“ Neire ließ für einen Moment die Zügel fallen und zeigte mit seinem rechten Arm auf das imposante Bauwerk, welches das kurvige Tal überragte. Die Wolken waren schon seit den Vormittagsstunden aufgebrochen und jetzt schimmerte die Mittagssonne über einem klaren blauen Himmel. Die faszinierende Bergwelt offenbarte die alte Trutzburg, die sich an den Stein der Felswand klammerte, gar mit ihm verwachsen zu sein schien. Über einem gewaltigen Fundament waren mehrere Ebenen zu sehen. Eine Wehrmauer und Türme. Neire ließ seinen Blick für einen Moment auf dem Bauwerk ruhen, dann musterte er die Söldner Rognar und Wulfgar, die vor ihnen gingen. Die beiden schienen den Fußmarsch am gestrigen Tage gut verkraftet zu haben. Die Unterkühlung, die ihnen in den Morgenstunden anzusehen war, hatten sie durch ihre Bergwanderung hierher überwunden. Nachdem sie Gannwegen am letzten Tag verlassen hatten, waren sie dem Adlerweg gefolgt, der sie entlang des Tales immer höher in die Berge geführt hatte. Schließlich war der Abend hereingebrochen und sie hatten an einer Felswand ihr Lager aufgeschlagen. Am Abend hatte Bargh dann einen Weinschlauch herumgehen lassen. Sie hatten zuerst schweigend getrunken. Doch dann hatten Wulfgar und Rognar einige alte Geschichten erzählt. Besonders Rognar war dem Wein zugeneigt gewesen und war am nächsten Morgen nur schwer wach geworden. Neire hatte in den frühen Stunden mit Bargh zu seiner Göttin gebetet, die er nach außen hin als Heria Maki anpries. Natürlich hatten sie die Verse an die Schwertherrscherin gerichtet. Doch Wulfgar und Rognar schienen sich nicht mit den alten Göttern auszukennen, noch hatten sie daran gedacht mit ihnen zu beten. Nach einigen weiteren Stunden des Fußmarsches hatte sich ihnen dann der Blick auf die Adlerburg eröffnet. „Ja, das ist die Adlerburg. Was sagt ihr dazu, Herr Drachentöter? Ein Bollwerk gegen die Küstenlande.“ Rognar streckte beim Sprechen seine Brust hervor. Sein Stolz um das alte Herzogtum Berghof war so offensichtlich, wie die Falten seines Gesichtes sein fortschreitendes Alter verrieten. Neire blickte zu Bargh, doch der grummelte nur etwas vor sich hin. „Wir sollten vorsichtig sein. Vielleicht befinden sich die Kreaturen, die Gannwegen verwüstet haben in der Burg.“ Sprach Neire und blickte von seinem Pferd zu Rognar hinab. Dieser fing augenblicklich an zu lachen. „Mein Junger Herr… ihr müsst wissen… Die Adlerburg, sie ist uneinnehmbar!“ Wieder war da der Stolz in seinem Gesicht und eine tiefe Zuversicht. Neire nickte und sprach. „Dennoch sollten wir vorsichtig sein. Lasst mich die Burg auskundschaften und wartet hier, was sagt ihr Bargh?“ Als Bargh nickte, sattelte Neire ab und begann den ausgetretenen und abgewetzten Adlerweg entlangzuhuschen. Hinter einer Felsnadel warf er sich den Tarnumhang über und verschmolz mit den Schatten. Obwohl die Sonne hoch stand, waren die Felsen steil. So konnte er immer wieder den notwendigen Schatten finden, in dem er sich sicherer fortbewegte. An einer Gabelung des Weges nahm er die linke Abzweigung, die über Stufen im Felsen zur Burg hinaufführte. Der Weg wandelte sich schnell in einen Stieg und dann in einen Hohlweg, der durch hohe Felsen führte. Schließlich endete der Weg an einem großen Portal aus eisenverstärktem Holz – einem verschlossenen Fallgatter. Vorsichtig schlich Neire näher und konnte in der Wand Schießscharten erkennen. Schon bald vernahm er den hundeartigen Geruch von fauligem, nassen Fell. Hinter den Schießscharten war ein düsterer Burgraum zu sehen, in dem mehrere der Hyänenkreaturen saßen und Wache hielten. Neire ahnte, dass sie hier nicht weiter vordringen konnten. So schlich er den Weg zurück und nahm diesmal die rechte Gabelung. Dieser Weg stellte sich als Fortführung des Adlerwegs heraus, der um den unteren Teil der Burg herumführte. Als er die Steinwände des Fundamentes erreichte, die neben ihm meterhoch aufragen, wurde er wieder vorsichtig. Nicht viel weiter, kam er an eine gewaltige Türe aus massivem Stein. Meterhoch ragten die beiden Türhälften auf. Über der Türe war das Wappen der Arthogs zu sehen: Der Handschuh samt Ring über dem Ringfinger. Neire verweilte nicht lange und schlich weiter. Hinter einer Ecke sah er eine Öffnung. Hier musste sich eine ähnliche Steintüre wie die zuvor gesehene befunden haben, doch die Flügel waren jetzt geöffnet. Langsam näherte er sich. Zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass die Türe eingebrochen war. Spuren von Gewalt waren zu erkennen. Dahinter sah er im Zwielicht eine unterirdische Halle, in deren Ecken Rüstungen schimmerten. Für einen kurzen Moment dachte er an eine Sinnestäuschung, doch er erkannte tatsächlich von den Rüstungen gehaltene Waffen, die wie von Geisterhand in der Luft schweben. Für einen kurzen Moment wurden die Windgeräusche um ihn herum geringer. Er lauschte und konnte aus weiter Ferne Rufe und Schreie durch das Gebäude hallen hören. Wie von einem großen Gelage. Neire hüllte sich tiefer in seinen Tarnmantel. Er hatte genug gesehen und gehört. Er drehte sich um und begab sich auf den Rückweg zu seinen Kameraden.
Wieso hatten sie sich nur auf diesen Auftrag eingelassen. Ja, Kurst hatte sie reichlich in Münzen bezahlt, doch darauf hätte er jetzt gut verzichten können. Er wollte kein Held sein, dafür war er bereits viel zu alt. Sollten doch andere die Drecksarbeit machen. In Gannwegen war es eine Situation auf Leben oder Tod gewesen. Der Drachentöter, wie er von dem seltsamen Jungen genannt wurde, hatte ihnen mit dem Tode gedroht, sollten sie sich ihm nicht anschließen. Und so hatten er und Wulfgar zähneknirschend eingewilligt. Obwohl sie der Jüngling fortlaufend als Sklaven der Münze beleidigte hatte. Nun hatte sich jedoch alles geändert. Nachdem sie eine Zeit auf Neire gewartet hatten, hatte sie der junge Priester zur Burg geführt. Sie waren alle so gut es ging geschlichen und hatten sich hier und dort im Schutze der Felsen getarnt. Als er den zerstörten Eingang gesehen hatte, war eine uralte Sicherheit gebrochen, ein tiefer Stolz gewichen. Die Adlerburg kannte er noch aus Kindermärchen. Ihre Uneinnehmbarkeit war für ihn ein Zeichen der Überlegenheit des Herzogtums von Berghof gewesen. Rognar spürte, dass er am ganzen Körper zitterte. Doch an eine Flucht war nicht zu denken. Er blickte zurück in den Saal mit den animierten Rüstungen. Sie hatten sich bis jetzt nicht bewegt. Vor ihm hörte die verhasste, zischelnde Stimme aus der Dunkelheit. Diesen fremden Akzent hatte er noch nie gehört. „Folgt mir durch den Gang. Entzündet eine Fackel. Ich habe eine geheime Treppe nach oben entdeckt.“
Neire ließ seine Mitstreiter in der Dunkelheit der Wendeltreppe zurück. Er hatte ihnen zugeflüstert ihre Fackel auszulöschen, da er Geräusche gehört hatte. Er näherte sich vorsichtig dem kehligen Schnarchen, das er von oben vernahm. Auch die Schreie und Rufe des Gelages wurden jetzt lauter. Irgendwann erreichte er eine Türe. Die Wendeltreppe ging weiter nach oben. Hinter der Türe hörte er die Geräusche. Leise öffnete er das kleinere hölzerne Portal. Dahinter war ein unregelmäßig geformter Burgraum zu erkennen. Licht drang durch Schießscharten und erhellte das Gewölbe kaum. Der Gestank, der ihm entgegenkam, war kaum auszuhalten. Neben Schweiß und verrottetem Fell, roch er Alkohol. Zudem konnte er erkennen woher das Schnarchen kam. Auf hölzernen Pritschen lag ein halbes Dutzend der Hyänenkreaturen. Fellige Humanoide mit einem furchterregenden tierischen Kopf. Sie alle schienen hier ihren Rausch auszuschlafen. Hinter einer weiteren Türe hörte er das Gelage. Neires Herz begann augenblicklich zu pochen, als er mit gezogenem Degen Schritt für Schritt durch den Raum machte. Zuerst verriegelte er leise die zweite Türe. Dann postierte er sich vor dem ersten der Wesen. Einen kurzen Moment dachte er an Lyriell und ihre Geschichten aus den Eishöhlen. Dann verwarf er die Gedanken. Er beruhigte seine zitternde Hand. Er musste handeln, jetzt war die Gelegenheit. Für euch sollte es ein Fest gewesen sein, ein Fest ohne böses Erwachen. Er visierte das Herz des ersten Wesens an. In dem Moment als er zustach legte er die Hand auf das Maul der Kreatur. Wie in einem Traum, wie in einer Zeitlupe nahm er seine Umgebung wahr. Tief hatte sich der Degen hineingebohrt. Warmes Blut sprudelte in Strömen hervor. Er musste das Herz getroffen haben. Die Gestalt zuckte noch und versuchte nach Luft zu schnappen. Doch schon wurden ihre Bewegungen geringer. Neire dachte an seine Göttin. Die Angst und das Adrenalin hatten sich zu einem Kampfesrausch gewandelt. Seine Bewegungen wurden mechanisch. Er schlich sich zum nächsten Wesen. Erneut setzte er den Degen an. Rigoros und unmissverständlich war der Imperativ des Mordens. Blut sprudelte auf, als er den Hals des Wesens durchschnitt. Wieder und wieder setzte er zum tödlichen Stich an. Bis die letzte der Kreaturen ihr Leben aushauchte. Er jetzt bemerkte er das Blut durch das er watete. Es bedeckte bereits einen großen Teil des Bodens. Neire betrachtete sein Werk und das Zwielicht durch das er wandelte. Seine Göttin musste ihn jetzt sehen, denn er war eins mit den Schatten.
Jenseher:
Er stand im zwielichtigen Raum und lächelte sie an. Bargh spürte, dass ihre Mitstreiter Rognar und Wulfgar mit ihren Ängsten und Ekeln zu kämpfen hatten. Er befürchtete, dass sie von dem sich offenbarenden Bild überwältigt wurden. Vor ihnen stand der lächelnde Neire in einer Lache von Blut, die den gesamten Boden des irregulär geformten Burggemachs bedeckte. Er hatte anscheinend die betrunkenen Hyänenkreaturen im Schlaf ermordet. Als Rognar und Wulfgar die Stirn runzelten, zuckte Neire mit den Schultern und schüttelte sein blutbespritztes, gold-blondes Haar. Es hatte den Anschein, als ob er niemals einer anderen Kreatur ein Haar krümmen konnte. Doch Bargh wusste um Neires Fähigkeiten der Schatten und er war stolz auf das, was sie erreicht hatten. Bargh sah, dass Neire den Finger auf den Mund legte und flüsterte. „Folgt mir und haltet eure Schwerter bereit. Hinter der Türe halten sie sich auf.“ Erst jetzt bemerkt Bargh den Geruch von Schweiß und nassem, verrottetem Fell, der in diesem Gemach lag. Dieser Geruch wurde nur von dem schweren Hauch von Alkohol und Blut überdeckt, der sich kürzlich über dem Raum ausgebreitet hatte. Als Neire zur ungeöffneten Ausgangstüre trat, hob Bargh sein Schwert. Auch er hörte jetzt die gedämpften Geräusche des Gelages durch die Pforte dringen. Neire trat zu Türe und begann diese vorsichtig zu öffnen. Bargh betrachtete Rognar und Wulfgar in diesem Moment genau. Er würde jeden Moment von Feigheit mit dem Tode bestrafen. Zwar hatte er in der Vergangenheit keine Hinrichtungen vollführt, doch nach den jüngsten Ereignissen fühlte er eine Art inneren, schwelenden Hass, der ihn dazu befähigen würde. Neire öffnete die Türe vollständig lautlos. Dahinter offenbarte sich ihm der Blick auf ein Gelage. Der Gestank von Schweiß, nassem Tierfell und Alkohol strömte ihm entgegen. Mehr als ein Dutzend der großen muskulösen Humanoiden mit dem Hyänenkopf saßen in einem weiten Saal der Burg. Die Bänke und Tische waren um einen großen Kessel angeordnet, dessen röhrenförmiger Auslass über einem Eisengitter im Boden endete. Der Lärm, den die Kreaturen machten, war ohrenbetäubend. Neben einem Brüllen war hier und dort tiefes oder höheres Bellen zu hören. Nachdem Bargh die Worte zum Angriff erhoben hatte, stürmten Rognar und Wulfgar voran. Er folgte und spürte das Adrenalin, das in ihm das Feuer des Kampfrausches entfachte. Neire hatte er für den Moment aus den Augen verloren. Bargh ließ sein Schwert auf die Gestalt hinuntersausen, die sich ihm entgegenstelle. Er sah Blut aufspritzen, doch das Hyänenwesen drang weiter auf ihn ein. Einige der Kreaturen schienen überrascht zu sein von ihrem plötzlichen Angriff. Andere griffen bereits nach ihren Äxten und sprangen heran. Er wurde jetzt von mehreren der Bestien bedrängt. Aus den Augenwinkeln sah er die Klinge, die sich plötzlich durch die Brust des Anführers bohrte, der am anderen Ende der Tische saß. Das musste Neires Werk sein, dachte er sich. Doch er hatte keine Zeit weitere Gedanken zu fassen. Kaum spürte er den Schmerz der Axt, die ihn durch seine Rüstung in die Seite schnitt. Der Kampf wurde jetzt zu einem Getümmel, in dem er in alle Richtungen um sich schlug. Hier brachte er eine weitere der Kreaturen zu Fall. Immer wieder krachten die Äxte der Hyänenwesen gegen seine Rüstung. Er war in einem wilden Kampfrausch verfallen, der ihn den Gestank und die kleinen Verletzungen vergessen ließ. Um ihn herum lagen bereits die Leichname mehrerer Kreaturen, als plötzlich die Türe aufging und weitere Wesen in den Raum stürmten. Sie umringten ihn, schlugen mit ihren Äxten zu. Dann sah er den blutigen Stahl von Neires Degen den Rücken einer der Kreaturen durchdringen. Gemeinsam kämpften sie gegen die Übermacht und um ihr Leben.
Neire schlich sich weiter durch die Gänge der Adlerburg. Bargh und er hatten nach dem Kampf gegen die Hyänenwesen ihre Wunden verbunden und danach die Burghalle abgesucht. Neire selbst war unverletzt geblieben. In den Schatten seines elfischen Mantels hatten ihn die Wesen zumeist nicht sehen können. Doch Bargh, Rognar und auch Wulfgar hatten einige tiefe Schnitte der Äxte zu beklagen gehabt. Sie hatten bei den Kreaturen einige Goldstücke gefunden, die Bargh mit lobenden Worten des Heldenmutes an Rognar und Wulfgar übergeben hatte. Besonders Wulfgar schien an den Worten Gefallen gefunden zu haben. Danach hatte sie Neire zurückgelassen und hatte zunächst die Treppe nach unten erkundschaftet, die aus einem weiteren Erker dieser Halle hinabführte. Weiter unten hatte er einen Verteidigungsraum gefunden, in dem wohl die Flüssigkeit aus dem Kessel abgeleitet werden konnte sowie einen Ausgang auf die Verteidigungsanlagen. Danach war er zurückgekehrt und hatte sich der Türe gewidmet, aus der sie von den weiteren Kreaturen angegriffen wurden. Dort hatte er einen Wachraum, das geschlossene Eingangsgatter und einen unterirdischen Pferdestall gefunden, in dem sich noch drei abgemagerte Tiere befanden. Jetzt schlich er gerade die enge Wendeltreppe hinauf; der einzige noch verbleibende unerforschte Teil des Schlosses. Er hatte Bargh, Rognar und Wulfgar angewiesen ihm nach kurzer Zeit zu folgen. Von weiter oben hatte er zwar leise, aber klar die Geräusche von gutturalen Stimmen gehört. Schließlich kam er an eine Türe, die in die Wand der rechten Seite eingelassen war. Die Wendeltreppe führte weiter hinauf. Neire hielt kurz die Luft an und lauschte an der Türe. Klar konnte er die Atemgeräusche und ein Geifern von hinter der Türe hören. Einen kurzen Moment dachte er nach. Sein Herz pochte und er verspürte eine Furcht. Doch er wusste auch um seine neuen Fähigkeiten und die Schatten, die seine Göttin von ihm forderte. So stieß er langsam und möglichst leise die Türe auf. Für einen Moment hörte er Schritte und Rufe eines Angriffs. Doch dann war die höhere bellende, fast kreischende Stimme, die die Kreaturen anwies. Er drückte sich in die Schatten und wartete auf seine Mitstreiter.
Wulfgar hatte die Worte des Drachentöters nicht vergessen, als er die Treppe hochging. Er, ein Held von Berghof? Der Gedanke füllte ihn mit Stolz. Er spürte die Unsicherheit bei seinem alten Mentor Rognar, doch er ließ sich davon nicht abringen. Er musste sich jetzt als Held seines Volkes beweisen. Es ging nur Vorwärts, niemals mehr Rückwärts. Als er in den Raum blickte, dessen Türe geöffnet war, sah er die Hyänenkreaturen. Es war als ob sie auf sie warteten. Hinter den Kreaturen konnte er eine weibliche Gestalt sehen, die in einer Hand einen Stecken und in der anderen Hand eine brennende Pfeife trug. Er wusste, dass es jetzt um Leben und Tod ging und so stürzte er sich in den Kampf. Die Kreaturen kamen auf ihn zu und er fühlte die Wunden der Äxte. Neben ihm kämpften Rognar und Bargh. Das letzte was er sah war der Degen, der sich von hinten durch das Herz der Hexe bohrte.
Jenseher:
Bargh keuchte schwer. Er fühlte sich so an, als würde sein Brustkorb jeden Moment zerbersten. Zudem konnte er kaum atmen, da die Luft von dem beißenden Gestank des Pfeifenrauches der Hexe erfüllt war. Nur langsam hob er den Kopf und blickte sich um. Teils strömte noch pulsierend das Blut aus den Wunden der getöteten Hyänenwesen. Die Unordnung, die in dem ansonsten einladenden Speisegemach der Burg geherrscht hatte, wurde nach ihrem Kampf durch die Leichen verstärkt. Neire und er hatten die Wunden von Wulfgar bereits hastig verbunden, um ein Ausbluten des jungen Kriegers zu verhindern. Wulfgars Kopf lag in einer Lache von Blut, die auch seine langen blonden Haare durchnässt hatte. „Er wird nicht aufwachen, nicht in der nächsten Zeit.“ Die zischenden Worte Neires hörte Bargh hinter sich. Als er sich langsam umdrehte, sah er, dass der jugendliche Priester zu Rognar getreten war und auf ihn einredete. Neire hatte seinen Tarnmantel zurückgelegt und zeigte ein sorgsames Gesicht. Rognar schien jedoch kaum zu reagieren. Er hielt immer noch sein Schwert hoch und suchte nach weiteren Angreifern. In Anbetracht der Lage, stand er anscheinend unter einer Art Schock. Er sah, dass Neire mit den Schultern zuckte und sich ihm näherte. „Ich werde mich weiter umschauen Bargh, ich befürchte, dass uns noch weitere dieser Kreaturen angreifen werden. Bleibt ihr hier und werft einen Blick auf Rognar.“ Bargh nickte langsam und raffte sich mühevoll auf. Die kurze Anstrengung und die Wärme des Raumes, die von dem Kochfeuer im Kamin ausging, hatten ihm den Schweiß in die Augen getrieben. Auch spürte er die Panzerplatten seiner Rüstung gegen die Wunden drücken, wobei in letztere der Schweiß hineinlief. Schließlich näherte er sich Rognar, der jetzt in Richtung Kamin gegangen war. Der Gestank des Pfeifenrauches verzog sich langsam und der Geruch der köchelnden Suppe war zu vernehmen. „Rognar, reißt euch zusammen. Es werden nicht die letzten Kreaturen gewesen sein und das ist ein Befehl! So ist das im Krieg. Entweder sie oder wir. Menschen sterben…“ Bargh sah, dass der Söldner kurz aufzuckte. Dann glitt sein wirrer Blick wieder in die Schatten des Gemaches. Bargh packte Rognar und rammte ihn unsanft gegen die Wand. Er spürte den älteren Mann am ganzen Körper zittern. „Verdammt nochmal reißt euch zusammen und kümmert euch um euren Kameraden. Kümmert euch um Wulfgar.“ Erst als Bargh ihn bedrohlich schüttelte reagierte der verletzte Krieger. „Wulfgar, was… wo?“ Bargh ließ von ihm ab. Als Rognar seinen Kameraden sah, schritt er zu ihm und kniete sich auf den Hyänenleichen nieder. „Ach Wulfgar, ihr… ihr wolltet ja nicht hören. Das passiert nämlich, wenn man den Helden spielen will.“ Bargh lachte auf und er erinnerte sich an alte Gedanken und Lehren, die in seinem Gedächtnis auftauchten. „Hah, solches Geweine nenne ich Feigheit. Ihr könnt hier glorreich sterben und eure Namen werden auf ewig in Berghof einen gewissen Klang haben. Am Ende zählt nur der Tatenruhm.“ Bargh trat mit gezogenem Schwert hinter den Söldner. Rognar beachtete ihn allerdings nicht und schluchzte weiter. „Was bringt es mir hier tot zu liegen, was ist schon mein Name wert. Ich will leben…“ Angewidert von den Worten hob Bargh sein Schwert. Er hat der Göttin gefrevelt. Auch wenn es die falsche war. Er hat keine Ehre, keinen Drang nach Großem. Ein Opfer für Jiarlirae sollte er sein. Bargh hatte bereits sein Schwert zum köpfenden Schlag erhoben, da hörte er abermals die Stimme von Neire. „Bargh hierher; ich habe etwas entdeckt. Eine Kammer mit Leichen.“ Er ließ sein Schwert sinken und schritt um die Leichen der getöteten Kreaturen herum. Als er Neire erreichte, flüsterte der Jüngling in sein Ohr. „Bargh, einer von ihnen ist noch am Leben. Es ist ein heiliger Krieger, Diener von Torm. Sein Name ist Akran.“ Augenblicklich waren da die Erinnerungen an sein altes Leben. An einen seiner früheren Lehrmeister: Akran. Oh wie er ihn schon damals gehasst hatte. Ja, da war die Sache mit dem Übungskampf gewesen. Einem Mitschüler hatte er damals den Kiefer gebrochen und mehrere Zähne ausgeschlagen. Daraufhin hatten ihn die anderen Schüler versucht zurechtzuweisen. Doch er hatte auch sie angegriffen. Er gegen drei. Es hatte keine Toten gegeben, doch er hatte sie schwer verletzt. Akran hatte ihn danach gezüchtigt und mehrere Tage in das Hungerverlies gesteckt. Konnte es sein, Akran hier? Bargh stürzte an Neire vorbei auf die kleine Zelle zu, die sich in dem Gang auftat, der aus diesem Saal hinfort führte. Es kam ihm der Gestank von Fäkalien, Erbrochenem und Eiter entgegen. In der Zelle saßen, wie zusammengepfercht, mehrere nackte und schwer verletzte – wenn nicht gar bereits tote – Gestalten. Sie waren mit Ketten an die Wände gefesselt. Die Gestalt die noch atmete erkannte er sofort als Akran. Doch jetzt war sein alter Lehrmeister von kleinen eiternden Wunden übersäht, sein Gesicht zur Unkenntlichkeit angeschwollen. An der rechten Hand waren nur noch drei Finger und an der linken Hand nur noch ein Finger zu sehen. Die fehlenden Finger waren abgehackt oder ausgerissen worden. Zudem hatte er eine Nadel durch die Backe getrieben, von der ein langer Faden hinabhing. Bargh kochte innerlich. Auf diesen Moment hatte er eine lange Zeit gewartet. Doch er spürte auch eine Art weit entferntes Mitleid für seinen alten Lehrermeister. Er suchte eine einigermaßen trockene Stelle auf dem von Fäkalien bedeckten Boden und kniete sich nieder.
Neire hatte bereits das von Blut besudelte Stück Pergament gelesen, das mit dem Garn an das Fleisch von Akrans Gesicht genäht gewesen war. Er hatte dies vorsichtig und leise entfernt, so dass der heilige Krieger nichts davon mitbekommen hatte. Dann hatte er das Siegel aus Wachs studiert und die Runen entziffert. Es hatte sich wie ein Befehl gelesen:
„Hiermit entsende ich den ehrenwerten Krieger Akran, der angewiesen worden ist Rechtschaffenheit, Kampfeswillen und Ehre in die Adlerfeste zu tragen und diese vor Unholden zu schützen. Ihm wird auferlegt sich der Gerichtbarkeit der Besatzung der Burg zu unterwerfen, solange es der Auftrag erfordert. Ferner wird ihm zugetragen, mit dem Schwert der Reinheit über Fäulnis und Verderbtheit zu richten. Er möge die Macht und den Mut unseres hohen Herrn Torm in die alten Hallen zurückbringen. Es spricht, Luzius der Ungebrochene, Oberster Herr des Tempels der Ehre.“
Neire war bereits angewidert gewesen, als er den Text gelesen hatte. Er hatte keinerlei Mitleid gespürt mit der geschundenen Gestalt, die, einem schwachen Gott dienend, sich selbst in dieses Schicksal manövriert hatte. Doch dann hatte er sich entschieden Bargh von dem heiligen Krieger zu berichten. Gemeinsam wollte er eine Entscheidung über ihr weiteres Vorgehen treffen. Doch dazu war es nicht gekommen. Bargh war an ihm vorbeigestürzt und Neire war ihm gefolgt. Jetzt blickte Neire in die kleine Kammer voller nackter, verstümmelter Leichen. Bargh hatte sich mittlerweile über Akran gebeugt und begann zu sprechen. Neire bemerkte, dass sein Begleiter die Spitze seines Schwertes am unteren Rippenbogen von Akran platziert hatte. Neire verfiel in Gedanken als er dem Gespräch lauschte.
Jenseher:
Es war das erste Jahr nach meiner Flucht aus Nebelheim, als ich durch die seltsamen Lande der Oberwelt ritt. Die einst schwache Seele ward wiedergeboren. Er war mir wie ein Bruder geworden. Stark im Glanz Jiarliraes, glorreich im Ruhm seiner Taten. Doch er blickte zurück in die Schatten seiner Vergangenheit, die bis jetzt ein für ihn undurchdringbares Geheimnis bedeuteten. In ihm loderte ein Feuer, das er als Fackel des Hasses vor sich hertrug. Ich lauschte den Worten, die sie sprachen, als er den verlorenen Ritter traf:
Bargh: „Akran, wacht auf. Was zum Teufel hat euch in diese Lage gebracht?“
Akran: „Ahhhh… mein einstiger Schüler, kann es sein? Oder ist das eine weitere Illusion von euch Bastarden?“
Bargh: „Wagt es nicht meinen alten Namen zu sprechen. Ihr habt euren Pfad gewählt und er führt euch in Leid und Verderben. Ich bin jetzt Bargh, der Drachentöter und ich diene der größten unter allen Göttern. Jiarlirae ist mehr als Feuer und Schatten, mehr als die Summe aller Teile!“
Akran: „Haha, der kleine Säufer mit dem schwachen Geist. Ich wusste, dass ihr euch abwenden werdet. Dass ihr dem wahren Torm nicht würdig seid, war abzusehen. Ich hätte euch weiter züchtigen sollen.“
Bargh: „Einen Teufel hättet ihr sollen. Ich bin in die Hölle hinabgestiegen und ich bin wiedergeboren worden. Ich habe die wahre Macht gesehen, für die ich bestimmt bin, zu dienen… Doch eine Gelegenheit will ich euch geben Akran. Wendet euch ihr zu, Jiarlirae. Wendet euch ihr zu und erkennet ihre wahre Macht. Verpfändet eure Seele an Feuer und Schatten.“
Akran (lacht… versucht dann zu spucken): „Ein kleiner feiger Säufer wart ihr und der werdet ihr auch bleiben.“
Bargh (dreht Gesicht von Akran mit Panzerhandschuh zur Seite): „Dann sollt ihr ihn nicht mehr erleben, unseren glorreichen Ritt. Wir werden reiten und der Krieg wird toben – wir werden reiten und du wirst sterben. Wir werden reiten durch die verglimmende Asche dieser Welt.“ (Bargh stößt die Klinge unter dem Rippenbogen Richtung Herz. Ein Aufseufzen ist von Akran zu hören).
Wulfgar zitterte am ganzen Körper als er nach vorne stürmte. Seine tiefe Wunde an der Seite drohte wieder aufzubrechen. Sie hatten mehrere Tage in einem verlassenen Wachturm der Burg verbracht. Eine Zeit in der sie sich von den Vorräten ernährt hatten, die sie hier gefunden hatten. Bargh und Neire hatten sich immer wieder um seine Wunden gekümmert, hatten seine Verbände erneuert. An die ersten zwei Tage konnte sich Wulfgar kaum erinnern. Am ersten Tag hatte er wohl in einem Koma gelegen. Am zweiten Tag hatte er hauptsächlich geschlafen. Doch die Wunden hatten sich nicht entzündet und so waren sie wieder aufgebrochen, die oberen Gemächer der Burg zu erforschen. Zuerst schienen die Gemächer wie verlassen gewesen zu sein. Doch dann waren sie auf den Saal des einstigen Anführers der Burg gestoßen. Dort hatten sie eine menschengroße Gestalt an einem Schreibtisch gesehen, die schwärzliche Augen, Reißzähne und einen wulstigen Schädel hatte. Dunkles schütteres Haar fiel ihr bis über die Schultern. Die muskulöse Kreatur hatte einen Handschuh an einer ihrer Hände getragen, der von Metallplatten besetzt war. Doch anstatt sich dem Kampf zu stellen hatte die Kreatur einen schwarzen Edelstein zertrümmert und „Fahre zur Eins!“ gemurmelt. Dann hatte sie sich mit dem Juwelenstaub in Nichts aufgelöst. In diesem Moment hatten sie das gutturale Schreien und mächtige Schritte aus dem Raum gehört. Eine fast drei Schritt große Kreatur kam ihnen entgegen. Fettleibig und muskelbepackt. Unter einem übergeworfenen gelblichen Fell war dunkle Körperbehaarung zu sehen. Aus einem runden Schädel funkelten zwei schwarze Augen voller Hass – aus dem Hauer-besetzten Maul geiferte die Kreatur lange Fäden von Sabber. Als der Kampfschrei des Drachentöters den Raum durchdrang reagierte er mechanisch. Doch Bargh stürmte bereits auf die Gestalt zu, bevor er reagieren konnte. In diesem Moment sah er einen Degen von hinten durch den Wanst des Monsters dringen. Blut sprudelte auf. Fast im gleichen Moment trafen zwei Hiebe von Bargh die Kreatur. Der erste durchschnitt die Haut der Seite, doch der zweite traf eine Halsschlagader. Unter einem Aufsprudeln von Blut brach das, was Wulfgar aus alten Legenden als Oger kannte, zuckend zusammen.
Jenseher:
Es war Ruhe eingekehrt in den oberen Gemächern der Burg. Neire, dem das Blut noch immer in den Ohren pulsierte, hielt zitternd seinen rot verschmierten Degen und blickte sich um. So gut es ging lauschte er nach weiteren Zeichen von Angreifern. Doch aus dem nobel eingerichteten Saal des einstigen Obersten der Adlerburg hörte er nur das Rauschen des stärker gewordenen Windes, der sich an den Schießscharten brach. Er stieg hinweg über den riesenhaften Leichnam des Unholdes und begann das Gemach zu betrachten. Wunderschöne gestickte Wandteppiche, die stilisierte Jagdszenen darstellten, bedeckten die Wände. Im schwachen Licht war ein verzierter Schreibtisch zu sehen, der sich in einer Ecke des Raumes befand. Neire bewegte sich auf das edle Möbelstück zu und begann dieses zu untersuchen. Als er keine Fallen finden konnte, öffnete er die unverschlossenen Schubladen. Neben einigen Schätzen fand er zwei leichte Schreibfedern und ein altes Buch, dem er augenblicklich seine Aufmerksamkeit widmete. Wie aus der Ferne vernahm er jetzt die Stimmen von Bargh, Wulfgar und Rognar, die sich über die Rüstungen berieten, die sie hier entdeckt hatten. Er vertiefte sich in das Pergament. So konnte er schon bald feststellen, dass es sich um eine Anleitung für ein magisches Gefängnissystem der Burg handelte. Die Zellen waren in imaginären Orten untergebracht, die wohl weder von dieser Welt waren, noch eine stetige Abbildung von Raum und Zeit besaßen. Eine lebende Seele konnte mithilfe eines speziellen schwarzen Kristalls in eine Zelle gebannt werden, indem zum Beispiel die Worte fahre zu Eins gerufen wurden. Neire wurde sofort klar, dass sich die Kreatur anscheinend in eine dieser Zellen gebannt hatte, um ihnen zu entgehen. Doch auch die Hervorrufung von einst gefangen gesetzten Seelen war vorgesehen. So sollte es weiße Kristalle geben, die in der Mitte einer doppelten Spirale platziert, einen Gefangenen befreien konnten. Diese Spirale sollte sich in einem bemalten Raum befinden. Zur Befreiung musste zum Beispiel komme hervor aus der Eins gerufen werden, um den Mechanismus in Gang zu setzen. Neire stöberte im Buch und las noch einige weitere Seiten, die lange Listen von Inhaftierten und Freigelassenen beinhalteten. Dann entschied er sich dazu seine Kameraden von dem Fund zu unterrichten und auf die Suche nach dem bemalten Raum zu gehen.
Fackellicht durchdrang den achteckigen Raum. Der Geruch von brennendem Teer hatte sich bereits ausgebreitet. Neire näherte sich vorsichtig der Säule, auf die sein Kamerad gezeigt hatte. Bargh hatte diese mit seinem schweren Panzerhandschuh abgeklopft und dabei war der alte Putz nach innen weggebrochen. Dann hatte er Neire den Vortritt gelassen. Eine vorsichtige Suche nach Fallen offenbarte keine Gefahr. Er begann das bröckelige Gestein weiter zu entfernen. Dahinter war ein kleiner Hohlraum zu sehen, in dem eine von goldenen Verzierungen bedeckte Holzschatulle ruhte. Vorsichtig griff Neire hinein und zog das seltsam leichte Objekt hervor. Er öffnete das Kästchen, doch er sah keinen Boden. Es war, als ob das Licht der Fackel dort verschluckt werden würde. Langsam griff er durch die Öffnung hindurch und tatsächlich verschwand sein Arm fast bis zur Schulter im Inneren. Er hatte von solchen Zaubern schon einmal gehört. Dimensionsmagie, die den Ort verzerrte – kleine Türen ins Jenseits an Gegenstände band. Tief im Inneren des Objektes ertastete er einen kleinen Beutel, dessen genauere Untersuchung vier milchig schimmernde Kristalle hervorbrachte. Das musste also der Ort mit dem geheimen Vorrat der Wiederhervorrufungssteine sein. Also könnte auch vielleicht der Raum mit der Spirale nicht weit sein. Er betrachte die Wände, die mit einer Art Rundumblick des Herrenhauses der Familie Arthog bedeckt waren. Sie zeigten den Familiensitz der einstigen Herrscher von Berghof in der Vergangenheit. Der Zahn der Zeit hatte noch nicht an den Gemäuern genagt. „Ich habe die Kristalle. Es muss hier irgendwo sein. Lasst uns weitersuchen.“ Sprach Neire und deutete auf die Wände des Raumes. Jetzt bewegten sie sich alle an die verbliebenen Bilder und begannen sie abzutasten. Es herrschte eine bedrückende Stille. Diesmal war es Neire, der fündig wurde. Einer der Rahmen ließ sich bewegen, als würde er von Scharnieren gehalten. Vorsichtig zog Neire das geheime Portal auf. Dort hinter konnte er einen kreisrunden Raum erspähen. Im Fackellicht glitzert ein Muster auf dem Boden. Zwei in sich verschachtelte Spiralen mit jeweils vier Armen sowie schwarzer und weißer Färbung. In der Mitte war eine kleine Mulde zu sehen. Er betrat mit Bargh den Raum und blickte sich nach Rognar und Wulfgar um. „Wir werden diese Kreatur aus der Zelle befreien. Bewacht ihr den Eingang. Keiner soll entkommen.“ Er sah, wie die beiden ihre Schwerter zogen. Auch Bargh machte sich angriffsbereit. Neire zog zitternd vor Aufregung einen der weißlichen Kristalle hervor und legte ihn in die Mitte. Dann begann er zischelnd die Worte zu murmeln: „Komme hervor aus der Eins.“ Nachdem er das letzte Wort gemurmelt hatte, ließ er sich unter seinem Tarnmantel in die Schatten sinken. Zuerst passierte nichts, doch dann begann der Stein zu schmelzen wie ein Stück Butter in einer Pfanne. Weißer Nebel stieg auf. Dann wurden Konturen sichtbar. Vor ihnen erschien, ohne Zweifel, die Gestalt aus dem Gemach des Obersten der Burg. Sie hatte beide Hände zu Fäusten geballt. Vom schwarzen Handschuh fehlte jede Spur. Ihre schwärzlichen Augen waren zusammengekniffen und glänzten, wie von einer Tollwut erfasst, hasserfüllt. Ihr grobschlächtiges Gesicht schaute sich ruckartig um. Bargh reagierte und stach mit seinem Schwert zu. Blut strömte auf und die Gestalt begann zu schreien. Dann rammte ihr Neire den Degen von hinten in den Rücken. Er hatte Glück und durchbohrte das Herz des Wesens. Blutspuckend brach der einstige Handschuhträger vor ihnen zusammen. Nach einer kurzen Beratung entschieden sie sich weitere Kreaturen aus den Zellen hervorzurufen. Neire legte einen der verbliebenen Kristalle in die Mulde und begann erneut zu murmeln: „Komme hervor aus der Vier.“ Wieder begann der Edelstein zu schmelzen. Aus dem Nebel stieg jedoch diesmal eine größere Kreatur hervor. Sie besaß zwei Köpfe, Krallen und eine bräunliche Hautfarbe. Das Monster war in einen Pelz gekleidet, den es wie eine Schürze trug. Tatsächlich konnte Neire sehen, dass sich die Gestalt den Handschuh übergestreift hatte. Das Wesen fing an zu brüllen als Bargh sein Schwert nach vorne schnellen ließ. Zwei mächtige, doch gezielte Hiebe schnitten tiefe Wunden; brachten dunkles Blut hervor. Dann stach Neire in den Rücken des Wesens. Auch diesmal hatte er Glück und sein Degen drang tief hinein. Unter einem weiteren Stich ging die Kreatur zu Boden, doch sie konnten sehen, dass das Monster noch atmete. Neire beugte sich hinab und durchbohrte abermals den Brustkorb mit einem Stich. Erst jetzt sah er, dass sich einige Wunden bereits wie von Geisterhand geschlossen hatten. „Rognar, reicht mir die Fackel zischelte er.“ Nur langsam und von Furcht fast gänzlich übermannt, näherte sich der ältere Söldner. Neire nahm die Fackel und begann den Pelz des Wesens zu entzünden. Es setzte ein Zucken ein, als die Flammen die Haut berührten. Bereits geschlossene Wunden brachen wieder auf und weiteres Blut strömte hinaus. Der geheime unterirdische Raum wurde von einem penetranten Gestank von verbranntem Fleisch erfüllt. Jetzt hörte Neire plötzlich eine Stimme in seinem Kopf, wie ein wehleidiges Klagen. Doch er konnte kein Geschlecht, kein Alter ausmachen. Hört mich an. Helft mir und nehmt mich auf. Ihr könnt mein Träger sein und ich kann euch Macht geben, große Macht. Alles wonach euch gelüstet kann euer sein. Neire blickte sich überrascht um, doch die Stimme schien aus Richtung des schwarzen Handschuhs zu kommen. Er brauchte einige Zeit um sich an die alten Geschichten und Legenden zu erinnern. Der schwarze Handschuh war ursprünglich als Waffe in den Küstenlanden erschaffen worden – erschaffen, um die Adlerburg zu vernichten. Doch für diese Aufgabe benötigte er einen mächtigen Träger. Auch würde er versuchen seinen Träger zu einer willenlosen Marionette zu machen. Diese Marionette sollte den Erschaffern des Handschuhs dann dienen. Neire dachte einen weiteren Moment nach, dann fing er an zu sprechen. „Wem dient ihr, Stimme? Wer ist euer Herr?“ Ich diene meinem Träger und nur meinem Träger. Meine Erschaffer, die mächtigen Magier der Küstenlande, sind längst tot. Neire war nicht zufrieden mit dieser Antwort. Für einen kurzen Moment hatte er darüber nachgedacht den Handschuh aufzunehmen. Doch jetzt waren seine Gedanken bei seiner Göttin und seinem alten, geliebten Nebelheim. „Ich diene meiner Göttin, der Schwertherrscherin. Sie gibt mir die Macht, die ich brauche. Sie hält die Schlüssel zum Jenseits.“ Neire ging zu Bargh und flüsterte ihm zu, ihm den weißen Handschuh aus dem Rucksack zu geben. Als Bargh diesen hervorholte, kam Neire Fäulnisgeruch entgegen. Noch immer steckte der abgehackte Arm des Skulks im weißen unbefleckten Leder. Auch von diesem Handschuh spürte Neire Regungen ausgehen. Doch es waren keine Worte die er vernahm. Vielmehr das Gefühl von Eile, vergleichbar mit einer Art Atemnot. Als ob eine große Katastrophe lauerte und weiteres Warten in den Zustand der Lähmung und damit in den sicheren Tod führen würde. So nahm er den weißen Handschuh am verfaulten Arm und schritt auf die noch schwelende Kreatur zu. „Ihr dient nicht Ihr. Ihr werdet Ihr nicht dienen. Jiarlirae ist Feuer und Schatten und sie ist mehr als das.“ Neire hörte jetzt eine flehende Stimme vom schwarzen Handschuh ausgehen. Doch… ich kann. Ich kann ihr dienen. Jiarlirae. Ich kann ihr dienen. Doch die Worte kamen zu spät. Neire hatte bereits den weißen Handschuh in den schwarzen geführt. Als ob sich beide die Hände gäben. Augenblicklich fuhr ein Lichtblitz durch den Raum. Die Zeit schien stillzustehen. Der Raum wurde in Nebel gehüllt. Und dann war da die Adlerburg, wie aus der Ferne betrachtet – ein Trugbild, eine Illusion? Zwei riesenhafte Nebelgestalten entwuchsen den milchigen Schwaden um die Burg. Eine weiß, die andere schwarz. Sie hoben ihre Fäuste und begannen zu kämpfen. Doch es konnte keinen Sieger geben und beide gingen in einem gleißenden Licht auf. Als Neire wieder die Augen öffnete, sah er, dass beide Handschuhe langsam zu Asche zerfielen. Nur die vier Juwelen aus dem Handballen des schwarzen Handschuhs blieben übrig. Er drehte schweigend zu Bargh um, der die Illusion anscheinend nicht gesehen hatte und nickte ihm zu. War das Geheimnis um die magischen Erschaffer aus den Küstenlanden gelüftet?
Es war etwas wärmer geworden und die Sonne brach hier und dort durch die Wolken. Bargh war mit Neire in Richtung der Küstenlande geritten. Sie hatten Rognar und Wulfgar in der Burg verabschiedet und er hatte sie aus seinem Kommando entlassen. Beide wollten in das Herzogtum Berghof zurückkehren. Sie würden dort wohl als große Helden gefeiert werden und die Legende von Bargh, dem Drachentöter verbreiten. Er hatte sich im Spiralraum über die Großzügigkeit von Neire gewundert, hatte doch sein junger Begleiter den beiden Söldnern einen der verbliebenen Edelsteine überlassen. Erst nachher hatte Neire ihm die Wahrheit erzählt. Er hatte bei diesem Edelstein einen unsichtbaren Fluch entdeckt. Sein Träger sollte den Stein nicht mehr loswerden können und im Kampf würden sich alle Gegner dem Träger zuwenden. Neire hatte Rognar und Wulfgar die Wahl gelassen und Rognar hatte gierig zugegriffen. Abschließend hatte der Söldner von dem Wert gesprochen und was er sich davon alles kaufen würde. Jetzt musste auch Bargh über diese Wendung lachen. Sie hatten sich danach mit weiterer Verpflegung der Burg ausgerüstet und waren dem Adlerweg in für sie unerforschte Gebiete gefolgt. Neire waren auf dem Weg weitere Details über den Tempel der Ehre eingefallen. Der Tempel solle sich nicht auf dem Festland, sondern auf einer Insel im Meer befinden. Zudem waren die im Tempel ausgebildeten Priester und Soldaten wohl eine Ordnungsmacht, die in den Küstenlanden ihre Verbreitung gefunden hatte. Bargh hatte darüber eine Zeit gegrübelt. Allerdings hatte es Jiarlirae gut gemeint mit ihm. Nach ihrem Sieg auf der Adlerburg hatte ihm Neire einen der grünlichen Juwelen gegeben, den er jetzt bei sich trug. Schon nach kurzer Weil hatten sich seine Wunden geschlossen und er fühlte sich stärker als je zuvor. Nach einer weiteren Nacht am Fluss hatten sie das Gebirge langsam verlassen. Irgendwann hatten sie in der Ferne ein Dorf gesehen, dem sie sich jetzt näherten. Ein rudimentärer Erdwall und eine Palisadenmauer aus angespitzten Holzstämmen stellten die Wehranlage des Dorfes dar. Vor dem geschlossenen Eingangstor waren drei Krieger zu sehen, die eine starre Haltung angenommen hatten. Alle drei trugen einen leuchtend gelben Waffenschurz. Als sie sich bis auf etwa zwanzig Schritte genähert hatten, hob der mittlere Mann seine Hand. „Halt im Namen des Magistraten von Dreistadt, halt! Es gibt keinen Zutritt zu diesem Dorf, keinen Zutritt nach Mühlbach!“ Einen kurzen Moment frage sich Bargh, was hier wohl passiert war, dann bemerkte er den feinen dunklen Rauch, der hinter dem Wall aufstieg. Sie beteuerten, kein Interesse am Zutritt zu haben und weiterreisen zu wollen. Damit senkte sich die Anspannung der Soldaten deutlich. Bargh und Neire konnten in Erfahrung bringen, dass die Männer Diener des Tempels der Ehre waren – Diener des Gottes Torm. In dem Dorf hatte die Pest gewütet und alle verbliebenen Bürger dahingerafft. Aus diesem Grund war jeder lebenden Seele der Zutritt zum Dorf verwehrt. Bargh hob zum Abschied die Hand, doch innerlich dachte er an seinen alten schwachen Lehrmeister, an den Tod von Akran. Er malte sich aus, wie diese Männer durch seine Hand sterben würden.
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