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[AD&D 2.5E] Von Feuer und Düsternis – Erzählungen aus Euborea

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Jenseher:
Der Gestank der Leichen erfüllte die Höhle, in den Tiefen unter der Irrlingsspitze. Die Körper von dutzenden kleinen Kreaturen lagen teilweise übereinander in ihrem Blut. Sie waren muskulös und drahtig, hatten spitze, raubtierhafte Zähne, von Hass verzerrte Gesichter und zotteliges schwarzes Haar und Fell. Doch der eigentliche Gestank ging nicht von ihnen aus, sondern von den Fleischhaufen, die sich eben noch wabernd auf uns zu bewegten und versuchten uns mit ihren verschiedenen Mäulern zu fassen. Bargh und Halbohr triefte der Schweiß von der Stirn. Der große statthafte Krieger, in seiner Rüstung aus dem dunklen Ne’ilurum Erz, atmete schwer. Bargh hatte seine Klinge der Schatten und Feuer erhoben, auf deren Schneide die Reste von Fleisch und Fell der Kreaturen klebten. Der rote Kristall, der sich in seiner leeren, rechten Augenhöhle befand, starrte in die Dunkelheit und erwartete weitere der seltsamen Wesen. Auch Halbohr richtete sein gutes Ohr in die dunklen Felsgänge und horchte, doch es geschah nichts. Offenbar hatten wir sie alle erledigt. Es hätte gut laufen können, aber der kleine Wicht Ortnor musste sich wieder hervortun und mich kritisieren. Irgendwann wird es so weit sein und ich werde seinen verrückten Schädel über meinem Feuer rösten.

Das musste noch warten, denn Halbohr schlich sich allein in die Dunkelheit. Schon nach kurzer Zeit kam er wieder zurück. Er erzählte uns, dass er in einer Höhle vor uns weitere Geräusche gehört hatte. Atmen und Schnarchen von kleinen Kreaturen, noch viele mehr dieser Biester. Ortnor meinte wieder uns kommandieren zu müssen. Dass wir diesen Teil der Höhle noch durchsuchen müssten. Ich sah es im Gesicht Halbohrs arbeiten und konnte mir vorstellen, wie er mit dem Gedanken spielte den Schädel des Gnoms zu zerschmettern. Normalerweise war mir die Meinung Halbohrs ziemlich egal, aber dieses Mal konnte ich mit ihm mitfühlen. Als Halbohr sich nicht rührte, versuchte er es bei Bargh. Auch dieser war kurz davor sein Schwert in Ortnor zu rammen. Doch auch er hielt sich zurück, vielleicht versprach er sich etwas davon. Also untersuchten sie auch den restlichen Teil der Höhle. Das Einzige, was sie fanden, waren leere Hauthüllen von anderen Kreaturen. Anzusehen wie Insektenkokons und überzogen von einem kristallisierten Schleim. Offenbar nisten sie sich in die Körper anderer ein, wachsen dort, bis sie irgendwann aus diesen schlüpfen. Bargh murmelte etwas von “blauen Teufeln” und dass er sie schon einmal gesehen hätte. Bei näherer Betrachtung hatten die Hauthüllen tatsächlich eine seltsame, fassähnliche Form des Oberkörpers. Ihre Haut war durch die Reste von Venengeflechten bläulich gefärbt. Vielleicht meinte Bargh die Ereignisse in Berghof, jener Region nördlich der Adlerfeste. Ortnor meldete sich zu Wort. Offenbar war es ein krankhaftes Verhalten, alles verbessern zu müssen. Seiner Meinung nach, hätte die Graue Rasse, wie er sie nannte, diese Kreaturen in diese Welt gebracht. Völliger Blödsinn, dachte ich mir und glaubte eher Bargh, dass diese Kreaturen vor einiger Zeit schon von Berghof hier in diese Höhle gesiedelt hätten.

Zusammen schlichen wir uns vorsichtig in eine noch größere Höhle. Wir mussten mit unseren Schritten hier besonders vorsichtig sein. Je näher wir kamen, desto mehr Reste von Knochen lagen auf dem Boden. Wenn wir unvorsichtig schritten, würde sich vermutlich die ganze Horde auf uns stürzen. Was es nicht einfacher machte, war die Tatsache, dass die Felsen hier nässlich schimmerten. Als ob ein Film von Schleim diese bedeckte. Hinter einem Tropfstein sahen wir die ersten. Wie fellige Knäuel kauerten sie sich zusammen und schliefen. Etwas weiter in die Höhle hinein, der nächste Knäuel und noch einer. Wir konnten nicht alle sehen, aber es waren bestimmt hunderte dieser Kreaturen. Ortnor konnte von mir denken was er wollte, aber mir war sehr wohl bewusst, was mein Licht bei den Kreaturen bewirkte. Aber das konnte ich auch für mich nutzen. Also verbarg ich meinen leuchtenden Kristall in Tücher und nahm den Trank von Bargh zu mir, der mich dazu in die Lage versetzte, im Dunkeln zu sehen. Es war zuerst ein merkwürdiges Gefühl. Plötzlich sah ich die dunklen Höhlen in einem unwirklichen Lichterspiel glitzern. Wie Strömungen glitten die sonst unsichtbaren Strahlungen über den Stein und machten ihn sichtbar für mich. Halbohr bereitete sich ebenfalls vor. Beinahe lautlos schlich er sich zum ersten Knäuel der schlafenden Kreaturen. Ein jeder der muskulösen Brustkörbe hob und senkte sich gemächlich. Langsam beugt sich Halbohr über sie, sein Dolch gezückt. Mit einem schnellen Hieb durchschnitt er die erste Kehle. Es gab nur ein leises Röcheln, das Halbohr schnell erstickte, in dem die Schnauze der Kreatur zu drückte. Es folgte die nächste und die nächste, bis das gesamte Knäuel nur noch aus den blutenden Leichnamen bestand. Nachdem er mit diesem Haufen fertig war schlich er sich zum nächsten. Auch hier erlag eine Kreatur nach der anderen seinem Dolch, während wir nur zusehen durften. Doch dann bewegte sich eine der Kreaturen im Schlaf und sein Dolch glitt an dieser vorbei. Mit einem lauten Klingen schabte der Stahl in den nassen Stein. Das Geräusch hallte zigfach von den Höhlenwänden zurück.

Die Kreaturen wurden mit einem Mal wach und fauchten uns an. Das war unser Zeichen. Was folgte war ein gnadenloses Gemetzel. Wir kämpften um unser Leben, in diesen seltsamen Schleimhöhlen. Von überall, aus den tiefsten Winkeln der Höhle tauchten weitere Kreaturen auf. Anfangs versuchte ich noch diese zu zählen, doch als ich bei fünfzig angekommen war gab ich es auf, strömten doch immer mehr auf uns zu. Bargh schwang sein Schwert, Halbohr hieb wie wild mit seinen beiden Dolchen auf diese ein, Ortnor schleuderte Steine auf die Kreaturen und ich verbrannte sie mit Haut und Haaren. Doch sobald wir Lücken in den Strom gerissen hatten, wurden diese sofort wieder mit weiteren aufgefüllt. Sie versuchten uns zu umzingeln und zu Boden zu reißen. Ich nahm den leuchtenden Kristall aus meinen Taschen. Das Licht blendete mich für einen Moment als ich ihn hervorbrachte und in eine andere Ecke der Höhle schleuderte. Einige der Kreaturen reagierten, so wie ich es mir gedacht hatte. Wie Insekten liefen sie dem Licht entgegen, als ob es eine Beute wäre und versuchten ihn zu zerstören. Bargh und Halbohr nutzen die Gelegenheit und konnten weitere der wahnsinnigen Geschöpfe zu Boden strecken. Doch wie in einem Alptraum strömten weitere nach. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie sie sich an Bargh klammerten. Doch waren sie dem großen Krieger nicht gewachsen. Er schüttelte sie einfach wieder ab. Halbohr dagegen hatte nicht so viel Glück. Sie umringten ihn und rissen ihn auf den Boden. Wie ein wildes Rudel Wölfe hackten sie mit ihren Krallen und Mäulern auf seinen Leib und rissen ihm die Bauchdecke auf. Ich hörte ihn aufschreien vor Schmerzen, doch ich kümmerte mich nicht weiter um ihn. Ich kämpfte um mein eigenes Leben. Es erinnerte mich an die Felder aus meinem Dorf, wie Bargh und ich uns durch die Kreaturen schnitten und brannten. Damals, als ich noch einen anderen Namen trug. Als ich noch nichts wusste und bevor sie mich Hagazussa schimpften. Wir sahen, wie sich drei größere dieser Kreaturen unter die Masse mischten. Wie Felsen in einem Fluss, strömten die kleineren an ihnen vorbei. Sie schienen sie zu lenken. Auch Ortnor war inzwischen umzingelt und wurde zu Fall gebracht. Doch anstatt sich wie Halbohr seinem Schicksal zu stellen, nutzte der Feigling seine magischen Künste und löste sich einfach in Luft auf, so dass die Kreaturen, die auf ihm lagen, auf den Boden fielen und weiter ohne jegliche Intelligenz auf den Felsen hackten und bissen. Dort, wo eben noch der kleine Gnom lag. Ich blickte kurz zu Halbohr hinüber. Dieser blutete inzwischen bedenklich und ich glaubte auch, dass ich einige seiner Innereien durch die Höhlenluft riechen konnte. Auch bewegte er sich nicht mehr. Ich sah, dass eine der Gestalten, als sie Halbohr biss, irgendetwas wie eine Made oder einen Wurm auf Halbohr spie, der sich seinen Weg durch die offenen Wunden in seinen Körper bahnte.

Langsam aber sicher lichteten sich die Reihen der in einen Wahnsinn verfallenen, kreischenden Geschöpfe. Ich sah auch Ortnor wieder. Der Feigling hatte sich hinter einer Felsnadel versteckt. Hinterrücks beschwor er ein weiteres Mal seine Magie und schleuderte grell gleißende Blitze auf die Verbliebenen. Fast alle waren inzwischen niedergestreckt, die letzte der Kreaturen fiel der Klinge Barghs zum Opfer, als er den Oberkörper beinahe halbierte.

Schwer keuchend und mit von Blut tropfendem Schwert ging Bargh zu Halbohr hinüber. Der Elf lag ebenfalls in einer Pfütze von Blut, halb bedeckt von getöteten Kreaturen. Die kreischenden Geschöpfe hatten ganze Arbeit geleistet. Sein Oberkörper war von Rissen der Klauen übersäht und teilweise hingen seine Innereien heraus. Schnell brachte Bargh mit einem Verband die Blutungen zum Stillstand. Er packte Halbohr wie einen nassen Sack und schliff ihn hinter sich her. Wir mussten eine Stelle finden, wo wir seine Wunden genauer untersuchen konnten. Zum Glück erinnerte sich Ortnor, dass er eine kleine Nische in einer anderen Höhle gesehen hatte. Das musste wohl reichen. Unsanft trug Bargh Halbohr dorthin und wir alle bereiteten uns vor, etwas zu verschnaufen. Halbohr wachte zwar ab und an aus seinem Zustand auf, aber wenn er wach war, blickten seine Augen mehr in die Leere als anderswohin. Wenn er schlief wälzte er sich hin und her, so dass einige seiner Verbände immer wieder verrutschten. Nicht dass ich Mitleid mit ihm hätte. Wenn er einfach nur wie ich selbst verstehen würde, wer der Initiator unserer Reise ist, wäre es vermutlich anders ausgegangen. Aber ich konnte mir vorstellen, dass er keine sanften Träume haben würde, wie vermutlich keiner von uns in diesen Tiefen.

Unsere Rast wurde jäh unterbrochen, als drei riesige Gestalten in unser Versteck eindringen wollten. Diese Kreaturen waren abscheuliche Abnormitäten. Einer hatte einen dritten Arm, der schlaff an seiner Seite hing, einer anderen wuchs ein kleiner halb ausgebildeter Kopf aus der Schulter, der uns dümmlich anglotzte. Bargh und ich setzten ihnen zu, Ortnor war immer noch in seiner geheimen Kammer verschwunden und dabei, die Halterung für das Schild von Bargh zu vollenden. Als er den Krach hörte, steckte er seinen Kopf aus dem extra-dimensionalen Bereich, den er geschaffen hatte. Wütend blickte er zu Halbohr. Was ich verstehen konnte, aber es steht dem kleinen Wicht nicht zu so zu urteilen. Er trat heraus und beschwor mit einer krachenden Explosion eine Wand aus Flammen, in denen die Kreaturen zugrunde gingen. Überheblich blickte er uns an, als ob wir ihm Dank schulden würden. Als dieser nicht kam, versuchte er sich wieder wichtig zu tun und dass wir nicht lange hinter dieser Wand aus Flammen bleiben könnten, ohne zu ersticken. Aber mit Freuden konnte ich ihm dies nehmen, da ich wusste, dass wir bestimmt mehrere Stunden ohne Probleme hierbleiben konnten. Als ich es Bargh sagte, blickte er mich wütend an und ich lächelte nur sanft zurück.

Nach einigen Stunden kam Halbohr wieder zu Bewusstsein. Die tief geschlagenen Wunden in seinen Körper sahen bedrohlich aus. Bargh bot an, zusammen mit Halbohr für die Gunst der Schwertherrin zu beten. Ich rechnete schon damit, dass Halbohr wieder irgendwelche Ausflüchte oder sonstige Gründe fand, um es abzulehnen. Er fand sie auch, doch konnte jeder, wahrscheinlich sogar Ortnor, erkennen, dass Halbohr seinen eigenen Worten nicht glaubte und schon fast erleichtert dreinblickte, als er dann doch zustimmte. Zusammen beteten die beiden und die feurige Macht Jiarliraes begann sein Fleisch zu durchströmen. Alsbald begannen sich seine Wunden zu schließen. Ich sah deutlich in seinen Augen die Befriedigung, die er spürte, fast wie ein Süchtiger, der nach langer Zeit wieder seine Kräuter und Gewächse zu sich nehmen konnte. Ich kicherte leise in mich hinein bei den Vorstellungen wie es mit Halbohr weitergehen könnte. Auch als ich sein Ohr sah, musste ich fast laut auflachen, konnte mich nur noch im letzten Moment zurückhalten. Die Narbe, an der sein Ohr abgeschnitten wurde, sah schon lange nicht mehr aus wie eine Schnittwunde. Anfangs waren die Änderungen nur subtil, aber jetzt, nachdem er wieder die Macht Jiarliraes gekostet hatte sah sie aus als hätte jemand mit einem heißen Schürhaken sein spitzes Ohr einfach weggebrannt. Das witzige an der Sache war, dass er es offenbar immer noch nicht gemerkt hatte.

Nach einer weiteren Nacht (war es eine Nacht oder ein Tag, ich kann es gar nicht sagen) brachen wir wieder in gewohnter Manier auf, Halbohr schleichend voran, wir anderen in einigen Schritten Abstand. Bargh gab mir zum Glück eine Fackel, so dass ich nicht in der Dunkelheit umherirren musste, war doch der Kristall von den Kreischlingen zerstört worden. Wir folgten dabei den Spuren der Duergar, die Bargh und Halbohr im leicht feuchten Höhlenboden fanden. Sie führten uns zu einer neuen Höhle, die man schon fast als wunderschön bezeichnen konnte.

Die Höhle leuchtete in einem blassem, purpurnem Lichtschein, trotz dieser merkwürdigen Eigenschaft des Felsens, der das Licht zu verschlucken schien. Der Lichtschein wurde von der spiegelnden Oberfläche eines kleinen Teiches mit kristallklarem Wasser wiedergegeben. Das Spiel der Wellen auf dem Wasser setzte sich als Lichtspiel in der Höhlendecke fort. Das Licht kam von einem Teppich von Pilzen, die mir teilweise bis zu den Knien reichten. Ihre Fruchtkörper und die Lamellen strahlten das kalte, purpurne Licht aus. Ich betrachtete mir diese Pilze genauer. Irgendwo hatte ich davon schon einmal gehört. Dann fiel es mir plötzlich wieder ein: Sie wurden Düsterheit genannt. Man konnte sie verarbeiten, dass daraus ein starkes Rauschgift entstand, das den Geist betäubte. Aber viel interessanter war, dass es eine verheerende Wirkung auf Organismen hatte, die unter Mutationen litten und wohl auch auf die Kreischlinge, so sagte man zumindest. Halbohr wurde direkt hellhörig. Er fing an viele dieser Fruchtkörper zu sammeln und verschwand damit in dem magischen Versteck von Ortnor. Zusammen wollten sie die Pilze verarbeiten, zu einem Öl, was sie dann auf ihre Klingen streichen konnten. Hinter dem magischen Vorhang hörte man das Brodeln von Kesseln und das Klappern von Gerätschaften. Es dauerte gefühlt eine Ewigkeit, aber zum Glück leistete Bargh mir Gesellschaft, denn die Langeweile begann wieder an meinem Geist zu nagen. Ich war nicht dumm. Mir war klar, dass es eigentlich tölpelhaft war so zu denken, schließlich konnte keiner die Gefahren, die hier unten lauerten, verneinen. Aber etwas trieb mich weiter an und sorgte dafür, dass ich rastlos und unstet wurde. Ich wollte weiter und immer weiter in die Tiefe, den Geheimnissen und deren Offenbarungen entgegen.

Jenseher:
Das leise Rauschen der leichten Luftströmung schaffte ein schwaches und immerwährendes Flüstern in unseren Ohren. Ab und zu meinte ich, dass sich auch kaum hörbare Schreie unter dieses Flüstern mischten. Meine Nerven waren zu angespannt und ich dachte, dass ich anfange Gespenster zu hören. Jedes Tropfen von Wasser, was auf diesen kleinen Teich hier in der Höhle hinabfiel, ließ mich zusammenzucken. Es waren nicht diese Kreaturen, die wir zu hunderten abgeschlachtet hatten. Auch das fahle Licht der Pilze, die hier wucherten, beruhigte mich nicht wirklich. Es war meine eigene Anspannung und Aufregung. So war ich doch zum einen noch nie in dem Reich unterhalb der Reiche und hatte, zum anderen, auch vorher auch nie ein Ziel gehabt. Dieses Ziel hatte ich jetzt und es war in greifbarer Nähe.

Nachdenklich betrachtete ich meine Reisegefährten. Bargh würde bis zum Schluss an meiner Seite bleiben, waren unsere Ziele doch fast deckungsgleich. Bei Halbohr war ich mir nicht sicher. Zwar tat er immer so, als wenn er die Wahrheit nicht kennen würde - oder wollte - doch jedes Mal, alsbald Bargh die Macht der Herrin nutzte, um Halbohrs Wunden zu versorgen, sah ich in den leicht gelblichen Augen des Elfen die Erleichterung und auch das Verlangen, etwas von dieser Macht zu kosten. Wahrscheinlich würde er ohnehin den Weg nicht überleben. Ortnor, so glaubte ich damals, würde überleben. Der kleine Wicht mit seinen wirren Gesichtszuckungen und Verrenkungen und seiner überheblichen Art, kannte etliche Kniffe, die ihm jedes Mal dem Tod ein Schnippchen schlagen ließen. Aber wenn er uns weiter so herumkommandiert, würde wohl Bargh als erster seine Kniffe auf die Probe stellen.

Meine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als Halbohr plötzlich anfing wie wild an seinem geschundenen Körper herumzutasten. Er riss sich sein Kettenhemd vom Leib und jetzt sah ich es auch: Unter der fahlen, gerade neu gewachsenen Haut der Wunde wölbte sich etwas, kaum zu erkennen. Diese Wölbung fing an zu Zucken und sich zu bewegen, von seinem Rumpf hoch in Richtung seines Kopfes. Ich sah Schmerz und Panik in seinem sonst so kontrollierten Blick und er versuchte die Stelle abzudrücken, wobei sein Versuch kläglich scheiterte. Vielleicht traf meine Vermutung, dass er bald sterben würde, schneller zu als ich dachte. Ich glaube, ich habe meinen Gedanken laut ausgesprochen, doch es hörte ohnehin keiner auf mich. Halbohr fing an vor Schrecken zu keuchen und bettelte Bargh an, es heraus zu schneiden. Die Schmerzen ließen seine Arme zittern und Tränen liefen aus seinen Augen hinab. Ich blickte auf Barghs große Klinge von Schatten und Feuer. Es wäre ein interessantes Bild gewesen und es wäre von Halbohr wohl nicht viel übriggeblieben, hätte er es herausgeschnitten. Das sich bewegende Etwas, vielleicht ein Wurm, war jetzt bei seinem Brustkorb angelangt und bahnte sich seinen Weg weiter Richtung Hals. Die anderen, auch Ortnor, standen ratlos um ihn herum. Das alles raubte uns nur Zeit. Soll er doch schneller sterben, dann könnten wir endlich weiter, dachte ich mir. Man sah deutlich die Verzweiflung im Gesicht Halbohrs als er begann wie verrückt seinen Rucksack auszuschütten. Hastig griff er nach einem Fläschchen, in das er Gift der Düsterheit-Pilze gefüllt hatte. Die pulsierende Auswölbung war jetzt bei seinem Hals angekommen und schien weiter in Richtung seines Kopfes zu wollen. Kurz hielt er inne, wusste er doch nicht, wie dieses Gift auf seinen Körper wirken würde. Doch als die Bewegungen unter seine Haut wieder stärker wurden, stürzte er den Inhalt seinen Rachen hinunter.

Schon kurz nachdem er es herunterschluckte, begannen seine Augen leicht glasig in die Leere zu gucken und die Wölbung an seinem Hals begann größer zu werden. Ein weißlicher Wurm, mehr Made als Wurm, bohrte sich durch seine Haut. Offenbar schien die Substanz tatsächlich ihre Wirkung zu entfalten und der Wurm, von einem tierischen Instinkt getrieben, versuchte zu entfliehen. Doch schon als die ersten Glieder aus dem Hals erschienen, begann die Haut des Wurms zu dampfen und sich aufzulösen. Wie weißer Schleim floss die Made an seinem Körper herab. Halbohr, noch immer in die Leere starrend, schien nicht wirklich etwas davon mitzubekommen. In seinem Traum hatte er andere Erlebnisse. Von dem Wurm war nicht mehr übrig, als etwas dampfender Matsch und Halbohr kehrte ins hier und jetzt zurück. Er sank kraftlos in sich zusammen. Eigentlich war es schade, wäre es doch für uns eine einmalige Gelegenheit gewesen, zu sehen, ob wirklich eine dieser kleinen Kreaturen aus Halbohr hervorgebrochen wäre. Jedenfalls hätte ich es gerne erfahren. Aber vielleicht ein anderes Mal.

Bargh war es auch nicht entgangen, dass Halbohr Träume oder vielleicht auch Visionen hatte. Als er Halbohr bat davon zu berichten, schilderte dieser ihm ein Bild von einer Sonne, irgendwo in der Schwärze des Alls. Doch die Sonne konnte nicht scheinen, da sie umschlungen war, von schwarzen Tentakeln. Halbohr versuchte in seiner Vision diese Tentakel loszureißen, was ihm nicht gelang. Doch dann sammelte er seine Kräfte und riss Tentakel für Tentakel los. Die Sonne wurde frei und es war keine normale Sonne. Er beschrieb eine schwarze Scheibe, die nur am Rand, wie eine Korona, ihr Licht und ihr Feuer ausstrahlten. Barghs Augen wurden größer und er sagte, er wisse jetzt, warum Neire ihn hierherschickte. Die Sonne konnte nur ein Symbol unserer Herrin Jiarlirae sein und sie war gefangen. Wir mussten sie befreien, ihre Macht befreien. Waren nicht auch auf dem Kartentisch von Waergo Tentakel zu sehen gewesen?

Halbohr fühlte sich bald wieder stärker, nachdem Bargh sich um seine Wunde gekümmert hatte. Ab und an blickten seine Augen glasig in die Leere. Ich wusste ja, dass diese Pilze für die mutierten Kreaturen hier tödlich waren. Bei normalen Menschen verursachten sie allerdings Halluzinationen. Halbohr sammelte seine Sachen wieder ein und machte sich auf den Weg, die weiteren Höhlen vor uns auszukundschaften. Es dauerte nicht lange, da hörten wir aus der Dunkelheit vor uns seine Rufe. Er war wohl auf irgendetwas gestoßen. Ich zündete meine Fackel wieder an und zusammen eilten wir den Rufen entgegen. Wir sahen gerade noch, wie sich eine widerliche Kreatur aus einem Haufen Schutt grub. Diese Kreatur war keine, wie wir sie bis jetzt gesehen hatten. Ihr Körper glich einer Kugel aus Fleisch, die von schwarzem Schleim bedeckt war. Statt Arme, wuchsen aus der Mitte der Kugel mehrere Stiele, die teilweise in Augen endeten. Andere Stiele hatten Münder, die mit messerscharfen Zähnen nach Halbohr schnappten. Und wieder andere dieser schnappenden Stiele hatten sich um die Griffe von Schwertern gewunden. Bargh zögerte nicht lange und stürmte auf das Wesen zu. Er hatte beide Klingen gezogen: Die Klinge der Schatten und Feuer und die Knochenklinge. Zusammen mit einer Lanze der Energie, die Ortnor beschwor, platzte der sphärische Körper der Kreatur auf. Doch gerade als wir dachten es würde wieder Ruhe einkehren, erschien eine zweite Kreatur. Eine wabernde Masse von Fleisch die aussah, als ob sie von der Höhlendecke auf die geplatzte Sphäre tropfen würde. Sie verbreitete einen fürchterlichen Gestank nach Fäulnis und Verwesung. Doch diesmal waren wir alle bereit und die Kreatur konnte uns nicht lange widerstehen. Die Fleischmassen, durch welche Macht sie auch immer zusammengehalten wurden, zerflossen wieder in einen stinkenden Brei.

In dem Haufen sahen wir einige glitzernde Gegenstände, wovon einer besonders unsere Aufmerksamkeit anzog. Es war ein kleiner Stecken, der durchweg aus einem grünen Smaragd geschliffen war, ähnlich dem Rubin-Stecken, den wir Waergo abgenommen hatten. Dies war offenbar der zweite Portal-Schlüssel, hier einfach so unter dem Dreck begraben. Halbohr nahm ihn schnell an sich und steckte ihn ein. Auch einen Stecken, den die Kugel-Kreatur in ihrem Tentakel hielt, fand ich sehr interessant. Offenbar beherbergte der kleine blaue Diamant an dessen Spitze magische Energien, die entladen werden konnten.

Weiter ging unser Weg, Halbohr wieder einige Schritte voraus. Diesmal jedoch nicht, bevor alle ihre Waffen mit dem Gift der Pilze bestrichen hatten. Wir durchschritten viele weitere Gänge die uns jedoch alle nur im Kreis herumführten. Irgendwann sah Halbohr dann eine kleinere Höhle. Dort hausten die Abnormitäten der Troll-Kreaturen, denen wir schon früher begegnet waren. Sie waren auf abscheuliche Weise verunstaltet. Einer der Kreaturen wuchs ein zweites Herz aus der Brust; eine andere hatte einen langen, schlaff nach unten hängenden Arm, der aus dem Rücken herauswuchs. Aber allen war die bestialische Intelligenz gleich, die in ihren Augen brannte. Sie schienen auf etwas zu warten und umringten eine primitive Trommel, die zwischen ihnen stand. Wir folgten den Spuren Halbohrs, als wir ebenfalls diese Kreaturen sahen - nicht jedoch Halbohr. Bargh stürmte mit beiden Klingen voran, auf denen die dunkle Substanz des Giftes wie Öl schimmerte. Seine Klinge traf den ersten der Trolle. Als das Gift das Blut des Trolls berührte blähte sich sein gesamter Körper wie eine Seifenblase auf. Der Kopf wurde immer größer bis er mit einem lauten Knall zerplatzte. Das schwarze stinkende Blut ergoss sich auf Bargh. Jetzt tauchte auch Halbohr auf. Offenbar wollte der Feigling erst abwarten und die Kreaturen auf Bargh hetzen. Er warf seine Dolche auf die anderen Kreaturen und auch bei diesen entfaltete das Gift eine ähnlich tödliche Wirkung. Doch einer der Trolle schaffte es noch mit seinem Klöppel auf die Trommel zu schlagen. Das dumpfe Geräusch ließ mir die Haare im Nacken zu Berge stehen, so wie es durch die Tunnel vielfach zurückgeworfen wurde. Was es bedeutete war mir sofort klar: Sie riefen nach Verstärkung. Zum Glück erkannten es auch die anderen und wir zogen uns in einen Tunnel zurück. Sollten doch die Trolle, die ohnehin gerade so in den Tunnel passten uns einer nach dem anderen serviert werden.

Und so geschah es auch, doch mit der Masse an Kreaturen hatte ich nicht gerechnet. Es schien, als ob hier ein richtiger Stamm hausen würde. Immer mehr strömten aus der Dunkelheit auf uns zu und immer mehr fielen unseren Klingen und den Feuern, die mir meine Herrin schenkte, zum Opfer. Bei jeder Kreatur, die zu Boden ging, wichen wir einen Schritt zurück. Die nachrückenden Trolle zeigten jedoch kein Bedauern für ihre gefallenen Stammesbrüder und trampelten einfach über die zerplatzten Leichname nach. Wieder war es eine schweißtreibende Arbeit; wieder schien der Strom nicht abzuebben. Zwischen den mutierten Abscheulichkeiten erkannten wir jedoch eine Kreatur, die etwas größer und sichtlich um einiges fetter schien. Offenbar die Mutter dieses Stammes. Jedenfalls deuteten die obszönen und fetten Brüste darauf hin. Auch sie wurde von den Mutationen nicht verschont und ein zweiter Schädel wucherte aus ihrem Hals hervor, der aber wie ein nasser Sack bei jedem Schritt herunterbaumelte. Sie versuchte ihre gewaltigen Pranken auf Halbohr herabsausen zu lassen, doch wie in einer Ironie rutschte sie auf den Überresten ihrer eigenen Kinder aus und fiel zu Boden. Bargh nutzte die Gelegenheit und hieb die Schattenklinge so fest in ihren Hals, dass beide Köpfe nur noch an einem Hautfetzen zusammenhingen.

So dauerte es nicht mehr lange, bis auch die letzte Kreatur das Schicksal der Sippe teilte. Doch Halbohr hörte immer noch Geräusche. Offenbar war noch nicht die ganze Sippe niedergemacht worden. Nach unserem weiteren Vorstoßen erblickten wir eine Höhle, die eingerichtet war wie ein Thronsaal. Jedenfalls das, was diese primitiven Kreaturen wohl als Thron verstanden. Zusammen mit Haufen von Kot und Unrat stand dort ein aus einfachen Balken errichteter Stuhl, der eine erhabene Position ausstrahlen sollte. Lächerlich, was in den einfältigen Geistern der Kreaturen vorgehen mochte. Doch zwischen den Haufen Dreck sahen wir die letzten Überbleibsel des Stammes, anscheinend etwas, was man als Kinder bezeichnen könnte, aber auch nicht viel mehr als Tiere. Bargh wendete sich bereits anderen Dingen zu, doch ich wollte, dass diese Krankheiten vollständig ausgemerzt werden. Wer weiß, wie schnell die kleinen Biester heranwachsen würden. Bargh tat mir den Gefallen und streckte auch den letzten der kindlichen Trolle nieder. Um sicher zu gehen, dass diese auch tatsächlich nicht wieder aufstehen nutzte er die Flammen seiner Klinge, um auch die Überreste zu vernichten. Schließlich hatten wir gesehen, dass die Geschichten wahr waren, die man sich über Trolle erzählte.

Weiter durch die Dunkelheit kamen wir in eine größere Höhle, deren Boden durchzogen war von einem breiten Spalt im Felsen. Gähnende Leere und absolute Schwärze, soweit das Licht meiner Fackel reichte. Einige Tunnel zweigten hier ab. Einer von diesen führte zu einem dichten Wald voller Pilze, doch waren es diesmal andere als die Düsterheit Pilze. Zwar leuchteten auch sie in einem unwirklichen Licht, doch verströmten sie einen merkwürdigen Geruch. Halbohr setzte zwar einige Schritte dort hinein, aber schon nach einigen Metern kehrte er wieder zurück. Diese Pilze waren ihm nicht geheuer. Aus einer anderen Höhle hörten wir alle leise Stimmen zu uns dringen. Keine bestialischen Geräusche wie das Grunzen der Trolle oder das Kreischen der kleineren Kreaturen. Es waren Stimmen, die sich unterhielten. Ich verstand die Sprache zwar nicht, aber es klang wie die Sprache der Duergar. Vielleicht war es ein weiterer Außenposten der Minenstadt? Halbohr wollte gerade in diese Richtung kundschaften, als wie aus dem Nichts der gewaltige behaarte Leib einer acht-beinigen Kreatur aus der Felsspalte auftauchte. Halbohr war so überrascht von dieser riesenhaften Spinne, dass die Dolche zitterten, die er mit beiden Händen gepackt hatte. Doch zum Glück für Halbohr reagierte Ortnor erstaunlich schnell. Er schleuderte eine seiner Kugeln auf die Riesenspinne und traf sie genau auf den Schädel, der über Halbohr aufplatzte, gerade als sie ihre scharfen Kieferzangen über seinen Kopf schließen wollte. Ortnor kannte diese Kreaturen, zumindest erzählte er uns von Märchen, die er gehört hatte. In diesen Märchen sollten diese Spinnen, Flüsterspinnen nannte er sie, ihre Opfer mit ihrem Gift lähmen und in tiefe Höhlen ziehen, wo sie dann genüsslich verspeist werden konnten.

Halbohr sammelte sich wieder und schlich sich in den Tunnel, in dem wir die Stimmen der Duergar hörten konnten. Doch stellte er sich offenbar etwas ungeschickt an, denn einer seiner Stiefel stieß gegen einen kleinen Kiesel, der laut klickend über die Felsen rollte. Aus der Entfernung sahen wir, wie er sich jetzt offen in den Gang stellte und beide Arme nach oben hielt. Für mich sah es so aus als ob er sich feige ergeben würde, doch die beiden Duergar die sich ihm näherten schienen selbst in keiner guten Lage zu sein. Einer der beiden hatte eine tiefe Wunde an der Seite und konnte sich nur noch humpelnd bewegen. Der andere trat Halbohr entgegen. Laut rief Halbohr, dass wir freies Geleit hätten. Beide Geschöpfe des Unterreichs verstanden natürlich kein Wort von dem, was er sagte, doch Ortnor trat vor und half aus. Er erklärte ihnen, dass wir passieren durften. Die beiden Duergar hatten hier im Tunnel ein provisorisches Lager aufgeschlagen und waren gerade dabei sich über einem kleinen Feuer fettiges Fleisch zu kochen. Die beiden sagten Ortnor, dass sie sich verlaufen hätten, als sie geschickt wurden, um Düsterheit-Pilze zu sammeln. Weiter vorwärts wollten sie nicht, sagten sie doch, dass dort der Horror lauerte. Jedenfalls war es das, was Ortnor uns übersetzte. Zurück wollten sie aber auch nicht, fürchteten sie doch die Kreaturen. Die Kreaturen, um die wir uns bereits gekümmert hatten. Eigentlich sollten die beiden uns auf den Knien danken. Vermutlich waren sie entweder zu stolz oder zu dumm, das zu erkennen.

Plötzlich hörten wir hinter uns ein Hüsteln und diesmal zuckten wir alle zusammen, als dort eine Gestalt auftauchte. Es war eine menschliche Frau, die in einer mit Pfauenfedern geschmückten Robe gekleidet war. Wobei diese völlig überzogen war mit verstaubten dicken Spinnfäden. Auch im schwarzen Haar und am Körper der schlanken Gestalt klebten die dicken Fäden. Leicht torkelnd, als ob sie am Ende ihrer Kräfte war, kam sie auf uns zu und ich roch ihr Parfüm von Blumen aber auch den Geruch von etwas anderem, beißend riechendem. Sie musterte uns und den toten Leib der Spinne der noch in der Höhle lag. Vor allem musterte sie Bargh und der Blick den sie ihm zuwarf gefiel mir gar nicht. Sie stellte sich als Meeredite vor, eine ehemalige Sklavin, die sich dann in Urrungfaust hochgearbeitet hatte und jetzt dem König von Urrungfaust diente: Granryk von Werunstein. Als der Name fiel murmelte Ortnor etwas, das wie Bastard klang, doch Meeredite schien über die Bemerkung einfach hinweg zu hören. Ihr Auftrag war es, in der Minenstadt von Unterirrling nach dem Rechten zu sehen, hatten doch Gerüchte Urrungfaust erreicht, Waergo hätte die Kontrolle über die Stadt verloren. Nun, das Problem hatten wir offenbar auch gelöst, wobei unsere Lösung ihr vermutlich nicht gefallen hätte. Ihr diese Erkenntnis zu offenbaren, würde ich mir für einen späteren Zeitpunkt aufbewahren. Auch Halbohr war nicht dumm genug ihr davon zu erzählen. Sie wunderte sich nämlich schon, dass Waergo uns einfach so durchgelassen hatte, war es doch seine Aufgabe die Minenstadt zu sichern, sobald das Erscheinen Linnerzährns die Portale öffnete, die in den Berg hineinführten. Und auch sie erzählte von irgendwelchen Schrecken, die jenseits der Tunnel vor uns warteten. Alleine hatte sie wohl zu viel Angst, deshalb bat sie uns, sich uns anzuschließen. Als Ortnor das hörte polterte er. Er wollte keinen im Rücken haben, den er nicht kannte und erst recht keinen Diener aus Urrungfaust. Doch ein paar eindringliche Worte Barghs, zusammen mit einem strengen Blick, brachten ihn schließlich zur Einsicht, denn Ortnor wusste sehr wohl, dass er nur ein kleiner Wicht ist. Und wir brauchten jemanden, der sich in den dunklen Tiefen auskannte. Wir brauchten jemanden, der sich besser auskannte als Ortnor.

Jenseher:
Mein Herz pochte. Vielleicht war es noch die Aufregung des Kampfes mit der gewaltigen Spinnenkreatur. Doch ich war mir fast sicher, dass es eher an Meeredite lag. Sie sah zwar wesentlich älter aus als Bargh, und als ich ohnehin, aber in ihrer mit Pfauenfedern verzierten Robe und ihrem schlanken Gesicht könnte sie es bestimmt schaffen einige einfältige Buben zu bezirzen. Bei Bargh versuchte sie es jedenfalls. Selbst sein vernarbtes Gesicht und der rote, mit seiner Haut verwachsene Edelstein in seiner leeren Augenhöhle schreckte sie nicht ab. Vielleicht war es ja auch genau das, was sie an ihm anziehend fand. Aber sie wusste nichts über ihn, geschweige denn, was ihm wichtig war. Für mich war eines klar: Ich konnte ihr nicht trauen. Auch wenn Ortnor sie anblickte, sah ich in seinen älteren Augen das Misstrauen. Nur für Halbohr schien sie völlig uninteressant zu sein. Ich vermutete es lag einfach daran, dass sich der Elf immer nur für eine Sache interessieren konnte und momentan war dies der weitere Weg. Was sonst noch an Geschehnissen vor sich ging, konnte oder wollte er nicht sehen.

Wir folgten den Höhlen vorbei an den beiden Duergar, die immer noch dabei waren, die Brühe aus Fleisch heiß zu machen. Der verletzte Duergar brabbelte irgendetwas in seiner Sprache zu Halbohr, was Ortnor übersetzte als Bitte um Heilung. Halbohr zuckte jedoch nur mit den Schultern und ging weiter. Wir folgten dem Tunnel in eine weitere Kaverne von deren Decke einzelne lange Tropfsteine über die Jahrhunderte wuchsen. Schon als ich in die Höhle eintrat spürte ich, wie sich meine Nackenhaare aufrichteten. Ich war etwas verwundert, doch dann sah ich woher es kam: Der Ausgang der Höhle war versperrt mit einer Wand aus widerlich stinkendem grünem Schleim. Allerdings war es nicht nur einfach Schleim, sondern er schien sich in sich selbst zu bewegen, wie Wirbel von zähem Wasser. Als ich die Substanz etwas länger betrachtete, konnte ich deutlich die Konturen von einzelnen Gesichtern und Körpern erkennen. Einige dieser Gesichter waren jedoch bis auf den Schädel zerfressen. Diese Wand bewegte sich zwar nicht, doch sahen wir keinen anderen Ausgang. Wir hatten keine andere Wahl, als weiter vorwärts zu dringen. Keiner glaubte daran, dass diese Wand sich nicht doch heimlich auf uns zu bewegen könnte. Halbohr und Bargh zogen ihre Waffen und auch Meeredite zog einen Degen, der ebenfalls aus diesem merkwürdigen stahlharten Kristall des Ne‘ilurum gefertigt war. Halbohr schleuderte einen seiner Dolche auf die Wand. Das Gift was sich noch darauf befand, schien auch hier seine Wirkung nicht zu verfehlen. An der Stelle, in der der Dolch im Schleim verschwand, gab es ein Blubbern und ein Zischen und einzelne Schleimtropfen sprudelten wie Blut hervor. In dem Moment schälte sich aus dem grünlich fluoreszierenden Schleim der Teil eines Körpers heraus. Er sah aus wie ein Mensch, aber schien nur noch einen Oberkörper zu besitzen. Eine Frau mit langen schwarzen, teilweise zerfressenen Haaren und leicht spitzen Eckzähnen. Sie stöhnte auf vor Leid und blickte mit einem verbliebenen Auge uns an. Als ihr Blick auf Ortnor fiel, konnten wir die schwache und verzweifelte Stimme hören: „Ortnor, seid ihr es?“

Ich war sichtlich verwirrt, kannten die beiden sich wirklich und wenn ja, war er vielleicht schuld an ihrem Schicksal? Die einzige Antwort Ortnors war Angriff, doch das war kaum nötig, denn Halbohr und Bargh rammten bereits ihre Klingen in die Schleimwand und auf die immer wieder heraustretenden Schädel. Als Barghs Klinge Glimringshert den Schleim durchtrennte, sahen wir tatsächlich dahinter einen Durchgang, der tiefer in den Berg führte. Doch die Wand war nicht wehrlos. Wie ein Hagel schossen dutzende Klauen auf Bargh und versuchten mit ihrem Krallen durch seine Rüstung aus Ne‘ilurum zu dringen. Doch der starke Krieger duckte sich hinter sein Schild und ging zum Gegenangriff über. Aus einer anderen Stelle zuckten blitzende Entladungen auf und formten sich zu einem Strahl, der auf Halbohr schoss. Wie ein Peitschenschlag fuhren die Entladungen in sein Fleisch, versengten seine Haut und ließen seine Muskeln verkrampfen. Ich selbst löste mich schnell aus dem anfänglichen Grauen. Mutig schritt ich der Wand entgegen und bat Jiarlirae um ihre Gunst. Mit den sengenden Flammen, die ich aus meinen Fingern formte, verbrannte ich die obersten Schichten des Schleims. Barghs Schwert brachte jetzt auch reinigende Flammen hervor und zusammen schafften wir es, dass der Schleim sich erst verfestigte und dann wie poröser Stein in kleinen Brocken zusammenbrach. Es war auch nicht nur der Schleim der sich auflöste. Mit einem Mal fielen angefressene Körperteile und Schädel heraus und landeten auf dem Boden. Auch der Körper der Frau erschien wieder. Als ich sie betrachtete, verkrampfte ich vor Schrecken. Nur noch ein Teil des Oberkörpers war übrig, ab der Hüfte sah man die Reste von Beinstümpfen. Der Rest schien durch Säure aufgelöst, ebenso wie Stellen am Bauch und am Kopf. Sie war so gut wie tot und es war die größte Gnade, die ihr zuteilwerden konnte. Doch sie sprach noch, schwach aber friedlich. Sie sprach, als ob sie schon tot wäre, nur ihr Körper davon noch nicht wüsste: „Haltet ihn auf; er hat mich zu dem gemacht, was ich bin, zu diesem Schicksal verdammt. Niroth, er konnte mich nicht beschützen, sein Sklave ist er geworden. Ich flehe euch an, tötet ihn, tötet Maargaun von Urrunger. Keine andere Sprache wird er verstehen. Vergesst nicht. Ich tat alles, doch konnte nicht, seine Augen, seine Augen, fürchtet seine Augen. Vergesst mich nicht, vergesst nicht meinen Namen - Faere.“

Mit ihrem Namen schloss sie ihr verbliebenes Auge. Für einen Moment spürte ich so etwas wie Bedauern neben dem Grauen, doch dann klärte sich mein Verstand wieder; war es doch vermutlich ihre eigene Schwäche die sie in diese Situation brachte. Ich konnte meinen Kopf wieder richtig benutzen und ich musste stark sein. Wir hatten es bis hierhin geschafft mit der Kraft von Jiarlirae. Ich durfte keine Angst vor dem Grauen haben. So führten mich meine Gedanken zurück nach Wiesenbrück – zu den Namen im Baum. Diese Frau war das Überbleibsel aus der Gruppe der Abenteurer, die 23 Jahre vor uns aufgebrochen sind und ihre Namen in dem Baum im Gasthaus verewigt hatten. Adanrik hatte sein Ende unter dem Felsen gefunden, der ihn erschlagen hatte. Für das Schicksal von Waergo hatten wir selbst gesorgt. Auch Adanrik hatte von Niroth in seinem Brief gesprochen, doch schien sich dieser eher gegen ihn gewandt zu haben. Vielleicht hatte sich die Gruppe in zwei Lager aufgeteilt oder jeder von ihnen ist sich gegenseitig an die Gurgel gegangen. Da waren noch Kara und Niroth selbst übrig, doch der Name Maargaun sagte mir nichts, dieser stand nicht auf dem Baum. Vielleicht hatte der Jenseher, den Adanrik erwähnte etwas damit zu tun? Ich konnte nicht mehr richtig denken. Meine Gedanken drehten und kreisten sich. Der Gestank des Schleimes vernebelte meine Sinne. Meeredite schlenderte wieder auf Bargh zu und fing an zu säuseln. Dieses Miststück, soll sie ihn doch in Ruhe lassen. Vernebelt durch den Gestank krochen wunderschöne Bilder in mir hoch, wie ich ihren brennenden Leib sah und ihr Schreien hören konnte. Das Bild war zwar nur kurz, aber dennoch lieblich. Zum Glück für sie, schien auch Bargh unbeeindruckt und schritt durch den jetzt offenstehenden Ausgang. Halbohr hielt ihn aber kurz an und zusammen beugten sie sich über den Boden. Sie flüsterten miteinander, leider verstand ich davon nichts. Doch als wir weitergingen sah ich mir ebenfalls die Stelle an. Waren dort Abdrücke in dem Schleim, Abdrücke wie von Stiefeln, wie Meeredite sie trug? Ich war mir nicht sicher, aber vielleicht hatten Halbohr und Bargh diese Spuren entdeckt. Jetzt wurde mir jedoch klar: Meeredite lügt und man kann ihr nicht trauen, noch weniger als Ortnor.

Hinter der Öffnung änderten sich die Tunnel. Es war kein natürlicher Höhlenfels mehr, sondern die Wände waren kunstvoll aus dem Stein geschliffen. Auf jeden Fall sahen sie sehr alt aus. An den Wänden war eine Art Pilz oder irgendein Gewächs zu sehen, dass den Stein und den Boden überwucherte. Dieses Gewächs sonderte Schleim ab, der inzwischen den ganzen Boden bedeckte. Ein saurer Geruch, wie nach Essig erfüllte die Luft. Wir folgten Halbohr, der wieder einige Schritte vorauskundschaftete. Plötzlich tauchte direkt hinter Bargh eine riesenhafte Monstrosität auf. Eine Kreatur, die zum unteren Teil den Körper eine Spinne oder einer Krabbe hatte. Der obere Teil bestand aus einem Haufen von Fleischsäcken mit durchsichtiger Haut. In den Fleischsäcken befanden sich eine Vielzahl an Gehirnen. Anstelle eines Mauls wuchsen der Kreatur Tentakel. Vor Schreck fuhr ich zusammen und erstarrte, doch Bargh konnte nichts erschüttern. Mit einer schnellen Reaktion hieb er Glimringshert auf die Kreatur, dessen Klinge sich noch im Schwung mit grellen Feuern entzündete. Das Schwert fuhr tief in den Leib hinein und durchschnitt die Hautsäcke. Dem gewaltigen Hieb konnte die Kreatur nichts entgegensetzen und ergoss einen Strom aus verrotteten Gehirnen. Ich dachte an meine Herrin und unseren Weg. So schritten wir weiter in die Dunkelheit.

Die Gänge schienen früher, vor langer, langer Zeit gar majestätisch gewesen zu sein. Wenn man sich den Schlamm wegdachte, konnte man noch Spuren davon erkennen. Die Gänge führten durch mehrere kuppelartige Dome, zwei davon riesig in ihren Ausmaßen. Aber alles war mit diesem Gewächs und dem Schleim bedeckt, der Leben in sich selbst zu tragen schien. An einigen Stellen im Boden sammelte sich der Schleim in kleinen Löchern, die Blasen bildeten und dann mit einem lauten Schmatzen aufplatzten. In einem der Dome stand wohl früher mal eine Statue, doch es war nur noch der Sockel zu erkennen. Dort wo man die Statue vermuten würde, befand sich nur ein Haufen Schlamm und Schleim. In einem anderen Dom stand die Statue noch, doch war sie vollständig überzogen mit dem Schleim. Man konnte noch die Konturen darunter erkennen und ab und zu ein bläuliches Aufglitzern. Für mich sah das Gebilde aus wie ein aufgetürmter Haufen Steine, der Ähnlichkeiten mit einer Gewitterwolke hatte. Aber Ortnor war plötzlich außer sich. Wie ein Kind freute er sich über dieses Ding und unterhielt uns mit einem Monolog über die Schönheit und Perfektion dieser Kunst, die wohl schon tausend Jahre alt sei. Dabei klangen seine Worte verrückt und er machte wieder komische Kaubewegungen mit seinem Mund. Ich betrachtete mir nochmal diese Statue und bemühte mich wirklich. Doch es blieb dabei, für mich war nicht mehr als ein Steinhaufen.

Halbohr schlich jetzt wieder einige Schritte voraus. Der Gang, in den er eintrat, hatte links und rechts kleine Nischen. Als er sich gerade über eine Nische beugte, sahen wir am Rande des Fackelscheins, wie plötzlich eine Kreatur hinter Halbohr auftauchte. Als ob sie auf einmal aus dem Nichts erschien. Diese Kreatur bestand aus einem dicken Tentakel, der sich an einem Ende in viele kleine aufteilte. Einige dieser Tentakel hatten Mäuler, andere Klauen. Am anderen Ende besaß der große Tentakel ein Maul, in dem messerscharfe Zähne blitzten. Die Kreatur packte Halbohr mit ihren Tentakeln und wollte ihn so in ihr Maul ziehen. Bargh reagierte zuerst und stürmte auf das Wesen zu, doch auch Halbohr war nicht wehrlos, obwohl bereits ein Bein und ein Arm fest von den Tentakeln gehalten wurde. Er stieß den mit Düsternis bestrichenen Dolch in die Kreatur. Als das Pilzgift in das Wesen eindrang, konnten wir sehen, wie sich die Zellen einzeln aufblähten und schließlich platzten, was eine große klaffende Wunde hinterließ. Bargh brachte der Kreatur schließlich den Todesstoß.

Währenddessen ging ich zu der Nische vor der Halbohr innegehalten hatte. Irgendetwas schien mich dorthin zu ziehen, aber ich spürte, dass es nichts Schlechtes war. In der Nische sah ich, halb unter einem Stein verborgen, etwas glitzern. Ich griff danach und spürte, dass in dem Gegenstand eine Macht lag. Eine Macht, die sich anfühlte als ob sie direkt von Jiarlirae stamme. Entschlossen zog ich den Gegenstand unter dem Stein hervor. Als ich meine Hand öffnete, befand sich darin eine kleine Onyx Statue, in der Form eines Drachen. Zwar war die Kraft darin erschöpft, doch hörte ich in meinem Kopf die Worte, die notwendig waren, um die Feuer der Statue zu einem neuen Leben erwachen zu lassen.

Der majestätische Gang führte uns weiter und wir sahen den Schleim weichen. Ich fragte mich, was für seltsame Kreaturen uns noch erwarten würden. Stattdessen wuchs vor uns ein Gras auf dem Boden. Aber kein grünes Gras wie zuhause, sondern silbriges Gras, mit Blättern scharf wie Messer. Ich erinnerte mich, dass ich schonmal Geschichten über so ein Gras gehört hatte, dass dies von einer anderen Welt stamme. Es war nicht einfach nur ein Gewächs, sondern es hatte ein gewisses Maß an Intelligenz. Normalerweise war es friedlich, doch wenn man es zerstören wollte, schnitten einem die Halme tief ins Fleisch. Vorsichtig setzten wir Fuß für Fuß und achteten darauf, möglichst wenig Schaden zu verursachen. Es funktionierte auch. Die Grashalme schmiegten sich zwar um unsere Beine, doch schnitten sie nicht. Vor uns sahen wir, wie mitten im Gang und zwischen den Halmen, eine große Wucherung auftauchen. Diese Schleimwucherung war fast menschengroß und hatte nach oben hin eine Auswölbung. Sie bewegte sich nicht, daher hielten wir erst einmal inne. Doch die Halme schoben uns mit sanftem Druck weiter. Halbohr war dies nicht geheuer und er wollte zurückgehen. Da zuckten die Halme nach vorne und schnitten tief in seine Unterschenkel hinein. Die Wucherung drehte sich. Es sah jetzt mehr wie ein Pilz aus, von dessen Oberfläche Schleim in Massen triefte. Ortnor schrie einen Schrei des Entsetzens, während der Druck der Grashalme immer stärker wurde und uns dem Pilz entgegentrieb. Bargh blieb davon unbeeindruckt und hieb mit seinem Schwert in die Wucherung hinein. Doch diesmal zeigte die Klinge nicht die Wirkung, auf die er hoffte. Zwar durchschnitt sie die Masse, aber fast ohne Widerstand trat sie dampfend aus der anderen Seite wieder hinaus. Halbohr zog einen seiner Dolche, wahrscheinlich der letzte, dessen Klinge noch mit der dunklen Flüssigkeit des Düsterheitpilzes benetzt war. Er warf den Dolch mit der Schneide voran in den Polypen und ein weiteres Mal wurde ich Zeuge jenes Schauspiels, als das Gift seine Wirkung zeigte. Der Pilz schien zu wachsen. An einigen Stellen platzte schon die Haut auf und stinkender Schleim spritzte auf Bargh. Schließlich konnte der Körper den Druck nicht mehr halten und mit einem Knall platzte das fremde Wesen auseinander. Widerlicher Schleim - oder war es Blut – besudelte uns. Mit einem Mal ließ der Druck des Grases nach und die Halme schmiegten sich wieder friedlich um unsere Beine.

Als die Wucherung aufplatzte, offenbarte sie auch die Überreste älterer Opfer. Ich stellte mir für einen Moment vor, wie ein dummer Wanderer in den Polypen getrieben würde und von diesem langsam und bei lebendigem Leibe gefressen würde. Aber für uns hatte es etwas Gutes, dass bereits Schwächlinge in diese Falle tappten. Einige glitzernde Edelsteine befanden sich dort. Die Reste eines Totenschädels trugen in den Augenhöhlen roten Kristall. Doch dann sah ich, dass es keine ganzen Kristalle waren, sondern geschliffene kleine Kristallscheiben. Als ich mir diese vor die Augen setzte, konnte ich wieder die Strömungen der verschiedenen, für das normale Auge unsichtbaren, Strahlungen sehen. Der Gang endete an einer schwarzen Türe aus Stein. Halbohr nutzte seine Dietriche und die Türe schwang auf. Wir wurden kurz geblendet, als in dem Gang dahinter ein pulsierendes Licht auftauchte, das langsam anschwoll und dunkler wurde. Das Licht kam von einer Schiene aus Metall, die sich über der Decke entlang zog. Im völligen Kontrast zu den zuvor überwucherten Gängen, war dieser Gang schon fast als sauber zu bezeichnen. Kein Schleim, keine merkwürdigen Gewächse; einfach nur blanker Stein. Und alt war er. Halbohr konnte zwar einige Reste von Spuren entdecken, doch sagte er, dass diese mehrere hundert Jahre alt wären. Seit dieser langen Zeit waren wir die ersten, die einen Schritt auf diesen Stein setzten.

Mehrere Räume zweigten von diesem Gang ab. In einem Raum, vielleicht früher mal ein Schlafgemach, jetzt jedoch verrottet und zerfallen, fand Halbohr einen kleinen leuchtenden Kristall. Wie gebannt starrte er dort einige Zeit hinein bis er ihn wieder weglegte. Ich dachte erst er hätte eine tiefgreifende Vision gehabt, doch es waren nur langweilige Bilder irgendeiner Familie, die es irgendwie geschafft hatte, sich als Bilder in dem Kristall zur Schau zu stellen. Halbohr berichtete von einer Frau und ein Mann, zusammen mit ihrem kleinen Blag. Sie posierten vor einer alten elfischen Stadt. Es waren farbig-strahlende, gläserne Minarette zu sehen gewesen, die den blauen Himmel durchbohrten. Zudem hatte er einen fliegenden Wal erspäht, der sich, wie aus einem glitzernden Metall, durch die Luft bewegte. Es war wohl eine Vision der mysteriösen Stadt Nysthandarith gewesen, die Halbohr in dieser Vision gesehen hatte. Zwar konnte Halbohr eine weitere schwarze Türe nicht öffnen, doch fanden wir noch einen Raum. Was auch immer dieses Gemach darstellen sollte, auf einem Tisch lag ein merkwürdiges Gebilde einer eisernen Kugel, um die sich feine Fäden aus Kristall spannten. Ein Summen ging von der Kugel aus und sie pulsierte im Gleichtakt mit dem Licht des Ganges. Keiner von uns hatte den blassesten Schimmer, was das sein sollte. Sogar Ortnor, normalerweise von sich tönend, wie fähig er wäre, konnte damit nichts anfangen. Bestimmt eine Ewigkeit verbrachte er aber mit der Untersuchung. Schließlich schaffte er die Kugel in sein Versteck, das er immer noch an seinem Gürtel trug. Meeredite blickte verblüfft, als Ortnor die seidene Decke in die Luft warf, die dort dann wie von Zauberhand hängen blieb und den Weg zu seiner geheimen Werkstatt offenbarte.

Wir traten wieder auf den Gang zurück und folgten ihm. Eine weitere schwarze Türe versperrte den Weg, doch hatte diese kein Schloss, sondern ein Rad mit dem man sie öffnen konnte. Was sich dort hinter befand verschlug mir die Sprache. Ein kreisrunder Raum, an dessen Rändern sich sechs kleine Plattformen befanden. Auf jeder Plattform war jeweils einer dieser merkwürdigen sphärischen Gegenstände befestigt, doch bei zweien war das Licht erloschen. Was sich in der Mitte befand, war wirklich erstaunlich. Genau zwischen den Kugeln schwebte senkrecht ein Runde Scheibe. Aber nicht wie ein Spiegel, sondern vielmehr, als ob sie aus flüssigem Silber bestehen würde. Langsam drehte sie sich in ihrer Mitte. Die Scheibe war so dünn, dass wir sie nicht mehr sehen konnten, wenn sie sich zu Seite drehte. Ortnor vergaß jegliche Vorsicht und trat einfach in den Raum, der Scheibe entgegen. Wie hypnotisiert starrte er die spiegelnde Fläche an. Ab und zu verschwand sie einen Augenblick, so als ob sie zittern würde. Dann war sie wieder da und drehte sich weiter. Ich spürte wieder dieses seltsame Gefühl. Als ob kalte Schauer über meinen Rücken laufen würden. Mit diesem Gefühl kamen auch wieder die Gedanken und die Wut. Die Wut auf alles war mich behinderte und sich mir in den Weg stellte. Ich wollte mir etwas nehmen - vielleicht einen Hammer - und ihre Köpfe einschlagen. Ich wollte sehen, was sich in ihren Köpfen befand. So stand ich dort in diesem pulsierenden Licht und war wohl einige Zeit nicht bei meinen Sinnen. Als Ortnor sprach, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Ortnor meinte, dies sei ein altes Portal, was durch den Raum und vielleicht auch durch die Zeit führen könnte. Doch es wäre schon längst nicht mehr stabil und könnte denjenigen zerreißen, der es durchschritt. Ich hoffte Ortnor würde es trotzdem aus reiner Neugierde versuchen. Es sähe bestimmt herrlich aus, wenn der kleine Wicht noch weiter halbiert wird. Danach könnte ich immer noch seinen Kopf einschlagen. Aber leider tat er es nicht, sondern blickte auf Meeredite, die inzwischen auch eingetreten war. Auch er war sich sicher, dass sie log. In meinem Dorf sagte man früher: Ein Lügner erkennt einen anderen Lügner immer. Als er sie fragte, wer in Wirklichkeit die Macht in Urrungfaust innehatte, wurde Meeredite sichtlich nervös. Ortnor wurde wütend. Er stampfte mit dem Fuß auf dem Boden, zeigte mit seinen dicken Fingern auf sie. Sie würde nie im Leben aus Urrungfaust stammen. Auch Halbohr stimmte mit ein und näherte sich ihr bedrohlich. Schon merkwürdig, brüstete er sich doch sonst immer damit ruhig und überlegt zu handeln. Doch dieses Mal konnte auch er sich nicht im Zaun halten und nannte Meeredite eine Lügnerin. Diese versuchte sich zu winden und redete irgendetwas daher. Das war wohl zu viel für Halbohr. Er zückte seinen Dolch und stürmte auf Meeredite zu. Sein Gesicht war von Angst und Hass verzerrt. Ich starrte gespannt. Fast war es so, als ob es eine Prüfung wäre, welcher von beiden die Stärke beweisen konnte. Eine Prüfung, wer von beiden dem heiligen Weg unserer Herrin Jiarlirae würdig war. Doch vielleicht war es auch dieser Ort, der unsere Geister verzerrte und an unserem Verstand riss. Ich verwarf den letzten Gedanken schnell und wartete… ich wartete auf ein Zeichen meiner Herrin.

Jenseher:
Ich war erstaunt, als ich die Wut und Raserei in Halbohrs sonst eher lethargischen Augen sah. Mit beiden Dolchen stürmte er auf Meeredite zu. Sein Gesicht sah aus, als wenn er wirklich Schmerzen hätte. Auch ich spürte ständig diesen Druck irgendwo im Nacken. So, wie wenn immer wieder jemand mir einen kalten Hauch in den Nacken bläst. Nur schwach aber beständig. Am Anfang trat es nur gelegentlich auf, aber inzwischen sorgte es dafür, dass man kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Als ob man tagelang nicht mehr geschlafen hätte. Vielleicht war es das Gleiche, was auch in Halbohr vorging und er verlor seine ach so geliebte Kontrolle über sich selbst. Hätte er mal seiner Wut schon früher freien Lauf gelassen und sie nicht eingesperrt. Jetzt wollte sie heraus.

Das von der Sphäre strahlend-pulsierende Licht in diesem Dom, flachte gerade ab und als es wieder heller wurde stand Halbohr plötzlich vor Meeredite. Sie hatte damit nicht gerechnet. Sie riss ihre blauen Augen erstaunt auf und wich zurück. Ortnor stachelte Halbohr zusätzlich an, rief "Lügnerin!". Sein rundlicher Kopf und sein Kiefer zuckten dabei noch wilder als sonst und sein schütteres Haar stand noch mehr ab. Doch Halbohr war blind und taub für uns und stieß seinen Dolch nach ihr. Meeredite hingegen war überraschend geschickt. Mit einer schnellen Bewegung schwang sie ihren Degen aus Ne'ilurum und parierte den Dolch. Ein zweiter Stoß folgte, den sie auch parierte. Ein dritter fand schließlich sein Ziel. Diesmal war sie nicht schnell genug und Halbohrs Dolch drang in ihren Körper ein. Barghs Gesicht erhellte sich auf einmal, der rote Stein in seiner Augenhöhle glühte leich auf. "Tötet sie Halbohr, tötet sie für Jiarlirae!". Meeredite, vorher selbstsicher und arrogant, war auf einmal nicht mehr so selbstsicher, als sie sein eigenes Blut sah. Hilfesuchend blickte sie zu Bargh. Sie versuchte wohl ihn zu bezirzen, wie sie es so oft versuchte hatte. Sicherlich: Jemand anderes könnte sie vielleicht als hübsch bezeichnen, mit ihren langen schwarzen Haaren, aber ich wusste, dass Bargh nicht darauf hineinfallen würde. Dennoch versuchte sie es: "Ich töte ihn für euch, für Jiarlirae. Ich habe Macht in Urrungfaust, habe Einfluss. Ich kann euch Dinge zeigen die ihr noch nicht kennt, Geheimnisse und auch andere Dinge." Mir wurde fast schlecht, als sie bei ihren letzten Worten Bargh zuzwinkerte. Bis dahin war mir das Ergebnis dieses Duells ziemlich egal, wobei ich schon hoffte das Halbohr es schaffte, das Lächeln aus Meeredites Gesicht zu schneiden. Jetzt musste sie sterben und wenn ich selbst dabei nachhelfen müsste.

Ortnor war auch außer sich. Er schrie Halbohr an. Warum er sie nicht schon längst getötet hätte. Dann nahm er einen seiner Steine der in dem pulsierenden Licht leicht schimmerte, wie ein kleiner Mondstein und schleuderte ihn auf Meeredite. Doch auch diesen Angriff parierte sie geschickt mit ihrem Degen und der Stein platzte an der Wand hinter ihr in einer gräulichen schmierigen Substanz auf. Jetzt ließ sie endlich ihre Fassade fallen. Kein Einschmeicheln mehr, keine Überzeugungen mehr. Ihr Gesicht verhärtete sich und sie begann arkane Formeln zu murmeln. Der Degen begann plötzlich wie von alleine aus ihrer Hand zu springen und sich mit tänzelnden Bewegungen durch die Luft zu bewegen. Das Licht der Halle flachte wieder ab. Als es fast wieder dunkel wurde, spürte ich, wie dieses Nagen im Hinterkopf zu einem Pressen und dann zu einem richtigen Schlag wurde. Mir tat der Schädel weh und ich dachte nur noch daran, alles was ich sehe zu verbrennen. Das würde den Schmerz nehmen. Ich versuchte mit aller Kraft meinen Verstand zu behalten und es gelang mir auch. Der Schlag verging, der Druck wurde weniger, war aber immer noch da. Es zehrte an meinem Geist, wie ich es schon erfahren hatte, seitdem wir das Portal in den Berg passiert hatten.

Ich blickte zu Bargh und er setzte sich mit einem Ruck in Bewegung. Offenbar hatte er genug von dem Schauspiel und erhob sein Schwert. Die Flammen zuckten auf, als sich die Klinge senkte und als die brennende Schneide in ihre Seite hieb verschwand ihr Grinsen und wurde durch blanke Angst abgelöst. Barghs Angriff gab mir den Anstoss. Auch ich hatte genug und schleuderte flammende Pfeile auf sie, die ihre ach so schöne Haut versengten. Meeredites Augen weiteten und Entsetzen war zu sehen. Sie murmelte ein kurzes Wort und löste sich in Luft auf. Halbohr schien dies überhaupt nicht zu realisieren. Immer wieder stach er in die Luft, dort wo sie gerade noch stand. Dann auf den Boden und das Kratzen des Dolches wurde durch die Kuppeln gespenstisch wiedergegeben. Es dauerte eine Weile bis seine keuchenden Hiebe langsamer wurden und er sich zu beruhigen schien. Aber Ortnor war immer noch ein nervliches Bündel. Zappelnd und nervös schritt er hin und her und stritt mit sich selbst: "Sie diente nicht Urrungfaust, ich weiß das.… aber wem dann, wem dann...dem, was sich hier befindet! Wir haben keine Zeit! Sie wissen jetzt, dass wir kommen!"

Es schienen die Worte eines Wahnsinnigen, doch zumindest in einer Sache hatte er Recht. Wir mussten uns eilen. Meeredite war enttarnt, zumindest ein Teil ihrer Lügen war offenbart. Und wem sie auch immer diente, sie würde uns nicht einfach ziehen lassen. Und außerdem sollte sie bestraft werden, dass sie sich immer zwischen mich und Bargh stellen wollte. Aber ich wusste nicht, was wir tun sollten. Ich blickte ängstlich auf die sich drehende Scheibe, die immer mal wieder zu zerbrechen schien, dann aber wieder da war. Bargh musste wissen, was zu tun war. Er wusste es auch, doch ein Blick auf Halbohr, der die Verbrennungen der elektrischen Energien überall am Körper trug, ließ ihn innehalten. Er dachte wohl, dass wir auf Halbohr angewiesen wären, was ich aber nicht verstand. Sicher, er konnte sich leise bewegen und einige Schlösser öffnen, doch schien er die Kreaturen der Dunkelheit wahrhaft anzulocken. Aber gut, Bargh wußte schon was er tut. Er bot Halbohr Heilung an, doch nur wenn er sich als Diener unserer Herrin bekennt. Der arme Tölpel, er machte sich selbst etwas vor, als er sich damit herausreden wollte: Dass er ja Neire sein Wort gegeben hatte. In seinem Innern wusste er es wahrscheinlich schon, dass auch er ihr schon längst zu Diensten war.

Wir gingen wieder zurück zu dem Tunnel mit dem silbernen Gras, welches sich weiterhin friedlich um unsere Beine schmiegte. Der Gang, den wir noch nicht erkundet hatten, endete an einer schwarzen Türe aus einer Art Marmor, vielleicht sogar irgendeine Form des Ne‘ilurum. Halbohr hatte wohl hinter der Türe etwas gehört, zumindest sollten das wohl seine Zeichen bedeuten, die er mit den Händen machte. Er beugte sich vor die Türe. Irgendetwas schien ihn stutzig zu machen. Vorsichtig nahm er seinen Dolch und drückte damit die Türe auf. Sein Gefühl hatte ihn nicht getäuscht, denn sobald die Klinge die Türe berührte sahen wir wie irgendeine Macht von der Türe floss und in seinen Dolch hinein. Doch dort verblasste die Energie schnell. Als er die Türe aufdrückte sahen wir dorthinter einen Raum, der früher vielleicht mal die Bezeichnung königliches Gemach tragen konnte. Der Stein dieses Raumes war schwarz, ähnlich wie die Türe und obwohl ich mich nicht auskannte, konnte ich sagen, dass dieser Raum alt, sogar sehr alt war. Gar nicht so alt waren dagegen die steinernen Stühle und Tische. Irgendjemand, vielleicht gar nicht so lange her, hatte aus diesem Gemach einen Essensraum gemacht. Auf den Tischen standen Schüsseln und in der Mitte ein großer Kochtopf. Der Geruch von gekochtem Fleisch hing schwer in der Luft. Kreaturen sahen wir keine, was auch immer Halbohr gehört haben mochte, war entweder nicht mehr da oder versteckt. Vielleicht hatte Halbohr selbst kein sehr großes Vertrauen mehr in seine Fähigkeiten, hatten sie ihn doch in diesen Tunneln schon sehr oft im Stich gelassen und, viel schlimmer, uns alle in Gefahr gebracht. Jedenfalls ging er schnurstracks zu einer weiteren Türe gegenüber, ebenfalls aus schwarzem Stein. Diese Türe war einen kleinen Spalt geöffnet und Licht schimmerte von dorthinter. Keinerlei Pilze, Schleim oder merkwürdige Gewächse aus fernen Welten wucherten hier hinein.

Als Halbohr einige Schritte getan hatte, traten die Wachen des Raumes, die er zuvor gehört hatte, aus ihrem Versteck hinter der Türe hervor. Weitere dieser schändlichen und feigen Kreaturen der Duergar, die es nicht wagten uns offen gegenüber zu treten. Plump ja, doch Halbohr hatten sie damit hinters Licht geführt. Auch nutzten sie die Magie ihres Blutes und hatten ihre Gestalten aufgeblasen. Halbohr war wohl so überrascht, dass er sich tölpelhaft bewegte. Zwar versuchte er seinen Dolch, auf dem noch schwach der Film des Giftes schimmerte, nach dem ersten zu stechen, doch stolperte er dabei und rammte sich die vergiftete Klinge tief in sein Bein. Die Adern traten blutrot hervor und pochten, als das Gift durch seinen Körper strömte. Doch hielt er sich noch auf den Beinen. Zum Glück für uns hatte Bargh schnell reagiert und stellte sich den Duergar. Diese konnten seiner Macht nicht viel entgegensetzen und einer nach dem anderen fiel schrumpfend in sich zusammen. Die beiden waren so auf die Duergar konzentriert, dass sie es wohl nicht sahen, dass die Türe gegenüber sich öffnete und Meeredite erschien. Oder war es Meeredite? Ihr Gesicht war es zumindest, doch hatte sie auf einmal feuerrotes gelocktes Haar. Ihre Augen waren ganz bestimmt die ihren. Nun war alle gespielte Freundlichkeit verschwunden. Nur noch Haß war zu sehen. Ich konzentrierte mich, die Stimme Jiarliraes zu finden. Sie sollte von ihren Flammen verzehrt warden. Das war das einzige Schicksal, was ihr zustand. Auch sie bewegte ihre Lippen zu arkanen Formeln. Dann geschah etwas Seltsames: Unsere beiden Energien schossen aufeinander zu, doch zeigten sie nicht die Wirkung die ich erwartet hatte. Irgendetwas packte meinen Körper mit Gewalt um wirbelte mich herum, gerade als ich den flammenden Ball schleuderte. Das war das letzte, was ich noch sehen konnte. Dann wurde es schlagartig völlig dunkel. Ich hörte nur noch das Klingen und Keuchen von Bargh und Halbohr, die die Duergar bekämpften. Ich selbst tappte blindlings herum. Jetzt konnten die Geister, die ich aus dem blutenden Herzen in mich aufnahm, ihre Schuld mir gegenüber erfüllen. Ich konnte sie tief in mir hören, ihre Schreie und ihr Flehen. Sollten sie zeigen, ob sie nach ihrem Tode noch zu etwas gut sein könnten. Im Geiste packte ich sie wie ein Riese, der mit seiner großen Hand in ein Nest von Insekten packt. So holte ich sie hervor. Sie sollten mein Schutz werden und vielleicht, wenn sie sich würdig erwiesen, würde ich zumindest einige in das Jenseits, in das Reich meiner Herrin, entlassen.

Jenseher:
Das Licht kam wieder zurück, gerade als Bargh den letzten Hieb auf den letzten Duergar vollführte. Von Meeredite war nichts mehr zu sehen. Wir stiegen über die Leichen hinweg und eilten zur Türe. Dort hinter hörten wir ihre Stimme, also war es ganz bestimmt Meeredite. „Maargaun, hört endlich auf mich, sie kommen! Unterbrecht das Ritual, unterschätzt sie nicht!“ Der Singsang der hinter der Türe zu hören war, brach kurz ab: „Schweigt Kara! Ich habe besseres zu tun. Das Ritual ist bald beendet, hört ihr nicht ihre Stimmen, spürt ihr nicht ihre Macht? Niroth, kümmert euch um sie!“. Eine dritte Stimme, gebrochen und merkwürdig monoton, antwortete: „Ja, Meister.“ Der Singsang begann wieder. Hier waren also die restlichen der Gruppe, die vor 23 Jahren aufbrachen: Niroth und Kara. Wer hätte es gedacht, dass Meeredite eigentlich zu diesem Gefolge gehörte. Aber Niroth und Kara würden das Schicksal von Waergo, Adanrik und Faere teilen. In ihrem Tode sollten sie wieder vereint werden. Der Singsang wurde untermalt vom Schmatzen und Knurren verschiedenster Kreaturen. Ein harter Kampf erwartete uns.

Wir hielten einen Moment inne. Ich war unsicher und dachte vielleicht sogar etwas ängstlich an unser Schicksal, doch Bargh brachte meinen Mut zurück: „Feuer und Düsternis sind mit uns“, sprach er zu mir. Mehr brauchte es nicht, meine Angst war verschwunden. Etwas anderes hatte sie ausgefüllt. Es war Freude, Hass und ein Verlangen.

Halbohr öffnete die Türe. Dorthinter war eine weitere Kammer, größer als die in der wir standen. Die Kammer sah aus, als ob wir gerade in das schlagende Herz des Berges hinblickten. Breite Adern aus purem Ne‘ilurum flossen durch den Stein und transportierten pulsierende Energien, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Fast, als ob der Linnzerzährn selbst sein Feuer in die Adern hineinpumpte. In der Mitte befand sich eine gleißend helle Sphäre. Wie das Innere eines Herzens schlug die Sphäre und brachte Energien in die Wände. Dort wurde das Licht in Obelisken aus reinem Ne‘ilurum erst aufgesogen und wieder zurück in die Sphäre gespien. Beim Eintreffen war es so, wie wenn man einen Stein ins Wasser werfen würde. Wellen bildeten sich und breiteten sich über die Sphäre aus. Das ganze Spiel aus Licht und Energie war atemberaubend. Überall verstreut standen Tische mit Schriften, Werkzeugen, Tränken. Doch konnten wir uns nicht weiter damit befassen, denn uns erwarteten eine Vielzahl von Kreaturen, die sich in mehreren Reihen uns entgegenstellten. Es waren wieder diese Trolle, mit ihren widerlichen Mutationen und Gliedmaßen, die völlig chaotisch aus ihnen wuchsen. Auch ein Trupp Duergar hielt sich bereit und die Kreaturen die ihre Larven in unsere Körper gespuckt hatten. Und noch weitere die aussahen wie lebende und laufende große Pilze. Auch Meeredite (oder Kara) sahen wir, ebenso wie zwei weitere Gestalten. Einer war ein Mann mit schwarzen Haaren und grünen Augen, von dem ich sagen konnte, dass er mir durchaus gefallen würde, wenn seine Augen nicht völlig ausdruckslos uns anstarren würden. Die andere Gestalt war sehr viel älter mit einem langen Bart und eingefallener Haut. Auf seiner Glatze hatte er sich Tentakel tätowiert, die bis in sein Gesicht und um seine völlig rot schimmernden Augen rankten. An seiner Seite trug er einen Dolch aus dem ständig irgendeine Flüssigkeit strömte und ihn benetzte. Der Mann mit den grünen Augen war bestimmt Niroth und der Alte musste dann Maargaun von Urrunger, der Jenseher sein.

Das Murmeln des Alten hörte auf und er erhob sich. Als ich seine Robe anschaute, war es mir, als würde ich in einer klaren Nacht in die Sterne blicken. Für einen Moment verlor sich mein Blick in endlosen Weiten. Doch nur bis sein verrücktes Lachen erschallte: „Ortnor du Bastard, du wirst sterben!“

Bargh stürmte direkt auf Kara (oder Meeredite) hinzu und ich wusste, dass er sie für ihre Falschheit bestrafen wollte. Doch diese murmelte ein paar Worte und dort, wo wir standen, erschienen plötzlich ein dichtes Gewirr von dicken Spinnfäden. Wir wurden umwickelt und festgehalten. Doch unterschätzten sie mich. Die Magie diese Fäden würde der Magie Jiarliraes nicht standhalten können. Mit ihren Schatten zerrte sie an den Fäden, bis diese erst zerfielen und sich in Luft auflösten. Wir waren wieder frei! Bargh und Halbohr nutzten die Gelegenheit direkt. Halbohr hieb mit seinen vergifteten Dolchen in die Kreaturen hinein. Auch hier tat das Gift der Düsterheitpilze seine Wirkung und mit jedem Schwertstreich zerplatzte eine der Troll-Abscheulichkeiten vor unseren Augen. Währenddessen stürmte Bargh wieder nach vorne und stelle sich Kara. Auch Ortnor drängte heran und beschwor eine Energielanze, die weitere der Kreaturen zerfetzte. Doch dann erhob Niroth einen Stab aus dem sich krachend ein Strahl von Blitzen entlud. Ich schrie vor Schmerzen, als die Energien durch meinen Körper fuhren. Die Seelen in dem unwirklichen Mantel stellten sich zwar entgegen, doch waren sie schwach. Mir wurde kurz schwarz vor Augen und ich taumelte zurück. Jede einzelne Stelle meiner Haut schien zu brennen. Wie ein Feuer, das nicht gelöscht werden konnte.

Die Geräusche von entladenen Energien und Explosionen erschütterten die Halle. Ein Duell von gewaltigen Mächten prallte aufeinander. Zitternd erhob ich mich wieder und sah wie Bargh, Halbohr und Ortnor schon die meisten der Wächter-Kreaturen niedergemacht hatten. Ich wollte weglaufen, doch ich durfte jetzt nicht schwach sein. Es war meine Prüfung und ich musste bestehen, koste es was es wolle – und wenn es mein Leben ist. Ich sah gerade noch wie Maargaun unter einer weiteren Lanze von Ortnor zusammenbrach und Halbohr einen Dolch auf Niroth schleuderte. Sein Ausdruck hatte sich verändert, er blickte erstaunt und auch ängstlich auf das Geschehen. Halbohr schnellte nach vorne. Niroth sah nicht mehr so aus, als ob er kämpfen wollte, doch das war Halbohr egal. Zielsicher rammte er seinen Dolch in seine Kehle. Röchelnd konnte ich noch seine letzten Worte hören: „Der Jenseher hat mich dazu gezwungen. Ich wollte nicht…so lange her. Kara, Faere und die anderen, sind sie tot?“ Er blickte zu Kara und rief nach ihr, doch sie hatte ganz andere Sorgen. Sie trug bereits tiefe Wunden und Bargh stand vor ihr mit seiner geweihten Klinge. Sie rief noch: „Rettet euch, alles ist verloren!“. Offenbar hatte sie noch nicht realisiert, dass sie die letzte Lebende der alten Gruppe war. Doch das sollte sie nicht lange so bleiben. Sie war umzingelt und gleichzeitig trafen die Klinge von Bargh und magische Geschosse von Ortnor in ihren Leib ein. Ohne letzte Worte wurde sie durch die Wucht nach hinten geschleudert und blieb reglos liegen.

Als etwas Ruhe eingekehrt war und wir und um unsere Wunden gekümmert hatten, schleppte ich meinen geschundenen Körper wieder in die Kammer. Halbohr hatte in der Zwischenzeit an einem der Tische etwas entdeckt, nämlich einen weiteren dieser kristallenen Stäbe. Der dritte Stab war aus Bernstein gefertigt. Unter dem Pult sahen wir auch eine kleine runde Apparatur mit drei Einschüben, passend zu den drei kleinen Stecken. Bargh streckte seine Hand Richtung Halbohr aus: „Lasst mich es tun. Ich habe die Dunkelheit in meinen Träumen gesehen.“ Doch Ortnor mischte sich ein. Er wüsste besser was zu tun wäre, nur er könnte es richtig bedienen. Was erlaubte dieser kleine Wicht sich eigentlich. Meine Stimme zitterte immer noch und jede Bewegung tat mir weh. Doch es musste sein, ich musste den anderen erklären, dass nur Bargh es tun kann, nur er hat den Segen der Herrin, nur er ist würdig genug. Ortnor verstand meine Drohung, denn er trat zurück. „Ihr müsst das Portal schließen bevor etwas Schlimmeres hindurchtritt. Richtet die Sphäre in die Dunkelheit. Das wird uns zu den blauen Teufeln führen. Tut es jetzt, sonst müssen wir wieder 23 Jahre warten bis die Kraft des Linnerzährn dieses Portal speisen kann.“ Bargh nickte ihm zu: „Es muss weg vom Licht. Es muss in die Dunkelheit hinter den Sternen weisen.“ Er kniete sich nieder vor die Apparatur. Dass dabei der Körper Maargauns im Weg lag kümmerte ihn nicht weiter. Knackend brachen einige Rippen, als seine gepanzerten Knie sich auf den Körper abstützten. Er führte die Stäbe in die Öffnungen ein und begann unter einem Ächzen und Stöhnen die Apparatur zu drehen. Sein Rubinauge glitzerte und ich fragte mich, was er in der Ferne sähe. In der Sphäre begann eine Veränderung. Risse bildeten sich in dem Licht, Flammen und Schatten begannen miteinander zu tanzen. Der Blick in die Sphäre klärte sich, das Licht wurde langsam weniger. Wir sahen einen Sternenhimmel und eine große Erdkugel, über der der Komet Linnerzährn schwebte. Dann begann sich das Bild zu bewegen. Es raste von der Kugel weg. Weitere Sterne waren zu sehen die immer kleiner wurden, bis sie nur noch kleine Punkte waren. Die kleinen Punkte sammelten sich zu einem großen Nebel der strahlend in der Dunkelheit stand. Aber das Bild blieb immer noch nicht stehen. Der leuchtende Nebel verschwand zu Seite. Die letzten Reste von Licht glitten ans uns vorbei bis nur noch absolute Dunkelheit übrig blieb. Das Bild blieb jetzt stehen und die Schwärze schien grenzenlos. Sie griff auf die Sphäre über und übernahm sie, bis auch sie komplett schwarz war.

Das Geräusch eines tiefen Klackens holte uns wieder in das hier und jetzt zurück. Der Apparat war eingerastet. Bargh und ich blickten in die schwarze Kugel. Ein Gefühl der Erleichterung überkam mich. Bargh sprach: „Es ist getan. Unsere Göttin wird stolz auf uns sein. Die Düsterheit wird über unsere Welt kommen.“ Er hatte Recht, doch fühlte ich auch, dass diese Prüfung für mich zwar abgeschlossen war, aber eine weitere auf mich warten würde. Ich würde sie freudig empfangen und auch diese meistern. Jetzt aber lächelte ich Bargh zu, denn wir standen hier und der Sieg war unser. Es war dieser Sieg, den wir freudig der Schwertherrscherin widmeten. Welche Geheimnisse sollten unser Lohn sein?

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