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[AD&D 2.5E] Von Feuer und Düsternis – Erzählungen aus Euborea

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Jenseher:
Flamme und Düsternis hatten sich von mir abgekehrt. Ich irrte umher in einer Landschaft, die - wie ich mich fühlte – verlassen von der Kraft der Götter war. Ich ritt weiter gen Norden. Dorthin, wo ich meine Brüder und Schwestern im Geiste vermutete. Als ich nach Mühlbach zurückkam, vernahm ich den Würgegriff der Pestilenz, die dieses einfache Land heimsuchte. Ich sah den Rauch vom öden Tal aufsteigen, sah die Gräber - frisch aufgeworfen und lange Schatten werfend in der nahenden Nacht. Ich sah nicht die verhasste Schar der Anhänger des falschen Gottes der einen Hand, einig, doch schwach im Geiste und entzwei nun in Stadt und Tempel. Ihr Gott hatte sie verlassen; die Pest hatte sie dahingerafft. Bang ergriff es mir das klopfende Herz, als ich durch den Palisadenwall ritt. Die rußigen Feuer spien die schwarze Saat in den abendglühenden Himmel. Da war es, dass mein Rappen zuckte, das Leben mir, durch schnaubend‘ Nüstern zurückgebracht schien. Hervor trat ein Fremder, kaum älter als ich. Zotteliges Haar und Sack über der Schulter, in Lumpen gekleidet, war Mühlbach der Ort seiner Begierde. Er senkte den Kopf, erhob das Wort und sprach:

Fremder: „Edler Junker, wohin des Weges? Nichts gibt es in Mühlbach, ihr müsset wissen. Es liegt hier nur brütend der Tod auf dumpfen Lüften.“
Neire: „Du Mensch so hager- hohl und bleich – hast nicht gewimmelt ums‘ finstre Reich? Sprich nun, Menschlein und zögere nicht. Das Weisen von Fremden der Bruderschaft Pflicht.“
Fremder: „Oh Junker, Euch weisen, es wär‘ mir zur Ehr. Kaum der Wahnsinn mehr, ausgestorb‘ner Stätte hier. So saget wohl, was ist euer Begehr.“
Neire: „Ich suchet‘ den Schlund, die gähnende Leere, ein Tor in die Ferne, ein Tor zur Erde. Ein Ort in dem Leichenschweigen herrscht, der nächtlich Sinne bei Tage schärft.“
Fremder: „Oh ich weiß die Statt, die Euer Begehren, im gift‘gen Nebel sie Euch nicht verwehren. Nicht weit von hier die geheime Grotte, die einst Hort der furchtlosen Räuberrotte. So folget mir Junker an diesen Ort, hinfort aus Mühlbach, verteufelt hinfort.“

Der Mensch wollte mich führen, doch ich war allein und musste allein bleiben. So zog ich einen Goldtaler hervor und warf ihn dem Menschlein zu. Begierig nahm er die Münze und mit einem Glitzern in den Augen, berichtete er mir von dem Weg.

Klingrunhall, lag vor mir, wie es der Fremde, wie es Hruune - so hatte er sich vorgestellt – berichtet hatte. Es war ein Schlund, der in die Erde führte. Obszön klaffte das offene dunkle Loch, aus dem warme, übelriechende Luft aus dem Unteren aufstieg. Luft, die meine Erinnerungen an Nebelheim beflügelten. Die Luft sickerte eine Anhöhe hinab und hatte den Unterwuchs des Buchenwaldes dahingerafft. Doch die Kronen der alten Riesen wiegten sich über mir, im leichten Wind. Sie flüsterten mir ein Lied vor; ein Lied von den Bräuchen der Oberwelt. Ein Lied von dem Untergang der einen Hand. Nacht war nun eingekehrt. Ich ritt näher an das Loch und lächelte. Im Inneren ging es einen Abhang in die Tiefe. Unten war eine Tropfsteinhöhle zu erkennen. Ich wollte hinab, doch ich spürte, dass ich nicht konnte. Meine Herrin, die Schwertherrscherin Jiarlirae, hatte ein anderes Schicksal für mich vorgesehen. So ließ ich mich vor dem Schlund nieder, genoss die faulige Luft der Erde und entzündete ein Feuer, das ich aus den Knochenresten, die ich hier fand, entfachte. An diesem Abend, wie auch zuvor, las ich in den geheimen Werken der schwarzen Kunst. Dabei öffnete ich meinen Geist mit dem Rest von Grausud, den ich noch hatte, und dem Wein aus der vergessenen Feste. Ich dachte in Trauer an Lyriell. Es war die gähnende Öffnung des Abgrundes in die Tiefe, die mir Zuversicht gab. Die Knochen von Tieren und von Menschen brannten hell, warfen lange Schatten. So schlief ich ein.

„Jetzt Arva, jetzt! Bindet die Hände auf den Rücken. Zögert nicht.“ Zuerst hörte ich die Stimme, wie in einem Traum. Dann spürte ich, wie mein Kopf in die Erde gedrückt wurde. Sie waren über mir. Hruune und wer sonst noch. Sie waren mir gefolgt und wollten mich im Schlafe überkommen. Ich kämpfte, doch ich konnte sie nicht verdrängen. Ich versuchte nach meinem Degen zu greifen - meine Arme schienen, zu Boden gedrückt, wie gelähmt. Als Hruune schließlich eine Hand löste, um Arva zu helfen, hatte ich die notwendige Freiheit. Ich beschwor die Formeln der schwarzen Kunst mit nur einem Wort der Macht. Als meine freie Hand den Hals von Hruune berührte, drang die Kraft meiner Göttin in seinen Körper ein und düsterne Flammen zerstörten seinen Lebenswillen, zerfetzten Haut und Gewebe. Es war noch Arva, die sich nun auf mich stürzte. Die Nacht war mittlerweile fortgeschritten. Ich sah das Glitzern der Sterne zwischen den dunklen Wipfeln. Mondlicht drang hinab. Wir rangen im Staub, zwischen Schädeln und Gebein. Doch Arva war schwach. Ihr Körper ausgemergelt von der Pest. Ich überkam sie und begann sie zu würgen. Sie schrie nach ihrem Bruder, schrie nach Hruune, doch sein lebloser Körper lag zwischen dem Gebein. Ich blickte in ihre Augen, als ich sie würgte, als sie starb. Ich sah das Schimmern des Mondes dort, den Glanz der Sterne. Es musste doch Weisheit und Wissen geben, in diesem Moment. Doch da war nichts. Nichts als der Tod war hier an diesem Ort und ein Junge, den Flamme und Düsternis verlassen hatten.

Ihre Köpfe brannten im Feuer. Da war der Geruch von schwelendem Haar und Haut. Das Werk war blutig und anstrengend gewesen. Der Degen aus dem Herrenhaus aber scharf; hatte beide Hälse durchschnitten wie Butter. Lediglich die Schädelplatte zu entfernen, hatte sich als mühevoll herausgestellt. Ein Dolch, geführt wie ein Meißel, und ein Stein hatten das Werk vollendet. Ich blickte gebannt auf das rote Innere der Schädel, das im Feuer zu dampfen begann. In fernen, doch vertrauten Bildern starrte ich in die Tiefe, in Hitze und Glut. Den Ort zu erblicken, der meine Wiege war, gelang. Mein Geist stierte in das Innere Auge. Ich sah die immerbrennenden Fackeln. Ich kostete von dem Inneren, das warm war, das sich verfestigt hatte. Da war der Geschmack von Blut und Eisen. Da war nun plötzlich ein Schreien. Wie das ferne Rauschen eines Windes. Ein Auf- und Abebben in allen Tonlagen. Weiblich und männlich, menschlich und unmenschlich zugleich. Und ich hörte die Stimmen von Bargh und von Zussa. Ich vernahm ihre Rufe, ihr Flehen und ihr Sehnen. Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich das Feuer im Mondlicht geteilt. Für einen Moment war alles verlangsamt. Ich erkannte Flamme und Düsternis über den abgetrennten Schädeln, darüber das Sternenlicht, die Unendlichkeit. Da war der Name, den ich in Richtung des Abgrundes, in die große Tiefe des Unteren, flüsterte. Vorcorax’Ut’Lavia, Vorcorax’Ut’Lavia, Vorcorax’Ut’Lavia. Nur für einen Augenblick erkannte ich den Schimmer, die Klinge der großen Axt. Dann wusste ich, was zu tun war, was sie tun mussten. Ich nahm den Dolch und schnitt mir in den verbrannten linken Arm. Das Blut rann ins Feuer und knisterte. Ich hörte das Heulen und ihre Schreie und ich bettelte um ihr Blutopfer. Auf dass sie mich erhörten. Auf dass sie ihr Blutopfer vollbrächten.

Lange noch betete ich und sprach den Namen des Höllenfürsten der niederen Ebenen. Erst als die frühen, schwachen Sonnenstrahlen das dunkle Loch berührten, legte ich mich nieder. Meine Gedanken aber waren bei Bargh und bei Zussa. Ich wusste nun – meine Zeit der Einsamkeit war vorbei. Aufbrechen musste ich nach Norden. Dorthin, wo ich Bargh einst entsandt hatte. Dorthin, wo die Träne des Drachens über dem Berg gesehen ward. Die Träne des Drachens, die in der alten Sprache der ersten Menschen als Linnerzährn bekannt war.

Jenseher:
Zussa spürte das Gefühl des Schwebens. Sie dachte zurück. Wie sie sich selbst als Blatt vorgestellt hatte, das durch die Dunkelheit glitt. Jetzt verschloss sie nicht mehr die Augen. Sie sah das Aufblitzen, wurde geblendet. Es war, als ob sie den feurigen Schweif von Sternen sähe, die an ihr vorbeirauschten. So schnell wie es einsetzte, war es auch wieder vorbei. Das Geräusch des Wasserstrudels verschwand und mit ihm auch das Kreischen dieser fremden Welt. Sie glitt sanft aus der dunklen Sphäre hervor, deren Schwärze sich wie ein träger Nebel von ihr löste. Und dort stand er und lächelte sie an. Er hatte sich nicht verändert, seitdem sie getrennter Wege gegangen waren. Sie konnte sich nicht mehr besonders an ihn erinnern. Die Erlebnisse auf der Tempelinsel kamen ihr wie ein ferner Traum vor. Ein ferner Traum, geschwängert von zu viel Wein und der seltsamen berauschenden Substanz des Grausud. „Neire, ihr seid hier? Oh, schaut, was wir euch mitgebracht haben.“ Sie starrte den Jüngling an, der jetzt seinen Tarnumhang zurückgezogen hatte. Der Geruch der fauligen Leichen der Tiefenzwerge war in der unterirdischen Portalhalle, deren Wände im Glanz der Ne’ilurum-Adern schimmerten. Doch es störte sie nicht. Neire hatte anscheinend die Kerzen auf den Tischen entzündet, so dass das Herz der Irrlingsspitze in ein Spiel von Licht und Düsternis gehüllt wurde. Als neben Zussa der nun gewaltige Leib von Bargh erschien, wich Neires Lächeln für einen kurzen Moment. Sie sah, dass der Jüngling sich die gold-blonden Locken zurückstrich und Bargh beobachtete. Bargh wiederum schien recht unbeholfen in seiner neuen Größe. Er hatte zwei Karten aus dem Schicksalskartenfächer gezogen, von denen eine die Krabbe dargestellt hatte. Die Karte hatte seinen Körper augenblicklich wachsen lassen und nun überragte sie der unheilige Krieger Jiarliraes, mit einer Größe von etwa zwei und einen halben Schritt. Auch waren Bargh große Raben-artige Schwingen gewachsen, die zusammengefaltet an seinem Rücken erkennbar waren. Bargh ließ den abgetrennten Kopf und den Körper des kleinen Wesens fallen. Er hatte das, was von Ortnor übriggeblieben war, durch das Portal gezogen. Zussa sah, wie Neires Blick nur einen Moment auf Bargh ruhte. Dann lief der Jüngling auf den Riesen zu und sprang ihm in die Arme. Bei diesem Anblick verdrängte Zussa die Kopfschmerzen, die Erinnerung an den schreienden Wind und den Anblick des Dämonenfürsten. Sie merkte, dass ihre Hände zitterten und von roten Brandblasen bedeckt waren. Als Bargh Neire hinabließ, begrüßte auch sie ihn mit einer Umarmung. Sie vernahm sein eigenartiges Parfüm, das nach süßlich, vermoderten Wurzeln roch. „Was habt ihr mir mitgebracht Zussa? Eure Taten müssen wahrlich groß gewesen sein. Ich habe für euch gebetet und eure Stimmen im Traum sowie im geöffneten Geist gehört.“ Sie antwortete Neire, während Halbohr leise aus der dunklen Kugel hervorschritt. „Wir haben diesen Ort erobert, haben ihn befreit von dem, den sie den Jenseher nannten. Durch das Portal sind wir in eine ferne Höllenwelt gelangt, in der wir den Stecken der Götter für Jiarlirae erkämpft haben.“ Halbohr nickte, während sie sprach. Die Unruhe war dem elfischen Söldner anzusehen, der immer wieder Stücke blutiger Kruste von seiner rechten Hand kratzte. Dort trug er den Einhorndolch, aus dem beharrlich ein kleines Blutrinnsal sickerte. „Und dieser Wicht hier - sein Name war Ortnor Wallenwirk - hat uns versucht zu betrügen. Er hat den Verrat mit seinem Leben bezahlt.“ Halbohr sprach und Zussa verdrängte die Szene, an die sie nur mit einem panischen Grauen zurückdenken konnte. Sie bemerkte auch, dass ihre Wut auf Halbohr nicht mehr so stark war wie zuvor. Er hatte sich am Blutopfer beteiligt und war vom Henker der letzten Einöde verschont worden. Sie wendete sich wieder Neire zu. „Und ihr Neire? Welche Spiele habt ihr auf eurer Reise gespielt?“ „Es waren andere die ihre Spiele mit mir spielen wollten, doch ihr letztes Spiel haben sie verloren. Ich habe gelesen und gebetet und ich habe viel an euch beide gedacht.“ Sie sah, dass Halbohr zerschlagen aufstöhnte und einige Schritte in Richtung des doppelflügeligen Portals machte, das den Ausgang der Hallte darstellte. „Ihr könnt euch ja noch eurem sentimentalen Gefasel hingeben. Aber ich habe zu tun. Erinnert euch. Wir haben uns geschworen diesen Ort zu verteidigen und Bargh, ihr sagtet, es werden weitere Anhänger der Schwertherrscherin durch das Portal kommen. Also lasst mich meinen Vorbereitungen nachgehen, denn ich habe viel zu tun. Mir wurde ein großer Name in dieser Welt versprochen und ich werde mich dieser Sache annehmen. Ich habe die Macht von Jiarlirae gesehen und werde ihr folgen. Dieser Ort kann dabei als Brückenkopf dienen. Doch es müssen Vorbereitungen getroffen werden.“ Für einen kurzen Moment war die Wut in Zussa entflammt, als sie Halbohr reden hörte. Bei seinen Worten über ihre Herrin war ihr Zorn so schnell verschwunden, wie er gekommen war. Halbohr hatte sie bereits verlassen und sie wendete sich ihren Begleitern zu.

~

Neire bückte sich hinab, um seinen Stecken aufzuheben. Der Kampf währte nur kurz, war aber intensiv geführt worden. Die beiden Kreaturen, die sie angegriffen hatten, waren Konstrukte aus zylindrischen Steinen gewesen. Muster aus Ne’ilurum hatten sie überzogen und die Blitze, die Neire aus dem Wurzelstecken beschworen hatte, hatten auf geisterhafte Weise die tiefen Kerben verschlossen, die Bargh ihnen zugefügt hatte. Sie waren zuvor durch das kleinere Portal geschritten. Das einst instabile Weltentor hatte Zussa nach Tagen der Arbeit zumindest soweit wiederhergestellt, dass es für eine kurze Zeit gefahrlos begehbar war. Doch sie hatten gewusst, dass es hinter dem Portal keinen Weg zurückgab. Trotzdem waren sie nach einer kurzen Beratung hindurchgeschritten. Jenseits des Portals hatte sich ein unterirdisches Verlies aufgetan. Die Wände waren mit aufgetragenen Spuren von Ne’ilurum versehen gewesen und sie hatten Fallen entdeckt, die bereits vor langer Zeit ausgelöst wurden. Sie waren über Treppen und Räume schließlich in diese große Halle gelangt, in der sie ein seltsames Konstrukt aus ineinander verschachtelten Vielecken entdeckt hatten. Hier waren sie dann von den Kreaturen angegriffen worden, die jetzt zu zwei kleinen Steinhaufen zusammengebrochen waren. Als Neire in den milchig schimmernden Edelstein blickte, der sich am Ende des Stabes befand, verfiel er wieder in eine Mischung aus einem Grübeln und einem Träumen. Nur die Worte Barghs erweckten ihn aus diesem Zustand. „Neire, was ist mit euch? Reißt euch zusammen, die Gefahr lauert vielleicht noch hier.“ Neire verbrachte den Stecken in seinem Gürtel und verdrängte die Gedanken an die vergangenen Wochen. Er hatte Tage um Tage im Schrein des Jensehers verbracht, um die alten Schriften zu verstehen. Abhandlungen über das Verständnis und die Formung des Willens hatte er sich zu allererst angeschaut. Dann hatte er sich die Bücher der Bibliothek vorgenommen. Er hatte sich in dem alten Gemach von Niroth einquartiert und gelesen. So lange hatte er sich vertieft, dass er Bargh und Zussa vergessen hatte. Jetzt versuchte er die Gedanken an die fernen Welten und Portale, die Geheimnisse im Aufbau der Körper und des Unlebens zu verdrängen. Er blickte Bargh an und antwortete. „Ja, verzeiht. Ich bin nicht ganz ich. Die Reise durch die Minenstadt von Unterirrling und die Bücher haben mich von unserem Pfad abgebracht. Führt ihr uns Bargh. Ihr habt mit Zussa die Welten hinter den Sternen gesehen und ihr tragt Glimringshert, die Klinge von Feuer und Dunkelheit.“ Neire sah, dass Bargh nickte, doch Zussa musterte ihn mit fragender Miene.

Das kalte Wasser lähmte seine Glieder. Es war, als würden tausend kleine Nadeln in seinen Nacken stechen. Bargh hielt sich an dem nassen, glitschigen Felsen des unterirdischen Tunnels fest. Bis auf sein verbranntes Gesicht, war sein Körper vollkommen in das reine, kühle Nass des Höhlenflusses eingetaucht. Nur die Rüstung aus Ne’ilurum trug ihn wie eine Feder, bewahrte ihn vor einem jähen Versinken in den dunklen Fluten. Auf ihrem Weg zu diesem unterirdischen Fluss, waren sie weiter durch die Räume des Kerkers vorgedrungen. Sie hatten eine Statue auf einem Thron entdeckt, die von leidenden Gestalten getragen wurde. Alte Runen der grauen Rasse waren auf die Statuen eingraviert, die Neire übersetzt hatte: „Ich ehre das Handwerk“, „Ich ehre das Opfer“ und „Ich ehre den Meister“ war dort zu lesen gewesen, jedoch hatten sich keine weiteren Geheimnisse offenbart. In einem offenbar neueren Teil des Kerkers hatten sie einige Schätze und alte Schriften entdeckt. Hier hatten sie dann sicher festgestellt, dass es sich bei diesem alten Gemäuer um eine Anlage der grauen Rasse gehandelt hatte. Lediglich das Schicksal der Anlage konnten sie nicht ergründen. Wieso hatten die alten Meister die Mauern verlassen? Wieso waren die neuen Räume in den Stein geschlagen? Über weitere natürliche Höhlen, in denen ihnen aasfressende Würmer aufgelauert hatten, waren sie dann bis zu diesem unterirdischen Fluss gelangt. Nach kurzer Beratung hatte Bargh Zussa und Neire an einem Seil hinabgelassen. Dann war er ihnen, Kraft seiner Rüstung, schwebend wie eine Feder in die Tiefe gefolgt. Nun wand sich der rauschende Fluss durch den glitzernden Felsen. Das Gefälle war glücklicherweise nicht stark. Bargh sah Zussa und Neire vor ihm, wie sie sich, wie er, an den Fels klammerten. Das ging schon einige Zeit so und er begann aufgrund der Kälte zu zittern. Dann gelangten sie an eine Felswand, die das jähe Ende des Flusses darstellte. Das Wasser quirlte und blubberte in dieser kleinen Kammer, als ob Luftblasen aus der Tiefe aufsteigen würden. Bargh hörte die Stimme von Neire, den er, verborgen durch seinen Tarnmantel, nicht ausmachen konnte. „Bargh, diese Wand ist brüchig. Brecht den Stein und macht den Weg frei, in das, was sich dort hinter befindet.“ Bargh sah mattes Licht, das irgendwo von unten kam. Wie durch kleine Löcher. Er näherte sich der Wand, holte aus und schlug mit seinem Panzerhandschuh gegen den Stein. Nicht ein zweites Mal musste er schlagen. Der Stein brach bereits bei seinem ersten Schlag. Das gesammelte Wasser des Beckens strömte plötzlich hervor und spülte sie hinaus in die kalte Luft. Er versuchte sich festzuhalten und nicht hinfort geschwemmt zu werden. Er fand Halt. Als er sich langsam aufrichtete roch er den Geruch von kalter Luft und Wald. Um ihn herum verdeckten dichte Tannen die Sicht. Es herrschte ein beständiger Nieselregen. Der Bach schlängelte sich durch das Unterholz hinfort. Hinter ihm klaffte ein Loch in der Felswand, das dort gerade erst entstanden war. Bargh schaute sich um nach seinen Begleitern und fragte sich, welches Schicksal ihre Herrin für sie vorgesehen hatte.

Jenseher:
Zussa hörte das Prusten von Bargh. Von der Woge des hervorbrechenden Höhlenflusses war sie ein Stück weitergetragen worden. Auch sie hatte das geatmete Wasser ausgehustet und einen Würgereiz unterdrückt. Im kalten Schlamm richtete sie sich auf und drehte sich zu dem Geräusch um, dass das Rauschen des größeren Baches deutlich übertönte. Sie sah Bargh dort im Schlamm liegen. Er befand sich ein Stück vor der Felswand, deren poröser Stein über ein breites Stück hinfort gebrochen war. Sie spürte die kalte Luft auf ihrer Haut. Ihre Muskeln fühlten sich wie gelähmt an. Jetzt sah sie auch Neire zwischen zwei Tannen hervorkommen. Er war, wie sie, von Schlamm besudelt, der seinen feinen Tarnumhang sichtbar machte. Er trat zu ihr heran und gemeinsam schauten sie sich neugierig um. Sie waren sich nicht sicher, wo sie gelandet waren. Der Himmel über ihnen war wolkenverhangen und die Zweige der Tannen trugen schwere Tropfen des Nieselregens. Über der Felswand hinter ihnen ragte ein imposantes Gebirgsmassiv auf, dessen Spitzen in der Wolkendecke verschwanden. In der entgegengesetzten Richtung und durch den Tannenwald, war ein Hochplateau zu erkennen, das hier und dort durch Felsnadeln durchbrochen wurde. Dort sah Zussa eine Ansammlung von Zelten und bei näherem Hinsehen auch Bewegung. Die Kälte drückte ihre Laune. Sie zeigte in Richtung der Zelte und sprach mit klapperten Zähnen: „Dort schaut. Wie ein Lager… doch was machen sie hier?“ Sie drehte sich dabei um zu Neire, der sich seine Kapuze zurückgezogen hatte und mit verträumtem Blick am Gebirgsmassiv vorbeischaute. In seiner Blickrichtung schien das Gelände abzuflachen. „Neire, ich rede mich euch. Und mir ist kalt. Lasst uns schauen, was es mit diesem Lager auf sich hat.“ Langsam drehte sich Neire zu ihr um, schöpfte eine Hand von Wasser und wischte sich den Schlamm aus dem Gesicht. Im Gegensatz zu Bargh und ihr, schien Neire die Kälte nichts auszumachen. Er strich sich die nassen gold-blonden Locken lächelnd zurück, als er antwortete. „Schaut euch Bargh an. Er kämpft auch gegen die Kälte und er klagt nicht so wie ihr. Er hat den Segen der Göttin und die Flamme sowie den Schatten.“ Zussa spürte zuerst Wut, doch dann Trauer. Es traf sie tief und sie fragte sich, was sie noch alles tun musste, um den Segen der Göttin zu erlangen – wie Bargh. Sie gestand es sich ein. Neire hatte Recht. Bevor sie antworten konnte, begann Bargh zu sprechen. Auch der große Krieger zitterte am ganzen Körper. „Sie hat Recht Neire, wir müssen aufbrechen – müssen uns bewegen. Sonst holen wir uns den Tod hier.“ Zussa sah, dass Neire nickte und den Worten des riesenhaften Kriegers Folge leistete. So brachen sie auf in Richtung des Lagers. Schon bald hörte Zussa Wehleiden und Schmerzschreie aus dieser Richtung kommen. Sie kamen jetzt aus dem Wald hervor. Hier und dort konnte Zussa tiefe Wagenspuren in Moos und Gras erkennen. Der Boden war, nass und von Rädern und Stiefeln, matschig getreten worden. Je näher sie der Ansammlung von Zelten kamen, desto schlimmer wurden Schlamm und Gestank. Nein, das ist kein Lager von Jägersleut oder einer Armee. Armselige Hungerleider, dachte sie sich. Die Schreie kamen näher, der Gestank wurde stärker. Vor einem Zelt sah Zussa einen Mann liegen, dem ein Bein fehlte. Doch die Wunde eiterte und war nur dürftig verbunden. Neben ihr murmelte Neire etwas. „Es sieht so aus, als ob sein Bein ausgerissen worden wäre. Eiter hat sich bereits ausbereitet. Ohne weitere Hilfe wird der Mann in der nächsten Zeit sterben.“ Zussa bemerkte andere Fiebernde. Auch in der Kälte standen ihnen die Schweißperlen im Gesicht. Sie zitterten furchtbar am ganzen Körper und ihre Antlitze waren kalkbleich. Dies war ein Ort der Krankheiten. Blut, Eiter und Fäkalien mischten sich im Schlamm und trotzdem tranken diese Leute aus den Pfützen. Hier und dort sah sie Kinder spielen und hagere kleine Erwachsene, die nicht wie Kinder aussahen. Sie konnte nicht sagen, wie groß das Lager war, doch als sie darüber nachdachte, hörte sie die Stimme von Neire. Der Jüngling hatte seinen Tarnumhang abgelegt und trug die schwarze Robe des Jensehers, auf der Sterne schimmerten. Er beugte sich über eine Frau, die wie verrückt mit ihrem Oberkörper wippte und ein Bündel in der Hand trug. Zussa bemerkte dort das kalte, tote Fleisch ihres Säuglings. Die Frau war vielleicht etwas älter als sie selbst. „Ihr dort, Menschlein, woher kommt ihr und was ist hier passiert?“ Neires Worte zischten als er sprach. Zussa konnte keine Regung erkennen, die Frau schien Neire nicht wahrzunehmen. Doch Zussa bemerkte Schritte im Schlamm hinter ihr. Sie drehte sich um und sah den Greis, der zu ihnen sprach. Altersflecken und Pusteln bedeckten sein Gesicht. Seine grauen, ungepflegten Haare waren von Schlamm besudelt. „Ihr dort… ihr seid doch neu hier? Seid ihr die Krieger, die der Graf geschickt hat? Seid ihr hier um uns zu erretten?“ Bargh wollte gerade zur Antwort ansetzen, als Neire etwas in seine Richtung zischelte. „Wer seid ihr, dass ihr hier die Fragen stellt?“ Zussa spürte, dass der Alte Neire nicht mochte, doch er hatte anscheinend auch keine Angst vor ihnen. „Ich bin Brandur. Ich helfe so gut, wie ich kann. Doch blickt euch um hier. Viele werden es nicht schaffen und einige sind schon tot.“ Der Alte richtete seine Augen nach oben und musterte Bargh bewundernd. Wie gegenüber Bargh, schien er auch ihr nicht feindselig gesonnen. „Woher kommt ihr Brandur und was macht ihr an diesem Ort?“, fragte Bargh. „Ihr neigt zu scherzen, edler Ritter… nein tut ihr nicht. Habt ihr nicht die Pergamente gelesen. Der Graf hat zur Hilfe gerufen. Krieger, wie ihr es seid, werden benötigt, um uns zu beschützen. Wir kommen von weit her. Seht ihn dort… er kommt aus Wesreg. Sie hier kommt aus Hochroch und ich komme aus Aschwind.“ Zussa sah, dass Neire sich bereits abgewendet hatte und eines der Pergamente aufhob, dass dort aus dem zertretenen Schlamm aufragte. Sie fragte sich, was mit der Frau mit dem toten Kind war. Zussa bemerkte selbst keine Reaktion von ihr, als Neire den Zettel mit dem Schlamm an ihrem Umhang abwischte. „Und vor wem seid ihr geflohen Greis, vor wem sind sie geflohen aus Westwacht, Hochroch und Aschwind?“ Bargh sprach jetzt lauter und Zussa bemerkte, dass der Greis einen Schritt zurückmachte. „Es sind die Kreaturen der Hügel und der Berge, selbst größer als ihr es seid, mein Herr. Sie kommen um zu plündern und sie fressen. Stehlen Vieh und Herde. Machen weder Halt vor Gehöft, Dorf oder Stadt. Und… sie machen keinen Unterschied zischen Mann, Weib und Kind.“ Jetzt hatte der Greis Zussas Aufmerksamkeit erweckt und er führte weiter aus – seine Stimme leiser werdend: „Die alten Sagen und Mythen nennen sie Riesen und schaut euch um hier. Einigen haben sie Arme und Beine ausgerissen und aufgegessen. Andere konnten sich nicht retten und wurden gefressen oder verschleppt.“ Zussa drehte sich wieder zu Neire um, der den Zettel gelesen hatte und ihr zunickte. Doch ihr Blick fiel nun auf die Frau, zu der sich hinabbeugte. Ist sie nur dumm oder spielt sie irgendein Spiel… dachte sich Zussa, während Neire weitersprach. „Und welchen Göttern dient ihr, Menschlein?“ „Ha, ich diene keinem Gott. Sie haben uns ohnehin schon verlassen, wenn es sie jemals gab.“ Zussa hörte dem Schlagabtausch des Greises und Neire nur noch oberflächlich zu. Sie ballte eine Faust und schlug die Frau mit den Fingerknochen dreimal auf den Kopf, als ob sie dort an eine Pforte klopfen würde. Neire sprach weiter: „Wir dienen Heria Maki, Menschlein, und auch ihr solltet euch ihr zuwenden. Sie bringt das Feuer, verbrennt das Übel. Ob nun Riesen oder Krankheiten.“ „Wir sind doch schon tot hier und vielleicht sollte sie einmal selbst bei sich anfangen, mit dem Verbrennen. Diese Heria Maki.“ Als Zussa Neire zischeln hörte, spürte sie die Drohung ihres Gefährten. „Spottet nicht über die Götter, Menschlein oder sie spotten über euch.“ In diesem Moment begann Zussa am Oberkörper der Frau zu rütteln und sprach in einem bewundernden, fast schon freudig-kichernden Ton. „Seht! Neire, Bargh. Ihr Spiel habe ich durchschaut. Das Kind ist tot und sie merkt es nicht. Sie merkt es noch nicht einmal.“

„Kommt mit mir! Der da hinten sieht verdächtig aus. Haltet euch zurück und lasst mich machen. Die Herrin ist mit uns.“ Neire sprach und verschnellerte seinen Schritt. Er ging wieder ein Stück zurück; in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Sie hatten den Greis zurückgelassen und waren durch die Flüchtlingsstadt geschritten. Sie hatten das Elend betrachtet. Unter verlassenen Zelten hatten sie aufgedunsene Leichen liegen sehen. Ein Junge hatte einem, im Schlamm sitzenden Verletzten ein fauliges Stück Brot geklaut und war zwischen den Zelten verschwunden. Die Leute hatten es gesehen, doch keiner hatte etwas gemacht. Dann hatte Bargh den jungen Mann gesehen. Er hatte zu Neire geflüstert, dass ihm etwas komisch vorkam. Der junge, kräftige Bursche war noch nicht ganz volljährig und gehörte hier nicht hin. Es war offensichtlich, dass er etwas zu verbergen hatte. Neire war von hinten an ihn herangetreten, beugte sich hinab zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Der Bursche drehte sich zuckend herum, wie aus einem Tagtraum hervorgerissen. Neire beruhigte ihn augenblicklich mit zischelnd säuselndem Singsang in seiner Stimme. „Habt keine Angst Mensch, nicht vor uns. Auch wenn ihr etwas zu verbergen habt. Was ist es? Was bedrückt euch?“ Der junge Mann schüttelte den Kopf mit den kurzen strohblonden Haaren. „Nein, habe nichts zu verbergen. Habe alles verloren… deshalb bin ich hier. Ihr müsst mir glauben mein Herr.“ Neire spürte die Wut in Bargh und der Krieger trat neben ihn. Bargh packte den Fremden am Kragen und hob ihn mit einer Hand in die Höhe – mit spielender Leichtigkeit. Auch Bargh sprach jetzt zischelnd. Er imitierte den Singsang von Nebelheim. „Ihr wagt es zu lügen? Uns zu betrügen? Seht ihr sie, euer Volk? Die Gliedmaßen wurden ihnen ausgerissen, doch sie haben überlebt. Sprecht die Wahrheit oder ich reiße euch hier und jetzt den Arm aus und schlage euch euren armseligen Schädel ein. Mit dem blutigen Ende voran.“ Der Bursche fing an zu zittern. Er stotterte Entschuldigungen vor sich hin. Doch er sprach nicht die Wahrheit. „Lasst ihn hinab Bargh. Ich sehe, er ist uns freundlich gesonnen und so werden wir ihn ebenfalls behandeln.“ Neire kniete sich nieder und blickte dem Fremden tief in die Augen. Er spürte die schwarze Kunst der roten Gläser, die er sich vor einiger Zeit über die Augen gestülpt hatte. Die Welt um ihn herum nahm purpurne Farbtöne an, als er die Macht hervorrief. Seine Stimme war jetzt lieblich. Wie das polyphone Klingen magischer Instrumente versunkener Bergquellen. „Ein Freund würde euch doch nicht schaden, mein Freund. Auch wenn ihr die Wahrheit sprächet. Was ist es Freund, wer seid ihr und was brachte euch hierhin?“ Der Fremde beruhigte sich und nickte. Er starrte wie hypnotisiert in Neires Augen. „Mein Name ist Kadrin und ich bin aus Aschwind geflohen. Oder dem, was von Aschwind noch übrig ist. Als Teil der Miliz sollte ich kämpfen, sollte gehorchen. Doch das wäre der sichere Tod gewesen. Alle, die losgeschickt wurden, starben. Sagt Freund, habe ich mich schuldig gemacht? Werden die Götter mich bestrafen für meinen Frevel?“ Neire sah, wie an Kadrins Wange eine Träne hinabrollte. Er strich sich die nassen gold-blonden Locken zurück und lächelte dem Burschen zu. „Ihr habt richtig gehandelt Kadrin. Nur die Arglosen klammern sich an Gesetze. Sie werden vergehen und ihr werdet leben. Die Göttin von Flamme und Düsternis lächelt euch zu. Jetzt… in diesem Augenblick.“ Kadrins Miene hellte sich auf und nur kurz hatte Neire das Bild des Söldners Halbohr vor Augen. Wie er blutend, dem Tode nah, in einem Haufen Gebeine lag. Der Vertrag hatte so schön gebrannt damals - gebrannt im strömenden Regen. Und wo war Halbohr jetzt? Hatte ihn seine Göttin Jiarlirae nicht reichlich beschenkt?

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Die Wände des Gemachs waren beschaffen aus Holz. Lange Zeit in Gebrauch und speckig glänzend. Ein Kaminfeuer brachte wohlige Wärme. An den Wänden waren Bücher und Bilder zu sehen. Bilder von Landschaften, aber auch religiöse Motive – Himmel und Hölle, Menschen im Fegefeuer. Eine Gestalt hatte ihnen den Rücken zugekehrt und blickte auf einen massiven Tisch. Dort war eine Karte ausgebreitet und einfache, grob-geschnitzte Holzfiguren waren zu sehen. Größere und kleinere. Der Mann bewegte gerade eine der Figuren, hatte ihr Eindringen aber bemerkt und erhob sein Wort. „Wen bringt ihr mir Randos? Wer wagt es mich zu stören?“ Der ältere Mann, der sie hier hineingeführt hatte, zog seine Augenbraunen hoch. Er hatte bräunliches kurzes Haar und ehrliche, pflichtbewusste Augen. Über seinem Kettenhemd trug er ein Amulett, das ein Auge darstellte. Neire hatte dieses Auge als Symbol des Schutzgottes identifiziert. Die Stimme des Mannes zitterte, als er antwortete. War es Demut, war es Furcht? Nein, es war etwas anderes. Etwas, das Neire nicht identifizieren konnte. „Sie sind gekommen um zu kämpfen, Laschtorn. Sie sagten, sie haben eure Botschaft gelesen.“ Die Gestalt am Tisch drehte sich jetzt um und Neire sah einen jungen Mann vor sich. Ein süßlicher Blumenduft ging von ihm aus und er hatte sich das schwarze, lange Haar mit Fett zurückgekämmt. Neire betrachtete zudem die dunkle, prunkvolle Robe, die hier und dort mit Gold verziert war. „Seht ihr Randos, ich habe es euch doch gesagt. Wir verteilen die Botschaften auf dem Pergament und sie werden kommen.“ Laschtorn blickte sie nicht an, als er sprach. Er nickte Randos zu und drehte sich dann wieder um. „Ihr könnt gehen Randos. Falls sie Fragen haben… Nun, Algorthas, tut etwas Vernünftiges und kümmert ihr euch um sie. Ich habe wichtigere Dinge zu tun.“ Neire mochte den Mann nicht, der sie nicht beachtete. Doch irgendwie belustigte Laschtorn ihn auch. Es war, als ob seine Autorität nur gespielt war. Als ob sie alle hier wussten, dass er sie ins Verderben führen würde. Aus einem weiteren Flügel des Raumes näherte sich schlurfend eine dritte Gestalt. Der ältere Mann war dicklich, hatte graues, lichtes Haar und war gekleidet in einfachen, grauen Stoff. Er kam Neire fast etwas verängstigt vor, als er, etwas leiser, zu ihnen sprach. „Nun Fremde, mein Name ist Algorthas. Ich werde euch berichten… was hier in der letzten Zeit vorgefallen ist. Doch lasst mich euch fragen. Wer seid ihr und woher kommt ihr?“ Bei dieser Frage dachte Neire zurück an ihre Reise. Sie waren etwa einen und einen halben Tag unterwegs gewesen. Kadrin hatte sie geführt. Er hatte ihnen von einer Sphäre der Dunkelheit berichtet, die sich vor kurzem über Aschwind gelegt hatte. Sie hatten sich daraufhin entschieden dorthin zu reisen. Lange hatten sie sich unterhalten über diese Sphäre. Dann hatten sie die Dunkelheit als Zeichen von - oder als Frevel an - ihrer Göttin gewertet. Die Reise durch dieses grasige, teils felsige, Hügelland war ereignislos geblieben. An einem kleinen See hatten sie gerastet und an einem Lagerfeuer Geschichten mit Kadrin ausgetauscht. Bargh hatte Kadrin schließlich das wertvolle Langschwert anvertraut, dass sie auf ihrer Reise durch das Herzogtum Berghof erbeutet hatten. Dann, als sie Aschwind immer nähergekommen waren, hatten sie die Sphäre gesehen, die wie ein schwarzer Schatten die Stadt verschluckt hatte. Die Sphäre hatte nicht die gesamte Stadtmauer verschluckt und in der Nähe einiger vorgelagerter Gehöfte waren ihnen Wachen begegnet, die sie dann in dieses alte Bauernhaus geführt hatten. Neire war in Gedanken versunken, als er Bargh antworten hörte. „Wir sind von weit her. Sind durch Wiesenbrück gekommen und haben im Zeltlager der Flüchtlinge die Botschaft gefunden. Ich bin Bargh und das ist Neire und Zussa.“ Neire nickte instinktiv mit dem Kopf als er seinen Namen hörte, doch Algorthas begann bereits zu erzählen: „Ja, wo soll ich anfangen. Vor langer, langer Zeit war… nein so viel Zeit haben wir auch nicht. Nun, lasst es mich so sagen. Schon immer gab es die Brutstätten der Riesen. Sie waren schon immer im Jotenwall und in den Kristallnebelbergen. Hier und dort haben sie mal ein Gehöft überfallen. Doch die meisten Angriffe konnten wir abwehren. Aschwind war stolz auf seine Soldaten der Grenzwacht. Die Bauern klagten mal über verlorenes Vieh. Und sehr selten, so bedauerlich es auch war, starb mal ein Mensch. Doch das war selten. Vor 10 Tagen… nein es waren doch eher 14 Tage… nein, jetzt erinnere ich mich. Es war vor 15 Tagen. Da fing es an. Die Riesen haben sich zusammengetan. Aus dem Jotenwall und aus den Kristallnebelbergen. Der Ort Lastweg wurde grausam überfallen und wir hörten auch von einem Überfall auf Wiesenbrück. Auf der anderen Seite der Berge… ja, dort wo ihr hergekommen seid. Die Angriffe wurden immer stärker und wir hatten sie unterschätzt.“ Neire sah, dass Algorthas näherkam und noch leiser wurde. „Wir jagen jetzt hinter ihnen her. Doch wenn ihr mich fragt… es ist das Todesurteil für die Milizen. Einfache Leute, nicht alles Soldaten… Vor zwei Nächten kam dann dieses Gebilde aus Dunkelheit. Es legte sich plötzlich über Aschwind. Als ob es schon immer dagewesen wäre. Nichts kann dort heraus, noch hinein. Wir haben alles versucht. Waffengewalt und magische Künste. Nichts half. Es ist wie verflucht.“ Neire betrachtete den Mann, der Angst vor Laschtorn zu haben schien. Doch er spürte auch das Mißtrauen, das Algorthas in die Fähigkeiten seines Führers hatte. Wie wohl das Schicksal sich diesem schwachen Menschen offenbaren würde?

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Barghs Atem ging ruckhaft. Sein Herz klopfte. Immer und immer wieder sprach er den kleinen Spruchreim an seine Herrin. Er lehnte an der gewaltigen Holztüre, die auf der Rückseite des großen Gebäudekomplexes lag. Inmitten einer Lichtung des dichten Waldes war das trutzige Gebäude wie eine Wohnburg errichtet. Es bestand aus einfachen, schweren Baumstämmen. Ein Hauptgebäude und ein Anbau. Mehrere Schrägdächer. Dort ragte auch ein Turm heraus, der im oberen Teil zu allen Seiten offen war. Der Nieselregen hatte nicht nachgelassen und die Wiese der Lichtung war in ein Zwielicht gehüllt. Alles glitzerte nass, im matten Schimmer. Bargh zuckte auf, als er das Brüllen aus dem Inneren hörte. Schon von weiter weg hatten sie bemerkt, dass Rauch aus dem Gebäude aufstieg. Er dachte zurück an ihren Schwur an Jiarlirae. An ihre letzten Gebete am Lagerfeuer. Nach einer kurzen Verhandlung mit Laschtorn, waren sie aufgebrochen. Bargh war zwar der Meinung, dass Neire sich für ihre Dienste übers Ohr hatte hauen lassen. - Das Kind der Flamme hatte zu schnell zugesagt, als ihnen Laschtorn versprochen hatte, sie dürften die Schätze behalten, die sie bei den Riesen finden würden. Ein Krieger in Fürstenbad, wäre belohnt worden für seine Taten. - Doch in Fürstenbad war Bargh schon lange nicht mehr gewesen und eigentlich war es ihm auch egal. Was waren schon Gold und Edelsteine, wenn er die Gunst von Jiarlirae hatte. Und er hatte Glimringshert, das sich in seine Hand schmiegte. Die schwarze Klinge, die in den Schatten zu ihm flüsterte. Sie hatten Aschwind danach verlassen und waren über eine Brücke in Richtung Jotenwall aufgebrochen. Immer höher waren sie in die Berge gekommen. Eine weitere Nacht war ereignislos geblieben. Nur der Nieselregen hatte nicht nachgelassen. Dann hatte Bargh Spuren gefunden. Sie waren den großen Abdrücken von Stiefeln gefolgt, die sie tiefer und tiefer in einen verlassenen Landstrich geführt hatten. Zuletzt waren sie im dichten Nebel und Nieselregen gewandert. Die Luft war immer kälter geworden. So waren sie schließlich an einen Tannenwald gelangt, in dem die Spuren verschwanden. Hier und dort waren einige Bäume umgeknickt und so war es ihnen ein Leichtes gewesen, die Lichtung zu finden. Bargh holte ein letztes Mal tief Luft. Er hatte die Augenbinde abgelegt und blickte in die Gesichter von Neire, Zussa und Kadrin. Dann stieß er langsam den Atem aus, der in der kühlen Gebirgsluft kondensierte.

Jenseher:
Sie hatten den düsteren Tannenwald verlassen. Nieselregen strömte beharrlich auf sie hinab. Mit den anhaltenden Schleiern von Nässe hatte sich eine Kälte verbreitet, die nach Gebirgsluft, Wald und Schlamm roch. Sie waren immer wieder im Morast eingesunken, als sie sich vom Waldrand über die Lichtung zur hölzernen Feste geschlichen hatten. Je näher sie kamen, desto offensichtlicher wurde die chaotische Bauweise, der aus groben Baumstämmen errichteten Trutzburg, aus deren Innerem eine Vielzahl von Schornsteinen schwarzen Rauch spien. Sie waren sich sicher, dass sie noch keiner bemerkt hatte. Vor dem großen hölzernen Portal hatten sie einen Moment innegehalten und leise einige Gebete an Jiarlirae gesprochen. Neire und Bargh hatten ihre Masken hervorgeholt und ihre nassen Gesichter mit den verzierten Überdeckungen versehen. Neire hatte dann wieder seine Kapuze übergestreift und war, im Zwielicht des wolkenverhangenen Himmels des späten Nachmittages, nicht mehr zu sehen gewesen. Jetzt hörten sie das Knirschen von Stein, das Arbeiten von Holz. Bargh stemmte sich gegen das Portal, das sich langsam zu bewegen begann. Trotz seiner übermenschlichen Größe von zweieinhalb Schritt, musste er nach oben fassen, um den Querbalken zu erreichen, über den sich dieses Tor öffnen ließ. Durch den breiter werdenden Spalt offenbarte sich ihnen der Blick auf einen, von tiefen Matschfurchen durchwühlten, Innenhof. Der Gestank von nassem Hundefell und von Exkrementen war zu erriechen und sie sahen die großen Wolfshunde, die sie längst gewittert hatten. Die monströsen Tiere waren an eiserne Ketten gefesselt. Sie begannen sich gerade aufzurichten und kamen, knurrend und in einer raubtierhaften Drohhaltung, auf sie zu. Neire sah, dass die Ketten einen großen Bewegungsradius erlaubten und zischelte hastig Worte zu Kadrin: „Tut das Kadrin, was ein Freund für einen Freund tun würde. Beschützt mich und tötet sie. Kämpft für Jiarlirae.“ Noch bevor Bargh von dem Tor abließ und obwohl Kadrin Neire nicht sehen konnte, baute sich der junge Mann mit den kurzen blonden Haaren im Eingang auf und erhob sein Schwert. Die Angst war im deutlich anzusehen, doch grimmig flüsterte der Fahnenflüchtige hinter sich. „Ein Freund hilft einem Freund und ich werde euch beschützen Neire.“ Raubtierhaft rückten die Wolfshunde näher, die von ihrer Größe Zussa fast überragten. Sie hatten Bargh als Ziel ausgemacht und versuchten den Krieger Jiarliraes zu umkreisen. Plötzlich war da das peitschenartige Knallen einer Entladung von Blitzen. Die Luft flimmerte augenblicklich. Vier der Wolfshunde wurden dahingerafft. Ein fünfter jaulte auf und wich zurück. Jetzt schnellten die zirkelnden Tiere nach vorne und suchten den Angriff. Bargh stieß Glimringshert, seine schwarze, schattenblutende Klinge in Richtung der Wolfshunde und tötete mehrere der Kreaturen. Doch sie verbissen sich in seiner Rüstung. Auf zwei Tiere hieb er mit dem Schild und sie ließen von ihm ab, aber eine Kreatur konnte er nicht von seinem Bein abschütteln. Bargh drohte das Gleichgewicht zu verlieren und die anderen Kreaturen witterten ihre Chance. Dann sahen sie die Speere aus purem Feuer, die die Wolfshunde durchdrangen. Die dürre Gestalt von Zussa hatte die infernalische Macht Jiarliraes kanalisiert und ihr liebliches Gesicht, umrahmt von roten, nassen Locken, war, in des Feuers Schein, verzerrt zu sehen – wie von einer Mischung aus kaltem Schmerz und glücklicher Ekstase. Das Momentum wechselte die Seite und auch Kadrin durchbohrte eines der Wesen mit dem ihm vermachten Langschwert. Sie waren sich alle bereits siegessicher, als sie die warnende Stimme von Zussa hörten. „Dort, die Türe, von rechts. Da kommt etwas. Hört ihr nicht die dumpfen Schritte?“ Sie kämpften weiter gegen die verbleibenden Wolfshunde und achteten jetzt auf die Türe. Die Schritte wurden lauter und lauter und mit einem Mal flog die Türe auf. Es gab ein tiefes, knallendes Geräusch, als Holz auf Holz prallte. Im matten Schimmer von Feuerlicht eines sich dahinter auftuenden Gemachs, sahen sie eine grässliche Gestalt hervortreten. Das Monstrum erinnerte an einen Menschen, war jedoch dreimal so groß wie Neire und besaß einen missratenen Kopf. Eingefallene Augen glotzten dümmlich aus einem rundlichen Gesicht, dessen Hässlichkeit von einer platten Nase bestärkt wurde. Glattes, langes Haar, das hier und dort mal dicker und dünner war, hatte sich der Riese mit Fett nach hinten gestrichen. Er war gekleidet in große, zusammengenähte Lumpen aus gräulich-schwärzlichem Stoff und trug in der rechten Hand eine riesige lederne Peitsche. Als die Gestalt hervortrat, fingen die Wolfhunde an zu heulen, zogen ihre Schwänze ein und wichen zurück. Sie wendeten sich in Ehrfurcht dem Riesen zu und wurden von Bargh und Kadrin niedergemacht. Der Riese erhob jetzt seine Peitsche und ging in den Angriff über. Zussa und Neire hatten diesen Moment erahnt. Die Luft wurde von arkanen Mächten durchschnitten, die durch den Körper der abscheulichen Kreatur fuhren. Die Gewalt war gleichzeitig und so vernichtend, dass die Kreatur ohne einen Schmerzenslaut zusammensackte und mit ihrem hässlichen Gesicht voran in den Schlamm fiel. Hinter der jetzt geöffneten Türe hörten sie erstaunte Laute. Etwas heller als die der peitschenschwingenden Kreatur, aber grotesk und dümmlich.

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Kadrin dachte an seinen neuen Freund. An die lieblichen gold-blonden Locken und das unschuldige, blasse Gesicht des Knaben. Er dachte an die Verheißung von Macht, die Neire ihm versprochen hatte. An die Verheißung von Feuer und Dunkelheit, die er so gerne kosten wollte. Er musste Neire beschützen. Er wusste, dass sein Freund schwach war und seine Hilfe brauchte. Aber er wollte sich auch beweisen. Wollte vergessen machen, was für ein Unheil er über seine Sippe und sein Volk gebracht hatte, als er den Grafen verriet. Also war er in den Raum hineingestürmt, aus dem die peitschenschwingende Gestalt hervorgekommen war. Durch das krude Portal. So klein war er sich vorgekommen. Wie eine menschliche Ameise, die in die Behausung größerer Wesen eindringt. Und da waren sie gewesen. Die sechs Weiber des Peitschenschwingers. Ihre Hässlichkeit war fast noch größer, als die ihres einstigen Beschützers. Sie standen auf dicken, stämmigen Beinen. Überragten ihn um mehr als das Doppelte. Unförmige, fette Brüste hingen hinab und bewegten sich obszön in ihrem schwachsinnigen Reigen. Dünnere, lange Arme fuchtelten einfältig, gestikulierend. Es kam ihm fast vor, als würden sie tanzen, in ihrer primitiven, ungeschickten Art oder war es nur ein angetrunkenes Torkeln? Doch sie grunzten und schwankten, in ihrer dümmlichen Unterhaltung – fast wie die Schwachsinnigen, denen sie damals in Aschwind Met gegeben hatten und sie zum Tanz angestachelt hatten. Ihr langes Haar glänzte schwarz über ihrer fettigen Haut. Und sie beachteten ihn nicht, standen zusammen und tuschelten. Kadrin schlich sich an dem Berg von Lumpen vorbei, der in der Mitte des Raumes aufgetürmt war. Waren das die Kleider seines Volkes. Die Kleider derer, die diese einfältigen Bastarde geraubt hatten? Das Licht eines gewaltigen Kamins hüllte das Gemach in lange Schatten. Er konnte einfache Strohlager sehen, die der Größe dieser Kreaturen nach geformt waren. Er sah seine Gelegenheit. Vor ihm war das Bein einer Riesin zu sehen. Dicker als sein Oberkörper. Das Schwert, das ihm Neire geschenkt hatte, war so leicht und kostbar. Er würde dem Kind der Flamme auf ewig dankbar sein. Von hinten hörte er die gezischelten Laute. „Jetzt, Kadrin. Tötet sie. Tötet sie für Jiarlirae. Tötet sie, beweist euch als IHR Krieger.“ Die Worte seines Freundes schenkten ihm Zuversicht. Er nahm das Schwert und stach zu. Blut quoll aus dem Bein und er hörte ein Grunzen. Dann wendeten sich die Dinge gegen ihn. Er wollte fliehen, als sich die Gestalt zu ihm umdrehte. Sie hatte eine blutende Fleischwunde am Bein, doch sie war nicht tot. Sie war weit vom Tode entfernt. Sie schlug nach ihm. Doch sie schlug nicht so, wie man nach einem Gegner schlug. Er kam sich vor wie eine lästige Fliege, nach der geschlagen wurde. Als die Hand ihn traf, hörte er seine Rippen knacken und er stürzte fast zu Boden. Ihm blieb die Luft weg und er hustete. Doch er kämpfte weiter. Er musste sie töten für seinen Freund, für Neire; er konnte nicht anders. Einen weiteren Stich konnte er in seiner Verzweiflung verbringen. Tief in den Unterleib, dieses widerlich nach Schweiß, Urin und Fäkalien stinkenden Geschöpfes. Dann waren sie über ihm. Die anderen Riesinnen hatten sich aus ihrem Gespräch gelöst. Sie hatten ihn umringt. Er spürte die Brutalität der Schläge. Hörte seine Knochen brechen. Als er zu Boden fiel, sah er, dass sein linkes Ellbogengelenk zertrümmert war und die Spitze eines gebrochenen Knochens dort - blutrot - hervorkam. Ihm wurde schwarz vor Augen. Der nächste Schlag kam bestimmt. Er dachte an seine gütige Mutter und an seinen ehrwürdigen Vater. Wo sie wohl waren. In der Dunkelheit von Aschwind? Dann dachte er ein Neire. An das Lächeln des Jünglings. Wie das Kind der Flamme ihm die Gedanken an den Selbstmord genommen hatte. Den Verrat an seinem Volk, an seinen Eltern, hatte vergessen lassen. Er sah ein brennendes und ein dunkles Auge vor einem purpurnen Abendhimmel. Es musste Jiarlirae sein, die Schwertherrscherin, von der Neire immer gesprochen hatte. Sie würde ihn erlösen. Dunkelheit war um Kadrin und er hörte nicht mehr das scheußliche Knacken seines Genicks, das der nächste Schlag der groben, übergroßen Hand brach.

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„Vielleicht waren es nicht die Weiber des Peitschenschwingers. Vielleicht gehören sie Nomrus und es ist nur eine Frage der Zeit bis er kommt, um sie zu begatten.“ Bargh schaute sie bei diesen Worten an. Unter seiner Drachenmaske konnte sie jedoch nur Gesichtszüge erahnen; war dort ein Grinsen zu sehen? Zussa dachte zurück an ihre Zeit in den Küstenlanden. Als sie noch bei ihren Eltern im Dorf gelebt hatte. Natürlich hatte sie gesehen, wie sich die Pferde begattet hatten. Sie versuchte das Bild nicht auf die Riesen zu übertragen, doch es war bereits in ihrem Kopf entstanden. Die Vorstellung widerte sie an, doch sie wurde das Bild auch nicht mehr los. Sie spie auf den Boden, um nicht zu grinsen und antwortete Bargh. „Igitt, welch‘ Vorstellung… Wieso müsst ihr immer an solche Schweinereien denken, Bargh.“ Auch Neires Lachen war nun irgendwo in der Dunkelheit zu hören. Es war schon eine merkwürdige Situation, dachte sie sich. Sie zitterte noch immer am ganzen Körper und um sie herum war nur Blut und Tod. Doch sie mochte diese Art des Humors. Sie mochte die Entfesselung ihrer tödlichen Gewalt. Sie mochte es, wenn ihre Gegner in den von ihr beschworenen Flammen der hohen Herrin starben. Wenn sie so schön schrien im infernalischen Feuer. Es war wie ein Rausch, aus dem sie sich nur schwer lösen konnte. Sie erinnerte sich zurück. Als sie den Tempel von Torm zerstört hatte. Sie dachte an Grausud und Wein, an die Farben des brennenden Steins und an Neires Tanz im Morgengrauen. Damals hatte sie noch nicht umgehen können, mit ihren Gefühlen. Doch jetzt war es ihr klar. Schon auf der Insel hatte sie es genossen. Sie hatte Neire und Bargh bewundert. Zussa legte die Gedanken ab und sah sich um im Gemach. Der Geruch von Suppe und Gewürzen war in der Luft. Um sie herum lagen teils verbrannte, aufgeschnittene Leichen. Sie hatten zuerst die sechs Riesinnen des Peitschenschwinger niedergemacht. Kadrins Körper hatten sie liegengelassen; nur Bargh hatte das an Kadrin verliehene Langschwert wieder aufgehoben und verstaut. Zussa hatte Kadrin nicht gemocht. Sie hatte darüber nachgedacht ihn zu töten, doch das hätte Neire bestimmt nicht gefallen. Wie konnte ein solch einfacher Krieger die Gunst von Jiarlirae erlangen. Er hatte versagt und Zussa hatte sich mit Genugtuung über seine Leiche gebeugt und einen Witz gemacht. Dann hatten sie sich an die weitere Durchsuchung der Gemächer gemacht. Sie waren auf eine Kammer gestoßen, aus der ein bestialischer Gestank von Eiter, Urin und Fäkalien hervorkam. Zwei geschändete Kreaturen hatten dort gelegen, die wulstige Gesichtszüge und Hauer von Eckzähnen hatten. Zussa hatte sich vor dem Gemach geekelt, doch Neire und Bargh waren hineingeschritten. Neire verstand anscheinend die Sprache der Kreaturen und hatte herausgefunden, dass es Sklaven eines Nomrus waren. Sie hatten Neire gesagt, dass er stark sei – stark wie sie selbst. Ihre Stärke hatte Neire dann auf die Probe gestellt, indem er seinen Degen langsam in das Herz der Kreaturen gebohrt hatte. Danach waren sie in die Hallen der Nahrungszubereitung gelangt. Hier hatte es ein Gemetzel gegeben, als sich, die, von den anwesenden Riesinnen aufgehetzten, Sklaven gegen sie gestellt hatten. Es waren die Kreaturen, die sie zuvor in der Kammer angetroffen hatten sowie größere Gestalten. Die größeren waren von gelblicher Haut, knollenartigen Nasen und dem Gestank von vergorenem Käse. Sie hatten sogar Bargh überragt, waren jedoch von Glimringshert niedergestreckt worden. Dann hatten sie gemeinsam auch die Riesinnen getötet, die in der Küche ihren Dienst getan hatten. Jetzt hatten sich große Blutpfützen ausgebreitet und der Boden war mit Leichen bedeckt. „Lasst uns keine weitere Zeit verlieren. Wenn sie hier ein Abendmahl vorbereitet haben, wird es wohl so sein, dass es bald auffallen wird.“ Im Zischen der Töpfe und dem Blubbern der kochenden Suppen, hörte Zussa Neires Stimme. Sie nickte und so bewegten sie sich vorsichtig zum nächsten Portal. Bargh öffnete die Tür aus Baumstämmen. Dahinter sahen sie einen breiten Gang, der fast genauso hoch wie die Halle war. In diesem Gang waren das schallende Lachen und Brüllen, das sie aus einem anderen Teil der Festung gehört hatten, nicht mehr so laut. Sie konnten keine weiteren Geräusche hören. So schlichen sie voran und erkundeten drei Schlafgemächer. Zwei der Gemächer waren einfacher, doch im dritten, nobleren Gemach bemerkte Bargh eine seltsame Fackel. Im Gegensatz zu den anderen Fackeln, war diese nicht entzündet. Sie untersuchten vorsichtig die Fackel und Bargh zog ein wertvoll glänzendes Langschwert hervor. Der Knauf stellte den Kopf eines Riesen dar, die Parierstange war wie aus stilisierten Fingern gearbeitet. Sie betrachteten die Klinge im Licht der Fackeln, die die Höhe des Gemachs nicht erhellen konnten und horchten immer wieder nach dem Lachen, dass sie durch die schweren Holzwände dröhnen hören konnten.

Jenseher:
Schummriges Licht umgab Zussa, Bargh und Neire. Sie hatten die Schlafgemächer verlassen und waren den Geräuschen gefolgt, bis sie zu der doppelflügeligen Türe gekommen waren. Jetzt standen sie dort, lauschten dem hohlen, gutturalen Lachen. Stumpfes Gebrabbel wechselte sich ab mit Jubelschreien und einem obszönen Klatschen von Fleisch. Es hörte sich so an, als ob zwei übergewichtige Ringer gegeneinanderprallen würden. Zussa kam sich verloren vor. Sie starrte das krumme Portal aus Baumstämmen an, das sich über ihr erhob. Sie fühlte sich wie ein kleines Insekt, das hier nichts verloren hatte. Bei dem Gedanken zitterte sie noch mehr am Körper. Wie ein Insekt, das mit seinem feurigen Gift sticht und tötet…es kommt in den Schatten und stielt sich in ihnen davon. Dachte sie sich und versuchte ihre Angst zu verdrängen. In einem Moment von Stille konnte sie aus der Ferne das Prasseln des Regens hören, das stärker geworden war und tief-gedämpft auf das Holz der Festung trommelte. Dann vernahm sie wieder die Geräusche hinter dem Portal. Lauter als zuvor – dumpfe Rufe und dröhnendes Gelächter, freudige, stupide Lachschreie. Sie fing jetzt stärker an zu zittern. Sie trat zu Bargh, strich sich ihre feuerroten Locken aus dem Gesicht und reichte nach seiner Hand. Die Dunkelheit um den großen Krieger gab ihr Zuversicht, nahm ihr die Angst. Sie hatten bereits so viel erlebt zusammen. Sie spürte eine tiefe Zuneigung zu Bargh, wie die Zuneigung zu einem größeren Bruder. Die Art von Zuneigung, die sie für ihren eigenen Bruder nie gehabt hatte. Oder waren da doch andere Gefühle? Der Panzerhandschuh von Bargh war kalt und schwer und sie begann zu flüstern. „Bargh, ich habe mich jetzt vollends unserer Göttin zugewandt. Mein Leben gebe ich in ihre Hand, in Flamme und Düsternis. Ich glaube, ich kann ihren Segen fühlen.“ Bargh lächelte, als er von oben auf sie hinabblickte. Sie spürte jedenfalls, dass er es tat, als sie hinaufsah. Die Maske von grünlichen Drachenschuppen hatte der heilige Krieger über sein Gesicht zogen. Dort glühte der schwarze Obsidianstein rötlich, der den Rubin seines rechten Auges überdeckt. „Ich habe es gesehen Zussa, mit meinem wahren Auge. Ihr habt euch ihr zugewandt und sie wird euch nicht fallenlassen. Doch jetzt müssen wir töten, müssen unwertes Blut vergießen, müssen morden in ihrem Namen.“ Bargh drückte ihre Hand und beugte seinen Kopf zu ihr hinab. Die Klinge Glimringshert vergoss Tränen aus Schatten, die sie wie sanfter Rauch umhüllten. So standen sie dort und der Augenblick hatte etwas Magisches. Bargh hob bei seinen Worten das heilige Schwert, als ob er dem Gesagten stärkeren Ausdruck verleihen wollte. Zussa antwortete: „Aber Jiarlirae, sie ist so fern. Zumindest jetzt. Ich spüre sie, doch sie ist… sie ist weit weg; wie hinter einer dicken, steinernen Wand.“ In diesem Moment sah Zussa Neire aus den Schatten hervortreten. Das Kind der Flamme zog den Schleier des Tarnmantels zurück und offenbarte sein wohlgeformtes, lächelndes Gesicht. Neire trat auf sie zu und legte seine linke, grausam verbrannte Hand auf die ihre und die von Bargh. Seine gold-blonden Locken fielen zurück, als er zu Bargh aufblickte. Doch es war Bargh der ihr antwortete. „Zussa, es war nicht anders bei mir. Die Suche war lang, seitdem ich Neire traf. Seitdem er mich aus der Schattenmark zurückholte, das Wunder Jiarliraes vollbrachte. Doch die Herrin, sie antwortete mir. Und sie führte mich zu Glimringshert, dessen Flamme und Düsternis nun durch mich spricht. Damals hörte ich ihre Antwort und es war, als ob die Klinge schon immer bei mir war – ein Teil von mir war.“ Zussa fühlte die Tiefe, die Ehrlichkeit, die in diesen Worten war. Doch es waren diese Worte, die sie doch so gerne selbst sprechen wollte. Diese innige Verbundenheit im Geiste, die sie spürte. Als ob Neire ihre Gedanken gelesen hätte, hörte sie ihn zischeln. „Seit ich von euch fort war, habe ich nur an euch beide gedacht. Ich habe für euch gebetet, habe nach euch gesehnt. Ähnlich wie ihr, Zussa, habe ich sonst nichts, musste aus Nebelheim fliehen. Es waren sogar viel schlimmere Dinge, die ich tun musste. Schlimmere Dinge als die, die ihr in eurem Dorf tatet. Doch Seht! Jetzt sind wir alle drei vereint. Wir sollten uns freuen, sollten frohlocken und beten, die alten Verse aus Nebelheim. Ich öffnete euch die Augen Zussa, so wie ich es bei Bargh tat und ich sage euch, Jiarlirae wird bei euch sein. Es wird nur Jiarlirae und uns geben.“ Zussa lächelte jetzt. Sie vergaß für einen Moment die Angst und starrte gefesselt in Neires rötlich glühende Augen. Sie mochte es, wenn er zu ihnen – zu ihr sprach. Er war so abwesend gewesen, in jüngerer Zeit. Und Neire konnte so herablassend sein, zu Bargh, wie auch zu ihr. Doch in diesem Moment war das nicht so. Die Verbundenheit war inniger als je zuvor. Als ob sie jetzt die Gedanken ihrer Mitstreiter lesen konnte, zog sie den magischen Stecken hervor und deutete auf das Portal. Bargh und Neire lösten die Umklammerung der Hände und sie flüsterte ihnen zu, einstimmend in Neires zischelndes Gebet: „Ich habe jetzt keine Angst mehr. Unsere Aufgabe ist heilig, doch die Schwertherrscherin, die Königin von Feuer und Dunkelheit verlangt es. Jiarlirae wird bei uns sein; wird uns leiten.“ Sie sprachen zu dritt und im Chor, als Bargh begann das Portal zu öffnen. „Also preiset die Menschenschlange des wahren Blutes, sie, die vorbereitet wird für den Abstieg, sie, die eins ist mit dem Verfall, mit dem Chaos,…“ Zussa hörte weitere Worte nicht, die Neire vorbetete. Bargh drückte langsam einen Flügel des kruden Portals auf und Licht strömte ihr entgegen. Da war auch das Gewirr von Stimmen, Schreien und Rufen. Lichter einer Feuerschale und unzähliger Fackeln, vermochten nicht die Größe der Halle zu erhellen, die sich vor ihr auftat. Der Geruch von gebratenem Fleisch, Feuerrauch, Schweiß und Alkohol war so penetrant, dass sie einen Würgereiz unterdrücken musste. Zudem meinte sie, Exkremente und Urin zu riechen. Sie begann gerade Einzelheiten der Halle wahrzunehmen, deren gegenüberliegende Seite bestimmt vier Dutzend Schritt entfernt war, da hörte sie wieder dieses Klatschen von inertem Fett und kräftigen Fleischmassen, die mit einer rohen, urtümlichen Wucht aufeinanderprallten. Der Lärm war für einen Augenblick ohrenbetäubend, gefolgt von einem Gejohle und gutturalem, nicht ersticken wollendem Lachen. Im rötlich-glühenden Licht der Feuerschale kämpften zwei missratene, über vier Schritte große, Gestalten gegeneinander. Rundliche Köpfe, die von platten Nasen, einer fliehenden Stirn und kleinen, schwarzen, boshaften Augen gekennzeichnet waren. Eine der beiden Kreaturen hatte der anderen eine Ohrfeige mit ihrer flachen Pranke gegeben, die ihren Kontrahenten zum Torkeln brachte, jedoch jeden Kopf eines Menschen augenblicklich zertrümmert hätte. Das Lachen kam hauptsächlich aus der Richtung eines primitiven Thrones, der durch rötliche Stofffetzen in lächerlicher Weise geschmückt war. Auf diesem Thron saß eine fleischige Gestalt, von gewaltigem Wanst. Dies konnte nur Nomrus, der Anführer die Feste sein. Er ruhte behäbig auf seinem Thron aus Baumstämmen und seine Fettschürzen quollen über die Lehnen zu Boden. Nomrus war noch hässlicher, als es seine Untertanen waren. Von haarlosem Schädel, sonnengebräunter Haut, war eine lange Narbe über seiner Brust zu erkennen. Gekleidet war er in ein Fell und er trug eine goldene Kette, die er sich unsymmetrisch und stümperhaft um seine Brust gewickelt hatte. In seinem Lachen begannen sich die trägen Fettmassen zu bewegen. Nomrus‘ Blick wich jetzt von den Kämpfenden und er starrte zur Feuerschale, wo gelbhäutige Dienerkreaturen, der Größe von Bargh, protzige Spieße mit ganzen Rindern drehten. Nomrus war nicht allein. Am Tisch vor dem Thron hatten sich Kreaturen versammelt, die nicht von seiner Rasse waren. Dort saßen drei Riesen, größer als Nomrus. Von steingrauer Haut, drahtig und haarlos. Sie betrachteten den Kampf mit einer Mischung aus Langeweile und Skepsis. Einen ähnlichen Gesichtsausdruck hatte auch ein vierter Riese, der vielleicht größte, der hier anwesenden Gestalten. Aufgerichtet musste er wohl sechs bis sieben Schritte groß sein. Er war muskulös, von weißer, matter Haut und mit langen, rötlich schimmernden Haaren und Bart. An seinem Tisch hatte er einen Morgenstern gelehnt, dessen Kugel Zussa fast bis zum Bauch reichte. Jedoch waren das nicht alle der Riesen, die sich hier versammelt hatten. Zur rechten Seite der Halle sah Zussa weitere Bänke und Tische, an denen diese verabscheuenswürdigen Kreaturen von Nomrus‘ Blute saßen. Sie erkannte neben weiteren Dienerkreaturen auch einen Bären, der wohl durch ein Halsband mit langen eisernen Stacheln gebändigt wurde. Zudem hing hinter dem Anführer eine riesige Armbrust an der Wand, die einst als Balliste eingesetzt worden war. Als Bargh die Tür aufgestoßen hatte, überschlugen sich die Dinge. Die Dunkelheit, die um Bargh und sein Schwert war, verdrängte das schwache Licht der ersten Fackeln im Türbereich. Dennoch bemerkte sie einer der gelbhäutigen Oger, der Nomrus gerade einen Krug Bier, in der Größe eines kleinen Waschzubers brachte. Er hielt einen Moment inne und blickte in ihre Richtung. Zussas Herz raste jetzt, sie dachte an die Flucht. Doch da waren die Worte von Neire und Bargh, die Gebete, die in ihrem Kopf nachhallten. Sie bemerkte fast nicht den Schatten von Neire, der sich ein kleines Stück in den Raum bewegte und erste Beschwörungsformeln anstimmte. So schwach und verloren war seine Stimme, im Vergleich zum Lärm der rohen Gewalt, dem niederen Gelage, das sie hier sah. Doch dann war da die Stimme von Bargh. Er begann einen tiefen Choral zu singen, einen Choral vom aufsteigenden Chaos des Abgrundes. Die Schatten um sie herum begannen zu tanzen und gaben ihr Mut. Gerade machte Zussa einige Schritte nach vorne, da sah sie den kleinen glühenden Funken, der sich wie eine Träne auf den Thron hinzubewegte. Dann zerriss die Explosion von Magmafarben die Luft. Der Thron mitsamt Nomrus, des Ogers und den Riesen, die hier nicht hingehörten, wurde in Flammen gehüllt. Eine Druckwelle riss sie fast von den Beinen. Sie erhob ihren Stecken und beschwor die Blitze, die sich augenblicklich und mit dem Knallen eines Donnerschlags, entluden. Die drei brennenden grauen Riesen raffte die Woge von Macht dahin. Nomrus wurde fast von seinem Thron geschleudert und der Kopf des Ogers knallte leblos und schwarz verbrannt auf die Tischplatte. Innerlich jubelte Zussa. Dann richtete sich der von Brandblasen bedeckte rothaarige Riese auf, nahm seinen Morgenstern und kam auf sie zu. Sie wollte zurücklaufen, doch ihre Beine waren wie gelähmt. Sie konnte den Kopf des Angreifers nicht sehen, so groß war er. Als die Kugel sie erfasste, hörte sie ihre Rippen knacken und sie wurde, von der Gewalt des Schlages, gegen den geöffneten Portalflügel geschleudert. Sie bekam keine Luft, sie wollte atmen. Da waren Schmerzen und sie hustete Blut. Und da war dieses verdammte Geschöpf, das nicht sterben wollte, in denen von ihr und Neire entfesselten Mächten. Die Kreatur thronte über ihr und erhob unbarmherzig ihren ungeheuren Morgenstern.

Bargh sah den Körper von Zussa gegen den Türflügel schmettern. Im Lärm des Chaos, seiner Gebete und der jetzt einsetzenden Schreie, vernahm er kein Geräusch. Für einen Moment glaubte er Zussa wäre tot. Dann sah er, wie sie sich mühevoll erhob, Blut hustete und wie Tränen aus ihren Augen liefen. Er musste handeln. Die Göttin war mit ihm und Wut und Zorn fraßen sich in seinen Geist, wie loderndes Feuer. Bargh hob sein Schild, machte einen Schritt nach vorn und führte Glimringshert mit tödlicher Präzision. Der Angreifer mit dem Morgenstern hatte Zussa fixiert und so war seine Flanke offen. Das Schwert, das Schatten blutete, fraß sich in den Unterleib der Kreatur und aus der Düsternis der Klinge erwuchs Feuer. Flammen, die die Gedärme des Riesen verbrannte. Das Schwert drang tief in die Seite, fast bis zur Wirbelsäule. Mit hasserfüllten Augen musterte ihn das Wesen, dessen Lebenswille bereits schwand. Wie ein stattlicher Baum in Wanken gerät, fiel die Kreatur, gefällt durch Flamme und Düsternis. Jetzt hörte Bargh wieder Schreie und Rufe. „Zussa zurück… kommt zu mir“, rief Neire hinter ihm. Vor ihm war Chaos ausgebrochen. Nomrus, von grauenvollen Brandwunden bedeckt, gellte dumpfe Befehle. Der Anführer hatte bereits nach der Balliste gegriffen und legte dort einen mannsgroßen Metallbolzen ein. Einige der Riesen hatten sich erhoben und begannen auf den Türbereich zuzulaufen. Bargh ging langsam mit Zussa zurück, deckte seine Mitstreiter mit seinem Schild und sang seinen Choral. Er war wie in einem Rausch - alle Furcht war gewichen. Alles war so langsam und doch so real. Sie kamen auf ihn zu. Einzeln oder im Gemenge. Mit stumpfem Hass in den Augen. Blitze und glühende Geschosse aus Magma zuckten an ihm vorbei und verbrannten ihr Fleisch. Er griff an und sang den Choral von Jiarlirae. Das Gebet beschützte ihn – stachelte ihn zu Heldentaten an. Glimringshert vollbrachte das blutige Werk. Und so stürzten sie hernieder: Mann für Mann - Ungeheuer für Ungeheuer. Die Leichen der fleischigen Kreaturen türmten sich, doch die Nachrückenden brachen darüber hinweg. Bargh hörte das Knacken von Knochen, sah Blut aufspritzen, als stämmige Beine niedertrampelten, was dort lag. Nachdem er die unförmige, übergewichtige Kriegerfrau getötet hatte, bemerkte er die Wut in den Augen der Anstürmenden. Bei einigen tropfte jetzt Geifer und Schaum aus den Mäulern. Doch auch sie trampelten in blindem Hass den Körper der hässlichen Kriegerprinzessin nieder. Die Riesen wurden unvorsichtiger, sie wurden von grausamer Magie verbrannt; diejenigen, die bis zu ihm kamen, tötete er mit schnellen, gezielten Angriffen. Auch der Bär war mittlerweile freigelassen und preschte, wie von einer Tollwut erfasst, heran. Bargh hieb und stach, sang sein Gebet und tötete. Seinen linken Arm konnte er mittlerweile nicht mehr spüren. Er war taub von den beiden Geschossen, die Nomrus in seine Richtung entfesselt hatte. Das Schild aus Ne’ilurum hatte standgehalten und er hatte die Flugbahn der eisernen Speere ablenken können. Dann hörte Bargh ein weiteres Mal das Bersten von Magie. Rötlich funkelnde Geschosse huschten auf Nomrus zu und explodierten in seinem Wanst - Fettschürzen wie Gedärme wurden zerfetzt. Nomrus war tot und so rangen sie auch die letzten Kreaturen nieder. Bargh jedoch sang weiter das Gebet zu seiner Göttin. Er sank auf die Knie und blickte auf den grauenvollen Haufen aus Fleisch, der sich vor ihm auftat. Hier und dort ragten lange, affenartige Arme hervor. Dumme Gesichter, mit aufgerissenen Mäulern und erstarrten Augen. Geöffnete Leiber, von denen der Geruch von schwerem Blut und frischen Exkrementen aufstieg. Es war kein Ort an dem man sein wollte, doch Bargh genoss den Augenblick. Er zog sich die blutverschmierte Maske vom Gesicht und nahm einen tiefen Atemzug. Das war der Krieg. Der Krieg den er aus tiefstem Herzen liebte - total und vernichtend, wie er sich ihn immer gewünscht hatte. Er wollte nichts anderes mehr kennen. Er widmete die Verse seiner Gebete an den Henker der letzten Einöde und schloss die Augen.

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