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[Deadlands] Savage West Solo Play
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Heute, am Neujahrstag 1877, ist erstmals seit Wochen wieder die Sonne rausgekommen über der frostigen Prärie. Die Siedler von Gomorra sind heute erstmals seit längerem in größerer Zahl auf den staubigen Straßen zu sehen, und recken ihre Glieder. Erste Revolverhelden sind zu sehen, die bereits wieder mit umgegurteten Schießeisen einher stolzieren. Sie werfen arrogante und streitlustige Blicke nach allen Seiten.
„… Kaum bist Du wieder in der Stadt, kündigt sich auch bereits Ärger an, Luca!“, sagt Joycelyn mit gespieltem Tadel in der Stimme, „während Du weg warst, war es eine ruhige Weihnachtszeit!“
Auf dem sonnigen Town Square sind unsere Helden zusammengekommen, um sich leise darüber auszutauschen, was John und Luca heute morgen draußen im Ödland auskundschaftet haben. Die beiden haben gerade ihre Schilderung beendet.
„… Vielleicht sollten wir’s Shouting Tom erzählen!“, witzelt Byrd, „dann weiß es bis heute Abend jedermann! Die Konföderierten haben sich ein vermaledeites Fort gebaut, das muss man sich mal vorstellen, gerade so außer Sichtweite unserer Stadt! Flattert sogar die dämliche Südstaaten-Flagge mit den ‚Stars and Bars‘ drüber. Bestimmt haben die das deswegen so weit im Abseits gemacht, weil sie das Rampenlicht scheuen, die kleinen Schweine. Wäre also doch ulkig, denen in die Suppe zu spucken, indem man‘s sofort eifrig rumerzählt, kaum dass das Fort fertig gestellt ist!“
„Alles, was die Graurock-Krieger verärgert, soll mir recht sein“, knurrt John ungnädig, „wir Sioux haben nicht vergessen, wie die uns behandelt haben, als wir letzten Sommer nach Kalifornien kamen.“
Marcus Perriwinkle hat sich einen Holzstuhl mit hierher gebracht, und es sich auf diesem bequem gemacht, und eine Zeitung aufgeschlagen. Das Holz knarrt unter dem Gewicht seiner kruden Uhrwerk-Gliedmaßen. Er kommentiert nüchtern, „Es sind ja dem Bericht von Ihnen beiden zufolge kaum Soldaten dort draußen, nicht wahr, in diesem neuen Fort. Daher würde ich schlussfolgern, Mister Byrd, dass diese Konföderierten sich durch derlei Vorgehen herzlich wenig ärgern lassen! Immerhin haben die Südstaaten derzeit sowieso nicht im geringsten die benötigte Truppenstärke, um das Great Maze zu erobern. Nicht wahr, da kann Präsident Jefferson Davis es so viel annektieren wie er will, er kann seinen großen Worten ja kaum Taten folgen lassen. Dieses neue Fort wird deswegen schlicht dazu dienen, einen kleinen Teil dazu beizutragen, hier im gesetzlosen Gomorra Valley den Frieden zu sichern. … Und sich darauf vorzubereiten, Fakten schaffen zu können, wenn sich tatsächlich weitere militärische Unternehmungen hierher wagen — irgendwann in kommenden Jahren.“
Byrd gibt leise zu bedenken, „Wenn’s nur das wäre! Vor allem haben wir da draußen mehrere Texas Rangers gesehen. Wahrscheinlich soll das vor allem eine Basis sein für deren Herumschnüffeln! Bisher waren alle Rangers, mit denen wir’s hier draußen zu tun gekriegt haben, ja immer nur auf Durchreise. Wüstenhunde. Aber der Omega-Wolfsmann, Los Diablos, und die Vo-vo … Vogelscheuche letztes Jahr haben den Jungens mit den Goldsternen ganz gewiss genügend Grund gegeben, die Stadt endlich mal genauer unter die Lupe zu nehmen! ... Ein schöner Scheiß ist das, ehrlich mal!“
Perriwinkle nickt, und fügt hinzu, „Diese Texas Rangers sind wahrscheinlich die Antwort der Konföderierten auf jene Männer, die im Dezember verdeckt im Red Hill Hotel eingezogen sind ...“
Joycelyn erbost sich, „Meinen Sie dieses halbe Dutzend Arschlöcher mit den verkniffenen Gesichtern und den Nadelstreifenanzügen, die keinem ihre Namen verraten?“, und sie versucht dabei ihre Furcht vor jenen Unbekannten zu überspielen.
„… Von denen unsere arme Miss Kentrall glaubt, dass sie Pinkerton-Agenten sind“, sagt Byrd leise, mit grimmigem Nicken.
Mallory Kentrall wagt sich tatsächlich kaum noch auf die Straße, seit sie den Verdacht hegt, dass die berüchtigten Männer in Schwarzen Dustern sich inkognito eine Präsenz in der Stadt aufgebaut haben. (Auch aus diesem Grund ist die Hucksterin jetzt nicht hier.)
Perriwinkle fährt fort: „Vielleicht zurecht! Es würde zusammenpassen: Erst die Spione der Union, jetzt die Truppen der Konföderierten. Die Anwesenheit der beiden Geheimpolizeien kann meines Erachtens nach nur bedeuten, dass der Bürgerkrieg endgültig seine Schatten voraus wirft, ganz bis hierher, nach Caine County. Die Geheimdienste wollen sehr wahrscheinlich Gomorra von okkulten Phänomenen säubern, um im Anschluss die Übernahme durch ihre entsprechende Regierung vorzubereiten. Eine sehr unschöne Aussicht fürwahr, denn das klingt, als würde es zu noch mehr Gewalt kommen in den nächsten Monaten.“
„Wenn die Grauröcke es gern wollen, wird der Rote Mann das Kriegsbeil wieder ausgraben“, grollt John Bloody Knife biestig.
Mister Perriwinkle zuckt die Schultern und blättert gedankenverloren in seiner Zeitung, und sagt, „Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Texas Rangers erneut versuchen, sich der Sioux Union entgegen zu stellen. Mittlerweile haben Sie Ureinwohner, Mister Bloody Knife, ja längst ein befestigtes Lager, nicht wahr, und Sie sind auf eine Verteidigung mit allen Mitteln vorbereitet! Einen derartigen Kriegsschauplatz werden die Südstaatler nicht aufmachen, zumal sie dabei nichts unmittelbar zu gewinnen haben. Nein, nein. Ich befürchte viel mehr, dass jetzt die Rangers hier in der Siedlung einen Schattenkrieg mit den Pinkerton-Agenten beginnen werden. Der wäre vermutlich keinen Deut weniger brutal als der Krieg der Blackjack-Bande gegen Sweetrock, und der Krieg von Sheriff Coleman gegen selbige Blackjack-Bande!“
„Oh hauer-ha“, sagt Byrd, aber er setzt dabei schon wieder sein enthusiastisches Grinsen auf, „das sieht doch so aus, als würde unser ach-so-beschauliches Städtchen demnächst frühzeitig aus dem Winterschlaf geweckt werden! Aber ist doch gut, wenn‘s wieder richtig was zu tun gibt, Leutchen!“
☆
Und Recht hat er. Wir erwürfeln uns mal wieder einen Zufalls-Plot und hecken dazu eine Mission aus, um unser Gomorra-Aufgebot wieder in Schwung zu bringen!
Der Plot Hook soll sein: Escort or Deliver to Safety from Guardians to gain Money or Valuables.
Random Event: Mystically Oppose the social PCs.
Scene Complication: All is not as it seems.
Geilo, ein gut bezahlter Auftrag ist genau das, was unsere Wild Cards jetzt brauchen; die vergangenen zwei Monate waren immerhin nicht billig, was Hotel- und Lebenskosten betrifft. Joycelyn hat mit ihren Auftritten gut verdient, und diese vom Old Moon Saloon mittlerweile auch auf den Fat Chance Saloon ausgeweitet. Farbenfrohe Plakate und Banderolen künden davon.
Luca allerdings musste sich den halben November mit Baustellenarbeiten über Wasser halten, und war dann die zweite Monatshälfte und den Dezember über gänzlich verschwunden. … Spurlos!
Mallory hat derweil vornehmlich von Glücksspielen und gelegentlichen Wahrsagerei-Performances gelebt, und ansonsten ihre Ersparnisse zusammengehalten. (Sie ist prompt aus dem Red Hill Hotel ins neueröffnete Golden Mare Hotel umgezogen, als der Verdacht aufkam, dass die neuesten Gäste im Red Hill in Wirklichkeit Pinkerton-Agenten sein könnten!)
Nur John und Marcus konnten mietfrei leben in den vergangenen zwei Monaten, da sie ja eigene Schlafgelegenheiten haben in der jeweiligen Basis der Fraktionen, denen sie angehören (das Indianerlager der Sioux Union und das Forschungszentrum des Collegium).
Wie dem auch sei, jemand möchte jetzt offensichtlich unsere Wild Cards beauftragen, etwas abzuliefern, ungesehen von Gegenspielern. Diese Gegenspieler sind aber nicht potenzielle Räuber, sondern laut Würfelorakel im Gegenteil Guardians, also Bewacher. Das klingt fast so, als sollten unsere Helden etwas — oder jemanden — heimlich seinen Bewachern entreißen, und anderswo in Sicherheit bringen.
Die Scene Complication sagt außerdem, dass nicht alles ist, wie es scheint. Dementsprechend wird es wohl ein abgekartetes Spiel sein, das die Auftraggeber mit unseren Wild Cards im Sinn haben!
Das Zufallsereignis soll laut Kartenorakel sein, mystically Oppose the social PCs, die Wild Cards werden also auf mystische Weise von ihren Gegnern angegangen, und zwar öffentlich in ihrem gesellschaftlichen Leben. Also dann ...!
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Binnen der nächsten Tage verbreitet sich dementsprechend ein arges Gerücht in Gomorra:
„… Nach der schändlichen Art und Weise, wie er die leicht verführbare Bauerstochter Lorna Hermans vom rechten Pfad abgebracht hat, und sie schließlich verschwinden lassen hat, der Lump, ist nun dieser Luca Byrd zurück, um sich weitere Missetaten zu leisten! Luca Byrd und seine Helfer und Helfershelfer! Viel schlimmer noch als den Skandal um Lorna Hermans! Ich sag' Euch, Leute, da steckt verdammt nochmal Kalkül dahinter!“
Der Penner Jerry Futz mag kein erfolgreicher Ghost-Rock-Schürfer sein, aber er versteht sich darauf, an die Gutgläubigkeit der biederen Leute zu appellieren. Kaum ein Schnappszelt und kaum eine Essensausgabe, wo er seine üble Nachrede nicht lautstark verbreitet, in seiner wie üblich leiernden, nach Mitleid heischenden Stimme.
Jeroboam Futz hat der Stadt einiges zu verkünden!
Nicht nur Luca Byrd wird von dem glücklosen Schürfer als Wolf im Schafspelz und möglicher Menschenhändler hingestellt, sondern seine Kumpane auch gleich mit ihm. Allen voran Shadrack der räudige Hund, und May B. das verachtungswürdige Halbblut. Die sind weg und können sich nicht wehren gegen solche Aussagen!
Wir schicken Jerry Futz also Joycelyn und Mallory auf den Pelz, mit unseren beiden Grazien rechnet der am wenigsten. Sollen die feinen Damen ihn mal ordentlich durch die Mangel nehmen!
Die Orakelwürfel bestätigen, dass die beiden Frauen Jerry Futz erwischen können, als er heute Vormittag gerade bei einem der Küchenzelte der Sweetrock-Schürfer seine Lästerei beendet hat. Die Menschentraube löst sich gerade auf.
„Mister Futzz!“, schnarrt Joycelyn, als der alte Zausel sich gerade zum Gehen wendet, und sie baut sich erhobenen Hauptes vor ihm auf.
Jerrys Augen weiten sich entzückt beim Anblick der Sängerin, dann sofort zuckt er jedoch erschrocken zusammen.
„Habe noch zu tun, Ma'am, muss schnell weiter!“, nuschelt er hastig, lüpft den Hut, und wendet sich abermals ab, um davonzueilen.
Dort stellt sich ihm Mallory Kentrall in den Weg, sie sagt nichts, sondern schaut ihn nur angewidert an, rümpft die Nase wegen seiner abgerissenen Aufmachung.
„So warten Sie doch, Muster Futz!“, säuselt Joycelyn unbeirrt, „Wir haben ein Wörtlein mit Ihnen zu reden! Uns kam zu Ohren, dass Sie einem Schwätzchen nicht abgeneigt sind, besonders in den letzten Tagen!“
„Äh, nun ja, ich bin untröstlich, die Damen! Habe mich zu sputen, sonst machen mir die Aufseher in der Mine die Hölle heiß! Und Sie wissen ja, wie die Sweetrock ist!“
„Schnickschnack, wir wissen genau, dass Sie eine eigene Mine hatten“, versetzt Joycelyn, „und dass Sie seit Monaten nicht mehr drin geschürft haben. Ihr Claim ist trocken wie es die Unterwäsche einer Saloondame ist, die sich nach einem Verehrer umschauen muss in einer Bar, die gefüllt ist mit solcherlei Gestalten wie Ihnen selbst, Jerry!“
Mallory öffnet empört den Mund, und sieht Joycelyn tadelnd an. Sowas aber auch!
„Entschuldigung“, sagt diese, „aber echt mal, ist doch wahr!“
„Nichtsdestotrotz“, versucht Jerry Futz seinen Faden wieder aufzunehmen, „ich habe dringliche …“
„Was also haben Sie nun davon, derart scheußliche Gerüchte über unseren Freund Luca Byrd zum Besten zu geben?“, verlangt Joycelyn gestreng zu wissen.
„Wer sagt Ihnen, dass es Gerüchte sind? Lorna Hermans hat er tatsächlich verschwinden lassen! Oder wollen Sie's etwa leugnen, Miss Lancaster? Der Mann ist eine Klapperschlange! Ich warne nur vor ihm! Auch Sie beiden, ich warne Sie, werte Damen. Warum sollten Sie als respektable Persönlichkeiten sich für einen Halunken und Tagedieb wie Byrd einsetzen?“
„Weil das unser Freund ist! Und weil es obendrein ja wohl auch wir sind, die Sie hier in die Pfanne zu hauen versuchen, Mister Futz!“, braust Joycelyn auf, „Sie reden doch immerhin ständig von ‚Luca Byrd und seinen Helfern und Helfershelfern‘!“
„Ja, äh, aber damit meine ich doch selbstverständlich nicht respektable, feine Damen wie Sie's sind …!“
„Und gegen wen richten sich dann Ihre Anschuldigungen?“, hakt nun Mallory Kentrall nach, in recht kalter Stimme.
„Äh! Na, gegen Luca Byrds Bande!“
Joycelyn schüttelt bockig den Kopf mit den Korkenzieherlocken, und entgegnet, „Die Siedler, die als einzige mit Luca Byrd in Verbindung gebracht werden, sind aber nun einmal wir, Jerry Futz! Meine Wenigkeit wird sogar zusammen mit ihm im Tombstone Epitaph erwähnt!“
„So? Wusste ich doch nicht!“, protestiert der Schürfer schwach, „Hab' ich nicht gelesen, für mich ist Zeitungspapier nur da zum Arm abwischen! Und überhaupt, Tombstone Epitaph, das ist doch Lügenpresse …“
„Jetzt hören Sie mir mal zu, Sie Frohnatur!“, zischt die Kentrall, „Sie packen jetzt aus, wer Sie darauf gebracht hat, so hässliche Lügen zu verbreiten! Wenn nicht, dann werden wir Sie ganz beträchtlicher Marter aussetzen, wann immer Sie künftig Fuß in diese Stadt setzen! Glauben Sie nicht, dass Miss Lancaster und ich uns scheuen, alle gesellschaftlichen Hebel umzulegen, um Sie von einem Geächteten zu einem Gejagten zu machen!“
Lassen wir Mallory mal Intimidation würfeln, unterstützt von Joycelyns Taunt. Leider knapp vorbei:
„Das würden Sie niemals tun, Miss Kentrall, Sie sind eine gottesfürchtige Dame!“, erbost sich Mister Futz, „und selbst wenn, die haben mir äußerst klare Anweisungen gegeben, und ich müsste schon ein Narr sein, wenn ich mich denen widersetzen täte!“
„Damit kommen wir ja endlich zur Sache, Jerry“, lächelt Joycelyn unbeeindruckt, „Sie sagen uns jetzt vielleicht mal besser, wer ‚die‘ sind!“
Der Kentrall reicht es jetzt, sie hantiert beiläufig mit ihren Pokerkarten, und verwendet Boost Intimidation auf sich selbst. Ihr gelingt dabei ein Raise, was auch ihren Channeling-Vorteil aktiviert. Ihr Intimidation-Würfel wird temporär ein W8.
„Wenn nicht, dann können Sie ihre Loyalitäten zu diesen Anstiftern überdenken, während Sie geteert und gefedert Gomorra im Laufschritt verlassen! Glauben Sie nicht, dass wir hier Gnade walten lassen!“, zischt sie, in einer ganz eindringlichen Stimme, irgendwie dämonisch beinahe!
Jerry Futz unterliegt bei dem Wurf, und wird blässlich, „Nun ja, ein ritterlicher Gentleman hat mir das auftragen lassen! Habe nicht selbst mit ihm geredet ... Aber er hat einen gewissen Ruf, wie Sie wissen! Sie haben doch auch schon einmal Gerüchte über ihn verbreitet, heißt es …!“
„Jebediah Whateley!“, entfährt es Joycelyn, „dann haben Sie ja den Zeitungsartikel doch gelesen, Mister Futz!“
„Lassen Sie mich schön teeren und federn so viel Sie wollen, Miss Kentrall, ganz wie's beliebt!“, leiert Futz in seinem patentierten Klageton, „die Gefahren, die von Jebediah Whateley ausgehen, sind hundertmal größer!“
„Was hat er Ihnen denn versprochen?“, zischt diese.
„Nun, er ist ein reicher Gentleman! Und ich bin ein glückloser Schürfer, bettelarm …“
Joycelyn schnaubt, „Wundern Sie sich nicht, wenn am Ende Ihr Lohn nur daraus besteht, nicht von den Whateleys zehn Peitschenhiebe weniger zu bekommen als andernfalls! Da haben Sie jedenfalls Ihre Bündnispartner schlecht gewählt!“
Ein paar Sweetrock-Schürfer kommen interessiert näher heran. Mallory wendet sich defensiv ab und tupft sich das Gesicht. Jerry Futz die Ratte nutzt die Gelegenheit, um sich aus dem Staub zu machen. Joycelyn folgt Mallory, und sieht, dass es nicht etwa Tränen sind in ihrem Gesicht, sondern eine helle, fast sirupartige Flüssigkeit, in unnatürlichem Hellblau, welche der Kentrall aus den Augen quillt! Joycelyn zuckt erschrocken zurück.
Ja, Mallory hatte ja ein Spellcasting-Raise, und ihr Channeling löst ihren Obvious-Nachteil aus! In solchen Fällen beginnt sie als Medium Ectoplasma zu produzieren, wie bei Charaktererschaffung festgelegt. Das ist hier in der Zeltstadt natürlich gefährlich! Geben wir ihr einen Benny für ihren Nachteil.
„Was ist mit Ihnen, Mallory?“, flüstert Joycelyn verwirrt.
„Nichts! Nur etwas Wimperntusche! Wir haben jetzt sowieso, was wir wissen wollten. Lassen Sie uns von diesem schmutzigen Pöbel verschwinden, ja?“, sagt diese leise, und betupft ihre Wangen damenhaft mit ihrem Spitzentaschentuch. Die schwerelose, blaue Schmiere löst sich auch bereits wieder auf.
„Wimperntusche, so so!“, sagt Joycelyn, und bugsiert das Medium vorsichtshalber noch weiter weg von dem Küchenzelt.
„Ich hätte mich wohl nicht so aufregen dürfen!“, rügt diese sich selbst, in gespielten Selbstvorwürfen.
„Sie hatten ja allen Grund. Haben Sie gehört? Ihre alten Freunde die Whateleys sind dabei, wieder aktiv zu werden!“
„Das sind mitnichten meine Freunde! Dass das nur klar ist!“
„Dachten Sie aber, noch im Herbst!“, sagt Joycelyn bockig.
„Zugegeben.“
„Und jetzt will diese garstige Sippe unseren Luca Byrd öffentlich anprangern! Wahrscheinlich haben die den ganzen Winter über in ihrer verschlossenen Villa gehockt und nach einer guten Gelegenheit gegiert, wieder zum Schlag gegen uns auszuholen! Wegen der Sache zu Halloween!“
Miss Kentrall braust auf, „Mir ist doch Mister Byrds Ruf piepegal! Mein eigener Ruf ist, was auf dem Spiel steht! Wir hängen da unweigerlich mit drin!“
„Na na, regen Sie sich mal nicht auf, Darling“, sagt Joycelyn.
„Verstehen Sie doch!“, drängt Mallory, die Stimme gedämpft, „Sollten sich hier draußen in Kalifornien die Autoritäten für meine Person interessieren — in irgendeiner Weise! — muss ich fliehen!“
„Wegen Ihren Karten, und dem, was Sie Wimperntusche nennen.“
„Ja und nein! Es heißt, die Männer in Schwarzen Dustern selbst seien in der Stadt!“, und dies bringt Mallory nur noch als Wispern über ihre Lippen.
„Wir müssen schnell wieder das Aufgebot zusammenrufen, Miss Kentrall. Wir müssen diese üble Nachrede stoppen, und zwar ohne weiteren Wirbel unsererseits zu machen! … Luca, ein Menschenhändler! Dass ich nicht lache!“
„Nun“, sagt Mallory Kentrall, jetzt wieder gefasst, und in etwas spitzem Ton, während sie ihr Taschentuch wieder wegsteckt, „Er hat uns fürwahr nicht erzählt, was mit seiner Lorna Hermans eigentlich geschehen ist …!“
☆
Ich habe die Orakelwürfel befragt zum Zufallsereignis (mystically Oppose the social PCs): Sind die vorausgesagten Gegner die allseits beliebten Whateleys? Die Würfel haben diese Vermutung bestätigt. Was also tut der konspirative Clan? Ihr übernatürliches Arsenal ist ja umfänglich, wie unsere Helden zu Halloween bereits feststellen mussten. Das Themes-Orakel aus Ironsworn hat dazu gesprochen: Die Sippe greift diesmal auf das unspektakulärste ihrer Mittel zurück, nämlich das Streuen von Gerüchten und übler Nachrede. Das Gerücht dreht sich um Community, also darum, wie unsere Wild Cards insgesamt zur Gemeinschaft der Siedlung stehen. Der Schürfer Jerry Futz ist ihr derzeitiges Werkzeug dafür.
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Luca Byrd's Augen strahlen glücklich, als er vorsichtig mit zwei ausgeborgten Zangen hantiert, in der Ofenklappe, vor der er gerade hockt, in der leeren Schmiede. Sein Werk ist so gut wie vollbracht!
„… Sieht wirklich ziemlich verdächtig aus, was der da treibt!“, sagt plötzlich eine Stimme vom Eingang her.
„Scheiß-verdächtig sogar, wenn Ihr mich fragt, Jungs“, knurrt eine andere.
„Howdy, Mister Byrd! Was zum Henker machen Sie da!“, sagt ein dritter Sprecher laut, und das Klicken eines Revolverhahns unterstreicht die Dringlichkeit seines Anliegens.
Luca Byrd holt mit der einen Zange etwas aus der Ofenglut, und erhebt sich fröhlich. Er wendet sich zu den Fragestellern um, und zückt einen Löffel.
„So, Essen ist serviert!“, sagt er lächelnd, die offene Dose mit Baked Beans mit der Zange festhaltend, und beginnt enthusiastisch zu löffeln.
„Dürfen Sie hier drin sein? Weiß der Schmied davon?“, fragt einer der drei Männer im Eingang. Die nehmen langsam ihre Colts wieder runter, aber stecken sie nicht weg. An ihren Mantelaufschlägen glänzen Blechsterne im Halbdunkel.
„Der lässt mich manchmal hier rein, um mich ein bisschen aufzuwärmen! Joah, ist ja ganz schön lausekalt dieser Tage!“, mampft der Mann in schmuddeligem Weiß.
„Warum gehen Sie nicht zum Bohnen fressen in den nächsten Saloon?“, hakt misstrauisch einer der Deputies nach.
„Ich dachte schon, Ihr seid Texas Rangers, Jungs! Fast hättet Ihr mir einen Schrecken eingejagt! Sich so anzuschleichen und so!“, sagt Byrd, und setzt sich gemütlich auf ein Fass neben dem kleinen Ofen.
„Erinnern Sie sich an uns, Mister Byrd?“, fragt der Hilfssheriff in der Mitte.
„Klar doch, Mister Flatbush! Sie sind der lustigste Spaßvogel im Sheriff's Office, der Mann mit der Bibermütze!“
„Ich zeig' Ihnen gleich mal was Lustiges, Mann, das ist das Innere unserer Gefangenenzelle!“, sagt ein anderer der Ordnungshüter.
„Ist denn da auch geheizt?“
„Scheiß-kalt ist es da, das kann ich Ihnen flüstern!“
„Och nö, dann passe ich lieber, und bleib' hier bei dem Ofen.“
Charlie Flatbush, der mit der Pelzmütze, sagt jetzt, „Jetzt mal genug mit dem Geplauder. Byrd, wir haben da eine Angelegenheit, bei der Sie uns helfen sollen. Und kein Rausreden, und keine Widerworte.“
„Schtetsch tschu Dienschten!“, mampft dieser, mit bestätigendem Kopfnicken.
Deputy Charlie Flatbush, der bestangezogene unter den Law Dogs
„Wir wissen von der ganzen Scheiße mit dem Hermans-Mädel! Dem erbosten Vater, der angekratzten Familienehre, und dem ganzen Skandal. Wir nehmen auch ganz stark an, dass Sie und Ihre Leute hinter deren plötzlichem Verschwinden aus dem Missionshaus stecken!“
„Ach wo! Mister Flatbush, ich bitte Sie! Vater Juan wird die Gute selbst davon geschickt haben! Eine so hübsche Maid mit einem so blitzblanken Lächeln, meine Herren — die hätte doch den armen Vater Juan und seine armen Kirchendiener total in Versuchung geführt. Hätte doch bestimmt nicht viel gefehlt, und einer von denen hätte noch einen Kniefall vor unserer Lorna gemacht. Und dann hat sich's was mit katholischer Priesterschaft! Also klarer Fall, sie musste weg aus der Mission!“
„So, so!“, knurrt einer der Ordnungshüter.
Byrd fährt enthusiastisch fort, „Na, wenn ich’s doch sage! Vor allem, weil's ja am Ende vom ollen Väterchen Dermott hieß, Lorna solle dort für immer bleiben! Ein paar Wochen, schön und gut, im Namen des Herren, aber für immer, eingesperrt im Missionshaus mit einer so schönen, heiratsfähigen Frau? Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt, da muss ein frommer Kirchendiener aber jede Nacht viele Extra-Gebete zum Himmel droben schicken!“
„Versuchen Sie uns mal nicht ihre üblichen Bären aufzubinden, Sie Labersack“, knurrt Charlie Flatbush, „wir haben uns das schon alles ganz gut zusammengereimt. Und Sie wissen ja vermutlich auch, was so über Sie erzählt wird in der Zeltstadt und bei Sweetrocks Arbeiterschar!“
„Ach, das?“
„Ja, das, Sie Hampelmann.“
„Das fiese Gerücht?“
„Eben dies.“
„Dass ich Howard Findleys Schirmständer als Nachttopf verwendet hätte neulich!“, sagt Byrd mit vollen Backen und gespieltem Erschrecken, „aber das stimmt ja gar nicht! Ich war ja bis vor ein paar Tagen nicht mal in der Stadt!“
Die Hilfssherriffs gucken sich gegenseitig an.
„… Man weiß nicht, ob man lachen soll, oder ihm einfach eine Kugel verpassen!“, sagt einer der drei, beinahe ratlos.
„Wir glauben das nicht so recht, was Jeroboam Futz über Sie zu berichten hat, Mann“, fährt Charlie Flatbush ungerührt fort, „Aber eins ist für uns verdammt nochmal sicher wie das Amen in der Kirche: Sie hatten was mit Miss Hermans' rätselhaftem Verschwinden zu tun! Sagen Sie jetzt bloss nichts weiter dazu. Das wollen wir gar nicht hören.“
„… Da reden Sie sich nur um Kopf und Kragen bei uns, Byrd“, droht ein anderer Deputy.
Byrd lächelt und nickt weiter freundlich, beide Backen voller Baked Beans aus seiner blöden Dose.
„Aber Sie und Ihre Truppe, Byrd“, sagt Deputy Flatbush, „Sie scheinen ja ein Talent für sowas zu haben. Allerlei komische Geschichten von letztem Sommer und Herbst! Leuten ungesehen zur Flucht zu verhelfen! Und daraufhin sind Sie ja auch mit dem rothaarigen Waisenmädchen aufgekreuzt, das Sie ebenfalls unter ihren Schutz gestellt haben, wie es heißt. Noch so ein Einsatz als Personenschützer, wie?“
„Ja, nun. Ich bin eben ein ganz pfundiger Geselle! Und wo kommen da die Law Dogs ins Spiel, Pardners?“
„Das wollen Sie wohl gerne wissen, nicht? Ja, ja, das will ich Ihnen sagen, Byrd!“, sagt Charlie Flatbush, steckt endlich seinen Sechsschüsser weg, und grinst verschwörerisch.
☆
Draußen vor der Schmiede läuft Byrd beinahe Joycelyn und Miss Kentrall in die Arme, die bereits nach ihm suchen. Sie wollen dem restlichen Aufgebot davon berichten, wie sie Jeroboam Futz ausgequetscht haben. Mister Byrd hat nach dem Zusammentreffen mit den drei Hilfssherriffs seinerseits brisante Neuigkeiten zu berichten. Das Aufgebot versammelt sich also schleunigst.
Die Auftraggeber sind also diesmal die Law Dogs. Sie haben sich heimlich an Byrd gewendet, denn sie brauchen ihn und sein Aufgebot als Personenschützer. Immerhin habe Byrd ja die holde Lorna Hermans in Sicherheit eskortiert. Nun gelte es, eine ganz ähnliche Eskorte-Mission durchzuführen. Die Gesetzeshüter können das nicht selber machen, weil sie damit ihre Karten offenlegen würden in dem gnadenlosen Pokerspiel um die Zukunft der Stadt — und ihr Gegner in dieser Sache ist diesmal kein geringerer als Howard Findley. Und die Stimmung zwischen den Law Dogs und der Sweetrock ist sowieso schon zum Zerreißen angespannt …
„… Und da, sagte mir unser Deputy Flatbush, da schreit es geradezu nach einem Auftritt von uns, Pardners!“, beendet Luca seine Zusammenfassung, als sie alle zusammen in der hintersten Ecke der Lobby im neuen Golden Mare Hotel sitzen. Schön außer Hörweite der vielen anderen Gäste natürlich.
„Das ist äußerst gefährlich!“, bemerkt Mallory, „Und ein derartiges Unternehmen bringt uns nicht im geringsten voran bei unseren eigenen Angelegenheiten — mit den Whateleys, und mit den Männern in Schwarzen Dustern!“
„Aber die Deputies haben mir natürlich einen Sack Pinke-Pinke in Aussicht gestellt, Miss Kentrall!“, sagt Byrd, „Und ich bin seit meiner weihnachtlichen Reiserei völlig blank!“, und er kehrt demonstrativ das Innere seiner Hosentaschen nach außen.
Joycelyn fügt hinzu, „Und ich muss für unsere arme, verlorene May B. sprechen, die wäre die erste gewesen, die zugesagt hätte, wenn's gegen den fetten Geldsack Findley geht!“
John knurrt, „Nicht mehr wichtig, was May B. gesagt hätte — ich bin sowieso dafür! Sweetrock ist nach dem Whateley-Clan die größte Schande auf Mutter Erde im Gomorra Valley! Natürlich helfen wir den dummen, verfackten Law Dogs gegen die!“
„Auch, wenn sie dumm und verfackt sind?“, fragt Byrd schelmisch nach.
„Ja. Jetzt schweig, dummer, weißer Mann!“, murrt John.
Marcus Perriwinkle fügt leise hinzu, „Ich bin ebenfalls dafür, Recht und Gesetz subtil zu unterstützen. In dieser Siedlung muss unbedingt die Mitte gestärkt werden, wenn wir langfristig auf eine Art von friedlichem Equilibrium hoffen wollen. Das sollte Grund genug sein, unsere gemeinsame Zweckallianz vom letzten Oktober zu reaktivieren.“
„Wohl gesprochen!“, nickt Byrd, „Glaube ich jedenfalls, ich hab' nicht alle Wörter verstanden.“
Perriwinkle sieht besorgt blinzelnd John an, und fügt hinzu, „Aber, Mister Bloody Knife: Es dürfen keine Axthiebe ausgeteilt werden! Niemand von der Sweetrock Mining Company darf zu Tode kommen!“
„Niemand wird hinterher von Axthieben zu berichten haben. Die Feinde von Mutter Erde werden uns sowieso nicht herbeikommen und fortgehen sehen“, entgegnet John mit einem kleinen Grinsen.
„Es geht um's Prinzip! Wir wollen eine friedliche Welt erschaffen, mit friedlichen Mitteln!“, rügt der Erfinder.
Der Indianerkrieger nickt zustimmend, aber entgegnet, „Mutter Erde wird wunderbar friedlich sein — wenn der Weiße Mann dieses Land verlassen hat, dummer verfackter Marcus Perriwinkle!“
Joycelyn sagt, „Aber Darlings, ganz ruhig, ja? Sonst werden die Sioux Union und das Collegium nicht involviert in diese Sache! Dann erledigen das nur wir anderen, die wir keinen Machtgruppen zugehörig sind. Dann teilen wir aber auch die hübsche Bezahlung nur unter uns! Und überhaupt, denkt bloss an den armen Buben!“
„Was genau muss dieser Bube eigentlich für die Sweetrock machen? Sind die jetzt schon so tief gesunken, dass sie Kinder für sich schuften lassen?“, fragt Miss Kentrall angewidert.
„Im Grunde ja“, sagt Byrd, „Charlie Flatbush zufolge gibt’s da draußen gerade einen besonders skrupellosen Trupp von Explorateuren im Dienste der Sweetrock. Eigentlich bessere Revolverhelden. Die wurden bisher von der irischen Mistsau Mick Caples eingesetzt, um die Arbeiter in den großen Sweetrock-Minen einzupeitschen. Jetzt aber erforschen sie die Seitenarme von verschiedenen Strikes, um zu sehen, ob die sich noch weiter ausbeuten lassen. Dabei wird dieser eine Bubi zum Helfen gezwungen, den sie im Waisenhaus aufgesammelt haben. Scheint ein Talent fürs Rumklettern zu haben! Der Dreikäsehoch hat durch geschicktes Rumkriechen in engen Felsspalten der Sweetrock ganze zwei neue Minen entdeckt, in den letzten drei Wochen! Charlie Flatbush will, dass wir den heimlich zurück entführen, damit der dem Waisenhaus zurückgegeben wird. Immerhin ist doch bald endlich das Schulhaus fertig gebaut, und dann hat der Bengel doch die Schulbank zu drücken, statt Kinderarbeit zu verrichten!“
„Das arme Lämmchen“, sagt Joycelyn mitleidig, „aber wer sagt, dass die Sweetrock-Arschlöcher den nicht hinterher einfach von Neuem abholen?“
Mallory Kentrall antwortet gestreng, „Oh, die Führung vom Waisenhaus hat gerade gewechselt, seit es in einem richtigen Gebäude untergebracht ist. Ich war mit denen kürzlich im Gespräch, zwecks wohltätiger Veranstaltungen. Derartige Schweinereien wird sich die Sweetrock mit denen künftig nicht mehr erlauben können.“
„Dann ist ja alles geklärt!“, lächelt Joycelyn abenteuerlustig.
„Eine Sache noch nicht!“, widerspricht Miss Kentrall, und richtet ihren Blick auf Luca, „Sie sagten, diesen kuriosen Auftrag hätten wir den Gerüchten um Ihre Lorna Hermans zu verdanken, Mister Byrd!“
„Jau.“
„Dann schießen Sie mal los! Was ist aus der geworden!“
Gute Frage! Was ist das Schicksal der holden Lorna, nachdem sie im Oktober von ihrem wütenden Herrn Vater weggesperrt worden war? Wir haben dazu natürlich die Orakelkarten befragt! Technically Oppose a physical Plot Arc, haben die angegeben. Es ist Lorna demnach gelungen, dem naheliegenden Handlungsverlauf zu trotzen, und zu vermeiden, dass sie unter den Fittichen der Eltern abtransportiert wird.
Die Bauernfamilie Hermans hat also dementsprechend die Stadt im Herbst wieder verlassen, nach dem Skandal um Lorna. Diese war ja in der Mission de la Santa Maria eingesperrt, „zu ihrem eigenen Besten“ natürlich. Immerhin hatte das Familienoberhaupt Dermott Hermans unbedingt zu verhindern, dass der Strolch Luca Byrd ihm seine heiratsfähige Tochter defloriert. Als der strenge Herr Vater aber schließlich im Missionshaus aus Lorna herausbekommen hatte, dass das ganze Aufsehen, das er veranstaltete, sinnlos gewesen war — weil sie ja längst defloriert war! — verlor Dermott Hermans endgültig die Nerven! Lorna solle lebenslang mit dem Kirchendienst verbringen, ordnete er an, sie könne gleich im Missionshaus bleiben! Aus der Familie verstoßen solle sie im Dienst von Father Juan zurückbleiben, gewissermaßen dort, wo der Pfeffer wächst, während der Abreise der Bauernsippe.
Unbekannte Strolche haben der unglücklichen Lorna Hermans im November alldieweil plötzlich dazu verholfen, aus der Mission de la Santa Maria zu flüchten. Dass dies auf Mister Byrd zurückgeht, scheint ebenso klar, wie auch, dass dies der Grund dafür war, dass er den November und Dezember über nicht gesehen wurde …
Vielleicht hat er seiner Lorna oben an der Küste ein Blockhaus gebaut, an einer verborgenen Stelle, wo seine Feinde sie nicht finden können!, so munkeln die Junggesellinnen der Stadt untereinander. Oder noch besser, ein Blockhaus auf einer der einsamen Felseninseln des Great Maze! Dort wartet die schöne Geliebte jetzt schmachtvoll auf seine Wiederkehr …! Sehr romantisch. Ein paar von Byrds Skeptikern vermuten jedoch, dass die gemeinsame Flucht der beiden sehr viel weniger ‚romantisch‘ geendet hat …
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Der von der Sweetrock eingesetzte Junge heißt Timmy Derrick. Ich wüsste auch schon ein passendes Szenario aus der Brimstone-Grundbox, um die Story mit meinem Abenteuer-Generator durchzuspielen, aber wir fangen hier vielleicht mal ganz mellow an, nur mit den Solo Play Engines. Das Jahr 1877 ist schließlich noch ganz frisch, und wir können der Bevölkerung Gomorras etwas Zeit geben, wieder warm zu laufen!
Wir machen da draus also mal eine kleine, kompakte
Queste: Timmy Derrick von der Sweetrock zurückentführen und im Waisenhaus in Sicherheit bringen (Clue Target 0\3).
Zuallererst muss unser Aufgebot dafür herausbekommen, in welchem der zahllosen Claims der Sweetrock Mining Company er derzeit stecken könnte. Das hatte Deputy Charlie Flatbush nämlich nicht gewusst. Glücklicherweise kennt Luca Byrd jemanden im Waisenhaus der Stadt, welches ja diesen Winter fertiggestellt wurde. Von hier wurde Timmy Derrick schließlich ‚abgeworben‘ von den Sweetrock-Dreckskerlen, und hier werden sie ihn zwischenzeitlich wieder einquartieren ... Wahrscheinlich weiß das Mädchen mit den roten Zöpfen etwas über diese Sache, welches Byrd in der Weihnachtszeit mitgebracht hat. Das könnte unser erster Clue sein.
Der Neuzugang im Waisenhaus von Gomorra
Geraldine Montmorency balanciert oben auf dem Holzgatter am Rand des neuen Waisenhaus-Grundstücks. Einer von Geraldines etwas zu großen, klobigen Stiefeln schiebt immer ein stückweit die Schneeschicht beiseite, dann setzt sie den anderen nach. Es ist ziemlich hoch, und die kleineren Kinder sehen gebannt zu ihr auf.
„Das darfst Du aber nicht, Geraldine!“, wagt schließlich eins der blässlichen Gesichter zu sagen, „Mister Findley würd's bestimmt verbieten!“
„Ach, da hört sich jetzt aber alles auf, Little Jack! Mister Findley ist ja gar nicht hier! Und dieser höchst würdevolle Herr würde doch auch nicht seine kostbare Zeit damit vertun, irgendwelchen kleinen Waisenkindern zu verbieten, sich etwas körperlich zu ertüchtigen! Und sei's auf einem Holzgatter! Findley hier, Findley da …!“, und gutgelaunt verkündet sie, „Euch Kinderchen, scheint mir's, hat man es reichlich doll eingehämmert, dass dieser Mister Findley der größte Denker und Macher in dieser Stadt sei!“
Die kleinen Kinder sehen sie schweigend an und wissen nicht so recht etwas dagegen zu setzen.
„… Ich sag's der Frau Amme, dass Du wieder ungezogen bist. Und die sagt's Mister Findley!“, droht Steven schließlich, trotzig.
„Dann bist Du aber das, was wir daheim in Kanada, mit Verlaub, eine verschissene kleine Petze nennen! Das würde ich mir lieber nochmal überlegen, Steven!“, versetzt Geraldine streng, und konzentriert sich gleichzeitig aufs Weiterbalancieren.
Einige der Waisenkinder sehen Steven an. Eine verschissene, kleine Petze sein will natürlich niemand unter ihnen. Aber die Frau Amme droht regelmäßig mit Mister Findley, wann immer jemand sich unartig verhält. … Dementsprechend müsste natürlich sein erboster Schatten schon längst auf die Neue im Waisenhaus gefallen sein, Geraldine Montmorency. Sie scheint gar nicht anders zu können als ungehorsam zu sein, und zwar trotz ihrer immer neuen, guten Vorsätze!
Wir machen einen GM Move, um zu sehen, was beim Eintreffen unseres Aufgebots passiert, und die Karten sagen, Command PCs. Unsere Wild Cards werden also gestreng herumkommandiert, und ich weiß auch gleich, von wem.
Man hört in diesem Moment hinten an der anderen Grundstücks-Grenze lautstarke Stimmen: Irgendwas von wegen, Bewaffnete hätten sich künftig vom Gelände fern zu halten, dies sei ein Waisenhaus, keine der verdammten Trinkhallen dieser Stadt!
„Das ist die Frau Amme!“, entfährt es Steven.
„Und sie ist sauer!“, ergänzt Little Jack furchtsam.
Die am Gatter versammelten Kinder drehen sich erstaunt um, und machen sich sofort bereit, zu flüchten (das ist ihre natürliche Reaktion, wann immer sich Gezeter erhebt). Geraldine wendet sich neugierig ebenfalls nach den Stimmen um.
„Ach, Ihr kleinen Hosenschisser, das ist doch die Stimme von Luca!“, sagt Geraldine, ganz und gar Herrin der Lage — aber sie hätte sich mal nicht so schwungvoll umdrehen sollen, hoch oben auf ihrem Gatter. Sie rudert mit den Armen, als sie das Gleichgewicht verliert, und stürzt ab, mitten durch die niedrig aufgehängten Wäscheleinen mit den frisch gewaschenen Kleidern, und landet mitsamt der Wäsche unsanft im kalten Matsch!
In dem Moment biegen Mister Byrd und seine Freunde um die Ecke des Waisenhauses, diese ganzen komischen Erwachsenen. Die Frau Amme marschiert immer noch erbost neben ihnen her, scheinbar hat sie sich von Luca überzeugen lassen, dass sie nichts Übles im Schilde führen. Der Blick der Amme wird umso grimmiger, als sie sieht, was diese Geraldine zwischenzeitlich schon wieder angerichtet hat! Diese macht große Augen, und sammelt sich schnell aus dem Matsch auf, pflanzt sich ihren Strohhut wieder auf den Kopf, und beginnt eilig, Kleidungsstücke aus dem Matsch aufzulesen!
„Ach Du mein Schreck, Geraldine!“, schilt die Frau Amme (ein Satz, der ihr in letzter Zeit oft entfährt).
„Ich bring' alles wieder in Ordnung! Es war nur ein kleines Missgeschick, und ich habe mir ja auch überhaupt nichts dabei getan! Höchstens ein paar ganz wenige blaue Flecken! Das haben wir im Handumdrehen wieder, ich wasche flugs alles wieder aus!“, und im selben Atemzug sagt sie zu den Neuankömmlingen, „Wie schön, dass Du mal zu Besuch kommst, Luca! Wärst Du nur mal fünf Minuten früher eingetroffen, das hätte das kleine Malheur erspart!“
„Kleines Malheur?!“, ruft die Amme, „Den halben Tag haben wir gestern gewaschen! Alles dahin! Wenn das unser guter Mister Howard Findley wüsste! Wie in aller Welt hast Du das überhaupt gemacht, Geraldine Montmorency!“
Luca eilt dem hektisch Kleider auflesenden Mädchen zur Hilfe, und sagt dabei zu der Amme, „Na na, wer wird denn gleich! Ist doch alles nur ein wenig schlammig!“
„Das Ihnen das egal ist, das glaube ich gerne, so wie Sie herumlaufen!“, poltert die Amme.
Joycelyn kann sich ein kleines Lachen nicht verkneifen, während der Revolverheld und das dünne Waisenmädchen hastig Wäsche aus dem Schlamm auflesen.
Miss Kentrall versucht, die wütende Amme abzulenken: „Sie muss natürlich die Schweinerei wieder beseitigen. Aber sie hat ja bereits versprochen, alles neu zu waschen.“
Die Amme grummelt, „Pah, da braucht dieser Wildfang aber auch wieder Beaufsichtigung! Man kann sie keine zehn Minuten aus den Augen lassen! Ein Missgeschick jagt doch das nächste!“
Byrd registriert mit einem Seitenblick, dass die Schneeschicht oben auf dem Gatter fehlt, als ob jemand sie mit Stiefelsohlen weggeschoben hätte.
„Hast Du immerhin Deinen Rekord verbessert?“, raunt er Geraldine zu, und zwinkert.
„Um 10 Zentimeter!“, flüstert die zurück.
Beide kichern.
☆
Kurz darauf steht Geraldine Montmorency mit Byrd, Joycelyn und Marcus in der kleinen, eiskalten Waschküche im Keller des Waisenhauses. Das erstaunliche an Geraldine ist, dass sie trotz dem Umstand, dass sie ständig in Schwierigkeiten hinein stolpert, äußerst geschickt und tüchtig ist mit allen möglichen Hausarbeiten, wie auch jetzt beim Herauswaschen der Matschflecken. Sie hat dabei schon wieder alles im Griff, Luca muss ihr im Grunde nur zur Hand gehen.
Dabei redet sie unaufhörlich: „… Was für eine Peinlichkeit“, sagt sie gerade, „Und das ausgerechnet heute, wo Du vorbeikommst, um mir Deine erlauchten Mitstreiter vorzustellen!“
„Wie beliebt? 'Erlaucht'?“, wundert sich Marcus amüsiert.
Geraldines Blick heftet sich wieder an dessen spektakulären Maschinen-Arm, „Aber gewiss doch, Mister Perriwinkle! Was glauben denn Sie, was Mister Byrd alles über Sie alle zu berichten wusste! Und jetzt, wo Sie Ihre vortrefflich feierliche Aufwartung machen, finden Sie mich so vor, besudelt mit kalter Matschepampe wie ein kleines Ferkel! Das, mir …! Ich hatte mir das doch alles schon so gründlich ausgemalt, aber doch nicht so …! Au weiha. Ich weiß schon genau, ich werde mir wünschen, im Boden versinken zu können, sobald Sie davon gegangen sind!“
Geraldine rückt ihren Strohhut zurecht, dessen Krempe immer noch schlammig ist.
„Wir können die offizielle Bekanntmachung mit allem drum und dran ja nochmal nachholen“, begütigt Mister Byrd, „beim zweiten Anlauf gelingt oft alles viel besser! Hat auch der olle Jefferson Davis gesagt, als er die Yankees in Washington angegriffen hat! Und der hat’s immerhin zum Präsidenten gebracht!“
„Och, dieser olle Ziegenbock! … Hm, Sie sind ja auch gar nicht vollzählig!“, bemerkt Geraldine schrubbend, „Der noble, wilde Mister Bloody Knife fehlt ja! Und wo ist ihre graziöse Miss Kentrall hin?“
Joycelyn sagt, „Die hat sich abgesetzt, um weiter auf Deine Anstaltsleiterin einzuwirken! Bestimmt hecken die gemeinsam gerade irgendwas Wohltätiges aus!“
„Sie ist so anmutig!“, sagt Geraldine verträumt, „Wie ein Engel auf Erden!“
„Da musst Du heute erstmal mit Joycelyns Anmut Vorlieb nehmen!“, grinst Luca.
„Miss Lancaster ist ja noch reizender, Luca! Mit was für hochkarätigen Persönlichkeiten Du umgeben bist …!“
Joycelyn mustert Geraldine mit einem ganz warmen Blick, wie Byrd bemerkt, das Herz der Sängerin hat das Waisenkind offensichtlich in dem Moment bereits erobert!
„Wir brauchen heute jedenfalls mal Deine Hilfe, Geraldine!“, schmunzelt Byrd.
„Geht’s etwa um ein Abenteuer?“, fragt diese aufgeregt.
„Joah, schon. Aber Du musst dicht halten darüber! Könnte einem gewissen Howard Findley gar nicht gefallen, was hier vorgeht …!“
„Oh, Luca! Natürlich helfe ich Dir, und dem Aufgebot — auch wenn der tyrannische Mister Findley mich auf glühenden Kohlen rösten und vierteilen sollte! Über meine Lippen käme höchstens noch ein, ‚Freiheit für die kleinen Leute in Kalifornien' als letzter irdischer Gruß! Lässt Du mich mitkommen, ja?“
„Mitkommen? Aber das ist leider ausgeschlossen, junge Dame!“, sagt Mister Perriwinkle, „Was wolltest Du auf einer derart gefahrvollen Exkursion?“
„Ich liebe Exkursionen, Mister Perriwinkle! Ich habe ja auch Mister Byrd nach Kräften unterstützt auf seinem Rückweg von Kanada hierher!“
Byrd sagt, „Erstmal brauchen wir einen Tipp von Dir bezüglich Timmy Derrick, Geraldine!“
„Ach, daher weht der Wind! Der arme, dusselige Timmy!“
„Der gerade in den Fängen der Sweetrock ist …!“, sagt Joycelyn besorgt.
„Och, der plustert sich deswegen doch auf wie ein kleiner Gockelhahn!“, winkt Geraldine ab, „Wenn Sie wüssten, was für Reden der schwingt, wenn er zufällig mal wieder zwischendurch hier ist!“
Byrd fragt, „Nanu, hat der Bubi etwa Spaß dran, durch klaustro-klobige Felsspalten zu klettern?“
„Klaustrophobisch heißt's richtig, Luca!“, ermahnt das Mädchen, „Ja ja, Timmy Derrick nimmt das doch mit Freuden in Kauf, der Prügelknabe von dieser Sweetrock-Truppe zu sein. Wenn die ihn bloss nur weiterhin mitnehmen dahin, wo was los ist! Hier in diesem Waisenhaus ist es doch zum Mäuse melken! Verstehst Du nun meine ernstliche und aller-enthusiastischste Bereitschaft, mit auf Exkursion zu gehen?“
„Wir dachten eigentlich, der arme Junge steht Todesängste aus mit diesen Explorateuren“, sagt Joycelyn.
„Och, der kassiert schon dann und wann mal eine Backpfeife von denen! Aber Timmy Derrick hat’s doch selber faustdick hinter den Ohren! Sein Weg ist gepflastert mit den leblosen Leibern von dahingerafften Hühnern, Kröten, und Krähen, die der mit seiner Zwille auf dem Gewissen hat! Shouting Tom hätte er um ein Haar damit ein Auge rausgefetzt kurz vor Sylvester!“
„Wie arg!“, meint Marcus, „Sieht so aus, als bräuchte Timmy Derrick schleunigst eine kleine Maßnahme zur Resozialisierung — mit anderen Worten das Gegenteil von dem, was die Häscher der Sweetrock ihm gerade angedeihen lassen!“
„Absolut! Die einzigen, die ihn zur Ordnung rufen können sind die Frau Amme — und ich natürlich“, bestätigt Geraldine gönnerhaft.
„Wir wollen schon sein Lausejungen-Ärschchen wieder hierher zurück schleifen“, sagt Luca, „Aber dafür müssten wir vorerst mal wissen, wo sich diese Kerls von der Sweetrock gerade mit ihm herumtreiben!“
„Nichts leichter als das“, erwidert Geraldine, und schnippst sich einen ihrer roten Zöpfe von der Schulter, „Aber ich bin gezwungen, mich hierüber auszuschweigen.“
„Wie das? Hat die Scheiß-Sweetrock etwa auch Drohungen Dir gegenüber ausgesprochen?“, fragt Joycelyn alarmiert.
„Das nicht, Ma'am. Und ich weiß schon, wo man Timmy Derrick derzeit schuften lässt. Hat der ja neulich mit angegeben, als er hier war! Aber ich kann Ihnen die Lokalität nicht benennen. Alldieweil ich beklagenswerter Weise den Namen nicht kenne! … Ich kann Sie nur hinführen!“
Luca und das Waisenkind wechseln einen Blick. Sie sieht forsch aus.
„… Das ist ein Trick von Dir, damit wir Dich mitnehmen!“, sagt Byrd lächelnd.
„Aber Luca! Ich, eine dreckige, kleine Trickserin?“
„Na ja …“
„Und überhaupt, denke nur mal daran, wie schön ich Dir geholfen habe auf dem Weg von Kanada hierher! Den Colt in der einen Hand, die Pferdezügel in der anderen!“
Joycelyn sieht Luca an, „Wirklich?!“
„Aber es waren ja überhaupt keine Patronen drin!“, wiegelt Byrd ab, „Das alte Ding war doch nur da, um damit drohen zu können!“
„Wie dem auch sei“, sagt Geraldine hochnäsig, „Ihr braucht mich, um besagte Mine zu finden!“
„Einen Tipp brauchen wir von Dir, junges Fräulein“, sagt Marcus Perriwinkle beschwichtigend, „Denk' einmal an die Sicherheit Deines Spielkameraden. Dies ist eine ernsthafte Angelegenheit!“
„Ja, Sie haben ja Recht, Mister Perriwinkle. Aber Luca und Sie sind ja da, um mich ritterlich zu beschützen! Da sind Sie und Ihr Ruf als Lichtgestalten des Gomorra Valley ja nun einmal über jeden Zweifel erhaben!“
„Nein, nein“, lässt der Erfinder sich nicht erweichen, „da würden wir uns ja mit den Kerlen von Sweetrock auf eine Stufe stellen, wenn wir ein Kind mit uns nehmen würden bei solch einer gefährlichen Sache! … Aber ich bin gern bereit, einen anderen Handel einzugehen, um der Tristesse dieser Einrichtung Abhilfe zu schaffen. Wohlan, in der Bibliothek des Forschungszentrums muss einmal jemand Gelehriges die vielen Bücher neu sortieren! Nächste Woche kannst Du anfangen, auszuhelfen, wenn Du möchtest!“
Geraldine macht große Augen bei Nennung des Forschungszentrums. Sie wechselt einen Blick mit Luca, dann willigt sie etwas zögerlich ein. Der bekannte Water's Edge Strike ist der Ort, wo die Explorateure Timmy gerade nach weiteren Seitenarmen suchen lassen.
Ist das unser erster Clue für die Queste? Ja, sagt die entsprechende Tabelle in FlexTale! Dies ist der erste von dreien.
Im Rausgehen sagt Mister Byrd leise zu Mister Perriwinkle: „Glauben Sie wirklich, sich damit einen Gefallen getan zu haben, Marcus? So fleißig Geraldinchen auch ist, so temperamentvoll ist sie auch! Könnte sein, dass das den ollen Büchern nicht so gut tut!“
Marcus rückt sein Monokel zurecht, und entgegnet ebenso leise, „Mein Kollege Oswald Hardinger hat gerade einen automatischen Diener gebaut, der die Neusortierung der Buchbestände derzeit übernimmt, und zwar vollautomatisch! …“
„Sapperlot, und da wollen Sie obendrein eine Helferin aus Fleisch und Blut?“
„Unbedingt! Ich sage es mal so …: Mehr Schriftstücke in Brand stecken als dieser experimentelle Prototyp kann Ihre kleine Geraldine auch nicht, Mister Byrd!“
„Na dann! Ein Hoch auf den modernen Fortschritt!“, freut sich dieser.
Schalter:
In der Stadt treffen wir schnell weitere Vorbereitungen, rüber zum Water's Edge Strike ist es aber nur ein Katzensprung. Das ist keine der bekannten, aufwändigen Exkursionen, sondern fast nur ein Spaziergang. Wir sammeln dennoch John Bloody Knife am Indianerlager auf, damit das Aufgebot vollzählig ist, man weiß nie, was noch passiert.
„Weißt Du, Luca …“, sagt Joycelyn unterwegs nachdenklich, „Das ist schon eine komische Geschichte mit Deiner Reise nach Kanada.“
„Ja, war echt saukomisch! Was haben wir gelacht unterwegs! Wärest Du mal mitgekommen, dann wäre Dir der ganze Spaß nicht entgangen!“
„Ich meine doch, dass die Geschichte merkwürdig ist! Das hat schon was von einem Familiendrama. Als wärest Du … mit Deiner Geliebten verschwunden … um mit Deinem Töchterchen zurückzukommen!“, sagt sie kopfschüttelnd.
Byrd sieht die Sängerin verdutzt an, „Nanu? Ich höre immer Töchterchen! Aber sie hat ja gar nicht meine Haarfarbe! Außerdem ist das Kind ja schon 11! Ich habe gehört, ganz so fix geht das alles nicht!“
„Ich meine das ja auch nicht buchstäblich! Nur bildlich. Ihr beiden seit wie Vater und Tochter! Oder zumindest habt Ihr … etwas äußerst Komplizenhaftes an Euch.“
„Komplizen sind eben immer gut!“
„Und die Kleine kommt aus dem kanadischen Kaff, wohin Du Lorna Hermans in Sicherheit gebracht hast?“
Luca nickt, „Joah, Lorna hat da noch ein paar Verwandte. Siedler auf Prince Edward Island! Das war die einzige Adresse, die der Armen geblieben war, nachdem die Sippe von Dermott Hermans sie sitzen lassen hat!“
„Bestimmt hat die schöne Lorna sich die Augen nach Dir ausgeheult, als Du wieder davon geritten bist.“
„Ehrlich gesagt, eigentlich nicht.“
„Oh nein?“
„Nein. Ich hatte meiner Lorna ja unterwegs klar machen müssen, dass ich nicht mit ihr in Avonlea bleiben könne, bei ihren kanadischen Verwandten. Zumindest würde es etwas dauern bis ich zurückkehren würde dorthin. — Na, ich musste ja viel zu dringlich zurück hierher, nach Gomorra! Hier geht ja der Trubel gerade erst so richtig los!“
„Und Du hattest erst letztes Jahr Los Diablos auf dem Hals, und einen Südstaatler-Kameraden, der aus dem Grab auferstanden war!“
„Genau! Was, wenn im beschaulichen Kanada was ähnliches passiert wäre? Na ja. Als mein Lorna-Täubchen das begriffen hat, hat sie sich umgehend neu verliebt, und zwar offensichtlich bis über beide Ohren! In einen gutaussehenden und wohlhabenden Farmer unterwegs, noch bevor wir Avonlea überhaupt ganz erreicht hatten! Ganz ein strammer Bursche!“
„Die kleine Schlange, was?“, grinst Joycelyn.
„War zugegebenermaßen ordentlich bedröppelt!“, gesteht der Gunslinger, „Wird aber das Beste so gewesen sein! Sie muss ja auch gucken, wo sie bleibt!“
„Und dann hast Du Lorna Hermans gegen Geraldine das Waisenkind eingetauscht. Dein neues Ersatz-Töchterlein.“
„Das hat sich so ergeben! Irgendwo musste das arme Kind ja hin, und egal, wie sehr ich auch beteuert habe, dass das Great Maze und Gomorra nix für Waisenkinder sind, wollte sie nicht locker lassen!“
„Na, herzlichen Glückwunsch! Wann adoptierst Du sie offiziell?“
„Hm, ich bin eigentlich ein ziemlich unstetes Gemüt …“
„Was Du nicht sagst!“
„Doch, doch! Ein Präriegras im Wind! Wie auch meine süße Lorna gemerkt hat ...“
Kurz sieht er wehmütig aus.
„Wenn Du sesshaft werden willst: Es gibt immer noch jede Menge Grundstücke zu verkaufen innerhalb von Gomorras Stadtgrenzen!“, grinst Joycelyn.
„Jawohl!“, nickt Luca, „Vielleicht schlage ich irgendwann zu! Erstmal etwas mehr Geld scheffeln! Und das machen wir ja gerade, was?“
Statt die schicken Reisetabellen aus meinem Abenteuer-Generator zu verwenden, ziehe ich einfach die klassische Encounter-Karte wie im Deadlands-Grundbuch beschrieben. Die Tabelle sagt, das Aufgebot läuft unterwegs drei Faminites über den Weg!
Die fünf suchen ihren Weg zwischen hohen Felsbrocken hindurch, kurz vor der Küste. Die geschäftigen Geräusche vom Water's Edge Strike dringen ihnen bereits entgegen. John hebt argwöhnisch den Kopf, und Mallory Kentrall fährt zusammen, gepackt von einer hellsichtigen Ahnung: Zwischen den Felsbrocken regt sich etwas, geduckte Gestalten, schnaufend und röchelnd, wie vor Anstrengung. Sie versuchen sich anzuschleichen!
„Waffen ziehen! Das sind keine Schürfer …!“, bringt Miss Kentrall noch hervor.
Von den Felsen springen verwahrloste Gestalten herab, auf ersten Blick könnte man sie für Walkin' Dead halten, aber sie leben. Ihre Leiber sind nur aufs Groteskeste ausgezehrt von Hunger! Offensichtlich wollen sie versuchen, due Wild Cards roh zu fressen!
Alle Wild Cards schaffen einen Furcht-Wurf, nur John wirft eine Doppeleins. Ihn erwischt dieser Anblick unerwartet, und er wirbelt herum und flieht in purem Affekt!
Die drei Faminites haben einen Joker. Wer von ihnen gebissen wird, wird mit ihrem bestialischen Hunger angesteckt! Erstmal stürzen sich alle drei auf den Monster Magnet, Mister Byrd. Kratzende Krallenhände und ein gieriger Biss von hinten in die Schulter kosten ihn fast alle seiner vielen Bennies, am Ende ist er immerhin Shaken. Er muss aufgrund der Treffer dreimal Vigor würfeln, um nicht infiziert zu werden, und besteht mit seinem W10 alle drei Checks. John ist dran, er sammelt sich wieder, fährt herum, und schleudert einen seiner knöchernen Wurfspieße nach der Gruppe aus dürren Gestalten, die Byrd umzingelt hat. Der Spieß durchschlägt mit Wucht die eine Klauenhand des Ungeheuers, und pinnt diese an den eigenen dürren Torso. Die Kreatur bricht blutüberströmt im Staub zusammen.
Marcus versucht mit der Roboterhand eine der ausgezehrten Gestalten in die Felswand einzuarbeiten, aber verfehlt, kerbt nur den Felsen ein. Luca Byrd erholt sich von Shaken, zieht die Judge-Pistole, und zerlöchert in Sekundenschnelle dem einen Angreifer den Brustkorb, dem anderen den Schädel. Dann ist auch schon Ruhe!
„Ich wusste ja, dass die Schürfer bei Sweetrock schlecht ernährt werden“, sagt Byrd, „aber das ist ein neuer Meilenstein!“
„Faminites“, kommentiert Miss Kentrall, die nervös immer noch mit ihren Spielkarten hantiert, während sie die drei erlegten Kreaturen begutachtet, „Vom Übernatürlichen besessene Hungernde! Mister Perriwinkle, Byrd ist gebissen worden! Sie müssen sofort seine Verwundungen reinigen!“ (Sie hat einen dicken Erfolg bei Occult erzielt.)
„Schon dabei … Könnte ein bisschen brennen …!“, murmelt der Chirurg, und bringt den medizinischen Alkohol aus seiner Arzttasche zum Einsatz.
„Würde mich schon interessieren, woher Sie all diese Sachen wissen, Miss Kentrall!“, sagt Joycelyn, als sie näher kommt. Sie sieht mitleidig aus, als wolle sie Byrd am liebsten die Wange tätscheln.
Mallory hält sie mit ausgestrecktem Arm streng davon ab, näher ran zu gehen: „Sie warten bitte einmal ab, bis Byrd desinfiziert ist! Wenn er sich verwandeln sollte, ist es eine Sache von Sekunden, bis der Hunger auch auf ihn übergeht. Dann stehen Sie besser nicht neben ihm, Miss Lancaster!“
Joycelyn wird blass um die Nase.
„Ja, ja! Ich merk's schon fast, ich könnt' glatt einen Gaul verspeisen!“, sagt Luca, sein Gesicht hat auch eine ungewöhnliche Färbung, etwas grünlich.
„Machen Sie sich bereit, ihn in Schach zu halten, Mister Perriwinkle!“, zischt Mallory, „Wie gut, dass unser Mediziner gleichzeitig eine halbe Dampfmaschine ist …!“
„Er zeigt keine Anzeichen einer Infektion“, sagt Marcus, „Würde mich auch interessieren, Miss Kentrall, woher sie die Expertise über derlei bizarre Dinge haben!“
„Das weiß man doch“, schnaubt die Kentrall, „das Great Maze ist voll von diesen Faminites! Da muss man sich nur mal die Erzählungen der Seefahrer an den Docks anhören!“
John ist wieder herangekommen, und zieht seinen Wurfspeer aus seinem Ziel, während er diesem gleichzeitig mit dem mächtigen Hacken die Fratze zertritt, „Wie fühlst Du Dich, Luca Byrd?“
„Na ja, hungrig!“, sagt dieser, „… Aber ich hätte lieber ein paar Schweinsrippchen als einen Bissen von einem von Euch! Nicht, dass die Damen nicht zum Anbeißen aussähen“, und er lüpft den Hut clownshaft vor Joycelyn. Mallory schüttelt vorwurfsvoll den Kopf.
„Ich werde mir eine Entgiftungskur für Sie ausdenken, mein Lieber! Sicher ist sicher …“, bemerkt Marcus, während er seine Utensilien verstaut.
Das ist glimpflich ausgegangen! Aber haben die Sweetrock-Mistkäfer hinten beim Mineneingang die Pistolenschüsse gehört? ‚Ja, und außerdem‘, sagen zwei Höchstzahlen bei den Orakelwürfeln mit großer Deutlichkeit!
„Hände über die Köpfe, Ihr beschissenen Claim Jumper!“, erschallt in dem Moment die hämische Stimme eines Wachpostens von einem der Felsblocks! Er bringt eine Schrotflinte in Anschlag. Eine Handvoll anderer Kerle erscheint hinter ihm.
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