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Fiktion versus HEMA: Mittelalterliche Kämpfe in Film und TV analysiert

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Raven Nash:

--- Zitat von: Zed am 17.08.2023 | 18:05 ---Hm, das sieht mir dramaturgisch sehr überhöht aus und gar nicht wie die Umsetzung eines wahrhaftigen Duells. Oder woran machst Du das fest?
--- Ende Zitat ---
Weil ich die Techniken allesamt kenne und zuordnen kann.  ;)
Die Choreo hat keinen Kontext, das sind einfach zwei Typen, die sich killen wollen. Daher ist die Dramaturgie nur schwach. Müsste man an eine eventuelle Story anpassen.

Aber im Gegensatz zu dem, was uns Hollywood zeigt, machen die Abfolgen Sinn, die Dynamik passt und die Ausführung sitzt. Im Grunde ein realer Kampf - mit einem Unterschied: beide sind gleich gut. Und sie ignorieren einige Treffer, wenn man genau hinsieht.

Wie YY es schon erwähnt hat: Choroegraphie richtet sich nach dem Medium. Bühnenfechten ist anders als das für den Film. Letzteres richtet sich wiederum nach dem Schnitt. Das kann man schön sehen, wenn man ältere mit neueren Filmen vergleicht. Früher wurden Sequenzen in einem Schnitt gemacht, dann eine weitere, usw. Heute werden Sequenzen zerschnitten, aus verschiedenen Winkeln gefilmt und zusammengesetzt (ich nenne das "zerschnitten", aber that's just me).

Letzteres ist für die Stuntcrew einfacher, weil man in kleinen Abfolgen arbeiten kann. Lange Szenen brauchen lange Vorbereitungszeiten, denn jede Aktion muss perfekt sitzen.

In Hong Kong hat man früher anders gearbeitet. Da wurde ein Anfangs- und ein Endpunkt festgelegt, ein Sieger und ein ungefährer Verlauf wegen der Kameras, Ende. Dazwischen konnten die Akteure tun, was ihnen grade opportun erschien. War verletzungsträchtig, wie man sich vorstellen kann.

Isegrim:
Die beiden Typen in Rob Roy können schauspielern, aber nicht kämpfen. Die beiden Reenactors können kämpfen, aber nicht schauspielern.

Ich vermute ja, mit Kämpfen ist es im Grunde wie mit Dialogen: Gute Filmdialoge sind unrealistisch, aber realen Dialogen zuzuhören, mit all den "Ähs" und unvollständigen Sätzen usw, macht einfach nicht so viel Spaß.

Zed:
@YY

--- Zitat ---Das sind ja keine gegenläufigen Zielsetzungen.
--- Ende Zitat ---
Das finde ich auch. Aber die üblichen Zielsetzungen von Kampfdarstellungen in Filmen haben sich schon diversifiziert, richtig? Oldboy (2003) mit seiner One-Shot-Kampfszene beispielsweise war wohl etwas neues, das anscheinend einige Filmschaffende inspiriert hat. "Bourne" - danke für das Beispiel - versucht, Gewalt noch einmal anders und neu darzustellen als in ähnlichen Filmen des Agentengenres.


--- Zitat ---Am Anfang steht immer die zu erzählende Geschichte und wenn deren Grundstimmung, Themen und Inhalte zu einer realistischen Darstellung passen, ergänzt und verbessert diese sogar die Erzählung.
--- Ende Zitat ---
Ja, das weiß ich doch.  8)


--- Zitat ---Und realistisch/authentisch ist immer noch ein sehr weites Spektrum; da gibt es nicht die eine denkbare Darstellungsmethode und alles andere wäre falsch.
Auch das hängt wieder davon ab, was man wie erzählen will.
Man muss immer etwas rausgreifen, was zur Geschichte passt.
--- Ende Zitat ---
Ja, verstehe.

Ich fand zB "neu" und für mich als Nicht-Buch-Leser überraschend, dass Urkämpfer-Figur Khal Drogo aus Game of Throne mal eben so an Sepsis stirbt. Das konstituierte die dargestellte Welt für mich neu: Hier gelten nicht die unausgesprochenen Filmregeln, die bis vielleicht um das Jahr 2000 in Filmen/Serien galt: Vertraue auf die epische Gerechtigkeit. Wer's verdient, stirbt.

Wenn diese Regel nicht angewandt wird, dann trägt es sehr dazu bei, das Publikum sich mehr um Figuren sorgt, denn niemand ist sicher. Auf mich haben Filme den tiefsten Eindruck hinterlassen, die Krieg zum Thema haben, und ihn nicht als gerechten Kampf glorifizieren (wie Braveheart zB), wie zB "Saving Privat Ryan" oder auch "Die Brücke". In den zwei genannten Filmen kann es jede Figur treffen, auch wenn sie "gutes Karma" gesammelt hat.

Aber ich möchte eigentlich mehr über Details und Einordnungen von Kampfdarstellungen sprechen/hören als davon, wann Gewaltdarstellung wie im Grundsatz (gut) gemacht ist und wann nicht.  :)


--- Zitat ---Vielleicht wird der umgekehrte Fall klarer: Wo Darstellungen gezwungen, unsauber und wenig authentisch sind, stellt sich auch beim diesbezüglich "ungebildeten" Betrachter schnell ein unbestimmtes Störgefühl ein.
--- Ende Zitat ---
Stimmt. Bei Old Boy zB stört mich, dass die niedergestreckten Figuren zu warten scheinen, bis sie (laut Choreographie) wieder mitkämpfen dürfen.


--- Zitat ---Aber der Gesamtkontext stimmt dann nicht: es werden quasi Techniken aneinander abgespult, wo der Regelfall eher umgekehrt der ist, dass beide einiges versuchen und die erste sauber umgesetzte Technik den Kampf weitgehend entscheidet.
--- Ende Zitat ---
Oder so. Genau!


--- Zitat ---Der andere Ansatz wäre eine Darstellung, die mehr auf die Vorkampfphase abstellt und den eigentlichen Kampf kurz und brutal hält. Da braucht es dann aber oft wieder ein bisschen Übertreibung in Sachen Trefferwirkung bis hin zur Splattergrenze, damit das richtig zieht.
--- Ende Zitat ---
Fallen Dir zu diesem Ansatz Beispiele ein?
 
Welche Gedanken hast Du zum Finalduell in "Rob Roy"?

@Raven Nash

--- Zitat ---Weil ich die Techniken allesamt kenne und zuordnen kann.  ;)
 
--- Ende Zitat ---
Okay, das glaube ich Dir. Ich wusste, dass mir da eine Wissenslücke in die Suppe spuckt.

@Isegrim

--- Zitat ---Die beiden Typen in Rob Roy können schauspielern, aber nicht kämpfen. Die beiden Reenactors können kämpfen, aber nicht schauspielern.
--- Ende Zitat ---
  ;D Da musste ich das Mineralwasser von der Tastatur wischen.  :d Beim zweiten Satz bilde ich mir ein, das auch beurteilen zu können, und ich stimme Dir voll zu!

Ich muss also in Betracht ziehen, dass eine vielleicht gut gekämpfte Szene für mich nicht überzeugend wirkt, weil sie schlecht gespielt ist. Ich dachte bislang nur, dass viele Kämpfe im Sinne von "wahrhaftig" nicht überzeugend sind, weil sie eher "zu rund" inszeniert und gespielt sind.

Keine Ahnung, ob Liam Neeson und Tim Roth wirklich alle Moves selbst durchgeführt haben, aber ich fand, der Kampf fühlte sich insgesamt überzeugend (plus toll inszeniert und gespielt) an. Kann aber sein, dass die fantastische schauspielerische Darstellung der Beiden mich da einfach blind macht. Welche Stelle findest Du im Duell "schlecht gekämpft"?

Raven Nash:
Tim Roth hat Null Körperspannung - der steht rum wie an der Bushaltestelle. Liam Neeson führt den Baskethilt wie einen Baseballschläger und steht, als hätte man ihm ein Stützkorsett verpasst. Da fehlt einfach die Grundlage. Die konnte ihnen selbst der beste Choreograf nicht vermitteln.

KWÜTEG GRÄÜWÖLF:
Nebenbei: Also ich bin immer noch großer Fan der knallhart-realistischen Darstellung von physischer Gewalt in Kung Fury  :headbang: :headbang: :headbang:

 ~;D

Es war mir beim Eintauchen in die wunderbare Welt der Bundeswehr 1987 ein markerschütterndes Trauma, als die Ausbilder uns mal zart darauf hingewiesen hatten, dass wir nicht unbedingt das Wissen aus diversen Actionfilmen bezüglich Feuerwaffen praktisch umsetzen dürften....

Da ist mir dann auch bei etlichen Details radikal klargeworden, wie anders Realität sich gegenüber erzählerischen Strukturen verhält, wie unklar es z.B. im Wald ist, von wo aus eigentlich das feindliche Feuer kommt, und wie weniger laut und eindeutig die Feuergeräusche sein können. Bzw. wie LAUT die andererseits sein konnten (schießender Leo 2  in 30 Meter Entfernung neben meiner Schlafgelegenheit/Schlammkuhle).

Das könnte man alles auch schwerlich filmisch so umsetzen, wie ich es erlebt habe, oder zumindest würde es angesichts unserer festzementierten Erwartungshaltungen sehr befremdlich auf einen wirken.

Kurz gesagt: realistische Kämpfe und gute erzählerische Darstellung sind nicht so einfach in Deckung zu bringen. Mir persönlich am besten gefallen haben da die Kämpfe im alten Ridley-Scott-Film "Die Duellisten" - da hatte ich nach meinem Wissensstand das Gefühl, das stimmt so.

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