Autor Thema: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis  (Gelesen 4090 mal)

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Offline Lord Verminaard

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Hallo Tanelorn. Es ist eine ganze Weile her, dass ich meine grundlegenden Gedanken zum Thema Rollenspiel hier zur Diskussion gestellt habe. Die nun folgende Wall of Text ist mein finaler Rundumschlag zur Einordnung vieler vorangegangener Debatten, an die sich einige der Älteren unter euch vielleicht noch erinnern werden. ;)

(Edit: Der Beitrag war noch etwas unausgegoren, worauf ich eigentlich hinauswollte, habe ich hier dann noch mal zusammengefasst.)

1) Erzählspiel heute, und kleine gallische Dörfer

Ich muss vorsichtig sein, wenn ich “heute” schreibe. Für mich bedeutet “heute” pbtA und Critical Role, die natürlich längst nicht mehr der neue heiße Scheiß sind. Falls ich also ein paar Sachen verschlafen habe hier auf meiner Insel, seht es mir bitte nach. Das “heute”, das mir bekannt ist, umfasst eine relativ große und diffuse Gruppe von Rollenspielern, die im weitesten Sinne für sich in Anspruch nehmen, Rollenspiel „wegen der Story“ zu spielen. Und da sind die beiden eingangs erwähnten Phänomene besonders aufschlussreich.

Wir haben einerseits pbtA und verwandte Spiele, mit und ohne Spielleiter, die auf Improvisation mit gezielten Inputs durch das System setzen. Genre spielt eine große Rolle, es geht um Spielfluss und Tempo, um Erzählmuster und deren Verkettung, während Simulation und Taktik so gut wie keine Rolle spielen.

Andererseits haben wir D&D5, mit Matt Mercer als Idealtyp des erzählerischen DM. Hier spielen Simulation und Taktik sehr wohl eine Rolle. Die Welt und ihre inneren Zusammenhänge einerseits, und der “Spiel”-Aspekt andererseits, verlangen ebenso ihr Recht wie die Story. Dennoch ist die (Protagonisten-)Rolle der SCs wesentlich, mit Backstory und Persönlichkeitsentwicklung, Beziehungen zu NSCs, Themen, Konflikten usw. Und die Inszenierung des DM muss die Abenteuer in eine übergeordnete Erzählung einbinden. Die Kampagne wird in Episoden, Arcs und Seasons gedacht, letztlich dramaturgisch durchdekliniert.

Für mich persönlich ist die entscheidende Erkenntnis: Ich bin weder das eine, noch das andere. Ich kann mit D&D5 mehr anfangen als mit pbtA, aber das, was ich persönlich meine, wenn ich Erzählspiel sage; das, was mich wirklich für Rollenspiel brennen lässt, ist noch mal eine ganz andere Baustelle.

Als das Tanelorn noch GroFaFo hieß und noch niemand was von Forge oder OSR gehört hatte, traf ich hier auf eine kleine Gruppe von Leuten, die beim Rollenspiel genauso tickten wie ich, und das war für mich ein echter Glücksfall. Heute, 20 Jahre :o später, sind wir noch immer eine kleine Gruppe von Leuten. Klar fühlen sich viele von uns auch in pbtA und/oder D&D5 wohl. Doch der für uns prägende Stil, tja, der hat sich nicht auf breiter Linie durchgesetzt.

2) Doktor Plot und das große Drama

Was wir selbst “Drama-Runden” nennen, ohne freilich Exklusivität auf diese Bezeichnung beanspruchen zu können, erscheint vielen prätentiös. Es erscheint übertrieben anspruchsvoll, bis hin zu dem Punkt, wo die Frage erlaubt ist, ob wir diesen Ansprüchen überhaupt gerecht werden können, oder ob wir uns das nur einbilden.

Wenn wir Bücher über Plot-Strukturen studieren, wenn wir 20, 30, in Extremfällen über 100 Seiten vollschreiben für eine einzige Spielsitzung und Bilder für jeden noch so unwichtigen NSC heraussuchen; wenn wir über Character Arcs und Subplots, über Set-up und Pay-off, über Konflikte und deren Auflösung schwadronieren, dann kommt es vielen so vor, als würden wir Rollenspiel mit dem schlechten Roman oder Drehbuch verwechseln, das wir eigentlich schreiben wollen.

Wenn wir als Gruppe stundenlang im Voicechat diskutieren und planen, in Vorbereitung auf eine Spielrunde; wenn wir als SL vor dem Abenteuer Szenen aufschreiben, die im Spiel stattfinden sollen, vielleicht sogar mit einem dezidiert dafür vorgesehenen Track in der Playlist, dann erweckt das bei vielen den Eindruck, als würden wir alles, was passiert, schon vorher festlegen, und am Spieltisch nur noch das Skript nachspielen.

Viele Worte habe ich verwendet, um diese Irrtümer aufzuklären, doch in den Ohren der Zweifler klang es stets nur nach lahmen Rechtfertigungen. Offenbar ist jemandem, der dafür nicht die Neigung mitbringt, kaum zu vermitteln, was da wirklich passiert. Wie es sich anfühlt, wenn vier, fünf, sechs Leute am Tisch, alle mit dieser Intensität und diesem Anspruch, alle mit einer gemeinsamen Wellenlänge und einem gemeinsamen Verständnis dafür, was für eine Art von Geschichte hier erzählt wird, aus dem Vollen ihrer Vorbereitung schöpfen. Wenn das Skript zum Leben erwacht, arbeitet, sich sortiert und vervollständigt, vielleicht unerwartete Wege geht oder vielleicht auch die erwarteten, aber man muss dort eben erst einmal hinkommen, man muss es erstmal wahr werden lassen am Spieltisch.

Zu erleben, wie man an einem bestimmten Punkt nicht weiterweiß, feststeckt wie George R. R. Martin, und dann kommt ein Mitspieler mit dem öffnenden Pass, und alle Puzzleteile fügen sich plötzlich zusammen. Das sind Momente, oh Mann, da möchte ich den Mitspieler umarmen (und habe es gelegentlich schon getan). Das ist eine Form von Flow und auch von Intimität, die für mich einfach mindblowing war und ist.

Die Intimität und Emotionalität, die wir da beschreiben, kommt vielen seltsam, vielleicht sogar ein bisschen krank vor. Wenn Leute so über mich und meine Freunde sprachen, hat mich das früher unfassbar wütend gemacht, sicher einer der Gründe für meinen weitgehenden Foren-Rückzug. Natürlich war es naiv von mir, derart intime Erlebnisse öffentlich zu teilen und nicht damit zu rechnen, dass einige das ablehnen würden, oder es ausnutzen, um zu trollen. Ein paarmal habe ich dabei auch Mitspieler ungefragt exponiert, wofür ich mich bis heute schäme. Ich habe die Folgen damals einfach nicht überblickt. Falls du das liest und es dich betrifft: es tut mir ehrlich leid.

Also, Drama-Runden: Aufwendig vorbereitet, mit viel Spieler-Input im Vorfeld und Orientierung an Plot-Modellen. Geplant und orchestriert, denn auch im Rollenspiel gilt: Pläne sind nutzlos, aber Planung ist alles. Und erst am Spieltisch kommt alles zusammen und nimmt seine endgültige Form an. Da geht es in die Szenen, die Beschreibungen, die wörtliche Rede, beat for beat, da ist jeder gefragt. Der Anspruch ist, unsere Story in dieser volatilen One-Take-Erzählform, die wir Rollenspiel nennen, so tight, überzeugend, mitreißend und unterhaltsam zu erspielen, wie wir nur irgend können.

3) Ersatzbefriedigung und Ersatz-Ersatzbefriedigung

Ich persönlich habe durch das GroFaFo/Tanelorn überhaupt erst die Möglichkeit gehabt, solche Drama-Runden in Vollbesetzung mit Leuten zu spielen, die genauso verrückt sind wie ich. Was für eine Offenbarung, im reifen Alter von 27. Jedoch! Ich habe solche Runden schon seit jeher vor Augen gehabt. Manchmal blättere ich in alten Regelwerken, die ich als Teenager gelesen habe, und finde Passagen, die ich damals (ja, im Buch) unterstrichen habe. :o ;D Es sind ausnahmslos Passagen, die über genau diese Art von Intensität sprechen, die ich am Spieltisch erleben wollte und in seltenen Fällen auch bereits erlebt hatte.

Für eine relativ lange Zeit war meine Ersatzbefriedigung, mich als SL ganz alleine um Drama am Spieltisch zu kümmern, bis hin zu dem Punkt, wo ich die Vorgeschichten der SCs geschrieben habe, in der 2. Person. Natürlich kam auch die ganze Klaviatur des Illusionismus zum Einsatz (außer bei Kämpfen, die habe ich immer offen gewürfelt, haha, meiner Zeit voraus 8) ). Ich habe mir nie große Mühe gegeben zu leugnen, dass bestimmte Dinge passierten, weil sie eben gescriptet waren. Trotzdem war es anstrengend und führte irgendwann zum SL-Burnout. Bis dahin aber kam es bei den Spielern nach eigenem Bekunden sehr gut an. Letztendlich war ich ihr Matt Mercer für Arme und sie waren happy damit. Über Jahre hatte ich meine Freude daran, mich in diesen Runden erzählerisch auszutoben und alles rauszuhauen, was ich hatte. Doch als ich dann erlebte, wie es ist, wenn alle Mitspieler so Gas geben, konnte ich nicht mehr zurück.

Der Alleinunterhalter-SL ist ja bekanntlich ein Evergreen-Thema. In meinem Falle war es so, dass das, was ich anzubieten hatte, zum Glück auch nachgefragt wurde. Doch es haben sich im Forum viele zu Wort gemeldet, die das ganz anders erlebt haben. Sei es durch Spielleiter, die so wie ich Drama wollten, notfalls auch im Alleingang, dabei aber im Gegensatz zu mir auf Widerstand stießen, und dann meinten, ihr Drama erzwingen zu können. Oder sei es durch Spielleiter, die über Sozialisierung und Nachahmung diesen Leitstil unhinterfragt angenommen hatten, obwohl sie eigentlich nicht einmal die notwendige Begeisterung für Storys mitbrachten. Wenn du Drama-Spiel durch diesen doppelten Zerrspiegel der Ersatz-Ersatzbefriedigung betrachtest und denkst, davon rede ich, dann ist es kein Wunder, dass du mir nicht traust.

4) Das große Missverständnis

Die Passagen, die Teenage-Vermi in den 90ern in seinen Regelwerken unterstrich, mögen von Autoren gestammt haben, die meine Neigung teilten. Spielrunden wie meine, in denen verhinderte Drama-Spieler den Zampano-SL für eine Gruppe von (mehr oder weniger) Casual Gamers gaben, hat es in den 80ern/90ern wohl einige gegeben. Solche Runden mögen ein gewisses Bild davon geprägt haben, was ein “guter Spielleiter” sei. Jaja, es riecht hier nach Eichenlaub, schon klar. Aber dieses Bild hat sich ja als ziemlich problematisch herausgestellt.

Der Sündenfall war, dass Spielleiter und Autoren irgendwann anfingen, den Spieler als Feind des Dramas zu begreifen (siehe “Auf ein Wort” usw.) Es machte sich die absurde Vorstellung breit, ein Spielleiter müsste die Story quasi vor den Spielern beschützen. Aber wenn deine Spieler nur noch als Staffage dienen bei einer Inszenierung, die dann offenbar keinem anderen Zweck mehr dient als deiner eigenen Erbauung, dann solltest du dir schon mal Gedanken machen, was das dann über dich aussagt.

Das will ich gar nicht vertiefen, ist ja hinlänglich ausgewertet und auch der Powergamer ist längst rehabilitiert. Sondern worauf ich hinaus möchte, ist ein Missverständnis, das glaube ich aus vielen SL-Leitfäden jener Zeit spricht. Und dieses Missverständnis lautet:  Rollenspiel wegen der Story zu spielen heißt, Drama-Runden zu spielen.

Was mich zu meinem Full Circle führt. Nachdem der Mythos des “guten Spielleiters” gleich aus zwei verschiedenen Richtungen dekonstruiert worden ist, nachdem Forge und OSR, pbtA und Critical Role alte Hüte sind, hat sich die Landschaft sortiert. Und dabei hat sich gezeigt, dass die meisten Leute, die von Story beim Rollenspiel reden, nicht meinen: “Lasst uns mit absurd hohem Invest die verdammt beste Story erzählen, die wir überhaupt in einem komprimierten One-Take gemeinsam rollenspielerisch erzählen können.” Sondern die meisten meinen: “Lasst uns einfach modernes D&D spielen, wo die Abenteuer sich wie ein Film oder Roman anfühlen, aber gefälligst ohne Schummeln bei den Kämpfen.” Und von denen, die danach noch übrig sind, meinen die meisten: “Lasst uns frei drauflos erzählen und schauen, wo uns das hinführt. Lasst uns improvisieren und nicht alles so eng sehen.”

(GNS-Exkurs: Wenn daher der Forge-Narrativist Player Agency faktisch damit gleichsetzt, während des Spiels der Handlung spontan eine ganz neue Wendung geben zu können, dann zeigt sich, dass es bei Story Now eigentlich bloß um eine technische Vorliebe für Improvisation ging. Exkurs Ende.)

5) Fazit

Dieser Post ist persönlicher geworden, als ich anfangs erwartet habe. Wenn du bis hier durchgehalten hast, danke ich dir für deine Zeit. Worauf aber will ich nun eigentlich hinaus?

Es gab einmal eine Zeit, da dachte ich, die Leute müssten doch unvoreingenommen neugierig sein, was zum Henker wir da eigentlich mit unseren Drama-Runden spielen und warum wir das so unfassbar feiern. Inzwischen verstehe ich besser, warum viele mit großer Skepsis reagierten und uns verdächtigten, mit dunklen Mächten im Bunde zustehen. Einige verfolgten natürlich schlicht eine Agenda, aber andere hatten legitime, persönliche Gründe.

Es gab einmal eine Zeit, da dachte ich, die Forger könnten in ihrem Labor ein Rezept zusammengekocht haben, wie man den Pay-off, den ich suchte, ohne den absurden Invest bekommen könnte. Inzwischen verstehe ich, dass es den Forgern um diesen Pay-off nie ging, sondern um Impro-Spiel mit seinem ganz eigenen Pay-off, der für mich nur in den seltensten Fällen funktioniert hat.

All dem lag jenes Missverständnis zugrunde, das ich hier in meiner ausschweifenden Art versucht habe auszuräumen. Vielleicht konnte ich für den ein oder anderen ja ein paar neue Zusammenhänge sichtbar machen. Oder vielleicht ist es auch nur so, dass ich immer noch dieses irrationale Bedürfnis verspüre, mich, meine Freunde und unser Spiel, das wir so lieben, gegen Angriffe von Fremden im Internet zu verteidigen. Hatte ich mir nicht eigentlich vorgenommen, allenfalls noch mit Polemik gegenzuhalten? Way to go, Vermi! Wenn ich also nun hier stehe und nicht anders kann, dann sei dies meine endgültige und ultimative Verteidigungsschrift.

Fühlt sich wie ein Abschied an. Huh.
« Letzte Änderung: 19.11.2023 | 16:18 von Lord Verminaard »
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Offline Runenstahl

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #1 am: 16.11.2023 | 06:35 »
Ich muss gestehen ich habe keine Ahnung wie oder was man auf solch einen Text antworten sollte. Ich bin mir auch nicht sicher worauf du hinaus willst (trotz des Absatzes der mit "Worauf will ich hinaus" beginnt). Ich weiss auch nicht ob da überhaupt etwas zur Diskussion im Raum steht. Ich muss gestehen das ich auch nach dem Durchlesen nicht sicher bin wie sicher euer Spielstil z.B. von dem Critical-Role Stil unterscheidet. Vielleicht kannst du ja mal ein Beispiel geben ?

Alles was ich sagen kann: Wenn eure Gruppe einen Spielstil gefunden hat den ihr gemeinsam abfeiert, dann ist das super. Mehr kann man doch gar nicht verlangen im Rollenspiel !
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Offline Mr. Ohnesorge

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #2 am: 16.11.2023 | 07:00 »
Fühl' ich.  :d

Und finde mich bei beiden Gruppen wieder, die du hier beschrieben hast:

Zitat
Und dabei hat sich gezeigt, dass die meisten Leute, die von Story beim Rollenspiel reden, nicht meinen: “Lasst uns mit absurd hohem Invest die verdammt beste Story erzählen, die wir überhaupt in einem komprimierten One-Take gemeinsam rollenspielerisch erzählen können.” Sondern die meisten meinen: “Lasst uns einfach modernes D&D spielen, wo die Abenteuer sich wie ein Film oder Roman anfühlen, aber gefälligst ohne Schummeln bei den Kämpfen.” Und von denen, die danach noch übrig sind, meinen die meisten: “Lasst uns frei drauflos erzählen und schauen, wo uns das hinführt. Lasst uns improvisieren und nicht alles so eng sehen.”
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Offline Weltengeist

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #3 am: 16.11.2023 | 07:10 »
Ich muss gestehen ich habe keine Ahnung wie oder was man auf solch einen Text antworten sollte. Ich bin mir auch nicht sicher worauf du hinaus willst (trotz des Absatzes der mit "Worauf will ich hinaus" beginnt). Ich weiss auch nicht ob da überhaupt etwas zur Diskussion im Raum steht. Ich muss gestehen das ich auch nach dem Durchlesen nicht sicher bin wie sicher euer Spielstil z.B. von dem Critical-Role Stil unterscheidet. Vielleicht kannst du ja mal ein Beispiel geben ?

Alles was ich sagen kann: Wenn eure Gruppe einen Spielstil gefunden hat den ihr gemeinsam abfeiert, dann ist das super. Mehr kann man doch gar nicht verlangen im Rollenspiel !

Ich kann beide Absätze vollumfänglich so unterschreiben. Ich hab auch nicht wirklich verstanden, wie ihr jetzt genau spielt und wie du das abgrenzt von anderne Spielstilen (war aber bei den alten Diskussionen auch nicht dabei). Aber ich freue mich für jeden, wirklich jeden, der einen Spielstil gefunden hat, der für ihn und seine Gruppe das Ding ist. Und werde nie begreifen, wie man darüber ("Ich mag X!" "Nein, das ist aber falsch von dir!") überhaupt Religionskriege führen kann.
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Offline Grey

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #4 am: 16.11.2023 | 08:03 »
@Verminaard: Zumindest verstehe ich jetzt ein gewisses Gespräch besser, bei dem wir uns auf der Rückfahrt von Hessenstein mal beinahe in die Haare gekriegt haben. Damals war ich derjenige, der sich von dir angegriffen fühlte. Es erschien mir so, als wolltest du mir meinen Spielstil madig machen; als würdest du voraussetzen, mein Spielstil sei das Ergebnis von Engstirnigkeit, gefolgt von der Aufforderung, ich solle doch endlich auch mal über den Tellerrand hinausblicken. Was mir damals reichlich arrogant vorkam, da du über meine Vorgeschichte und meine breite Palette an Spiel-Experimenten nichts wusstest.

Ich nehme an, wir alle machen diese Phase durch, in der wir von unserem eigenen, mit staunenden Augen entdeckten Spielstil so begeistert sind, dass wir alle anderen missionieren wollen und dann so rüberkommen, als würden wir deren Spielstile als "falsch" abstempeln. Ich erinnere mich an mindestens eine Gelegenheit, bei der ich selbst in dieser Hinsicht der "Böse" war. Ungefähr so habe ich damals dann auch unser Gespräch im Auto abgehakt. Trotzdem führte dieses unangenehme Erlebnis dazu, dass ich hier im Forum eher auf Abstand von dir ging. (Was ich schade fand, denn wir haben ein paar Rollenspielvorlieben gemeinsam, die man nur selten antrifft.)

In diesem Sinne: Danke für deine obige, klärende Wall of Text. Und wenn du sagst, der Post fühle sich nach Abschied an, dann hoffe ich, dass du dich irrst. ;)
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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #5 am: 16.11.2023 | 08:52 »
Ganz möglicherweise ist das hier das Geheimnis  8]  :

Als das Tanelorn noch GroFaFo hieß und noch niemand was von Forge oder OSR gehört hatte, traf ich hier auf eine kleine Gruppe von Leuten, die beim Rollenspiel genauso tickten wie ich, und das war für mich ein echter Glücksfall. Heute, 20 Jahre :o später, sind wir noch immer eine kleine Gruppe von Leuten. Klar fühlen sich viele von uns auch in pbtA und/oder D&D5 wohl. Doch der für uns prägende Stil, tja, der hat sich nicht auf breiter Linie durchgesetzt.

Das sage ich als jemand, der seit vielen Jahren das große Glück (mindestens) einer Gruppe von Spielenden hat, die alle auf einer Wellenlänge liegen - die aber wiederum in eine andere Richtung geht, als das beschrieben Drama-Spiel. Ich habe in den Ausklängen der Forge-Phase auf den ersten Treffen viele starke und intensive Runden u.a. auch mit forge-igen Systemen gehabt, bin aber rückblickend der Ansicht, dass:

a) die Treffen-Runden hauptsächlich wegen der hohen Motivation und Engagements der Treffen-Teilnehmenden eine ungewöhnlich hohe Qualität haben - nicht wegen, sondern teilweise sogar TROTZ der verwendeten Systeme!
b) Erwartungshaltung und Ausnahmesituation (Flucht aus dem Alltag) ihr Übriges tun

Am Ende ist es doch die Voraussetzung für eine gute Runde mit viel Spielspaß für alle, dass alle am Tisch eine hinreichend gute bewusste(!) Übereinstimmung bezüglich dessen haben, was ihnen im Rollenspiel Freude macht - und was nicht. Wer sich seiner Vorlieben sehr gut bewusst ist, der hat mit hoher Sicherheit einen eigenen, nicht minder interessanten und abwechslungsreichen Werdegang wie du und sich auf irgendeine Art über die reine Spielzeit hinaus mit dem Hobby beschäftigt. Mit solchen "bewusst" Spielenden treten dann irgendwann auch "objektive" Qualitäten der verwendeten Systeme in den Hintergrund, weil eine solche Gruppe sich Regeln und Spielstil eh sehr schnell so hinbastelt, dass es für alle passt.

Unzufriedenheit und/oder Probleme entstehen dann, wenn man selbst nicht genau weiß, was man will und man statt viel Ausprobieren und Reflektieren die Lösung außen sucht: das "beste" System, der "richtige" Spielstil, die "coole" Gruppe, etc.
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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #6 am: 16.11.2023 | 09:27 »
Danke für den Beitrag, Vermi. Ich glaube du hattest sowas schon früher mal geschrieben, jedenfalls erschien mir das nicht überraschend. Gut, man kann ja hier live mitverfolgen, wie ihr Runden für das Treffen vorbereitet.

Ich glaube aber du stolperst über das selbe alte Problem der Perspektive. Du hast jetzt geschrieben wie deine Runde spielt. Und das scheint ziemlich exotisch zu sein. Und dann gibt es da verschiedene andere Gruppen. Die dann in sich ähnlich spielen. - Wahrscheinlich tatsächlich genauso wenig.

Ich fand da Erfahrungen im Online-Spielen sehr lehrreich. Ich spiele praktisch wöchentlich Masks. Und da gucken natürlich ab und zu mal Spieler rein. Eine Spielerin meinte, dass sie bitte kein Flirten unter SCs möchte. Die konnte nicht mit uns spielen. Ein Spieler hat lange mit uns gespielt und auch Spaß gehabt. Er fand es nur eine Sache nicht so gut, dass ich als SL in seine Superkräfte/Hintergrundgeschichte gefuscht habe, was der Rest der Runde jedesmal feiert. Ein Spieler mit dem ich etwas Probleme hatte, bis ich verstanden habe wie er tickt, der hatte einen total involvierten Investigativ-Charakter, aber nie irgendwas investigiert, was ich ihm als Ball zugeworfen habe. Er hatte einfach Hemmungen das Spiel so an sich zu reißen. Das konnten wir dann gut klären. Ein Spieler wollte dazukommen, hat versucht seinen SC in bestehende Strukturen einzubauen, eine Sitzung mitgespielt und sich dann abgemeldet. Ich weiß bis heute nicht, was für ihn nicht passte. Und dabei sollte man ja denken, das sei so ein total durchdefiniertes Nischenspiel.

Und ja, wir machen auch Bilder für unsere NCSs. Wie haben jetzt SL getauscht, der macht nun sogar für stehende Locations. Ich kann dir auch sagen, was das gute Dutzend NSCs für den letzten Arc für Superkräfte hat, was sie meinen für Superkräfte zu haben und was passieren würde, hätte man sie zusammen benutzt. PbtA so wie wir das spielen ist nicht so sehr beschwingt improvisierend. Wir haben Planung aber keine Pläne.

Und vermutlich trotzdem ganz anders als ihr das macht.

Offline Lord Verminaard

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #7 am: 16.11.2023 | 11:51 »
Vielen Dank für die Antworten!

Ich muss gestehen das ich auch nach dem Durchlesen nicht sicher bin wie sicher euer Spielstil z.B. von dem Critical-Role Stil unterscheidet. Vielleicht kannst du ja mal ein Beispiel geben ?

Vielleicht so: (Fast) keine Kämpfe, keine Dungeons, kein D&D, keine lange Kampagne. Themen, Charaktere und Tempo eher wie bei den pbtA-Spielen. Aber eben ohne die wilden Swings und das fast-and-lose von Impro-Spiel, statt dessen mit dem voll ausgearbeiteten Hintergrund, der Planung, dem Orchestrieren, und dem Fokus auf In-Character-Spiel eher wie bei Critical Role (minus das Voice Acting).

@Grey: Ich erinnere mich an das Gespräch, wenn auch nicht an den Inhalt. Das muss auch noch während meiner (späten) Forge-Phase gewesen sein, glaube ich. Nichts für ungut!

@Orko: Ich widerspreche dir nicht und bin auch nicht sicher, ob du mir widersprichst?

@1of3: Willst du etwa sagen, ich habe ein paar sinnvolle grobe Kategorien aufgemacht, und dann eine überflüssige eigene Kategorie für einen sehr spezifischen Stil erfunden, der zufällig mein Lieblingsstil ist? Wer würde denn so etwas tun? ~;D
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Offline Grey

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #8 am: 16.11.2023 | 12:18 »
@Grey: Ich erinnere mich an das Gespräch, wenn auch nicht an den Inhalt. Das muss auch noch während meiner (späten) Forge-Phase gewesen sein, glaube ich. Nichts für ungut!
:d Schön, dass wir das abhaken konnten!
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Offline KhornedBeef

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #9 am: 16.11.2023 | 12:29 »
Spannend, ich habe das jetzt zum ersten Mal richtig verstanden. Gut, hat mich auch vorher nicht interessiert und ich habe mich auch in keine Streiterein gemischt, also weiße Weste und so ;)
Ich sehe durchaus den Unterschied, gerade zu pbtA, auch wenn das im Einzelnen am Tisch oft zum einen oder anderen hinvariieren dürfte. Statt "play to find out" "plan to play", quasi. Oder auch nicht. Dank das längeren Texts kann man gut erschließen, was sich eben nicht so griffig erklären lässt.
Apropos Illusionismus: Wir könnten nie sicher wissen, ob CR nicht genauso spielen, d.h. was sie vor der Runde gemacht haben. Das wäre quasi eine Publikums-Illusionismus :) wie bei "Reality"-Shows. Ich glaube es nicht, aber da erschwert für Außenstehende, die Eure Runden rezipieren, die Unterscheidung.
Übrigens scheint bei dir durch, dass es sicher viele Autoren gibt, die den Spielstil erlebt und geschätzt haben, aber Rollenspiele so schreiben, wie sie sie halt kennen, selbst wenn beides aneinander vorbeigeht. Muddying the waters, nächste Stufe. Zumindest das verbindet den Drama-Spieler mit dem pbtA-Story-Autor: Man weiß, wofür man es macht, und warum man Methoden vorschreibt.
Am ehesten erinnert mich das bei den Spielen, die ich selbst gelesen habe, an Ben Robbins Microscope. Da passiert auch viel aus Auteur-Perspektive statt immersivem direktem Spiel, es fehlt die Identifikation, sicher. Aber das gemeinsame, vorangehende "Was wollen wir hier tun?", das scheint mir verwandt zu sein. Auch beispielhaft die Szenen, die als einzige ein Rollenspiel darstellen: Da spielt man auch, um etwas herauszufinden, aber es ist eine konkrete Frage, die in die größere Struktur erst eingebettet wird.
Falls du das Spiel kennst, siehst du das auch so, oder anders? Ich will mich nur gedanklich nähern, und ohen mitzuspielen geht das nur begrenzt, sonst.
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Offline Arldwulf

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #10 am: 16.11.2023 | 12:56 »
Mal eine Frage zu folgender Passage:

Zitat
Es gab einmal eine Zeit, da dachte ich, die Forger könnten in ihrem Labor ein Rezept zusammengekocht haben, wie man den Pay-off, den ich suchte, ohne den absurden Invest bekommen könnte. Inzwischen verstehe ich, dass es den Forgern um diesen Pay-off nie ging, sondern um Impro-Spiel mit seinem ganz eigenen Pay-off, der für mich nur in den seltensten Fällen funktioniert hat.

Glaubst du, dies könnte an einer Überlegung wie "Der Invest ist Teil des Payoffs" liegen?

Ich hab eine Runde die seit einigen Jahren läuft, gar nicht mal so viele. Aber inzwischen füllt sie sechs Bücher voller "was ist geschehen" und eigentlich gibt es oft Wochen in denen ich so an vier bis fünf Tagen in der Woche über die Runde gequatscht habe. Einzelne NPC und ihre Beziehung zueinander, aber auch "was könnte mit dem Charakter dort passieren, wie hängt XYZ zusammen" und so weiter.

Und gefühlt ist der damit betriebene Aufwand, die Tiefe in der man sich in die Geschichte versenkt und die Mühe die sich gemacht wird alles stimmig zusammen passen zu lassen Teil dessen was ich so an der Runde schätze.

Offline felixs

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #11 am: 16.11.2023 | 13:16 »
Mal eine Frage zu folgender Passage:

Glaubst du, dies könnte an einer Überlegung wie "Der Invest ist Teil des Payoffs" liegen?

Ich hab eine Runde die seit einigen Jahren läuft, gar nicht mal so viele. Aber inzwischen füllt sie sechs Bücher voller "was ist geschehen" und eigentlich gibt es oft Wochen in denen ich so an vier bis fünf Tagen in der Woche über die Runde gequatscht habe. Einzelne NPC und ihre Beziehung zueinander, aber auch "was könnte mit dem Charakter dort passieren, wie hängt XYZ zusammen" und so weiter.

Und gefühlt ist der damit betriebene Aufwand, die Tiefe in der man sich in die Geschichte versenkt und die Mühe die sich gemacht wird alles stimmig zusammen passen zu lassen Teil dessen was ich so an der Runde schätze.

Sowas in der Art habe ich auch gedacht; zu deutsch: "Der Weg ist das Ziel".
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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #12 am: 16.11.2023 | 13:19 »
@Orko: Ich widerspreche dir nicht und bin auch nicht sicher, ob du mir widersprichst?

Kein Widerspruch, sondern vielmehr eine halbgare Reflexion meinerseits - Hab grad nicht genug Zeit, das sauber niederzuschreiben aber im Wesentlichen kamen mir beim Lesen folgende Eingebungen:
  • meine persönliche Hobby-Werdegang hat sich strukturell ganz ähnlich, wenn auch inhaltlich deutlich anders entwickelt
  • vermutlich durchlaufen alle, die ihr Hobby lange und "tief" genug betreiben vergleichbare Phasen
  • am Ende ist es doch nicht so wichtig, wie man ein Hobby genau betreibt - sondern mit wem (gilt sicherlich auch für andere... Aktivitäten  ;D)
  • unser soziales Hobby ist effektiv eine andauernde Verhandlung mit Anderen, die idealerweise in eine Gruppe von Leuten mündet, die ausreichend ähnlich aber noch verschieden genug tickt, um gemeinsam immer neue Impulse reinzuholen
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Offline felixs

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #13 am: 16.11.2023 | 13:31 »
  • am Ende ist es doch nicht so wichtig, wie man ein Hobby genau betreibt - sondern mit wem (gilt sicherlich auch für andere... Aktivitäten  ;D)

Vielleicht auch beides, also wie und mit wem.

  • unser soziales Hobby ist effektiv eine andauernde Verhandlung mit Anderen, die idealerweise in eine Gruppe von Leuten mündet, die ausreichend ähnlich aber noch verschieden genug tickt, um gemeinsam immer neue Impulse reinzuholen

Ich glaube, dass (soziale) Diversität maßlos überschätzt wird und dass Homogenität für viele Leute erheblich bessere Ergebnisse bringt.
Würde meinen, dass es für gemeinsame Aktivitäten gut ist, wenn alle mit ähnlicher Begeisterung, ähnlichen Vorlieben, ähnlichem Zeitempfinden, ähnlichem Horizont zusammenfinden. Geringe Abweichungen mögen bereichernd wirken, das schlägt aber sehr schnell darein um, zu Störungen zu führen. Ich habe schon oft erlebt, dass Leute zu anders waren als ich, als dass ich mit ihnen gern Zeit verbracht und gemeinsam Dinge unternommen hätte. Umgekehrt habe ich noch nie erlebt, dass ich jemanden zu ähnlich fand; im Gegenteil, das war immer gut. Möglicherweise ist das auch nichts anderes, als das, was Du auch gemeint hast.
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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #14 am: 16.11.2023 | 13:42 »
Vielleicht auch beides, also wie und mit wem.
Sicherlich! Nur die Forge und RPG-Theorie hat auf mich(!) immer so gewirkt, als würde man beweisen wollen, dass das wie deutlich wichtiger sei. Mittlerweile würde ich persönlich dem widersprechen, weil sich das nicht mit meinen Erfahrungen deckt - das heißt aber natürlich nicht, dass es sich für Andere anders anfühlen kann!

Ich glaube, dass (soziale) Diversität maßlos überschätzt wird und dass Homogenität für viele Leute erheblich bessere Ergebnisse bringt.
Für kurzfristige Erfolge würde ich dir rechtgeben. Einer langfristigen Spielrunde/Kampagne es aber vielleicht gut, wenn es ein paar persönliche Unterschiede (Vorlieben, Wissen, Erfahrungen, ...) gibt, an denen man sich hin und wieder möglichst konstruktiv reiben kann - ansonsten droht der Trott  ;)
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Offline Megavolt

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #15 am: 16.11.2023 | 16:54 »
Hallo Tanelorn.

Hallo Vermi!

Beiträge von einer Tiefe und Gravitas wie deiner sind es, die das Tanelorn und damit auch unser Hobby vor langer Zeit einmal unerhört sexy gemacht und die Vermutung zugelassen haben, dass es sich um ein würdiges Hobby handelt. Nicenstein! :d Gerne mehr davon, bitte keine Zurückhaltung.

Inhaltlich habe ich kaum etwas verstanden. ~;D Ich paraphrasiere mal das, was ich als Kern-Content vermute: Du ersehnst eine spezifische Intensität des Hobbys, die sich aus der Einsatzbereitschaft der einzelnen Mitspieler und einigen anderen Umständen speist.

Mein produktivster Gedanke dazu lautet: Hast du es schon mal mit dem LARPen probiert? Das erfordert von allen Beiteiligten einen irre hohen Einsatz und ist unglaublich intensiv. Gleichzeitig ist es so groß und so weit wie die Welt selbst, das heißt, da findet jeder seine Nische und jeder Topf seinen Deckel.

Viele liebe Grüße!

dein Tanelorn
« Letzte Änderung: 16.11.2023 | 16:56 von Megavolt »

Offline felixs

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #16 am: 16.11.2023 | 17:01 »
Finde Verminaards Beitrag auch sehr reichhaltig und dicht. Muss auch zugeben, dass ich nicht sicher bin, ob ich verstehe, was die Kernaussagen sind. Aber das muss nichts heißen; nicht jeder gute Text hat eine Kernaussage und nicht jeder Gedanke lässt sich auf "sagen Sie mir das in zwei Sätzen!" zuspitzen.

Sicherlich! Nur die Forge und RPG-Theorie hat auf mich(!) immer so gewirkt, als würde man beweisen wollen, dass das wie deutlich wichtiger sei. Mittlerweile würde ich persönlich dem widersprechen, weil sich das nicht mit meinen Erfahrungen deckt - das heißt aber natürlich nicht, dass es sich für Andere anders anfühlen kann!

Ist für mich auch so, würde Dir da voll zustimmen.
« Letzte Änderung: 16.11.2023 | 17:04 von felixs »
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Online 1of3

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #17 am: 16.11.2023 | 17:23 »
@1of3: Willst du etwa sagen, ich habe ein paar sinnvolle grobe Kategorien aufgemacht, und dann eine überflüssige eigene Kategorie für einen sehr spezifischen Stil erfunden, der zufällig mein Lieblingsstil ist? Wer würde denn so etwas tun? ~;D

Jein. Ich denke nicht, dass es überhaupt Spielstile, also wiederkehrende Handlunglungsmuster, gibt über eine konkrete Teilnehmerschaft an einer Runde heraus. Meine Runde hat einen Spielstil, deine Runde hat einen Spielstil, jede Runde hat nen Spielstil buahahaha. Und wenn Leute dazu kommen oder weggehen kann oder sich sonst was ändert, ändert sich oft auch der Stil.

Was im weiteren Kreis diskutiert wird sind Spielschulen. Also mehr oder weniger geschlossene Gedankengebäude wie Spiel zu sein hat; inklusive weisen Führen, heiligen Schriften und gebetsartig wiederholten Mantras wie Roleplay Not Rollplay, System Does Matter, Rulings Not Rules.

Und dann gibts noch persönliche Spielvorlieben. Elemente, die dich dazu bringen dich für eine Runde oder ein Produkt zu interessieren, oder eben gerade nicht.

Also persönliche Vorlieben, gruppenspezifische Stile und subkulturelle Schulen. Rollenspielprodukte ziehen sich da quer durch. Sie können deine persönlichen Vorlieben kitzeln gleichzeitig gewisse Stile am Tisch befördern und gleichzeitig gewisse schulische Inhalte propagieren.

Offline Runenstahl

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #18 am: 16.11.2023 | 17:32 »
Vielleicht so: (Fast) keine Kämpfe, keine Dungeons, kein D&D, keine lange Kampagne. Themen, Charaktere und Tempo eher wie bei den pbtA-Spielen. Aber eben ohne die wilden Swings und das fast-and-lose von Impro-Spiel, statt dessen mit dem voll ausgearbeiteten Hintergrund, der Planung, dem Orchestrieren, und dem Fokus auf In-Character-Spiel eher wie bei Critical Role (minus das Voice Acting).

Danke für die Erklärung.

Ich denke mal das Rollenspiel (wie so vieles im Leben) nicht aus 1-3 Kategorien besteht sondern eine weiche Skala mit vielen Abstufungen ist.

Meine Spielweise als SL (Im Spoiler weil es eher Off-Topic ist):
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Offline Settembrini

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #19 am: 16.11.2023 | 17:54 »
Wenn man Verminaard's Spielstil kurz verschlagworten würde/müßte, würde ich nach 15 Minuten Nachdenken sagen:

High-Trust High-Prep Trad Gaming.

LV, Du hattest ja selber mal einen Pfad für den Suchenden in Form des Drama-Fu (Drachen-Stil) aufgestellt, vlt. illustriert das noch, was Du meinst:

https://dangerzone.rsp-blogs.de/drama-fu-drachen-stil/
caveat lusor, sie befinden sich in einer Gelben Zone - Der PESA RHD warnt!

Abenteuerpunkt. das fanzine des autorenkollektivs.
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Offline Alexandro

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #20 am: 16.11.2023 | 18:58 »
Ich bin gespalten. Teilweise finde ich mich in dem Text wieder (beim Flow und Trust des gemeinsamen Erzählens), allerdings ist es bei mir weniger etwas was aus langer Vorbereitung und geteilten Erwartungen erwächst, sondern eher etwas was sich innerhalb des Spiels herausbildet. Sprich: die Kampagne wird relativ "traditionell" gestartet, mit wenig Setzungen und viel Impro, das Spiel hat erstmal eine relativ "unpersönliche" Ebene (reine Auftragserfüllung, ohne persönliches Involvement). Dann fangen die Spielenden an sich "einzugrooven" und bringen immer mehr die persönliche Ebene ihrer Figuren rein, die Gestaltung wird dichter und schließlich kommt man ungefähr beim selben Ergebnis raus (mit dem Unterschied, dass die Kampagne vielleicht etwas länger ist), nur halt auf einem anderen Weg. Eine Feng Shui-Kampagne in der ich jahrelang mitspielen durfte folgte diesem Prinzip, meine aktuelle 7th Sea Runde organisiert sich auch ähnlich.

Andererseits gibt es dann noch das Spiel "mit Leitplanken" (z.B. PbtA), wo durch das gewählte Szenario (bzw. Playbooks) schon etwas vordefiniert wird. Das funktioniert natürlich nur, wenn die Einschränkungen so inspirierend sind, dass alle am Tisch sofort "geil" sagen und sich involvieren (habe auch schon "schlechte" PbtAs mit nichtssagenden Playbooks gespielt). Der Unterschied zum o.g. Spielstil ist vermutlich, dass ersteres eher wildes Kicken mit Freunden auf dem Bolzplatz darstellt, während letzteres etwas organisierter daherkommt ("Du gehst ins Tor, du machst die Verteidigung, ihr seid die Angreifer..." etc.), was das Risiko des "aneinander Vorbeispielen" minimiert. Inzwischen finde ich an beiden Stilen meinen Spaß. Ich mag Country und Western.

Obwohl der Spielstil also vermutlich nichts für mich ist, ist es immer interessant, solche Artikel zu lesen.
« Letzte Änderung: 16.11.2023 | 21:42 von Alexandro »
Wer beim Rollenspiel eine Excel-Tabelle verwendet, der hat die Kontrolle über sein Leben verloren.

Offline Lord Verminaard

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #21 am: 16.11.2023 | 22:13 »
Spannend, ich habe das jetzt zum ersten Mal richtig verstanden.

Yes!! Wenigstens einer! ;D

Zitat
Statt "play to find out" "plan to play", quasi. Oder auch nicht.

Vielleicht "play with a plan"? Catchy. Gefällt mir. :) (Microscope habe ich nie gespielt, kann dazu also leider nichts sagen.)

Glaubst du, dies könnte an einer Überlegung wie "Der Invest ist Teil des Payoffs" liegen?

Ich habe oft sehr viel Freude an der Vorarbeit, aber es gab halt auch einen Grund, warum ich mich mal auf die Suche nach dem vorbereitungsarmen Drama-Spiel gemacht habe. Denn oft war es eben so, dass dann doch Zeit und Muße fehlte, dass Runden nicht so gut vorbereitet waren, wie ich es eigentlich gewollt hätte, und deshalb auch am Spieltisch hinter den Erwartungen zurück blieben. Insofern ein klares Jein. ;)

Der eigentliche Pay-off ist für mich immer am Spieltisch, es ist eben dieses Gefühl, wenn sich alles fügt, alles einen Sinn ergibt, alle Fäden zusammengeführt werden. Der Invest schafft die Voraussetzungen dafür, und vielleicht ist auch so ein Element des "Lohn der Mühen" dabei, weil die ganze Arbeit sich bezahlt gemacht hat.

Vielleicht auch beides, also wie und mit wem.

Ja, absolut. Die Chemie kann noch so stimmen - wenn ihr dann an irgendwas rumstümpert, das ihr nicht wirklich beherrscht und das euch eigentlich nicht gefällt, dann wird es halt trotzdem doof. Wir reden noch über Rollenspiel, oder? >;D
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Offline Jiba

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #22 am: 17.11.2023 | 09:26 »
Vielleicht "play with a plan"? Catchy. Gefällt mir. :) (Microscope habe ich nie gespielt, kann dazu also leider nichts sagen.)
Spielen andere Spielstile, zum Beispiel die vorbereitungsintensive Weltmodulation, nicht irgendwo auch mit einem Plan?  :think:

Ich habe oft sehr viel Freude an der Vorarbeit, aber es gab halt auch einen Grund, warum ich mich mal auf die Suche nach dem vorbereitungsarmen Drama-Spiel gemacht habe. Denn oft war es eben so, dass dann doch Zeit und Muße fehlte, dass Runden nicht so gut vorbereitet waren, wie ich es eigentlich gewollt hätte, und deshalb auch am Spieltisch hinter den Erwartungen zurück blieben. Insofern ein klares Jein. ;)

Der eigentliche Pay-off ist für mich immer am Spieltisch, es ist eben dieses Gefühl, wenn sich alles fügt, alles einen Sinn ergibt, alle Fäden zusammengeführt werden. Der Invest schafft die Voraussetzungen dafür, und vielleicht ist auch so ein Element des "Lohn der Mühen" dabei, weil die ganze Arbeit sich bezahlt gemacht hat.

Okay, da kann ich nur aus meiner Perspektive etwas zu sagen: Ich bereite auch wahnsinnig gerne vor. Wahnsinnig gerne. Wenn ich die Zeit und Muße finde. Und ich glaube auch, dass die ganzen Planungen meine Runden bereichern, weil ich mich dann sicherer beim Leiten fühle.

Allerdings: Den Kausalzusammenhang zwischen "überbordender Vorbereitung" und "Top-Runde" würde ich nicht herstellen wollen. Wenn ich mich doch irgendwie nicht ausreichend vorbereitet fühle, ist es meine Erwartungshaltung und mein Perfektionismus, der dafür sorgt, dass das beste Ergebnis am Tisch dann ausbleibt. Ich habe auch schon Runden gut vorbereitet und am Ende hat doch nichts zusammengepasst. Besonders bei Runden, in denen ich Drama haben wollte. Es gab sogar Runden, die ich mit tried-and-true Tanelorn-Dramaspieler:innen gespielt habe und bei der mich der Wunsch, alles perfekt dramastiltauglich vorzubereiten am Ende nur gehindert hat. Da hat sich die Runde fast wie ein Casting angefühlt, bei der jedes Vorbereitungsschnipselchen auf die Goldwaage gelegt wird.

Und diese Goldwaagen sollten langsam mal zum Alteisen. Es gibt Besseres und Wichtigeres und Befriedigenderes im Leben, als Rollenspiele vorzubereiten. Und man wird immer Leerstellen haben oder Nähte die auffällig zu sehen sein werden, wenn man eine Runde später im Kopf durchgeht. Für mich ist daher das "Lazy GM"-Prinzip inzwischen mein Go-To-Vorbereitungsstil. Nicht unbedingt so, wie es bei Sly Flourish im Buch steht – ich nutze immer noch R-Maps und state die NSCs aus, wenn ich kann. Aber der Grundgedanke dahinter: Priorisiere die Teile deiner Vorbereitung und mach das Notwendige zuerst, denn du brauchst nur das Notwendige. Das Ziel ist immer: "Sich vorbereitet fühlen, nicht vorbereitet sein."

Was die PbtA-Spiele nämlich meiner Ansicht nach verstanden haben: Eine gute Runde entsteht nicht durch gute (ausufernde) Vorbereitung, sondern durch gute Kommunikation. Meiner Erfahrung nach waren die besten Dramarunden nicht die am akribischsten vorbereiteten, sondern diejenigen in denen die Spieler:innen am ehesten bereit waren, sich emotional verletzlich zu zeigen und den eigenen Charakter nicht in den Mittelpunkt zu stellen. Womit wir wieder dabei sind, das die Chemie unter den Mitspieler:innen das Entscheidende ist. Du willst eine rührende Runde haben, bei der du am Tisch weinen kannst? Dann müssen du und deine Mitspieler bereit sein, am Tisch zu weinen. Dabei hilft einem szenenbasierte Vorbereitung einfach überhaupt nicht. Höchstens wenn man, wie du es beschreibst, ständige Kreativsitzungen zwischendurch macht. Aber die können auch am Tisch stattfinden. Und sind dann vielleicht sogar ein stückweit ehrlicher, weil einfach immer alle involviert sich, anstatt dass Spieler:innen hinter dem Rücken und ohne Wissen der anderen, den halben Charakterarc durchplanen. Habe ich auch schon erlebt.

Ich würde ja, das, was du tust als Writer's Room-Rollenspiel bezeichnen. Wie bei einer TV-Serie sitzt man da vor der Produktion zusammen, wirft Ideen hin und her, plottet das Ding, macht ein mentales Storyboard etc. Das kann befriedigend sein, hat aber auch so seine Tücken. Es wurde hier schon geschrieben: "Ohne das Voice Acting". Aber mir zum Beispiel ist das Voice Acting extrem wichtig: Ich will, dass die Spieler:innen sich Quirks und Manierismen und Stimmen und Blicke etc. überlegen. Und ich will auch, dass die Spielwelt in sich selbst eine Rolle spielt und die SCs mit der Umgebung interagieren und sie nicht nur Staffage ist – hatte ich in Dramarunden auch schon, dass Spieler sich stundenlang mit ihren Charakteren unterhalten, aber die Set Pieces nicht nutzen, die da liegen – sowas nenne ich immer ganz gerne Talking Heads-Rollenspiel.

Ich sehe aber auch nicht ein, als SL alleine dafür zuständig zu sein, dass die Spielwelt am Tisch organisch ineinandergreift. Denn wenn du mit "rumstümpern" meinst, dass man sich eigentlich mit dem, was man bespielt, nicht auskennt, über die anderen SCs nicht Bescheid weiß, etc. – dann ist auch das Zusammenspiel und die Besetzung das Entscheidende. Alle Spieler müssen das mitmachen. Rollenspiel ist auch nicht das Medium, in dem man erwarten kann, dass die Spielrunde am Ende wie im Hard Worldbuilding komplett durchplausibilisiert ist. Dazu sind die Möglichkeiten zu groß. Logiklücken im Rollenspiel zu suchen, macht halt nicht glücklich. Und wenn man eine findet, sollte man nicht in sich hineingrummeln, dass sie aufgetreten ist, sondern sie kommunizieren, damit man sie gemeinsam schließen kann. 

Dass sich "am Ende alles fügt" ist wahrscheinlich gar nicht so einfach reproduzierbar, wie wir uns das wünschen. Und das kann genauso in einer daherimprovisierten Runde passieren. Case-in-point: Unsere "Lunch Rush"-Runde auf dem letzten Treffen. Wir haben die Charaktere vor Beginn hier im Forum verknüpft. Und auf dem Treffen selbst vorher noch rasch mal drüber geredet, unser Restaurant zusammen geplant und dann einfach losgespielt. Ergebnis: Bombendrama!

Aber eben auch ein One-Shot. Eine Dramarunde über mehrere Sessions zu einem Arc zu entwickeln ist natürlich schwieriger und erfordert noch mehr Kommunikation. Aber nicht unbedingt mehr harte Vorbereitung. So würde ich das sehen.
« Letzte Änderung: 17.11.2023 | 09:28 von Jiba »
Engel – ein neues Kapitel enthüllt sich.

“Es ist wichtig zu beachten, dass es viele verschiedene Arten von Rollenspielern gibt, die unterschiedliche Vorlieben und Perspektiven haben. Es ist wichtig, dass alle Spieler respektvoll miteinander umgehen und dass keine Gruppe von Spielern das Recht hat, andere auszuschließen oder ihnen vorzuschreiben, wie sie spielen sollen.“ – Hofrat Settembrini

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #23 am: 17.11.2023 | 10:36 »
@Jiba: Danke für deine Gedanken. Dass man sich auch sehr umfassend vorbereiten kann und die Runde wird trotzdem schlecht, ist unbenommen, ich würde sagen, dann hat man sich wohl falsch vorbereitet. Für mich haben Lazy GM und play to find out eben nur selten funktioniert, ich kann da über die Inkonsistenzen nicht hinwegsehen und meine besten Einfälle habe ich meistens, nachdem ich länger über eine Sache nachgedacht habe. Und meine besten spontanen Einfälle habe ich meistens, wenn ich tief in einem Thema drin stecke.

Der entscheidende Faktor ist halt, welche Ansprüche man an die erspielte Fiktion stellt. Und genau da sehe ich auch den Zusammenhang zu dem im Ausgangsbeitrag erwähnten Sündenfall. Die ganze Mühe beim Drama-Spiel dient letztlich ja dazu, eine Erzählung zu ermöglichen, die bestimmten Kriterien genügt. Und dieselbe Motivation steht auch hinter den fiesesten Railroading-Abenteuern und Spielerkleinhalte-SLs: Quasi erzählerische Qualitätssicherung. Nur wurde es damals völlig falsch angefangen. Weshalb auch verständlich ist, dass viele Leidtragende, wenn sie meine Schilderung hören, Parallelen ziehen und faules Spiel wittern. Mein Punkt ist, wenn man es richtig anfängt, dann kann es eine hohe Schule sein und sich sehr lohnen. Das hat dann mit den schlimmen Dingen, die schon im Namen der erzählerischen Qualitätssicherung verbrochen wurden, nicht das Geringste zu tun.

Und mein anderer Punkt ist, obwohl das so ist, hat sich doch herausgestellt, dass die allermeisten Erzählspieler diese Art von erzählerischer Qualitätssicherung weder brauchen noch wollen.
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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #24 am: 17.11.2023 | 10:50 »
Die ganze Mühe beim Drama-Spiel dient letztlich ja dazu, eine Erzählung zu ermöglichen, die bestimmten Kriterien genügt.

Sei nicht so ominös, bitte. Nenne die Kriterien.
Engel – ein neues Kapitel enthüllt sich.

“Es ist wichtig zu beachten, dass es viele verschiedene Arten von Rollenspielern gibt, die unterschiedliche Vorlieben und Perspektiven haben. Es ist wichtig, dass alle Spieler respektvoll miteinander umgehen und dass keine Gruppe von Spielern das Recht hat, andere auszuschließen oder ihnen vorzuschreiben, wie sie spielen sollen.“ – Hofrat Settembrini

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #25 am: 17.11.2023 | 11:07 »
Sei nicht so ominös, bitte. Nenne die Kriterien.

Naja, dieselben Kriterien halt, die in der Fachliteratur für professionelle Autoren diskutiert werden.
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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #26 am: 17.11.2023 | 11:08 »
Für mich haben Lazy GM und play to find out eben nur selten funktioniert, ich kann da über die Inkonsistenzen nicht hinwegsehen und meine besten Einfälle habe ich meistens, nachdem ich länger über eine Sache nachgedacht habe.

Wobei der Lazy GM diesbezüglich ja eine Mogelpackung ist - er gibt ja selbst zu, dass er lange über seine Runden nachdenkt. Nur halt beim Spazierengehen o.ä. Und dann geht das Aufschreiben ganz schnell, weil die eigentliche Arbeit nämlich schon gemacht ist.
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Offline Lord Verminaard

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #27 am: 17.11.2023 | 11:09 »
Wobei der Lazy GM diesbezüglich ja eine Mogelpackung ist - er gibt ja selbst zu, dass er lange über seine Runden nachdenkt. Nur halt beim Spazierengehen o.ä. Und dann geht das Aufschreiben ganz schnell, weil die eigentliche Arbeit nämlich schon gemacht ist.

Klar, und er setzt außerdem voraus, dass man das Monster Manual auswendig kennt. ;)
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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #28 am: 17.11.2023 | 12:06 »
Naja, dieselben Kriterien halt, die in der Fachliteratur für professionelle Autoren diskutiert werden.

Gut. Nur dass es die Kriterien halt nicht gibt. Oder die Fachliteratur. Ich habe hier Robert McKees "Story", Blake Snyders "Save the Cat", Christopher Voglers "The Writer's Journey", und Ethan Slocknicks "Video Game Storytelling" liegen. Die sagen alle unterschiedliche Dinge. Ganz abgesehen davon, dass professionelle Autoren eben auch gerne einmal von den dort aufgeführten Vorgaben abweichen.

Nimm zum Beispiel die Verpflichtung zu Build-Up und Pay-Off... es gibt professionelle Erzählungen, die pfeifen da drauf. Und die sind trotzdem gut, oft sogar deswegen. Dasselbe gilt für Character Arcs: Marty McFly hat keinen nennenswerten Character Arc. Trotzdem funktioniert "Back to the Future".

Also, wenn du willst, dass man den Dramastil versteht, musst du konkret sein: Was meinst du? Was sind die Kriterien, die dir wichtig sind?
« Letzte Änderung: 17.11.2023 | 12:41 von Jiba »
Engel – ein neues Kapitel enthüllt sich.

“Es ist wichtig zu beachten, dass es viele verschiedene Arten von Rollenspielern gibt, die unterschiedliche Vorlieben und Perspektiven haben. Es ist wichtig, dass alle Spieler respektvoll miteinander umgehen und dass keine Gruppe von Spielern das Recht hat, andere auszuschließen oder ihnen vorzuschreiben, wie sie spielen sollen.“ – Hofrat Settembrini

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #29 am: 17.11.2023 | 14:05 »
Das sprengt nun wirklich den Rahmen dieses Threads. Das hat so viele Ebenen. Da sitzt doch auch keiner mit ner Checkliste, meine Umschreibung ist doch eine abstrakte Annäherung, ein Gleichnis. Es gibt dafür keine Schritt-für-Schritt-Anweisung.

Aber ich persönlich finde McKee schon sehr treffend in vielem.
« Letzte Änderung: 17.11.2023 | 14:08 von Lord Verminaard »
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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #30 am: 17.11.2023 | 15:16 »
Dasselbe gilt für Character Arcs: Marty McFly hat keinen nennenswerten Character Arc. Trotzdem funktioniert "Back to the Future".

Also, wenn du willst, dass man den Dramastil versteht, musst du konkret sein: Was meinst du? Was sind die Kriterien, die dir wichtig sind?

Ich muss da jetzt doch nochmal drauf eingehen, auch wenn ich weiß, dass es nirgendwo hin führt. Ich frage mich echt, was du dir bei so einer Aussage denkst. Soll ich sagen, Character Arcs sind nicht wichtig? Oder Back to the Future ist doof? Und wenn ich beides nicht sagen will, ist dann mein Argument invalid und du hast mich erwischt? Weil ich mich schon festlegen "muss"? Ich unterstelle dir keine böse Absicht, aber ich weiß auch echt nicht, wie ich da drauf freundlich reagieren soll.
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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #31 am: 17.11.2023 | 15:28 »
Aber ich persönlich finde McKee schon sehr treffend in vielem.

Direkt mal anschauen, danke für den Tip! :d
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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #32 am: 17.11.2023 | 16:23 »
Ich muss da jetzt doch nochmal drauf eingehen, auch wenn ich weiß, dass es nirgendwo hin führt. Ich frage mich echt, was du dir bei so einer Aussage denkst. Soll ich sagen, Character Arcs sind nicht wichtig? Oder Back to the Future ist doof? Und wenn ich beides nicht sagen will, ist dann mein Argument invalid und du hast mich erwischt? Weil ich mich schon festlegen "muss"? Ich unterstelle dir keine böse Absicht, aber ich weiß auch echt nicht, wie ich da drauf freundlich reagieren soll.
Nein, ich will nicht, dass du dich da auf die eine oder andere Aussage festlegst. Das Beispiel diente zur Illustration dafür, dass du für fast jede Best Practice im Writing prominente Beispiele finden wirst, die sich eben an diese Kriterien nicht halten – und trotzdem funktionieren. Deswegen bin ich auch so interessiert daran, zu erfahren, welche Gesetze und Must-Haves du in einer Dramarunde mit dem schwarzen Drachengürtel so haben willst.

Denn du sagst zwar, es gäbe keine "Checkliste"... aber du weißt doch gut genug, was du willst, dass du erkennen kannst, wann eine Runde diesen Ansprüchen für dich eben nicht genügt. Du hast an anderer Stelle, wenn ich mich recht entsinne, schon gesagt, wie wenig du Lücken, Widersprüche oder Unwägbarkeiten magst, die in Impro-Dramarunden auftreten. Das ist eine Checkliste. Du hakst mental ab ob eine Runde deinem Verständnis von Drama-Rollenspiel entspricht oder nicht. Auch dein "Drama-Fu"-Text weist darauf hin, dass es so etwas gibt.

Und wenn Dramarollenspiel nur in Gleichnis-Form erklärt werden kann – wenn ich keine Schritt-für-Schritt-Anleitung für "Baby's First Familienmelodram" geben kann... dann ist es doch kaum verwunderlich, dass Anhänger anderer Spielstile nur mit Fragezeichen auf das Dramarollenspiel blicken können. Ich halte das sogar für ein Versäumnis dieses Spielstils: Den Mangel an Einstiegsmöglichkeiten für Interessierte. Die PESA hat Alrik und regelmäßige Schnupperrunden. Und die Drama-RPG-Community, was hat die? Ganz viel Anspruch an potenziell Mitspielende.   

"Wenn deine Dramarunde trotz massiver Vorbereitung nicht gezündet hat, dann hast du dich falsch vorbereitet." greift mir deshalb persönlich da auch zu kurz als Analyse, wenn wir nicht mal umreißen wollen, was für die Vorbereitung einer Dramarunde eben genau wichtig ist. Es kann zig andere Gründe haben, warum eine Dramarunde nicht funktioniert. Ich halte daher auch den Schluss, dein Spielstil sei hinsichtlich des Vorbereitungsaufwandes nicht mehr optimierbar, für trügerisch. Ich würde mich fragen, wie viel von dem, das ich in der Vergangenheit gespielt habe, doch strukturell oder inhaltlich ähnlich war und dann versuchen einen Pool aus Ressourcen zu schaffen, auf die ich (und alle anderen am Tisch, diese Sammlung muss offen sein) immer wieder zugreifen können.

Ich frage mich daher auch, wie das bei euch am Tisch läuft: Habt ihr ein Wiki, in das jeder reinschreibt? Liegen Zusammenfassungen wichtiger Tropes, Hooks und Character Arcs für alle sichtbar auf dem Tisch? Hat jemand die Relationship Map auf A2 ausgedruckt und ihr kritzelt darauf herum? Spielt ihr Szenen neu, mit denen jemand nachträglich Bauchschmerzen hat, qua Sicherheitstechniken? Gibt es Cheat Sheets für Dramaturgie? (Musst du nicht beantworten, sind nur Beispiele zur Illustration, was mir daran unklar ist.)

Wenn man einen Spielstil nicht ein stückweit externalisieren kann und ihm Materialien, Regeln, How-Tos und Spieltechniken beiordnen kann, wie kann man dann erwarten, dass er für andere verständlich ist? Wenn wir wollen, das Dramarollenspiel in der Rollenspielcommunity auch einen Stand erreicht, dann hilft nur eins: Mit vielen Leuten niedrigschwellig viele, viele mittelmäßige und ungelenke Dramarollenspielrunden spielen. Ohne dass man das Maximum an Vorbereitung abroppen muss oder Dan Harmons Story Circle aus dem FF malen kann. Da geht es ums, wie du sagst, "Rumstümpern". Die Idee, man bräuchte für eine gute Dramarunde, zwei Kreativsitzungen pro Woche, 10 Seiten Character Treatment pro SC und einen Kommissar der Rollenspielpolizei, der alles immer auf Kausalität abklopft, vergrault glaube ich auch viele unbedarfte Spieler:innen, die das eigentlich mal ausprobiert hätten.

Ich sage nicht, dass du das tust oder nicht tust. Aber der Anspruch Rollenspiel zu betreiben wie professionelle Autor:innen ihre Erzählungen schreiben... puh, talking about "Einstiegshürde".

P.S. Take everything in here with a grain of salt. Ich habe selbst ja eine Affinität zum Dramaspiel, aber ich gehe halt nicht mit allem, was du sagst konform.
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“Es ist wichtig zu beachten, dass es viele verschiedene Arten von Rollenspielern gibt, die unterschiedliche Vorlieben und Perspektiven haben. Es ist wichtig, dass alle Spieler respektvoll miteinander umgehen und dass keine Gruppe von Spielern das Recht hat, andere auszuschließen oder ihnen vorzuschreiben, wie sie spielen sollen.“ – Hofrat Settembrini

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #33 am: 17.11.2023 | 17:30 »
Als neutraler Beobachter kommt mir das so vor als würde jemand sagen: "Dungeons exisiteren gar nicht. Wie willst Du das denn machen? Dauernd eine Karte dafür haben? Für JEDEN EINZELNEN RAUM? Und die Spieler sollen die dann mitmalen, oder wie? Das ist doch unrealistisch."
« Letzte Änderung: 17.11.2023 | 17:33 von Settembrini »
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Offline Jens

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #34 am: 17.11.2023 | 17:50 »
Danke für diesen Thread, Vermi! :d
Meine Kriterien für eine annähernd perfekte Rollenspielsession sind
- man kennt und mag sich, jeder kennt die Vorlieben der Anderen und hat ähnliche, kompatible Vorlieben
- man vertraut sich, öffnet sich den anderen und lässt auch eine gewisse Verletzbarkeit zu
- jede/r Einzelne widmet sich den Vorlieben der anderen und spielt diese an
- das Setting ist vorbereitet, für die Teilnehmenden anregend und läuft klar in eine bestimmte Richtung

Offline Lord Verminaard

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #35 am: 17.11.2023 | 18:35 »
Es ist ja übrigens nicht so, dass Plottheorie abgefragt wird, bevor jemand bei uns mitspielen darf. Mein persönlicher Prozess ist strukturiert und analytisch, daher hört es sich auch strukturiert und analytisch an, wenn ich das real existierende Phänomen beschreibe. Ein Drama-Spieler mit einem intuitiveren Prozess würde es vielleicht in andere Worte fassen (wenn er mein Mitteilungsbedürfnis besäße), und hätte vielleicht McKee und Vogler noch nicht mal gelesen. Es käme aber intuitiv trotzdem etwas heraus, was ich wiederum durch meine Brille betrachtet und mit meinen Werkzeugen als "gute Story" einordnen würde. Wohlgemerkt, Rollenspiel ist ja kein Drehbuch und kein Roman. Es ist, wie gesagt, eine kollaborative One-Take-Erzählform, dem muss man natürlich Rechnung tragen, wenn man überlegt, wie eine "gute Story" aussieht.

Und nein, ich kann die Unterschiede nicht abschließend aufzählen, und ich kann nicht für jeden einzelnen davon umfassend erklären, wie dem denn nun genau Rechnung zu tragen sei, einschließlich eindeutiger und unmissverständlicher Beispiele für jeden einzelnen Fall. Ich muss ein bisschen Schmunzeln, Jiba, wenn ich mir vorstelle, dass du Robert McKee in die Finger bekämst, und ihn ins Verhör nehmen würdest, was genau er denn nun eigentlich mit all diesen Sachen in seinem Buch gemeint hat und wie im Einzelnen das jetzt, Schritt für Schritt, gemacht wird. Nun ja, mein Abschiedsthread wäre nicht vollständig, ohne dass eine solche Aufforderung an mich ergangen wäre, insofern, Check. ;)
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Offline Lord Verminaard

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #36 am: 17.11.2023 | 18:46 »
P.S.:

Ich frage mich daher auch, wie das bei euch am Tisch läuft: Habt ihr ein Wiki, in das jeder reinschreibt? Liegen Zusammenfassungen wichtiger Tropes, Hooks und Character Arcs für alle sichtbar auf dem Tisch? Hat jemand die Relationship Map auf A2 ausgedruckt und ihr kritzelt darauf herum? Spielt ihr Szenen neu, mit denen jemand nachträglich Bauchschmerzen hat, qua Sicherheitstechniken? Gibt es Cheat Sheets für Dramaturgie?

Also, wenn noch andere sich das so vorstellen, dann habe ich es offenbar echt nicht gut erklärt. Wir sitzen um einen Tisch, auf dem liegen vermutlich ein paar ausgedruckte Bilder von SCs und NSCs (und vielleicht von Schauplätzen). Die Spieler haben einen Charakterbogen oder ein ausgeschriebenes Charakterkonzept vor sich liegen, vielleicht einen Schmierzettel, und ggf. ein paar Würfel. Der SL hat seine Aufzeichnungen. Und dann, naja, dann spielen wir Rollenspiel.
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Offline Jiba

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #37 am: 18.11.2023 | 15:51 »
Ich muss ein bisschen Schmunzeln, Jiba, wenn ich mir vorstelle, dass du Robert McKee in die Finger bekämst, und ihn ins Verhör nehmen würdest, was genau er denn nun eigentlich mit all diesen Sachen in seinem Buch gemeint hat und wie im Einzelnen das jetzt, Schritt für Schritt, gemacht wird.
Naja, ich wünschte mir natürlich es würde so ablaufen.
Aber es würde wahrscheinlich doch eher so ablaufen;D

Aber erst einmal: Mir liegt es fern, dich hier zu attackieren – selbst wenn ich etwas schnippisch und emotional geschrieben habe. Ich verstehe, dass dein Beitrag sehr persönlich ist und es eine naheliegende Reaktion ist, sich von konfrontativen Antworten angegriffen zu fühlen. No hard feelings. Ich will niemanden vorführen oder so.   

Mir geht's hier vor allem darum, zum Kern der Sache "Dramarollenspiel" vorzudringen. Ich denke darüber nach, was – von deiner und meiner Perspektive abstrahiert – tatsächlich zur Form gehört, was davon auf Vorbereitung zurückzuführen ist, was auf die Gruppenzusammensetzung, was auf äußere Umstände (auch wenn ich mir darüber klar bin, dass das natürlich nicht eindeutig und einwandfrei festzulegen ist – das hier sind Gesprächsangebote.) Ich vertrete die Position, dass die Gruppenzusammensetzung beim Gelingen einer Dramarunde einen größeren und entscheidenderen Anteil hat, als die spezifische Vorbereitung oder die Kenntnis von Drehbuchtheorie. Gute Dramarunden entstehen aus den Mitspieler:innen und können improvisiert oder vorbereitet entstehen.

Dieser Teil deines Beitrags klärt für mich Einiges auf:
Ein Drama-Spieler mit einem intuitiveren Prozess würde es vielleicht in andere Worte fassen (wenn er mein Mitteilungsbedürfnis besäße), und hätte vielleicht McKee und Vogler noch nicht mal gelesen. Es käme aber intuitiv trotzdem etwas heraus, was ich wiederum durch meine Brille betrachtet und mit meinen Werkzeugen als "gute Story" einordnen würde. Wohlgemerkt, Rollenspiel ist ja kein Drehbuch und kein Roman. Es ist, wie gesagt, eine kollaborative One-Take-Erzählform, dem muss man natürlich Rechnung tragen, wenn man überlegt, wie eine "gute Story" aussieht.
Da wollte ich eigentlich drauf hinaus: Gutes Dramarollenspiel kann aus einer Position des "Sich einfühlens" heraus entstehen. Das ist, was ich zuvor mit "Verletzlichkeit" meinte. Diese grundsätzliche Bereitschaft geht, wenn ich an Dramarollenspiel denke, allem anderen voraus, sowie der Wille zur Kooperation und zum Zurückstecken vor den Bedürfnissen der Mitspieler, wenn es nicht um den eigenen Charakter geht (steht ja auch in deinem Drama-Fu-Writeup). Insofern schon einmal danke, das setzt das, was du zuvor schriebst, für mich deutlicher in Perspektive.

Ich glaube aber auch – und da sind wir uns nicht einig – dass es durchaus so etwas gibt wie konkrete Schritte, Techniken und Vorbereitungspraktiken, die helfen können, besseres Dramarollenspiel zu betreiben. Du sprichst von "einlesen" oder "vorbereiten", auch davon, dass man sich "falsch" vorbereiten kann. Und dass alle Pläne Späne sind, die vom Tisch fallen und vergessen werden können, wenn die Runde es erfordert. Und da frage ich mich eben – wie du dich ja auch gefragt hast – ob es nicht doch eine Möglichkeit gibt, diese Vorbereitung zu verdichten, zu fokussieren oder spielmechanisch abzufangen. Und ich frage mich auch: Wie gehst du, du ganz konkret, vor, wenn du eine Dramarunde anbietest. Wenn es eine "falsche" Vorbereitung gibt, dann musst du eine Idee davon haben, wie eine aus deiner Perpektive "richtige" Vorbereitung für Dramarollenspiel aussähe. Daran wäre ich interessiert.

Deswegen auch die vielleicht irritierenden Fragen nach Relationship-Maps am Tisch, geteilten Wikis, best practices. Bei deiner Ablehnung von PbtA zum Beispiel, möchte ich halt anführen, dass diese Spiele schon einer Designphilosophie folgen oder konkrete Techniken beinhalten, die Dramarollenspiel unterstützen können. Dazu gehört die – heute vielleicht banal wirkende – Erkenntnis, dass Rollenspiel eine conversation ist und deshalb die Regeln guter Unterhaltungen und Gespräche auch dort zu gelten haben. Für's Dramarollenspiel ist eine offene, empathische und direkte Kommunikation miteinander ungeheuer wichtig (habe ich in diesem Thread selbst zum Teil gegen verstoßen, also sorry dafür). Aber das ist nicht alles: Sich zum Beispiel vor Beginn eine gemeinsame Agenda zu setzen und die aus festzuhalten und lesbar auszulegen, finde ich wichtig, damit alle auf derselben Wellenlänge schwimmen. Dasselbe gilt für Character Arcs, vielleicht Wants und Needs der Charaktere, vielleicht Szenenideen, die einem zwischen den Sitzungen gekommen sind (wenn mit Scene Framing gespielt wird) etc. Und natürlich die Relationship Map oder eine Liste mit ein paar Tropes und Motive aus dem bespielten "Dramagenre" (Familiendrama, Gangsterdrama, Teenage-Drama etc.). Ich glaube, dass diese Visualisierung helfen kann, das Spiel zu fokussieren – es holt diese Dinge von der Ebene des Spezialwissens, was einzelne Spieler:innen haben auf die Ebene der Gruppe, sodass alle Zugang dazu haben. Gut, zugegeben, ich habe mit einer so großen Zahl an Handreichungen am Drama-Spieltisch auch noch nicht gespielt. Aber gerade wenn du konstatierst, die Planung der Runde und der Erwerb von grundsätzlichen Kenntnissen in Dramaturgie (oder bestimmten realweltlichen Wissensbereiche, die für die Story, die Charaktere oder das Setting eine Rolle spielen können – das gehört auch dazu, richtig? Würdest du das bejahen?) sei so entscheidend für das Gelingen der Dramarunde, dann scheint mir der einfache Zugang zu diesen Inhalten während des Spiels hilfreich.

Womit ich Erfahrung habe, sind Sicherheitstechniken wie die X-Card oder Lines and Veils. Die sind auch post-forge erst entstanden und können meiner Erfahrung nach dabei helfen, eine Atmosphäre am Tisch entstehen zu lassen, in der Leute sich emotional fallen lassen können (wie gesagt: Verletzlichkeit). Das finde ich besonders bei Dramarunden wichtig, bei denen die Spieler:innen sich eben nicht gut genug kennen – obwohl ich mir genauso vorstellen kann, dass Runden vielleicht darauf verzichten mögen. Eine Frage der Absprachen.

Also ja, wenn ich von Schritt-für-Schritt-Anleitung spreche, dann ziele ich tatsächlich darauf ab, vielleicht eine Reihe von Best Practices zu erstellen, die Einsteiger:innen helfen kann, selbst in diesen Spielstil reinzuschnuppern. Denn ja, und zu dieser Aussage stehe ich: Der Einstieg ins Dramarollenspiel ist nicht so einfach zu finden, da es so etwas wie Platformen, Fibeln oder regelmäßige Open-for-all-Runden nicht gibt. Ich habe tatsächlich – und das als jemand, der selbst gerne Drama spielt – diesen Spielstil schon mitunter als eine sehr in sich verschworene Community wahrgenommen. Es hat sicherlich einen Grund, warum viele Rollenspieler:innen anderer Stile so große Schwierigkeiten haben, zu verstehen, was man überhaupt da macht – wenn man zum Beispiel vom Begriff "Abenteuer" herkommt, dann kann man Dramarollenspiel auch schlecht greifen, denke ich. Vielleicht haben wir es wirklich nicht besonders gut erklärt.

(Und @Settembrini: Jetzt tu mal nicht so, als wäre dir diese Fragestellung völlig unbekannt. Es gibt die OSR-Fibel, es gibt eine endlose Reihe an Blogartikeln zum Richtigen modellieren der Spielwelt und zum Erstellen von Karten und es gibt die Handlungsmaschine – ich frage mich halt, ob es Ähnliches auch für das Dramarollenspiel geben kann...)

Insofern @Vermi: Danke, dass du mit deinem Beitrag einen Grundstein gelegt hast. Ich hatte gehofft, dass wir in diesem Thread tatsächlich auch dahin vordringen, wie die Zukunft des Dramarollenspiels aussehen kann (ich glaube ja: Schon ein bisschen wie "Critical Role", denn mir kann niemand erzählen, dass die Spieler:innen dort keine typische "Dramavorbereitung" machen, wie du sie vielleicht ganz ähnlich auch machen würdest – der Unterschied ist, dass sie ihre One-Take-Erzählform tatsächlich auch zur Aufführung bringen.)

Aber du hast selbst gesagt, dass dieser Thread hier womöglich dein Swan Song ist, also ist das vielleicht wirklich nicht der richtige Rahmen, um das zu diskutieren. Damit ziehe ich mich dann also zurück.
« Letzte Änderung: 18.11.2023 | 15:55 von Jiba »
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“Es ist wichtig zu beachten, dass es viele verschiedene Arten von Rollenspielern gibt, die unterschiedliche Vorlieben und Perspektiven haben. Es ist wichtig, dass alle Spieler respektvoll miteinander umgehen und dass keine Gruppe von Spielern das Recht hat, andere auszuschließen oder ihnen vorzuschreiben, wie sie spielen sollen.“ – Hofrat Settembrini

Offline Settembrini

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #38 am: 18.11.2023 | 17:14 »
Zitat
(Und @Settembrini: Jetzt tu mal nicht so, als wäre dir diese Fragestellung völlig unbekannt. Es gibt die OSR-Fibel, es gibt eine endlose Reihe an Blogartikeln zum Richtigen modellieren der Spielwelt und zum Erstellen von Karten und es gibt die Handlungsmaschine – ich frage mich halt, ob es Ähnliches auch für das Dramarollenspiel geben kann...)

Meine Antwort hat zweierlei Gestalt:

a) Ich denke immernoch, daß Du, absichtlich, Verminaards Äußerungen qua extrapolatio ad absurdum führen wolltest

b) glaube ich privat, daß die Geschichte gezeigt hat, daß bei dem Drama-Thema auch nach mindestens anderthalb Jahrzehnten (1989-2004) Diskurs, 50+ Spielen und mehren Theoriegebäuden ganz offenkundig nichts von dem rumkam, was Du gerade einforderst.

Wenn nun Lord Verminaard kommt, und seine Lebenserfahrung einbringt zu diesem, Eurem, Thema, dann greifst Du ihn an weil er nicht hermeneutisch und nicht-nachmachbar personalisiert genug ist? Ihm aber gleichzeitig verallgmeinerbare Techniken abverlangst? Das finde ich widerspricht sich.

Und das erinnert mich an weiland Diskussionen mit Leuten, die behaupten, es gäbe gar keine Dungeons oder Geheimnisse oder Spielleitung sei unmöglich usw.
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Offline Schwertschlucker

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #39 am: 18.11.2023 | 17:32 »
Nen Mud Run mit Team und halbem Jahr zusammen Vorbereitung ist geiler als Sonntags Spaziergang mit Bekannten, der gerade zufällig da ist.

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #40 am: 18.11.2023 | 17:53 »
Meine Antwort hat zweierlei Gestalt:

a) Ich denke immernoch, daß Du, absichtlich, Verminaards Äußerungen qua extrapolatio ad absurdum führen wolltest
Dann glaub's halt nicht. Kann ich auch nichts dran ändern. Ich habe versucht das Missverständnis auszuräumen. Ich bin sehr bereit da tiefer in die Diskussion einzusteigen. Und ich schätze sehr, dass Verminaard sich hier so geöffnet hat, make no mistake.

Derweil: Du kennst mich nicht. Du hast keinen blassen Dunst, wer ich bin, was ich erlebt habe, etc. Du hast keine Ahnung wie ich spiele, wie mein Denkprozess ist, etc. Das, was ich hier hinschreibe, wird immer interpretiert. Das kann man auch fehlinterpretieren. Habe ich Teile von Verminaards Post fehlinterpretiert. Ja, womöglich schon. Gebe ich offen zu. Aber ich darf hier auch meine Erfahrungen teilen. Und ich frage nach.

Was machst du? Du fragst nicht nach. Du konstatierst nur, dass du Leuten im Internet nicht glaubst, die du überhaupt nicht kennst. Anstatt halt nachzufragen. Stattdessen assoziierst du frei.

Es besteht kein Widerspruch in dem, was ich hier schrieb. Ich erkenne sowohl an, dass es Vermis persönliche Erfahrungen mit dem Thema sind, die mir durch seinen Antwortpost, jetzt auch klarer geworden sind. Ich kann aber trotzdem seine Meinung zum Thema bezüglich allgemeiner Vorgehensweisen und -techniken etc. anfragen und sagen, dass sich unsere Vorgehensweisen in Details unterscheiden. Denn er hat das Thema, ob Spieler anderer Stile den Stil verstehen oder nicht, selbst aufgebracht. 

Sieh's mir nach, auf so einen Eskalierungsversuch lasse ich mich nicht ein, Set. Mach aus diesen Dingen, was immer du willst.

Nen Mud Run mit Team und halbem Jahr zusammen Vorbereitung ist geiler als Sonntags Spaziergang mit Bekannten, der gerade zufällig da ist.
Gut. Ist aber eben ein Mud Run.
« Letzte Änderung: 18.11.2023 | 18:18 von Jiba »
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Offline Lord Verminaard

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #41 am: 18.11.2023 | 21:51 »
Naja, ich wünschte mir natürlich es würde so ablaufen.
Aber es würde wahrscheinlich doch eher so ablaufen;D

 ;D
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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #42 am: 19.11.2023 | 16:15 »
Vielen Dank an alle für ihre Beiträge. Ich habe den Ausgangsbeitrag geschrieben, weil ich irgendwie fühlte, ich hätte einen wichtigen Gedankengang gehabt, den ich festhalten wollte. Ich konnte ihn aber nicht richtig greifen, deshalb war dies ein relativ umständlicher Weg, auf den Punkt zu kommen. Ich hätte es vielleicht noch etwas reifen lassen sollen, bevor ich es poste, aber meine Impulskontrolle war anderer Ansicht. ;)

Also, nochmal von vorne, Vermi. Was wolltest du uns hier eigentlich sagen? Was ich sagen wollte, war dies:

1) Es gibt einen Spielstil, den ich als Drama-Spiel bezeichnen möchte, bei dem es den Beteiligten wesentlich darum geht, durch das Rollenspiel eine gute Geschichte zu erzählen. Das setzt voraus, dass es Kriterien gibt, gute und schlechte Geschichten zu unterscheiden. Diese Kriterien mögen von Drama-Spielgruppe zu Drama-Spielgruppe etwas variieren, leiten sich aber prinzipiell von den Kriterien ab, die auch ein Redakteur an einen Roman oder ein Drehbuch anlegen könnte. Oft werden sehr leichtgewichtige Regelwerke verwendet, die viel Freiraum lassen. Simulierende Regeln haben dennoch einen Wert für Drama-Spiel, da sie eine Verkörperung des Prinzips von Ursache und Wirkung darstellen. Und das Prinzip von Ursache und Wirkung zu respektieren, wird meistens als wesentliches Merkmal einer guten Geschichte angesehen.

2) Um am Spieltisch, im One-Take, kollaborativ mittels der Methode Rollenspiel, eine gute Geschichte erzählen zu können, muss man planen. “Play with a plan” (danke KhornedBeef :D ), denn Pläne sind nutzlos, aber Planung ist alles. Diese Planung erfordert von allen Beteiligten Arbeit im Vorfeld, und je nach persönlichem Prozess und Anspruch kann der geforderte Invest sehr hoch sein. Wenn man die Neigung dafür mitbringt, und Mitspieler mit gleicher Neigung und guter Chemie hat, die als Gruppe zusammenarbeiten, dann kann dies eine extrem intensive und begeisternde Form des Rollenspiels sein.

3) Im Namen der guten Geschichte hat sich in den 80er und 90er Jahren jedoch eine Philosophie etabliert, die allein dem Spielleiter die Zuständigkeit für die “gute Geschichte” zuschrieb - nennen wir sie Story-Absolutismus. Man unterstellte, wenn Spieler die Chance dazu bekämen, würden sie die Geschichte kaputt machen, weshalb man ihnen die Chance dazu nicht geben dürfte. Zu diesem Zweck wurde der Spielleiter mit umfassender Macht ausgestattet und von jeder Rechtfertigungspflicht entbunden. Die Railroader, Spielerkleinhalter, Täuscher und Egomanen, die unter dieser Flagge segelten, werden von leidtragenden Rollenspielern automatisch assoziiert, sobald jemand etwas über gute Geschichten im Rollenspiel sagt.

4) Der Gedanke, um den es mir geht, ist nun folgender: Ein Spielleiter mit einer Neigung zum Drama-Spiel, der für eine Runde von Casuals leitet, wird von diesen Casuals tatsächlich als sehr guter Spielleiter empfunden. Denn er serviert ihnen das Drama, einschließlich ihrer Rolle darin, auf einem Silbertablett. Es war in den 80ern und 90ern eine typische Konstellation, dass der Spielleiter der einzige Rollenspiel-Enthusiast in der Runde war. Die Spieler rekrutierte er aus seinem Freundeskreis und animierte sie zum Spielen, doch oft blieben sie eben Casual Gamers. Ich vermute, es war ursprünglich mit solchen Runden vor Augen, dass SL-Leitfäden geschrieben wurden, die ebendieses Modell zum Idealbild der Spielleitung erhoben. Doch dabei wurden die sehr spezifischen Voraussetzungen, unter denen das nur funktionierte, verkannt, denn:

a) Es gab  viele Spielleiter und viele Spieler, die überhaupt keine erzählerische Neigung hatten und mit dem Konzept einer “guten Geschichte” insgesamt wenig anfangen konnten. Zeitweilig bekamen sie aber von so ziemlich jedem Regelwerk, das sie aufschlugen, gesagt, dass sie das müssten.

b) Selbst bei denjenigen Rollenspielern, die eine erzählerische Neigung hatten, war die gute Geschichte, im Sinne eines handwerklichen Qualitätsanspruchs, meistens keine Priorität. Nachdem der Story-Absolutismus inzwischen gründlich dekonstruiert worden ist, zeigt sich, dass vielmehr die meisten Rollenspieler mit erzählerischer Neigung sich grob in zwei Gruppen unterteilen lassen:

(i) Die größte Gruppe, nennen wir sie Team Critical Role, sieht die Geschichte als Rahmen für im Kern traditionelles Rollenspiel. Die Kampagne wird in Arcs und Seasons dramaturgisch durchdekliniert, doch Dungeons, Kämpfe, Schätze, XP und Levelaufstieg sind immer noch zentral. Taktik und Weltsimulation sind wesentliche Bestandteile des Spiels, mindestens gleichberechtigt mit dem Erzählen einer Geschichte.

Diese Gruppe stört am Story-Absolutismus vor allem das Schummeln und die Entwertung ihrer Leistung. Daher wurde im Story-Absolutismus oftmals versucht, durch faule Tricks über genau diese Entwertung hinweg zu täuschen, was für eine Weile auch gutgehen konnte.

Die Mehrzahl des Team Critical Role hat an Drama-Spiel kein Interesse, da entweder Action und Abenteuer fehlen, oder, wenn es Action und Abenteuer gibt, dabei die spielerische Herausforderung fehlt.

(ii) Die größte Gruppe danach, nennen wir sie Team pbtA, schreibt Geschichten weitgehend improvisiert. Alle Beteiligten sollen zu den Wendungen der Handlung beitragen und von ihnen überrascht werden (“play to find out”). Das Regelwerk soll keine Welt simulieren, sondern bestimmte Erzählmuster vorgeben. Das Augenmerk liegt auf der gerade gespielten Szene, der übergeordnete Handlungsbogen ist eher ein Nebenprodukt. Kausalitäten, Zusammenhänge und Hintergründe werden im Vorhinein wenig thematisiert und im Nachhinein wenig hinterfragt.

Diese Gruppe stört am Story-Absolutismus vor allem, dass die Spieler daran gehindert werden, selbst den Verlauf der Handlung mit zu bestimmen. Viele von ihnen wollten seinerzeit auch den vergleichsweise klassischen Regelwerken und Genres entkommen, die im Story-Absolutismus vorherrschten (dies haben sie mit Drama-Spielern gemeinsam).

Die Mehrzahl des Team pbtA hat an Drama-Spiel kein Interesse, da man einerseits die Planung und die ausgearbeitete Backstory als einschränkend empfindet, und sich andererseits, im Gegensatz zu Drama-Spielern, nicht so daran stört, wenn es mal widersprüchliche Referenzen auf die Backstory gibt, oder wenn die Gründe für überraschende Wendungen und Entscheidungen mal unklar bleiben.

6) Die seinerzeitige Dominanz der Idee, “gutes Rollenspiel” sei gleichbedeutend mit “gute Geschichte”, entsprach also nie den tatsächlichen Vorlieben der Mehrheit derer, die sich ernsthaft für Rollenspiel interessierten. Nicht einmal unter denjenigen mit erzählerischer Neigung. Drama-Spiel war nie als generelles Leitbild für erzählerisches Rollenspiel geeignet. Zwar mag Einbahnstraßen-Drama-Spiel durch den Spielleiter für Casual Gamers unterhaltsam sein. Doch es musste bei Spielern, die aktiv und mit eigener Agenda Rollenspiel spielen wollten, zwangsläufig auf Widerstand stoßen. Story-Absolutismus stellt den Versuch da, ebendiesen Widerstand zu brechen. (Hätte ich jetzt nicht unbedingt für den naheliegendsten Ansatz gehalten aber tja.)

7) Es gibt echte Drama-Spieler, und es gibt gutes, sogar sehr gutes Drama-Spiel, bei dem niemand zu irgendwas gezwungen wird und bei dem alle Beteiligten ihre erspielte Geschichte rückblickend wirklich als gute Geschichte bewerten. Doch dieser Spielstil teilt eine gemeinsame Historie und auch das Leitbild der “guten Geschichte” mit dem Story-Absolutismus. Daher begegnen ihm viele Rollenspieler, die negative Erfahrungen mit Story-Absolutismus gemacht haben, äußerst skeptisch.
« Letzte Änderung: 19.11.2023 | 16:19 von Lord Verminaard »
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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #43 am: 19.11.2023 | 22:10 »
Daumen hoch fürs Nochmal-Aufräumen! Ich hatte zwar persönlich den Eindruck, dass das meiste davon schon im Ausgangsbeitrag angelegt ist, aber so ist's nochmal klarer.
Ich bin mir noch nicht so sicher, ob ich der Einordnung des Critical Role-Stils vollkommen zustimme; und auch nicht, ob ich die Abgrenzung zwischen diesem und der Impro-Variante so klar gezogen sehe. Aber das muss sich erst noch einen Moment setzen, bevor sich das klarer formulieren lässt.
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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #44 am: 20.11.2023 | 10:12 »
Danke für die Zusammenfassung. Ich denke dein Labeling ist unglücklich. Ich spiele PbtA liebend gern, aber zumindest wenn es kein Oneshot ist, verbringe ich viel Zeit damit Dinge im Vorhinein zu überlegen und abzusprechen und hinterher zu kommentieren und reflektieren. Das ist auch das, was PbtA-Motto "Play to find out" bedeutet. Du machst deine Vorbereitungen und dann spielen wir mal, was sich daraus ergibt.

Solche tiefergehenden Vorbereitungen sind also empfohlen aber erst für Sitzung 2 und folgende. Wie die Elemente genau benannt, wandelt sich ein bisschen von Spiel zu Spiel. Aber die SL-Kapitel und meine Praxis unterscheiden regelmäßig zwischen Sitzung 1 und was dann kommt. Das Ziel ist also die Vorbereitung inkrementell zwischen Sitzungen zu machen.

Am besten gefällt mir das die Methode "Storm" aus Urban Shadows. Man stellt also nach und Personen, Schauplätze und Fraktionen vor. Mit kleineren Problemen oder purer Exploration. Und irgendwann stürmt es, d.h. die ganzen isolierten Elemente werden in einen zentralen Konflikt gezogen. Quasi sowas wie ein Staffel-Finale. Und wenn das durch ist, hat sich der Status Quo der Spielwelt merklich verändert. Und dann fängt das ganze wieder von vorne an.

Es ist aber nicht so, dass ich notwendig vor oder nach Sitzung 1 weiß, was der Sturm sein wird. Wir probieren halt erstmal aus, ich kann nicht wissen, wie einzelne SCs auf meine NSCs reagieren werden. Ich muss mir das Personal also erstmal im Spiel zusammensuchen, danach kann ich sie wirbeln. Selbstverständlich dürfen auch SC-Spielende Ideen einbringen oder sich Sachen wünschen.

Kann es sein, Vermi, dass du immer nur Sitzung 1 gespielt hast?

Offline Alexandro

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #45 am: 20.11.2023 | 13:09 »
Also erstmal:
3) Im Namen der guten Geschichte hat sich in den 80er und 90er Jahren jedoch eine Philosophie etabliert, die allein dem Spielleiter die Zuständigkeit für die “gute Geschichte” zuschrieb - nennen wir sie Story-Absolutismus. Man unterstellte, wenn Spieler die Chance dazu bekämen, würden sie die Geschichte kaputt machen, weshalb man ihnen die Chance dazu nicht geben dürfte. Zu diesem Zweck wurde der Spielleiter mit umfassender Macht ausgestattet und von jeder Rechtfertigungspflicht entbunden. Die Railroader, Spielerkleinhalter, Täuscher und Egomanen, die unter dieser Flagge segelten, werden von leidtragenden Rollenspielern automatisch assoziiert, sobald jemand etwas über gute Geschichten im Rollenspiel sagt.

Die Philosophie des Alleinverantwortlichen SL stammt nicht aus der Story-Schule, sondern ist älter (bei einigen der "Tipps" aus den alten Dragons frage ich wirklich, mit was für Luschen Gary damals zusammengespielt hat, um zu diesen "Erkenntnissen" zu kommen... oder ob das einfach Vorurteile über Spielende war, die er schon vorher hatte und nie überprüft hat).

Das ist erstmal unreflektiert ins Story-Spiel übernommen worden, weil das im Rollenspiel eben so "funktioniert" hat.

Was die eigentlichen Punkte angeht:
Zitat
4) Der Gedanke, um den es mir geht, ist nun folgender: Ein Spielleiter mit einer Neigung zum Drama-Spiel, der für eine Runde von Casuals leitet, wird von diesen Casuals tatsächlich als sehr guter Spielleiter empfunden. Denn er serviert ihnen das Drama, einschließlich ihrer Rolle darin, auf einem Silbertablett. Es war in den 80ern und 90ern eine typische Konstellation, dass der Spielleiter der einzige Rollenspiel-Enthusiast in der Runde war. Die Spieler rekrutierte er aus seinem Freundeskreis und animierte sie zum Spielen, doch oft blieben sie eben Casual Gamers. Ich vermute, es war ursprünglich mit solchen Runden vor Augen, dass SL-Leitfäden geschrieben wurden, die ebendieses Modell zum Idealbild der Spielleitung erhoben. Doch dabei wurden die sehr spezifischen Voraussetzungen, unter denen das nur funktionierte, verkannt, denn:

a) Es gab  viele Spielleiter und viele Spieler, die überhaupt keine erzählerische Neigung hatten und mit dem Konzept einer “guten Geschichte” insgesamt wenig anfangen konnten. Zeitweilig bekamen sie aber von so ziemlich jedem Regelwerk, das sie aufschlugen, gesagt, dass sie das müssten.

Soweit Zustimmung, bis auf den markierten Satz. Die meisten Spielenden haben entweder das Hobby verlassen oder sind zu einem anderen Spielendentypus abgedriftet: wirklich Casual sind imo die wenigsten von ihnen geblieben.

Zitat
b) Selbst bei denjenigen Rollenspielern, die eine erzählerische Neigung hatten, war die gute Geschichte, im Sinne eines handwerklichen Qualitätsanspruchs, meistens keine Priorität. Nachdem der Story-Absolutismus inzwischen gründlich dekonstruiert worden ist, zeigt sich, dass vielmehr die meisten Rollenspieler mit erzählerischer Neigung sich grob in zwei Gruppen unterteilen lassen:

Sehe ich anders. Das Problem ist eher, dass es sehr unterschiedliche Vorstellungen einer guten Geschichte (und was der Beitrag der einzelnen Spielteilnehmer dazu ist) gibt, was ebenfalls ein gehöriges Maß Dekonstruktion erfordert.

Zitat
(i) Die größte Gruppe, nennen wir sie Team Critical Role, sieht die Geschichte als Rahmen für im Kern traditionelles Rollenspiel. Die Kampagne wird in Arcs und Seasons dramaturgisch durchdekliniert, doch Dungeons, Kämpfe, Schätze, XP und Levelaufstieg sind immer noch zentral. Taktik und Weltsimulation sind wesentliche Bestandteile des Spiels, mindestens gleichberechtigt mit dem Erzählen einer Geschichte.

Diese Gruppe stört am Story-Absolutismus vor allem das Schummeln und die Entwertung ihrer Leistung. Daher wurde im Story-Absolutismus oftmals versucht, durch faule Tricks über genau diese Entwertung hinweg zu täuschen, was für eine Weile auch gutgehen konnte.

Die Mehrzahl des Team Critical Role hat an Drama-Spiel kein Interesse, da entweder Action und Abenteuer fehlen, oder, wenn es Action und Abenteuer gibt, dabei die spielerische Herausforderung fehlt.

Ist relativ klassisches Rollenspiel, das ist richtig. Die Spielenden schreiben ausführliche Charaktergeschichten (und wollen dass diese im Spiel zum Tragen kommen) und haben Interesse am Ausgestalten der interpersonellen Beziehungen ihrer Spielfiguren. Sie haben eher weniger Interesse an Weltgestaltung oder Vermeidung der Kämpfe oder "Abkürzen" von Spannungsbögen, aber das sind persönliche Präferenzen.

Zitat
(ii) Die größte Gruppe danach, nennen wir sie Team pbtA, schreibt Geschichten weitgehend improvisiert. Alle Beteiligten sollen zu den Wendungen der Handlung beitragen und von ihnen überrascht werden (“play to find out”). Das Regelwerk soll keine Welt simulieren, sondern bestimmte Erzählmuster vorgeben. Das Augenmerk liegt auf der gerade gespielten Szene, der übergeordnete Handlungsbogen ist eher ein Nebenprodukt. Kausalitäten, Zusammenhänge und Hintergründe werden im Vorhinein wenig thematisiert und im Nachhinein wenig hinterfragt.

Diese Gruppe stört am Story-Absolutismus vor allem, dass die Spieler daran gehindert werden, selbst den Verlauf der Handlung mit zu bestimmen. Viele von ihnen wollten seinerzeit auch den vergleichsweise klassischen Regelwerken und Genres entkommen, die im Story-Absolutismus vorherrschten (dies haben sie mit Drama-Spielern gemeinsam).

Die Mehrzahl des Team pbtA hat an Drama-Spiel kein Interesse, da man einerseits die Planung und die ausgearbeitete Backstory als einschränkend empfindet, und sich andererseits, im Gegensatz zu Drama-Spielern, nicht so daran stört, wenn es mal widersprüchliche Referenzen auf die Backstory gibt, oder wenn die Gründe für überraschende Wendungen und Entscheidungen mal unklar bleiben.

Hier würde ich heftig widersprechen. Der Kern dieser Spiele ist ja gerade, dass die Wendungen die im "klassischen" Dramaspiel eingebracht werden dekonstruiert und transparent gemacht werden. Wo normalerweise Hemmungen bestehen bestimmte Storywendungen in das Spiel einzubringen (besonders wenn diese andere Charaktere betreffen) hat man sich durch das Spielen von PbtA darauf geeinigt, diese an die Würfel auszulagern. Trotzdem habe ich noch bei keiner Dramarunde einen so starken Fokus darauf erlebt, dass "erspielte" Zusammenhänge und Kausalitäten gründlich festgehalten und "kartografiert" werden, damit zukünftige Beiträge diesen nicht widersprechen (entsprechend wird auch mit Fortschreiten einer PbtA-Kampagne immer weniger gewürfelt - weil Moves nichts simulieren, sondern Unsicherheiten bei der Storygestaltung abfangen... und wenn sich die Kausalitäten und Handlungszusammenhänge einmal herausgebildet haben, werden diese immer weniger benötigt).

Deswegen widerspreche ich auch recht deutlich:
Zitat
Simulierende Regeln haben dennoch einen Wert für Drama-Spiel, da sie eine Verkörperung des Prinzips von Ursache und Wirkung darstellen. Und das Prinzip von Ursache und Wirkung zu respektieren, wird meistens als wesentliches Merkmal einer guten Geschichte angesehen.

Simulierende Würfelwürfe (im Sinne von "der Rollenspieldesigner hat sich [innerhalb der sehr begrenzten statistischen Datenmenge] angeschaut wie oft bestimmte Ereignisse eintreten und diese Wahrscheinlichkeiten in sein System verbaut") halte ich für sehr schlecht geeignet für eine gute Geschichte. Kausalität in Geschichten folgt nicht unbedingt der Kausalität in der Realität, was dazu führt dass man oft "tote" Ergebnisse bekommt, welche absolut nichts zur Geschichte beitragen. Und wenn alle am Tisch eine gemeinsame Vorstellung haben wie man jetzt in der Geschichte mit einer schönen Schleife zum Ende bringen könnte, und dann kommt der statistisch unwahrscheinliche Ausreißer, dann ist das auch nicht wirklich befriedigend.

Zitat
6) Die seinerzeitige Dominanz der Idee, “gutes Rollenspiel” sei gleichbedeutend mit “gute Geschichte”, entsprach also nie den tatsächlichen Vorlieben der Mehrheit derer, die sich ernsthaft für Rollenspiel interessierten. Nicht einmal unter denjenigen mit erzählerischer Neigung. Drama-Spiel war nie als generelles Leitbild für erzählerisches Rollenspiel geeignet. Zwar mag Einbahnstraßen-Drama-Spiel durch den Spielleiter für Casual Gamers unterhaltsam sein. Doch es musste bei Spielern, die aktiv und mit eigener Agenda Rollenspiel spielen wollten, zwangsläufig auf Widerstand stoßen. Story-Absolutismus stellt den Versuch da, ebendiesen Widerstand zu brechen. (Hätte ich jetzt nicht unbedingt für den naheliegendsten Ansatz gehalten aber tja.)

7) Es gibt echte Drama-Spieler, und es gibt gutes, sogar sehr gutes Drama-Spiel, bei dem niemand zu irgendwas gezwungen wird und bei dem alle Beteiligten ihre erspielte Geschichte rückblickend wirklich als gute Geschichte bewerten. Doch dieser Spielstil teilt eine gemeinsame Historie und auch das Leitbild der “guten Geschichte” mit dem Story-Absolutismus. Daher begegnen ihm viele Rollenspieler, die negative Erfahrungen mit Story-Absolutismus gemacht haben, äußerst skeptisch.

Das möchte ich gegenüberstellen mit der Einleitung deines Posts:
Zitat
1) Es gibt einen Spielstil, den ich als Drama-Spiel bezeichnen möchte, bei dem es den Beteiligten wesentlich darum geht, durch das Rollenspiel eine gute Geschichte zu erzählen. Das setzt voraus, dass es Kriterien gibt, gute und schlechte Geschichten zu unterscheiden. Diese Kriterien mögen von Drama-Spielgruppe zu Drama-Spielgruppe etwas variieren, leiten sich aber prinzipiell von den Kriterien ab, die auch ein Redakteur an einen Roman oder ein Drehbuch anlegen könnte. [...]
2) Um am Spieltisch, im One-Take, kollaborativ mittels der Methode Rollenspiel, eine gute Geschichte erzählen zu können, muss man planen. “Play with a plan” (danke KhornedBeef :D ), denn Pläne sind nutzlos, aber Planung ist alles. Diese Planung erfordert von allen Beteiligten Arbeit im Vorfeld, und je nach persönlichem Prozess und Anspruch kann der geforderte Invest sehr hoch sein. Wenn man die Neigung dafür mitbringt, und Mitspieler mit gleicher Neigung und guter Chemie hat, die als Gruppe zusammenarbeiten, dann kann dies eine extrem intensive und begeisternde Form des Rollenspiels sein.

Zusammenfassend also mein Eindruck:
1) Du sagst dass es Kriterien für "gute" und für "schlechte" Geschichten gibt. Aber du lehnst Dekonstruktion dieser Kriterien ab, willst im Spiel nicht darüber reden, sondern erst hinterher.
1a) Die Kriterien entstehen dadurch, dass die Teilnehmenden einer Runde dieselben Bücher über Dramatheorie gelesen haben, und sind daher intersubjektiv für die spezifische Runde.
1b) Daneben gibt es noch eine interpersonelle Komponente "gute Chemie", welche schwieriger zu fassen ist.
2) Alle Spielteilnehmenden sollen sich "im stillen Kämmerlein" einen groben Plan für die Geschichte zurechtlegen, aber dann nicht erwarten diesen Plan auch im Spiel umzusetzen. Sie sollen erstmal schauen, ob sich eine Gelegenheit ergibt eines von ihren "eckigen" Planfragmenten in das "runde" Loch in den Zwischenräumen zwischen dem, was die anderen Spielteilnehmenden so eingebracht haben - wenn das gelingt, dann ist das ein euphorisches Erlebnis, so als hätte man ein Tor im entscheidenden Moment geschossen.
3) Das System soll nach dem Prinzip "Wenn A, dann B" funktionieren und eine Kausalitätskette produzieren, an welcher die Teilnehmenden ihre Pläne aufhängen können. Eine Transparentmachung (Wikis, R-Maps, offene Plotstränge, und was Jiba sonst noch gefragt hat) findet innerhalb der Runde nicht statt, sondern machen die Teilnehmenden jeweils für sich. Das erinnert mich an eine komplexere Variante des Spiels "Wer ist es?", wo man versucht sich an das Bild dass sich die anderen Spielenden vom Geschehen in der Runde machen (wie sie die Geschehnisse interpretieren und was sie denken, was als nächstes passieren könnte) heranzutasten, indem man verschiede Ansätze (basierend auf den o.g. Kriterien) ausprobiert. Auch das ist befriedigend, weil man merkt, wenn man "auf einer Wellenlänge" liegt.
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Offline Lord Verminaard

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #46 am: 20.11.2023 | 17:03 »
Kann es sein, Vermi, dass du immer nur Sitzung 1 gespielt hast?

Weitgehend, habe aber mal eine volle Season City of MistMonsterhearts gespielt. Sicherlich tue ich mich schwer damit, pbtA zu beschreiben, da ich es eben nicht mag. Ich bemühe mich um Fairness.

Den Punkt Umfang der Vorbereitung sollte ich wohl ganz rausnehmen, da dieser irreführend zu sein scheint. Definierend ist nicht der Umfang der Vorbereitung, sondern "play with a plan" vs. "play to find out". Nicht das Vorhandensein einer Backstory ist entscheidend, sondern wie stark das Geschehen In-Game sich aus dieser Backstory ableitet und auf diese rückbezieht, wie wesentlich die Inputs der Spieler zur Backstory im Vergleich zu den Inputs am Spieltisch sind.
« Letzte Änderung: 20.11.2023 | 17:27 von Lord Verminaard »
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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #47 am: 20.11.2023 | 17:07 »
Weitgehend, habe aber mal eine volle Season City of Mist gespielt. Sicherlich tue ich mich schwer damit, pbtA zu beschreiben, da ich es eben nicht mag. Ich bemühe mich um Fairness.

Ja, nun ist "City of Mist" auch nicht eben das "trvste" PbtA auf dem Planeten.  ;)
Das ist zugleich eines mechanisch überbordendsten und SL-zentriertesten PbtAs, die es so gibt.

Interessant zum Vergleich könnten Spiele wie "Legacy", "Urban Shadows" oder auch PbtA-Derivate wie die "Belonging Outside Belonging"-Spiele sein (die quasi völlig freeform sind). 
Engel – ein neues Kapitel enthüllt sich.

“Es ist wichtig zu beachten, dass es viele verschiedene Arten von Rollenspielern gibt, die unterschiedliche Vorlieben und Perspektiven haben. Es ist wichtig, dass alle Spieler respektvoll miteinander umgehen und dass keine Gruppe von Spielern das Recht hat, andere auszuschließen oder ihnen vorzuschreiben, wie sie spielen sollen.“ – Hofrat Settembrini

Offline Lord Verminaard

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #48 am: 20.11.2023 | 17:25 »
Soweit Zustimmung, bis auf den markierten Satz. Die meisten Spielenden haben entweder das Hobby verlassen oder sind zu einem anderen Spielendentypus abgedriftet: wirklich Casual sind imo die wenigsten von ihnen geblieben.

Ich wollte damit auch nicht aussagen, dass diese Spieler für alle Ewigkeit weiter als Casual Gamers Rollenspiel spielten. Sicherlich haben die meisten längst wieder aufgehört, oder spielen nur noch sehr sporadisch, wenn ihr alter SL noch mal einlädt. Worum es mir ging war, dass sie jedenfalls nicht anfingen, sich ernsthaft für Rollenspiel zu interessieren.

Zum Rest: Du gehörst zu den Leuten, die nicht glauben, dass es objektiv gute und objektiv schlechte Drehbücher gibt, und die es für reine Ansichtssache halten, ob eine bestimmte Entscheidung eines Charakters oder eine bestimmte Wendung der Geschichte glaubwürdig ist oder nicht. Demnach siehst du auch keinen qualitativen Unterschied zwischen einer erwürfelten überraschenden Wendung, die spontan rückwirkend plausibilisiert wird, und einer sorgfältig vorbereiteten, fest in der Backstory verankerten und planvoll in eine Dramaturgie eingebettete Wendung. Folgerichtig meinst du, dass meine gesamte Spielphilosophie auf Sand und Einbildung gebaut ist. Das kann ich nur so hinnehmen, und sagen, ich bin der diametral entgegengesetzten Ansicht.

Ich sehe aber, dass du dich um eine unvoreingenommene Betrachtung bemüht hast und darum, aus deiner Perspektive eine so wohlwollende Beschreibung meines Spielstils abzugeben, wie möglich. Das ist ehrenwert und unter den gegebenen Differenzen gut gelungen, trotzdem finde ich mich darin nur sehr bedingt wieder. :)
« Letzte Änderung: 20.11.2023 | 17:35 von Lord Verminaard »
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Offline Lord Verminaard

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #49 am: 20.11.2023 | 17:27 »
Ja, nun ist "City of Mist" auch nicht eben das "trvste" PbtA auf dem Planeten.  ;)
Das ist zugleich eines mechanisch überbordendsten und SL-zentriertesten PbtAs, die es so gibt.

Hiervon verunsichert, habe ich noch mal nachgesehen, und muss mich korrigieren: Es war Monsterhearts. Es gab eine parallele City of Mist Runde, aber in der habe ich gar nicht mitgespielt...
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Offline Suro

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #50 am: 20.11.2023 | 18:46 »
Disclaimer: Ich habe keine große Ahnung von der (historischen) Theoriedebatte - man sehe mir meine Naivität nach.

Hey Vermi, vielen Dank für diese ausführlichen Schilderungen, ich finde das interessant und gut nachvollziehbar :)

Ich glaube, wenn man den Unterschied zwischen dem PbtA-Spiel und dem Dramaspiel noch weiter herausarbeiten will, sehe ich zwei Richtungen, unterschieden nach:

Im Spiel: Gerade bei "One-Shots" sehe ich deine Unterscheidung zwischen der Ausrichtung auf "Überraschungen für alle von Szene zu Szene" bei PbtA und "Stimmige, abgerundete, dramatische Geschichte als Gesamtprodukt" beim Dramaspiel als Prototypen. Bei  "Kampagnen" hat (siehe unten) auch Hilfsmittel, die auf kausale Plausibilität und dramatischen Zusammenhang ausgelegt sind, es bleibt aber im Spiel - denke ich - zumindest ein wesentlicher Unterschied: Die "Moves" bei PbtA führen meiner Erfahrung nach dazu, dass man "Improvisation unter kreativer Einschränkung" betreiben muss. Das passiert dadurch, dass die Moves gewisse Elemente der Handlung festlegen, einen aber dazu zwingen, zu überlegen, wie man das interpretiert, sodass es im Gesamtzusammenhang Sinn ergibt. Für mich entsteht hier eine spannende Herausforderung (die gar nichts damit zutun hat, was man im RPG sonst unter "herausforderungsorientiertem" Spiel versteht), die ich sehr gerne mag. Für Dramaspiel drängt sich hier aber  die Spielmechanik in den Vordergrund und führt zu Irritationen, die es bei regelarmen, traditionellen Spielen so nicht gibt.

Vor- und Nachbereitung: Wie andere bereits bemerkt haben, haben auch viele PbtA-Spiele explizit Hilfsmittel, die Plausibilität und Zusammenhang herstellen sollen. Das ist, grob gesagt, wozu all die "Fronts" und "Dangers" und "Grim Portents" und "Clocks" da sind. Nichtsdestotrotz sind diese Hilfsmittel - darüber hast du ja weiter oben schon Worte verloren - dazu da, ein gewisses Erlebnis zu produzieren und zugleich die nötige Vorbereitungszeit zu reduzieren; das erreicht man größtenteils denke ich über genrespezifische Setzungen, die (ähnlich wie die Moves) auch etwas einengend sind. Wer nicht glaubt, dass dieses "Streamlinen" in vielen PbtA-Spielen ein Ding ist, sollte sich mal anschauen, wie Playbooks funktionieren. Trotzdem gilt auch bei PbtA, dass das Spielerelebnis und das Gesamtprodukt in Bezug auf die "gute Geschichte" stark davon profitiert, wenn die Gruppe viel Zeit in Vor- und Nachbereitung (mit und zusätzlich zu den Hilfsmitteln) investiert - ich mache das oft trotzdem nicht, weil ich ein schrecklicher Spielleiter bin, und meine Freizeit zu häufig mit hirnlosem Konsum verbringe, anstatt meine Runden gut vorzubereiten.
Im Gegensatz zu "Team PbtA" nutzt Dramaspiel solche Hilfsmittel nicht - ich nehme an, in irgendeiner Weise zu einschränkend, oder als nicht notwendig empfunden? Ob, warum und welche Hilfsmittel stattdessen genutzt werden (Ratgeber aus dem Buch-/Theater-/Film-Kontext?), ist mir auch noch nicht ganz klar geworden - ich vermute aber, dass es da einfach keine allgemeingültigen, klaren, schematischen Konzepte gibt (wie es Jiba, wenn ich ihn oben richtig verstandnn habe, gerne sehen würde)? Trotzdem fände ich es spannend, noch einen Blick darauf zu werfen, welche Inhalte da wie von wem vorbereitet werden, und wie sich das von "Team PbtA" unterscheidet. Zwei Eindrücke: Ich meine mich erinnern, dass du in der Vergangenheit auch mal eine Lanze für "szenische Vorbereitung" gebrochen hast - szenische Vorbereitung gibt es in PbtA RAW praktisch gar nicht, hier wäre also vermutlich noch ein Unterschied zu finden. Auch die "psychologische" Ausdeutung der Charaktere und der Verbindungen zwischen ihnen scheint mir von dem, was ich von den Tanelorn-Dramarunden mitbekommen habe, einen höheren Stellenwert zu besitzen, als es in den meisten PbtA-Regelwerken anklingt.

Abgesehen davon gibt es innerhalb der PbtA-Familie auch extrem viele Unterschiede, wie das Spieldesign funktioniert, vor allem wenn man "PbtA-verwandten"-Kram wie City of Mist oder Blades in the Dark mit in den Topf wirft. Dungeon World kann man z.B. ziemlich hart mit autoritärem oder autoritärer SL spielen, ohne dass die Spieler:innen viel Gelegenheit haben, über ihre Charaktere hinaus irgendwelchen Input zu geben und ohne gegen das Regelwerk zu spielen. Bei anderen Spielen ist das anders. Soll heißen: Manche Details in Spielweise und -Motivation kann man nicht "Team PbtA" als ganzes anlasten - für die Unterscheidungen, die du hier machst, ist das vermutlich auch nicht nötig, es wird aber oft dazu führen, dass irgendjemand "Das ist aber gar nicht so!" schreit, weil sich das je nach Gruppe und spezifischem System unterscheidet.
Suro janai, Katsuro da!

Offline Lord Verminaard

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #51 am: 20.11.2023 | 20:07 »
Hey Suro, vielen Dank für deinen Beitrag, du hast das bezogen auf pbtA viel besser beschrieben, als ich es könnte, und auch den Unterschied zum Drama-Spiel genau richtig erfasst. Auf einer abstrakten Ebene sind die Prozesse nahezu entgegengesetzt: Bei pbtA nimmt das System als Ausgangspunkt Setzungen vor, die dann von den Spielern mit Inhalt und Sinn gefüllt werden müssen. Beim Drama-Spiel kommen alle Setzungen entweder aus dem Kanon oder von einem Spieler, und müssen von vornherein Sinn ergeben, um überhaupt Berücksichtigung zu finden. Das System wird allenfalls ganz am Ende konsultiert, um Zweifelsfragen zu entscheiden. Insoweit ist Drama-Spiel ganz traditionelles Rollenspiel. Darin liegt der wesentlichste Unterschied. Was die interessante Tangente aufwirft, wie man Runden einordnet, deren Prozess dem Drama-Spiel entspricht, aber bei denen die Art der Vorbereitung und das Maß an Improvisation eher dem gleicht, was ich als "Team pbtA" einsortiert habe (Gruß an Jesto :-* ). Muss ich noch drüber nachdenken.

Zu deiner Frage nach Hilfsmitteln: Streamlining und grobe Vereinfachung verträgt sich in der Tat nicht gut mit Drama-Spiel, weshalb allzu einfache Checklisten und Formulare eher nicht bzw. höchstens als Ideengeber weiterhelfen. Sehr wichtig ist aus meiner Sicht ein Bezugsrahmen in Form von Quellenmaterial, entweder indem man direkt in einem bekannten fiktionalen Universum spielt und sich aus dessen Kanon bedient, oder indem man bezüglich Genre und Stimmung klare Referenzen angibt ("Agenten-Thriller im Jason Bourne Stil" oder ähnliches). Natürlich gibt es auch ein paar originäre Rollenspielsettings, die das leisten, weil sie hinreichend thematisch ausgerichtet sind. Damit hat z.B. die World of Darkness seinerzeit gepunktet. "No Myth" hat es eher schwer, was nicht heißt, dass es nicht in Ausnahmefällen auch funktionieren kann.

Szenische Vorbereitung finde ich ein extrem nützliches Planungstool sowohl für das Pacing, als auch insbesondere als Widerpart zur Backstory. Viele (aber nicht alle) Drama-Spielleiter, die ich kenne, nutzen sie, mit unterschiedlichem Grad an Detail und Struktur. Es ist für mich so ein bisschen wie ein Kochrezept: Wie soll ich ohne Rezept (Szenen) wissen, was ich einkaufen soll (Backstory)? Ich bin dann immer etwas erstaunt, wenn Leute zu mir sagen, Kochen mit Rezept ist doch total langweilig, da weißt du doch vorher schon, was rauskommt. Nicht so genau, wenn ich ein neues Rezept koche, und ich muss es ja auch erstmal hinkriegen, so rein handwerklich. Und ich mache es garantiert sowieso nicht genauso, wie es im Rezept steht, am Ende. Aber ich will ja, dass es geil schmeckt und alles zur richtigen Zeit fertig wird, das kriege ich doch ohne Rezept höchstens hin, wenn ich immer das gleiche koche. Anderen ist vielleicht wichtiger, einfach gemeinsam in der Küche rumzuwerkeln und Spaß dabei zu haben, und dass der Teller auf dem Insta-Post schick aussieht. Die schmecken auch vielleicht gar keinen so großen Unterschied. Was ja auch völlig okay ist, aber ich schmecke nun mal den Unterschied und möchte gerne was Leckeres essen. Ergibt das Sinn?

Beziehungen zwischen den SCs und ggf. ein, zwei Schlüssel-NSCs haben in den besten Drama-Runden, die ich gespielt habe, immer eine große Rolle gespielt, man kann aber unterschiedliche Gewichtungen zwischen Character Arcs und Hauptplot haben. Die magische Zauberformel, was genau ein Beziehungsgeflecht zwischen Charakteren braucht, damit es am Tisch zündet, die habe ich noch nicht gefunden und die lässt sich mit Sicherheit auch gar nicht unabhängig von den Persönlichkeiten der Spieler betrachten. Letztendlich, je mehr Zündstoff in der Ausgangssituation drinsteckt, desto ergiebiger, aber die Spieler müssen es am Tisch dann eben auch anzünden. So gesehen, war der Forge-Begriff vom Frontloading gar nicht mal so unpassend, nur dass er dort eben sehr negativ konnotiert war. Und ehe ich jetzt komplett die Kontrolle über meine Metaphern verliere, höre ich lieber auf. ;D
« Letzte Änderung: 20.11.2023 | 21:28 von Lord Verminaard »
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Offline Alexandro

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #52 am: 20.11.2023 | 20:54 »
Ich wollte damit auch nicht aussagen, dass diese Spieler für alle Ewigkeit weiter als Casual Gamers Rollenspiel spielten. Sicherlich haben die meisten längst wieder aufgehört, oder spielen nur noch sehr sporadisch, wenn ihr alter SL noch mal einlädt. Worum es mir ging war, dass sie jedenfalls nicht anfingen, sich ernsthaft für Rollenspiel zu interessieren.

Das habe ich wie gesagt anders erlebt. Entweder ist der Zauber ihres "alten (autoritären) SL" schnell verflogen (und sie begannen sich ernsthaft dafür zu interessieren, was es sonst noch so im Rollenspiel gibt) oder der Zauber ist verflogen und sie schlossen daraus, dass Rollenspiel generell nichts für sie ist. So unterschiedlich sind die Erfahrungen.

Zitat
Zum Rest: Du gehörst zu den Leuten, die nicht glauben, dass es objektiv gute und objektiv schlechte Drehbücher gibt, und die es für reine Ansichtssache halten, ob eine bestimmte Entscheidung eines Charakters oder eine bestimmte Wendung der Geschichte glaubwürdig ist oder nicht.

Öhmm, nein. Ich weiß nicht, wie du zu dieser Ansicht kommst. Ich lege schon objektive Kriterien an Drehbücher und Charakterentscheidungen an (vielleicht kommt das hier im :t: nicht so rüber, weil (gerade im "Sehen"-Channel) eher emotional bewertet wird und objektive Analysen nicht gewünscht sind - sobald man mal sagt "Das ist objektiv nicht gut" wird das als Abwertung des Gesprächspartners ausgelegt - egal wie irrational dieser argumentiert... und weil ich auf diese Art von "Drama" keinen Bock habe, halte ich mich eher zurück mit dieser Art von Analysen, und schwäche da eher ab).

Ich weiß allerdings nicht, ob die von mir angelegten Kriterien dieselben wie bei dir und deiner Gruppe sind, denn bei
Zitat
Naja, dieselben Kriterien halt, die in der Fachliteratur für professionelle Autoren diskutiert werden.
ist das operative Wort ja "diskutiert": selbst wenn man sich einig darüber ist, welche Kriterien einen signifikanten Einfluss darauf haben, ob ein Drehbuch "gut" oder "schlecht", besteht in den seltensten Fällen Einigkeit über deren Gewichtung.

Zitat
Demnach siehst du auch keinen qualitativen Unterschied zwischen einer erwürfelten überraschenden Wendung, die spontan rückwirkend plausibilisiert wird, und einer sorgfältig vorbereiteten, fest in der Backstory verankerten und planvoll in eine Dramaturgie eingebettete Wendung.

Ebenfalls falsch (deswegen hatte ich mich ja gegen simulative Regeln im Drama-Spiel ausgesprochen).

Bleibt trotzdem die Frage: Wer entscheidet, wann die Wendung ins Spiel kommt? Sind die Spielenden telepathisch vernetzt, oder schmeißt irgendwann einfach eine Person die Wendung rein (weil dey der Meinung ist, jetzt passts' gerade) und wenn keiner widerspricht, dann passiert das so? Fragen über Fragen.

Zitat
Folgerichtig meinst du, dass meine gesamte Spielphilosophie auf Sand und Einbildung gebaut ist.

Hier würde ich ebenfalls sagen, dass du mich missverstehst. Ich glaube durchaus, dass das was du beschreibst für deine Gruppe funktioniert. Aber ohne genauere Details bleibt das was du beschreibst halt nebulös und nicht reproduzierbar. Und damit für Außenstehende wertlos.
« Letzte Änderung: 20.11.2023 | 21:03 von Alexandro »
Wer beim Rollenspiel eine Excel-Tabelle verwendet, der hat die Kontrolle über sein Leben verloren.

Offline Lord Verminaard

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #53 am: 20.11.2023 | 21:22 »
Aber ohne genauere Details bleibt das was du beschreibst halt nebulös und nicht reproduzierbar. Und damit für Außenstehende wertlos.

Ah, fehlende Reproduzierbarkeit. Einstiegshürden. Ja. Das ist der Sache immanent. Das war vielleicht oft ein Missverständnis, wenn ich über Drama-Spiel geschrieben habe, dass es eine allgemeinverständliche Anleitung sein sollte, mit der jeder das zu Hause mal ausprobieren kann. Drama-Spiel bringt keine Geschichten zu dir. Sondern es lässt Geschichten aus dir raus, die schon in dir drin sind. Und ebenso die der anderen Spieler, die sich dann miteinander verflechten. Das ist notgedrungen sehr individuell.

Aber, Vermi, wenn du deine Art zu spielen nicht lehren kannst, warum schreibst du denn überhaupt darüber? Ist das nicht völlig sinnlos? Ich weiß nicht. Hast du den Eindruck, niemand hat aus diesem Thread etwas mitgenommen?
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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #54 am: 20.11.2023 | 21:40 »
Aber, Vermi, wenn du deine Art zu spielen nicht lehren kannst, warum schreibst du denn überhaupt darüber? Ist das nicht völlig sinnlos? Ich weiß nicht. Hast du den Eindruck, niemand hat aus diesem Thread etwas mitgenommen?

Muß denn irgendjemand etwas aus diesem Thread mitnehmen, oder reicht es schon, ihn einfach als eine andere Form von Rant-Faden zu betrachten? :) Will sagen, es ist ja hier im :t: nicht völlig unüblich, daß jemand auch mal einen Faden startet, einfach nur, um sich etwas von der Seele zu schreiben...

Offline felixs

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Re: Full Circle, oder, das Erzählspiel-Missverständnis
« Antwort #55 am: 20.11.2023 | 23:20 »
Ich habe sehr viel mitgenommen. Eher Versatzstücke zwar und der rote Faden fehlt mir. Aber das macht nichts; ich nehme gern auch hübsche Versatzstücke für mein Horizontmosaik  ~;D
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