Disclaimer: Ich habe keine große Ahnung von der (historischen) Theoriedebatte - man sehe mir meine Naivität nach.Hey Vermi, vielen Dank für diese ausführlichen Schilderungen, ich finde das interessant und gut nachvollziehbar
Ich glaube, wenn man den Unterschied zwischen dem PbtA-Spiel und dem Dramaspiel noch weiter herausarbeiten will, sehe ich zwei Richtungen, unterschieden nach:
Im Spiel: Gerade bei "One-Shots" sehe ich deine Unterscheidung zwischen der Ausrichtung auf "Überraschungen für alle von Szene zu Szene" bei PbtA und "Stimmige, abgerundete, dramatische Geschichte als Gesamtprodukt" beim Dramaspiel als Prototypen. Bei "Kampagnen" hat (siehe unten) auch Hilfsmittel, die auf kausale Plausibilität und dramatischen Zusammenhang ausgelegt sind, es bleibt aber im Spiel - denke ich - zumindest ein wesentlicher Unterschied: Die "Moves" bei PbtA führen meiner Erfahrung nach dazu, dass man "Improvisation unter kreativer Einschränkung" betreiben muss. Das passiert dadurch, dass die Moves gewisse Elemente der Handlung festlegen, einen aber dazu zwingen, zu überlegen, wie man das interpretiert, sodass es im Gesamtzusammenhang Sinn ergibt. Für mich entsteht hier eine spannende Herausforderung (die gar nichts damit zutun hat, was man im RPG sonst unter "herausforderungsorientiertem" Spiel versteht), die ich sehr gerne mag. Für Dramaspiel drängt sich hier aber die Spielmechanik in den Vordergrund und führt zu Irritationen, die es bei regelarmen, traditionellen Spielen so nicht gibt.
Vor- und Nachbereitung: Wie andere bereits bemerkt haben, haben auch viele PbtA-Spiele explizit Hilfsmittel, die Plausibilität und Zusammenhang herstellen sollen. Das ist, grob gesagt, wozu all die "Fronts" und "Dangers" und "Grim Portents" und "Clocks" da sind. Nichtsdestotrotz sind diese Hilfsmittel - darüber hast du ja weiter oben schon Worte verloren - dazu da, ein gewisses Erlebnis zu produzieren und zugleich die nötige Vorbereitungszeit zu reduzieren; das erreicht man größtenteils denke ich über genrespezifische Setzungen, die (ähnlich wie die Moves) auch etwas einengend sind. Wer nicht glaubt, dass dieses "Streamlinen" in vielen PbtA-Spielen ein Ding ist, sollte sich mal anschauen, wie Playbooks funktionieren. Trotzdem gilt auch bei PbtA, dass das Spielerelebnis und das Gesamtprodukt in Bezug auf die "gute Geschichte" stark davon profitiert, wenn die Gruppe viel Zeit in Vor- und Nachbereitung (mit und zusätzlich zu den Hilfsmitteln) investiert - ich mache das oft trotzdem nicht, weil ich ein schrecklicher Spielleiter bin, und meine Freizeit zu häufig mit hirnlosem Konsum verbringe, anstatt meine Runden gut vorzubereiten.
Im Gegensatz zu "Team PbtA" nutzt Dramaspiel solche Hilfsmittel nicht - ich nehme an, in irgendeiner Weise zu einschränkend, oder als nicht notwendig empfunden? Ob, warum und welche Hilfsmittel stattdessen genutzt werden (Ratgeber aus dem Buch-/Theater-/Film-Kontext?), ist mir auch noch nicht ganz klar geworden - ich vermute aber, dass es da einfach keine allgemeingültigen, klaren, schematischen Konzepte gibt (wie es Jiba, wenn ich ihn oben richtig verstandnn habe, gerne sehen würde)? Trotzdem fände ich es spannend, noch einen Blick darauf zu werfen, welche Inhalte da wie von wem vorbereitet werden, und wie sich das von "Team PbtA" unterscheidet. Zwei Eindrücke: Ich meine mich erinnern, dass du in der Vergangenheit auch mal eine Lanze für "szenische Vorbereitung" gebrochen hast - szenische Vorbereitung gibt es in PbtA RAW praktisch gar nicht, hier wäre also vermutlich noch ein Unterschied zu finden. Auch die "psychologische" Ausdeutung der Charaktere und der Verbindungen zwischen ihnen scheint mir von dem, was ich von den Tanelorn-Dramarunden mitbekommen habe, einen höheren Stellenwert zu besitzen, als es in den meisten PbtA-Regelwerken anklingt.
Abgesehen davon gibt es innerhalb der PbtA-Familie auch extrem viele Unterschiede, wie das Spieldesign funktioniert, vor allem wenn man "PbtA-verwandten"-Kram wie City of Mist oder Blades in the Dark mit in den Topf wirft. Dungeon World kann man z.B. ziemlich hart mit autoritärem oder autoritärer SL spielen, ohne dass die Spieler:innen viel Gelegenheit haben, über ihre Charaktere hinaus irgendwelchen Input zu geben und ohne gegen das Regelwerk zu spielen. Bei anderen Spielen ist das anders. Soll heißen: Manche Details in Spielweise und -Motivation kann man nicht "Team PbtA" als ganzes anlasten - für die Unterscheidungen, die du hier machst, ist das vermutlich auch nicht nötig, es wird aber oft dazu führen, dass irgendjemand "Das ist aber gar nicht so!" schreit, weil sich das je nach Gruppe und spezifischem System unterscheidet.