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Probier-doch-mal, Systemhopper und Ermüdung

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aikar:
Wen der Titel verwirrt, sorry, ich tu mir da echt schwer es in wenige Schlagworte zu fassen.

Vorweg:
Auslöser war diese Folge des niveauvollen Trashtalks, der ein paar Gedankensteinchen, die schon am Wackeln waren, ins Rollen gebracht hat:
https://www.nerds-gegen-stephan.de/archives/1547-Der-niveauvolle-Trashtalk-55-Die-Medienzukunft-der-Rollenspiele-wie-koennen-sie-davon-profitieren-Podwichteln-2023.html
Kurz zusammengefasst: Eines der Themen in diesem Talk befasst sich mit der Frage "Wie können Indie-Rollenspiele vom D&D-Boom profitieren?"
Die Sprecher kommen zu dem Ergebnis: Gar nicht, die meisten D&D(5)-Spieler:innen (vor allem in den USA) wollen nicht aus ihrer Blase raus. Und da sich 5e-Sachen überproportional gut verkaufen (die Rede ist im Podcast vom Faktor 10) werden halt immer mehr Settings mit 5e rausgebracht als mit einem eigenen System.
Das ganze wird sehr ruhig und konstruktiv besprochen und endet mit dem Shoutout: D&D5-Spieler:innen, probiert doch mal was neues. Ihr anderen: Lasst den D&D5-Spieler:innen ihren Spaß mit D&D5.

Was hatte das jetzt für Folgen bei mir und worüber will ich reden?

Ich spiele jetzt seit knapp 26 Jahren Rollenspiele. VIELE Rollenspiele.
Ich interessiere mich, ich teste neue Sachen.
(Wen es interessiert, hier mal eine ungefähre, sicher nicht vollständige Liste: (Klicke zum Anzeigen/Verstecken)Geleitet (Großteils) oder aktiv gespielt:
DSA1-5
Savage Worlds
Destiny (Beginner)
Barbarians of Lemuria
Fate (in verschiedenen Varianten)
Shadowrun 4 & 5
GURPS
13th Age
D&D5
Mongoose Traveller 1
Numenera (und in andere Cypher-Systeme eingelesen)
7te See
Changeling - The Dreaming
Vampire die Maskerade V3
Warhammer 3e
Warhammer 40k Schattenjäger
Dungeonslayers
Beyond the Wall
Dragon Age
Mutant Jahr 0
Schatten des Dämonenfürsten
Tails of Equestria (My Little Pony)
So nicht Schurke!
Finsterland
Aborea
Hollow Earth Expedition
Dungeon World
Mythos World
Call of Cthulhu
Kleine Ängste
Coriolis
Verbotene Lande
Der Sprawl
Firefly RPG (Cortex+)
Marvel Heroic Roleplaying (Cortex+)
Conan 2D20
DSA Erzählregeln
Star Wars Edge of the Empire
Broken Compass
Star Trek 2D20
Der eine Ring 1 & 2
Avatar Legends

nur kurz reingeschnuppert:
City of Mist, Midgard 4, Gumshoe, Degenesis, DCC, Pathfinder (Viel zu komplex für meinen Geschmack), Doctor Who, Die Schwarze Katze, Shadowrun 3, Shadowrun 6, Hexxen, Splittermond, Ratten!, Dusk City Outlaws

Gelesen und geplant evtl zu testen in der nächsten Zeit
Dragonbane, Cyberpunk Red, Warhammer 4, Earthdawn 4, Legends of the Five Rings 5e, Dune 2D20, Ironsworn, Illaris, Space 1889, Castle Falkenstein, Supers!

Nur gelesen bisher, wird wahrscheinlich auch nicht mehr:
Midgard 4&5, Symbaroum, The Witcher, PDQ#, Mongoose Traveller 2, Legends of the Five Rings 4e, Swords & Wizardry, Earthdawn 2, Opus Anima, Scion, Better Angels, Midgard 1880, Mythras, Open Quest, Runequest 7, Portal, Fragged Empire, Android - Shadow of the Beanstalk, AD&D

Und viele weitere Sachen liegen noch mehr oder weniger ungelesen in der Sammlung.)

Ich bin also wohl das, was man einen Systemhopper nennt und die Antithese zu dem, was im Podcast erwähnt wird. Aber ich merke seit etwa 1-2 Jahren mehr und mehr eine Erschöpfung, was neue Sachen angeht.
Ich konsumiere immer noch viel neues Zeug, aber es ist mehr und mehr nur mehr Gewohnheit, weil ich das halt immer so gemacht habe und ein bisschen selbst anerzogene Panik, was zu verpassen, kein echtes Interesse mehr.

Und wenn ich es jetzt betrachte, haben nur die wenigsten dieser Systeme sich wirklich langfristig gehalten.
D&D5, das Cypher System, die Year Zero Engine und Fate.
DSA nimmt eine Sonderstellung ein, weil ich es lange gespielt und geleitet habe, aber das tatsächlich primär deshalb, weil ich nichts anderes kannte.
Alles andere ist meist nicht über ein paar One-Shots oder höchstens eine Kurzkampagne raus gekommen. Gründe sind Spieler:innenmangel, dass es mich doch nicht so begeistert hat wie gedacht, aber primär einfach Zeitmangel.

Und ich habe gemerkt, dass ich inzwischen mehr davon habe, mit einem System, dass ich schon gut beherrsche, einen Few-Shot, mehrere One Shots oder eine Kampagne durchzuziehen, als mich in 10 neue Sachen einzulesen.

Ein Nebeneffekt meiner bisherigen Herangehensweise ist auch, dass ich zwar viele Systeme rudimentär beherrsche, bei den meisten aber nie System Mastery erreicht habe.
Dazu kommt die schiere Menge an Material in meinem Regal, dass wahrscheinlich nie den Spieltisch erreichen wird, und das Geld das dafür rein geflossen ist.
Letztere Erkenntnis hat mich auch dazu geführt, dass ich inzwischen oft die Finger von System Matters-Produkten lasse, auch wenn mir der Verlag sehr sympathisch und ihre Sachen immer gut gemacht sind. Aber ich weiß, dass ich diese ganzen Spezialsysteme wie SPIRE oder World Wide Wrestling wahrscheinlich nie, oder höchstens 1-2 mal über die Jahre spielen werde. Und dafür gibt man dann doch eine ganze Menge Geld aus.

Dann gibt es noch den Faktor "Hab ich doch alles schon gesehen".
Mir tun immer die Autoren leid, die ihren neuesten Hearthbreaker präsentieren und ich mir nur denken kann: Ich brauch kein weiteres System für klassische Fantasy. Ich hab mir genug davon angesehen und meine Favoriten gefunden.

Ich engagiere mich in einem lokalen lokalen Verein für die Rollenspielszene. Mehr noch, ich habe diesen Bereich des Vereins von der Pike auf aufgebaut und ich bin ziemlich stolz auf das, was wir erreicht haben. Inzwischen haben wir viele engagierte Spielleiter:innen und ein sehr vielfältiges Systemangebot, bekommen ständig neue Spieler:innen dazu und das freut mich sehr.
Aber ich gehe trotz expliziter Einladungen extrem selten in Vereins-Runden (oder Kampagnen) anderer Spielleiter:innen. Ich bin einfach übersättigt.

Ich weiß noch nicht wo mich die nächsten Jahre rollenspieltechnisch hintragen werden. Momentan schließe ich nicht aus, dass ich mich noch weiter auf einige wenige Systeme spezialisiere.
Unter den Kampagnen, die ich in den nächsten Jahren vorhabe, findet sich überproportional viel D&D5-Zeug.
Also um den Bogen zu schließen: Nach all den Jahren und Experimenten, nähere ich mich wieder dem an, was den (vor allem D&D-)Neulingen oft vorgeworfen wird.

Und ich frage mich: Ist es schlimm, dass sie in ihrer Blase hängen?
Natürlich ist es blöd für die Verlage, die ihre Rollenspiele verkaufen wollen, aber für die Spieler:innen an sich?
Klar würde ich allen, die Rollenspiele spielen, aber mit den Regeln nicht warm werden oder mal ein komplett anderes Spielgefühl anstreben, empfehlen, noch was anderes auszuprobieren. Aber wenn sie zufrieden sind? Warum nicht Kampagne um Kampagne und Setting um Setting mit D&D5 bespielen und damit Spaß haben?

Dazu kommt, dass vielen Rollenspielern die eigentlichen Regeln egal sind und sie keinen Spaß daraus ziehen, sich in die Regeln einzuarbeiten. Geschweige denn wieder und wieder aufs neue (Klar gibt es Ausnahmen, aber die Regelfuchser stellen heutzutage wohl nicht mehr die Mehrheit). Und ich verstehe das inzwischen (vor ein paar Jahren hätte ich es wohl noch ganz anders gesehen). Regeln lernen kostet wahnsinnig viel Zeit, die man genauso gut mit Spielen/Leiten/Runden vorbereiten verbringen könnte.

unicum:
Hallochen,...

generell ist dieses "Ermüdung" etwas das ich auch bei mir betrachte - und auch bei dem ein oder anderen in meinem Bekanntenkreis aus dem Rollenspielverein.
Dabei gehöre ich eher zu den leuten die lange Kampangen mit immer dem gleichen Sytem spielen, das sind dann auch zugestanden eher jene Systeme die etwas schwerer in den Regeln sind. (und ja die anzahl der Systeme die ich erworben habe und die unbenuzt herumstehen ist auch bei mir groß genug)

Aber eigentlich war es am Ende der Kampange immer so (und zwar ziemlich egal in welcher Spielerkonstellation) - "Spielen wir was anderes" Das mag nur ganz zu beginn etwas anderst gewesen sein als es eben doch nur D&D gab.

Doch kenne ich auch eine Gruppe von Leuten die recht fest an ihrem System kleben und selbst wenn da ein Wechsel ansteht und die Versionsnummer wie bei Windows hochgezählt wird etwas ärgerlich werden "Wie schon wieder was neues lernen? Das alte funktioniert doch!"

Und ja den Faktor "hab ich alles schon mal gesehen" der ist mir auch schon oft über den Weg gelaufen, man liest was "neues" und denkt sich "ah das ist so wie bei dem anderen Spiel, das ist von hier und das ist von dort nur eben der Mix ist neu nicht die Zutaten (wie beim Kochen und Backen eben). Da ist mir aber auch durchaus bewusst dass das Problem vor dem Bildschirm sizt - wenn man selbst viel kennt dann erkennt man eben auch sehr viel wieder, wir menschen leben von der "Mustererkennung".

Ich glaube zum Teil kann man schon bei dem ein oder anderen von Rollenspiel-burnout sprechen.

flaschengeist:

--- Zitat von: aikar am 26.01.2024 | 09:00 ---Also um den Bogen zu schließen: Nach all den Jahren und Experimenten, nähere ich mich wieder dem an, was den (vor allem D&D-)Neulingen oft vorgeworfen wird.

--- Ende Zitat ---

Mir scheint alle deine Experimente waren nötig und wertvoll, um herauszufinden, was dein Lieblingssystem ist. Dass es für dich am Ende D&D5 wird, konntest du schließlich nicht vorher wissen.


--- Zitat von: unicum am 26.01.2024 | 09:35 ---Und ja den Faktor "hab ich alles schon mal gesehen" der ist mir auch schon oft über den Weg gelaufen, man liest was "neues" und denkt sich "ah das ist so wie bei dem anderen Spiel, das ist von hier und das ist von dort nur eben der Mix ist neu nicht die Zutaten (wie beim Kochen und Backen eben). Da ist mir aber auch durchaus bewusst dass das Problem vor dem Bildschirm sizt - wenn man selbst viel kennt dann erkennt man eben auch sehr viel wieder, wir menschen leben von der "Mustererkennung".

--- Ende Zitat ---

Edit: Guter Punkt, ein System macht ja am Ende der Mix verschiedener Regelelemente aus. Für die Qualität ist also nicht die einzelne Zutat entscheidend, sondern welches Geschmackserlebnis die Gesamtheit der Zutaten schafft.

dicemice:
Ich hatte Ende letzten Jahres ein ähnliches Problem, ausgelöst durch meinen neuen Kalender und eine darin enthaltende Doppelseite wo ich eintragen sollte was ich in diesem Jahr lernen möchte und was meine Ziele für 2024 sind. Mir ist dann nichts eingefallen und ich dachte "Das kann doch nicht sein, wieso bist du so unmotiviert, irgendwas musst du doch wollen" Klassiker wären zB gewesen "ich möchte mir mehr Zeit für mich nehmen", "ich möchte ein Instrument lernen" usw.. Nachdem ich den Jahreswechsel darüber sinniert hatte was ich denn jetzt so in 2024 machen könnte wurde ich ziemlich sauer, und dachte "Darf ich nicht zufrieden sein mit meinem Status Quo?" und wenn ja, warum nicht?

Ich lese deinen Beitrag so, dass du das auch so empfindest, auch wenn es einen anderen Teil deines Lebens betrifft.
Ich hab dann für mich entschieden diesen Optimierungszwang nicht mitzugehen, ich muss mich nicht ständig selbst verbesser. Ich mag mein Leben halt so wie es ist, ich muss da nichts dran ändern und wenn du mit D&D zufrieden bist, wieso solltest du dich dann immer noch um andere Systeme bemühen? Du hast über den Tellerrand geschaut und dort nichts besseres für dich gefunden, das ist völlig legitim.

Boba Fett:
Aikar: Mir geht es sehr ähnlich wie Dir, auch ewiger Systemhopper (aus unterschiedlichen Motiven) und langsam hab ich einfach nicht mehr die Bereitschaft immer alles neu zu erfahren, vor allem, weil eben meistens gar nicht alles neu ist.
Auch ich hab inzwischen eine Handvoll Systeme, um die ich rotiere.

Zu Deinen Fragen: Ist das schlimm? Nö! Denn wir sind in der Menge aller Rollenspiele doch ohnehin nur Exoten.
Und ist es schlimm, dass die anderen einen eingeschränkten Horizont haben, in dem sie aber scheinbar glücklich sind? Eigentlich nicht.
Bei manchen macht es die Kommunikation schwierig, weil die eben gar nicht wissen, was vielleicht alles geht und ihr kleines Problem (dass sie vielleicht mal haben) mit "spiel doch mal XYZ" vielleicht gelöst wäre.
Aber manchmal wünsch ich mir, ich hätte gleich zu Anfang die richtigen drei Systeme gekannt und dann keine Möglichkeit gehabt, was anderes zu kaufen.
Okay, Roland wäre dann arm, aber der Fokus auf das Spiel wäre vielleicht viel konstruktiver und nicht auf "andere Regeln lernen, die doch irgendwo alle das gleiche machen" gewesen.
Ist aber ein großes vielleicht und es ist ja nicht so, dass wir keinen Spaß damit gehabt hätten.

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