Oh, da würde ich stark widersprechen. Im Gegenteil, je weiter Spielmechanik und Erzählung getrennt sind umso schlechter ist es möglich spontane Ideen einzubringen.
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Zum anderem sind spontane Ideen aber an ihre mechanische Relevanz gekoppelt.
Wenn eine tolle spontane Idee prinzipiell das gleiche macht wie die nächste, völlig andere spontane Idee oder gar das gleiche wie jede andere Aktion ist schlichtweg weniger Relevanz gegeben.
Aus diesem Grund sind Unterschiede in der mechanischen Umsetzung der Idee auch etwas was spontane Ideen fördern und Rulings beschleunigen kann. Je mehr Gedanken sich vorab schon jemand über ähnliche Aktionen gemacht hat umso eher lassen sich die Ideen der Spieler auch tatsächlich ins Spiel einbringen.
Ich finde es hier etwas unklar, was du mit "je weiter Spielmechanik und Erzählung getrennt sind" meinst. Ich bin in den letzten Jahren zunehmend auf pbta-Systeme und forged in the dark Systeme gewechselt.
Hier sind Regeln und Erzählung insofern getrennt, da die Regeln keine Auswirkung innerhalb der Erzählung haben, aber insofern miteinander verbunden, weil sie den Flow steuern, wie gemeinsam erzählt wird. Regeln diesen hier in erster Linie dazu, das Gespräch am Spieltisch zu strukturieren.
Was hier an spontanen Ideen eingebracht wird, übertrifft bei weitem alles, was ich in anderen Systemen jemals erlebt habe. Es ist hier für alle Spieler und auch die Spielleitung oft vollkommen unvorhersehbar in welche Richtung sich das Spiel bewegt, gerade weil alle Spieler dazu angehalten werden, spontane Ideen einzubringen.
Das liegt meiner Meinung nach daran: Wenn ich in einem solchen System sage: "Ich greife an", "Ich attackiere den Gegner", "Ich klettere die Wand hoch" [...] um eine zugehörige Aktion auszulösen, dann ist das für alle Beteiligten maximal uninteressant, daher passiert das bei Spielern, die Erfahrung mit solchen Systemen haben nicht.
Die Spieler bauen in jede Beschreibung schon mehr spontane Ideen ein, als das bei "regeldichten" [1] Systemen erlebt habe, auch weil sie i.d.R. das Konzept von "narrativer Wahrheit" benutzen können, ohne dabei mit Regeleinschränkungen oder Settingeinschränungen in Konflikt zu kommen.
Und dadurch, dass die Spieler gezwungen sind, so detailliert zu erzählen, ergeben sich gleichzeitig auch Möglichkeiten mit der andere Spieler oder der Spielleiter an diese Erzählungen anknüpfen können.
Die Art wie Spielzüge definiert sind, unterstützt dies ja auch. Wenn ich z.B. gezwungen bin den Spieler vor eine harte Entscheidung zu treffen oder einen Spielleiterzug durchzuführen, dann ergibt sich darauf fast immer eine Situation am Spieltisch, die das Spiel in eine spontan und unerwartete Art in eine neue Richtung lenkt. Und dies wiederum schafft Möglichkeiten für Spieler, selbst wieder kreativ anzuknüpfen.
Einige der Grundideen von dieser Art moderner, narrativer Systeme findet man daher in abgewandelter Form auch im Improtheater wieder (Zug-um-Zug, "Ja und...", "Fehler willkommen heißen", ....).
[1] Das Wort "regeldicht" in Anführungsstrichen. Was ich oben geschrieben habe,habe ich in ähnlichem Maße für Dungeon World, Blades in the Dark und City of Mist erlebt, obwohl die Systeme eine ganz unterschiedliche Regeldichte besitzen.
Noch ein Wort zum Satz:
"Zum einen kostet jedes Ruling Zeit. Zeit die teilweise auch noch mit Diskussionen über dieses Ruling verbracht wird statt mit Rollenspiel. "
Das hängt auch etwas davon ab, was geregelt werden soll und was das Ergebnis des Rulings ist: In pbta/forged Systemen hatten wir oft auch Metadiskussionen. Aber diese Diskussionen haben dann oft nicht nur eine Regel klargestellt, sondern haben dazu beigetragen, dass wir herausgefunden haben, was uns am Spielen eigentlich wichtig ist.