Ich bin seit Anfang der 80er in der Rollenspielszene unterwegs. Damals war der Zugang zu Illusttrationen reichlich kompliziert, so dass in Fanzines sowie selbstveröffentlichten Abenteuern oder Kulturbeschreibungen oft amateurhafte Illustrationen verwendet wurde. Letztlich wurde derdie beste ZeichnerIn des Freundeskreises, der Gruppe, des Vereins oder der Klasse verhaftet, um Zeichnungen für die Cover oder die Innenillustrationen anzufertigen.
Und ich sage es mal so: Diese Zeichnungen waren dann im Vergleich zu den Leistungen im eigenen Kunstkurs ganz gut oder überdurchschnittlich, sie waren passabel oder sie schrabbelten an der ästhetischen Schmerzgrenze entlang, an der man sich fragte, ob kein Bild an der Stelle nicht die bessere Wahl gewesen wäre.
Aber egal: Unter den Blinden ist bekanntlich der Einäugige König, also wurde viel künstlerische Hausmannskost in den Druck gegeben.
Das änderte sich meiner Meinung nach rasant, als das Internet als Medium immer mehr an Einfluss gewann: Erstens werden meine Bilder einer wesentlich größeren Schar von BetrachterInnen gezeigt. Zweitens gibt es die niederschwellige Möglichkeit zu einem (schlechten / kritischen) Feedback. Und drittens stand man auf einmal in einer ganz anderen Konkurrenz.
Dazu kommt, dass sich die Qualität der Druckwerke wesentlich verbessert hat: Die ersten Fanzines wurden an der Schreibmaschine geschrieben. Dann wurde am Computer layoutet und mit einem vernünftigen Satz und Schrifttypen gearbeitet. Inzwischen ist Farbe mit all ihren Möglichkeiten der Standard. Und jetzt kommt auch noch die Bildgeneration per KI. Das alles lässt hausbackene Zeichnungen im allgegenwärtigen Vergleich um so schäbiger aussehen. Und niemand, wirklich niemand zeichnet oder malt irgendwas und geht damit an die Öffentlichkeit, um sich zu blamieren.
Gibt es mehr talentierte Schreiberlinge als Pinselinge? Ich würde mal sagen: Grundsätzlich schon mal Ja. Malen ist eine relativ isolierte, spezielle Fähigkeit, in der sich vergleichsweise wenig Leute regelmäßig üben. Schreiben hingegen muss ich in der Schulzeit ungleich häufiger und dann immer wieder in verschiedensten Kontexten. Man kann zum Schreiben über seine Kreativität kommen oder über Referate und Sachtexte. Oder man nutzt Schrift doch häufig als Mittel zum Zweck. Man befasst sich zudem theoretisch mit Texten, in dem man Rollenspielregelwerke studiert und deren Menschanismen zu verstehen sucht. Wer guckt sich mit technischem Interesse eine Illustration an?
Dann: Wenn ich im Rollenspielbereich ein Fan-Projekt starten will und meine Ideen umsetzen möchte, dann muss ich was schreiben, sonst gibt es kein Projekt. Wenn ich mich künstlerisch austoben möchte, kann ich frei meine Bilder malen. Und ist das nicht eigentlich viel befriedigender, als die Lücken in einem Text innerhalb eines Korsetts fremder Gedanken zu bebildern? Und ganz ehrlich: Wenn ich einen kreativen Stau mittelmäßiger Rollenspielideen habe, dann lasse ich mich doch von meinen eigenen begrenzten Fähigkeiten im Schreiben nicht aufhalten, mich zu verwirklichen. Als MalerIn suche ich mir aber dann doch lieber andere Kanäle und Plattformen.
Letzter Grund: Einen wirklich schlechten Text erkennt man wahrscheinlich schon nach ein paar Zeilen. Ein mittelmäßiges Rollenspielsystem oder Abenteuer vielleicht erst nach einger Lektüre. Da sind wir weit weniger kritisch als bei Illustrationen. Oder ich sauge aus einem nicht so toll geschriebenen Abenteuer immer noch die ein oder andere geniale Idee und bin zufrieden. Ein Bild verrät selbst kleinere Schwächen fast immer auf den ersten Blick: Falsche Perspektiven, miese Technik, begrenzte künstlerische Möglichkeiten und daher eine steife oder sich wiederholende Komposition der Figuren .... und sofort sieht das Ergebnis laienhaft und billig aus. Und wie gesagt: Dazu der allgegenwärtige Vergleich mit der professionellen Meisterklasse aus dem www oder einer sich rasant weiterentwickelnden KI-generierten Konkurrenz.
Das alles führt dazu, dass der Standard oder die Erwartung an Illustrationen im Laufe der Jahre so gewaltig angestiegen ist, dass Bilder, die vor 5 oder 10 oder 20 oder gar 40 Jahren noch anstandslos geeignet gewese wären, heute ein peinlicher Schandfleck in einem selbstgeschriebenen Werk wären. Also bleiben solche Werke heute und damit auch ein großer Teil der KünstlerInnen außen vor.