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[Ich erzähle euch von] Tierras Quebradas

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Swanosaurus:
Ein bisschen weitergekommen bin ich:

Das Erfahrungssystem hat bei mir einen guten Eindruck hinterlassen - sehr BRP- oder Ars-Magica-verwandt, d.h. Schwerpunkt liegt auf Erfahrungsmarkern und zeitabhängigem Downtime-lernen, XP/Level gibt es in dem Sinne nicht (nur ein paar freie Steigerungen am Abenteuer-Ende).
Eine erfolgreich eingesetzte Fertigkeit erhält wie bei BRP eine Markierung; am Ende der Sitzung wird die Markierung in einen XP für die Fertigkeit umgewandelt (sodass man auf diese Weise nie mehr als einen XP pro Fertigkeit pro Sitzung erhalten kann). Übertreffen die XP das bisherige Fertigkeitsniveau, steigt die Fertigkeit um 1 und die XP werden wegradiert.
Am Abenteuerende gibt es üblicherweise freie XP, abhängig davon, wie viel eigene Persönlichkeitsmerkmale abgehakt wurden (also im Spiel aufgetaucht sind).

In der Downtime zwischen zwei Abenteuern sind üblicherweise zwei Unternehmungen möglich, darunter fällt auch Selbststudium und Unterricht bei Lehrmeistern. Im Selbststudium können Bücher verwendet werden, dafür gibt es auch recht einfache Regeln (die Bücher haben im Prinzip ein Reservoir an XP, das dann irgendwann aufgebraucht ist, und man muss eine Probe abhängig von der Schwierigkeit des Buchs schaffen, um etwas daraus zu lernen). Die Lehrmeister-Regeln sind etwas komplexer (und meine spontane Idee dazu war, Lehrmeister auch einfach als Bücher zu behandeln ...). Schönes Detail ist, dass Bücher auch zur Probenvorbereitung verwendet werden können (habe ich so erst selten in RSPs gesehen).

Erfahrungsregeln gefallen mir insoweit sehr gut - einfacher als bei BRP und ohne so viel Gewürfel, aber dem gleichen Grundgedanken folgend.


Kampf:
Hier eiert das System ein bisschen - die Initiative wirkt erst einmal wie ein recht starres Phasensystem (erst vorbereitete Fernkampfangriffe, dann Nahkampf ohne Bewegung, dann NK mit Bewegung, dann längere Aktionen. Bei der weiteren Lektüre wurde mir dann klar, dass der Grundgedanke aber eher ist, dass die SL das als Richtlinie verwendet und auf der Grundlage schlicht die Aktionsreihenfolge festlegt.
Das Nahkampfsystem basiert auf vergleichenden Angriffswürfen von Kampfpaarungen, d.h. es gibt keinen Attacke-Parade-Zyklus, sondern beide machen ihre Angriffswürfe, und der höhere kommt durch und richtet Waffenschaden+überzählige Erfolge-Rüstung an. Wunden haben recht schnell Abzüge durch Zustände zur Folge. Es gibt natürlich Optionen wie defensiv kämpfen; beim Kampf gegen mehrere Gegner zählt der eigene Wurf gegen alle Gegner als Verteidigung, die sie übertreffen müssen, aber man richtet nur bei einem Schaden an. (Es gibt allerdings einen happigen Überzahl-Bonus von +2 pro überzähligem Gegner). Insgesamt mutet das recht tödlich an, und wegen der relativ geringen Würfelspanne vermute ich auch, dass es klare Überlegenheiten und Unterlegenheiten geben wird (die aber durch explodierende Würfe evtl. dann doch wieder aufgebrochen werden können).
Gefällt mir auch erst mal recht gut - ein bisschen viele Spezialmanöver gibt es für meinen Geschmack, das kann ich mir definitiv nicht alles merken. Und das Grundkonzept hätte etwas klarer dargelegt sein können.
Im Prinzp ist das ein gritty Kampfsystem, das glaube ich auch sehr unvermittelt tödlich enden kann und in dem Verletzungen lange nachwirken - gar nicht so unähnlich vielleicht zu MERP/Darkmaster, aber mit weniger Buchhaltungsaufwand.

Swanosaurus:
Um TQ auch mal zu leiten, habe ich jetzt das Abenteuer "El Tercer Triangulo" (Das dritte Dreieck) aus dem Band "Bajo los Señores Dragón" (Unter den Drachenherrschern) gelesen. Das Abenteuer spielt in Merendrak, dem Land der Drachenherrscher, die eine mystische Auslegung des Chaoskults etabliert haben, in der das Chaos vor allem mit spiritueller Einkehr und Weiterentwicklung der Persönlichkeit zu tun hat. Magie ist in Merendrak nur den "Halbdrachen" der Herrscherkaste gestattet. Es gibt eine tilesische Minderheit (die Volksgruppe, die auf der anderen Seite des Meeres im verfeindeten Patriarchat vorherrscht) von ehemaligen Kolonialherren, die in Merendrak einerseits oft relativ wohlhabend ist, andererseits im Verdacht steht, heimlich die Ordnung zu verehren und für das Patriarchat zu arbeiten.

Die Charaktere sollen im Auftrag des Gouverneurs einer anonymen Denunziation einer tilesischen Familie von Stoffhändlern nachgehen - und zwar still und leise, damit es keine politische Unruhe rund um die tilesische Minderheit gibt ...

(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)Tatsächlich können die SC in Erfahrung bringen, dass besagt Familie das Oberhaupt eines geheimen Ordnungskults ist. Durch die Verkehrung der üblichen Rollen Chaos=Böse und Ordnung=Gut kommt aber ein kleiner Twist rein; die Charaktere stehen zwar eindeutig auf Seiten eines nicht bösen (aber auch nicht besonders guten) Chaos, aber die Gegenseite ist halt auch nicht böse - das ist einfach eine Familie einer stigmatisierten Volksgruppe, die ihre Traditionen pflegt. Allerdings versucht das Patriarchat auch, den Familienvater als Spion zu werben, er könnte also zur realen Gefahr für die Regierenden werden ... der Denunziant ist übrigens der zwölfjährige Sohn der Familie, der gerade in den Kult eingeführt wurde und total schockiert über die illegalen Machenschaften seiner Eltern ist.

Der Ordnungskult trifft sich in einem durch ein magisches Tor zu erreichenden Tempel auf einer Ordnungsebene, der sehr cool atmosphärisch beschrieben ist: Eine Pyramide, die im leeren Raum um eine blasse Sonne schwebt. Die Ebene wurde vor Urzeiten vom "Ritter des Nichts" so zugerichtet, einer Ordnungs-Wesenheit, die alles Leben dort zerstört hat. In dem Tempel hat der Ritter des Nichts ein Kristall-Saatkorn hinterlassen, aus dem er erneut erstehen kann, um eine weitere Welt zu "ordnen". Natürlich bietet ein Auftauchen der SC ihm Gelegenheit, möglicherweise in einen von ihnen einzufahren und sich die TQ vorzunehmen ...

Das Abenteuer besteht aus Schauplatzbeschreibungen (Das Haus der Zielfamilie und der Ordnungstempel), NSC-Beschreibungen und einigen Absätzen zu möglichen Verläufen und zum Vorgehen der Beteiligten, ist also sehr klassisch und weckt wirklich ganz starke Stormbringer-Nostalgie. Nimmt man die vorgefertigten Charaktere hinzu - darunter ein staatstreuer, überassimilierter Angehöriger der tilesischen Minderheit und eine Chaosgläubige, die allerdings verbotenerweise Magie verwendet -, dann gibt es wirklich extrem viel Konfliktpotenzial auch innerhalb der Gruppe, das sollte mit den Spielern entsprechend vorab erörtert werden. Insgesamt ist das Abenteuer ein tolles Beispiel dafür, wie mit ein paar Schauplatz- und NSC-Beschreibungen und ein paar vorgefertigten NSC das Saatkorn für eine tolle, charakterzentrierte Geschichte gelegt werden kann, ohne viel Vorgaben zu schreiben oder viel Text darüber zu produzieren.

Swanosaurus:
Ich habe das Grundregelwerk jetzt fast durch und bin wirklich sehr angetan. Das System ist traditionell, liest sich aber sehr brauchbar - in der Philosophie sehr nah an BRP (In-Game-Charakterentwicklung, sehr tödliche Kämpfe, Simulationismus in Maßen), aber ein bisschen stromlinienförmiger. Nur das Kampfsystem wirkt wie gesagt holperig in der Darstellung (in der Umsetzung könnte ich mir vorstellen, dass es funzt).

Das Setting ist wirklich schön weird Moorcockesk (stelle ich jetzt auch gerade wieder beim Bestiarium fest, wo es z.B. ein Dämonenvolk intelligenter, fluoreszierender Riesenwespen gibt). Für mich genau die richtige Mischung aus Originalität und innerer Konsistenz, die nicht zwanghaft findet, jedes erdenkliche Charakterkonzept bedienen zu müssen, aber mehr als genug Freiheit und Anregungen bietet. Das große Settingthema - verschiedene Ausprägungen von Ordnung und Chaos, mit allen Grauschattierungen auf beiden Seiten - ist gut umgesetzt; genau wie bei Moorcock manchmal ein bisschen schematisch in der Beziehung, aber trotzdem kommen interessante Sachen dabei raus.

Letztendlich hat mich das nach vsD mal wieder darin bestärkt, dass ich meistens doch was "eigentlich wie aus den 90ern", nur in kompakter, möchte.

Swanosaurus:
Habe vorgestern das oben beschrieben Szenario "El Tercer Triangolo" als One-Shot auf einem offenen Abend mit drei Spieler*innen geleitet - es war eine wunderbare Runde, alle haben sich superschnell in ihre Charaktere eingefunden, die alle interessante Konflikte mit sich rumgetragen haben, die zum Abenteuer passten (eine innerlich gleichzeitig rebellische und unsichere Angehörige der Herscherkaste, ein in Sachen Assimiliation überkompensierender Angehöriger einer ethnischen Minderheit, um die es im Abenteuer geht, eine treue Staatsdienerin, die aber verbotenerweise insgeheim Magie praktiziert). Eine Familie, die im Verdacht stand, einem verbotenen Ordnungskult anzuhgehören, musste unter die Lupe genommen werden; die Gruppe fand die Familie nach dem ersten Kontakt recht sympathisch. Sie haben dann entdeckt, dass eine aus der Runde einen Besessenheitszauber auf dem Charakterbogen hat und den glatt benutzt, um für eine Stunde einen Familienangestellten zu übernehmen, sind dann auf einer gespenstischen Ordnungs-Ebene an Bord einer im leeren All schwebenden Pyramide von einem Widderautomaten fast gekillt worden, ein Gruppenmitglied ist selbst von einer apokalpytischen Ordnungs-Entität übernommen worden, konnte aber von den anderen überwältigt werden ... dann war die Zeit um, eigentlich war's ein Cliffhanger, weil unklar blieb, was aus der Besessenen wird.

Das Regelsystem ging überraschend locker von der Hand; der eine Kampf war megaspannend, weil Kämpfe halt einfach tödlich sind, mechanisch aber nicht allzu vielfältig; da hätte das System eventuell noch mehr hergegeben, wenn ich es besser überblickt hätte - kann aber auch sein, dass es im Prinzip mehr oder weniger beim Würfel-Schlagabtausch bleibt und letztendlich nicht so viel an sinnvollen Taktiken möglich ist.

Selbst dann wäre es für meinen Geschmack immer noch ein sehr brauchbares System mit wirklich cooler Lore.

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