Schön, dass ihr euch hier so produktiv beteiligt
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[Ich hab das XYZ mal eingefügt.]
Eine Balancing Bewertung benötigt immer ein Bezugssystem.
Das Boot in der Werft säuft auch nicht ab. Erst in Bezug mit Wasser wird es möglicherweise kentern. Wird es fürs Museum gebaut...
Und daß bestimmte XYZ Standardplots zerschießen können, die für Settings und Figuren ohne XYZ erfunden worden sind (klassischer Fall: Mördersuche mit Telepathie oder der Fähigkeit, das Opfer nachträglich selbst zu befragen), ist auch eine einigermaßen banale Erkenntnis. Davon sind diese XYZ ihrerseits auch nicht automatisch imba, sondern passen zunächst mal einfach nur nicht zu dieser ganz speziellen Art von Szenario -- beziehungsweise das Szenario halt nicht in ihre Welt.
Also, ja: context matters.
Dieser Aspekt wurde oft genannt, daher noch ein paar Gedanken und Klarstellungen meinerseits: Balancing macht natürlich nur Sinn, wenn die Regeldesigner reflektiert haben, welche Herausforderungen bei ihrem Spiel im Zentrum stehen. Andernfalls kann ich nämlich die (relative) Nützlichkeit von Charakteroptionen gar nicht bewerten. In meiner Definition fiel das unter den Begriff "Nische". Je wichtiger ein bestimmter Herausforderungstyp in einem Spiel ist, desto mehr Nischen in der Nische (respektive Unterkategorien) sind für effektives Balancing relevant. Ist in einem System Kampf wichtig, dann gibt es z.B. nicht nur die Nische Kampf sondern innerhalb der Nische Kampf beispielsweise noch "Tank", "Striker", "Supporter" oder "Controller". Ein Spiel, in dem das Lösen von Kriminalfällen oder das Aufdecken von Intrigen im Mittelpunkt steht, hat ganz andere Nischen.
Weil ich es für so wichtig halte, einmal mehr: Man kann sich im Rollenspiel viel Kummer ersparen, wenn man ein zu den "Lieblingsherausforderungen" der Gruppe passendes Spiel wählt. Aber woran erkenne ich, ob ein Spiel zu meinen Präferenzen passt? Ein guter Hinweis wäre der Anteil der Regeln für bestimmte Herausforderungskategorien. Wenn ich Detektivgeschichten lösen will, hilft mir ein Blick auf die Länge des Kampfkapitels und die Charakterfähigkeiten einer beliebigen Klasse, um D&D 5 wieder ins Regal zu stellen, Private Eye herauszuholen, und seinen Umschlag zu küssen. Für Gruppen die Herausforderungen zweitrangig finden, weil der Hauptspaß aus Interaktion der Charaktere untereinander bzw. mit NSCs sowie dem (kollaborativen) Erschaffen einer guter Geschichte stammt (narrativer Schwerpunkt), gibt es wiederum schöne Systeme, die diesen Schwerpunkt mit geeigneten Werkzeugen unterstützen (z.B. PbtA oder Cortex Prime).
Den Konflikt mit einer Wache per Kampf oder auf "sozialem" Weg zu lösen, sollte bspw. im Idealfall vergleichbar schwierig sein; erstmal unabhängig davon, ob das jetzt konkret über Waffeneinsatz, Magie oder mit technischen Hilfsmitteln erfolgt. Erst dann kann man auf den konkreten "Lösungsweg" schauen und muss zusätzlich dafür sogen, dass hier nicht eine Methode deutlich stärker ausfällt. - Ganz besonders natürlich, wenn diese nicht grundsätzlich allen SCs (potentiell) zugänglich ist, was ja idR der Fall ist.
Wenn ich dich richtig verstehe, willst du darauf hinweisen, dass ein System transparent bezüglich der Relevanz seiner Nischen sein soll? Dem stimme ich zu, wenn es soziale Fertigkeiten etc. gibt (implizit also die Nische "soziale Herausforderungen"), sollte deren Anwendung auch dazu geeignet sein, Herausforderungen wie "Wache überreden" zu bewältigen. Und wenn es "Schlösser öffnen" gibt soll das ebenfalls effektiv sein und zudem nicht durch einen Zauber vom Typ "Knock" trivialisiert werden.
Zed bringt das ja immer mal wieder ins Spiel: Es ist ein Paradebeispiel für schlechtes Balancing, wenn viele "mundane" Fertigkeiten durch Zauber de facto überflüssig gemacht werden.
ich glaube, es gibt zwei Gedankenschulen zum Thema:
- Balancing als "vergleichbar für einen fairen Kampf" - zwei Figuren mit gleichem Level sollten in der gleichen Gewichtsklasse antreten können und der daraus resultierende Kampf ist "fair". So wie bei Tabletops Armeen Punktwerte haben, und gleicher Punktwert signalisiert, dass die Chancen für beide gleich sind.
- Balancing als "gleich gut fürs Spielerlebnis". Da kommen Begriffe wie Spotlight und so ins Spiel.
Ich persönlich finde fürs Rollenspiel den zweiten Balancing Begriff wichtiger, selbst wenn im 1:1 Kampf ggfs. die eine Klasse mit der anderen den Boden aufwischen könnte.
Ich behandle in meiner Definition den ersten Aspekt. Der zweite Aspekt ist aus meiner Sicht aber teilweise mit dem ersten verbunden: Wenn im ersteren Sinne gutes Balancing für die vom Spiel fokussierten Nischen geleistet wurde, dann können alle viel zur Bewältigung typischer Herausforderungen beitragen, was ihnen wiederum Spotlight sichert. Jenseits davon ist eine für die Spieler angenehme Spotlightverteilung aus meiner Sicht vor allem eine Frage der Spielleiterkompetenz.
Ja, es ist auch Aufgabe der Spieler, für eine gute Atmosphäre am Tisch zu sorgen - also z.B. nicht den stage hog zu machen, wenn das Spotlight gerade auf einem Mitspieler liegt.
1) Gutes Balancing muss es erlauben, Verteilungen von Charakteroptionen zu ermöglichen, die bei keinem der Spieler Unzufriedenheit verursachen.
2) Gutes Balancing muss mit unterschiedlichen gewählten Charakteroptionen realisierbar sein.
Diese Definition klingt für mich unpraktikabel: Die subjektive Zufriedenheit hängt mit individuellen Präferenzen zusammen. Kein System kann aber alle Präferenzen abdecken (s.o.). Und wenn Gruppen Systeme wählen, die für ihre Präferenzen ungeeignet sind, kann ich das schlecht dem Spiel anlasten. Ebenso wenig kann ein System es lösen, wenn die Präferenzen in der Gruppe zu stark voneinander abweichen.
Gutes Balancing liegt dann vor, wenn kein Spieler mit seiner gewählten Charakteroption dauerhaft unzufrieden ist, weil er hinsichtlich seines Spielerlebnisses mit einer anderen Charakteroption dauerhaft bessergestellt wäre.
Wäre demnach schlechtes Balancing, wenn ein Spieler gerne eine Kampfsau wäre und deswegen in einem System mit Kampffokus einen Krieger spielt, dann aber unzufrieden ist, weil der Tiermeister mit seiner Großkatzenfamilie im Schlepptau alle Kämpfe dominiert? Dem wiederum stimme ich voll und ganz zu.
Zum Schluss noch einige Überlegungen zum Thema "
Faktoren, die gutes Balancing schwierig machen":
1. Je mehr Charakteroptionen ein System anbietet, desto schwieriger ist das Balancing, da mit steigender Anzahl an Optionen immer mehr Wechselwirkungen zwischen den Optionen ("Kombos") zu berücksichtigen sind.
2. Ein System ohne Klassen ist ungleich schwerer zu balancen. Klassen engen künstlich ein und erlauben aus dem gleichen Grund effektiven Nischenschutz. Man kann dann natürlich immer noch den Fehler machen, dass Zauberklassen einfach besser als alle anderen sind
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3. Somit kommen wir zu diesem Punkt, nämlich dass Systeme mit Magie schwerer zu balancen sind als solche ohne Magie(äquivalente). Dies gilt ganz besonders für klassenlose Systeme, in denen jeder Charakter durch entsprechende Charakterentwicklung Zauber lernen kann.
Man, da habe ich mich mit DuoDecem echt effektiv selbst gef***t - Mittelgewicht, freie Charakterentwicklung ohne Klassen und natürlich als Fantasy-Universalsystem inklusive vieler Zauber. Offenbar habe ich doch eine versteckte masochistische Ader
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