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[Werewolf: The Apocalypse | Ironsworn] Wyldreise

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Ein großer, breitschulteriger Mann mit schwarzem Lockenbart und einer kleinen, goldgeränderten Brille steht auf den Stufen, umgeben von seinem Gefolge, und blickt auf die ärmlich gekleideten Neuankömmlinge herab.
„Die Totems haben Euch sicher hierher geführt, Gesandte der Knochenbeißer! Sagt, seid Ihr wohlbehalten … und bringt Ihr den Verlorenen Welpen?“, seine Stimme ist sehr tief, sein Ton förmlich und irgendwie kalt.
Simon antwortet, „Mister Malgrimov, nicht wahr? Ja, alles gut. Ich bin Simon No-Trust-For-No-One, und das ist mein Rudel, das Six o' Clock Carjack Pack! Wir haben mehrere unserer Blutsgeschwister aus Detroit dabei, und die neu Erwachte.“
„Sprichst Du als das Rudel-Alpha, No-Trust-For-No-One-yuf?“, fragt Mister Malgrimov, und rückt skeptisch an seiner kleinen Brille.
„Äh, yo. So ist das.“
„Wir kennen die Geschichten über Dich. Dann ist es wahr, und der Ragabash ist der Leitwolf in Eurem Rudel?!“
„Klar, Chef ist bei uns, wer die schnellsten Entscheidungen treffen kann, Mister Malgrimov. Und das bin ich.“
„Ihr amüsiert mich wie immer, Knochenbeißer. Wohlan! Für die, die mich noch nicht kennen: Ich bin Jaromir Twilight-Cloak. Der Hausherr. … Verlorener Welpe, komm' näher, lass' Dich ansehen.“



Jaromir Malgrimov, Twilight-Cloak, Theurge der Schattenherrscher


Ribkick stupst Zoe in den Rücken, damit sie sich in Bewegung setzt. Vorsichtig geht sie die Stufen hinauf. Jaromir Malgrimov mustert ihr Gesicht, und schnuppert in ihre Richtung. Fast sieht er aus, als wolle er mit der Hand ihren Kiefer umfassen, ihren Kopf hin und her drehen, und ihr dann ins Maul schauen wie einem Pferd.
„… Hmmm. Wie heißt Du, Kind?“
„Äh, Zoe Matherson.“
„War Dein Erwachen ein Gutes?“
„Mein Erwachen?“
„Dein Erster Wandel, Kind. ... Welche Art Welt erblickten Deine Augen in jener Nacht.“
Dies kommt Zoe wie eine Rätselfrage vor, eine Art Test vielleicht, oder zumindest eine Fangfrage.
„Kann ich nicht beantworten, glaube ich ... ich bin nicht so philosophisch drauf, äh ...“
„Welcher Art Erwachen! In welche Art Welt?“, wiederholt er, eine Nuance lauter, ungeduldiger.
„Ich habe keine gute Antwort auf Ihre Frage, Sir! Seither war alles ... grausam und schön.“
„Das ist eine gute Antwort“, knurrt er.
Der Bärtige hebt den Kopf und wendet sich wieder an alle: „Ihr seid weit gereist, und sicher erschöpft. Kommt herein, damit wir Euch bewirten! Die Nacht ist jung, und wir sind begierig darauf, die Erzählungen von Eurem Weg hierher zu hören! Mein Sohn Novak ist ein Dreiviertelmond, er wird alles genau memorieren, was ihr berichtet, damit er zu Eurem Ruhm und Ansehen beitragen kann, für alle Großtaten, die Euch gelungen sind, jeden zerschmetterten Feind — und zu Eurer Schmach für jede begangene Sünde. Großvater Donner wacht über Euch, während Ihr unsere Gäste seid, so wie seine Sturmkrähen, und wie natürlich auch wir, der Stamm der Schattenherrscher. Tretet ein!“

Das Innere des alten Herrenhauses ist düster und prunkvoll. Es gibt zwar elektrischen Strom, aber alle Lichtschalter sind alt, aus gelblich angelaufenem 70er-Jahre-Plastik. Nur wenige Geräte sind überhaupt zu entdecken, die außer den Deckenlampen damit betrieben werden. Alles ist etwas heruntergekommen, ein kleines bisschen baufällig. Immerhin sind die Flure und Haupträume schön warm geheizt. Spinnweben hängen in vielen Räumen unter der Decke. Zoe weiß nicht recht, ob sie es heimelig finden soll, oder gruselig. Die meisten der Knochenbeißer waren ebenfalls noch nicht hier und sehen sich ähnlich betreten um, während sie alle den Korridor entlang geführt werden, mit gemischten Gefühlen. In einigen Gesichtern steht der deutliche Wunsch, lieber im Van zu warten — wenn nicht die Versprechung einer Gratis-Mahlzeit wäre …!

Zoe fühlt sich unterwegs beäugt von der Traube aus neugierigen Hausbewohnern. Besonders ein blassgesichtiges Geschwisterpaar kann offensichtlich seine Neugierde ihr gegenüber kaum beherrschen. Die Bewohner tragen teilweise sehr altmodische Kleidung, Jagdanzüge und barocke Rüschen scheinen hier als große Mode empfunden zu werden. Alle Aufmachungen sind jedoch ein wenig abgetragen.



In einem halbdunklen Esszimmer ist bereits eine lange Tafel aus dunklem, zerkratzten Kirschholz gedeckt worden.
„Ach Du Scheiße“, wispert Kylah, aber so, dass nur Zoe neben ihr es hören kann.
Zoe fühlt dasselbe, sie fragt sich, ob ihre Tischmanieren ausreichen für ein Abendessen wie dieses, sie ist doch trotz allem verdammt nochmal nur ein Videoverleih-Girl, nichts weiter!

Wenig später sind alle Plätze zugewiesen, und alle Exzentriker sind um die Tafel verteilt, insgesamt 25 Personen, inklusive der schmuddeligen Gäste. Hausdiener schenken allen Wasser und dunklen Rotwein ein, von dem Zoe in ihrer Nervosität ein paar Sekunden lang paranoid annimmt, dass es Tierblut sein muss. Sie ruft sich selbst innerlich dazu auf, jetzt keinen Film zu fahren, das hilft ganz bestimmt nicht.
Am Kopf der Tafel sagt Mister Malgrimov in seiner tiefen Stimme, „Chessa hat sich jüngst für unseren Stamm bewiesen, und erhält dadurch die Ehre, für uns das Tischgebet zu sprechen“, und er macht eine auffordernde Handgeste in ihre Richtung.
Chessa, die eine der blassgesichtigen Geschwister mit den rabenschwarzen Haaren, sieht erfreut aus, schaut stolz in die Runde, und erneut trifft sie dabei den Blick von Zoe, mit einem kleinen Grinsen. Dann faltet sie die Hände, und sagt laut: „Alles Hungern, das uns treibt / Still'n wir mit der Beute Leib / Alles Dürsten, das wir fühlen / Still'n wir durch Mutter Gaias Willen / Wir bitten Sie, sei' uns'rem Haus / Ein steter Gast, nachtein, nachtaus / Und hilf', dass wir der Gaben wert / Die Ihre Güte uns beschert. … Danke, Erdmutter, für die Jagdinstinkte und für die scharfen Krallen, die Du uns gabst! Dank sei' auch Dir, unserer Beute, für Dein Fleisch und Blut, das Du für uns geopfert hast, damit wir leben können. Danke auch Euch, Ihr Totems, für die weit gereisten Gäste, die Ihr unserem Hause heute Nacht geschickt habt, um uns neue Jagdgeschichten zu bringen und erlesenste Zerstreuung!“

Dann werden von den Dienern Silberplatten und Terrinen mit allen möglichen Speisen aufgetischt. Das Carjack Pack teilt ganz offensichtlich Zoes Sorge nicht, durch unzureichende Tischmanieren unangenehm hier aufzufallen: Sie spachteln ungehemmt wie sonst auch. Zoe sieht sich neugierig um, und bemerkt, dass die Gastgeber es ihrerseits auch nicht so mit dem feinen Benehmen haben, mal wird das Tafelbesteck benutzt, zwischendurch aber auch mal ein zur Klaue verlängerter Fingernagel. Wölfe in Menschengestalt, macht Zoe sich klar, und sie erschaudert. Die Gerichte sind jedenfalls gut und reichlich, ein wenig zu schwach gewürzt vielleicht, aber dafür bemerkt Zoe nicht den leicht metallischen Beigeschmack, den sie an fast allen Nahrungsmitteln unterwegs registriert hatte. Der Rotwein lockert die Zungen, und bald kann sie dabei zuhören, wie die Knochenbeißer munter Anekdoten austauschen mit den Schattenherrschern. Manche von ihnen sprechen in der archaischen Sprache aus gutturalen Lauten, das scheint hier ‚die Hohe Zunge‘ genannt zu werden. Ein paarmal sieht Zoe mit angehaltenem Atem zu, wie Sitznachbarn plötzlich Wolfsfänge ausbilden, wo vorher noch menschliche Zähne waren, und demonstrativ nacheinander schnappen, um zu klären, wer welches Bratenstück zu kriegen hat.
Eine große, dicke, tief dekolletierte Frau mit der Stimme einer Opernsängerin fragt Zoe zwischendurch, ob es stimme, dass sie direkt aus Detroit kämen, und Zoe bejaht vorsichtig.
„… Ich hatte gedacht, Detroit ist verloren, mittlerweile vollständig in Händen der Egel!“, kommentiert sie, „Dass da noch ein paar vom Stamme der Knochenbeißer übrig sind, verwundert ja nicht, die halten sich überall. Aber Verlorene Welpen wie Du, obendrein mit reiner Abstammung …! Das hätte man gar nicht mehr zu hoffen gewagt!“, und sie lacht.
„So rein kann meine sogenannte Abstammung gar nicht sein“, murrt Zoe, „ich habe mir neulich sagen lassen, meine Eltern würden nicht so recht dazu gehören, und keiner weiß, zu welchem Stamm ich angeblich gehöre.“
„Das hat damit nichts zu tun, Schätzchen“, sagt die Opernsängerin, „Twilight-Cloak hat eben schon angedeutet, dass man Dir die Reinrassigkeit anmerken kann!“
Zoe fällt ein: Sie sei ‚doch irgendwie gezüchtet‘, das hatte Ribkick heute früh zu Crash Site gesagt. Sie fühlt sich einigermaßen unwohl, und beginnt schnell über New Hampshire und seine Sehenswürdigkeiten zu reden mit der großen, beleibten Frau.

Nachdem alle pappsatt sind, führt Jaromir Twilight-Cloak seine Gesellschaft weltmännisch nach nebenan, in ein Kaminzimmer. Ein Feuer prasselt in einem riesigen, viktorianischen Kachelkamin, und es gibt Fellteppiche und viele Polstermöbel, wenn auch leicht zerschlissen. Der junge Novak Malgrimov bezieht Position neben dem Kamin, und scheint sich in einen Zustand größter Konzentration zu begeben, denn er ist Galliard und will sich alles genau merken, was nun berichtet werden wird. Twilight-Cloak erteilt Do-Not-Eat-The-Shrooms das Wort, und die sieht plötzlich aus, als wäre ihr speiübel, plötzlich so als das Zentrum der Aufmerksamkeit der ganzen feinen Pinkel. Aber sie ist die Liedbewahrerin ihres Rudels, und sie muss den Bericht erstatten. Glücklicherweise helfen Lousy Five Bucks und Simon, indem sie allerlei Details beisteuern. Dies wird zwar von den Aristokraten offensichtlich als schlechte Form angesehen, dass man der Erzählung der Galliard nachhelfen muss, aber die Knochenbeißer scheinen eine gewisse Narrenfreiheit zu genießen in ihren Augen. Zoe wird heiß und kalt, wie sie Stückchen für Bruchstückchen ihre eigenen Erlebnisse rekapituliert bekommt, von der Prügelei bei der Videothek, vom Undersalt Market, dem Faustkampf mit Carface, von der Schießerei in der Geisterstadt Highland Park, von Shady Sabinas Hütte in Irish Hills, den Überfall darauf und ihrem eigenen Ersten Wandel. Vom Road Trip entlang der Great Lakes, mit Evan Gangrydge und einem Konzern-Sicherheitsdienst im Nacken, dem Treffen mit Crash Site dem Umbra-Wanderer, und der Ankunft hier in Neuengland. Kaum zu glauben, dass das nur wenige Wochen waren! Evan Gangrydge wird von 'Shrooms beschrieben als Blutsbruder eines anderen Stammes, aber diesen bezeichnen sie alle immer nur angeekelt als ‚der Feind‘. Außerdem findet ein Stamm namens ‚das Gezücht des Fenris‘ Erwähnung. Zoe hat leider die Fertigkeit Okkultismus auf null, und hat daher die nordische Sage vom Fenris-Wolf nie gehört.

Etwas verhalten wird am Schluss Do-Not-Eat-The-Shrooms Ruhm und Weisheit zugesprochen vom Hausherren, für das Erzählen der Geschichte, und auch dem Six o' Clock Carjack Pack insgesamt für ihr Abenteuer. Der Schattenherrscher klingt irgendwie sparsam, nicht so richtig überschwänglich, aber er versichert, dass der junge Novak Malgrimov die Erzählung genau memoriert hätte, und sie weitertragen würde. Simon wirkt stolz wie Lukas, aber vielleicht ist das vor allem der Rotwein. Er guckt im Schein des behaglichen Kaminfeuers 'Shrooms, Massalfassar, und Ribkick richtiggehend liebevoll an, als wären sie seine liebsten Freunde auf Erden.

Damit ist die Nacht weit fortgeschritten. Jaromir Twilight-Cloak klärt ein paar organisatorische Dinge, weist dem Verlorenen Welpen ein Gästezimmer zu, und nur nebenbei bekommt Zoe mit, wie er die Knochenbeißer verabschiedet, und ihnen empfiehlt, was sie der Herbergsmutter im nahen Dörfchen zu sagen hätten, in Lowdale.
„Übernachtet Ihr etwa nicht hier?“, raunt sie alarmiert Kylah zu; gerade löst die Gesellschaft sich auf.
Kylah wirkt hundemüde, als wolle sie nur noch in ein richtiges Bett, sonst nichts, es ist immerhin drei Uhr früh. Sie antwortet, „Nee, haste doch gehört, wir sollen zurück nach Lowdale.“
„Dann komm' ich auch mit dahin!“, beeilt sich Zoe zu sagen.

Aber Pustekuchen, die Hausbewohner bestehen darauf, dass sie das Gästezimmer bezieht, wie bereits entschieden wurde.
„… Immerhin stellt offensichtlich die Bande von Gangrydge Dir nach“, stellt Mister Malgrimov fest, „und die Heldentaten der Knochenbeißer beim Bestreben, Dich hierher zu bringen, sollen doch nicht umsonst gewesen sein.“
„Aber Kylah war auch mit auf dem Undersalt Market! Wenn die uns deswegen folgen, dann suchen die uns beide!“
„Nein, die fahnden nach Dir, denn Du bist vom Garou-Blut, Kind. Genug jetzt, die Ortschaft Lowdale ist sicher, die ist ebenso in unseren Händen wie dieses Herrenhaus es ist.“
Zoe fühlt ihren aufgestauten Ärger erneut hochkochen, und will widersprechen und vielleicht eine lautstarke Szene machen, um ihren Willen zu bekommen. Aber irgendetwas an dem Hausherren bringt sie davon ab, seine Ausstrahlung. Außerdem braucht sie gerade jeden Verbündeten den sie kriegen kann, sie darf die Gnade der merkwürdigen Aristokraten hier nicht aufs Spiel setzen. Sonst hieße es womöglich, zurück auf den höllischen Highway, wo alle paar Nächte Menschen totgebissen werden müssen, damit sie einen nicht abknallen wie einen räudigen Köter! Zoe spürt, wie sie weiche Knie bekommt bei diesem Gedanken. Sie begleitet die Knochenbeißer noch zu ihrem Van, und verabschiedet sich mit (nicht besonders wohlriechenden) Umarmungen. Schon sind sie abgefahren, rüber nach Lowdale, schon hat eine der jungen Zofen die Besucherin unter ihre Fittiche genommen und in den dritten Stock des einen Gebäudeflügels hinauf geführt.

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Das Gästezimmer ist einigermaßen geräumig, und hat zugegebenermaßen etwas unwiderstehlich Gemütliches, trotz der Staubschicht auf einigen Oberflächen, und den Spinnweben an der Decke. Die Möbel sind alt, schwer, und wahrscheinlich recht wertvoll, die Tapeten zeigen sehr altmodische Blumenmuster. Alle Farben sind gedeckt, Grün- und Brauntöne. Vom Fenster in der Dachschräge aus kann Zoe in den finsteren Wald und den völlig überwucherten Garten hinab sehen.
„Ein Zimmer in der Werwolf-Landpension“, sagt sie laut zu sich selbst.
Dann zieht sie die Kleidercontainer-Klamotten aus und schlüpft in das altmodische, rüschige Nachthemd, das hier wartet. Sie sieht ihren halbdurchsichtigen Umriss, den die Fensterscheibe widerspiegelt. Sie fühlt Gedanken und Erinnerungen in sich aufsteigen, so viele, und derart heftig, dass sie vermutet, ihnen nicht standhalten zu können, wenn sie sie zuließe. Durchdrehen könnte sie, wenn sie das Erinnern zuließe! Schnell kriecht sie deshalb unter die schwere, dicke Bettdecke und rollt sich dort zusammen, vergräbt die Finger im Kissen, schließt fest die Augen, und wünscht sich verzweifelt den Schlaf herbei. Sie kann genau spüren, dass dabei ihre Fingernägel wieder zu Krallen geworden sind.

Soundtrack: Crash Test Dummies, You've Done It Once Again („The kill is fresh, the deed is done / You lay down in your bed / But sleep won't come, you're still too high / And thoughts race through your head“)
https://www.youtube.com/watch?v=e27uOPt-mcQ


Es gibt eine gestrenge, konservativ angezogene Leibärztin, die am nächsten Abend in dem Gästezimmer ihren Besuch macht und Zoe durchcheckt. Offensichtlich ist sie eine Blutsschwester des Schattenherrscher-Stammes. Sie ertastet eine übrige Kugel zwischen Zoes Rippen, von den vielen Gewehrschüssen, die sie in der Nacht ihres Ersten Wandels kassiert hatte. Die anderen seien von selbst rausgeeitert, diese übrige Kugel aber sitze zwischen den Knochen fest, die könnte die Leibärztin demnächst mal rausschneiden. Aber erst, wenn Zoe gerade keine Wut im Bauch habe, sonst sei das für alle zu gefährlich. Danach könne Zoe wieder Flugreisen machen, ohne dass der Metalldetektor losginge …

Abgesehen davon wird der Gast von den Zofen des Herrenhauses neu eingekleidet, und zu den Mahlzeiten in eins der kleineren Speisezimmer geführt. Alle sind äußerst dienstbeflissen, geradezu ehrerbietig, und sie gehen mit ihr um wie mit einer Porzellanvase, damit sie sich bloß nicht aufregt. Die Herrschaft sei bald für sie da. Vorerst habe der Hausherr angeordnet, der Gast solle sich gründlich ausruhen. Daran scheint es nichts zu rütteln zu geben. Sie läuft nur einmal kurz Mister Malgrimov über den Weg, und er setzt sie in Kenntnis, dass die Untergebenen der Schattenherrscher derzeit sicherstellen würden, dass ihnen niemand gefolgt sei. Auch die Sturmkrähen seien ausgeschickt worden in der Geisterwelt.
„… Die Sicherheit unseres Verstecks hat derzeit oberste Priorität“, endet Twilight-Cloak, und kehrt zu seinen Geschäften zurück.


Zoe fragt natürlich mehrmals die Bediensteten nach den Knochenbeißern. Diese, so wird ihr gesagt, sind in Lowdale in der Herberge, und kümmern sich derzeit noch um ihre Angelegenheiten. Es sei auch höchst ratsam für das Rudel, etwas Zeit hier verstreichen zu lassen; zu viele Verfolger waren ihnen auf dem Highway auf den Fersen gewesen, als dass sie sich direkt wieder dorthin wagen dürften. Sie dürften jedoch sehr bald wieder herkommen, um Zoe in der Villa zu besuchen.

Also dödelt die Bewachte rastlos und grimmig in ihrem Gästezimmer herum, guckt herab in den verwilderten Garten. Ohne ihr Smartfon gibt es nichts, was sie online machen kann. Internet hat das alte Gebäude überhaupt nicht, und auch keinen Rechner, an den sie mal zwischendurch kann. Ihr wird dadurch klar, wie viel sie normalerweise online ist. Hier aber ist sie auf sich selbst zurückgeworfen, allein mit ihren Gedanken. Telefone gibt es immerhin im Gebäude, und man sagt ihr zu, dass sie jederzeit ihre Eltern anrufen könne. Dann aber wagt Zoe es nicht, das zu tun: Shady Sabina hat Recht, was soll sie ihnen denn sagen?
Und dann kommen sie endlich, mit aller Wucht, die Schuldgefühle. Verschwommene Erinnerungen ans Totbeißen und Zerkratzen. Und die schreckliche Einsicht, dass es ihr nicht einmal ganz und gar Leid tut, oder sie vor sich selbst geloben könnte, es niemals wieder zu tun. Die Erinnerung an den Blutgeschmack macht sie eher hungrig. Sie sitzt auf dem weiten Fensterbrett ihres Gästezimmers, ein schluchzendes Häuflein Elend. Schließlich nimmt sie das Angebot an, sich zur Ablenkung etwas zu Lesen bringen zu lassen aus der Hausbibliothek. Mehrere alte, ehemals wertvolle (aber nun zerlesene) Bücher werden ihr hochgebracht. ‚Farm der Tiere‘ ist dabei, und Jules Vernes' ‚Reise zum Mittelpunkt der Erde‘. H.P. Lovecrafts ‚Träume im Hexenhaus‘ hat sich auch dazwischen verirrt.


Am nächsten Abend lässt man sie nach dem Aufstehen einen nächtlichen Spaziergang unternehmen, durch das, was in der Villa ‚der Park‘ genannt wird, was aber fast ebenso verwildert ist wie der restliche Wald umher. Mehrere der plapperhaften Zofen begleiten sie. Die New-Hampshire-Landluft ist jedoch eine Wohltat, und riecht berauschend gut.



Die Hausangestellten lieben es geradezu, über die Malgrimovs zu sprechen. Sie berichten, wie diese slawische Adelsfamilie in die Neue Welt gekommen ist, und sich in Neuengland verbreitet hat. Sie sind zwar verarmt, aber haben ihren Adelsstatus nie aufgegeben. Dass sie immer wieder Blutsgeschwister und auch einige Garou hervor gebracht haben für den Stamm der Schattenherrscher. Dass dieses Anwesen seit Jahrhunderten in Familienbesitz ist, und immer wieder verschiedenen sogenannten Caerns als Außenposten gedient hat. Der gnädige Herr Jaromir Malgrimov ist derzeit der Patriarch der Sippe, aber er habe oft über mehrere Nächte hinweg zu dem Caern zu reisen, wo sein eigenes Rudel stationiert sei, dort sei er auch jetzt gerade.

Immer noch gibt es keine Weisung von den Hausherren heute Nacht, oder die ersehnte Nachricht von den Knochenbeißern.

Wieder in ihrem Zimmer lauscht Zoe angeregt über ihrem Buch auf die geschäftigen Geräusche der Hausbewohner: Die meisten hier scheinen nachtaktiv zu sein, so wie sie selbst es seit einiger Zeit ist. Das scheint hier als völlig normal angesehen zu werden. Mehrmals hört sie dabei Schleicher auf dem Gang vor ihrem Zimmer, das leise Knarren der alten Dielen verrät die Fußtritte. Jemand Neugieriges lauscht an ihrer Tür …! Zoe konzentriert sich darauf, ihr Gehör zu verbessern, und spürt, wie ihre Ohren wieder spitz zulaufend werden. Sie schleicht zur Zimmertür und kauert sich davor, legt das Ohr daran. Draußen ist es mucksmäuschenstill. Sie bildet sich ein, leisen Atem zu hören. Sie stellt sich vor, wie sie und die Person auf der anderen Seite der Tür sich gegenseitig belauschen.

Es gibt in diesen zwei Nächten immer nur schwach gebratene Fleischspeisen zu den Hauptmahlzeiten. Zoe gibt nach anfänglicher Skepsis zu, dass sie diese großartig findet.

In den frühen Morgenstunden dieser zweiten Nacht ihres Besuchs — sie wird wohl bald wieder zu Bett geschickt werden — fragt schon wieder eine der Zofen nach ihrem Befinden. Als Zoe versichert hat, dass es ihr ausgezeichnet ginge, scheint die Zofe zufrieden zu sein, und sagt, morgen Abend würde man sie dann endlich in die Gesellschaft der Herrschaft bringen. Chessa und Novak Malgrimov wären schon ganz erquickt beim Gedanken, endlich mit dem weitgereisten Gast konversieren zu dürfen! Zoe ist auch erquickt, der Gedanke daran, mit jemandem reden zu können, der nicht nur oberflächliches Zeugs plaudert wie die Zofen, gefällt ihr sehr gut. Vielleicht wird morgen endlich Tacheles mit ihr gesprochen!


Evolution: Ich habe mittlerweile sechs weitere EXP eingespielt. Das ist genug um wie geplant Ur-Instinkt auf zwei anzuheben, und Handgemenge auf drei. Beides sind Erfahrungen aus der Nacht von Zoes Erstem Wandel.

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Es ist tagsüber, während die Werwölfin schläft, Zeit für eine neuerliche Traum-Vision in dem merkwürdigen Herrenhaus. Immerhin ist Zoe gerade in der Verarbeitungs-Phase mit ihren jüngsten Erlebnissen.

Das Stichwort des Würfelorakels ist hierfür Leave Ruin. Oho, dramatisch. Machen wir daraus eine Metapher für ihr zurückgelassenes Leben im Menschenapparat — aber vermischt mit einer Vision von den Lebzeiten einstiger Generationen.

Im Traum ist Zoe erneut in einer anderen Zeit, vielleicht erneut einer, die es niemals wirklich gab, vielleicht auch einer, wie sie sich den Menschen dargestellt hat, zur Zeit ihrer Vorfahren. Viele Generationen in der Vergangenheit ...

Sie kauert in einer Ruine, durch die der Wind pfeift, dies war möglicherweise einmal ein steinernes Bollwerk, eine Festung. Unerschütterlich und massiv, die Zuflucht für Adelige und Bauern gleichermaßen. Dreck, Staub, Schweiß, und Asche überziehen plötzlich ihren Leib. Sie hat die Knie angezogen bis an ihr Brustbein, und spürt die dicken Steinplatten unter sich, das Mauerwerk in ihrem Rücken. Die Front der Ritterhalle vor ihr fehlt plötzlich; dort ist jetzt der Nachthimmel zu sehen. Auch die Burgtürme dahinter sind Gerippe, Teile der Mauern sind weggerissen. Zoes Wahrnehmung ist wie stumpf, erschüttert von dem Lärm, und dem Anblick, der sich ihr plötzlich bietet. Von unten, dort, wo der Burghof liegt, lodern Feuer zu Zoe hinauf.
Der Landvogt lässt Taten folgen nach seiner Ankündigung, alle Raubritter-Burgen des Reiches ‚von Gottes Erde zu tilgen‘. Mit den heidnischen Raubrittern gedenkt er anzufangen. Zoe weiß, dass sie in diesem Traum so jemand ist, eine Heidin zur Zeit der Christianisierung, eine Raubritterin im Dienst des Festungsherren. Unten im Burghof sieht Zoe den Runenstein. Er war zuerst da, an dieser Stelle, schon zur Wikingerzeit. Die Feste ist nur um ihn herum errichtet worden, um ihn zu schützen — die Geschichte, die auf ihm verewigt ist. Dass der Vogt seine Landsknechte hierher marschieren lassen würde, mit zwei Steinkatapulten noch dazu, noch bevor alle Heiden der Gegend sich hier würden versammeln können, damit hatte niemand in der Feste gerechnet ... Für derlei Ruchlosigkeit kannte man den Vogt bisher nicht.
Zoe denkt an den Großen Fenris, und wie er in den Tiefen der Geisterwelt über ihre Untätigkeit die Nase rümpfen und die Lefzen hochziehen muss, über ihre verdammte Feigheit. Auch sie hat die heilige Aufgabe, die Runensteine ihres Stammes zu schützen, das Vermächtnis ihrer Wikinger-Vorfahren. Ein Fenrir kann sich nicht aufhalten lassen bei der Erfüllung seiner Pflicht, auch nicht, wenn vor ihm ein Katapult die Vorderseite der Burg zum Einsturz bringt, die geliebte Ritterhalle, und alle Rudelgefährten ins Verderben reißt, in die Tiefe ... Sie sollte bereits dort unten im Burghof sein, in Crinosgestalt, und sie sollte Wüten. Zoe überwindet also den Schock, und kämpft sich mühsam auf die Füße. Dann wird ihr noch etwas klar: Der Runenstein wird womöglich diese Schlacht überdauern — aber die Festung wird es nicht! Ihr früheres Leben hier liegt in Scherben. Sie spürt das Wanken der Grundmauern unter ihren Fußsohlen, und die Ruine wird alsbald in sich zusammenfallen! Es ist womöglich kein glorreicher, blutiger Sieg, den sie am heutigen Tage davon tragen muss … sie muss aus dem oberen Stockwerk entkommen, und ihr Leben retten!

Sie würfelt Geschick+Athletik, um die zusammenbrechenden Stellen des Steinplattenbodens zu meiden, und schließlich an der zerborstenen Mauer hinab zu klettern, auf den Geröllhaufen darunter. Sie erzielt drei Erfolge. Ihre blutigen, aschegeschwärzten Finger greifen sicher in die Fugen der Steinquader.
Wenn sie dann ihr Leben retten kann, kann sie die Geschichte dieses Ortes retten, und die Geschichte ihres Rudels — ihres geliebten Rudels, die jetzt alle ausgelöscht sind, außer ihr. Ihr, dem vielleicht einzigen Fenrir, die ein Feigling ist.



Was geschieht dann in der Vision? Die Orakelwürfel sagen, Uncover Direction. Das ist leicht:

Der Burghof ist ein lodernder Hexenkessel. Die Landsknechte sind überall, mähen mit Kurzschwertern und Hellebarden alle übrigen Raubritter und deren Diener nieder. Der nahrhafte Blutgeruch treibt Zoe Tränen in die Augen. Die Umrisse des mannshohen Runensteins wird als Silhouette vom Fackelschein umlodert. Er wird diese Nacht überdauern. Aber durch die wankenden Skelette der übrigen Festungsmauern, im Labyrinth menschengroßer Trümmerstücke, ist die Werwölfin orientierungslos. Sie muss einen Weg vom Burghof herunter finden, ins offene Heideland und die Wälder. Mehrere Torbögen sind durch den Treffer des Katapultes eingestürzt, und durch den Haupteingang kann sie nicht, von da strömen immer weitere Landsknechte hinein. Sie würfelt Geistesschärfe+Aufmerksamkeit, und irrt im Zickzack durch die Trümmer. Sie schafft einen einzelnen Erfolg. Mehrmals kesseln beinahe einzelne Hellebardenträger sie ein, um sie niederzuschlachten. Mit knapper Not erreicht sie eine Stelle, wo sie über die Trümmer klettern kann, ins Freie, wo sie die Wolfsgestalt annehmen kann, und entkommen — von heute an ehrlos, heimatlos, aber lebendig.

Wie beschließen die Orakelwürfel das Traum-Szenario? Avoid War, ist der Orakelspruch, na, das könnte ja klarer nicht sein!

Als graubrauner Wolf tragen vier Pfoten Zoe davon, hinaus in die nächtliche Heide, fort von den Gerüchen von Asche und Menschenleichen. Sie wendet noch einmal den Kopf. Dort in der einstürzenden Ruine hätte sie den Guten Tod finden können, das Ende im glorreichen Kampf, ganz, wie der Große Fenris es verlangt. Diese Schande wird sie nie wieder tilgen können. Aber das Wissen um die geheime Lage des Runensteins, und die Berichte vom Leben ihres Rudels und der Menschen am Hof der Festung, die werden nur so überdauern. Sie hebt den Wolfskopf in den verrauchten Nachthimmel, und stimmt ihr Klagegeheul an.

Zoe — die eigentliche, reale Zoe Matherson — wacht auf, vom angestrengten Versuch, ein Wolfsgeheul auszustoßen. Ihre Augen sind tränenblind, und sie ist orientierungslos. Sie sieht sich schwer atmend in dem halbdunklen Gästezimmer um. Draußen geht der Herbstnachmittag dem Ende zu, bald kommt die Abenddämmerung, und damit die Zeit, aufzustehen. Ihr Blick fällt auf das Buchcover von Lovecrafts ‚Träume im Hexenhaus‘. Eine zornige Handbewegung befördert das Buch quer durch den Raum, es klatscht gegen die gegenüberliegende Wand. Ein Gefühl behält sie aus dem lebhaften Traum deutlich zurück: Sie muss sich unbedingt, unter allen Umständen erinnern … an die Lage von … an die Geschichte von …


Zoe trägt ein einfaches, hellgraues Strickkleid, als sie beim Frühstück (Abendessen?) nach Abenddämmerung in dem kleinen Speisezimmer erscheint. Dies ist die dritte Nacht, in der sie als Gast dieses Herrenhauses wach wird. Wenn man sie weiter hinhält, dann passiert im Verlauf der heutigen Nacht ein Unglück, da ist sie sich ganz sicher! Und sie merkt, wie bei diesem Gedanken ihre Eckzähne wachsen. Erschrocken konzentriert sie sich darauf, sie wieder normal werden zu lassen.

Ein anderer Diener als sonst räumt heute ihr Frühstück ab, ein junger Mann im Anzug, der kurioserweise eine Art Hundehalsband um den Hals trägt. So ähnlich wie das, was Kylah oft umhat, aber die ist eine Teenie-Göre mit schweren Punk-Allüren, die darf das. Bei dem Mann hier sieht das vor allem merkwürdig kinky aus, findet Zoe.
Bevor er sich mit dem Silbertablett zum Gehen wendet, sagt er in sanfter Stimme, „Die Herrschaft empfängt Sie heute Abend, Miss Matherson. Sein Sie bitte in einer Viertelstunde im Malereizimmer.“
„Äh“, sagt Zoe eloquent, „… Ja, klar. Danke!“

Einer der Salons im ersten Stock hängt voller alter Ölbilder in staubigen Goldrahmen, und zwei alte Staffeleien sind aufgestellt. Es gibt mehrere Polstersessel und Diwane, und auch hier ist es angenehm warm. Ein uraltes Grammofon spielt leise eine Schallplatte. Zwei Twens schauen Zoe entgegen, beide mit wilden, rabenschwarzen Haaren. Das Mädchen in dem zerrupften Rüschenkleid strafft seine Sitzhaltung, als sie Zoe hereinkommen sieht, und setzt ein freudiges Grinsen auf, der Junge lächelt ebenfalls. … Die Malgrimov-Geschwister, Twilight-Cloaks adelige Kids.



Die beiden jungen, adeligen Malgrimovs, Novak und Chessa


Zoe weiß nicht, was sie zur Begrüßung zu sagen hat, kurz steht sie dumm rum in der Tür, dann tritt sie näher und sagt, „Hi! Guten Morgen … ähm, guten Abend.“
Die höhere Tochter legt den Kopf schief vor Entzücken, und grinst noch breiter. Beide stehen auf, um Zoe förmlich die Hand zu reichen: „Willkommen, Miss Matherson! Wir sind uns ja bei dem großen Abendessen vor drei Tagen schon vorgestellt worden. Sie erinnern sich: Ich bin Novak Malgrimov, und dies ist meine Cousine Chessa Malgrimov.“
„Hocherfreut!“, sagt Chessa, beinahe etwas hibbelig vor Aufregung.
Aus der Nähe betrachtet sind die schwarzweißen Kleider der beiden adeligen Kids heruntergekommen, löcherig und mehrfach geflickt. Wahrscheinlich sind sie Gothics. Dann aber begreift Zoe, nein, die Risse entstehen an den Stellen, wo die beiden gelegentlich ihre Körpermaße verändern! Schultern werden breiter und Muskelstränge werden dicker, Beine bringen sich in Form von wölfischen Hinterläufen! Dass die beiden Werwölfe sind, war ihr schon beim Bankett klar. Sogenannte Schattenherrscher …
Novak schiebt gentlemanhaft einen Sessel für Zoe näher, und sie nehmen wieder Platz.
„Ich hätte Sie beide für Geschwister gehalten. Sie sehen einander so ähnlich“, sagt Zoe verlegen.
Novak sagt, „Ja! Unsere Väter sind Brüder, und beide vom wahren Blut des Stammes! Als Chessas Vater vom Feind gerissen wurde, hat Twilight-Cloak seine Nichte hierher geholt. Es war das Mindeste.“
„Oh. Ähm, mein Beileid.“
„Danke, zu gütig“, lächelt Chessa Malgrimov, „aber es ist schon Jahre her!“
„Dieser Krieg, von dem die Knochenbeißer reden, der geht also schon länger?“, fragt Zoe unsicher.
„Seit Anbeginn der Zeit“, stellt Novak Malgrimov fest, knapp, aber dramatisch.
„Oh … aber ist das denn möglich? … Hätten wir außerhalb Eurer geheimen Gesellschaft das nicht längst mitbekommen?“
Die beiden adeligen Cousins sehen sich an, und Chessa kichert.
„Wo fangen wir bloss an mit Ihnen, Miss Matherson?“, fragt der Galliard, „Es gibt so viel auszutauschen! Vielleicht ja damit, dass Sie begreifen müssen, dass Sie jetzt auf der anderen Seite des Schleiers leben. Auf der okkulten Seite, selbst ein Teil des geheimen Gefüges.“
„Das fühlt sich noch gar nicht so an“, sagt Zoe kleinlaut, und ist in diesem Moment auch sehr unsicher, ob sie das überhaupt wirklich will!
„Wie sollte es, Miss Matherson“, sagt Novak freundlich, „Sie hatten ja noch gar keinen Aufnahmeritus …“
„Novak! Sie ist doch sogar ein Verlorener Welpe!“, fällt Chessa ihm ungeduldig ins Wort.
„Eben dies, sehr richtig“, fährt der fort, „Aber durch Ihr Erwachen, Miss, wurden Ihnen ihre Augen geöffnet. Vorher konnten Sie die okkulte Welt nicht wahrnehmen. Der Schleier durfte auch nicht für Sie angehoben werden. Obwohl Sie schon heimliche Fürsprecher hatten, offensichtlich! In Form der Detroiter Knochenbeißer. Wenn die Ihren Ersten Wandel nicht weise vorausgesehen hätten, dann hätte dieser sich inmitten der Städter ereignet. Vielleicht in dieser … was war es, wo Sie gearbeitet haben? Eine Bibliothek?“
„Videothek.“
„Was ist das?“, fragt Chessa aufgeregt.
„Oh, so eine Art Relikt der 90er und Nuller Jahre, würde ich sagen! Da kann man Filmdatenträger ausleihen, so analog und so. War früher der Shit unter uns Menschen. … Unter den Menschen …“
„Habe ich noch nie gesehen, solcherlei Einrichtung!“, sagt sie.
„Nee, ist auch eigentlich ausgestorben, dank Streaming-Services. Die von Mister Lennings ist die letzte in Detroit.“
Zoe fühlt einen Anflug von Wehmut.
„Hier draußen auf dem Land bekommen wir viel vom Blendwerk der Weberin überhaupt nicht mit“, sagt jetzt wieder Novak, „Verzeihen Sie unsere Unkenntnis!“
„Was machen Sie denn, um Spaß zu haben?“, fragt Zoe.
„Auf die Jagd gehen!“, sagt Chessa sofort, „Oh, wir nehmen Sie alsbald einmal mit, Miss Matherson! Das Grundstück ist riesig, es wird Ihnen gefallen!“
Zoe zögert, sie kann sich wenig Dümmeres vorstellen als bei einer Jagdgesellschaft adeliger Spießer teilzunehmen, mit Hunden, vielleicht gar zu Pferde, und ähnlichem Klimbim.
„Ähm, weiß nicht recht. Die letzten Jagdgewehre, die ich gesehen habe, haben mir eher missfallen“, knurrt sie, und reibt unwillkürlich die Stelle in ihrem Brustkorb, wo noch die Kugel verkeilt ist.
„Aber unsereins jagt natürlich nicht mit dem Gewehr, sondern in der Lupusgestalt!“, erklärt Novak.
„Oh!“
„Wir müssen unsere Instinkte immerzu weiter schärfen, sagt Vater. Immerhin warten wir beide darauf, in ein Rudel aufgenommen zu werden!“
„Sowas wie das Six o' Clock Carjack Pack?“
Die Cousins sehen sich an, und müssen dann beide lachen.
Zoe guckt bedröppelt, dann fühlt sie sofort wieder ihre Wut hochkommen. Die Fatzkes lachen über sie! Die lachen über ihre Freunde die Knochenbeißer!
Ihr Blick scheint sich verdüstert zu haben, denn Novak sagt höflich, „Bitte vergebt uns!“
Chessa schaut Zoe an, als sei die eine kleine Sensation.
Zoe wechselt schnell das Thema, um ihren Ärger zu vergessen: „Was geschieht denn jetzt mit mir? Wie geht es weiter?“
Chessa antwortet, „Onkel Jaromir gewährt Ihnen natürlich Zuflucht, so lange es nötig ist! Wir werden Ihre Genealogie schon zurück verfolgt bekommen, Miss Matherson. Dann kontaktieren wir Ihren Stamm, und die holen Sie ab. Und schwupps, schon sind Sie kein Verlorene mehr, können einen Aufnahmeritus machen, und ihrerseits Ihren Platz in der natürlichen Ordnung einnehmen!“
„Meinen Platz in der natürlichen Ordnung?!“
Novak sagt bestätigend, „Nun, Sie sind eine Vollmond-Geborene … und das merkt man Ihnen auch an! Noch dazu sind Sie eine Garou. Also ist Ihr Schicksal natürlich das einer Schlächterin der Kräfte des Wyrms! Einer Stammeskriegerin!“
Zoe guckt ihn mit offenem Mund an.
„Aufgrund dieser Nachforschungen musste unser heutiges Treffen auch so lange warten, Miss Matherson“, erklärt er, „während der letzten zwei Tage haben wir unter anderem auch unsere Privatbibliothek überprüfen lassen. Auf einen Hinweis über Ihre Abstammung! In den Schriftsammlungen werden tatsächlich auch Mathersons erwähnt in diesem Teil Nordamerikas.“

Oh, wie aufregend! Ist dies ein erster Hinweis auf Zoes mysteriösen Großvater? … Umso spannender: Die Orakelwürfel zeigen einen Pasch, eine Doppelnull! Das bedeutet Zustimmung, und zwar mit einem zusätzlichen Positiv-Effekt!

Schalter:
„Unsere Hausbibliothekare haben im Zusammenhang mit der Matherson-Familie die Geschichten des Elias Roves-With-The-Morning-Clouds entdeckt!“, sagt Novak.
„Mein Großvater hieß Elias …“, sagt Zoe in dumpfer Stimme.
„Die Vermutung liegt nahe, dass da ein Zusammenhang besteht, Miss.“
Zoe schaut fragend den Galliard an, „Wirklich? Es ist wenig bekannt über Großvater! Genau genommen hat mein Dad etwa zehn Jahre damit verbracht, zu versuchen, zu rekonstruieren, wohin es ihn verschlagen hat, und warum. Das hat ihn eine Weile fast um den Verstand gebracht, Großvater war zeitlebens so eine Art Mysterium. Meine Eltern haben die Suche schließlich aufgegeben.“
Ein paar Sekunden schweigen sie.
„Oh, mein Gott“, sagt Zoe, und schlägt eine Hand vor den Mund, als es endlich klick macht.
„Es wäre in diesem Hause eher angebracht, stattdessen die Erdmutter anzurufen, oder die Totems“, kommentiert Chessa.
Zoe fährt fort: „Er hat sein Leben vor seinem Sohn und dessen Familie geheim gehalten, weil er … hinter dem Schleier gelebt hat. So wie … ich jetzt! Es ist so offensichtlich — warum ist mir das nicht sofort aufgefallen, nach meinem Ersten Wandel?!“
Novak zuckt lächelnd mit den Schultern, „Nun, wie wir gehört haben, hatten Sie äußerst dringliche Dinge zu tun, zu jenem Zeitpunkt, Miss! Wie dem Kampf ums Überleben.“
„Ich habe mein ganzes Leben mit der Gewissheit verbracht, dass Großvaters Geheimnisse einfach verloren bleiben würden, dass er sie mit ins Grab genommen hat. Ich habe nicht weiter darüber nachgedacht.“
Der Galliard sagt, „Ich wünschte, wir könnten Ihnen da konkreter helfen! Aber die Geschichten von Roves-With-The-Morning-Clouds sind bei uns leider nicht erhalten. Sie müssen die Dreiviertelmond-Geborenen Ihres eigenen Stammes dazu befragen. Da Ihr Großvater wahrscheinlich einen hohen Rang hatte, wird man sich dort an ihn erinnern, definitiv.“
„Ich danke Ihnen, danke!“, platzt Zoe heraus, „Das war total hilfreich! Sie können sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, was das bedeutet. Sie kennen meine Eltern nicht!“
Chessa grinst, und eröffnet, „Dann freut es Sie vielleicht umso mehr, dass wir noch etwas herausbekommen haben, Miss Matherson!“
Zoe guckt sie mit großen Augen an.

Diese zusätzliche Information ist dann die Dreingabe, aufgrund des spektakulären Paschs bei den Orakelwürfeln:

Chessa fährt fort, „In den Schriftsammlungen unseres Hauses ist — gewissermaßen als Randnotiz — das Ziel seiner letzten Reise vermerkt.“
Zoe zuckt die Schultern, „Na ja, Skandinavien, das haben meine Eltern ihrerzeit schon klären können. Er hat es bis Finnland geschafft, und ist da verstorben.“
„Aber nach unseren Aufzeichnungen“, sagt Chessa, „war das nicht sein Ziel. Dort hat Ihr Großvater nur den Tod gefunden. Sein eigentliches Reiseziel aber war Casablanca. Seine Ankunft war für das letzte Quartal vor 19 Jahren geplant.“
„Das war sein Todesjahr.“
„Ja, er hat seine letzte Reise nie abgeschlossen.“
„Erzählen Sie mir mehr!“, sagt Zoe gebannt, und schaut zwischen den beiden Malgrimovs hin und her.
Novak gibt zu, „So Leid es mir tut, das war bereits das volle Ausmaß unserer Aufzeichnungen bezüglich Ihrer Familie. Die konnten unsere Bibliothekare einigen Notizensammlungen entnehmen; bloße Beiwerke zu unseren eigentlichen Stammbaum-Büchern. Das allermeiste Wissen wird bei uns Garou eben mündlich weitervermittelt. In Liedern.“
„Warum das denn? Niederschriften sind doch wohl praktischer!“
Chessa mischt sich ein: „Vor allem gefährlicher, Miss Matherson! Jedes entzifferbare Schriftzeugnis von unserer Kultur kann dazu führen, dass der Schleier gelüftet wird, wenn es in die falschen Hände fällt, die Hände von Sterblichen!“
Zoe sagt, „Moment, aber das bedeutet, dass es irgendwo in den USA sogenannte Galliards gibt, wie Sie, Mister Malgrimov, mit Elefantengedächtnissen, die alles weitere wissen? Ich muss nur herausfinden, zu welchem Stamm mein Großvater gehört hat?“
Novak bestätigt, „Gewiss.“

Dieses glückliche Würfelresultat und die dementsprechend erhaltenen Hinweise sollen den Move namens Reach a Milestone auslösen. Ich markiere den ersten vollen Fortschritt-Punkt bei Zoes Queste (die war ja eingangs als Formidabel definiert, also ist jeder Milestone ein einzelner Punkt Fortschritt).

„Wow! Ich könnte … ich könnte in den Mond heulen vor Freude!“, bringt Zoe hervor.
„Diesem Begehr können wir umgehend nachgehen, Miss!“, strahlt Chessa, „Vom Dach des Hauses aus geht das besonders gut!“
Neugierig fragt Novak, „Aber stimmt es, dass Sie möglicherweise Blutsbande zu den Fenrir haben, Miss Matherson? Gibt es skandinavische oder deutsche Verwandte bei Ihnen?“
„Fenrir … hm, ich habe vorhin davon geträumt … komischer Zufall.“
„Das ist alles, aber kein Zufall“, sagt Chessa bestimmt, „Glauben Sie nicht, dass die Vergangenheit selbst nicht fortwährend mit uns kommunizieren würde!“
Zoe erschaudert, und sieht das andere Mädchen an.
Novak erklärt, „Normalerweise werden die Neugeborenen von Garou mit einem Ritus gesegnet, der dafür sorgt, dass ein Geist sie behütet, eine sogenannte Amme. Wenn das Erwachen beginnt, fliegt die Amme los zu dem Stamm, der sie ursprünglich beschworen hat, und alarmiert die Garou. Bei Ihnen, Miss Matherson, hat das nicht funktioniert, wahrscheinlich haben Sie diesen Feuertaufe-Ritus nie erhalten. Vermutlich, weil Ihre Eltern normale Menschen sind, und Ihr Großvater damals bereits auf seiner großen Reise war. … Aber mein Herr Vater hat bereits in seinem Caern die Kunde von Ihrem Erwachen verbreiten lassen. Die Caerns sind miteinander vernetzt, über sogenannte Mondbrücken. Es gibt streunende Rudel, und es gibt den Stamm der Stillen Streicher, die dieses Mondbrücken-Netzwerk bereisen. Als Kuriere. Und darüber hinaus wurden auch einige Geister ausgesandt, um die Kunde zu verbreiten. Über kurz oder lang wird Ihr Stamm also seine Blutlinie nach Detroit zurückverfolgen, und sich hier melden. Die Knochenbeißer erhalten daraufhin ihre wohlverdiente Belohnung, und Sie, Miss, erhalten Ihren Aufnahmeritus.“
„Die Hälfte von dem, was Sie da sagen, Mister Malgrimov, glaube ich sogar verstanden zu haben!“, sagt Zoe unsicher, mit einem halben Lächeln.
„Besorgen Sie sich nicht, Miss Matherson“, sagt Chessa fürsorglich, „Alles ist bereits in die Wege geleitet, die Zeit arbeitet jetzt für Sie. Und so lange sind Sie hier in Sicherheit, wir geben gut auf Sie Acht.“

Das will ich meinen! Aber was ist denn das nächste Stichwort vom Orakel, womit geht diese Nacht weiter? Uuuh, der Orakelspruch ist, Share Secret! Eine der Lieblingsaktivitäten der Schattenherrscher, das Schachern um Geheimnisse! Aber worum geht’s denn bei diesem Geheimnis? Ich würfle ein zusätzliches Thema aus, und bekomme Time. Das passt ja durchaus zu Zoes jüngsten Traumvisionen, sowie auch zum Gesprächsstoff eben. Einer der Schattenherrscher in diesem Hause ist bereit, ein Geheimnis zu teilen über bestimmte Zeiten. Und (um das noch weiter einzugrenzen) wozu könnte das Kennen dieses Geheimnisses Zoe befähigen? Da sagen die Orakelwürfel kryptisch, Raid Weapon. Das ist ja eine harte Nuss. Ich würde sagen, das bedeutet, wer Chessas Geheimnis über die Zeit kennt, kann einen Überfall machen, um eine besondere Waffe zu erobern. Als dann:

Der junge Diener Stoyan mit dem Anzug und dem putzigen Halsband kommt herein, und fragt, ob er den Tee servieren kann. Chessa bestätigt huldvoll, und schickt ihn, außerdem etwas Gebäck zu bringen. Dann bittet sie zuckersüß ihren Cousin, er möge statt die Schallplatte zu wenden lieber etwas auf seinem Cello vorspielen. Draußen hat es zu regnen begonnen, der Diener legt ein paar Holzscheite im Kamin nach. Mit ihren dampfenden Teetassen dirigiert Chessa schließlich Zoe, direkt mit ihr ans Feuer zu rücken, sie sitzen im Schneidersitz auf dem Fell davor, und lauschen eine Weile Novaks Cellospiel. Es klingt sehr gut, ein wenig kratzig, und etwas melancholisch, was natürlich zu diesem Ambiente genau passt.



„Ich muss Ihnen ein Geheimnis anvertrauen, Miss Matherson!“, raunt schließlich Chessa Malgrimov an das Ohr der anderen.
Zwei Erfolge bei Wahrnehmung+Empathie verraten Zoe, dass das andere Mädchen diese Situation mit Cello und Tee so eingefädelt hat, um ihr genau diese Eröffnung zu machen! Die Schattenherrscherin ist gewieft, aber sie kann ihre Freude über die neue Gesellschaft von außerhalb nach wie vor nicht verbergen.
„Ähm, okay“, flüstert Zoe zurück.
„Natürlich müssen Sie im Gegenzug etwas für mich tun!“, haucht die Schattenherrscherin in unschuldigem Ton.
Zoe zögert nervös. Was könnte die wohlerzogene Chessa schon von ihr fordern? Na ja, sie ist eine Konspirateurin in einem etwas dubiosen Stamm mit Bräuchen, die Zoe noch unbekannt sind … und ganz nebenbei ein Monster in Menschengestalt … wobei, das zählt nicht, das ist Zoe selber ja auch, das wiegt sich wohl gegenseitig auf.
„Sie zögern, Miss Matherson?“, flüstert Chessa, ein wenig beleidigt.
„Äh, nein, nein. Natürlich tue ich auch etwas für Sie! Lassen Sie ruhig hören.“
Chessas Lippen nähern sich Zoes Ohr auf wenige Zentimeter. Sie wispert, „Ich bin Theurgin meines Stammes, müssen Sie wissen, unter dem Sichelmond geboren, wie mein Herr Onkel Jaromir! Wir sind jene, die mit den Geistern sprechen! Von dort habe ich seit Kurzem eine Ahnung, dass wir ... ähnliche Wurzeln haben, Miss Matherson, Sie und ich!“
Zoe sieht die Gastgeberin verwundert an, „Wie das?“
Sie registriert einen Seitenblick, den Novak ihnen zuwirft während er weiter musiziert. Wahrscheinlich will er wissen, was da geflüstert wird.
„Über unsere jeweiligen Familienbande! Sie sprachen doch von einem ominösen Traum vorhin? Vom Stamm des Großen Fenris!“
Zoe nickt unsicher.
„… Ich habe ähnliche Träume, Zoe! Die Schutzgeister meines Stammes … und die Seelen meiner Vorfahren … versuchen, mir Hinweise zu geben! Sie sorgen sich immens um die Zukunft! Und, Zoe … der jüngste Hinweis war über Sie!“
„Was hat das zu bedeuten?“
„Unsere Vorfahren kannten einander vielleicht! Irgendwann zwischen dem Wikingerzeitalter und dem Finsteren Mittelalter! Und wir beide sind nicht die einzigen, die Verbindungen zur Vorzeit haben. Oh nein! Direkt hier, am Rande des Geländes, wird derzeit ein streunender Werwolf geduldet. Mein Herr Onkel gewährt vorerst auch ihm Zuflucht. Er aber ist stammeslos und verbrecherisch, ein Landstreicher, ein Ronin! Wir Hausbewohner haben klare Weisung, uns vor ihm in Acht zu nehmen!“
„Was hat das mit mir zu tun?“
„Er, Miss Matherson, ist ein Spielball der Zeit geworden! Ein Werkzeug der Ahnen und uralten Geister! Was ihn eigentlich hierher getrieben hat, ob er selbst es weiß oder nicht, wird nämlich nicht der eigene Wille gewesen sein, sondern der Wille seines Fetischs. Dieses Objekt aus alter Zeit ist gestohlen vom Stamm der Fenrir!“
„Aber …“
„Wenn Sie eine vom Gezücht des Fenris sind, Miss Matherson, dann wird es ihnen ein Leichtes sein, den Stammeslosen zu konfrontieren, und das Erbe ihres Stammes zurückzuholen! Der Fetisch gehört in Ihre Hände, mehr als in die Klauen eines Diebs. Dies wird außerdem ehrenvoll erscheinen in Augen Ihrer Ältesten, sobald Sie mit ihrem Stamm in Kontakt stehen!“
Zoe schluckt.
„Reden wir jetzt nicht weiter darüber!“, flüstert Chessa, und sie wirft ihrem Cousin einen schnellen Blick zu, vielleicht entschuldigend, vielleicht misstrauisch.
Sie fügt hinzu, „Denken Sie darüber nach; wir nehmen das Thema in den nächsten Nächten wieder auf!“


Jedenfalls ist Chessa Malgrimov Feuer und Flamme wegen ihrer Idee, Zoe mit auf einen nächtlichen Jagdausflug zu nehmen. Und zwar noch heute! Dafür würde sie erstmalig ihre volle Wolfsgestalt annehmen müssen, die sogenannte Lupus-Form. Aber das sei sowieso eine sinnvolle Übung für später, findet Chessa, spätestens bei ihrem Aufnahmeritus würde Zoe das alles können müssen, und auch unter Beweis stellen.

Für Mitternacht sind sie wieder verabredet. Das Wächter-Rudel aus dem Umland wird sich ebenfalls beteiligen.
Zoe steht nun in Gummistiefeln auf den Stufen des Eingangsportals des Herrenhauses, fröstelnd, lauscht auf die Geräusche des Waldes, und versucht, sich darauf zu konzentrieren, sich willentlich zu verwandeln. Das geht jetzt schon eine geschlagene halbe Stunde. Sie schließt minutenlang die Augen, versucht ihren Atem zu regulieren, versucht, sich als Wolf zu fühlen. Als Teil dieses wundersamen, urwüchsigen Herbstwaldes. Schließlich geht sie versuchsweise in die Hocke, auf alle Viere.
„Was treibst Du denn hier draußen vor dem Haus, in Unterwäsche, Zoe?“, hört sie plötzlich eine halblaute Stimme in vorwurfsvollem Ton, „Da kriegst Du noch 'nen Schnupfen!“
„Kylah! Du bist das!“, bringt Zoe freudig hervor, und läuft auf die andere zu, raus in den Nieselregen.
Die Punkerin kommt gerade einsam und allein die Kiesstraße hinauf gestapft, mit einem alten, ehrwürdig aussehenden, schwarzen Regenschirm. Den muss sie in der Herberge in Lowdale geborgt haben, oder heimlich gemopst.
„Wollte mal kurz nach Dir gucken. Hätte nicht gedacht, dass Du gerade eh vor dem Haus rumlungerst, noch dazu so luftig angezogen! Was is'n los, haben die Dich etwa des Gebäudes verwiesen, oder was? Musste draußen warten, bis Du Dich wieder benehmen kannst?“
Zoe muss lachen, „Ich glaube, bei meinem Nervenkostüm in letzter Zeit würden solche Maßnahmen auch nix bringen! … Nee, ich versuch' doch, das mit der Verwandlung zu wiederholen. Ich dachte, hier am Haupteingang guckt keiner, da bin ich ungestört. Da kann ich mich nicht so peinlich machen vor der Menschheit.“
„Die sind keine Menschen.“
„Stimmt … äh, ich muss das jedenfalls hinkriegen. Bisher hab' ich mich immer nur instinktiv verwandelt.“
„Wozu? Bisher schienst Du immer ziemlich happy, wann immer Du wieder in Deine Menschengestalt zurück gefunden hattest!“
Zoe druckst herum, „Ja, äh, na ja. Tut auch bisher noch ziemlich weh, so mit Muskelzerren und so. Ist wie eine kontrollierte Panikattacke, schwer zu beschreiben. Aber … ich soll um Mitternacht mit auf die Jagd gehen, als Wolf!“
„Boah! Würd' ich gerne sehen. Wahrscheinlich siehst Du dann als Tier so ähnlich aus wie das große Wolfsmonster neulich, nur kleiner. So gelbbraun, mit weißem Bauch.“
„Ich hab' insgeheim Angst davor, Kylah. Dir kann ich’s ja sagen. Dieses Wolfsmonster, ja? Diese … Crinos-Form, die ist schon schlimm genug. Aber die ist zumindest noch halbwegs menschenähnlich. In der Gestalt eines richtigen Tieres … ich bilde mir irgendwie ein, da könnte ich Gefahr laufen, mich vollständig zu verlieren, in … in tierischen Empfindungen“, und mittlerweile wispert sie nur noch, „Meine Fresse, Kylah … Was, wenn ich diesmal nicht zurückfinde?“
„Aber Du darfst Chessa Malgrimov gegenüber keine Schwäche zeigen. Die wittert das, und wer weiß, auf was für Ideen sie das wiederum bringt.“
„Die ist eigentlich ziemlich höflich zu mir. Ich glaub', die sind hier draußen nur ein wenig vereinsamt. Die sind total dankbar für jede Ablenkung.“
„Die sind Schattenherrscher, Zoe! Lass' Dich ja auf nix ein mit denen! Die haben den Ruf, immer alles kompliziert zu machen, und andere über den Tisch ziehen zu wollen.“
„Ja, ein bisschen verschlagen wirken die alle …“
„Ja, verschlagen, aber sieh' bloß zu, dass Du denen gegenüber sowas nicht sagst. Und auch nicht, was ich eben gesagt hab'! Die machen da'n großes Ding draus. Von wegen Ehrenhaftigkeit uns so. Du darfst über keinen lästern.“
„Okay, versprochen. Hm, vielleicht hast Du mit dem anderen auch Recht. Rein instinktiv hab' ich immer Angst, Schwäche zu zeigen … vor anderen, die das sind, was ich jetzt bin ... das war bei Simon und seinem Rudel schon so, auf dem Hinweg.“
Kylah seufzt, „Mit Euch ist das wie mit einem großen Gehege im Tierpark, mit verschiedenen Rudeln von Wölfen drin. Ihr mögt ja umherlaufen wie Menschen, aber Ihr habt halt diese ganzen Instinkte. Ständig wird die Rangordnung neu überprüft und all so'n Scheiß. Du musst Dich daran gewöhnen. Hey, vielleicht ist die Jagerei deshalb ja wirklich eine gute Übung für Dich!“
„Willst Du mitkommen nachher? Kannst zugucken!“
„Ach, Schwachsinn, die lassen mich doch nicht. Das ist schon frech genug, dass ich hier ungefragt zur Villa gelatscht komm'. Wir müssen warten, bis die 'ne förmliche Einladung aussprechen und was nicht alles.“
„Hm, schade. … Wie ist das denn da in Eurer Herberge?“
„Ganz gut. Ist ganz gemütlich, und wir haben neulich schon alles untereinander aufgeteilt, was unmittelbar zu machen ist. Rumtelefonieren, Termine absagen, ein paar Nummern abziehen, und so. Lowdale ist ganz nett, nur'n bisschen langweilig. Ist ein wenig wie Herbstferien außerhalb der Reihe.“
„Du musst ja eigentlich auch in die Schule zurück …“
„Ja, ja. Hab' bereits ein gefälschtes Attest.“
„Ihr seid ganz schön findig …“
„Müssen wir auch sein, Zoe, wir sind Knochenbeißer. So, ich schieb' jetzt mal wieder ab. Und Du siehst zu, dass Du reinkommst, Du erkältest Dir noch die Arschbacken.“
„Einen Versuch noch! Mir ist gar nicht sonderlich kalt, irgendwie ist meine Körpertemperatur letztlich immer genau richtig. Geh' nicht weg, es ist super-schön, mit Dir zu reden! Okay, Konzentration …“

Zoe soll mal Konstitution+Ur-Instinkt würfeln. Wir heben die Schwierigkeit für sie bis auf weiteres um eins an, weil sie noch ungeübt und ängstlich dabei ist.

Sie sinkt wieder auf alle Viere zurück, und spannt sich an. Drei Höchstzahlen fallen bei dem Wurf! Unter brennendem, wummerndem Schmerz, keuchend und würgend, aber dafür immerhin einigermaßen schnell, verwandelt sie sich, ihre Körpermasse nimmt schlagartig zu, sie wird bedeckt von hellbraunem Fell. In ihrer Hispo-Form schüttelt sie sich, und schaut dann auf in Kylahs blasses Gesicht, selbst verwundert. Sie wirft irritiert die Gummistiefel ab von ihren Hinterläufen.



„Ach Du Schreck, es hat geklappt!“, haucht Kylah, „einfach so!“
Zoe wimmert vor Muskelschmerz, will etwas erwidern, aber nur ein Jaulen ertönt.
„Du bist aber ein großer Wolf! Du bist ja fast so groß wie ein Pony!“
Der Riesenwolf beschnüffelt Kylah, die reckt ihm zögerlich die Handflächen hin, wie einem fremden Hund. Zoe wird von Informationen überwältigt: Ihr Geruchssinn ist auf einmal so scharf, dass sie genau sagen könnte, was Kylah den ganzen letzten Tag über in Händen gehalten und gegessen hatte. Unter anderem Kartoffelchips, Oreo's, und Graubrot. Sie ist völlig geflasht davon. Tatsächlich ist ihr Verstand jetzt auch der eines Tieres, aber es ist nicht halb so schrecklich, wie sie bis eben noch befürchtet hätte. Sie schnüffelt interessiert an Kylahs Hosenbeinen, und schwelgt in der Fülle an Informationen, bis diese schließlich vor ihr in die Hocke geht, und ihr in die Augen schaut: „Zoe … Zoe, hör' zu. Ich muss jetzt zurück in das Dorf, okay? Die machen hier Stress, wenn die sehen, dass ich ungefragt länger hier rumhänge.“
Zoe legt den Kopf schief, die Worte, die sie hört, brauchen länger als sonst, um in ihren Verstand einzudringen. Sprache ist plötzlich so unnötig abstrakt. Sie fühlt eine unverfälschte, liebevolle Zugehörigkeit, und will ihrer Freundin als Sympathiebekundung über die Nase lecken. Aber sie begreift, dass das falsch wäre, auch, weil Kylah den Geruch nach Furcht ausströmt. Zoe macht sich klar, dass sie ein zentnerschwerer Riesenwolf ist, und winselt. Die Punkerin umarmt sie, sehr vorsichtig, raunt, „Bis bald!“, und macht sich dann auf den Rückweg.

Schalter:
Soundtrack: Blue Man Group, Utne Wire Man
https://www.youtube.com/watch?v=mBpd4kMzcXA

Zwei Stunden später fühlt sich Zoe schon etwas sicherer auf ihren Pfoten. Nun kommt sie um das Anwesen herum getrottet, und ihre Nase verrät ihr, dass Chessa und die anderen Werwölfe schon hier sind. Sie alle sind nachtschwarz, oder dunkelgrau. Zoe vermutet, die fremden Schattenherrscher sind dieselben, die am Abend ihrer Anreise den Van umkreist haben, in Crinos-Form. Sie kann sich nicht völlig sicher sein, denn jetzt sind sie alle in Wolfsgestalt. Sie zeigen eine gewisse Unterwürfigkeit gegenüber der jüngeren Wölfin, die Chessa Malgrimov jetzt ist. Sie hat eine gewisse Ausstrahlung, wie ihr Onkel und ihr Cousin, vielleicht ist es das, was hier Reinblütigkeit genannt wird, und was Ribkick ‚gezüchtet‘ nennt.
Zoe schnüffelt Befremden an Miss Malgrimov. Die Wölfe kommunizieren miteinander wie mit einer Sprache, durch Geruchsausdünstungen und Körperhaltungen. Zoe solle sich ebenfalls in ihre Wolfsgestalt begeben, signalisiert man ihr, dann begänne die Jagd.
Aber das sei sie doch?, bringt Zoe verwundert zum Ausdruck.
Nein, kommuniziert Chessa, unterlegt von einem amüsiertem Hecheln, Zoe sei hier in der Wolfsgestalt aus früheren Zeiten aufgetaucht, sie müsse ein Wolf werden, wie die anderen.

Zoe ist peinlich berührt, dass sie sich so geirrt hat, würfelt also erneut Konstitution+Ur-Instinkt, um sich weiter zu verwandeln. Sie muss die Lupus-Form erreichen. Da es wie oben gesagt für sie noch erschwert ist, muss sie Siebener erwürfeln, und erzielt nicht eine … aber Einser! Das ist ein Patzer!

Schmerz und Schwindelgefühl durchzuckt sie, ihre Vorderpfoten werden zu Crinos-Pranken und wieder zu Pfoten, ihre Schnauze nimmt unter dem Fell die Form eines menschlichen Unterkiefers an. Panik ergreift sie. Daraufhin wird sie einen Rage-Wurf machen müssen, jetzt bei Dreiviertelmond gegen Fünfen. … Fünf Erfolge! Zoe bäumt sich auf, auf die Hinterläufe, und brüllt in fast menschlicher Stimme ihren Schmerz und ihren Schrecken hinaus, dann wird das Geräusch zu einem heiseren Heulen. Sie verfällt in Raserei! Die Pein verschwindet sofort, als hirnlose Wut sie hinweg spült!

Normalerweise darf ein Charakter einfach einen Willenskraft-Punkt ausgeben, aber da dies Zoes erste Raserei-Erfahrung ist, kommt mir diese Option gerade unwahrscheinlich vor.
Ihr Rage-Wert ist deutlich höher als ihr Gnosis-Wert, also stürzt sie sich ungeplant auf alles, was sich bewegt!



Zoe dreht durch, in Hispo-Form


Zoe agiert als erste, stürzt sich auf einen der dunkelgrauen Wölfe, und schnappt zu. Ihre Fänge dringen tief in die Schulterblätter des vergleichsweise schmächtigeren Tiers, und heben es ein Stück in die Höhe. Dieses absorbiert jedoch vier von fünf Schaden. Zwei der Wächter bäumen sich auf die Hinterläufe auf, und gehen in ihre massigen Crinos-Gestalten. Ein anderer beißt als Lupus Zoe in ihren einen Hinterlauf, damit sie von seinem Kameraden ablässt, sie absorbiert das meiste, aber bekommt zwei Level Schaden. Dann kommen die Rage-Aktionen an die Reihe: Der erste der Crinos-Werwölfe lässt seine geballte Faust von hinten in den Nacken von Zoes Riesenwolf-Gestalt krachen. Kurz wird ihr schwarz vor Augen, sie nimmt drei weitere Wundlevel hin. Sie fühlt ein gräßliches Rucken an ihrem Kiefer. Wirbelt herum, und beißt nun dem Faustkämpfer in die Rippen, fügt ihm zwei Wundlevel zu. Der andere Crinos packt sie in dem Moment, und bringt sie in einen Griff, sie verliert ihre Beute aus den Fängen, sie zappelt und schüttelt sich wie wild, Bluts- und Geifertropfen spritzen aus ihren hochgezogenen Lefzen!

Jetzt wo Zoe in den Klammergriff gebracht ist, setzt ihr Ratio wieder ein. Dann gebe ich mal den Willenskraft-Punkt aus. Sie verharrt knurrend in der Umklammerung, ihre Augen zucken manisch von Gegner zu Gegner. Dann sinkt sie in sich zusammen. Und nicht nur ihre Haltung, auch ihre Gestalt, es zieht sie zurück in ihre spillerige Menschen-Form.
„Sie ist wieder sie selbst“, hört man Chessa Malgrimovs Stimme keuchen, „Lass' sie los. Ganz behutsam …“
Zoes Körper gleitet langsam ins hohe, kalte Gras. Sie knurrt, und versucht sich aufzulesen. Sie sieht sich verdattert um. Die letzten Sekunden scheinen nur noch verschwommen. Ihr Genick schmerzt, und auch ihre eine Wade, die blutet wie Hulle! Die Schattenherrscher ziehen ihre Lefzen hoch und zeigen ihr ihre schrecklichen Zähne, und sie kauert sich hilflos zusammen, zittert.
„Ist nicht schlimm, Miss Matherson!“, zischt das andere Mädchen, „Sie haben sich ja schon wieder im Griff. Das ist der Dreiviertelmond, sein Licht …“
Der schwarze Wolf, den sie gebissen hatte, winselt, und einer der Crinos-Gestalten zieht ihm etwas aus seiner Wunde an seinem Schulterblatt, etwas längliches, weißes. Der Eckzahn schrumpft in seiner ledrigen Pranke, auf die Größe eines menschlichen Eckzahns. Zoe schmeckt Blut, tastet mit der Zungenspitze über ihr Gebiss, und fühlt die Zahnlücke. Der Genickschlag hat sie einen Fangzahn gekostet. Sie will leise fluchen, aber stößt nur ein wölfisches Knurren aus ihrer menschlichen Kehle aus.


Ausgerechnet in dieser Nacht kehrt Jaromir Twilight-Cloak von seinen Geschäften in seinem Caern zurück. Er hat sich bereits alles schildern lassen, als er in den Blauen Salon kommt, wo Chessa und die verängstigte Zoe sitzen.
Vor der Tür hören sie, wie Novak mit ruhiger Bestimmtheit auf seinen Vater einzureden versucht; er will auch dabei sein, wahrscheinlich um zu beschwichtigen. Erstmals hört Zoe Jaromir Malgrimov laut werden: „… Du hast mich wohl vernommen, Sohn! Du hast nichts damit zu schaffen, und nun aus meinen Augen!“
Die tiefe Bassstimme von Mister Malgrimov klingt wirklich schlimm, wenn er zornig ist!
Zoe zieht ängstlich beide Knie vor die Brust in ihrem Ohrenbackensessel, ganz vorsichtig natürlich, denn die eine Wade ist frisch bandagiert.
Twilight-Cloak tritt in den Salon, und eröffnet, „Was dachtest Du Dir dabei, Nichte? Hast Du schon in Lunas Angesicht gesehen heute Nacht? Es ist Dreiviertelmond!“
„Ich meinte es doch gut, Herr Malgrimov!“, beteuert Chessa kleinlaut, „Wir wollten Miss Matherson die Jagd in Lupus-Form lehren! Das musste sowieso geschehen, je früher, desto …“
„Schweig, Kind. Sieh', was uns Deine Flausen eingebracht haben — zwei unserer Wächter sind verletzt, und unser Gast! Noch dazu in einer Zeit, wo womöglich der Krieg hierher kommt, vor unsere Haustürschwelle!“
„Vergeben Sie mir, Onkel …“
Zoe guckt verzweifelt zwischen ihren beiden Gastgebern hin und her, Angst und Peinlichkeit mischen sich in ihr.

Diese Emotionen sind heftig genug, um schon den nächsten Rage-Wurf auszulösen! Dieser ergibt drei Erfolge, sie bebt kurz vor Zorn, aber dann hat sie sich wieder im Griff. Ein roter Würfel hat eine eins gezeigt, den lege ich mal ab, dann ist Zoe runter auf drei temporäre Rage-Würfel, und kann vorerst nicht mehr in Raserei verfallen. Puh!

„Du weißt, was Deine Befehlsgewalt über unser Wächter-Rudel bedeutet, Chessa, welche geballte Verantwortung! Dies ist kein Spielzeug zu Deiner bloßen Belustigung! Wir sind die Schattenherrscher, und verdammt sollen wir sein, wenn wir nicht das schützen, das unser ist! Jene verteidigen, die wir zu befehligen haben!“

Es folgt eine ziemlich laute Standpauke. Zoe fühlt sich wie ein Kind, und behält tyrannisiert den Kopf gesenkt. Sie versteht nicht alles, denn zwischendurch reden die beiden Adeligen in der archaischen ‚Hohen Zunge‘. Ein Gesetz wird jedenfalls erwähnt, das ‚die Litanei‘ heißt. Chessa wird zwischendurch ihrerseits auch wütend, man hört den Zorn aus ihrer Stimme, während sie sich rechtfertigt. Am Ende ordnet Jaromir Malgrimov an, seine Nichte habe darüber nachzudenken, was sie für den Stamm tun könne, um ihren heutigen Schnitzer auszubügeln, und einem Strafritus zu entgehen. Zoe will sie verteidigen, aber findet keine Gelegenheit, auch mal was zu sagen. Leidenschaftlich schmollend hebt Chessa sich schließlich hinweg, erhobenen Hauptes.
„Und Du, Verlorener Welpe“, grollt Mister Malgrimov abschließend, „Lässt Dir dies eine Lehre sein! Die Erdmutter hat Dir Deine Wut nicht gegeben, damit Du sie gegen Deinesgleichen richtest! Sie ist Dein mächtigstes Werkzeug, aber wenn Du unklug handelst, kann sie auch Dein gehässigster Gegner sein. Wenn Du nicht in der Lage bist, Dich zu beherrschen, dann hast Du nicht bei Dreiviertelmond im Walde umher zu streichen!“

Zoe trollt sich beschämt in ihr Gästezimmer, leicht humpelnd. Wenn es mal nur die Peinlichkeit wäre! Im Spiegel ihres Zimmers zieht sie ihre Lippe hoch, und betrachtet die große Zahnlücke. Ihr rechter, oberer Eckzahn hat sich verabschiedet. Total beknackt sieht das aus, jetzt kann sie ihre Modelkarriere endgültig vergessen. Und dass Werwölfe Zahnprotesen haben, bezweifelt sie irgendwie.



Soundtrack: Yawning Man, Perpetual Oyster
https://www.youtube.com/watch?v=tTXhBmSLT2A

Am nächsten Abend ist der Halbmond aufgegangen. Der ‚Mond der Rechtsprechung‘, nennen ein paar der Zofen das, na, das passt ja klasse zu der Standpauke von gestern, findet Zoe.
Chessa und Novak, und ein paar andere holen sie nach dem Abendessen ab, begierig, zu erfahren, wie sie sich jetzt fühlt. Zoe ist erleichtert, dass sie zumindest bei diesen beiden nicht im Ansehen gesunken ist.
Die Dienerinnen nötigen Chessa dazu, heute zu helfen, Blumengestecke anzufertigen, und die Schattenherrscherin wiederum nötigt Zoe dazu, auch mitzumachen. An einem großen Tisch sitzen sie im Speisezimmer im Erdgeschoss, und knüpfen Deko zusammen, vornehmlich aus Laub und dunklen Rosenköpfen. Eigentlich könnte man schon Weihnachtsdeko basteln, bemerkt Zoe, so spät im Herbst, aber Chessa sagt, das sogenannte Weihnachtsfest würde hier nicht gefeiert. Novak beobachtet die Steckarbeiten nur, er sitzt im Hintergrund und übt auf seinem Cello. (Als Mann scheint er von derartigen Pflichten des Haushalts nicht betroffen, ganz schön arsch-rückständig, findet Zoe das, aber behält das natürlich schön für sich.)
„Wie geht es Ihrer Wade, meine arme, tapfere Zoe Matherson?“, fragt die Adelige schließlich.
„Vorhin war schon Verbandswechsel. Ich beginne mich schon an Eure Leibärztin zu gewöhnen, die scheint ziemlich gut zu sein.“
„Die beste ihrer Kunst! Und Ihr Zahn?“
Zoe zeigt der anderen ihre häßliche neue Zahnlücke, und kommentiert, „Katastrophe. Der arme Kerl, in dem der stecken geblieben ist. Das ist alles un-end-lich peinlich. Wie geht’s ihm denn?“
„Die Wächter werden binnen weniger Nächte wiederhergestellt sein. Da gibt es kein böses Blut, Miss Matherson, keine Sorge“, stellt Chessa fest, den Blick auf ihr Gesteck gerichtet.
„Oh Manno. Ich muss mich noch persönlich bei denen entschuldigen. Und jetzt …“, aber dann bricht sie ab.
„Jetzt was?“, fragt ihr Gegenüber neugierig.
„Ach, nichts.“
„Sagen Sie schon!“
„Na ja … gestern hat Novak, ähm, Mister Malgrimov dort, noch zu mir gesagt, ich würde sowas wie eine Stammeskriegerin werden. Und jetzt habe ich bereits einen meiner Eckzähne eingebüßt. Ehrlich gesagt fühlt sich das an … als hätte ich schon meine Möglichkeiten mich zu wehren verkleinert. Bevor ich überhaupt von meinem Stamm gefunden wurde und alles. Schon bin ich weniger wehrhaft, wegen einem bloßen Versehen. Wäre es doch bloß nicht derart durchgegangen mit mir! Meine Fangzähne sind bisher … eine ziemlich gute Waffe gewesen …“
Novak schaut von seinem Cello auf, und lächelt Zoe an, „Immer mit der Ruhe. Verbringen Sie erst einmal möglichst viel Zeit in Ihrer Glabro-Form, Miss Matherson, denken Sie erstmal an Ihre Wade! Mit einem Wolfsbiss ist nicht zu spaßen! Wenn Sie verwandelt sind, verheilt das binnen kurzer Zeit. Womöglich bleibt nicht einmal eine Narbe.“
„Obwohl es opportun wäre, den Fenrir Kampfnarben vorweisen zu können!“, sagt seine Cousine mit einem kleinen Grinsen.
Zoe fummelt gedankenverloren mit der Zungenspitze an ihrer neuen Zahnlücke herum.

Chessa will jedenfalls bei der Handarbeit unbedingt Geschichten aus der Fleischwelt hören, von Zoes Heimatstadt-Alltag.
„… Aber im Gegensatz zu hier geschieht da nie etwas Aufregendes!“, wendet diese ein, „Ich habe alleine in einem mickrigen, kleinen Apartment mit dünnen Wänden gewohnt, die Schulbank gedrückt, und ansonsten in der Videothek gejobbt! Keine Stämme, Mythen, oder Rituale!“
Das scheint Chessa überhaupt nicht zu langweilen. Zoe versteht, dass die beiden adeligen Kids nur Privatlehrer hatten ab der Grundschule. Aus Angst, sie könnten früh Erwachen, hat man sie beide früh der Menschengesellschaft entzogen, zum Schutze aller. Hier im Herrenhaus sind sie von Blutsgeschwistern umgeben, und die moderne Welt der Weberin dort draußen erscheint ihnen etwas abstrakt und fern.
Also erzählt Zoe von ihrer Klasse, dass sie eigentlich nur mit dem Nerd namens Mitch so halbwegs was anfangen konnte, und Jasmine und Ellen. Und den komischen Cineasten in der Videothek. Und Kylah natürlich; damals wusste sie noch nicht, dass die Garou ihr die geschickt hatten. Miss Malgrimov saugt freudig alles Erzählte auf wie ein Schwamm. Sie scheint Zoe absolut reizend zu finden — scheinbar unabhängig davon, was genau sie erzählt. Zoe vermutet, sie könnte auch erzählen, was sie alles so auf Netflix geguckt hat und sich die Fußnägel dabei lackiert, und ihr Gegenüber würde sie trotzdem so hingerissen anschauen, als sei sie ein tänzelndes Zirkuspferd.

Dann gibt es Mittagessen (Mitternachts-Essen), heute in Anwesenheit vom Hausherren persönlich. Er hüllt sich in Schweigen, nicht mehr zornig, aber gestreng, und in Gedanken. Daher gibt’s wenig Tischkonversation. Als abgeräumt wird, kündigt Novak an, Zoe jetzt in die Bibliothek zu entführen, er wolle sie zu ihrem Erwachen und dem Feind befragen.
„Oh nein, Novak, da musst Du Dich gedulden“, sagt Chessa, „Wir sind doch längst noch nicht fertig mit den Gestecken! Außerdem wollten wir doch noch mehr von der skurrilen Schulpsychologin hören, der Dame Squarebrook!“
„Ich würde gern mit Miss Matherson meiner Arbeit als Galliard nachgehen. Der Bericht von … Do-Not-Eat-The-Shrooms … war ja etwas lückenhaft.“
„Das könnt Ihr morgen Nacht immer noch tun!“
„Was müssen Sie denn noch wissen?“, fragt Zoe befremdet.
„Ich brauche weitere Details von Ihnen, Miss Matherson, aus erster Hand. Nicht nur, um die Geschichte dieser Reise weiter tragen zu können, sondern auch, weil unsere laufende Recherche über den Feind davon profitieren wird. Dieser Sicherheitsdienst aus Toronto ist meinem Herrn Vater und mir mehr als verdächtig, so wie es Evan Gangrydges überregionale Machenschaften sind. Miss Matherson, könnten Sie sich vorstellen, mir einige Details nachzuliefern?“
„Äh, klar.“
Chessa insistiert jedoch, „Zur Dämmerstunde, Ihr beiden! Immer eines nach dem anderen! Der Große Fenris wird schon nicht gleich morgen unsere Miss Matherson davon führen, Novak.“
Sie kabbeln sich noch ein bisschen, während die Diener abräumen, und Jaromir Twilight-Cloak sich schweigend schon einmal hinweg hebt. Zoe weiß nicht, ob sie die beiden Cousins reizend oder ein wenig strange finden soll.

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