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[Werewolf: The Apocalypse | Ironsworn] Wyldreise

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Hier habe ich jetzt einen komplexen Kampf mit zwei beteiligten Rudeln von NSCs, plus meiner beiden Charaktere. Da ich nicht für die alle einzelne Spielwerte machen will, braucht es eine elegante Abkürzung (wie meine geliebten Quick Encounter bei den Savage Worlds-Regeln). Man könnte die Kampf-Moves aus Ironsworn nehmen, aber die haben selbst auch einen ordentlichen Komplexitätsgrad.

Für meine Chronik möchte ich mich an einer abgespeckten Variante des Kampfsystems bei Ironsworn versuchen, auch hier wieder bastardisiert mit den Regeln aus Werewolf:TA. (Dieses funktioniert durch meine Veränderungen mehr wie der Move Undertake a Journey.) Diese Kurzregel verwende ich für größere Kämpfe mit verschiedenen Akteuren. Die ist jetzt reif fürs Playtesting. Epische Duelle und Bosskämpfe werden natürlich weiterhin mit den detaillierten Werewolf-Regeln ausgefochten.
(Wem meine Frankenstein-Spielmechaniken zu länglich sind, kann einfach weiter springen zum nächsten Post, da geht der Spielbericht weiter.)



Es gibt mit dieser Kurzregel gar keinen Bedarf für Gegner-Profile. Nur SCs machen Würfe im Kampf.

Enter the Fray:
Der Grad der Hausforderung in jedem Kampf wird festgelegt basierend auf dem Ironsworn-Move Enter the Fray (S. 78):
•Unliebsame Begegnung: 3 progress per successful combat round; inflicts 1 wound; pack has 2 rage points.
•Gefahrvolle Begegnung: 2 progress per successful combat round; inflicts 2 wounds; pack has 4 rage points.
•Formidable Begegnung: 1 progress per successful combat round; inflicts 3 wounds; pack has 6 rage points.
•Extreme Begegnung: 2 ticks per successful combat round; inflicts 4 wounds; pack has 8 rage points.
•Epische Begegnung: 1 tick per successful combat round; inflicts 5 wounds; pack has 10 rage points.

Initiative:
Eine der am Kampf beteiligten Seiten hat automatisch die Initiative. In Hinterhalten und ähnlichen Situationen steht dies von vornherein fest (wenn nicht von bisheriger Narrative festgelegt, kann das Orakel befragt werden).
Alle Charaktere der Seite mit der Initiative agieren vor den Gegnern, in selbstgewählter Reihenfolge der Spieler (bzw. des Storytellers, wenn es NSCs sind)! Danach agieren alle Charaktere der anderen Seite, entsprechend. (Am Schluss werden Rage-Aktionen von Werwölfen abgehandelt, wenn vorhanden, in derselben Reihenfolge.)

Kampf-Aktionen
Die Art der gegnerischen Offensiv-Aktion bestimmt den Wurf, den der SC machen muss, um ihr zu widerstehen (nach fast derselben Logik wie im Grundregelwerk von Werewolf:TA). Die Befähigung des Gegners bestimmt hier jedoch keinen eigenen Würfelpool, sondern einzig und allein den Schwierigkeitsgrad beim Wurf des SCs:

• Beispiel Einschüchterung: Der SC würfelt Willenskraft gegen den Einschüchterungsversuch eines regulär einschüchternden Gegners gegen 6, bei einem einschüchternden Gegner gegen 7 oder 8, bei einem wahrhaft furchterregenden Gegner gegen 9 oder 10.
• Beispiel gegnerische Attacken: Der SC würfelt zum Blocken oder Ausweichen Geschick+Handgemenge oder +Ausweichen; gegen den Nahkampfangriff eines regulär treffsicheren Gegners geht das gegen 6, bei einem kampferprobten Gegner gegen 7 oder 8, bei einem meisterhaften Gegner gegen 9 oder 10.

Defensiv würfeln: Alle am Kampf beteiligten SCs müssen bei jeder Gegner-Aktion defensiv würfeln wie oben beschrieben. Ein einzelner Erfolg reicht, um mit einer Defensiv-Aktion erfolgreich zu sein.

Offensiv würfeln: Bei den eigenen Aktionen dürfen SCs ihre eigenen Kampfaktionen wählen und aktiv auswürfeln, wie im Werewolf:TA-Grundbuch beschrieben. Je mehr Erfolge bei einer Offensiv-Aktion zusammenkommen, desto größer sind die Chancen, in dieser Runde im Kampf voran zu kommen. Dies beeinflusst das Kampfergebnis der jeweiligen Runde.

Art der Gegner-Aktion:
Gegner-Aktionen (Nah-/Fernkampfattacken, Einschüchtern, Manöver) werden je nach Narrative ausgewählt. Alternativ kann pro Gegner-Aktion optional auf dieser Tabelle gewürfelt werden:

Art der Gegner-Aktion (2W10):
2=Zögern / die Aktion aussetzen (kein Defensiv-Wurf erforderlich)
3-7=Einschüchterungs- oder Ablenkungsversuch
8-12=Angriff mit Primärwaffe
13-15= Angriff mit Sekundärwaffe (bzw. natürliche Bewaffnung oder waffenlos)
16-20=Manöver (Packen, Fußfeger, Sand in die Augen werfen, Finte, übernatürliche Gaben und Fähigkeiten, etc.)

Gegner-Rage: Wenn die Begegnung Werwolf-Gegner beinhaltet, haben diese Rage-Werte wie oben angegeben, und verwenden pro Runde 1-2 Rage-Punkte für Extra-Aktionen. Diese werden nicht individuell festgehalten, sondern gemittelt, für die gesamte Gegner-Gruppe! (Daher sind diese Punkte nur für Rage-Aktionen des Rudels insgesamt, nicht für andere Rage-Regeln.)

Schwierigkeit von Defensiv-Würfen:
Wenn bisher undefiniert kann ausgewürfelt werden, wie hoch beim Widerstehen einer Gegner-Aktion die Schwierigkeit ist:

Schwierigkeit von Defensiv-Würfen (2W10):
2-3=Schwierigkeit 4
4-5=Schwierigkeit 5
6-11=Schwierigkeit 6
12-15=Schwierigkeit 7
16-17=Schwierigkeit 8
18-19=Schwierigkeit 9
20=Schwierigkeit 10

Für die Kontinuität kann die jeweilige Schwierigkeit für Defensiv-Würfe bei der betreffenden Gegner-Aktion festgehalten werden. Dies ist die einzige Information über NSC-'Profilwerte' die benötigt wird, und sie kommt im Verlauf der Szene von selbst zusammen. (So stellen sich im Kampfverlauf für die Narrative beispielsweise Gegner heraus, die zwar durchschnittliche Fechter sind, aber dafür krass bedrohliche Einschüchterungsversuche machen können.)

Effekte von Defensiv-Würfen:
Das Resultat des SCs entscheidet pro Gegner-Aktion über die Negativkonsequenzen der betreffenden Aktion für diesen SC. (Gegner-Profile gibt es ja nicht, darum generieren die keine Resultate!) Ein Misserfolg generiert pro Gegner-Aktion einen von zwei möglichen Effekten:
• Höhe des Schadens (bei physischen Attacken)
• Würfel-Abzug für die nächste Aktion dieses SC (bei Einschüchterung oder Manövern).
Gegner machen pro gescheiterter Defensiv-Aktion entsprechend eine Menge an Schaden/Würfel-Abzug wie vom Ironsworn-Move namens Enter the Fray beschrieben (siehe oben). Ein Patzer beim defensiven Wurf des SC generiert ein Level Schaden/Würfelabzug zusätzlich.

Arten und Auswirkungen von Schaden: Gehandhabt wiederum wird Schaden so wie im Werewolf:TA-Grundbuch beschrieben. (Schlagschaden/Tödlicher Schaden/Verheerender Schaden, Wundabzüge, Kampfunfähigkeit, Werwolf-Regenerationskräfte.) Der bei der Gegnerstärke angegebene Schaden ist der, der ‚nach dem Absorbieren‘ bleibt, es gibt also keine Absorbieren-Würfe in dieser Variante.

Offensiv-Würfe:
Charaktere dürfen als ihre eigenen Aktionen alle ihre Fertigkeiten einbringen, so lange es narrativ den Kampf voran bringen könnte. (Die Herangehensweise ist angelehnt an die Quick Encounters bei Savage Worlds.) Dies muss nicht offensiv sein, nur eben insgesamt nützlich. (Ein Charakter beispielsweise, der Runde für Runde mit seinem Schild blockt, könnte narrativ dadurch den Kampf voranbringen, dass er den Gegner erschöpft, welcher auf den Schild eindrischt. Ein eher ängstlicher Charakter kann den Kampf begünstigen, indem er mächtigere Nahkämpfer gekonnt anfeuert.)

Fortschritt: Fortschritt in solchen Kampfsequenzen funktioniert wie bei Ironsworn mit einem Progress Track von 10 markierbaren Kästchen, um das Vorankommen der SCs und ihrer Verbündeten gegen die Gesamtheit aller versammelten Gegner zu repräsentieren.

Effekte von Offensiv-Würfen:
Am Ende jeder Kampfrunde wird das sogenannte Kampfergebnis ermittelt, um zu sehen, wie sich die Narrative entwickelt. Alle Erfolge der SCs in jeder einzelnen Kampfrunde werden zusammengerechnet, um das Ergebnis mit den Challenge Dice zu unterwürfeln.
• Ein Weak Hit bringt Fortschritt je nach Gefährlichkeit der Gegner, wie bei Enter the Fray definiert (siehe oben).
• Ein Strong Hit verdoppelt den eingespielten Fortschritt, und entreißt außerdem den Gegnern die Initiative, wenn sie diese gerade hatten.
• Ein Misserfolg lässt die Seite der SCs die Initiative verlieren, wenn sie diese bisher hatten, und für die Gruppe muss außerdem der Move namens Pay the Price gemacht werden.

Unterstützer:
Wenn auf Seiten der SCs weitere NSCs mitkämpfen, werden diese ebenfalls in ihrer Kampfstärke definiert wie die Gegner. Am Ende jeder Runde werden die Orakelwürfel für die Unterstützer gerollt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie nennenswert zum Vorankommen beitragen, hängt von ihrer generellen Kampfstärke ab (Erfahrung, Bewaffnung, Truppenstärke, usw.). Bei einem bestätigenden Orakelspruch tragen sie einen automatischen Erfolg zum Kampfergebnis der Runde bei, ist dies außerdem ein Pasch, zwei Erfolge. Bei einem negativen Orakelspruch verlieren sie einen Grad Kampfstärke für diese Szene, bei einem Pasch einen weiteren. (Sinkt ihre Kampfstärke auf null, sind sie für den Rest dieser Sequenz unerheblich geworden.)

Den Kampf beenden:
Um einen Kampf zu beenden, wird der Move End the Fight gemacht, wenn der Progress Track sich genügend gefüllt hat. Dieser Move funktioniert genau wie bei Ironsworn beschrieben (S. 82).

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Die Gegner sind mehrheitlich in ihren Crinos-Gestalten vom Gebäudedach herab geklettert gekommen, sie stinken nach Fleischresten, Schweiß und Pisse, und haben kein Interesse an Verhandlungen, nur am schnellen Zubeißen! Sie sehen deutlich nach Knochenbeißern aus, aber dieses Rudel ist jüngst insgeheim übergelaufen zum Feind.



Wir definieren sie als Formidable Gegner, denn es sind ebenso viele wie Verteidiger hier anwesend sind. Durch ihren plötzlichen Überfall haben sie natürlich die Initiative in diesem Kampf. Ab geht’s:

Runde 1: Mit Beginn eines Kampfes bekommt Zoe durch das Adrenalin einen Punkt Rage, und ist damit auf vollen fünf. Davon kauf ich ihr gleich mal eine Rage-Aktion. Einer der stinkenden Ahrouns flankt geschickt an der Kämpferin Mirabelle vorbei, und versucht Zoe und Kylah mit seinen gelben Fangzähnen zu erwischen! Beide müssen würfeln, um seinen fahrigen Attacken zu entgehen, Kylah weicht zurück, Zoe schnappt sich einen Holzstuhl, der von mehreren Bissen des Monstrums Stück für Stück zu Kleinholz verarbeitet wird! Holzsplitter fliegen und Geifer spritzt. Zoe versucht zwei Dinge gleichzeitig, sie nimmt ächzend ihre Crinos-Form an, und jagt dann dem Angreifer eins der scharfen Holzstücke des Caféstuhls in die Schulter! Kylah hält sich tänzelnd hinter Zoes schlagartig gewachsenem Umriss, und weicht mit großer Gewandtheit den Bissen der Scheusale aus.
Dann kommen die Rage-Aktionen dran. Zoes nun verlängerte Kiefer zucken vor, und sie beißt den Gegner in den Unterarm. Sein Fell schmeckt widerlich. Dies gibt ihr jedoch den verbrauchten Rage-Punkt zurück! Mit der eigenen Rage-Aktion krallt der Knochenbeißer-Ahroun nach ihr, durchdringt mit seinen brüchigen Krallen ihr Fell, und zieht tiefe, signalrote Schnittwunden über ihren einen Arm! Sie kassiert drei Wundlevel. Sie würfelt ihre Rage, aber mittlerweile ist Sichelmond, also ist die Schwierigkeit sieben, sie verfällt nicht in Raserei.

Die Kinder Gaias sind mehrheitlich ebenfalls in Crinos- oder Glabro-Form verwandelt, und kämpfen wild, Mirabelle und einer der anderen halten sich in der Nähe der jungen Schutzbefohlenen, und wehren Angreifer links und rechts von ihnen ab. Sie tragen einen Punkt zum Kampfergebnis der Runde bei.

Das gemeinsame Kampfergebnis in der ersten Runde ist acht, echt gut. Dagegen würfle ich also die Challenge Dice. Dies bringt trotzdem nur einen Weak Hit. Wir erhalten immerhin den ersten Punkt Fortschritt in diesem Gefecht.

Runde 2: Ich finde, es ist an der Zeit, Zoe richtig aufdrehen zu lassen, und setze diese Runde gleich zwei Rage-Würfel ein! Die verderbten Knochenbeißer haben weiterhin die Initiative. Zoe und Kylah werden zurückgedrängt von ihrem Angreifer, sie entziehen sich weiterhin erfolgreich den schnappenden, gelben Fängen. Der Mundgeruch des fremden Ahroun ist übelkeitserregend. Zoe fängt einen seiner Krallen-Schwinger ab, hält dabei seinen Arm gepackt, und gräbt ihre Zähne in seinen Bizeps.
„Raus' hier! Rückzug übers Dach!“, kommandiert Mirabelle. Kylah hechtet aus der Krallenreichweite des Bedrängers, und versucht das Fenster aufzustemmen, auf das die Anführerin gedeutet hat. Sie zerrt mit aller Kraft daran, bisher ohne Erfolg!
Dann kommen wieder die Rage-Aktionen: Zoe sieht sich dorthin um, und bringt heraus, „Kylah, runter!“, und gleichzeitig bringt sie mit Geschick und geballter Crinos-Stärke den Gegner in ihren Griff. Dessen Rage-Aktion lässt ihn wild um sich schnappen, aber Zoe entgeht seinen Kiefern, hält ihn gepackt. Mit ihrer zweiten Rage-Aktion hievt sie den räudigen Kerl über ihren Kopf, und wirft ihn mit einem wütenden Schrei meterweit durch den Raum, über die sich duckende Kylah hinweg, und durch das große Fenster! Sie erzählt mit Stärke+Athletik epische zehn Erfolge! Schrill jaulend durchschlägt der korrumpierte Knochenbeißer die Fensterscheibe, und kracht auf das Dach, das dahinter liegt!

Das Rudel der Verteidiger tut zeitgleich, was es kann, aber sie setzen größtenteils nicht-tödliche Knüppelschläge ein, was die Gegner höchstens verlangsamt. Viele von ihnen sind mittlerweile schwer angeschlagen. Ihre Kämpfstärke sinkt um eins, ab jetzt wird es unwahrscheinlich, dass sie noch etwas gezielt zu den Kampfergebnissen beitragen werden.

Dank Zoes epischem Erfolg beim Freimachen des Fluchtwegs ist das Kampfergebnis bei maximalen 10, das ergibt einen Strong Hit, und verdoppelten Fortschritt im Gefecht, damit sind wir nun insgesamt auf drei.

Runde 3: Ich kaufe erneut zwei Rage-Aktionen für Zoe. Mirabelle schreit heiser erneut, „Rückzug! Über's Dach!“, und gestikuliert in Richtung des Fensters, das Zoe soeben eingeworfen hat. Die anderen abgemagerten Scheusale ziehen sofort den Kreis enger, um den Kindern Gaias den Fluchtweg dorthin abzuschneiden. Zoe und Kylah entgehen nur haarscharf weiteren zuschnappenden Kiefern, kassieren mehrere kleine Schnitte und Abschürfungen. „Kylah — lauf!“, bringt Zoes grollende Stimme hervor. Die Punkerin nickt, springt mit dem Mut der Verzweiflung durch das eingeworfene Fenster, und ihre Kampfstiefel kommen auf dem Flachdach dahinter auf, sie sprintet mit eingezogenem Kopf weiter. Zoe hilft den Kindern Gaias, Kratzhiebe und Bisse auszuteilen, während sie sich ängstlich mit ihnen zum Fenster zurückzieht, macht sich bereit, ebenfalls rauszuspringen.
Auf den Rage-Aktionen der räudigen Meute entgehen unsere Protagonistinnen weiteren Verwundungen. Kylah und den vereinzelten der Verteidiger, die ihr folgen, hetzen bereits einige der Knochenbeißer nach über das dunkle Flachdach, versuchen geifernd, sie in die Beine zu beißen. Zoe springt mit angehaltenem Atem ebenfalls nach draußen, prescht auf allen Vieren hinterher, ihre Augen sind tränenblind, sie versucht die Feinde durch schnelle Bisse im Rennen von Kylah abzulenken.

Die Verteidiger sind jetzt zerstreut worden, manche noch im Caféraum, andere bereits auf dem Flachdach. Ihr Rudel ist völlig unkoordiniert, fast alle sind mittlerweile außer Sicht für Zoe und Kylah! Jetzt wissen die beiden Protagonistinnen also nur noch die grobe Richtung, in welche die Leitwölfin sie befohlen hat, aber sie kennen ja nicht das Ziel!

Ich würfle die Challenge Dice gegen das Kampfergebnis diese Runde, und auch diesmal kommt ein Strong Hit dabei heraus. Nach einer solchen Runde darf ich versuchen, den Kampf zu beenden, wir haben immerhin jetzt einen Fortschritt von fünf.

Ich versuche an dieser Stelle also waghalsig den Move aus den Ironsworn-Regeln namens End the Fight. Ich erziele mit großem Würfelglück einen Strong Hit!

Unsere Heldinnen haben den Kampf für sich entschieden! In der Situation, in der sie nun mal stecken, heißt das narrativ aber leider nicht, dass sie gloreich triumphiert haben, sondern eher, dass sie erfolgreich entkommen sind, und nicht völlig abgeschnitten worden sind vom Rudel ihrer Verteidiger. Das verderbte Rudel ist auseinander getrieben worden und gerade ohne Koordination, und hat dadurch eine Niederlage einstecken müssen! Bevor sie erneut gezielt zuschlagen können, müssten sie sich regruppieren.

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Soundtrack: Jason Graves, The Leviathan
https://www.youtube.com/watch?v=r1YT8isX-tE

Kylah kommt am hinteren Rand des Flachdachs an, schaut in die schmale Gasse hinab, und springt mit verzweifelter Tollkühnheit weiter auf das Nebengebäude. Zoe springt ihr hinterher, fährt dann aber herum, hebt die riesigen, ledrigen Pranken, zieht die Lefzen hoch. Sie spürt ebenso viel Angst, wie sie unvermindert Blutgier spürt. Aber nun hat sie nur noch einen einzigen Punkt Rage übrig, viel von ihrer animalischen Wut hat sie im Kampf verbrannt. Die Scheusale hinter ihnen jaulen und keckern, zwei oder drei sind noch als verschwommene Silhouetten in der Dunkelheit zu erahnen. Sie wagen sich vorerst nicht wieder heran.
„Kommt — doch! Reiße Euch — in — Stücke!“, bringt Zoes tiefe, grausige Stimme heraus.
„Nein, hast Du unser Alpha nicht gehört?“, raunt eine Stimme neben ihr, mit großer Bestimmtheit, „Wir ziehen uns zurück! Wir wussten, dass dieses Rudel hier irgendwo sein würde … wir haben die Aufgabe, die zur Strecke zu bringen … aber jetzt müssen wir zuerst Euch beide in Sicherheit bringen!“
Zoes massiges Haupt wendet sich ihm zu, fletscht die Zähne, und knurrt, „Reiße die — in — Stücke!“
„Still jetzt, Welpe! Versuch', Dich zurückzuverwandeln, schnell! Und dann folgt Ihr mir. Hier gibt es eine Feuerleiter. Wir haben die Nacht über das Gelände genau auskundschaftet ...“
„Aber daran, dass die Monster vom Dach kommen würden, daran habt Ihr nich' gedacht!“, zetert Kylah.
„Das Dach war vorhin leer. Die sind über die Penumbra dorthin gekommen.“

Zoe japst und knurrt, und versucht, sich auf ihre normale Gestalt zu konzentrieren, um in sie zurückzufinden. Ein paar schreckliche Sekunden lang glaubt sie, das wäre ihr nicht möglich, dann aber übernimmt plötzlich ihre Muskelerinnerung, und verwandelt sie binnen weniger Augenblicke zurück. Sie fletscht die Zähne vor Schmerz und Unbehagen, geht in die Knie, krümmt sich vor lauter Muskelkater auf dem Dach zusammen. Ihr Arm mit den langgezogenen Krallen-Einschnitten ist blutüberströmt.
„Zoe …!“, jammert Kylah mitleidig.
Der übrige Begleiter zieht hastig seinen ausgeleierten, geflickten Wintermantel aus, und legt ihn Zoe um die Schultern. Durch ihre überstürzte Verwandlung in Crinos-Form hat sie natürlich die Kleidung aus der Villa gesprengt. Sie bebt in der Morgenkälte, öffnet und schließt probeweise ihre schmerzenden Finger, jetzt, wo sie wieder ihre frühere Form haben, versucht verbissen, in die Ärmel des geliehenen Mantel zu schlüpfen.
„Daran werde ich mich wohl nie gewöhnen …!“, bringt sie würgend heraus.
„Hilf' ihr!“, weist der andere Werwolf Kylah an.
Diese spurt, und hilft Zoe hastig in die Ärmel des Wintermantels.
„Ich werd' den vollbluten …“, keucht Zoe benommen.
Der Garou hat ein langes Wurfmesser gezogen, und wirft prüfende Blicke über die Dächer und die Feuerleiter herab.
„Beeilt Euch schon! Die Luft ist gerade rein!“, zischt er nervös.
„Wer bist Du?“, presst Zoe hervor.

Gute Frage von unserer Heldin! Wollen wir doch mal sehen, das Würfelorakel sagt, Aloof Sailor who wants to Harm a Rival. Wie passend zur maritimen Stadt Portland.

„Ich bin Elliot Echoing Tide, Philodox der Kinder Gaias!“
„Warum überhaupt die Kinder Gaias?“, fragt Kylah verwirrt, „Wo sind die vom Gezücht des Fenris!“
„Genug davon! Vorwärts jetzt!“, zischt Echoing Tide.
Unter Wimmerlauten beginnt Zoe mit Kylahs Hilfe die rostige Feuerleiter hinab zu klettern. Alle ihre Muskelstränge scheinen bei jeder Bewegung zu rebellieren.



Elliot Echoing Tide, unser neuer Alliierter


Ist dort in der Gasse der Fluchtwagen der Kinder Gaias geparkt? Unwahrscheinlich, aber gucken kann man ja mal. Eine Neunundneunzig fällt! Das Orakel bestätigt, mit Dreingabe (dank dem Pasch):

Der hellgraue Neunsitzer des Rudels wird in dem Moment genau unter die Feuerleiter gefahren, und wartet dort mit laufendem Antrieb! Der Fahrer muss die drei schon von Weitem an der Dachkante gesehen haben. Statt umständlich und lautstark die untere Sektion der Feuerleiter aushaken zu müssen, um bis zur Straße hinab zu kommen, können die drei Flüchtenden sich nun ganz einfach auf das Dach des Neunsitzers hangeln!

Aber von dort müssen sie dann auch noch runter, und was wäre, wenn just in dem Moment ein paar der versprengten Abtrünnigen angerannt kämen? Ui, da würfle ich gar nicht erst, das machen wir!

Die korrumpierten Garou sind nur zu zweit, aber einer hat eine alte Knarre, die er aus seinen zerfledderten Lumpen hervor zieht, und der andere eine Geister-Gabe, mit der er die Geruchssinne der Flüchtenden attackieren kann (Stench and the City, aus dem alten Quellenbuch ‚Book of the City‘)! Zu zweit sind sie dennoch nur eine Unliebsame Begegnung. Allerdings erhalten die Renegaten erneut die Initiative bei ihrem überraschenden Auftauchen.

Runde 1: Zoe und Elliot bekommen beide einen neuen Rage-Punkt, als ihre Gehirne ihnen sagen, dass sie bereits wieder in Gefahr sind, und sie erneut erlesenstes Adrenalin ausschütten! Zoe und Kylah können ohne Schusswaffen nicht viel mehr machen, als flach auf den Bäuchen auf dem Dach des Transporters liegen zu bleiben. Zwei Pistolenkugeln pfeifen über sie hinweg! Glücklicherweise ist der verwilderte Penner ein sehr schlechter Schütze, sie werden beide nicht getroffen. Zoe vergisst ihren Muskelkater und die Armverletzung schon wieder, und schwingt sich über die Dachkante des Autos, klammert sich an den Dachgepäckträger. Bringt sich in Position, um einen der Streuner mit ihrer Klauenhand zu erwischen, bevor der Wagen Fahrt aufnimmt. In dem Moment stößt der unbewaffnete Verfolger ein überlautes, gutturales Rülpsen aus, und der entsetzliche Gestank von Fäulnisgasen, Verkehrsstaus, und Abwasserleitungen füllt die Gasse und umgibt die Fliehenden! Zoe und Kylah müssen würfeln, um dem betäubenden Gestank zu widerstehen, und schaffen es beide. Das bedeutet auch, dass Zoe nicht den Halt am Dachgestänge verliert. Während der beschleunigende Transporter an einem der Kerle vorbei braust, versucht sie, ihn mit der freien Klauenhand zu erwischen! Mit vier Erfolgen schlitzt sie die Reste seines ausgeleierten Hemdes auf, und zieht tiefe, blutige Striemen über seinen Rücken. Er schreit wutentbrannt auf.

Echoing Tide haut mehrmals auf das Autodach, und schreit „Gib' Stoff!“, und der Fluchtwagenfahrer drückt kräftig auf die Tube. Röhrend wird der Neunsitzer noch schneller, alle krallen sich schreiend am Dachgepäckträger fest.

Ich würfle die Challenge Dice, gegen die sechs akkumulierten Erfolge, die mein Kampfergebnis sind in dieser Runde. Ein Weak Hit, und da die Begegnung Unliebsam ist, dementsprechend drei Punkte Fortschritt.

Runde 2: Zoe, an der Flanke des Autos hängend, entgeht den schartigen Krallen des Werwolfs, der ihnen geifernd durch die Gasse nachrennt. Der andere feuert einen weiteren Schuss aus seiner Plempe, und verfehlt Kylah und Elliot weit. Kylah reckt sich ebenfalls herab, aber weniger tollkühn als Zoe, sie bekommt mit den Händen den Griff der Seitentür zu fassen, zieht daran, und stemmt sie auf. „Hier rüber! Rein ins Auto!“, schreit sie über den Fahrtlärm hinweg. Zoe hat ihre Fänge gefletscht, und denkt vorerst noch nicht dran. Ihr Mantelsaum flattert im Wind, während sie sich mit wilden Augen nach den Verfolgern umsieht, die bellend und grollend dem Transporter nach jagen. Ihre Augen leuchten manisch, lassen an tollwütige Hunde denken! Jetzt gerade holen sie zum Auto auf, aber binnen weniger Momente werden sie abgehängt sein. Letzte Chance also für einen Angriff! Sie bekommt einen im Nackenfell zu fassen, hält ihn mit all ihrer Kraft fest, und rammt ihn mit drei Erfolgen in einen stählernen Poller in der Ausfahrt aus der Gasse! Die Gestankwolke wird erneut ausgestoßen, von dem anderen räudigen Verfolger, und diesmal erwischt sie Kylah mit voller Wucht, ihre Augen tränen so stark, dass sie nichts mehr sieht, und fast fällt sie vom Autodach, als der Fahrer mit quietschenden Reifen um die Ecke herum kachelt!

Echoing Tide packt die Punkerin am Kragen ihrer Lederjacke, damit sie sich oben halten kann, und wirft mit der anderen Hand eins seiner Wurfmesser nach den Verfolgern, mit metallischem Zischen. Er steuert damit einen Erfolg zum Kampfergebnis bei, sein Wurfgeschoss scheint getroffen zu haben.

Unser Kampfergebnis diese Runde ist sieben, und erneut rollen die Challenge Dice. Eine zwei und drei, beides drunter, also ein Strong Hit! Das gibt uns erstmal drei weitere Punkte Fortschritt, und der Strong Hit verdoppelt diese auf sechs, für insgesamt jetzt neun!

Dann versuche ich jetzt, die Kampfsequenz abzuschließen, mit dem Move End the Fight; narrativ macht das Sinn, denn gerade ist das Fluchtfahrzeug in die Straße eingebogen, raus aus der Gasse. Und egal wie schnell die beiden Verfolger in Crinos-Form rennen können, sie werden wahrscheinlich jetzt abgehängt.
Die Challenge Dice ergeben einen Weak Hit. Damit trifft es ein wie oben vermutet — aber ich muss eine der Negativ-Konsequenzen aus der Liste des End the Fight-Moves aussuchen. Ich picke den Kollateralschaden heraus.

Ein letzter Schuss ertönt also, bevor das Magazin der Plempe leer geschossen ist, und das Fahrerfenster splittert! Der Transporter schlingert gefährlich. Glücklicherweise gibt es so früh am Morgen noch fast keinen Verkehr. Kylah klettert durch die von ihr aufgeworfene seitliche Schiebetür ins Innere. Sie keucht verzweifelt, „Scheiße, oh Scheiße!“, als sie versucht, am verwundeten Fahrer vorbei zu langen und ins Steuer zu greifen! Gleichzeitig packt oben auf dem Autodach Echoing Tide Zoes Handgelenke, die immer noch auf der anderen Seite des Autos strampelt, und hilft ihr mit aller Kraft zurück auf das Wagendach hinauf. Der eine Ärmel seines Wintermantels ist rot durchtränkt. Dann klettern sie beide Kylah hinterher, durch die Schiebetür ins Wageninnere.
Der Fahrer ist bleich und benommen, aber lebendig, die Kugel hat ihn als glatter Durchschuss an der Schulter getroffen. Sie verfrachten ihn hastig auf den Beifahrersitz, Echoing Tide prüft seinen Puls. Kylah klettert fluchend auf den Fahrersitz, und versucht, das Auto unter Kontrolle zu bringen. Sie hat ihren Führerschein noch nicht gemacht, aber natürlich schon mehrmals heimlich Autos gesteuert. Es gelingt ihr, wieder etwas mehr Fahrt aufzunehmen und um mehrere Ecken zu biegen, vorerst außer Gefahr.
„Was war da los?!“, verlangt sie währenddessen lautstark von dem fremden Werwolf zu wissen, „mit denen stimmte was nicht, irgendwas stimmte mit denen ganz gewaltig nicht!“
Zoe ist kraftlos auf den aufgeschürften Knien im hinteren Fußraum zusammengesunken, sie hat ihre letzte Rage und ihre letzten Willenskraftpunkte bei dem Stunt eben aufgebraucht. Sie klammert sich mit einer Klauenhand an der Kopfstütze des Fahrersitzes fest, um nicht umzukippen.
„Stimmt … Das waren doch Knochenbeißer“, bringt sie atemlos hervor, „Das sind doch unsere Freunde!“
„Dieses Rudel jedenfalls nicht mehr“, knurrt Elliot Echoing Tide, „die sind übergelaufen.“
„Was?!“, entfährt es Kylah, „Du lügst doch!!“
„Korrumpiert vom Feind, und jetzt insgeheim denen loyal, nicht mehr ihrem eigenen Stamm. Kurz davor, selber endgültig die Schwarze Spirale zu tanzen!“
„Nein!“, ruft Kylah, der Transporter schlingert. Was auch immer es zu bedeuten hat, was der Unbekannte da sagt, es scheint entsetzlich zu sein, so viel begreift Zoe.
„Ganz ruhig!“, knurrt Echoing Tide, „Zuallererst müssen wir mein Rudel wieder zusammenbringen. Und dann nehmen wir uns Euch an!“


Evolution: Damit hat Zoe wieder ordentlich EXP eingespielt. Ich gebe ihr einen sechsten permanenten Punkt Rage, und dazu passend einen zweiten Punkt bei Einschüchtern.


Zoe sitzt eine Weile später bibbernd auf der Rückbank, und sieht dabei zu, wie der fremde Werwolf ihre Krallenwunden auf Arm und Schulter desinfiziert und verbindet.
„... Sie machen das ziemlich geschickt! Dabei sehen Sie überhaupt nicht aus wie ein Arzt!“, sagt sie, und versucht sich an einem schiefen Lächeln.
„Es gibt kaum ein Kind Gaias, das sich überhaupt nicht mit Heilkunde auskennt“, murmelt er.
„Warum heißt Ihr Stamm so?“, fragt Zoe, weggetreten vor Erschöpfung, aber dennoch neugierig.
Elliot wirft ihr einen kurzen Blick zu, während er ihren Verband feststeckt, „Weil wir alle die Kinder der Erdmutter sind.“
„Aber hä? Das sind die aus den anderen Stämmen doch auch, oder?“
„Ganz gewiss! Die fundamentale, aber verborgene Wahrheit ist, dass wir alle Kinder Gaias sind! Wir sind der Stamm der Einigkeit. Wenn wir unsere Sache gut machen, dann können wir uns und anderen verständlich machen, dass dies so ist. ... So, Du bist fertig. Schön ruhig halten, den Arm. Binnen kürzester Zeit wird die erste neue Hautschicht sich bilden, dann geht’s bergauf. Nimm' eine andere Deiner Gestalten an, sobald wir raus sind aus Portland. Aber keinesfalls hier.“
Kylah guckt durch das Fenster der Schiebetür nach drinnen, sie steht gerade draußen vor dem Auto und raucht eine Zigarette. Sie haben den Neunsitzer abgeparkt hinter einem großen Teppich-Discounter. Von hier ist es nicht weit bis zum Autobahnzubringer. Der Blutsbruder mit dem Schulter-Durchschuss döst benommen auf dem Beifahrersitz, Echoing Tide hat ihn als ersten verarztet. Sie haben außerdem von seinem Telefon aus einen der anderen Blutsbrüder erreicht, von denen, die vorhin die Türsteher vor dem Treffpunkt gemimt haben. Mirabelle und die versprengten Teile des Rudels scheinen sich bereits auf dem Weg hierher zu befinden.
Der Philodox legt Zoe vorsichtig wieder seinen Mantel um die verletzte Schulter.
„Warum sind Ihre Klamotten eigentlich nicht kaputt?“, fragt Zoe, „Sie waren doch auch verwandelt, oben in dem Café, als der Überfall kam?“
Echoing Tide hat eine beige Lederhose mit Kreuzschnürung an, und eine Art Wams ähnlicher Machart, beides scheinbar aus einem einzelnen Stück handgemacht. Nur Schuhe hat auch er nicht mehr.
„Die sind mir Zugeeignet. Solche geben wir Dir auch, wenn wir im Caern sind. Wird höchste Zeit, mitten im November!“
„Ich erkälte mich schon nicht ...“
„Das will ich meinen, Dein Immunsystem ist nämlich unschlagbar seit dem Ersten Wandel.“
„... Ich bin also sowas“, sagt Zoe mit matter Stimme, während sie gegen die Rücklehne sinkt, „ein Kind Gaias?“
„Das warst Du immer schon, und wirst es immer sein, ob Du in unseren Stamm aufgenommen wirst oder nicht“, lächelt Elliot warmherzig.
Zoe lächelt auch, etwas weggetreten.
Sie merkt im Halbschlaf, wie Kylah neben sie auf die Rückbank klettert, und lässt sich dankbar gegen sie sinken. Das jüngere Mädchen legt behutsam die Arme um sie. Kurz darauf nimmt Zoe noch das Murmeln weiterer Stimmen wahr, als Leute einsteigen, dann sinkt sie endgültig in Schlaf, als das Auto wieder anfährt.

Schalter:
Damit geht der Road Movie wieder los!

Zoe erwacht im fahrenden Auto davon, dass Kylah aufgeregt redet; sie versucht zwar, leise zu sprechen, damit ihre Freundin nicht wach wird, aber sie verliert immer mehr die Beherrschung. Zoe blinzelt schläfrig.
„… Das glaube ich nicht! Unser Totem macht uns zäh, niemand kann den Kräften des Feindes so gut widerstehen wie unser Stamm! Das hat man mir gesagt!“
„Aber es gibt eben trotzdem keine Loyalität, die unerschütterlich ist, Kylah, und die dieses Rudels war es auf jeden Fall nicht. Sie haben sich heimlich von der Garou-Nation abgewandt.“
„Unvorstellbar! Da muss eine Art von … von Komplott vorliegen“, zischt Kylah.
„Ja, aber eins, an dem die beteiligt sind. Sie stehen in Kontakt mit Evan Gangrydge und anderen Blutsgeschwistern, von denen wir wissen, dass sie des Wyrms sind. Wir haben eine Reihe von Beweisen. Ich weiß, dass das unfassbar für Dich erscheinen muss. Die waren immerhin von Deinem Stamm.“
Kylah atmet gepresst, und schweigt.
„Es ist kein Zufall, dass dieses Rudel gleichzeitig zuschlägt wie die anderen, die verderbt sind“, fügt die gedämpfte Stimme hinzu, beinahe nur ein Knurren, „in derselben Region, und in der gleichen Nacht.“
„Wo sind die beiden Malgrimovs?“, fragt Kylah leise, „Haben die's noch raus geschafft aus der Gegend?“
„Ja, unsere Blutsgeschwister haben bereits telefoniert. Auch deren Versteck in der Villa ist nicht aufgeflogen.“



Zoe hebt zaghaft den Kopf, und sieht die Sprecherin an. Es ist diese Mirabelle, sie sitzt auf dem Autositz vor der Rückbank, auf der sie und Kylah sind. Ihre grauen Augen sind ein wenig einschüchternd, mit einer unerschütterlichen Festigkeit in ihrem Blick. Irgendeine gedämpfte Retro-Mucke läuft vorn in der Anlage des Transporters, aber nicht Zoes Art von Retro-Mucke, sondern nochmal zwanzig Jahre älter, so richtig altmodisch.

Soundtrack: Bob Dylan, The Times They Are A-Changin'
https://www.youtube.com/watch?v=90WD_ats6eE

„Unser neuer Welpe ist auch wach“, sagt Mirabelle mit einem Lächeln.
„Wer bist Du?“, fragt Zoe, „Du bist doch das Rudel-Alpha, oder?“
Alles an ihr fühlt sich übersensibel an, überreizt, insbesondere ihre Fingerspitzen.
„Ich bin Mirabelle Thunder-Magic-Spoke, Theurgin von den Kindern Gaias. Sei' uns willkommen, Zoe.“
„Starker Name …“
„Eine Textzeile von Creedence Clearwater Revival hat mir den zugetragen, bei meinem Aufnahmeritus! Und ich muss mir keine Sorgen machen um Urheberrechte, egal, wieviel Ansehen ich noch sammle, denn keine Musikfirma kennt die okkulte Welt.“
„Selbst wenn, Zitate machen darf man ja, rechtlich gesehen …“, murrt Kylah.
„Ihr seid nicht alle wieder vollzählig, oder …?“, fragt Zoe, während sie sich umsieht, der Sprinter ist nicht voll besetzt.
„Wir waren mit zwei Autos nach Portland gekommen. Die anderen sind auch bereits abgefahren, die nehmen mit dem anderen Wagen aber eine parallele Route. Sicher ist sicher. Wir bringen Dich jetzt zum nächsten Caern unseres Stammes. Von dort führen Mondbrücken über den Kontinent hinweg, zur Septe des Westlichen Auges, an der Westküste. Das war damals die Heimat Deines bekannten Großvaters, dort können die Ältesten Deine Einweihung und Ausbildung beginnen.“
„Wow … ich kann immer noch nicht so richtig glauben, dass es wirklich so weit sein soll. Und Ihr seid wirklich meine Leute?“
Mirabelle lächelt breit, „Unverkennbar! Ich kann Dir, meine Zoe, die Linie unseres Stammes genau anmerken, weißt Du! Roves-With-The-Morning-Clouds war Dir ähnlich, seinerzeit.“
„Ich habe auch eine Vorfahrin vom Gezücht des Fenris … eine Raubritterin, im Mittelalter ... aber ich glaube, sie war die letzte, die zu diesem Stamm gehört hat …“
„Das stimmt wahrscheinlich, nach allem, was ich weiß“, nickt Mirabelle, „Deine Linie gehörte ausschließlich zu den Kindern Gaias, seit sie erstmals aus Europa in die Neue Welt gekommen ist. Du kannst also Deine Reinblütigkeit nicht ins alte Phönizien zurückverfolgen, aber zumindest ein halbes Jahrtausend. … Du könntest damit irgendwann eine respektable Politikerin abgeben für die Stammesgeschäfte, weißt Du, zumindest dann, wenn Du kein Ahroun wärst.“
„Ahroun …? Das bedeutet doch …“
„Unter dem Vollmond geboren. Euereins ist von Euren Instinkten gemeinhin von allen anderen Lebenswegen etwas abgelenkt. Der ausgeschlagene Eckzahn, den Du da hast, spricht wahrscheinlich Bände.“
Kylah muffelt, „Ich dachte, Ihr seid ein Stamm von Pazifisten.“
Mirabelle nickt determiniert, „Ja. Pazifismus bedeutet, Frieden zu halten, wann immer es geht. Heute früh ging es nicht, wie wir alle gesehen haben. Um die Jahrtausendwende ist der Krieg wirklich erbittert geworden.“
„Ihr seid alle ziemlich angeschlagen …“, stellt Zoe fest, als sie die vielen Verbände und Kompressen sieht an den verschiedenen Mitfahrern.
„Ja, aber das Verräter-Rudel sieht noch schlimmer aus. Wir müssen schleunigst zurückkehren, um ihnen den Rest zu geben, wenn wir Euch in Sicherheit gebracht haben.“
„Ihr müsst Kylah zurück nach Detroit bringen!“, sagt Zoe, sich ihres Versprechens an Simon erinnernd. Als sie dies sagt, spürt sie einen schmerzlichen Stich: Wenn Kylah sie verlässt, um nach Hause zurückzukehren, dann ist sie ganz auf sich gestellt mit diesen Fremden und den Gesetzmäßigkeiten ihrer geheimen Welt …


Mir ist bereits so, als würde der Weg zum Caern des Westlichen Auges nicht so easy-peasy werden, wie er gerade beschrieben wurde …! Aber immer eins nach dem anderen.

Zoe und Kylah sitzen in einem kleinen Straßencafé in Harpswell und warten. Sie sind auf der Route 1 über Yarmouth und Freeport gefahren, und die Blutsgeschwister haben unterwegs neue Billo-Klamotten und Schuhe für sie gekauft. Und natürlich neue Zahnbürsten und Handtücher, weil ihre Reisetaschen ja im Kofferraum von Mister Malgrimovs Benz geblieben waren … Sie solle ihr Herz nicht mehr an Gegenstände hängen, hatte Simon zu Zoe gesagt, und sie hatte ihn insgeheim ein wenig überheblich gefunden in dem Moment, und gedacht, das sage er vor allem, weil er sowas wie ein Obdachloser sei, ein Aussteiger. Aber mittlerweile beginnt sie zu begreifen, dass er wohl Recht hatte …

Harpswell jedenfalls ist ein entzückendes, herbstliches Fischerdorf auf der Halbinsel, oberhalb von Casco Bay. Das Rudel ist gerade ausgeschwärmt, um sich zu versichern, dass der Feind ihnen nicht hierher gefolgt ist, und um Elliots Segelboot klar zu machen, das hier derzeit an dem kleinen Hafen liegt. Damit soll es rausgehen zu dem sogenannten Caern, es muss also in Wassernähe liegen, auf Long Island oder so. Alles, was Zoe und Kylah jetzt gerade zu tun haben, ist, unauffällig zu bleiben, und Kylah soll darauf Acht haben, dass Zoe sich nicht aufregt. Am heutigen Mittag hat sie aber nur einen einzigen Rage-Punkt, und fühlt sich ziemlich normal, beinahe wie ein Mensch ohne Wolfsinstinkte.

Und es ist der Moment des Abschieds. Denn Kylah darf laut dem Litanei-Gesetz nicht das Caern gezeigt werden, oder auch nur seine genaue Lage verraten werden. Die Kinder Gaias kümmern sich bereits darum, dass sie nach Detroit zurück kommt, wie versprochen, wahrscheinlich mit einem Greyhound Bus. Eine lockere 26-Stunden-Fahrt.
„Ich hab' mich in der Villa die ganze Zeit nicht so recht getraut, Dich zu fragen, Kylah …“, sagt Zoe, während sie an ihrem soundsovielten Fischbrötchen herumkaut, „… Wie hat das Ganze für Dich eigentlich angefangen?“
„Hm. ... An dem Abend, als Du dieses komische Lied ‚I Like‘ aufgelegt hattest. In der Videothek, als auch Mitch da war, und dann Lousy Five Bucks, und die Irren von Sutter Cross.“
„Nein, nein, ich meine, vorher. Da wusstest Du doch auch schon, dass Du eine Knochenbeißerin bist!“
„Ach so …“, Kylah schaut in ihren Kaffeebecher, „Ja. Ich bin ehrlich gesagt noch gar nicht lange dabei. Ich weiß selber noch gar nicht so viel über meinen Stamm, und die Welt im Untergrund.“
„Aber hattest Du auch so eine Art … Ersten Wandel?“
„Meine Fresse, nein, ein Glück! Nee, bei Blutsgeschwistern läuft das doch ganz anders. Meine beiden Tanten sagen, sie wussten schon ganz lange, dass ich eine sei. ‚Ein Quäntchen Wolfsblut‘, sagt die eine immer. Die sind nämlich auch Blutsschwestern, weißt Du? Und diesen Frühling haben meine Verwandten es genau wissen wollen, und mich Borrow-Bus vorgestellt. In einer Punk-Kneipe in Detroit, in meiner Hood. Und der hat sich dann eben verwandelt. Da war schon keiner von denen mehr überrascht, dass ich den Anblick aushalten würde.“
„Wer ist denn Borrow-Bus?“
„Wer ist Borrow-Bus? Nur mal eben der mächtigste Knochenbeißer-Vater in ganz Michigan, Zoe! Einer unserer Ältesten.“
„Entschuldige, wusste ich doch nicht.“
„Nee, natürlich wusstest Du das nicht, konntest Du ja gar nicht wissen, war ja bisher geheim!“
„Und Du hast ihn also verwandelt gesehen, und hattest gar keine Angst.“
Kylah lacht auf, „Eine Scheißangst hatte ich! Ich bin kreischend aus dem Gebäude gelaufen! Das war das Entsetzlichste, was ich je gesehen hatte, als … als wäre, ich weiß nicht, die Wirklichkeit plötzlich kaputt, wie einer Deiner Gruselfilme. Nur eben in echt.“
Sie erschaudert bei der Erinnerung daran.
„Na ja, aber dann haben mich hinterher meine Tanten vorsichtig gefragt, ob ich mich erinnern konnte. Natürlich konnte ich! Die haben aber gesagt, das wär' der Beweis, dass ich wie sie sei. Wenn ich kein Wolfsblut hätte, dann wären meine Angstzustände eventuell noch schlimmer gewesen, und ich hätte vor allem hinterher alles verdrängt.“
„Ach ja?“
„Ja, ja. Der Verstand von Menschen, die im Netz der Weberin gefangen sind, ist zu panne, um echte Beweise für die wirkliche Welt ertragen zu können. Die knallen durch. Zumindest vergessen sie alles hinterher, und reden sich ein, alles war nur ein Traum, oder Hallus, weißte? Da kommt auch der Schleier her.“
„Inwiefern?“
„Ihr müsst hinterm Schleier leben, weil die normalen Menschen nicht mal in der Lage sind, sich an alles zu erinnern, was sie mit Euch erleben. Wenn Du Dich zu krass verwandelst vor ihren Augen, ist Sense. Ende des Gesprächs, Sendeschluss. Und hinterher ist alles vergessen.“
„Das klingt zumindest gewissermaßen praktisch“, raunt Zoe dumpf.
„Ja, theoretisch. Aber in Wirklichkeit umso unpraktischer, haben meine Leute mir erklärt, denn man weiß halt nie, ob sich irgendwer nicht doch erinnert. Und für immer durchknallt, oder versucht, Beweise zu sammeln. Deshalb gibt’s das Litanei-Gesetz, glaub' ich. Wenn also jemand den Schleier hebt, dann müssen hinterher irgendwelche Rudel rausgeschickt werden. Schadensbegrenzung betreiben, verstehste?“
„Nee, nicht so ganz …“, haucht Zoe.
Kylah flüstert, „Na, Beweise verschwinden lassen. Zeugen verschwinden lassen. Dann rollen Köpfe.“
„Ach Du Scheiße.“
Kylah nickt, „Ja, das sag' mal. Aber wenn das stimmt, dass Du bei den Kindern Gaias landen sollst, dann kannste Dir womöglich gratulieren. Was das betrifft zumindest. Die sind so ähnlich wie meine Leute. Die sind voll die Menschenfreunde.“
„… Die Knochenbeißer sind Menschenfreunde? Massalfassar sah ziemlich gut gelaunt aus, als er die beiden SUVs abgefackelt hat …“
„Zoe, die haben versucht, unser Rudel abzuknallen!“
„Ja, ja … ich verstehe ja …“
„Ich muss mich auch noch dran gewöhnen, dass es die Werte gibt, die wir als Menschen haben … also die Werte aus der Weberinnen-Welt … und die der Werwölfe. Die gehen nun mal auseinander. Können wir nichts machen.“
„… Ich werd' Dich so schrecklich vermissen, wenn Du weg bist.“
Kylah grinst zynisch, „Aber ein bisschen wirst Du bestimmt auch froh sein, nicht? Ich bin eine ziemliche Nervensäge.“
„Du warst die beste Freundin, die ich je hatte!“, sagt Zoe, und dicke, heiße Tränen kullern über ihre Wangen.
„Oh nein“, sagt Kylah, und verdreht demonstrativ die Augen, „Und Du bist eine Heulsuse!“, aber sie legt gleich mal den Arm um Zoe, und blinzelt auch verdächtig häufig.
„Am Liebsten würde ich Dich gar nicht allein nach Hause zurück gehen lassen“, schnüffelt Zoe kläglich.
„Ich hatte eher den Eindruck, Du fandest das nicht so toll, als sich herausgestellt hat, warum ich mich mit Dir angefreundet hab'.“
„Na ja, fand ich ja auch nicht. Du bist nun mal Teil der Verschwörung! … Aber niemand hat mir so geholfen wie Du.“
„Du bist nur gefühslduselig, weil die bescheuerten Spät-68er uns einen halben Tag weinerliche Protestmucke von früher vorgespielt haben in ihrer Karre! So Bob Dylan und so'n Kram!“
Zoe muss lachen, und wischt sich über die Wange.
Kylah grinst, und setzt noch einen drauf, „Ach Du meine Fresse, schon allein der Gedanke dran, wie Du wahrscheinlich aussehen wirst, wenn Du schließlich zurück nach Detroit kommen wirst von dem Caern an der Westküste! Mit verschissenen Blumen in den Haaren! Einem Peacezeichen-Tattoo auf der Stirn, und einer winzigkleinen rosa Sonnenbrille…“
„Hör' auf!“, lacht Zoe.
„… und Deinem ganz eigenen Gender-Pronomen, und Zugeeigneten Schlaghosen!“
Sie sind einen Moment lang still.
Dann sagt Zoe leise, „Es fühlt sich an, als müsste ich für immer weg. Als wäre das womöglich das letzte Mal, dass wir uns sehen.“
Kylah klingt etwas unsicher, „Nee, Quatsch. Hast Simon und dem Rudel ja versprochen, dass Du nach Detroit zurückkommst. Und Shady Sabina auch, und allen!“
„Wer weiß, wie wir sind, wenn wir uns dort wiedersehen.“
„Siehste? Du fängst schon wieder an mit dem Hippie-Gesäusel!“
Sie lachen beide, aber es klingt auch ein kleines bisschen verzweifelt.

Schalter:
Und dann kommt kurz darauf der eigentliche Moment des Abschieds. Ein paar der Blutsgeschwister der Kinder Gaias kommen, um Kylah zum Busbahnhof zu bringen. Die sehen gar nicht aus wie Hippies, eher wie Seeleute oder Handwerker oder so, irgendwelche Einheimischen halt. Zoe wiederum soll mit Elliot Echoing Tides zum Bootshafen, und dort ablegen. Sie umarmen sich fest. Zoe kriegt es hin, nicht wieder loszuheulen, aber sie ist kurz davor; wie kann eine, die Menschen mit ihren Zähnen tötet, nur gleichzeitig so gefühlsduselig sein, sagt sie sich selbst, das passt doch gar nicht zusammen.


Es ist ein wunderbarer Herbstnachmittag, der blaue Himmel wird von orange-goldenen Wolkenschleiern überwandert. Elliots Boot bietet den fünf Personen, die übersetzen sollen, bequem Platz. Sie fahren nach Süden raus auf die Casco Bay, aber wollen Zoe nicht verraten, auf welche der Inseln sie wollen. Immerhin haben sie ihr nicht die Augen verbunden, weil das alles so geheim ist, oder sie KO geschlagen, oder so, denkt Zoe sich. Aber andererseits, nicht zu früh freuen, vielleicht kommt das ja auch noch!



Echoing Tide, der Philodox, sagt dem Neuzugang schon einmal die Litanei der Stämme auf bei dieser Gelegenheit, von ‚Bekämpfe den Wyrm, wo immer er haust und wann immer er sich zeigt‘ bishin zu ‚Du sollst nicht tun, was zur Entweihung eines Caerns führt‘. Besonderes Augenmerk schenkt er dem letzten dieser Gebote, welches gleichzeitig eins der wichtigsten ist, wie er sagt.
„… Die Caerns sind weltweit wenige geworden, musst Du wissen“, erklärt er, „Was die Satelliten der Weberin nicht erspähen und von ihren Baufahrzeugen planieren lassen, das unterwandern die Spione des Wyrms, und korrumpieren es, so scheint es heutzutage manchmal. Wir Garou hüten die Caerns seit Anbeginn der Zeit, als heilige Aufgabe von der Erdmutter Gaia, und wir beziehen von ihnen unsere Kraft.“
Mirabelle ergänzt, „Du wirst unser Caern heute kennenlernen. Wir werden Dich vorerst in die Nähe bringen, und mit Dir meditieren, um Dich rituell darauf vorzubereiten, das Heiligtum selbst zu betreten. Dann gehen wir über das Herz des Caerns in die Umbra, wo die Mondbrücken zur Westküste führen. Dies ist eine geweihte Pilgerschaft, denn diese besondere Reise führt durch die Geisterwelt. Wir nennen sie Umbra, denn sie ist der Schatten, den die stoffliche Schöpfung wirft.“
Die Theurgin klingt ganz andächtig, ein Schauder läuft Zoe über den Rücken.
„Einer der Knochenbeißer wollte mich schon durch die Umbra bringen“, erzählt Zoe, „einer namens Crash Site. Der hat aber nicht gesagt, das wäre eine heilige Pilgerschaft oder so. Für den schien das eher eine praktische Abkürzung zu sein.“
„Die meisten Knochenbeißer werden unterschätzt von den anderen Stämmen“, sagt Elliot, „die haben eine sehr klare Vorstellung von Heiligkeit. Sie drücken die nur auf eine Weise aus … die vielen Leuten nicht leicht verständlich ist. Die sind jedenfalls ganz gewiss nicht so wie das Rudel heute früh.“
„Ich kenne ein paar Knochenbeißer, Kylahs Leute. Die sind … durchgeknallt, aber irgendwie auch knuffig.“
„So kann man's womöglich auch sagen“, lächelt Echoing Tide.
Mirabelle jedoch bedenkt Zoe mit einem warnenden Blick, es scheint sich nicht zu gehören, so salopp von jemand anderem zu sprechen.
Etwas kleinlauter fährt Zoe fort, „Auf jeden Fall wollte Crash Site mich nicht rituell vorbereiten, oder so.“
„Das ist aber ratsam“, sagt Mirabelle streng, „Wir können Dich nicht tiefer hinein ins Caern führen, so wie Du jetzt bist. Starrend vom Schmutz der Welt der Weberin, und in diesem geistigen Zustand … total hibbelig. Die Geister nehmen Anstoß daran.“
„Ich bin heute total gelassen“, sagt Zoe, aber klingt tatsächlich total hibbelig, „Was für Geister? Ahnen?“
„Ja, auch. Ein ganzes Pantheon von Naturgeistern, Zoe, vereint unter unserem Stammes-Totem. Re'em, dem Wesen, das in der heutigen Welt als Einhorn bekannt ist, und welches die antiken Phönizier bereits kannten.“
Niedlich, ein Einhorn, will Zoe sagen, aber beißt sich auf die Zunge. Sie kann nicht beurteilen, was bei diesen Leuten ein lustiger Spruch ist, und was womöglich Blasphemie. Und sie weiß nicht, wie weitreichend ihr Welpenschutz sein mag.


Sie fahren zwischen vereinzelten Surfern und zahlreichen Fischerbooten hindurch, die kalte, sonnige Casco Bay hinab. Kleine Inseln liegen überall verstreut in der Bucht. Eine von denen scheint das Ziel zu sein. Die vier Kinder Gaias scheint die Anfahrt zu beruhigen, das Gefühl, sich ihrem Heiligtum zu nähern. Sie sprechen immer weniger untereinander, Thunder-Magic-Spoke wirkt richtiggehend meditativ, sie sitzt im Schneidersitz an Deck, den Wind in ihren aschblonden Haaren. Zoe kann nicht von sich behaupten, dass die Bootsfahrt sie sonderlich beruhigen würde, ihr bandagierter Arm pocht schmerzhaft, der Seegang und die Enge machen sie nervös. Sie bekommt einen zweiten Rage-Punkt.

Schließlich sagt Elliot feierlich zu Zoe, „Wir sind da: Jewell Island!“
Östlich von Long Island liegt eine kleinere Insel, die nicht besiedelt ist, und großteilig von dichtem, urwüchsigen Wald bedeckt ist. Die Farben im Licht des sonnigen Nachmittags wirken ungewöhnlich satt und intensiv.
Während sie auf einen langgezogenen, grauen Kiesstrand zuhalten, erklärt er, „Heutzutage ist Jewell Island nicht von Menschen bewohnt. Keine Fähre fährt dorthin. Es scheint nichts zu geben außer den verlassenen Bunkern aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. In Portland gehen allerlei Gespenstergeschichten um, über die nebeligen Strände … und die helfen dabei, Abenteuerlustige fern zu halten.“
Mirabelle ergänzt andächtig, „Hier hält unser Stamm seit siebzig Jahren das Caern der Nebelumwobenen Bucht.“
Zoe schaut zwischen den beiden hin und her, und dann auf den weiten Felsenstrand, aufgeregt wie ein junger Hund.



Jewell Island, Maine


Wie geht’s weiter, mit Meditation auf der einsamen Insel und dann einer Willkommensparty im Kreise der neuen Stammesgefährten? Oder vielleicht einer Fortsetzung des allgemeinen Action-Dramas? Ich bin mir etwas unschlüssig, also frage ich die Tabellen. Die Orakelwürfel sagen, Endure Strategy. Eine Strategie wird erduldet … oder sollen wir das interpretieren als Strategie des Ausharrens? Und wenn das eine militärische Strategie ist, dann heißt das, die Insel wird belagert! Das hängt dann unweigerlich zusammen mit dem Überfall der korrumpierten Knochenbeißer drüben in Portland! Ich weiß auch schon, wer das diesmal sein könnte.

Dann frage ich die Orakelwürfel noch, ob vom Caern aus Geister losgeschickt wurden, um die Neuankömmlinge zu warnen? Diese bejahen! Also dann:

Mirabelle zuckt plötzlich zusammen, und springt aus ihrem Schneidersitz auf, in die Hocke, wie eine sprungbereite Wölfin. Sie lauscht in den Wind. Ein paar Piniennadeln werden von der Brise getragen, ganz von der Insel her, und fallen lautlos auf das Deck, ganz in der Nähe von ihrer Position.
Zoe muss an Massalfassar denken, wie er auf dem Highway Nachricht von seinem unsichtbaren Geisterverbündeten bekommen hatte.
Die Theurgin wendet sich zu Echoing Tide um, und knurrt, „Sofort abdrehen!“
„Was ist los?“, fragt der Seemann.
„Das war einer unserer Waldgeister! Die Insel ist vom Feind besetzt! Das Caern wird belagert!“
Alle Garou an Bord fahren zusammen oder fletschen die Zähne. Auch Zoe bekommt einen dritten Rage-Punkt.

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