Pen & Paper - Rollenspiel > Pen & Paper - Spielberichte

[Werewolf: The Apocalypse | Ironsworn] Wyldreise

<< < (2/18) > >>

Schalter:
Dann befragen wir das Orakel nach einem Stichwort, wie es weitergeht. Die Orakelwürfel sagen, Overwhelm Mysticism. Soso! Na, da man Mystizismus schlecht überwältigen kann, machen wir doch stattdessen mal ‚überwältigenden Mystizismus‘ daraus, in Form einer Traumsequenz, wie ich sie bei Werewolf so liebe! Entsprechend:

Vielleicht waren die letzten zwei Tage doch ein bisschen viel für Zoes Nerven. Am nächsten Abend fällt sie nach der Schule auf ihre zerschlissene Couch, und beginnt vor dem Flackerlicht der Glotze dahin zu dämmern. Sie wollte eigentlich noch raus und was unternehmen, aber plötzlich ist ihr schwummerig. Ihre Innenorgane fühlen sich an, als wären sie größer als sonst, als wäre die äußere Hülle ihrer Haut zu eng für ihr Innenleben. Paradox eigentlich. Sie bildet sich ein, durch die Wohnungswand hindurch den Körpergeruch ihrer Nachbarn zu riechen, den unsichtbaren Schimmel hinter ihren Tapeten. Ihre Eingeweide grummeln. Die bläulichen Adern an ihren Unterarmen sind deutlich hervorgetreten.
Stunden scheinen zu vergehen in diesem Dämmerzustand, das Apartment ist dunkel, abgesehen vom gelben Licht der Straßenlaternen, das von unten hier herauf dringt. Zoes Kehle entringt sich eine Art tiefer Klagelaut. Die Erinnerung an das grausige, gebogene Schlachtermesser funkelt vor ihrem geistigen Auge, mit dem die drei Verrückten Lousy Five Bucks abstechen wollten. Die überdeutliche Erinnerung an die Halsschlagader des Fluchtwagenfahrers, und die Sekunde, in der sie hinein beißen wollte …

Plötzlich springt sie von der Couch auf, und ist mit drei Schritten im winzigen Bad. Kotzt ins Waschbecken. Sie schmeckt Galle, ihre Augen sind tränenblind.
Dann muss sie wohl hintenübergekippt sein, denn sie spürt plötzlich den Kachelboden und Badezimmerteppich in ihrem Nacken und an ihren Schultern …



Vor ihrem inneren Blick dehnt sich eine unendlich weite, surreale Graslandschaft aus, in Grün- und Gelbtönen. Majestätische Wolkenformationen ziehen darüber hinweg, und werfen schnell dahin huschende Schattenflächen auf die endlosen Hügel. Es ist schwülwarm, ein Sommertag. Dabei ist es draußen vor ihrem Apartmentfenster doch November …

Und wenn die angekündigte überwältigende Mystik jetzt eingetreten ist, was passiert in der Vision? Die Orakelwürfel sagen, Inspect Resources. Das ist einfach:

Der Wind spielt in Zoes Zottelhaaren, gedankenverloren streicht sie über ihre Ellenbogen, hellgraue Tonerde bröckelt davon ab. Sie ist mit dem Zeugs bedeckt, es mischt sich mit ihrem Schweiß zu einer schmierigen, halb erdigen Schicht. In ihrer Nähe stehen menschliche Gestalten, die komplett mit derartiger Tonfarbe angemalt sind, sie sind dünn und athletisch, ihre Bewegungen sind phlegmatisch aber höchst präzise, sie machen keinen überflüssigen Schritt oder Fingerzeig. Ein paar von ihnen schauen Zoe an, ihr Anblick scheint ihr fremd und zugleich vertraut. Zoe vermutet, dass sie hier mit diesen Menschen zusammen auf der Suche ist. In ihrem Traum akzeptiert sie ihrer aller Erscheinungsbild ohne große Schwierigkeiten.



Sie glaubt zu wissen, sie alle sind zum ersten Mal in ihrem Leben in diese Graslandschaft gekommen, um Kräuter und Wurzeln zu finden. Dies ist natürlich ein Wagnis: Aufgestellte Holzstöcker, über und über behängt mit Totenschädeln und Gebeinknochen, markieren die Grenze des Territoriums. Sie sind hergekommen, obwohl es heißt, dass die Gewitterwolken, die sich hier manchmal zusammenballen, gelegentlich hinab steigen, und als brodelnde Körper über die Hügel marschieren und schreien. Es heißt, dass das schreckliche, gefiederte Qu'min-Coru hier irgendwo seine Jagdgründe hat, denn aus diesem Land stammen die Legenden über es. Und doch sind sie hier, um Nahrung zu suchen, die ersten Menschen, die jemals Fuß auf dieses Land gesetzt haben. Sie setzen sich nach und nach in Bewegung, gemessenen Schrittes, und völlig geräuschlos.

Dabei fällt Zoe ein, woran die neue Landschaft sie erinnert: An die Buchillustrationen vom Paläozoikum, die sie als Grundschülerin so gemocht hat. Das Paläozoikum … oder ist dies noch ein völlig anderes Zeitalter, eines, das von der Weltgeschichte völlig vergessen wurde …?

Zwei Erfolge bei Geistesschärfe+Überleben lassen die schlammbedeckte Zoe nach kurzer Zeit einen klaren Bach finden, und essbare Wurzeln ganz in der Nähe. Sie winkt die anderen Wanderer wortlos zu sich, denn sie meint, ihre Sprache nicht zu verstehen.
Geschickte Hände raffen so viel zusammen wie sie brauchen können, dann klettern sie allesamt in die Zweige einer Gruppe aus riesigen, kahlen Bäumen. Zoe hat einen unerträglichen Hunger bekommen, und kann beim Klettern nur noch an ihre Beute denken.

Statt die Orakelwürfel zu befragen, entscheide ich mich, dass in jedem Fall mal Zeit für eine Actionsequenz ist:

Dann jedoch sitzen sie allesamt wie Affen in den dichten Zweigen, und die anderen lauschen unbewegt, gebannt geradezu, und auch Zoe verharrt und lauscht unwillkürlich mit: Schwere Schritte sind plötzlich zu hören. Das Qu'min-Coru ist ein erstaunlich guter Schleicher für eine Kreatur von zwölf Metern Höhe. Aber jetzt schleicht es nicht mehr, jetzt ist es bereits nahe genug heran, um zuzuschnappen! Vielleicht hat es auch nur mit einem starken Wunsch seine eigene Existenz herbeigeführt, und war bis eben tatsächlich gar nicht da, wer weiß.



Das Qu'min-Coru, urzeitlicher Herrscher dieser Gefielde, und leider gerade echt sauer!


Alle gleichzeitig beginnen sie zu flüchten, springen von Ast zu Ast, mit tierhafter Leichtigkeit. Zoe gelingt es irgendwie, mit den anderen mitzuhalten, aber sie fällt deutlich zurück. Unmittelbar hinter ihr splittert trockenes Holz, während der gewaltige, von Hauern gefüllte Schnabel des grellgrünen Laufvogels sich seinen Weg durch das Astwerk bahnt!
Mit zwei Erfolgen bei Geschick+Athletik hält Zoe sich ganz gut, ohne abzustürzen … aber die massige Schimäre setzt bei ihrem eigenen Wurf vier Stärke-Erfolge dagegen! Zoe spürt trockene Zweige unter sich nachgeben — und findet sich panisch schreiend auf dem gefiederten Kopf des Verfolgers wieder!
Mit vier Erfolgen krallt sie sich mit Fingern (und äußert geschickten Zehen) in den Federn fest! Das stampfende Etwas bemerkt sie kaum, während es den anderen Fliehenden nachsetzt!
Sie verlassen die Baumgruppe, und die Jagd führt weiter hinaus in die offene Landschaft. Ein Ast peitscht Zoe schmerzhaft ins Gesicht, und ihre Schläfe und ihr Kiefer brennen von der Wucht des Treffers. Der Hunger macht sie zitterig. Ihre Hände verlieren ihren Halt.

Summon Fame sagen an dieser Stelle die Orakelwürfel:

Die Ureinwohner schreien in ihrer panischen Flucht einen Namen, ‚Maju-Kha’! vielleicht den eines Götzen oder eines ihrer Helden. Verehrungsvoll klingen ihre Stimmen. Zoe hört ihre eigene heisere Kehle dasselbe Wort hinaus rufen, ‚Maju-Kha’. Mit einem Erfolg hält sie sich verbissen festgeklammert, während das Qu'min-Coru durch die auseinander stiebende Gruppe hindurch donnert. Es stampft und schnappt beim Versuch, die rennenden Leckerbissen zu erwischen mehrmals ins Leere. Abgelenkt von Zoes Gewicht dreht es dann unverhofft ab, und verschwindet mit hallendem Schrei zwischen den Hügeln. Als es den Kopf anlegt, gelingt es Zoe, abzuspringen, und sie rollt sich im hohen Gras ab.
Sie liegt verdattert auf dem nackten Rücken im Gras, und sieht den blauen Himmel und die Wolken über ihr, wie sie sich hypnotisch zu drehen scheinen. Sie fühlt nur noch Schwindel und Hunger.
Sie tastet mit zitterigen Fingern nach ihrem Umhängebeutel. Gierig beißt sie in die erste ausgegrabene Wurzel, und schmeckt ein überwältigendes Aroma von feuchter Erde, und darunter den Saft des Gewächses, und sie bildet sich ein, das sei das Beste, was sie je in ihrem Leben gegessen hat …

Vom eigenen Magenknurren erwacht sie plötzlich, findet sich wieder auf ihrem Sofa, im künstlichen Fernseherlicht, das die Düsternis ihres Apartment durchdringt. Ihr Körper ist wie betäubt. Sie muss sich unbemerkt aus dem Badezimmer zurück auf die Couch geschleppt haben, noch während sie weggetreten war. Sie muss sofort irgendwas essen. Sie angelt eine Cracker-Packung vom Boden, stopft eine Handvoll davon in ihren Mund, und spuckt sie sofort wieder aus, schüttelt sich, weil der Geschmack plötzlich unerträglich ist. Sie winselt hündisch, und fährt sich durch die Haare. Ihre geschwollene Gesichtshälfte pocht entsetzlich, und fühlt sich siedend heiß an. Im Traum ist dieselbe Stelle von dem Ast getroffen worden. Als sie mit den Fingerspitzen vorsichtig darüber fährt, bemerkt sie verblüfft, dass die Schwellung aber gar nicht mehr da ist.

Schalter:
Am nächsten Tag hat Zoe versprochen, zum Einkaufen zu fahren mit ihrem Dad. In seinem Auto hören sie 90er-Mucke, jetzt gerade läuft Take That. Zoes Dad sagt gerade irgendwas Abfälliges darüber, aber Zoe weiß, dass Robbie Williams auch einen gewissen Einfluss auf seine Musik hatte, als ihr Dad damals in seiner Band war.
Sie bemerkt plötzlich, dass sie geistesabwesend auf ihrer Unterlippe herumkaut und ins Nichts guckt, während sie versucht hat, sich an Details des unglaublichen Traumes gestern am Spätabend zu erinnern. Der Traum, den sie nach dem Kotzen hatte, es war wie so eine Art Fiebervision ...



Errol Matherson, Zoes Dad


„Hast Du etwa doch ein bisschen was abgekriegt, Zoe? Ich rede mit Dir!“, will Errol wissen.
„Abgekriegt?“, fragt sie, plötzlich wieder ganz im Hier und Jetzt.
„Von dem Veilchen da! Sieht total scheiße aus, total schlimm.“
„Ist aber gar nicht mehr schlimm, Dad. Ist auch schon komplett abgeschwollen, nur noch ein bisschen blau.“
„Tu' doch nicht so! Das reinste Ghetto ist das da, wo Du da arbeitest. Das ist ja praktisch schon Delray, wo das liegt. Alles Geisterstadt.“
„Ach Dad, hör' mal auf. Das ist der beste Job, den ich je hatte. Die Bezahlung ist ganz gut, die Arbeit ist leicht, und ich kann die ganze Nacht lang über Filme reden. … Und ich mag diese ganzen Nostalgiker eigentlich ziemlich gerne, da kommen ein paar originelle Fressen zusammen.“
„Das mag ja sein, aber Deine Fresse, entschuldige, Deine Schnute ist es, die mir Sorgen macht! Unvorstellbar, dass da sowas passieren kann. Dass Du Dich da mit Randalierern prügeln musst! Genau solche Sachen waren das, die Deine Mom und mich dazu gebracht haben, raus aus Detroit zu ziehen! Genau diese Scheiße.“
„Quatsch, Ihr musstet vor allem Eure Ehe retten!“, nuschelt Zoe trotzig.
„Ja, auch. Aber draußen auf dem Land ist es halt auch nicht so kriminell. … Sieh' bloß zu, dass Du nächstes Jahr Deinen Abschluss schaffst. Dann kannst Du da weg.“
Zoe sieht ihren Dad an, und fühlt einen Schwall aus Ärger: Er spielt darauf an, dass sie mal kleben geblieben ist und das Schuljahr wiederholen musste. Sie hasst es, wenn er das alte Argument hervor holt.
„Meine Noten sind ganz okay!“, sagt sie gepresst, aber das ist gelogen.
Ihr Vater redet weiter, als hätte er sie nicht gehört, „Dann kannst Du in einem Jahr eine Lehre machen oder studieren, woanders als in Detroit.“

Errol parkt vor dem Supermarkt, und sie steigen aus, Zoe bläst genervt die Backen auf beim Aussteigen, sie ist froh, dass das Thema erstmal durch ist.
Ein draußen angeleinter Boxerhund fletscht die Lefzen und bellt sie lautstark an, als sie zum Eingang gehen.
„Dreckstöle“, knurrt Zoes Dad angepisst, und sieht sich nach dem Besitzer um. Er verabscheut bellende Hunde, das ist wahrscheinlich der Grund, warum Zoe nie was mit Haustieren anfangen konnte. Und das Gefühl scheint gegenseitig zu sein, denn Hunde bellen oft in ihrer Gegenwart.
Als sie durch den Markt laufen, nimmt Errol das Thema von eben auch schon wieder auf: „Wie läuft es denn jetzt an der Schule?“
„Wieso fragst Du? Da gerate ich nie in Schwierigkeiten!“
„Kleiner Scherzkeks. So insgesamt, meine ich. Deine Mom macht sich ganz ehrlich gesagt immer noch Sorgen, dass Du jetzt ganz alleine wohnst, alleine zur Schule gehst, und überhaupt.“
„Ist ganz okay. Na ja, eigentlich habe ich keine richtigen Freunde in meiner Klasse.“
„Nanu? Ist doch schon das zweite Jahr mit der neuen Klasse! Und Du hast denen allen ein Jahr Lebenserfahrung voraus! Da bist Du doch wohl die Coolste!“
Zoe hievt Sojamilch-Kartons in den Einkaufswagen, „Weiß auch nicht, ich werd' mit denen immer noch nicht richtig warm. Lohnt sich vielleicht auch gar nicht mehr. Diesen Sommer ist das schon wieder vorbei, nach dem Abschluss gehen eh alle auseinander!“
„Und keine Verehrer?! Was ist denn mit dem ungarischen Jungen aus der Metalband geworden? Wie hieß der noch gleich?“
„Keith heißt der. Schnee von gestern. Ich glaube, der hat jetzt 'ne Neue an der einen Parallelschule, eine, die alles macht, was er sagt!“, antwortet sie, etwas schnippisch.
„Schade. Keith fand ich nett! Vielleicht wird das ja nochmal was mit Euch!“
Zoe lacht, „Du fandst doch nur gut, dass Du mit wem über Deine Gitarren-Riffs reden konntest! Überhaupt klang das damals noch etwas anders. Hast ganz schön die Augen gerollt, wenn der was gesagt hat, das Du doof fandest.“
„Ehrlich?! Nöö. Stimmt doch gar nicht!“
„Ist ja auch egal. Den schleppe ich nicht nochmal bei Euch an.“
„Ja, und sonst? Das ist doch 'ne große Schule, und halbwegs zentral! So wie Du aussiehst, meine liebe Tochter, müssten sich die Jungs um Dich reißen. Die müssten die blauen Flecken in den Gesichtern haben, weil sie sich um Dich kloppen!“
Zoe sieht Errol an, er wirkt plötzlich ganz zufrieden mit sich selbst, und sie malt sich aus, wie er morgen vor seinen Kollegen diesen tollen Satz wiederholt, ganz die pfundige Vaterfigur: ‚‚Die müssten die blauen Flecken in den Gesichtern haben, weil sie sich um Dich kloppen!‘, das hab' ich zu ihr gesagt!‘, und seine Kollegen würden daraufhin beifällig nicken.
„Die Leute mögen mich irgendwie alle nicht. Ich bin zu bockig und so! … Nur die kleine Punkerin einen Jahrgang unter mir, die hat einen Narren an mir gefressen. Die begleitet mich mittlerweile immer auf die Arbeit, um da mit abzuhängen. Wir sind grade voll das Gespann, die schrägen Mädels mit den schrägen Namen.
Diese Kylah, Du erinnerst Dich.“
„Hm! Punk ist auch ganz gut. Sex Pistols und so.“
„Kein Punk hört heutzutage noch die Sex Pistols, Errol!“
„Wieso nicht? Das war voll wichtige Musik damals, und ziemlich gut! Punk, das ist doch so zeitlos, und so nonkommerziell und so.“
„Ich bin viel lieber unter Lennings und seiner absurden Kundschaft als in der Schule, die gehen mir wenigstens nicht auf den Senkel“, sagt Zoe, „Irgendwie ist das knuffig, wie die ihrer Vergangenheit nachhängen.“

Als sie wieder im Auto sind, sagt Errol im Ausparken, „Tja, weißt Du, vielleicht ist das so eine Phase, die Du durchmachen musst.“
„Was denn bitte für 'ne Phase? Ich bin so!“
„Ja, nee. Mit diesem Lennings und seinen Nostalgikern, meine ich. … Hast Du vielleicht gewissermaßen von mir!“
„Von Dir und Mom habe ich eine Vorliebe für schlechte Musik!“
„Na ja, aber ich habe meinerseits ja auch jahrelang wem nachgehangen. Deinem Großvater! Vielleicht hat das auf Dich abgefärbt.“
Zoe sieht ihren Dad zögerlich an. Das Gespräch kommt heutzutage selten auf ihren Großvater, Errol hat meistens keinen Bock, über den zu reden. Das Kapitel hat sich immerhin geschlossen.
„Ich hab' nie versucht, über Großvaters Leben zu recherchieren.“
Ihr Dad lacht, „Ja, stimmt. Ist wahrscheinlich ein alberner Gedanke gewesen.“


Für die nächste Szene befragen wir wieder das Orakel, und das gibt vor, Focus Health. Daraus machen wir das Folgende:

Am nächsten Tag winkt Zoes Englischlehrer sie beim ersehnten Schrillen der Pausenglocke zu sich heran.
„Wie ist diese Gesichtsverletzung entstanden, Zoe?“, fragt er halblaut.
„Prügelei bei der Arbeit, Mister Nathan. Ich war im Recht!“, sagt Zoe genervt, sie hat es mittlerweile gehörig satt, über die Sache Rechenschaft abzulegen.
„Ich habe Dich gestern schon so auf dem Gang herumlaufen sehen, Zoe. Ich wäre ehrlich gesagt fast vom Glauben abgefallen. Du bist doch in der Abschlussklasse!“
„Nein, Sie verstehen nicht. Das war ja nicht aus Spaß oder so. Ich hab' doch Verantwortung für den Laden während meiner Schicht! Und ich wollte einem helfen, der von so Schlägertypen bedroht worden ist!“
„Was für einem?“
„Einem Penner, na und?“
„Zoe. Geh' bitte heute in Eurer Freistunde zu unserer Schulpsychologin. Du weißt, wo Du Ihr Büro findest? Ich habe Euch einen Termin arrangiert.“

Die Schulpsychologin Mrs. Squarebrook ist bereits bestens informiert, sie weiß, dass es einen Polizeieinsatz gab auf Zoes Arbeit, und einen Unbekannten mit Messerwunde. In irgendwelchen Nachrichten war die ganze Geschichte nicht zu finden, aber ein paar Schüler immerhin zerreißen sich die Mäuler darüber, und die Squarebrook ist klasse vernetzt, die scheint immer alles genau zu wissen, was die Schüler gerade unter sich reden. Zoe kann sie nicht besonders leiden, seit einem Routine-Gesprächstermin, der ihr vor ein paar Jahren aufgezwungen wurde, als es damals gerade zwischen ihren Eltern gekriselt hatte. Die Squarebrook sieht ein wenig karrikaturenhaft aus, mit ihrem knochigen Körperbau und dem sehr breiten Mund, und ihr Blick scheint immerzu etwas vorwurfsvoll.



Schulpsychologin Squarebrook


Was ist das Stichwort des Würfelorakels für Mrs. Squarebrook? Capture Mysticism! Oho, sie will das verirrte Lamm auf den Boden der Tatsachen zurück holen! Also:

„…Und was hat Sie dazu gebracht, Miss Matherson, diesen Nebenjob anzunehmen?“
„Äh, ich mag halt Filme.“
„Was ist Ihr bevorzugtes Filmgenre?“
„Na ja, so Gruselfilme, und Thriller und sowas.“
„Ja, soso. Trivial Entertainment. Fast so schlimm wie Fantasy und Science Fiction.“
„Was soll daran schlimm sein?“, fragt Zoe, jetzt richtig genervt.
„Miss Matherson! Geschichten über Obsession, Halluzinationen, und Wahnsinn!“
„Quatsch. Ehrlich gesagt, Miss Squarebrook, was Sie sagen, ist Quatsch! Die sind doch nicht alle gleich.“
„Sie müsste man mal auf den Boden der Tatsachen zurück holen, Miss Matherson! Schluss mit den Nachtschichten, Schluss mit den Horrorfilmen. Keine Prügeleien mehr! Dann haben Sie auch mehr Zeit für Ihren Schulstoff, und versagen nicht bei Ihrem Schulabschluss. Wenn ich könnte, würde ich Ihnen das verpflichtend auferlegen.“
„Ja, toll, sehr witzig! Hören Sie mal, ich muss eine Wohnung in Detroit finanziert kriegen, Monat für Monat! Meine Eltern können mir eben nicht so viel Unterhalt zahlen, da brauche ich meinen Job!“
„Schnickschnack, es gibt auch Förderungen für sowas. Habe ich das richtig verstanden, Sie wohnen schon nicht mehr bei Ihren Eltern?“
„Ja, und?“, ruft Zoe sauer.
„Sie sind doch erst 18! Ein Schulkind!“
„Sie können mich mal! Ich kann wohl kaum in die Provinz pendeln, und jeden Tag vier Stunden Bahn fahren!“
„Ausfällig zu werden hilft Ihnen da auch keinen Deut weiter, Miss Matherson! In der Bahn könnten Sie ganz großartig Ihren Schulstoff vor- und nachbereiten, denken Sie nicht?“
„Ich weiß nicht mal, was ich hier in Ihrem Büro mache! Ich muss mir doch von keiner Schulpsychologin erzählen lassen, wie ich mein Leben zu gestalten habe“, knurrt Zoe.
„Dann sind wir für diese Woche wohl fertig. Sie scheinen nicht mehr ausreichend aufnahmefähig für meine Beratung. Kommen Sie nächste Woche wieder, zur selben Zeit. Und denken Sie bis dahin über all das gründlich nach, das ist quasi meine Hausaufgabe für Sie.“
Innerlich brodelnd sieht sie, wie Miss Squarebrook sich Notizen macht, ohne noch einmal aufzuschauen. Sehr viele Notizen. Mit einem wütenden Zähnefletschen verlässt Zoe das Büro.

Schalter:
An dem Abend sitzen sie spät alle in Zoes Wohnung, zusammengequetscht auf der schrabbeligen Couch, Zoe, Kylah, und Mitch, und gucken ‚Conan der Barbar‘. (Natürlich per Streaming, Zoe käme im Traum nicht darauf, einen von Lennings' ollen Leihfilmen mitzunehmen, sie hat auch überhaupt keinen DVD-Player, oder gar Videorecorder.) Das Fernseherlicht lässt die Wände der kleinen Wohnung grünlich flackern. Mitch mosert die ganze Zeit ordentlich an Conan rum, und betont immer wieder, dass es in den 2010ern eine Neuverfilmung gab, die viel besser war. Zoe stopft die ganze Zeit Schinken-Chips in sich rein. Was auch immer gestern los war mit den Crackern, das ist wieder vorüber. Das Zeug hier schmeckt zwar nicht besonders, aber es ist ordentlich davon da, und sie hat einen Hunger, der nicht weggeht, richtiggehend Fressgier ist das!
„Wenn Du so weitermachst, siehst Du in kürzester Zeit so aus wie Mitch!“, kommentiert Kylah, als Zoe die vierte Tüte aufreißt.
„Quatsch, ich brauche jede Menge Kalorien für den Sportunterricht! Ich verbrenn' das wie nix. Und meine Sport-Note muss meinen Abschluss retten.“
„Vielleicht biste schwanger!“, schlägt Kylah munter vor. Zoe hat ihr heute das mit dem Kotzen erzählt, und dem Fiebertraum hinterher.
„Dann müsste das aber unbefleckte Empfängnis gewesen sein! Seit Keith ging da nix mehr“, sagt Zoe mit einem Naserümpfen, „Ach so, passend zum Thema! Fresse jetzt, jetzt kommt die heiße Szene mit Conan und der Hexe!“
„Das findest Du gut?“, fragt Mitch pikiert, „Die ist ja eher ältlich, die sie da gecastet haben. Mehr so Softporno.“
„Ja, aber Arnie sieht gut aus. Und gleich kriegt sie spitze Zähne und versucht ihn abzumurksen!“, sagt Zoe mit leuchtenden Augen.
„Sehr romantisch alles!“, nickt Kylah, sie kann manchmal klasse ironisch tun.
„Igitt, Arnold Schwarzenegger“, mosert Mitch, „ist das nicht die Gelegenheit, nochmal auf das Remake zu verweisen aus den —“
„Das wird alles noch epischer. Die Story muss sich ja erst warm laufen“, sagt Zoe, Schinken-Chips kauend, „Hier, gleich verwandelt sie sich! Voll klasse!“
Sie lauschen auf das Geschrei der Hexe, das immer verzerrter wird.
„Ihr beide habt‘s echt mit diesen Horrorfilmen, was?“, sagt Mitch trocken.
„Ich nicht, sie“, sagt Kylah, „ich gucke nur mit.“
„Kein Wunder, dass Du das gut findest“, sagt Mitch, „das passt zu Deiner einen Gesichtshälfte. Wenn Du wüsstest, was für Blicke die sich in der Klasse gegenseitig zuwerfen, wann immer Du uns den Rücken kehrst!“
„Was denn für Blicke?“, fragt Zoe kauend, mit düsterem Gesicht.
„Lasst die doch in Ruhe! Das ist total asozial, hinterher auch noch über die zu lästern!“, braust Kylah auf.
„Nee, da lästert gar keiner. Mehr so von wegen fasziniertes Grauen“, sagt Mitch, „Das Weibchen ist die gefährlichere Variante bei der Spezies.“
„Na klasse“, sagt Zoe düster.
„Jasmine und Ellen haben doch vorhin angeboten, Dir das zu überschminken“, sagt Mitch, „Mach' das doch!“
„Ach, Blödsinn. Das ist nur noch ein bisschen blau, das ist so gut wie weg. … Wir müssen gleich mal runter zum Laden und nochmal Knabberkram kaufen.“

In den frühen Morgenstunden ist Mitch bereits eingenickt, während dem Anfang von ‚Dark City‘. Monochrome Töne flackern durch das Zimmer. Zoe und Kylah sind mittlerweile auch etwas wischi-waschi vor Müdigkeit, aber haben eisern vor, bis Ende des Films durchzuhalten.
„Weißt Du, wie das Genre heißt?“, sagt Zoe, „Film Noir. Manchmal glaube ich, wir leben in einem. Die ganze Welt ist sowas wie ein Film Noir.“
„Über Filmgenres reden kannste mit dem Kartoffelmann. Ich will nur noch wissen, wer gewinnt, und dann ins Bett.“
„Was is'n eigentlich mit Dir? Mit Deinem Simon da?“
„Wieso, was soll sein?“, fragt Kylah defensiv.
„Na, hast Du den wo unterbringen können? Und überhaupt, geht da was mit dem?“
„Hä? Nee. … Vielleicht irgendwann mal …“
„Oho! Kylah, Dich hätte ich nun wirklich nicht für den Typ gehalten, der seine Romanzen lange im Voraus plant!“
„Ach, Quatsch! Gar nix geht da.“
„Der ist so richtig Total-Aussteiger, oder? So von wegen, raus aus dem Schulsystem, und ‚die Menschen-Regeln gelten nicht mehr für den‘?“
Kylah sieht Zoe ins Gesicht. Sie sieht erschrocken aus. Fernseherlicht tastet bläulich über sie beide.
„Na, irgend sowas habt Ihr doch geredet im Weggehen, oder? Der ist sowas wie'n Total-Aussteiger, kein Ausweis, Bundesflaggen verbrennen und das ganze Zeug! Landstreicher aus Leidenschaft! Der zieht's durch mit dem Punkrock, im Gegensatz zu so Schlaffies wie uns, die trotz allem artig die Schulbank drücken.“
„Äh, ja, so einer ist das wohl“, sagt Kylah, und richtet den Blick wieder auf den Film.
„Ja …“, sagt Zoe leise, und schaut das andere Mädchen unverwandt von der Seite an.


Bei Zoes nächster Schicht kommen zwei Cops in die Videothek, und steuern zielstrebig auf den Tresen zu.
„Ach ja, Zoe, ich hab' denen gestern gesagt, dass Deine nächste Schicht heute ist“, sagt Mister Lennings halbarschig, als er die beiden Polizisten nahen sieht.
Kylah guckt die Fremden alarmiert an, und macht sich unwillkürlich klein.
„Hä, wieso, was wollen die denn?!“, fragt Zoe verwirrt.
Lennings zuckt die Schultern.
„Sind Sie Miss Matherson?“, fragt einer der beiden, als sie am Counter Halt machen.
„Ja, schon“, sagt Zoe defensiv, „aber wir haben doch letzte Woche schon geplaudert! Ich hab' Ihren Kollegen an dem Abend schon alles gesagt, was ich weiß.“
„Es sind noch ein paar weitere Fragen aufgekommen, Miss Matherson“, sagt der andere streng.

Die Cops gehen mit Zoe nochmal raus auf den dämmerigen Parkplatz, und lassen sich die Stelle zeigen, wo ihre Rangelei stattgefunden hat. Eigentlich wollen sie aber nur im Vertrauen reden (wie Zoe mit drei Erfolgen bei Wahrnehmung+Empathie begreift).
Schließlich senkt der eine die Stimme, und sagt, „... Der Typ wird sehr wahrscheinlich dem Gesetz durch die Maschen gehen, Miss! Der beharrt darauf, nichts zu wissen, und da nur zufällig reingeraten zu sein. Die Namen der anderen sind nicht rauszubekommen.“
„Blödsinn, der war doch ganz klar denen ihr Fluchtwagenfahrer! Das war offensichtlich alles ganz genau eingeübt!“, braust Zoe auf.
Der Polizist spricht weiterhin gedämpft, und sagt, „Die Bande hat auch immer nur Obdachlose angegriffen. Sehen Sie zu, dass hier künftig keine auf das Gelände kommen, dann kriegen Sie solche Schwierigkeiten nicht nochmal.“
„Und das soll jetzt die Lösung sein?! Das sind richtig gestörte Kriminelle, wie im Fernsehen oder so!“
„Nein, das ist keine Lösung, Miss! Aber wir und unsere Kollegen werden Ihnen da nicht groß helfen können, der Fall wird wahrscheinlich jetzt so lange aufgeschoben werden, bis der verjährt. So lange da keiner zu Schaden kommt, der kein Obdachloser ist, läuft das unter dem Radar. Schlimme Zustände sind das! Aber das Department hat noch ganz andere Dinge zu lösen, verstehen Sie?“
„Vielleicht hat Ihr Chef da drin ja neben Ihnen noch ein paar andere kräftige Mitarbeiter, irgendwelche Jungs, die da aushelfen können. Und Sie wissen ja noch, wie die Kerle aussehen, Sie könnten die wiedererkennen“, sagt der andere rätselhaft, und reicht Zoe einen zusammengefalteten Zettel von einem Notizblock, „Ach ja, den hier haben Sie im Rausgehen verloren.“
Zoe will protestieren, dann macht es bei ihr klick. Sie schaut auf den Zettel, da steht ein Name und eine Adresse, sonst nichts.
Sie begleitet die Cops zurück, und die verabschieden sich, wünschen ihr und Mister Lennings viel Glück.

Da sind offensichtlich korrupte Cops am Werke, die Bürgern wie Zoe ermöglichen wollen, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen. Glücklich sind die mit Fällen wie diesem offensichtlich auch nicht, aber angesichts der Auftragslage des Detroit Police Department glauben sie, eine Art Lynchjustiz ist für Zoe und Mister Lennings die einzige Möglichkeit, so sie das Ganze nicht auf sich beruhen lassen wollen.

Als Zoe sprachlos den beiden Polizisten nachguckt, wie sie über den leeren Parkplatz zu ihrem Streifenwagen zurück gehen, hört sie sie noch leise untereinander reden.
„Haste gesehen, wie Blondi guckt? Auf ersten Blick eine zum Anknabbern, aber bei näherem Hingucken — der reinste Killerblick!“
„Jau. Könnte einem Angst und Bange werden bei der! Die hat ganz alleine diesen Wilco in den Graben getackelt, sagst Du?“
„Und fast ersäuft!“
Zoe schüttelt ungläubig den Kopf, und sagt sich, dass sie unmöglich hätte hören können, wie die beiden miteinander reden, so weit weg, wie die mittlerweile sind, und noch dazu mit dem Lärm der Autobahn in der Nähe ...!
Sie guckt nochmal auf den Adresszettel: Shawn Wilco ist der Name, der über der Adresse steht.

Schalter:
Zoe ist sich unsicher, ob sie Kylah dazu nach ihrer Meinung befragen will. Irgendwas stimmt nicht mit der Kleinen! Die hat selber irgendwelche Geheimnisse!

Die Orakelwürfel sagen jedoch sehr deutlich, dass Kylah den Zettel in Zoes Hand bemerkt hat!

„... Gucken wir noch einen Film nach der Schicht?“, fragt die Punkerin zwischendurch, „Meinetwegen können wir auch wieder Mitch fragen, ob er mitgucken will.“
„Ich will nach der Schicht nochmal zum Eastern Market …“, sagt Zoe, „Immerhin ist Freitagnacht.“
„Bäh, bei dem Wetter?“, fragt Kylah, „Aber gut. Eastern Market ist immer gut.“
Sie wird sich nicht abschütteln lassen, vermutet Zoe. Also holt sie den Zettel von dem Cop aus der Hosentasche, und fragt, „Was hältst Du hiervon? ‚Addingson-Gebäude, Keller‘. Ist da irgend ein Shop oder irgendeine Bar, die man kennen sollte?“
„Sagt mir überhaupt nichts. Was ist denn überhaupt die ganze Zeit mit diesem komischen Zettel da?“
Zoe lehnt sich mit den Ellenbogen auf den blauen Plastiktresen, wodurch sie genau Kylah gegenüber steht, wie diese so auf der anderen Seite auf ihrem Tresenhocker herum lümmelt. Kylah guckt überrumpelt wegen der Intensität in Zoes Augen.
Zoe flüstert, sehr eindringlich: „Da ist wahrscheinlich der Fluchtwagenfahrer von neulich zu finden! Die Cops finden die Sache zweitrangig. Wenn der und seine drei Psycho-Kumpels nochmal einen Denkzettel kriegen sollen, dann müssen wir das selber machen! Die haben mir die Adresse vorhin zugespielt.“
Als sie das ausspricht, bemerkt Zoe erst, wie dringend sie das machen will. Gar nicht mal um Gerechtigkeit zu erkämpfen, oder als persönliche Mutprobe … sondern einfach nur wegen des Nervenkitzels der Jagd, den sie empfindet, wenn sie davon spricht.
„Das dürfen die überhaupt nicht …!“, flüstert Kylah zögerlich, „Und außerdem ist das bestimmt eine Falle! Die Arschlöcher wollen Dich hops nehmen, wenn sie Dich dabei erwischen!“
„Gedacht wie ein richtiger Punk, Kylah!“, grinst Zoe, „Aber mal ehrlich, die haben nichts gegen mich. Wenn die Cops diesen Irren schon nicht hinterher fahnden können, dann verschwenden die auf mich schon mal erst recht keine Zeit.“
„Fall' da bloß nicht drauf rein!“
„Du bist paranoid. Kommst Du jetzt mit oder nicht?“
„… Klar. Klar komm' ich mit.“
„Tapferes Mädchen! Kannst zumindest irgendwo Schmiere stehen oder so. Wir wollen ja nur wissen, was hinter dieser Adresse steckt.“
„Aber doch nicht gleich heute Nacht!“
„Warum nicht? Es ist Freitag, da ist ordentlich was los im Eastern Market!“
„Aber Du hast ja den Zettel grade erst gekriegt!“
„Worauf sollten wir warten?!“
„Na, und wenn das doch ein Setup ist? Und ich muss da erst Leute zu fragen. Äh, so Punk-Bekannte, von früher und so. Die kennen den Eastern Market. Vielleicht fällt denen was dazu ein.“
„Nee nee, diesmal ist nix mit Deinen ganzen komischen Punk-Kumpels, Kylah. Wir gehen da direkt nach der Arbeit hin, so lange die Scheiß-Fährte noch frisch ist. Ich will wissen was dahinter steckt!“
„Und Du glaubst, das haben diese zwei Cops vorhin gewollt?!“
„Nee, die haben gewollt, dass Lennings einen Trupp aus schweren Jungs zusammentrommelt, der das macht! Aber wir wollen ja gar keine Keilerei, diesmal! Wir wollen nur wissen, was dieser Shawn Wilco für einer ist, und was das für ein Laden ist da beim Eastern Market! Dann hinterher kannst Du meinetwegen Deine ach so schlauen Punks dazu befragen. Und dann sehen wir weiter!“


Also fahren sie morgens um zwei nach Schichtende zum Eastern Market im Zentrum von Detroit, der sich über diverse Ladenzeilen und Lagerhäuser erstreckt. Aus kleinen Tanzschuppen und Nachtcafés kommen Beats und bunter Lichtschein, beim Novemberwetter sind die Straßen leer, dafür sind einige der Läden gerammelt voll.
Das Addingson-Gebäude liegt abseits des Eastern Market, da, wo das Stadtbild zwischen den Containerburgen und Schrotthalden schon merklich abgefackter wird. Es sieht aber nicht aus wie eine Disco oder Markthalle, eher wie ein altes Lagergebäude mit Büros drin.
„Bist Du sicher, dass es das ist?“, fragt Kylah unsicher, als beide Mädchen an der Fassade hinauf schauen.
„Die Adresse stimmt jedenfalls!“, raunt Zoe.

Erscheinungsbild+Überzeugen liefert drei Erfolge, als die beiden beim Eingangstor des Gebäudes versuchen, an den fetten Türstehern vorbei zu kommen.
„Ey, wir sind da unten verabredet!“, flunkert Zoe, und zwinkert kumpelhaft. Dreistigkeit gewinnt.
Im Addingson-Haus kann man sich locker verirren, auch jetzt in den frühen Morgenstunden scheint es da auf mehreren Stockwerken und Hinterhöfen irgendwelche kleinen Veranstaltungen zu geben, teilweise vielleicht Privatparties, alles wirkt auf die Teenies reichlich undurchsichtig auf ihrem Weg in den Keller. Sie fahren mit einem scheppernden Industrie-Fahrstuhl runter, zusammen mit einer Traube Gothics und zwei Bierlieferanten, die allesamt recht düster dreinblicken.

Zwei Erfolge bei Geistesschärfe+Straßenwissen lassen die beiden einen schmucklosen Seitenkorridor finden, der zu dem Adresszettel passt. Hier ist so richtig Gesichtskontrolle, noch gründlicher als oben am Haupteingang. Die Türsteher sehen diesmal anders aus, abgerissen und vernarbt, wie richtige Hooligans. Mit dem guten Wurfresultat gelingt es Zoe, den perfekten Moment abzupassen, um sich und Kylah mit in den Korridor zu drücken, während die Kerle gerade mit einer anderen Gruppe beschäftigt sind. Der Gang führt sie durch mehrere Feuerschutztüren und Gittertore hindurch, der Teil der Unterkellerung, der dahinter liegt, kann schwerstens verbarrikadiert werden, wann immer die Betreiber es wollen …

An den langen Gang schließt eine schummerig beleuchtete Markthalle an, die sich vollgestopft und lärmend vor den beiden staunenden Schülerinnen eröffnet. Hunderte Menschen strömen zwischen zahllosen, winzigen Marktständen hindurch. Die Stahlträger-Konstruktionen sind rostig, und die Wände und der Betonboden karg und rissig, aber die Stände sind ähnlich fantasievoll wie die in den besseren Marktstraßen oberirdisch. Es erklingt exotische Musik von manchen, und es gibt Nahrungsmittel aller Art, Flohmarkt-Plunder, Antiquitäten, und Fabrikware zum Schleuderpreis.
„Das is' ein Schwarzmarkt“, flüstert Kylah mit ängstlicher Faszination.



Die weite Markthalle unter dem Addingson-Gebäude


Dunkelhäutige Omas mit klingelndem Ohrschmuck versuchen sie heran zu winken, um ihnen die Zukunft zu weissagen, Rapper in Gang-Outfits werfen ihnen arrogante Blicke zu, und tätowierte Preisboxer mit imposanten Muskelbergen drängeln sich an ihnen vorbei durch die dichte Menge. Mit offenen Mündern sehen die Mädchen sich um. Der Begriff ‚Undersalt Market‘ taucht immer wieder auf, auf gemalten Banderolen und in Gesprächsfetzen.
„Salz, warum eigentlich immer Salz!“, flüstert Zoe ihrer Begleiterin zu.
„Wir sind hier doch unter Detroit, und das sieht hier ziemlich weitläufig aus“, sagt Kylah, „vielleicht zieht sich das ja bis rüber in die stillgelegten Salzminen!“
Zoe erschaudert bei dieser Vorstellung, die Zugänge zu den alten Salzminen sind ein ganzes Stück weiter südlich von hier. Wenn sich das Gelände unter der Stadt ganz bis dorthin zieht, wäre das aber ein großer Schwarzmarkt!

Schalter:
Bei der Adresse auf dem Notizzettel ist am Schluss eine Art Haus- oder Schuppennummer angegeben. Die beiden suchen eine halbe Stunde orientierungslos in der Markthalle umher, bis sie entdecken, dass es in der einen Hallenwand noch Eingänge zu alten Wohnungseinheiten oder Werkstätten gibt. Die Gerüche und das Gewimmel machen Zoe sichtlich zu schaffen, sie ist mittlerweile völlig überreizt (und soll einen weiteren Rage-Punkt deswegen bekommen, damit ist sie jetzt bei vier).

Der Wohnungsnummer folgend, durchqueren die beiden ein paar Korridore und ein kleines Eishaus, und gucken dann direkt in einen kleinen Verkaufsraum voller angelaufener Einmachgläser und Kühltruhen, wo eine Handvoll Leute gerade angespannt miteinander redet. Zoe schreckt zurück, als sie glaubt, die Visagen der Kerle wiederzukennen, die letzte Woche in der Videothek waren! Der durchdringende Geruch in dem Hinterzimmer nach Schweiß, Öl, und Fett macht sie noch nervöser. Sie packt Kylah am Arm, und zieht sie zurück. An die Wand gedrückt lauschen sie vom dunklen Gang aus, was geredet wird.
„… Unser Wort darauf wird Dir genügen, dass das alles Frischware von Wolfsblütigen ist! Das ist hier nicht irgendein Scheiß, okay? Das ist alles unter Todesgefahr erbeutet.“
„Ihr halbe Hemden habt keine Wolfsblütigen gekillt“, sagt der Kunde abfällig.
„Unser Wort darauf, Mann! Hier, kannst unser Arsenal da hinten bestaunen. Alles hier ist Frischware. Natürlich nur von welchen, die hier in der Stadt herumstreunen. Wir packen zu, wenn die alleine sind. Blut, Nieren, Lebern, Herzen. Oder Haare, oder Eckzähne, was immer Du brauchst. Wenn Du was Spezielles brauchst, nehmen wir auch Bestellungen. Alles von Wolfsblütigen, kein Beschiss.“
„Hmm, sieht echt aus …“, räumt der Kunde ein, als er eins der Einmachgläser unter die Nase gehalten bekommt.
„Das ist auch alles echt, feinste Frischware. Mindestens von Blutsgeschwistern. Wir haben auch ein paar Stücke von richtig schweren Exemplaren, wenn Du verstehst.“
„Ach, daher weht der Wind. Alles nur von Blutsgeschwistern!“
„Wolfsblut ist Wolfsblut! Das weiß jeder, der sich mit solchen Dingen auskennt!“
„Aber hier aus der Stadt? Dann ist das ja nur von verdammten Knochenbeißern!“
„Ja, klar, Mann! Was heißt hier, ‚nur‘? Das sind die zähesten Bastarde unter den Wolfsblütern! Versuch' ruhig mal, in ganz Michigan was Besseres zu kriegen. Das ist absolute Top-Ware!“
„Wir müssen sofort hier weg!“, zischt Kylahs Stimme angsterfüllt an Zoes Ohr.
Die nickt, aber kann sich nicht vom Fleck bewegen. Sie ist von Schrecken wie gelähmt. In diesem Moment hat sie nämlich durch die Türöffnung auch entdeckt, wie sich in einem der Einmachgläser in der trüben Flüssigkeit eine menschliche Hand abzeichnet.



Zoe bekommt einen fünften Rage-Punkt, und dann werden die Orakelwürfel befragt: Evade Tool, sagen diese. Welcher Art Werkzeug soll denn da ausgewichen werden? Vielleicht ist es auch ein menschliches Werkzeug, um das es geht — jemand ist (passend zu dieser Umgebung) ein Werkzeug des Bösen? Au ja, das machen wir, und zwar folgendermaßen:

Von der anderen Seite tritt eine andere Gruppe Interessierter in den Verkaufsraum. Durch den Türspalt sehen Zoe und Kylah zwei von denen genauer, hagere junge Männer in schwarzen Ledermänteln, und mit neonrot gefärbten Haaren, sie tragen sie als sowas wie Crew Cuts. Beide haben so richtige Verbrechervisagen. Wer in diesem diabolischen Hinterzimmer einkauft, der muss auch gestört sein!

Wir würfeln Geschick+Heimlichkeit, um unauffällig zurück in die Haupthalle zu entkommen. (Jetzt darf Zoe mit ihren fünf Rage-Würfeln kein Brutales Resultat würfeln, dann fliegt ihre Deckung spektakulär auf!) Ein einzelner Erfolg fällt dabei. Mit hämmernden Herzen verschwinden sie in der Menge des Schwarzmarktes, gerade, als einer der neonroten Crew Cuts argwöhnisch seinen Kopf aus der Gangöffnung steckt, und sich lauernd umsieht!



Die Orakelwürfel gestatten, dass die beiden terrorisierten Protagonistinnen unbehelligt wieder oben auf der nächtlichen Straße ankommen!

„Ich muss weg“, sagt Kylah tonlos, „war eine lange Nacht! Äh, heute komme ich jedenfalls nicht mehr in Tanzlaune!“
Zoe sieht das Punk-Mädchen an, und nickt abgelenkt.
„Wir können die vielleicht richtig drankriegen!“, keucht sie.
„Schwachsinn, wir haben doch nix gegen die in der Hand! Wir haben nichts gefilmt, oder so!“
Stimmt, die kleine Kratzbürste hat leider Recht, fällt Zoe auf; sie hätten das Gesagte geistesgegenwärtig mitschneiden müssen, auf ihrem alten Smartfon oder so, im Film machen die Protagonisten das immer!
„Was sind denn bloß Wolfsblütige?!“, fragt sie, „oder Knochenhauer? Was haben die gesagt? … Knochenbeißer! Klingt total widerlich.“
„Lass' uns bloß abhauen.“
„Da unten ist ein Raum voller menschlicher Organe, ja, Schwarzmarkt-Organe! Da rollen sich einem ja die Zehennägel auf! Wenn das die Polizei erfährt, dann gehen die Ermittlungen aber wieder los, das glaub' mal!“, raunt Zoe.
„Einen Scheißdreck glaub' ich! Denkst Du etwa, ein Polizeitrupp kommt da unten rein, um da durchzugreifen, oder was? Du hast doch die Wegbeschreibung zu dem Laden da von einem Cop! Das ist denen doch alles halbwegs bekannt, die trauen sich da doch selber nicht rein! Eher hoffen die, dass so einer wie Mister Lennings einen Schlägertrupp schickt, und für sie die Drecksarbeit macht!“
„Äh …“, sagt Zoe überfordert.

Während der Rückfahrt mit dem Bus textet Kylah wie besessen auf ihrem gammeligen, alten Telefon herum. Zoe will sie bitten, noch mit in ihr Apartment zu kommen, damit sie dort nicht alleine ist, bis es hell wird. Aber sie traut sich nicht, Kylah ist ganz offensichtlich mit dem Kopf ganz woanders.

In ihrer Wohnung angekommen spielt Zoe mit dem Gedanken, tatsächlich die Polizei zu rufen, und auf den Keller des Addingson-Gebäudes im Eastern Market anzusetzen. Zumindest als anonymer Tipp! Aber auch das lässt sie schließlich bleiben: Was ist, wenn die sie einfach für durchgeknallt halten? Was ist, wenn Kylah Recht hatte, und die Ladenadresse weithin bekannt ist beim Detroit Police Department, und die entweder so überlastet sind oder selber so korrupt, dass sie einfach wegschauen?

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

[*] Vorherige Sete

Zur normalen Ansicht wechseln