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[Changeling: The Dreaming | Ironsworn] Dunkelblaue Teestunde der Seele
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Ja, die Biege machen willste, Til! Dafür wirst Du durch die Grenzgebiete des Tulgee-Wald müssen mit Deinem Findelkind, und der ist ganz bestimmt nicht biblisch, wie Du glaubst, sondern Carrol'sch, und es hausen auch noch weit merkwürdigere Kreaturen drin als Momratzen! Das soll ein Delve werden, wie in der Ironsworn-Erweiterung beschrieben. Dies ist natürlich kein Dungeon, sondern ein Wildnisgebiet, also definiere ich es (nach den Regeln in Ironsworn: Delve) als ‚Wild Tanglewood‘. Entsprechend sind die Encounter- und Umgebungstabellen. Wenn wir da durch sind, erreichen wir den Märchenwald wieder, und finden vielleicht (vielleicht!) zur heimischen Freistatt zurück! Das Missionsziel des Delve ist einfach nur, das Grenzland zu durchqueren. Diese Gegend des Tulgee-Wald definiere ich als Gefahrvoll. Den Delve durch den Tulgee-Wald abzuschließen bedeutet dann einen weiteren Milestone für die laufende Queste.
Der erste Move ist dann Delve the Depths: Til bewegt sich leise und hastig, und würfelt Geschick+Athletik. Das polnische Mädchen unterstützt ihn erneut mit Wahrnehmung+Aufmerksamkeit. Lumpige drei Erfolge, oh ha. Die Challenge Dice sind uns dennoch gnädig, und machen daraus immerhin noch einen Weak Hit. Also wird auf der Tabelle des Moves gewürfelt. Der Wurf ergibt die ersten zwei Punkte Fortschritt, aber gleichzeitig muss der Folge-Move namens Reveal a Danger gemacht werden. Dessen Tabelle leitet mich weiter zur gewählten Theme Card, ‚Wild‘, und diese wiederum ergibt, ‚Hazardous Terrain‘.
„Das gibt’s doch irgendwie alles nicht …!“, bringt Til hervor, und verlangsamt seinen Sprint, bleibt schließlich stehen. Das Mädchen auf seinem Arm wendet sich um, schaut in seine Laufrichtung.
Hier ploppen wieder Büsche auf in der Dunkelheit, wo vorher keine waren, wie raschelnde Blätterexplosionen, die daraufhin als lila Strauchwerk bestehen bleiben. Als wären sie auf herkömmliche Weise an dieser Stelle gewachsen. Dazwischen schlängeln sich Dornranken am Boden, bedecken die Hügel, und als sie in die von ihnen gewünschte Form gewachsen sind, vergrößern sie noch ihre Dornen ein wenig, bevor sie erstarren.
Dornranken auf Speed
„Das war vorhin noch nicht da! Das war vorhin der Rückweg!“, protestiert Til.
„Drum herum gehen?“
„Ja, klar … oder an irgendeiner Stelle … drüber weg …“
Wir würfeln wieder für Face Danger. Das Kind kann mit Wahrnehmung+Aufmerksamkeit vielleicht eine Stelle finden, wo Totholz oder niedriges Astwerk über die Dornen hinweg führen, und Til kann darüber hinweg klettern. Und beim Balancieren hilft ihm sein Löwenschweif, da kann ich erstmals einen meiner Aspekte vorteilig einbringen, und bekomme einen Bonus-Würfel. Geilo. Damit kommen die beiden Charaktere gemeinsam auch auf acht Erfolge, das kann sich sehen lassen! Die Challenge Dice zeigen eine Sechs und eine Zehn, also dennoch nur ein Weak Hit. Das bedeutet wohl, dass es wieder Schaden gibt! Da die blauen Flecken von vorhin längt geheilt sind (Changelings heilen ein Level schimärischen Schaden jede Viertelstunde innerhalb des Träumens), war Til zwischenzeitlich wieder voll fit geworden.
Mit präzisen Schritten balanciert Til über einen dicken, niedrigen Ast, der über das fies aussehende Dornenfeld hinweg führt. Er ist fast auf der anderen Seite angekommen, da rutscht er im feuchten Moos aus, und fällt! Er steuert seinen Sturz instinktiv so, dass er das Kind auf seinem Arm mit dem eigenen Körper noch schützen kann, aber landet rücklings in den Dornen. Er absorbiert etwas von dem Schaden, und nimmt nur ein erneutes Wundlevel hin. Er fletscht die Zähne, es gelingt ihm, nicht laut vor Schmerz und Erschrecken aufzuschreien. Wer weiß, ob ihre Verfolger noch in Hörweite sind!
Kurz darauf hocken die beiden in einem neuerlichen Versteck, und das Mädchen zieht eine lange Dorne nach der anderen aus Tils blutigem, weißen Rückenfell.
„Aua, aua, aua! Vorsichtig!“, bringt er hervor, der Schrecken sitzt ihm immer noch in den Knochen.
„Nicht wehleidig sein, Zajaczek! Ist gleich vorbei.“
„Warum nennst Du mich eigentlich immer so?“, flüstert er.
„Du bist Zajaczek. Freund von Niedzwiedz!“
„Ja, klar, und wir fahren immer in unserem Zirkuswagen durch Osteuropa und alles. Aber wie heißt Du überhaupt?“
„Geheim.“
„Was soll das heißen, geheim? Ist Dein Name geheim?!“
Sie nickt, und zieht den nächsten Stachel raus.
„Aua. Hm, aber wie soll ich Dich denn bitteschön nennen?“
„Aneta …“
„Okay, na also, wer sagt’s denn. Du sprichst Polnisch, oder?“
„Still halten, Zajaczek. Nicht zappeln.“
„Ich zappele gar nicht, überhaupt nie. Aua.“
„Du musst mir sagen, wo ist Niedzwiedz! Bitte! Geht es ihm gut?“, und Anetas Flüstern klingt plötzlich drängend, beinahe ein bisschen verzweifelt.
„Ich habe keine Ahnung, worauf Du anspielst! ‚Nie-Ätsch-Wedsch und Zaja-Scheck‘, ja? Klar, habe ich schon mal gehört, es fällt mir bestimmt wieder ein. Autsch. Ich mache Dich dann bekannt mit den beiden!“
Til ist verdutzt, als er sich selbst beim Flüstern zuhört. Was soll eigentlich diese ständige Flunkerei? Er will das arme Kind natürlich beschwichtigen, aber es dauernd hinters Licht führen zu wollen ist doch auch nicht die Lösung! Zugegeben, er neigt manchmal ein bisschen zu Ausflüchten, im normalen Leben, im Wachzustand. Aber jetzt nimmt das Überhand, jetzt muss auch mal Schluss sein damit!
(Tatsächlich ist das natürlich seine Frailty, die sich hier immer deutlicher zu manifestieren beginnt, denn so wie seine Artverwandten ist Til, ob er will oder nicht, ein totaler Lügenbold!)
Das Kind schweigt zurückhaltend, und zieht die letzten Dornen aus seinem Rücken.
„Das ist schon viel besser. Danke!“
„Zu lange gedauert! Schnell weiter!“
Til zieht sein schmuddeliges Pyjamaoberteil wieder an, und nimmt Aneta wieder auf den Arm.
„Wir sind ja fast da“, lügt er, ohne auch nur darüber nachzudenken. Innerlich beißt er sich auf die Hasenzunge. Er weiß von seinen gleichaltrigen Freunden, die schon Kinder haben, sehr gut, dass Kinder es nicht mögen, wenn man ihnen was vormachen will.
Darauf folgt also dann der nächste Move für Delve the Depths, um weiteren Fortschritt zu erhalten. Ich würfle diesmal Geschick+Überleben für Til, +erneut seinen Aspekt, weil er sicherlich mehrmals wieder irgendwo rüber balancieren muss in dem unwegsamen Terrain. Für die Kleine würfele ich diesmal Wahrnehmung+Enigmas, denn das neuentstehende Grenzland des Tulgee-Wald folgt nur zum Teil geografischen Gesetzen, ansonsten Traumlogik. Fünf Erfolge kommen dabei raus. Erneut ein Weak Hit. Das bringt laut der Beschreibung des Moves meinen Fortschritt rauf auf vier Punkte, aber erneut zum Preis des Folge-Moves Reveal a Danger. … Hier ist eine Falle aufgestellt worden, sagt die Domain Card.
Der müssen die beiden Charaktere erneut via Face-Danger-Move entgehen. Til soll Geschick+Aufmerksamkeit dafür verwenden, und Aneta Wahrnehmung+Aufmerksamkeit. Sechs Erfolge, immerhin. Aber die Challenge Dice zeigen eine Neun und eine Zehn! Ein Fehlschlag also. Das zwingt uns zum Folge-Move Pay the Price. Unsinnig in diesem Fall einen zufälligen Effekt zu erwürfeln, denn dieser Move muss logischerweise einfach heißen, dass Til mit Aneta auf dem Arm in die Falle tappt:
Unter seinen Fußpolstern fühlt Til plötzlich ein leichtes Schnappen, und sofort fahren Dornranken aus dem Waldboden vor ihm, und bilden eine hohe Wand, sie wachsen binnen Sekundenbruchteilen in die Form eines viktorianischen Zauntores! Dasselbe geschieht daraufhin links und rechts von ihnen, und als Til entsetzt herumwirbelt, auch hinter ihnen! Die Zaun-Ranken sind dornenbewehrt, und sind drei Meter hoch gewachsen!
„Das ist Zaunkraut!“, quietscht Aneta angsterfüllt, „Müssen Ritter von Grimgoromn hier gepflanzt haben! Urojenie!“
„Sag' mir was, das ich noch nicht weiß!“, keucht Til.
„Jetzt sie haben uns! Glauben, wir sind aus Tulgee-Wald!“
„Ich bin aber aus Hamburg, ich komme ja nur am Wochenende im Tulgee-Wald vorbei, oder an anderen biblischen Orten!“, flunkert Til, sinnlos.
„Wissen Urojenie-Ritter aber nicht!“, haucht Aneta angstvoll.
„Bist Du eine Art Ureinwohnerin vom Tulgee-Wald?“
„Nie“, verneint sie auf Polnisch, und fügt auf Englisch hinzu, „Habe mich verlaufen. Vor langer Zeit schon ...“
„Dann erklären wir das diesen Rittern eben einfach, wenn sie hierher kommen, um ihre Falle zu kontrollieren.“
„Nützt uns nichts.“
„Hey, aber Du hast doch Flügel, Kleine! Du kannst ja einfach hier raus fliegen, und Hilfe holen!“
Sie schüttelt hilflos den Kopf, „Kann nicht fliegen!“
Ja stimmt, aerodynamisch sieht das nicht gerade aus, ihre Rückenflügel sind wohl zu klein, um sie in die Lüfte zu heben. Schade eigentlich, das wäre jetzt vermutlich die Rettung gewesen.
Und sind die nahenden Schritte der Grimgoromn-Ritter bereits zu hören …? Die Orakelwürfel sagen, nein, mit Einser-Pasch. Ein extremes Resultat also: Diese Falle ist bereits vergessen.
Til und Aneta sehen, wie die rapide wachsenden Randbereiche des Tulgee-Wald dichter werden, dort hinten, wo sie beide gerade hergekommen sind. Immer weitere Baumstämme wachsen aus dem Waldboden zwischen anderen Baumstämmen, und beginnen nach und nach eine fast undurchdringliche Wand zu bilden. Das Erdreich wölbt und hebt sich unter dem rasant wachsenden Wurzelwerk darin, der Dornen-Käfig nimmt Schräglage ein. Til kämpft um Gleichgewicht, Aneta schreit auf. Die ganze Falle bewegt sich auf einer Scholle aus bröckelndem Erdreich langsam davon!
„Müssen hier raus! Szybko!“, wimmert das Mädchen, „Mach' uns ganz klein, Zajaczek!“
„Wie bitte?!“, fragt Til entgeistert, aber dann bildet er sich ein, zu begreifen, was sie meint. Dies ist doch nichts weiter als ein Traum! Er träumt sich und sie einfach klein, klein genug, um zwischen den Dornranken-Gitterstäben raus hüpfen zu können!
Instinktiv kauert er sich zusammen, legt seine Ohren an, legt die Arme um das Kind, und flüstert, „Schrumpfen! Schrumpfen! Schrumpfen!“
Das ist das sogenannte ‚Schelmenspiel’ für diesen Zauber. Til weiß nicht genau, was er da tut, seine Zauberei ist noch rein intuitiv. Das Schelmenspiel senkt die Schwierigkeit von sieben auf fünf, und ich würfle Tils Feen-Kunst Metamorphosis, mit dem Effekt Worms & Giants, und das verwendete Reich (Fae, weil er sich und Aneta bezaubert). Drei Erfolge! Weniger hätte es auch nicht sein dürfen. Hier im Träumen kostet mich das nicht mal Glamour-Punkte.
Til guckt groß, und blinzelt verwirrt. Auf ein Viertel ihrer eigentlichen Größe geschrumpft, sehen sie nun die Ranken-Gitterstäbe hoch über sich hinauf ragen!
„Es hat funktioniert! Wie im Märchen, oder in Alice im Wunderland!“, staunt Til fassungslos.
Erdklumpen rollen an ihnen vorbei, jetzt nicht mehr als Nichtigkeit, sondern als ernste Unannehmlichkeit, während die wachsenden Baumwurzeln die Gitterfalle weiter davon schieben.
„Idz teraz! Szybko!“, ruft Aneta, und ihre kleine Hand packt Tils haariges Handgelenk.
Nacheinander hüpfen sie zwischen den Ranken hindurch, ins Freie. Die Dornen an den Gitterstäbe sehen jetzt nicht mehr nur fies aus, sondern lebensbedrohlich!
Auf der anderen Seite rappeln sie sich zwischen den tanzenden Erdbrocken auf, Til nimmt Aneta bei der Hand, und geschrumpft wie sie sind rennen sie davon!
Daraufhin darf ich wieder den nächsten Delve-the-Depths-Move machen. Ich würfle dasselbe wie beim letzten Mal, um voranzukommen und nach einem neuen Waldweg Ausschau zu halten. Der Hasenmann würfelt Wahrnehmung+Überleben, das Mädchen Wahrnehmung+Enigmas. Sieben Erfolge (unter anderem dank Tils Wahrnehmung-Spezialisierung, die Zehner in gleich zwei Erfolge verwandelt)! Die Challenge Dice belohnen uns: Ein Strong Hit, dank Dreierpasch! Der Fortschritt für den Delve steigt auf sechs, und der Strong Hit beschert uns den Folge-Move namens Find an Opportunity! In diesem Fall darf ich das Resultat aus der Tabelle von Find an Opportunity frei aussuchen. Ui, was soll ich nehmen, will ich lieber eine Abkürzung finden, oder einen magischen Gegenstand? Kann mich nicht entscheiden … die Orakelwürfel sagen, Abkürzung!
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Mit Aneta auf dem Arm läuft Til durch einen Hasenbau zwischen den Baumwurzeln, geduckt, die Ohren eingezogen. Manchmal rieselt Erdreich vor ihnen herab, aber das Rumoren im Waldboden hat aufgehört. Der Tulgee-Wald scheint nun zufrieden mit seiner neuen Gestalt, zumindest hier an dieser Stelle …! Til keucht vor sich hin, determiniert, das langsamere Vorankommen durch ihrer beider neuer Körpergröße zu kompensieren, indem er einfach schneller rennt! Im Vorübereilen sieht er gelegentlich Wandbilder im Wurzelwerk. Die haben Hasen- oder Kaninchenpfoten hier eingeritzt, um sich gegenseitig geheime Botschaften zu vermitteln. (Die meisten sind aber Strichmännchen-Zeichnungen, die offensichtlich andere Kaninchen darstellen sollen.) Manchmal kommen sie vorbei an aus Stroh geknüpften Teppichen, und winzigen Möbelstücken. Leuchtende Pilze dienen an ein paar Stellen als Stehlampen!
Sehr biblisch ist das alles hier unten aber nicht, findet Til. Mit vier Erfolgen bei Geistesschärfe+Gremayre kommt er jetzt endlich darauf, nachdem er vorhin selber von Alice im Wunderland gesprochen hat, dass es auch überhaupt kein Bibel-Thema hier gibt.
„Ach, klaaar, Tulgee-Wald!“, sagt er laut, „Jetzt kapiere ich! Lewis Carroll! Das alles hier … das ist Teil des Wunderlandes!“
„… Glupi!“, meint er die Kleine auf seinem Arm murmeln zu hören.
Als Effekt der Abkürzung darf ich einen sofortigen Folge-Move machen, und nehme wieder Delve the Depths, und durch diesen Schleichweg bekomme ich laut Regeln einen Bonus. Ich versuche Wahrnehmung+Athletik für Til, und erneut Wahrnehmung+Aufmerksamkeit für Aneta, und komme auf maximale 10 Erfolge! Sie schießen praktisch durch die Tunnels zwischen den Baumwurzeln. Til verlässt sich immer mehr auf seinen Hasen-Instinkt.
Natürlich zeigen die Challenge Dice aber eine Zehn, wie könnte es anders sein, also wieder nur ein Weak Hit. Entsprechend wird wieder auf der Tabelle von Delve the Depths gewürfelt. Das Resultat ist, dass ich Fortschritt markieren darf, und zwar zweimal, das bringt unseren Delve-Fortschritt auf volle 10! Außerdem jedoch soll ein Reveal-a-Danger-Move folgen. Die Domain Card sagt, eine Kreatur des Tulgee-Wald ist hier auf der Jagd! Das wird einen Face-Danger-Move bedeuten, um zu entkommen! Also dann:
Als Til seinen Hasenkopf aus dem Erdloch steckt, scheint der nächtliche Wald friedlich. Der riesige Sichelmond scheint auf die Wildnis herab, und bringt ihre Violett- und Mint-Töne zum Leuchten. Er lächelt. Mit Aneta auf dem Arm klettert er aus dem Erdreich empor.
„Jetzt müssen wir nur noch etwas von der Morchel finden, die uns wieder groß macht!“
„… Morchel?“
„Na, der Pilz aus dem Kinderbuch! Alice im Wunderland! Die eine Seite macht klein, das sind wir schon, die andere Seite macht wieder groß!“
„Wir sind doch Wrózki, das können wir ganz von allein …“
„Was bitte?“
„Feen …“
„Ja, haha, Du bist eine Fee, kleine Dame. Ich bin nur ein schizophrener Fremdsprachenlehrer, der einen irren Traum hat.“
„Nicht verleugnen, Zajaczek!“, sagt Aneta, fast ein Wimmern, irgendwie schmerzlich.
Til schaut sie verwundert an, aber sie birgt ihr Gesicht im Fell an seinem Pyjamakragen. Was er gerade gesagt hat, scheint sie als etwas ganz Schreckliches empfunden zu haben.
In dem Moment gibt es eine rasante Bewegung hinter ihnen, und etwas schnellt auf sie zu! Til sieht einen violett und braun gemusterten Schlangenkopf, aus seiner derzeitigen Perspektive betrachtet erschreckend groß!
Sofort prescht er mit Aneta in den Armen davon, so schnell er irgendwie kann! Die Schlange hinter ihnen ist schnell, aber sie hat den Nachteil, dass ihre Schwanzspitze in einem Knochenfortsatz endet, der absurderweise wie ein Rechen aussieht. Als wäre sie halb Tier, halb Gartengerät! Sie recht den Waldboden, während sie dahin gleitet, eigentlich voll schön und nützlich für das Ökosystem irgendwie. (‚This snake is a rake‘, vielleicht würde Lewis Carroll mir dafür wohlwollend an den Hut tippen?) Für die geschrumpften Charaktere leider keinen Deut weniger entsetzlich dadurch!
Ich mache den Move Face Danger zum Wegrennen, und die Challenge Dice gönnen uns trotz acht akkumulierten Erfolgen wieder nur einen Weak Hit. Die Fliehenden entkommen zwar, aber Til wird erneut verwundet, das wird ein verzweifelter Streich mit dem knöchernen Schlangen-Rechen sein!
Die Rechen-Zähne durchschlagen seinen Arm, Blut spritzt! Kurz darauf verschwindet er mit seinem Findelkind jedoch in den dichteren Farnen und zwischen Felsbrocken. Der Durchschlag tut weh wie Hulle, rotes Blut strömt über seinen Schlafanzugärmel. Dann schließt sich die Wunde bereits wieder, und das Fleisch beginnt sich nachzubilden. Auch sein Zauber von vorhin hört auf zu wirken, und mit einer Art Schluckauf-Geräusch schießen Til und Aneta in die Höhe. Das Mädchen schlägt konfus mit den Flügelchen. Til sieht sich um, und guckt dann auf die Rechen-Schlange hinab. Jetzt aus vierfacher Höhe. Diese glotzt aus großen, gelben Augen auf ihre vermeintliche Beute. Dann versucht sie schnell ihre Mimikry, sie macht sich ganz lang und stocksteif, und tarnt sich als handelsüblicher Rechen!
Til sieht sich keuchend um. Die violetten Bäume und Büsche sind hier durchmischt mit grünen Pflanzen. Sieht aus, als wären sie der Stelle nahe, die jetzt der Übergang des Tulgee-Wald in den Märchenwald ist.
Ich mache dafür den abschließenden Move namens Locate Your Objective, durch die tolle Abkürzung durch die Hasentunnel ist ja unser Fortschritt auf 10. Und tatsächlich, ein Strong Hit! Die Charaktere haben es geschafft, sie bekommen einen Willenskraft-Punkt zurück und haben den Tulgee-Wald verlassen.
Das wiederum stellt zwei Fortschritt-Punkte dar für meine eigentliche
Queste (Gefahrvoll): Den Schlüssel von Bryndrick erlangen, um zur Freistatt zurückzukehren, und zurück nach Hause in die Wachwelt zu gelangen.
„So, dann haben wir glaube ich endlich etwas Zeit zum Reden“, raunt Til im Weitergehen, „Jetzt erzähl' bitte mal, Aneta. Wer bist Du, und was sollen diese ganzen Andeutungen!“
„Das weißt Du doch!“, jammert sie leise an seiner Schulter, „Du bist doch Zajaczek! Sag' nicht, dass Du’s nicht mehr weißt!“
„Nein, nein, nicht weinen. Ich weiß alles noch“, lügt Til schnell.
„Wo ist Niedzwiedz? Geht’s ihm gut?“
„Äh, wann hast Du ihn noch gleich zum letzten Mal gesehen …?“
„Als ich weggegangen bin! Ich hab' ihn allein gelassen. … Ging doch nicht anders! Geht’s ihm gut?“, schluchzt sie.
„Ach der, na, Du kennst ihn doch, der ist doch unverwüstlich! Hat immer ein Liedchen auf den Lippen letztlich. Ist mopsfidel.“
Aneta hebt den Kopf und sieht Til mit feuchten Augen an, „Lügst auch nicht, Zajaczek? Musst die Wahrheit sagen!“
„Nein, nein, ich lüge doch nicht, es ist alles ganz prächtig. Ich kümmere mich ja um ihn“, lügt Til hilflos. Er ist ein bisschen ärgerlich über sich selbst, aber jetzt gerade wünscht er sich sehnlichst, dem armen Kind irgendwie helfen zu können, und sei es, indem er eben einen Trost erfindet.
„Versprichst Du's?“, sagt sie leise, ganz verzweifelt.
„Aber ja!“, sagt er sofort, ganz von Herzen, völlig ehrlich. Wie auch immer das gehen soll.
Und da habe ich Tils nächsten Eid! Ich formuliere den so:
Queste (Extrem): Das Wesen namens Niedzwiedz finden und beschützen.
Er hat noch keine Ahnung, wie er das machen soll und was das alles bedeutet, also definiere ich seinen Eid als Extrem. Diese selbstgewählte Aufgabe wird ihn eine ganze Weile beschäftigen!
Ich mache also den Move Swear an Iron Vow. Dank einem Willenskraft-Punkt erreiche ich sechs Erfolge bei Charisma+Überzeugen, und die Challenge Dice unterbieten beide eine Sechs: Ein Strong Hit! Yay! Das gibt direkt Willenskraft zurück, und Til fühlt sich äußerst determiniert.
„Ich habe vorhin von meiner Nachbarschaft geträumt. Das war wunderschön! Wir gehen wieder dahin zurück, Aneta. Vielleicht ist Dein Freund dort sogar.“
„Zuerst gehen in Holz-Giebel-Brunnen-Dorf. Deinen Arm verbinden.“
„Ist schon nicht mehr so schlimm, war glaube ich nur ein Kratzer.“
„Sieht aber schon schlimm aus. Wir gehen zu Dorf. Und neue Vorräte holen. Dörfler machen uns Pfannkuchen.“
„Na gut!“
„Lass' mich runter, kann alleine laufen.“
Til setzt Aneta behutsam ab, sie nimmt ihn bei der Hand, und zieht ihn in eine Richtung. Sie scheint sich an den Weg zu erinnern wie in Trance.
Dieser Teil des Waldes ist dunkler und erscheint ganz in natürlichen Farbtönen. Die Pflanzen wirken ebenso stilisiert wie die im Tulgee-Wald, wie ein lebendig gewordenes Gemälde. Aber gleichzeitig ist diese Umgebung urwüchsiger, mit Flechten und Hängemoosen, und ohne das seltsame Ambiente-Halblicht, das von überall und nirgends gleichzeitig zu kommen schien. Der Mond scheint hell über den Wipfeln, an ein paar Stellen dringt sein Licht glitzernd durch die Blätter hinab. War er über dem Tulgee-Wald noch ein Sichelmond, ist er hier dennoch ein Vollmond! Til bildet sich außerdem ein, ein schmunzelndes Mondgesicht darauf zu erkennen, das aber immer weg ist, wenn er zwischendurch klare Sicht auf den Himmelskörper hat.
„Was ist das für ein Ort, dieses Holz-Giebel-Brunnen-Dorf?“
„Dörfler mögen mich!“
„Ja, wie sollten sie auch anders? Du hast sie bestimmt alle mir-nichts-Dir-nichts um den Finger gewickelt! Oder wohnst Du da etwa?“
„Nein …“
„Wo bist Du überhaupt zuhause …?“
„… Dort ist das Dorf! Siehst Du?“
Zwischen dem dichten Astwerk vor ihnen dringt oranger Lichtschein hervor, von Fackeln und Laternen. Eine kleine, altmodische Siedlung scheint in diesem Märchenwald zu liegen.
Tatsächlich ist es ein mittelalterliches Dorf, mit einem übermoosten Steinwall und kleinen Wehrtürmen. Müde aussehende Wachen mit Lederhauben stehen dort herum. Die Dächer und Giebel niedlicher, rustikaler Häuser sind über die Mauer hinweg auszumachen, viel zu schmal und zu spitz zulaufend, um historisch korrekt zu sein. Eher wie ein Ort in einem Vergnügungspark, denkt sich Til.
Holz-Giebel-Brunnen-Dorf
Aneta tritt vor das große hölzerne Tor in der Mauer, und ruft unsicher etwas auf Polnisch daran empor.
Til sieht sich derweil neugierig um.
Und was ist mit dem Bryndrick? Ist er ihnen weiterhin gefolgt? … Ja, sagen die Orakelwürfel, und jetzt sind seine Schritte zu hören!
„Aneta! Wir müssen sofort da rein!“, ruft Til erschrocken, „Die müssen uns da reinlassen, oder wir müssen wegrennen! Der Bryndrick ist hier!“
Sie sieht ihn verstört an. Aber in dem Moment öffnet sich bereits eine schmale Personentür innerhalb des Tores. Til nimmt schnell das Mädchen auf den Arm und zwängt sich herein, und zischt den Wächtern zu, „Macht zu, macht zu! Ihr müsst alles verrammeln!“
Auch die Gesichter der Wachen haben etwas Stilisiertes an sich, sie sind ein wenig karikaturenhaft. Ansonsten wirken sie ganz so wie mittelalterliche Leute. Hastig verbarrikadieren sie ihr Tor wieder. Die vielen urig aussehenden, unterschiedlichen Häuschen sind fast alle dunkel um diese Nachtzeit. In vielen gehen gerade nach und nach Lichter an. Merkwürdigerweise nur in den Kellerräumen.
„Ihr seid zurück, Hoheit! Endlich!“, sagt einer der Wächter zu Aneta, etwas bedröppelt.
„Nicht so nennen. Schnell jetzt, bitte!“, sagt sie, dann redet sie auf Polnisch weiter.
Die Wachen nicken verständig, als wäre Polnisch ihre Zweitsprache. Traum-Logik, sagt sich Til konfus.
Einer der mittelalterlichen Wachmänner führt ihn die Kopfsteinpflasterstraße herunter, auf eines der Häuser zu. Er wirkt ehrerbietig Til gegenüber, aber auch etwas erschrocken wegen seines Äußeren. Er ist bemüht, etwas Abstand zu dem Besucher zu halten, und nicht zu starren.
„Können Sie etwa … sehen Sie mich etwa als Hase?!“, fragt Til bestürzt.
„Ja, Herr. Du bist ja ein Schratiger, Herr, ein Robin Gutfreund, einer vom Schönen Volk“, sagt der Büttel diensteifrig.
„Ein was?“
„Von draußen aus dem Walde! Wir schätzen die Kithain hier sehr. Das weißt Du sicher, Herr. Jeder Haushalt in diesem Dorfe, der etwas auf sich hält, beherbergt einen Boggan!“
„Einen was? Hm … Kithain?!“
Dieses Wort hatte auch der schauderhafte Bryndrick verwendet, zu Beginn dieses abstrusen Erlebnisses, dieses Fiebertraums; das ist es doch, was das hier ist, denkt sich Til, ein Fiebertraum. Aber im selben Moment wird ihm klar, dass eine übergreifende Logik alles zu durchziehen scheint — selbst verschiedene Traum-Reiche die normalerweise eigentlich nichts miteinander zu tun haben sollten, wie der Tulgee-Wald und der Grimm'sche Märchenwald!
Der Medicus der Dorfes reinigt seine Verletzungen, renkt ein, und bandagiert, was er kann. Er nimmt Tils Fell, Hasenpfoten, Hasenkopf, und Löwenschweif äußert interessiert unter die Lupe.
„… Du solltest zu einem Alchimisten gehen, nicht zu einem Medicus, Herr! Ich bin auf die Physiologie von Menschen spezialisiert. Ich habe getan, was ich konnte!“
„Du siehst mich also auch als halben Hasen!“, ruft Til, „Bei mir zuhause sehen alle darüber hinweg … oder sie sind blind dafür!“
„Du, mein Freund, bist ein Pooka!“, sagt eine vergnügte Stimme aus Bodennähe.
Til schaut herab, und sieht einen kleinen, dicken Mann neben dem Medicus stehen. Er hat ein koboldhaftes, äußerst gütiges Gesicht, und ist ebenfalls mittelalterlich gekleidet.
„Äh, guten Abend.“
„Schönen, gesegneten guten Abend, mein fellbedeckter Freund! Willkommen in Holz-Giebel-Brunnen-Dorf! Sei' uns von Herzen willkommen!“
„Bist Du einer von diesen …“
Dwyddle Umswydd, ein einheimischer Boggan
„Ein Boggan, ja natürlich! Nicht wahr, ein Heinzelmann! Wir sind sowas wie Cousins zwölften Grades, Du und ich, Du verstehst. Und dass Du mir ja keine Streiche spielst hier im Dorfe, erst recht zu nachschlafender Stund'! Dies hier sind rechtschaffene Leute!“, und der kleine Boggan schaut zu dem übermüdeten Medicus hoch, der gerade seine Sachen wieder zusammenpackt, sein Blick ist sehr gütig, und sehr teilnahmsvoll. Geradezu so, als wäre er persönlich verantwortlich für diesen Menschen.
„Draußen vor den Toren geht ein Bryndrick um! Ein echter, einer der lebt und sich bewegt!“, platzt Til ängstlich heraus, und ohne es zu wollen hängt er noch eine dicke, fette Lüge mit dran, „Ich kenne einen, der ihn erforscht hat, so eine Art Druiden, der sagt auch, die Dinger sind nicht ohne!“
„Donner und Doria! Dann solltest Du Deinen Freund den Druiden bitten, den Bryndrick wieder auszutreiben! Dieses Dorf gehört zum Lichten Hof, wir Boggans haben dafür zu sorgen, dass es eine fröhliche Gemeinde ist! Wir brauchen keine Druiden-Götzen, wir respektieren sie und sie respektieren uns, aus respektvoller Ferne.“
☀
Kurz darauf ist Til auf den Wehrgang geklettert, und steht zwischen den Wachen mit ihren Fackeln, sie alle spähen nervös in die dunklen, rauschenden Wälder hinab.
„Ich nehme an, ich könnte irgendwie mit ihm kommunizieren …“, sagt Til schließlich, „Er ist möglicherweise nur hinter mir her, nicht hinter Euch!“
„Nur hinter Dir? Unwahrscheinlich“, sagt eine der Wachen, „Der Tulgee-Wald hat sich jüngst ausgedehnt, Herr. Die Häscher aus Grimgoromn sind davon angezogen worden, und versuchen, die neuen Grenzgebiete zu besetzen. Derartiges Säbelrasseln muss etwas wie einen Bryndrick ja geradezu anlocken.“
Til sieht den Mann von der Seite an, und sagt, „Wieso, was hat er denn davon? Will der sich etwa mit den anderen Finsterlingen verbünden?“
„Im Gegenteil, Herr! Die Druiden würden doch die Truppen von Grimgoromn aus allen Wäldern vertreiben, wenn sie nur könnten! Der König und seine vielen Gesetze sind denen doch zuwider. Und die Grimgorominatori zertrampeln Setzlinge und Erdreich, das können die Druiden überhaupt nicht leiden.“
„Die was?!“
„Die Grimgoriminatori, Herr! Es sind heute Nacht welche von ihnen unterwegs, darauf wette ich, das sagt mir das Kribbeln in meinem kleinen Zeh!“
Als Til wieder herabgeklettert kommt, haben sich auf dem Vorplatz kleine Gruppen aus schlaftrunkenen Menschen gebildet, die untereinander reden, und am Rand, in den Schatten der Häuschen, haben außerdem kleine Gruppen von Boggans selbiges getan. Einer davon winkt Til heran. Er folgt der Geste, und geht neben den Heinzeln in die Hocke.
„Das ist ja eine schöne Bescherung, die Ihr uns da eingebrockt habt! Jetzt müssen wir alle miteinand' die Ärmel hochkrempeln, und die versalzene Suppe auslöffeln!“, sagt einer.
„Du bist mit der Hoheit hergekommen, oder, mein lieber Pooka?“, fragt der aus dem Haus des menschlichen Medicus.
„Äh, ja. Wo ist sie überhaupt?“
„Na, was denkst denn Du, Freund Pooka! Meine liebe Frau Gemahlin hat sich ihrer angenommen, und sie erstmal in einen Badezuber gesteckt, im Hause des Kesselmachers. Das arme Kind war ja schon wieder wochenlang im Walde unterwegs. Und dabei ist sie eine Hochwohlgeborene! Nun zu Dir! Du musst uns helfen, unsere lieben Menschen gegen jenes Schreckgespenst zu verteidigen, ich bitt' Dich. Der einzige Bryndrick, von dem ich je gehört habe … der soll am Waldrand stehen, in der Nähe einer Freistatt.“
„Einer was?“
„Einer Freistatt, Freund Pooka! Ein Dörflein dessen lange Gassen zu allerlei Menschen führen, so sagt man! Es besteht erst seit Kurzem!“
„Da komme ich ja her!“
„Dann ist diese Freistatt die Deine? Bist Du ihr Fürst? Oder bist Du der Vasall ihres Herrschers, vielleicht ein Kundschafter?“
„Man hätte sich proper vorstellen sollen!“, bemerkt einer der Boggans, etwas beleidigt, „Das wäre das Rechte gewesen, sich nach seinem Eintreffen zuallererst einmal allen proper vorzustellen!“
Til sagt, „Das ist mir alles viel zu hoch! Äh, ich bin dort plötzlich gewesen, bevor ich mich hierher verirrt habe, raus in diese Wälder. Ich will dahin zurück, um Aneta in Sicherheit zu bringen, und zu versuchen, ganz zurück nach Hause zu kommen. Aufwachen aus diesem Traum, versteht Ihr?“
„Aufwachen aus dem Traum …“, sagt einer der Boggans verwirrt.
Ein anderer fragt erstaunt, „Freund Pooka, sag' an: Bist Du etwa ein Wechselbalg?!“
„Wie jetzt?“, fragt Til verwirrt.
„Ein Changeling! In der Krippe gegen einen menschlichen Säugling ausgetauscht, oder womöglich direkt in den Leib eines Sterblichen gefahren? Meiner treu! Ein Bewohner der Herbstwelt, für den es Gewohn ist, von Herbstmenschen umgeben zu sein!“
Einer der anderen grummelt, „Das passt, ich habe gleich gedacht, es haftet ihm was Banales an. Ein Quäntchen Sterblichkeit!“
„Ich weiß nicht, was ich antworten soll! Ich dachte eigentlich, ich träume nur …“, sagt Til, und ergänzt unwillkürlich, „Ihr braucht Euch jedenfalls keine Sorgen um Eure Menschen und Euer Dorf zu machen, ich weiß ja alles Wissenswerte über diesen Bryndrick, von meinen Druiden-Freunden, versteht Ihr? Ich bin ja darauf vorbereitet, ihn in seine Schranken zu verweisen!“
Die zutraulichen Gesichter der Boggans hellen sich auf, und sie schauen ihren Gast erwartungsvoll an. Der guckt überrumpelt drein. Was ist das denn für eine schlimme Eigenschaft, die er da heute an den Tag legt, dieses Lügenmaul, das ständig allen Leuten irgendwelche Sachen verspricht, nur um sie zu begütigen?!
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Na, jetzt kann Til mit seinem Lügenmaul versuchen, den Tag zu retten, indem er den Bryndrick begütigt. Zitternd tritt er vor das Tor des Dorfes, in seinem albernen Pyjama, mit seiner Fackel in der einen Pfote. Er leuchtet damit umher.
Hat die knorrige Stimme nicht vorhin Gälisch gesprochen? Gälisch kann Til zufällig auch, er wird sich schon mit dem Ungeheuer verständigen können. Vorerst versucht er es nochmal mit Englisch, und ruft halblaut: „Bryndrick? Wo bist Du? Zeige Dich, ich muss mit Dir reden!“
Er sieht im Dunkeln zwei sehr große, aus Hölzern bestehende Hände sich bewegen, mit sehr langen Fingern, die in spitzen Krallen zu enden scheinen. Dort steht das Biest! Die menschlichen Wächter haben gesagt, er solle im Zweifelsfall das schauerliche Konstrukt einfach mit seiner Fackel anstecken, bestimmt sei es brennbar. Aber auch diese Vorstellung behagt Til gar nicht, er verabscheut derartige Gewalt, er war schon Pazifist vor seiner Zeit als Bürgerrechts-Aktivist, zuhause in der normalen Welt.
„Oh Mann, oh Mann“, murmelt er angsterfüllt, während er sich zwingt, vorsichtig näher zu gehen, die Fackel hoch erhoben. Die Blicke der Wächter auf dem Wehrgang in seinem Nacken beruhigen ihn nicht im Geringsten. Sie haben ihre Kurzbögen zur Hand, um ihm zu helfen — aber er vermutet, bei dieser Dunkelheit ist es ebenso wahrscheinlich, dass die ihn in den Rücken treffen wie dass sie einen Glückstreffer bei ihrem gemeinsamen Widersacher landen!
Ich rufe mir schnell nochmal ins Gedächtnis, was die Orakel eingangs über diesen Widersacher vorausgesagt haben: Manipulative Forrester who wants to Restore a Relationship; Til scheint seine Nemesis; und die Beute, die der Bryndrick verteidigen will, ist seine eigene Menschlichkeit.
„S-s-sei gegrüßt“, stottert Til furchtsam, als er dem Ungeheuer gegenüber tritt.
Das zwei Meter hohe Konstrukt sagt, wenig vertrauenserweckend, „Habe ich Dich!“
Tils Hasen-Instinkte schreien danach, dass er umgehend fliehen müsse! Mit schlotternden Knien verharrt er jedoch.
„Warum bist Du mir gefolgt? W-w-was willst Du?“
„Du kamst aus der neuen Freistatt heraus! Du bist Kithain. Es ist anzunehmen, dass Du geradewegs aus der Herbstwelt hinaus gewandert kamst“, sagt die Stimme, die klingt wie knarrende Buchenstämme, „Der Herbstwelt, von der viele Schimären sich furchtsam erzählen, dass sie bereits ausgestorben sei, allen Glamours beraubt, alles in ihr der Sterblichkeit anheim gefallen. Du bist demnach der Gegenbeweis.“
„Das mag ja sein! Aber ich bin der offizielle Repräsentant der Nachbarschaft, die in den Mauern jenes Ortes lebt, den Ihr hier draußen ‚Freistatt‘ nennt! Ich habe sogar einen Ausweis dafür, äh, in meiner Jacke. ... Die habe ich dort vergessen.“
„Bist Du dort der Fürst, oder nicht? Hast Du zu entscheiden?“
„Andere Frage, Bryndrick: Was machst Du hier? Warum interessiert Dich die Freistatt?“
„Ich kam vor Kurzem in diesen Teil der Ewigen Wälder. Hier habe ich die neue Freistatt gefunden. Hier habe ich außerdem erfahren, dass die Streitkräfte der Herzkönigin nicht weit sind — und die Streitkräfte des Alleinherrschers von Grimgoromn. Der Geruch von Krieg liegt auf dem Wind. Aaskrähen werden vermutlich bald in den Zweigen der Bäume sitzen, und der Waldboden wird das Blut der Gefallenen trinken, als zusätzlicher Dünger. Die Zeit wird knapp.“
„Unsinn! Es gibt immer eine friedliche Lösung! Lass' und mal schön zivilisiert bleiben, Bryndrick.“
„Glaubst Du das wirklich? Du hast eine Million Jahre die Menschheit beobachtet, Kithain, so wie ich es habe!“
„Eine Million Jahre?!“
„Sie sind Kriegstreiber, oh Kithain. Auch die Herbstmenschen, von denen Du her kommst, mit ihrer sogenannten Zivilisation.“
„Dann, äh, dann höre ich richtig? Dann hast Du wohl auch ein Interesse an Ruhe und Frieden?“, sagt Til, und denkt sich, er müsse das Konstrukt irgendwie austricksen. (Er hat ja eingangs die falschen Schlüsse gezogen, und ist seitdem überzeugt davon, gelesen zu haben, dass Bryndricks darauf aus seien, Missetaten zu begehen.)
„Ich will Frieden … für die Ewigen Wälder.“
„Das klingt, als hätten wir doch so einiges gemeinsam!“
„… Und ich will Zugang zu der Freistatt. Wenn Du behauptest, sie zu halten, dann begehre ich Erlaubnis von Dir, Kithain!“
„Nö, ist nicht!“, entfährt es Til trotzig, „Das ist ein Traum, in dem Du nix zu suchen hast. Du gehörst in den Wald, nicht nach Hamburg-Vährwerder!“
„Ist das Dein letztes Wort, Kithain?“, knarrt die Stimme unheilverkündend.
„Mein letztes! Ich bin zu keinerlei Verhandlungen mehr bereit, jetzt und immerdar!“, entfährt es Tils Lügenmaul unüberlegt.
„Dann, Kithain, dann bleibt die Freistatt eben für uns beide unerreichbar! Für mich, weil Du mich nicht dort herein bittest; für Dich, weil Du närrisch versäumt hast, Dir selbst den Rückweg zu sichern. Die Tür ist hinter Dir ins Schloss gefallen, und ich sehe keinen Schlüssel, den Du um den Hals trägst, oder in der Tasche Deines seltsamen Gewandes!“
Til grimassiert, und schaut auf den Schlüsselbund an der Seite des Wesens.
„Du hast einen Schlüssel, für meine Freistatt?! Hast Du den etwa geklaut?! Gib' wieder her!“
„Ich brauchte ihn ja nur abzuziehen aus einer der äußeren Türen! Die Freistatt schien letztlich herrenlos. Von irgendjemandem errichtet, und sofort wieder vergessen, ungenutzt, ein unbesetzter Thron. Aber ich brauche Erlaubnis, um einzutreten.“
„Wir sollten auf jeden Fall verhandeln, mein guter Bryndrick! Ich sage ja, ich bin mit Freuden zu Verhandlungen bereit! Sieht doch so aus, als könnten wir beide hier profitieren.“
Ich mache an dieser Stelle mal den Move Compel, um mehr Fortschritt für meine Queste einzuspielen. Jetzt ist Til wieder alleine, und muss eine Extended Action machen dafür. Er versucht es mal mit Charisma+Überzeugen. Ich bringe außerdem seinen Aspekt ein: ‚Hat jahrelang als Aktivist versucht, seine Nachbarschaft zu retten (+1)‘. Das könnte ihn legitimieren als jemanden, der Anspruch auf die Freistatt erheben darf. Hussa, neun Erfolge! Die Challenge Dice gönnen mir aber dennoch nur einen Weak Hit. Mein SC wird also seinen Willen kriegen, aber nur unter einer Bedingung.
Til erklärt also: „Du machst dir offensichtlich falsche Vorstellungen davon, was innerhalb der Mauern dieser Freistatt so abgeht! Das ist nicht so ein muckeliges, mittelalterliches Dorf wie das dort drüben. Das ist mein Traum, ja? Hamburg-Vährwerder, der Stadtteil, wo ich aufgewachsen bin … aber nicht so, wie er ist, sondern so, wie er eigentlich sein sollte! Alle mögen sich gerne! Helfen sich gegenseitig, freuen sich, dass es die anderen gibt! Vährwerder, wie es vielleicht nie sein wird, weil die Energiekonzerne die vermaledeite Fernwärmetrasse da durch bauen wollen, und dafür das meiste davon abreißen. Aber in diesem Traum, innerhalb der Mauern dieser sogenannten Freistatt, da ist genau das zu finden!“ Er merkt, wie eine Träne ihm aus dem einen Hasenauge läuft, und glücklicherweise sogleich im Fell auf seiner Wange versickert.
„Also bist Du der Beschützer dieses Ortes, in gewisser Weise?“
„Wir haben ja richtig lange versucht, das abzuwenden, mit unserer BI, verstehste, unserer Bürgerinitiative! War die beste Zeit meines Lebens! Na ja, ob wir irgendwas langfristig erreicht haben, steht derzeit noch in den Sternen. Aber die Freistatt, das scheint eine Vision davon zu sein, wie es sein könnte! Und da hier alles mit Traumlogik funktioniert, kann man von da raus marschieren, direkt in den Märchenwald! … Das, mein klapperiger Freund, heißt aber nicht, dass es da drin einen Thronsaal gibt, mit einem Thron, auf dem Du oder ich hocken könnten!“
Der Bryndrick schüttelt bedächtig seinen Hirschschädel, und entgegnet, „Ich begehre nicht, auf einem Thron zu sitzen! Mir verlangt nach Menschlichkeit. Ich wurde vor 2100 Jahren von den Druiden von Eire in diese Gestalt gebracht, von Traditionen, die längst verraten und vergessen sind in der Herbstwelt, und jetzt läuft meine Zeit ab! Würde ich Fuß in die Herbstwelt setzen, würde ich vermutlich augenblicklich vergehen. Aber die Freistatt, oh Kithain — nicht ganz hier und nicht ganz dort — die könnte die Art von Kontakt sein, die ich brauche, um weiterhin in den Ewigen Wäldern zu überdauern!“
„In gewisser Weise … kapiere ich, glaube ich!“, nickt Til zögerlich.
„Dann willige ein, im Tausch gegen den Schlüssel! Viele Schlüssel habe ich gesammelt im Verlauf der letzten Jahrhunderte, ja. Den Deinen habe ich hier ebenfalls.“
„Nee, anders: Du gibst mir den Schlüssel, und ich verspreche, einen Weg zu finden, Dich in Kontakt mit modernen Menschen zu bringen. Meine Fresse, an der Uni kannte ich damals sogar einen Dude, der immer sagte, er selber wolle Druide werden. Hab' noch seine Telefonnummer.“
„Es sei“, sagt der Bryndrick tonlos, seine Stimme klingt fest.
„Hand drauf?“
„Nicht, so lange Du die Fackel in der anderen hältst!“
„Hey, vertrau' mir!“
„Du bist ein Pooka.“
„Willst Du etwa sagen, unsereins sei nicht vertrauenswürdig?“
„Hier ist der Schlüssel. Ich überlasse ihn Dir. Du findest mich am Waldrand, auf dem Stein, so wie am vergangenen Abend! Ich erwartete Dich binnen drei Tagen und Nächten!“, und die langen Zweigfinger nehmen einen der Schlüssel vom Bund ab, und legen ihn ins Moos. Dann weicht die Gestalt auf ihren geschickten Stelzenbeinen lautlos aus dem Lichtkreis der Fackel zurück.
Til liest den Schlüssel auf.
Das ist dann ein Milestone bei seiner
Queste (Gefahrvoll): Den Schlüssel von Bryndrick erlangen, um zur Freistatt zurückzukehren, und zurück nach Hause in die Wachwelt zu gelangen.
Jetzt habe ich sechs Punkte Fortschritt, und muss nur noch zur Freistatt zurückfinden!
Aber mich deucht, das wird durch weitere Entwicklungen erschwert …! Machen wir das mal so:
Til schaut dem Bryndrick nach, aber der ist schon im Nachtdunkel verschwunden. Er steckt den großen, verzierten Schlüssel behutsam in seine Pyjamatasche. Dabei zucken seine Hasenlöffel: Er hört ein Donnertosen, das sich rapide nähert! Er sieht zurück zur Grenze der kleinen Lichtung, auf der Holz-Giebel-Brunnen-Dorf steht. Auch die Wachen auf den Wehrgängen schauen aufgescheucht in die Richtung aus der das Donnern kommt. Das ist kein Gewitter … das ist Hufschlag!
Til spurtet sofort zurück Richtung Tor. Nach wenigen Sätzen hält er inne, und wirft sich ins Buschwerk, in Deckung: Die Quelle des Lärms ist nämlich bereits hier, es sind Reiter auf schwarzen, geharnischten Pferden. Sie tragen dunkle Kapuzenmäntel, die dramatisch im Wind wehen. Einer von ihnen trägt eine Lanze mit einer wehenden Fahne, die verdächtig ähnlich aussieht wie die der riesigen Geharnischten … der Grimgoriminatori!
„Fuck!“, keucht Til, und presst sich ganz flach auf den Boden.
Die Reiter, die aus dem Wald geprescht kommen, sind nur menschengroß. Das muss die Vorhut sein, ein Kundschaftertrupp! Möglicherweise eilen die den Grimgoriminatori voraus! Der Anführer der vermummten Reiter hält vor dem Tor des Dorfes, und sein Pferd tänzelt davor hin und her, während er etwas zu den Wachen hinauf ruft.
Schwarz geharnischte Reiter
Til versteht über die Distanz hinweg nicht, was gerufen wird. Es klingt herrisch, aber nicht unhöflich; es ist keine direkte Einschüchterung. Eine der Wachen auf dem Wehrgang wendet sich in die Richtung, in der Til verschwunden ist, und gestikuliert aufgeregt — er solle sich bloß davon machen!
„Von wegen, ich muss doch auf Aneta aufpassen!“, flüstert Til, ohne die Kleine geht er nicht, und er hat sich ja immer noch nicht den Boggans namentlich vorgestellt!
Er schließt die Augen, und konzentriert sich fieberhaft wieder darauf, sich klein zu wünschen, wie vorhin, wie in Alice im Wunderland! Geschrumpft als eine Art Däumling kann er den Belagerungsring durchbrechen, durch irgendein Mauseloch ins Innere der Mauern schlüpfen, und zu seinen Verbündeten zurück finden!
Statt in einen Däumlings-Till verwandelt erhebt er sich jedoch als Vierbeiner … seine Arme sind weiße Vorderläufe mit kurzen Krallen, seine Beine sind kraftvolle Hinterläufe, gespannt wie Sprungfedern. Der lange Löwenschweif scheint ein Puschelschwanz geworden zu sein, nur der Hasenkopf fühlt sich unverändert an.
„Am Ende hatte Aneta auch damit Recht, ich bin ein Hase“, will er sagen, aber er hört nur eine Art leises Quieken. Dann übernehmen tierische Gedankenprozesse seinen Verstand.
Schalter:
Hier sind Spielwerte für den Hasen (da Tils reguläre Aspekte in dieser Gestalt nicht gelten, verteile ich fünf Punkte für alternative Aspekte in der Tiergestalt):
Feldhase
Attribute: Geschick (Wendigkeit) 4, Konstitution 2, Stärke 1, Charisma 2, Erscheinungsbild -, Manipulation -, Geistesschärfe 3, Intelligenz 2, Wahrnehmung (Hasen-Ohren) 5
Fertigkeiten: Aufmerksamkeit 3, Athletik 3, Ausweichen (Haken schlagen) 4, Empathie 2, Heimlichkeit (Verstecken) 4, Überleben 3
Glamour, Willenskraft, Künste, und Reiche: Wie in der menschlichen Gestalt.
Gesundheitsstufen: OK, -1, -2, -3
Aspekte:
• In Wald und Feld von Instinkten geleitet +2
• Hakenschlagen auf der Flucht +1
• Macht mächtig große Sprünge +1
• Begnadeter Buddeler +1
• Furchtsamer Respekt vor großen Tieren
• Tiefe Naturliebe
Ich mache nicht gleich einen ganzen Ironsworn-Move, sondern würfle einfach schnell mal regulär Geschick+Athletik, um die Dorfmauern zu erreichen. Mit zwei Erfolgen wird der Hase Til nicht entdeckt, und sucht panisch nach einem Loch im Mauerwerk, durch das er nach innen kriechen kann.
Die Orakelwürfel sind aber nicht so gnädig, als dass sie mir so eines gewähren würden. Die Bollwerke von Holz-Giebel-Brunnen-Dorf sind äußerst gründlich gemauert — immerhin gibt es hier jede Menge Boggans, und diese Heinzelmännchen sind nun mal die ultimativen Handwerker!
Der weiße Hase beginnt wie wild im Kreis zu springen, wie in so etwas wie ungebremster, bemitleidenswerter Nagetier-Wut! Das mache ich als neuerliches, intuitives Schelmenspiel für einen spontanen Feenzauber. Diesmal verwendet Til Wayfare, mit dem Effekt Hopscotch, um schlichtweg über die Befestigungsmauer hinweg zu springen!
Seine instinktive Magie hebt den Feldhasen hoch in die Luft
Leicht wie eine Feder setzt er auf der anderen Seite auf dem Kopfsteinpflaster auf. Verdattert schaut der Feldhase sich um, das hat er nicht kommen sehen! Um ihn her rennen die mittelalterlichen Dörfler durcheinander, und ein paar der Boggans auch! Til springt hin und her, damit nicht auf ihn getreten wird. Dabei sieht er, wie die Boggans gerade durch eine Bodenluke im Kopfsteinpflaster verschwinden. Der Hase rennt dorthin, und will die kleinen Leute zur Rede stellen. Er stößt natürlich nur ein Pfeifen und Quieken aus, und aufgeregt klopft er instinktiv mit dem Hinterlauf.
„Ach, Du bist das!“, sagt einer der Boggans aufgeregt zu ihm, „Freund Langohr!“
Es ist der Heinzel aus dem Haushalt des Medicus vorhin.
„Du bist hier, weil Du auf die Hochwohlgeborene Acht geben willst, was? Das ehrt Dich, gewiss bist Du trotz allem Teil des Lichten Hofes!“
Hektisches Quieken und Klopfen.
„Ja, ja, ja. Wohlan, wir evakuieren uns gerade vorläufig! Zum Schutze der Hochwohlgeborenen sind wir natürlich ebenfalls verpflichtet! Sie ist bereits unten in unseren Fluchttunnels. Kommt, Freund Langohr!“
Til nickt zaghaft, und will auf die Luke zugehen, dann aber fällt ihm siedend heiß ein: Er hat ja vor lauter Überraschung und Euphorie, sich in einen Hasen verwandelt zu haben, seinen Schlüssel schon wieder vergessen! Der muss noch an der Stelle liegen, wo er die spontane Verwandlung durchgemacht hat! Er jagt zurück. Die Hopscotch-Kunst trägt ihn instinktiv erneut über die Mauer hinweg, diesmal auf Anhieb, ganz ohne Schelmenspiel.
Er prescht durch das hohe Gras. Hört das Stampfen von Pferdehufen hinter sich, die Herolde in den langen Mänteln haben ihn bemerkt! Sofort beginnt er Haken zu schlagen wie verrückt. Er glaubt, Pfeile hinter sich durch die Luft pfeifen zu hören! In Todesangst erreicht er den Rand der Lichtung, und das Gebüsch, in dem er vorhin Deckung gesucht hatte. Das Gras ist noch platt von seiner menschlichen Gestalt. … Kein Schlüssel! Und der Hufdonner ist direkt hinter ihm. Die schauderhaften Reiter holen zu ihm auf, die anderen haben ihren Ring um Holz-Giebel-Brunnen-Dorf gezogen. Der Feldhase meint, auch die ersten hünenhaften Gromgoriminatori herbei stapfen zu sehen. Die Truppen des unbekannten Reiches Grimgoromn haben offensichtlich begriffen, dass mit dem Auftauchen des dressierten Hasen etwas ganz und gar nicht stimmt. Jetzt ist alles aus! Til lässt alle Hoffnung fahren, und verschwindet Haken schlagend im Wald.
Um einen Rückzug durchzuführen, muss er instinktiv den Weg finden, und dafür wird er den Move namens Gather Information machen müssen. Nur vier Erfolge bei seiner Extended Action (Geschick+Überleben), daraus machen die Challenge Dice einen Fehlschlag. Das bedeutet Pay the Price! Die Logik der Szene gebietet, dass der Feldhase umzingelt wird, von den Reitern in ihren Flattermänteln.
Bogensehnen knarren bedrohlich, als aus den Sätteln tänzelnder Pferde heraus Kurzbögen ihn anvisieren. Die Schergen halten ihn nicht für einen normalen Nager, das ist mal klar, die ahnen, was er ist.
Das erfordert einen weiteren Move, um ihren Ring zu durchbrechen! Diesmal ist das Face Danger. Ich würfele dasselbe wie eben, um zwischen den Reitern auszubrechen, und Haken schlagend wegzukommen. Ein Weak Hit nur. Als Negativ-Konsequenz wähle ich diesmal ‚you are delayed‘, Til gelingt es also, seine schauderhaften Verfolger im dichten Wald abzuhängen, aber nur in einer stundenlangen Hatz. Damit sind alle Hoffnungen dahin, rechtzeitig zum Dorf zurückzukehren um mit den Frauen, Kindern, Boggans, und Aneta zu fliehen!
Die Sonne geht auf über einem blassblauen Horizont, als der große Feldhase sich endlich ganz sicher ist, die Reiter aus Grimgoromn wirklich abgehängt zu haben. Hier ist er nicht allzu weit weg vom Waldrand, er kann versuchen, den Weg zurück zu finden, von wo er am Abend gekommen war. Aber was nützt ihm das, ohne den Schlüssel …?
Dennoch versuche ich mich erneut am Move Gather Information, hoffentlich gelingt er diesmal. Yeah, acht Erfolge bei Wahrnehmung+Überleben. Die Challenge Dice spendieren uns diesmal einen Strong Hit! Als dann:
Der Morgensonnenschein glänzt auf einer anderen menschgemachten Struktur, eine Ummauerung, aber diese sieht aus der Nähe betrachtet aus wie die 60er-Jahre-Backsteinmauern von Hamburgs Vorort Vährwerder. Dort sind auch die schmalen Türchen im Mauerwerk zu sehen, sehr stabil aussehend, und alle verschlossen. Der Feldhase seufzt verzweifelt, und verwandelt sich schlagartig zurück in Til Haselberger. Dieser erhebt sich, und schlurft zu der Backsteinmauer herüber. Hier findet er sogar seine Pantoffeln wieder, und schlüpft hinein. Die Nacht ist rum, es ist bestimmt längst Zeit zum Aufstehen. Und er hängt hier fest, in einem immerwährenden Traum, in den Ewigen Wäldern einer Welt der Allegorien. Er bleibt vor der nächstbesten der Türen stehen, und lässt die Stirn seines Hasenkopfes dagegen sinken. So nah, und doch so fern. Dann endlich fällt ihm das Gewicht in seiner Schlafanzug-Brusttasche auf.
Schlafanzug?! Aber den hatte er doch verloren bei seiner Verwandlung in seine Feldhasen-Gestalt! Er greift aufgeregt an seine Brusttasche, und seine Finger umfassen den Schlüssel! Er fummelt ihn entgeistert heraus, und schaut darauf hinab: Er war gar nicht weg! Til muss laut auflachen.
„Klar, Kinderbuch-Logik!“, sagt er zu sich selbst, „Warum sollte nicht der Pyjama zu Fell geworden sein, als ich mich verwandelt habe — mit allem Inhalt?“
Der Gather-Information-Move eben hat mir als Milestone zwei Punkte Fortschritt gegeben, jetzt ist die Queste bei acht Punkten, alle Elemente sind zusammengesetzt. Ich versuche sie abzuschließen, mit dem Move Fulfill Your Vow. Eine Fünf und eine Drei, beides unterbietet acht, also ein Strong Hit!
Til rennt aufgeregt um die runde Backsteinmauer herum, und probiert den Schlüssel in allen Türen aus! Die Schlüssellöcher haben jede nur erdenkliche Form und Größe. Im achten passt er, und dreht sich mit einem befriedigenden Klicken und Klacken im Schloss! Die Freistatt steht ihm wieder offen!
Bevor er hindurch tritt, sieht er sich noch einmal um, zum morgendlichen Wald: Wo mag jetzt die kleine Aneta sein? Was wird mit Holz-Giebel-Brunnen-Dorf? Was ist mit dem Bryndrick? All dem wird Til sich annehmen müssen. Vorerst aber wird er wach werden müssen, und aufstehen, duschen, frühstücken, und zur Arbeit in die Volkshochschule fahren! Hoffentlich hat er noch nicht verschlafen!
Die morgendlichen Straßen innerhalb der Freistatt sind noch leer, ein wundersames, verwunschenes Morgenlicht hängt über ihnen. Til läuft in seinen Pantoffeln hindurch, in seinem dreckigen, zerschlissenen Pyjama, ein Lächeln auf dem Hasengesicht. Er hat die Tür zu den Ewigen Wäldern vorsichtshalber hinter sich abgeschlossen. Was aber mit dem Schlüssel machen? Vorerst versteckt er ihn hinter einem losen Stein am Straßenrand, mit einem schelmischen Kichern. Die Stelle kann man sich gut merken, sie ist direkt unter dem Vogelhäuschen an der Kreuzung.
Vogelhäuschen …
Vogelhäuschen?!
Schalter:
Jévons Meisterwerk von damals
Til blinzelt auf ein geschnitztes Objekt in seinen Händen. Jévon hatte das geschnitzt, damals, und Til für seinen Garten überlassen. Dort, wo die Gruppe sich immer getroffen hatte, sollte es bleiben, fand Jévon. Til schaut an sich selbst herab, er trägt Pyjama und Pantoffeln, hier sind sie nicht verdreckt oder zerschlissen. Er liegt auf seiner Couch, in seinem Wohnzimmer!
Ruckartig setzt er sich auf. Drückt das geschnitzte Vogelhäuschen an sich. Jetzt fällt ihm wieder ein, was passiert ist:
Er hatte nicht einschlafen können am vergangenen Abend, also war er noch einmal auf die Couch umgezogen, und hatte schließlich aus einer Laune heraus das Vogelhaus zur Hand genommen … und dann hatte er zum ersten Mal genauer hinein geblickt … und zu seinem grenzenlosen Staunen etwas darin gesehen, etwas Helles, das sich bewegte … wie eine ganze Szenerie, im Nachmittagssonnenschein …
Dann muss er wohl doch eingeschlafen sein, und sich in eben diese Szenerie versetzt gefühlt haben, wie in einem Traum …
☀
Mit seinem Dad sitzt Til an diesem Nachmittag auf seiner Veranda, beide haben ihre Winterjacken an, und haben dampfende Tassen mit Früchtetee in den Händen. Schauen auf den Garten des kleinen Grundstücks, und auf die Straße. Wegen Til könnten sie auch in der Küche sitzen und es warm haben, aber sein Dad mag praktisch immer draußen sein, ganz das hartgesottene Nordlicht.
„… Ich bin immer noch wischi-waschi davon“, gibt Til gerade zu, „alles war so real. Und alle Sachen, von denen ich Dir im letzten halben Jahr oder so erzählt habe, haben da plötzlich Sinn gemacht, in diesem Traum.“
„Der Hasenkopf und so“, sagt sein Dad unbestimmt.
„Genau. Der ist seit heute früh auch wieder verschwunden, gefühlt. Nur das Fell und der Schweif sind noch da.“
„Na, und jetzt? Du kannst ja wohl kaum wieder dahin zurück, um einen heidnischen Spinner hin zu bringen!“
„Äh … einen heidnischen Spinner?!“
„Einen, der für Dich mit dem Buhmann redet. Dem Stöcker-Mann.“
„Bryndrick heißt sowas! Ja. Und weißt Du was, ich habe vorhin auf der Arbeit heimlich nebenher auf Wikipedia geguckt. Bryndricks wurden im Druidentum gar nicht als Fieslinge angesehen, wie ich gestern gedacht hatte. Eher im Gegenteil, das sollten Beschützer des Waldes sein.“
„Aber Du hast dem zugesagt, dass Du einen findest, der mit ihm redet. Vielleicht als Gesellschafter. Vielleicht gar, um das Druiden-Brauchtum wieder neu zu lernen!“
„Ja, stimmt“, kichert Til, „Ich vermute, ich hätte alles versprochen. Hatte ganz schön Muffensausen.“
„Aber Du wirst es wohl auch einhalten müssen, oder?“, fragt sein Vater, „Wer weiß, was das mit Deinem Unterbewussten macht, wenn Du's nicht tust, binnen der nächsten zwei Tage. Aber wie bekommst Du jemanden dorthin? Du kannst ja wohl kaum Deinen Studenten-Kumpel von damals zu Dir einladen, vor das Vogelhäuschen setzen, und sagen, ‚Wärst Du jetzt bitte so frei, da auch rein zu klettern?‘, der guckt Dich ja an als wärst Du irgendwo entsprungen!“, und sein Dad muss lachen, und Til muss mitlachen.
„Keine Ahnung, das stand nicht in dem Wikipedia-Artikel drin, was man da macht. Ich frage mich aber noch viel mehr: Wie finde ich Niedzwiedz? Der Name allein ist echt mal kein besonders guter Anhaltspunkt! Habe ich mittlerweile auch rausgekriegt: Das ist Polnisch, und heißt Bärchen! … Was denn wohl für'n Bärchen?“
„Vielleicht ihr Teddybär.“
„Vielleicht! Ich … werd' heute Nacht mal versuchen, wieder davon zu träumen. Dann laufe ich zurück zum Dorf, und frage die Kleine nochmal dazu. Diesmal mit mehr Zeit!“
„Hast Du schon ein Traumtagebuch angelegt?“
„Nee. Sollte ich?“
„Keine Ahnung. Hat Deine Mutter mal eine Weile gemacht. War große Mode in den Siebzigern, sowas. Nicht, dass Du was wichtiges aus diesen Träumen vergisst.“
„Hm! Ich habe ein paar Sachen aufschreiben müssen, vor allem die Namen und Orte. Wenn ich das nicht gemacht hätte, hätte ich sie glaube ich hinterher vergessen. Merkwürdig eigentlich! An den Rest erinnere ich mich aber, als sei es gestern gewesen!“
„Es war gestern, Du Schafskopf! Gestern Nacht.“
„Hasenkopf bitteschön. Ja, aber sonst sagt man doch immer, Träume würden sich so schnell anfühlen, als seien sie so weit weg!“
„Stimmt.“
„Siehst Du, und das ist bei diesem hier nicht so! Als wäre es gar kein Traum gewesen.“
„Aber was war es dann?“
„Mensch, Dad, Du bist doch der mit dem angefangenen Psychologie-Studium von anno dazumal! Sag' Du's mir!“
Tils Vater lacht, und trinkt noch einen Schluck Früchtetee, und sagt nichts dazu.
„… Na ja, Du kennst mich ja, Dad. Ich bin wohl eben ein sentimentaler Mensch.“
„Ich mag das, dass Du sentimental bist, Til“, sagt sein Vater.
☀
Soundtrack: Pilip Glass, Aguas de Amazonia: Japurá River
https://www.youtube.com/watch?v=N0b5-D2YliQ
An diesem Abend sitzt Til wieder in seinem Wohnzimmer, auf der abgeschrabbelten grünen Couch mit den Fransen, das Vogelhäuschen in Händen, und betrachtet es, versucht, in denselben weggetretenen Zustand zu kommen, in dem er gestern gewesen sein muss, als er das glitzernde Licht im Inneren entdeckt hatte. Er hat sich ursprünglich sogar Kerzen angezündet, um die richtige Stimmung zu begünstigen, aber die hat er kurz darauf schnell wieder ausgemacht, denn offene Kerzenflammen sind ja wohl das Dümmste, was man machen kann, wenn man vorhat einzuschlafen.
„Das ist ja aber sowieso noch so eine Frage“, sagt Til zu sich selber, „War ich überhaupt eingeschlafen? Oder war ich vielleicht tatsächlich körperlich verschwunden …?“
Das zu sagen kommt ihm ein bisschen übergeschnappt vor. Aber es ist nicht ganz von der Hand zu weisen: Dort, wo die knöcherne Schwanzspitze der Tulgee-Wald-Rechenschlange letzte Nacht seinen Arm durchbohrt hat, ist eine leichte, helle Narbe zu sehen unter dem Hasenfell!
Til baut seinen Laptop auf im Buchregal, richtet dessen Webcam aus auf das Sofa, und Film ab. Wenn er jetzt verschwindet in dem Moment in dem er einschläft, ist das die Sensation, der Beweis als Filmdatei!
Er schläft aber nicht ein, und die Webcam filmt ihn stundenlang, wie er sinnlos auf das Vogelhaus starrt. Wie er schließlich tierisch müde wieder auf den Klapprechner zu kommt, und in die Kamera sagt, „Na, es war auf jeden Fall einen Versuch wert, nicht?“, und sie abschaltet.
Die Kamera macht übrigens dasselbe, was auch die Augen der Menschen im Alltagsgeschehen zu machen scheinen: In der Filmdatei erscheint Til als ganz normaler Dreißigjähriger mit dunklen Haaren, kein Fell oder sowas.
Heute, am Samstag, klickt er sich nochmal durch den Film auf seinem Laptop. Eher der Beweis dafür, dass er spinnt, dieser Film, nicht für das Gegenteil.
Er will laut zu sich selber sagen, dass er vermutlich doch einfach überspannt ist, nichts weiter, aber als er dazu ansetzt, fällt ihm die Reaktion von Aneta ein, im Tulgee-Wald. Als er gesagt hatte, sie sei ja vielleicht eine Fee, aber er, er sei nur ein schizophrener Fremdsprachenlehrer, der einen irren Traum habe. Als habe er ihr fühlbar Leid zugefügt mit diesen Worten. Das bereut er nachträglich immer noch, wenn er auch nur daran zurückdenkt.
Noch ein Tag, um den Handel mit dem Bryndrick zu vollenden. Am Sonntag muss er jemanden mit dem bekannt gemacht haben. Und wenn nicht? Vermutlich passiert gar nichts. Vielleicht war es ja doch nur ein Traum. Aber wenn der Bryndrick doch in irgendeiner Art und Weise real sein sollte … und 2100 Jahre alt sein sollte, wie er gesagt hat … dann könnte Til sich vorstellen, dass der ein ziemlich langes Gedächtnis hat.
☀
Til geht am Samstagnachmittag zu der Stelle zwischen seinen Beeten, wo damals die Gartenhütte stand, die sie alle so geliebt haben. Ein paar der Planken und Pfähle liegen da noch, halbwegs sauber gestapelt, als Bauholz. Für weitere kleine Projekte. Til werkelt normalerweise in jeder freien Stunde an seinem Grundstück herum. Jede vorstellbare Optimierung ist mittlerweile gemacht. Eine neue Gartenhütte hat er aber nie gebaut. Egal, wie gut er die hinkriegt, die kann nie ein Ersatz für die werden, die damals hier stand.
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