Die Werkstatt ist still. Nur das leise Tropfen von Öl auf Beton und das Knacken abkühlenden Metalls durchbrechen die Ruhe. Die Luft riecht nach altem Benzin, Rost und Schweiß.
Noa liegt unter der Haube, bis zu den Ellbogen im Motorraum vergraben. „Halte das verdammte Ding fest“, knurrt sie, während Rio mit einer Schraube kämpft.
„Ich halte es fest“, brummt sie. „Das Teil hält nur nicht still.“
Läuft-mit-dem-Wind lehnt lässig an einem ausrangierten Kotflügel, die Arme verschränkt. Er beobachtet die beiden – nicht nur mit den Augen. „Ihr seid ziemlich fix, was die Reparatur angeht.“ Seine Stimme ist beiläufig, doch sein Blick scharf.
Keine Reaktion.
Er hebt eine Braue. „Und? Wie läuft’s sonst so? Unsere Missionen überschneiden sich ja gelegentlich.“
Noa zieht den Schraubenschlüssel fester an. „Mhm.“
Rio weicht aus, konzentriert sich auf den Kühler, als wäre er das Einzige, das zählt.
Läuft-mit-dem-Wind spürt es. Sie meiden ihn.
Er lächelt schmal. Gut. Dann bleibt ihm mehr Raum für andere Wege.
Er richtet seinen Blick ins Umbra.
Die Welt verändert sich. Schatten tanzen um ihn, flackernd wie die Reflexionen von Schweißfunken. Mechanische Geister sind am Werk, kleine, emsige Wesen aus Zahnrädern und Öl, die den Reparaturprozess fast ehrfürchtig begleiten. Sie summen leise, als würden sie das Handwerk segnen.
Doch dann sieht er es.
Das Artefakt.
Sein spirituelles Abbild ist eine Schlange, tiefgrün, mit schimmernden Schuppen. Sie windet sich zwischen den Seiten des alten, unscheinbaren Buchs, als würde sie sich daraus befreien wollen. Die Prägung auf dem Einband – eine Waage – schimmert unheilvoll. Bittere, grüne Dämpfe steigen auf, riechen nach Gift und alten Versprechen.
Läuft-mit-dem-Wind verengt die Augen.
Er braucht es. Das Rudel der Schattenjäger braucht es.
Ein leises Zischen entweicht ihm, dann ruft er Steht-im-Schatten zu sich. Ein Schatten, ein Flüstern. „Rio hat etwas bei sich“, murmelt er verschwörerisch. „Etwas Wertvolles. Etwas, das nicht in ihren Händen sein sollte.“
Steht-im-Schatten versteht sofort. Er verschwindet beinahe lautlos, gleitet näher an Rio heran, während Läuft-mit-dem-Wind weiterredet, Ablenkung spinnt, Worte flicht wie ein geschickter Jäger sein Netz.
Und dann – es ist getan.
Steht-im-Schatten huscht zurück, das Artefakt verborgen unter seiner Jacke.
Rio merkt nichts.
Aber Noa sieht es.
Ihr Blick verengt sich, und in einer fließenden Bewegung erhebt sie sich, Muskeln spannen sich, der Glabro nimmt Form an. Ihre Stimme ist tief, knurrend, voller Zorn. „Rück es raus.“
Steht-im-Schatten erstarrt. Dann – ein tiefes Seufzen. Er hebt die Hände, das Buch rutscht aus seinem Griff. „Scheiße, okay! Hier, nimm es. Aber… sagt Tanz-den-Traum nichts davon, ja?“
Rio blinzelt, dann greift er sich das Buch. „Was sollte das, verdammt?“
Steht-im-Schatten tritt einen Schritt zurück, hebt abwehrend die Hände. „Es ist… eine Schwäche von mir, okay? Ich… nehme Dinge. Manchmal ohne groß nachzudenken. Es hat mich schon oft in Schwierigkeiten gebracht.“
Läuft-mit-dem-Wind gibt ein trockenes Lachen von sich. „Unser Rudel ist auf Bewährung, Rio. Jeder von uns hat seine Fehler. Wir haben eine letzte Chance bekommen. Aber manche Instinkte… verschwinden nicht einfach.“
Noa und Rio tauschen Blicke.
Dann nickt Noa langsam. „Ihr haltet euch aus unserem Weg. Und wir schweigen.“
Stille.
Dann, ein kurzes Zögern – und schließlich nicken Läuft-mit-dem-Wind und Steht-im-Schatten.
Der Deal steht.
Der letzte Schraubenschlüssel klirrt auf die Werkbank. Der Kühler ist repariert. Der Wagen ist bereit. Zeit weiterzuziehen.
Ich stehe am anderen Ende der Halle zusammen mit Sam bei Tanzt-den-Traum. Sie lehnt mit verschränkten Armen an einem ausgeschlachtetem Auto, die Lippen zu einer schmalen Linie gepresst. Ihre dunklen Augen mustern mich, als würde sie abschätzen, ob ich das, was sie sagen will, überhaupt verdient habe zu hören.
„Es sind die Black Spirals,“ beginnt sie schließlich leise. „Sie machen uns das Leben zur Hölle.“
Ich sage nichts. Lass sie reden.
„Sie verfolgen uns, treiben uns in die Enge. Sie sind uns immer einen Schritt voraus. Jemand steckt dahinter. Jemand, der ihnen Informationen gibt.“
Ihre Finger krallen sich in die Rinde hinter ihr. Ein dunkler Schatten huscht über ihr Gesicht.
„Du denkst, es ist… es war Lex.“
Sie schnaubt, schüttelt den Kopf, als hätte sie keine Lust, es auszusprechen. Aber dann tut sie es doch. „Ich weiß es.“
Ich hebe eine Augenbraue. „Und wenn du dich irrst?“
„Tu ich nicht.“ Ihre Stimme ist fester jetzt, sicher. „Er hat es abgestritten, natürlich hat er das. Es sind keine verdammten Zufälle, die Art, wie die Spirals immer genau wissen, wo wir sind.“
Ich lasse das sacken. Lex. Ein Verräter? Möglich. Aber es gibt noch etwas, das sie mir nicht gesagt hat. Ich warte.
Tanzt-den-Traum atmet tief durch, als würde sie sich erst sammeln müssen. Dann sagt sie: „Wir sind ein Rudel der Büßer.“
Jetzt sehe ich es. Die Anspannung in ihren Schultern, den Stolz, der unter der Oberfläche gegen Schuld ankämpft.
„Jede und jeder von uns hat einen Fehler gemacht. Wir haben gegen die Gesetze der Garou Gesellschaft verstoßen, und anstatt uns auszustoßen, hat man uns eine letzte Chance gegeben. Eine einzige, letzte Chance.“
Sie sieht mich an, und in ihrem Blick ist keine Wut, nur ein kaltes Wissen.
„Die Zusammenarbeit von Lex mit den Black-Spirals ist nicht nur einfach ein Verrat an uns. Er reißt uns alle mit sich. Wir alle werden dafür verantwortlich gemacht. Eine letzte Verfehlung, und unser Rudel existiert nicht mehr. Deshalb sind wir mit voller Härte gegen ihn vorgegangen.“
Die Worte hallen in der Stille nach.
Ich nicke langsam. Ich verstehe. Aber es bleiben Zweifel. Was wenn Lex unschuldig war?