Später.
Wieviel so ein Wort wiegen konnte. Später konnte der Moment nach einer Raumschlacht sein oder der Moment, in dem die Hebamme aus dem Gemach tritt und die Geburt eines Jungen verkündet. Später war immer ein Moment im Leben, und der Tod nichts weiter als der Moment, der kein >Später< mehr besaß.
Andreis Augen glitzerten, als sich der Graf zu ihm hinabbeugte und seine Lippen erneut küßte - sie bebten beide, zitterten in dem, was sie geteilt hatten und was Ras niemand wegnehmen konnte. Früher hatte er einmal so über eine Frau gedacht, aber sie war nun weg, und er schloß die Augen, spürte den schlanken Leib auf seinem und den Hunger Andreis an seinen Lippen. Hunger. Er würde Andrei ohne zu fragen, ohne mehr zu empfinden als Dankbarkeit und Nähe, mit seinem eigenen Fleisch und Blut nähren - Askorbiten, und das war es, was Andrei liebte, wohl das einzige, was er wirklich aus ganzer Seele liebte, Askorbiten waren Blutsäufer. Ras kannte ihre Umtriebe nur zu gut, und Andrei war ganz gewiß nicht menschlicher, nur weil Ras ihm im Bett Gesellschaft leistete. Aber als Mensch zählte wohl keiner von ihnen mehr.
Andrei würde immer fremd bleiben, ein Teil von ihm jedenfalls, den kein Kuß, kein Gedanke erreichen konnte. Er schnappte hart nach Ras' Unterlippe, der den Schmerz im Abklingen der Lust kaum spürte, bis er sein eigenes Blut schmeckte. Andrei zog die Wunde zwischen die Zähne und saugte daran - der Schmerz durchzuckte Ras jetzt, aber auch die finsterste, dunkelste Lust, daß auch der Schmerz und das Blut Geschenke waren. Andrei grinste mit blutigen Lippen, zog ihm mit dem Daumen den Kiefer nach unten und ließ Blut und Speichel in seinen Mund laufen. Ras schluckte, hielt zugleich den anderen Leib mit einem Arm umschlugen, hob den Oberkörper zu einem letzten Kuß, der schmerzte, weil Andreis Zähne ihm die Lippe gründlich zerbissen hatten.
Andreis Gesicht zeigte sein Vergnügen über diese Reaktion - er legte beide Hände auf Ras' Brust und neigte sich über ihn wie die Mantis selbst, gebogen und elegant wie die Klinge eines Säbels. "Vielleicht, Ras, werde ich dich eines Tages töten. Wenn du dir das so sehr wünschst." Er tastete nach etwas jenseits von Ras' Blickfeld, dann sah Ras, wie eine Spritze in seinem Blickfeld auftauchte. Er zuckte leicht mit den Brustmuskeln, aber Andreis Blick bannte ihn wie ein Insekt in Bernstein. Was nun? Schmerz? Lust? Drogen? Und wenn Drogen, warum jetzt erst?
Andrei legte die Spitze so gegen seine Schlagader, daß Ras sie spürte. Spüren mußte.
Da war keine Angst.
Und da war ein Später.
Aber es war ein Später, in dem jede Ader seines Körpers brannte, als koche sein Blut, und er begann zu schwitzen, während sein Körper einen Kampf gegen etwas führte, das weder Droge noch Folter war. Er rang um sein Bewußtsein, konnte spüren, wie sein Körper aufbegehrte gegen einen Schmerz, der weder willkommen noch Geschenk war. Und wie sein Körper gewann - der Schmerz blieb spürbar, aber er zuckte nicht und wimmerte nicht, er bebte nur still und schwitzte, atmete ruhig, verdrängte jeden Schmerz, bis dieser zur Intensität seiner zerbissenen Lippen geschrumpft war.
Andrei hatte sich erhoben und steckte sich gerade das Haar auf - eine schwarze Robe bedeckte seine Schultern, bildete die feinen Linien seines Körpers ab, alterslos und fremdartig. Ras konnte sehen, wie Andrei ihm Spiegel lächelte, während er sich mit schrägen Kopf selbst betrachtete.
"Du wirst mir nun länger Gesellschaft leisten. Das ist nicht metaphorisch gemeint, Ras." Er hob eine Augenbraue, betrachtete Ras über den Spiegel. "Du bist für den Tag von deinen Pflichten entbunden, heute abend haben wir ein diplomatisches Gefecht; du solltest den Attentäter finden. Ich schätze es nicht, wenn mein Gegenüber vergiftet mit dem Gesicht auf den Tisch fällt, weil mir einer unserer liebenswerten Cousins den Plan durchkreuzt."