[Ein silberner Schimmer durchflutet den langen, hohen Korridor, an dessen Ende das dunkle Rechteck einer doppelflügeligen Tür schemenhaft erkennbar wird. Es ist spät, und längst wurde das Licht auf den Fluren des Palastes gelöscht. Sanft gleiten die Fingerspitzen der jungen Frau über die glatte Tapete, während sie sich vorsichtig den Gang entlangtastet. Noch zweimal rechts abbiegen, dann dürfte sie ihr Zimmer erreicht haben - oder doch nicht? So viele Türen, und alles sieht gleich aus - im Halbdunkel erst recht. Sie hat vollkommen die Zeit vergessen - nicht zum ersten Mal. Ihre Hände sind noch klebrig vom Maschinenöl des Hoppers - verdammt, hoffentlich habe ich keine Schmierer an der Wand hinterlassen - an welchem sie die letzten sechs Stunden herumgeschraubt hat. Vielleicht wäre sie bei den Ingenieuren doch besser aufgehoben gewesen, aber man kann sich schließlich nicht unbedingt aussuchen, wer einem einmal das Leben rettet, und in ihrem Fall war es nun einmal ein Sternfahrer. Ein breites Gähnen verzerrt ihr Gesicht, als sie beinahe über ein kleines Tischchen stolpert. Die Vase darauf schwankt bedenklich und Megan schnellt vor, um das kostbare Stück zu retten. Behutsam plaziert sie es wieder an seiner Position und lauscht. Wahrscheinlich wird gleich das Licht angehen und irgendein Diener sie mit verschlossener Miene zu ihrem Zimmer begleiten! Es bleibt dunkel. Und doch - war da nicht gerade ein Geräusch? Muss wohl doch jemand aufgewacht sein.. Das Tischchen in weitem Bogen umrundend tastet sie sich vorwärts in Richtung des ominösen Geräusches, hält inne, horcht erneut. Ja, tatsächlich, da war es wieder, aber es klingt eher wie ein Stöhnen - vielleicht ein Gähnen? Am Ende des Ganges biegt sie nach links und wieder vernimmt sie diesen gequälten Laut. Ist jemand krank? Möglicherweise. Ihre Schritte werden schneller, vorsichtig, vorsichtig. Eine zerschmetterte Vase könnte sie in lebenslange Zahlschuld gegenüber dem Haus katapultieren. Sie erreicht eine angelehnte Tür. Schwaches Licht fällt durch den Spalt auf den weißen Marmorboden. Die gegenüberliegende Wand schmückt ein kunstvoll gewobener roter Teppich. Ach hier bin ich! Das ist Baron Enkidis Gemach. Erst jetzt wird ihr klar, dass sie nicht einmal die richtige Etage erwischt hat. Vorsichtig tritt die Sternfahrerin näher an den Raum heran. Sie weiß, das sollte sie nicht tun, aber ihre Neugierde hatte sie noch nie im Griff. Ein verstohlener Blick durch den Türspalt als ein neuerliches Wimmern dahinter ertönt. "Baron Enkidi? Ist alles in Ordnung?" Zuerst flüsternd, dann, als keine Antwort kommt etwas lauter schickt Megan ihre Frage in das Zimmer, von dessen Innerem sie nur die Kante einer schwarz lackierten Truhe erahnen kann. Keine Reaktion außer einer weiteren Schmerzbekundung. Behutsam schiebt Megan die Tür ein wenig weiter auf und spitzt hindurch. In der Ecke des Raumes sind die Kerzen eines Kandelaber fast bis auf ihre Einfassung herab gebrannt. Lange Wachsfäden fließen im leichten Zug des Nachtwindes, um sich zu bizzaren Miniaturskulpturen aufzuschichten. Die weißen Vorhänge tanzen einen trägen Reigen. Der Raum ist vergleichsweise spartanisch eingerichtet. Neben der prächtigen Lacktruhe, die von großer Kunstfertigkeit zeugt schmücken lediglich ein schlichter Spiegel und ein Sekretär mit dazugehörigem Stuhl das weite Gemach. In der Mitte, umrahmt von zwei hohen Fensterfronten steht ein breites Bett. Megan zuckt zusammen, als ihr Blick an dem blutverschmierten und schweißüberströmten Körper des Barons hängenbleibt, der sich in wirren Fieberträumen unruhig hin- und herwälzt. Die seidenen Laken sind rot gefärbt und zerschlissen, als habe man sie mit einem Messer in Streifen geschnitten. Auf dem kleinen Nachttisch steht ein gläserner Flakon, halbgefüllt mit einer grünlichen Flüssigkeit...]
Ungläubig starrt die Sternfahrerin den Baron an, als traue sie ihren Ohren nicht. Das kann doch nicht sein Ernst sein. Sie wollte ihm die Gelegenheit geben, sich geschickt aus der Affaire zu ziehen und nun das? Haben sie nicht genug Probleme? Ist er nicht ganz bei Trost. Prüfend blickt sie in seine Augen, doch die hängen an diesem verfluchten Hauptmann - er lächelt sogar! Was, verdammt nochmal soll das? Ein rascher Blick zum Avesti, der sich wieder dem Händler zugewandt hat. Wenigstens von der Seite scheint vorerst keine akute Gefahr auszugehen. Dieser Vollidiot von einem Li Halan! Wie kann er ihr das antun! Wie kann er ihnen das antun? Ist er jetzt vollkommen übergeschnappt?
"Aber Baron..!"
setzt sie zum Protest an, als Bruder Erland sich zu Wort meldet und ihr Heftigkeit versprechender Widerspruch im Sande versiegt. Meine Probleme? Bin ich wirklich so leicht zu durchschauen? schießt es ihr durch den Kopf. Oder spricht er diese vertrackte Situation hier an? "Nun, Bruder Erland, es ist in der Tat eine Schwester, und ich würde zu gerne den Markt zugunsten einer ruhigeren Örtlichkeit verlassen, aber Ihr hört den Baron, und ich sollte mich nicht zu weit entfernen." Ihre dunklen Augen richten sich auf den Eskatonier, als könnten sie ihm durch reinen Blickkontakt einen Gedankenaustausch ermöglichen. Gleichzeitig scheinen sie in ihrem Gegenüber etwas zu suchen. Verständnis? Hoffnung? Lösungen? Erkennen?