Männer waren schon wegen geringerer Vergehen gestorben, dachte Ras Chandra, als er sah, wie der Li Halan sich unter dem Skorpionstich windete. Er konnte sie spüren, die Kampfeslust, den Zwang, Ungebührlichkeit mit dem Stahl fortzuwischen. Ein langer, kühler Blick prüfte Enkidis Reichweite, die der seinen zwar nachstand, aber was er bisher gesehen hatte, ließ große Schnellkraft vermuten. Und daran mangelte es ihm, die Masse ließ sich schlecht bewegen. Der Säbel war nun wirklich keine Fechtwaffe, sondern die Axt, mit der eine Schlachtreihe aufgebrochen wurde. Er war ein Wellenbrecher, kein Fechter. Das war früher anders, aber seither hat er gut sechzig Kilo an Muskeln zugelegt.
Nun, mal sehen, aus welchem Material dieser Li Halan gemacht war. "Ich wäre enttäuscht, wenn es wirklich nichts mit Stolz zu tun hätte, Baron", erwiderte er kühl. Doch was bedeutete schon die Enttäuschung eines Kossacken? Er hatte dem Hofleben entsagt und das war schon lange her. In der Zwischenzeit wären bessere Klingen rostig geworden.
"Die einzige mögliche Erklärung, die nach dem Stolz zurückbleibt, wäre Feigheit, und dessen kann ich Euch nicht bezichtigen, ohne mir ein Duell aufzuladen. Stolz ist gewiß die bessere Motivation, wenn auch nicht die klügere." Er verneigte sich leicht zum Abschied, wußte ganz genau, daß Enkidi nicht in der Verfassung war zu kämpfen. Ein erfahrenerer Decados hätte ihn jetzt bis aufs Blut gereizt, in einen Angriff getrieben und zur Strecke gebracht, aber Ras hatte kein Bedürfnis danach, Trophäen zu sammeln. Und er schuldete dem Grafen seine Einsatzfähigkeit. Er hatte zuviel über die Kriegskunst gelernt, um von Duell zu Duell zu jagen, immer auf der Suche nach dem einen Feind, der ihm überlegen war. Er hat seinen Meister gefunden, vor Jahren, und damit Frieden. Diese turbulente Begegnung hat die Monotonie der Reise, der letzten Monate, wenn nicht gar Jahre, aufgerissen und ließ ihn Neugierde empfinden. Das letzte Mal war lange her. Aber dann würde er eben in die Monotonie zurückfallen und vielleicht wieder aufgestört, wenn etwas anderes geschah - die Pfade der Mantis waren verschlungen, und auch ein Leibwächter war vor ihrem Zugriff nicht sicher.
Er betrachtete das Weibchen, meinte zu sehen, wie sie darüber nachdachte, sie war zu lebhaft, verriet ihre Gefühle in der Art wie sie atmete, wie sie blinzelte, wie sie den Kopf trug, sich ihre Schultern spannten. Aber was sollte er sagen, was konnte er sagen, was nicht nach Schwäche klang? Sich zu einer Familie zu bekennen barg keine Fallstricke. Doch weiter als das ...
"... was für eine seelenvolle Kreatur", sagte da jemand, der soeben eintrat. Schmalgliedrig, in schwarzer Kleidung, stumpfer schwarzer Stoff, der mit irisierenden schwarzen Fäden reich bestickt ist. Körperlich ein Fechter, lange, elegante Gliedmaßen, ein blasses Gesicht mit grünen Augen, die Körpersprache fast wie die eines Askorbiten. Fließende Bewegung, dann abrupter Stop, Verharren. Angeblich der Mann, der Cadavus beherrschte, da das Herzogspaar dazu nicht in der Lage zu sein schien. Ein Metallzylinder am Gürtel - kein Fluxschwert, vielleicht eine Drahtklinge. "Ich sehe, du hast Gäste geladen, Ras."
Er trat auf den Kossacken zu, der vor ihm automatisch Haltung annahm, verharrte dann, hebt die Hand, verharrte. Ein fast bizarrer Tanz, die Bewegungen zugleich natürlich, als handelte es sich um seine normale Körpersprache. Dicht vor Ras drehte sich der Adlige um, daß Ras Schultern und Kopf hinter ihm aufragen. "Ihr erlaubt. Graf Andrei Mandin Decados. Ich hoffe, mein Freund hier hat es an nichts fehlen lassen?" Eine Augenbraue hob sich, der Kopf wird schräg gelegt. "Ich muß gestehen, ich hungere nach distinguierter Gesellschaft." Wieder drehte sich der Decados leicht, berührte Ras' Brustplatte mit schmalen blassen Fingern. "Du wirst mir nicht auch noch fahnenflüchtig wie Grischa, Ras? Das Imperium wäre nichts für dich."
Ras verneigte sich tief, doch die Berührung ließ ihn auf ein Knie fallen, gleich einem Schlachtroß, dem man das Knien beigebracht hat. Er war dann fast auf Augenhöhe mit dem Grafen. "Ihr scherzt, Meister."
Andrei lächelte stahlend. "Ja. Ich scherze. Steh auf, mein Lieber. Ich komme um vor Neugierde, was unsere Gäste angehen."