Okay, ich hab’s versprochen, also hier meine Rezension von PtA.
Name: Primetime Adventures
Verlag: Dog-Eared Designs
Autor: Matt Wilson
Preis: 15,- USD plus Versand (ich hab ca. 17,- Euro bezahlt)
Format: Softcover, A5-ähnlich, 76 Seiten (Englisch)
Primetime Adventures ist ein Rollenspiel, in dem Spieler und SL die großartigste Fernsehserie erschaffen, die niemals gedreht wurde. Die Serien drehen sich um Protagonisten (= Spieler-Charaktere), die nicht nur in jeder Folge mit neuen Abenteuern zu kämpfen haben, sondern sich auch gleichzeitig mit ihren ganz persönlichen, mehr oder weniger alltäglichen Problemen rumschlagen.
Vorbild für PtA sind daher Serien wie Buffy, Alias oder Farscape, in denen es ebenso sehr um das persönliche Schicksal der Charaktere geht wie um deren übergeordnete Aufgabe. Was für eine Art Serie erschaffen wird, ist ganz allein den Spielern überlassen. In der Regel wird man keine bestehende Serie nachspielen, sondern sich seine ganz eigene Serie ausdenken. Dem Einfallsreichtum sind dort keine Grenzen gesetzt. Die Regeln sind so allgemein und frei gehalten, dass sie auf buchstäblich jedes Setting passen.
Aufmachung
Wenn man das Büchlein in Händen hält, denkt man eher an eine Info-Broschüre als an ein vollständiges Rollenspiel. Der Eindruck trügt allerdings, das Buch enthält alles was man braucht. Und zwar wirklich alles, Ergänzungen sind weder geplant noch sinnvoll.
Rein optisch ist das Büchlein nicht so der Bringer, das Cover sieht Cartoon-mäßig aus und die Illus z.T. wie Clip-Arts (was sie glaube ich auch sind). Ist halt alles home-made. Schriftsatz und Layout sind ebenfalls sehr simpel, aber übersichtlich und gut lesbar, was die Hauptsache ist.
Inhalt
Auf den 76 Seiten finden sich eine kurze Einführung, die Erklärung der wenigen, einfachen Regeln, viele Tipps und Hinweise, wie man das Spiel spielt, und einige Beispiel-Shows. Die Regeln sind konsequent auf das Erschaffen einer Fernsehserie ausgerichtet.
Die Serie
Die erste Sitzung PtA beginnt damit, dass von allen Mitspielern gemeinsam die Serie erschaffen wird. Man überlegt sich ein Konzept, z.B. „die Protagonisten sind die Crew eines interstellaren Rettungs-Raumschiffes“. Man muss sich über die grundlegenden Eigenschaften des Settings und die gewünschte Atmosphäre des Spiels einigen (z.B. „Space Opera, Star Wars-mäßig, aber ohne Aliens“). Details bezüglich des Settings sind nicht erforderlich, diese werden während des Spiels immer dann erfunden, wenn man sie braucht.
Besonderer Bedeutung im Rahmen dieser ersten, wegweisenden Sitzung bekommt die sogenannte „Franchise“: Was machen die Protagonisten Folge für Folge? Was ist die Aufgabe, das „Abenteuer“, das den Kontrast zu ihren persönlichen Sorgen bildet? Wenn man sich auf diese Punkte Brainstorming-mäßig geeinigt hat, bekommt die Serie einen Namen, und es geht weiter mit den Protagonisten.
Protagonisten
Protagonisten in PtA haben keine Spielwerte im eigentlichen Sinne. Sie haben nur Edges und Connections, und zwar von dem einen drei und vom anderen zwei (wahlweise zu verteilen).
Edges sind sehr breite, frei wählbare Fähigkeiten. In der Edge hat der Charakter keinen zahlenmäßig bestimmten Wert. Es wird keine Aussage darüber getroffen, wie gut er ist. Die Edge kann „passabler Pilot“ oder „genialer Pilot“ sein. Spieltechnisch relevant ist nur, dass diese Fähigkeit bei dem Charakter besonders wichtig ist und in der späteren Serie häufiger vorkommen und ihm helfen soll.
Connections sind Personen, mit denen der Charakter auf die ein oder andere Weise verbunden ist, und die ihm ebenfalls im laufe der Serie helfen sollen.
Dann gibt es für jeden Charakter noch einen „Personal Set“, einen Ort, dem er besonders verbunden ist. Außerdem kann der Spieler seinem Charakter, wenn er will, eine Nemesis geben, einen Feind, der ihm ans Leder will.
Das eigentlich besondere an PtA sind jedoch die „Issue“ und die „Screen Presence“ eines Protagonisten. Diese beiden Werte sind der zentrale Motor, der die Serie formen soll. Die Issue eines Protagonisten ist sein zentrales persönliches Problem, um das es in der jeweiligen Staffel geht. Natürlich kann er auch weitere Probleme haben, aber diese werden nicht so stark thematisiert werden. Der Spieler legt also schon bei der Charaktererschaffung fest, um was sich die persönliche Nebenhandlung seines Charakters drehen wird.
Zur Issue tritt die Screen Presence hinzu, ein Wert zwischen 1 und 3, der zwischen den einzelnen „Folgen“ (= Sitzungen/Abenteuern) variiert und auf diese Weise den sogenannten „Story Arc“ des Protagonisten formt. Der Story Arc wird für eine komplette „Staffel“ (= Kampagne) im Voraus festgelegt, d.h. man weiß schon vorher, wie viele Folgen es geben wird (natürlich ist eine zweite Staffel denkbar). Eine kurze Staffel hat 5, eine lange 9 Folgen. Eine Folge soll normalerweise in einer Sitzung geschafft werden. Jeder Protagonist hat pro Staffel eine Folge mit einer Screen Presence von 3, die seine „Spotlight Episode“ ist. In dieser Folge wird er mit seinem Issue im Mittelpunkt stehen, und das Issue wird entweder aufgelöst oder vertieft werden.
Auf die übrigen Folgen verteilen die Spieler zu gleichen Teilen Screen Presence 1 und 2. Die Screen Presence sagt etwas darüber aus, wie groß die Rolle des Protagonisten in der jeweiligen Folge ist, und über seine Wahrscheinlichkeit, Konflikte erfolgreich zu beenden. Anhand der über die ganze Staffel verteilten Screen Presence kann man bereits im Voraus erkennen, wie der Spannungsbogen bei dem jeweiligen Protagonisten aussieht, wann die Dinge ins Rollen geraten, ehe sie in der Spotlight Episode kulminieren, und wie sie danach ausklingen.
Szenen
PtA strukturiert jede Episode anhand von Szenen, die einen klaren Anfang und ein klares Ende haben. Also das, was in einer echten TV-Serie auf dem Bildschirm stattfinden würde. Über das, was dazwischen passiert, kann man kurz mal reden, aber es wird niemals ausgespielt. Entscheidend ist nur, was der Zuschauer sieht.
Zwar beschreibt der „Producer“ (= Spielleiter) die Schauplätze und spielt die NSCs, doch er kann die Szenen nicht so setzen, wie er will. Vielmehr sind umschichtig alle Spieler an der Reihe, um jeweils für ihre Szene den Ort, die beteiligten Personen und die „Agenda“, also die ungefähre Zielsetzung der Szene, zu bestimmen. Natürlich soll noch nicht zu Beginn einer Szene festgelegt werden, was darin genau zu geschehen hat. Aber worum es ungefähr geht und was der mögliche Konflikt ist, wird vorher bestimmt. Die Szene ist zu Ende, wenn der Producer „Cut“ sagt.
Konflikte
In PtA wird jeder Konflikt über einen einzigen Wurf gelöst. Wie detailreich und mit welchen genauen Auswirkungen sie das Ergebnis dieses Wurfs umsetzen, entscheiden die Spieler bei der Erzählung selbst. Hierfür machen die Regeln keinerlei Vorgaben.
In einem Konflikt mit mehreren Beteiligten wird der Ausgang für jeden beteiligten Protagonisten einzeln betrachtet. Wenn also der große Krieger und der kleine Junge in einen Kampf verwickelt werden, würfelt jeder für sich, und es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie es ausgeht: Der Krieger gewinnt und der Junge verliert, oder umgekehrt, oder beide gewinnen, oder beide verlieren.
Damit man diese Ergebnisse richtig deutet, werden für jeden Protagonisten und bei jedem Konflikt vorher die „Stakes“ festgelegt, also was für den jeweiligen Protagonisten auf dem Spiel steht. In dem obigen Beispiel könnten die Stakes des Kriegers sein: er besiegt die Gegner, oder er wird besiegt. Je nachdem, was für Gegner es sind und was für eine Szene es ist, könnten die Stakes aber auch sein: er tötet sie lautlos oder sie machen Krach, er gewinnt ohne verwundet zu werden oder er trägt eine üble Verletzung davon, er schafft es, sie zu betäuben oder er muss sie töten, oder oder oder… Für den kleinen Jungen könnten die Stakes z.B. sein, er schafft es, auf sich aufzupassen, oder er kommt dem Krieger in die Quere.
Auf diese Weise kann ein Konfliktausgang bei mehreren Beteiligten diverse verschiedene Varianten annehmen. Durch das vorherige Festlegen der Stakes wird außerdem gewährleistet, dass jeder denkbare Ausgang zur Situation der Protagonisten und der Funktion der Szene passt, und dass es hinterher keinen Streit darum gibt, was genau der gewonnene oder verlorene Konflikt bedeutet.
Der eigentliche Würfelmechanismus funktioniert so: Spieler haben als Basis ihre Screen Presence (1-3) an W10, der Producer hat 1W10. Die Spieler bekommen zusätzliche Würfel für „Edges“ oder „Connections“, die den Protagonisten in dem Konflikt helfen. Der Producer kann bis zu fünf Würfel aus einem Pool namens „Budget“ zu seinem einen Würfel hinzu nehmen. Dadurch wird das Budget sukzessive aufgebraucht, bis die Folge zu einem Ende kommt.
Dann wird gewürfelt, und jede ungerade Zahl zählt als Erfolg. Wer die meisten Erfolge hat, gewinnt. Bei mehreren Beteiligten vergleicht jeder Spieler einzeln mit dem Producer. Wer die höchste Zahl auf einem einzelnen Würfel hat, erzählt den Konfliktausgang, unter Berücksichtigung der vorher festgelegten Stakes.
Fan Mail
Wenn das Budget sich leert, wandern die verbrauchten Punkte in den „Audience Pool“. Von dort kann jeder Spieler einmal pro Szene einem anderen Spieler einen Punkt „Fan Mail“ geben. Der Anlass kann alles sein, jede Aktion des Spielers, die dem anderen Spieler gefällt. Eine gute Idee, eine gelungene Darstellung des Charakters, eine schöne Beschreibung eines Konfliktausgangs, sogar ein OT-Witz.
Die Fan Mail kann eingesetzt werden, um einen Protagonisten in einer Szene auftauchen zu lassen, in der er zunächst nicht eingeplant war, oder um zusätzliche Würfel für Konflikte zu kaufen. Diese Würfel müssen nicht dem eigenen Protagonisten zugute kommen, sie können auch andere Protagonisten oder sogar den Producer unterstützen. So können sich Spieler auch in „fremde“ Konflikte einmischen und ggf. sogar das Erzählrecht erlangen.
Next Week On
Am Ende einer Folge wird, bevor die Spieler auseinander gehen, noch das “Next Week On” erzählt, sozusagen der Trailer für die nächste Folge. Hierzu beschreibt jeder Mitspieler eine kurze Teaser-Szene, die in der nächsten Folge vorkommen wird. Dadurch ist bereits die Richtung vorgegeben, in die es gehen soll.
Das Spiel im Einsatz
PtA ist ein Spiel mit sehr wenigen, offenen Regeln. Es ist ein Spiel, das auf Kooperation zwischen Spielern und Spielleiter angewiesen ist. Man muss sich über das Flair der Serie einig sein, und darüber, was die Protagonisten tun können sollen, und was nicht. Taktische Herausforderungen sucht man bei PtA vergebens, und wenn sich auch die Fähigkeiten eines Charakters verbessern mögen, so spiegelt sich das doch nicht in seinen Spielwerten, sondern allenfalls in den Beschreibungen des Spielers wieder.
Als SL, Pardon, Producer kann man bei PtA eine Folge nicht im Voraus planen. Man kann sich zwar, anhand der Next Week Ons, eine Aufgabe für die Protagonisten ausdenken, doch da die Spieler den größeren Teil der Szenen selbst bestimmen, hat man nur beschränkt Einfluss auf den Handlungsverlauf. D.h. man muss flexibel sein und ist darauf angewiesen, dass die Spieler einen unterstützen. Hierfür ist es sicherlich auch notwendig, dass man in der Gruppe einen offenen Dialog darüber führt, wohin die Handlung ungefähr gehen soll. Natürlich hängt das auch von den Konfliktausgängen ab.
Primetime Adventures gibt keine Hilfestellung, um Meinungsverschiedenheiten zwischen Gruppe und SL zu klären. Bestes Beispiel sind die „Stakes“ bei den Konflikten, die zentrale Variable, die ganz entscheidend bestimmt, wo es mit der Story hingeht. Hierzu heißt es nur, die Gruppe soll sie festlegen. Wie, steht nicht da. Man muss sich eben einigen.
Meine Meinung
Ich persönlich finde PtA genial. Es ist klein, kurz und bündig und gibt einem ein paar wenige, übersichtliche und logische Mechanismen an die Hand, die jedoch unendliche Möglichkeiten eröffnen. Das Regelwerk enthält eine Menge hervorragende Tipps und Beispiele, die helfen können, das Beste aus dem Spiel rauszuholen. Cinematisches Spiel im Serienformat lässt sich damit in jeder nur denkbaren inhaltlichen Variation umsetzen. Natürlich ist es auf Story und kooperatives Erzählen gepolt, und das sehr konsequent. Wem das nicht gefällt, für den ist das Spiel ungeeignet.
Ich kann allerdings nur jeden ermutigen, es einmal auszuprobieren, ehe er entscheidet, dass es nichts für ihn ist. Ich bin auch kein Narrativismus-Freak und mag taktische Kampfregeln & Co. Ich habe kein Problem mit einem allmächtigen SL, der mich mit einem Abenteuer konfrontiert, auf das ich als Spieler keinerlei Einfluss habe, außer durch die Aktionen meines Charakters. Im Gegenteil, ich liebe es, so zu spielen. Und trotzdem hatte ich bei unserer Chat-Runde PtA bisher einen Riesenspaß. Man muss sich eben nur darauf einlassen und sich im Klaren sein, dass es sich wirklich ganz anders spielt als DSA.
Durch die Szenen, die Issues und den Story Arc hat PtA trotz seiner sehr freien Regeln eine starke Struktur, die das Spiel ganz automatisch in die richtige Bahn lenkt. Das sich neigende Budget und die Vorgabe, eine Folge innerhalb nur einer einzigen Sitzung zu schaffen, tragen dazu bei, dass das Spiel temporeich wird, während durch das Reihum der Szenenbestimmun gewährleistet wird, dass keiner der Protagonisten zu kurz kommt. Die Spieler werden durch die Regeln darin unterstützt, eine dramatische, rasante Geschichte zu erzählen.
Fazit: Ich bin nicht bekehrt und werde sicher auch in Zukunft immer wieder zu klassischen Rollenspielen zurückkehren bzw. bei ihnen verweilen. Aber PtA hat einen festen Platz in meinem Regal, und ich hoffe, noch viele Serien damit aus der Taufe zu heben.