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[Unknown Armies] Road Movie

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Bad Horse:
Das hier schreibe ich direkt nach dem Kampf gegen die Hollow Men in New Fortune. Es geht mir gerade nicht sehr gut.

New Fortune - Die Schlacht

Wir haben den Weg nach Kingston problemlos gefunden. Die Stadt war nicht da. Nur unberührte Wildnis. Wir sind weitergeritten, bis wir eine Furt im Sevier gefunden haben. Auf der anderen Seite haben wir gelagert. Beim Holzsammeln hat Brian ein Blechschild gefunden. Es stand  "Willkommen in Western City" drauf. Hier ist der Wilde Westen noch lebendig. Das Schild sah ziemlich neu aus. Western City war ursprünglich eine kleine Goldgräberstadt namens New Fortune. Wurde aber im 19.Jhd. verlassen. Stand im Reiseführer.
In der Nacht hat Kim ein paar Typen auf Pferden belauscht. Morgen würde irgendwas in Western City passieren. Die Kerle sahen abgerissen aus. Hatten einen Schriftzug auf ihre Jacken aufgenäht. HM.
Am nächsten Tag fanden wir eine kleine Siedlung in einem Seitental. Es war nicht Western City. Es war New Fortune. Behaupteten die Leute. Bis auf ihre kräftigen weißen Zähne sahen sie authentisch aus.

Ich kann jetzt nicht weiterschreiben. Ich bin völlig erledigt, muß erstmal schlafen. Wenn ich kann. Später mehr.

Da bin ich wieder. Tut mir leid, als ich versucht habe, die Sachen da oben aufzuschreiben, ging´s mir nicht gerade gut. Ich hatte mir noch nicht einmal das Blut aus dem Gesicht gewaschen... jetzt weiß ich, daß ich in diesem Zustand lieber nichts schreiben sollte. Ich hoffe, es wird besser.

Wo war ich stehengeblieben? Bei unserer Ankunft in New Fortune. Tja, schon beim ersten Gespräch erfuhren wir, daß wir immer noch in der Vergangenheit waren - in diesem Fall, am 7. August 1842. Immerhin schienen die Goldwäscher uns nicht als Soldaten oder so etwas zu sehen.
New Fortune war keine sehr große Stadt: Es gab einen General Store, einen Saloon, ein Sheriff´s Office, ein größeres, stabil aussehendes Gebäude, das wir für die Bank hielten, und eine Art Kirche oder Kapelle. Sylvia wollte zuerst zur Kapelle, und da wir keine Ahnung hatten, wie oder als was die Leute hier uns sehen, sind wir alle mitgegangen.

In der Kirche lernten wir dann Pater Peter Jackson kennen (das hat mich einen Moment irritiert - ich habe einen Cousin namens Peter. Glücklicherweise sind die beiden sich kein bißchen ähnlich). Er war sehr freundlich und erzählte uns, daß die nächste Stadt Flagstaff sei. Wir würden wohl vier oder fünf Wochen brauchen, um da hin zu kommen. Das ist natürlich einigermaßen merkwürdig, weil es Flagstaff 1842 noch gar nicht gab. Die Stadt wurde erst 1876 gegründet, von dem Schafhirten Thomas Forsyth McMillan (sagt zumindestens mein Reiseführer). Immerhin stimmt die Reisezeit.
Nach dem Besuch in der Kirche sind wir zum General Store gegangen. Da mußten wir dann erfahren, daß unser Geld leider vollkommen wertlos ist. Brian hat der guten Frau erzählt, wir hätten einem betrügerischen Rancher bei einem Viehtrieb von Texas geholfen und wären dafür mit diesem Geld bezahlt worden. Sie hatte nicht viel Mitgefühl mit uns, meinte aber, sie wäre auch bereit, Waren zu tauschen.

Wir haben uns erstmal zur Beratung zurückgezogen. Immerhin hatten wir ja einiges an Tauschmaterial: Die Armeegewehre, die wir von der Junction-Creek-Brücke mitgenommen hatten, ein bißchen moderner Schnickschnack wie Feuerzeuge oder so, und Smith und Jones, die beiden FBI(?)-Pferde. Leider hatten wir aber keine Ahnung, welchen Wert unsere Waren besitzen, also haben wir noch einmal den Pfarrer besucht und ihm unser Leid geklagt. Er hat uns erstmal zum Essen eingeladen (Bohnen & Hartwurst) und dann geraten, unser Zeug bei Michael Thornton, dem reichsten Mann des Ortes, zu verkaufen. Er wohnte in dem großen Haus, das wir für eine Bank gehalten haben.
Durch ein paar Bemerkungen, die im General Store gefallen sind, wußten wir, daß uns die Einwohner von New Fortune mit unseren echten Gesichtern sehen. Also sind Brian und Sylvia Zeug verkaufen gegangen, und Kim und ich haben beschlossen, uns ein bißchen in der Gegend umzuschauen.

Ich weiß nicht genau, was Brian und Sylvia alles getrieben haben. Sie waren wohl bei Thornton und haben ihm Smith und das Feuerzeug verkauft. Und Sylvias Burgfräulein-Kleid, das sie in Salina (?) gekauft hatte, gegen ein unauffälligeres Westernkleid eingetauscht.

Kim und ich waren zunächst beim Sheriff und haben ihn nach den schwarzgekleideten Typen gefragt, aber er war sehr abweisend und erklärte uns nur, er wolle keinen Ärger in der Stadt haben. Irgendwie schien er unserer Versicherung, daß wir nicht vorhätten, welchen zu machen, nicht zu glauben. Wahrscheinlich, weil wir beide nicht weiß sind. Blöder Rassist.
Wir haben uns dann verkrümelt und auf einem Hügel außerhalb der Stadt niedergelassen. Kim hat Gitarre gespielt, ich habe Kräuter gesucht (nicht, daß ich viel davon verstehen würde. Aber ich dachte mir, es könnte ja nichts schaden, wenn ich versuche, ein paar von den Dingen, die mir mein Großvater beigebracht hat, wieder aufzufrischen), und nebenher haben wir die Straße im Auge behalten.
Irgendwann tauchte dann eine Horde Kinder auf. Kim hat sie erstmal verscheucht, weil sie ihm blöde Fragen gestellt haben. Aber ein Junge ist zurückgeblieben und ich habe mich ein bißchen mit ihm unterhalten. Er hieß Billy, konnte nicht lesen und schreiben und mochte die schwarzgekleideten Typen nicht, weil sie ihn und die anderen Kinder immer von der Straße verjagen und auch ansonsten wohl ziemlich unangenehme Zeitgenossen sind. Billy nahm an, daß sie für Mr. Thornton arbeiteten (das stellte sich später als falsch heraus). Wir haben uns ein bißchen über New Fortune unterhalten, bis seine Mutter auftauchte und ihn nach Hause scheuchte. Kurz darauf sahen Kim und ich, wie sich vier von den Typen in Schwarz der Stadt näherten. Wir befürchteten wieder mal das Schlimmste, also haben wir uns auf den Rückweg gemacht.

In New Fortune trafen wir Sylvia wieder, die gerade bei den Pferden stand (oder war das Brian? Nein, ich denke, es war Sylvia). Die Typen in Schwarz waren bei Thornton gewesen - ich erfuhr später von Sylvia und Brian, daß sie ihn irgendwie bedroht hatten. Sie standen auf der Straße rum und wollten auf ihre Pferde steigen, als sie uns bemerkten. Sylvia und Kim taten so, als wären sie schwer mit ihren Pferden beschäftigt, aber ich hatte keine Lust, gleich vor den Typen zu kuschen, also blieb ich erstmal stehen.
Es kam, wie es kommen mußte: Die vier HM´s kamen auf mich zu, wir haben uns gegenseitig ein bißchen beleidigt, und es kam zu einer Schlägerei zwischen mir, Kim und ihnen. Sylvia hat sich klugerweise zurückgehalten, Brian hat ihre Pferde losgebunden, um sie abzulenken (schade, daß sie das nicht gemerkt haben). Schließlich griff der Sheriff ein, scheuchte die HM´s aus der Stadt und schleifte mich und Kim in eine Zelle, in der wir über Nacht bleiben sollten.

Hinterher haben mir alle gesagt, daß es nicht gerade besonders intelligent war, mich mit den vier Typen anzulegen. Da haben sie wohl recht, und mir war das ja auch durchaus klar, als ich meinen Mund aufgemacht habe, um die Beleidigungen der Typen zu entgegnen. Warum bin ich also nicht einfach still geblieben?
Antwort: Ich kann Rassisten nicht leiden. Das ist ein rotes Tuch bei mir. In Nebraska und South Dakota habe ich öfters ansehen müssen, wie die weißen Leute meine Verwandten behandeln, wenn wir zusammen in die Stadt gefahren sind, und da kann ich meine Klappe einfach nicht halten. Geht nicht. Ging noch nie, und das hier war auch nicht das erste Mal, daß ich Ärger deswegen bekommen habe (keine Schlägereien, bisher. Dafür war ich immer zu feige - hatte Angst, daß mir jemand weh tun könnte. Hah.) Ist wie ein Knopf, auf den man bei mir drückt, und dann fange ich an, Stress zu machen. Sowohl Brian als auch Kim haben mir gesagt, ich wäre wie Marty McFly aus "Zurück in die Zukunft" (völlig unabhängig voneinander, übrigens). Da könnten sie recht haben.
Ich sehe ja ein, daß das kein sehr brilliantes Manöver war, schon gar nicht '1842', wo die Typen mich auch einfach über den Haufen hätten schießen können. Ich werde versuchen, mein Temperament im Zaum zu halten, aber ich kann nichts versprechen.
Ach ja, nur zur Information: Das ganze funktioniert nicht nur bei Rassisten, sondern auch, wenn jemand behinderte Leute schlecht behandelt. Noch ein rotes Tuch.
Oh Mann, wie bin ich eigentlich auf die Idee gekommen, ich sei ein friedfertiger Mensch? Ich weiß nur, daß ich das bis zu Beginn unserer Reise fest geglaubt habe.

Weiter mit New Fortune. Kim und ich saßen also in der Zelle. Brian und Sylvia haben zwar versucht, uns irgendwie rauszuholen, aber der Sheriff hat auf stur geschaltet. So hatten sie wenigstens Zeit, Vorräte für die nächsten paar Wochen einzukaufen. Ich nehme an, daß sie bei Vater Peter übernachtet haben, genau weiß ich es nicht.
In unserer Zelle haben Kim und ich noch lange über alles mögliche geredet. Irgendwann spät am Abend tauchte dann Billy auf. Er erzählte uns, wie schlimm und übel diese Hollow Men (jaja, die HM´s sind Hollow Men. Was auch sonst?) wären und daß sie seine Mutter und andere Leute drangsaliert hätten. Könnten wir nicht irgendwas tun?

Da war es wieder, das 'Lone Ranger'-Problem. Wie kommen die Leute nur darauf, daß ich/wir ihnen gegen alle möglichen Schurken helfen können? Erst Edgar in Salina, jetzt Billy hier.
Naja, Kim und ich versprachen ihm, zu sehen, was wir tun könnten. Danach haben wir beraten. Uns war schnell klar, daß wir die Hollow Men nicht einfach alle umbringen wollten, also haben wir nach einer Alternative gesucht. Und auch eine gefunden: Kim war es mit seiner Musik schon einmal gelungen, etwas zu ändern. Warum sollte das also nicht noch einmal klappen? Wir würden einfach zusammen ein Lied schreiben, daß den Hollow Men vor Augen führen sollte, was für ein Leben sie führen. Dann sollten sie sich entscheiden: Einfach so weiterzumachen wie bisher oder einen besseren Weg zu finden.
Ich weiß nicht warum, aber in dieser Nacht in der Zelle hat das tatsächlich einen Sinn ergeben. Wir hatten beide das euphorische Gefühl, einen Plan zu haben, der funktionieren könnte. Schlafmangel und zuviele Bohnen, schätze ich. Immerhin ist ein wirklich schönes Lied dabei herausgekommen, auch wenn ich nicht glaube, daß Kim es noch sehr häufig spielen wird.

Am nächsten Morgen ließ uns der Sheriff also aus unserer Zelle. Sylvia und Brian standen schon mit den Pferden bereit und wollten sofort aufbrechen. So weit alles kein Problem, aber gerade, als wir hinter dem Haus aufsteigen wollten, hörten wir lautes Hufgetrappel.
Da kamen sie wieder, die Hollow Men. In diesem Fall waren es acht, alle bis an die Zähne bewaffnet und auf Ärger aus. Vom Sheriff war auf einmal nichts zu sehen. Wahrscheinlich hätten wir sogar abhauen können - wir haben die Typen bemerkt, bevor sie uns gesehen haben. Aber Kim und ich hatten ja einen Plan, und den wollten wir jetzt auch durchführen. Brian war einverstanden, und nach kurzem Zögern hat sich auch Sylvia bereit erklärt, mitzumachen.
Ich habe jetzt keine Lust, die ganze Schießerei in allen Einzelheiten aufzuführen. Nur so viel: Das Lied hat nicht sehr gut funktioniert. Ach was, es hat überhaupt nicht funktioniert. Es kam zu einem heftigen Schußwechsel - keine Toten, aber ich habe ihren Anführer angeschossen, und mich hat´s am Arm erwischt. Ja, am rechten. Wo auch sonst.
Sylvia hatte sich kurz von uns getrennt, um den Hollow Men in den Rücken zu fallen und war dabei erwischt worden. Sie haben ihr mit einigen unschönen Dingen gedroht, sie ist deswegen total durchgedreht und mit Zähnen und Klauen auf die Kerle losgegangen. Der Anführer hat sie mit der Pistole ins Gesicht geschlagen und sie ist zu Boden gegangen. Ich dachte schon, sie wäre tot.

Bevor die Typen uns vollständig niedermachen konnten, ist Vater Peter mit seinem Gewehr aufgetaucht und hat zwei der Hollow Men erschossen. Daraufhin beschlossen sie, erstmal mit der Schießerei aufzuhören.
Als sie gingen, hat der Anführer mich erkannt. Er wußte, wie ich heiße, und er hat mir angedroht, wir würden uns 'wiedersehen'. Ich kniete gerade neben Sylvia, die nicht tot war, aber ziemlich schlimm zugerichtet aussah. Also habe ich auf ihn geschossen. Und verfehlt. Statt dessen traf die Kugel Billy.

Einen Moment lang war ich völlig betäubt. Ich dachte 'das kann jetzt nicht passiert sein, das ist nicht passiert, ich will nicht, daß das passiert ist!' Das hat natürlich überhaupt nichts geändert. Der kleine Junge, der nur zusehen wollte, lag weiterhin am Boden und blutete heftig.
Sylvia sprang auf und rannte los, zusammen mit dem Priester. Billys Mutter tauchte auf und schrie mich an. Ich stammelte irgendwas. Ich glaube, ich sagte ihr, es täte mir leid, aber das hat sie natürlich nicht im mindesten interessiert. Sie schrie nur 'Mörder, Mörder'. So kam ich mir auch vor. Der arme kleine Junge. Er hat mir vertraut, und das hatte er nun davon.
Aber mir wurde langsam auch klar, daß ich so schnell wie möglich aus New Fortune verschwinden sollte, wenn ich mich nicht von einem Lynchmob aufhängen lassen mochte. Und sterben wollte ich trotz allem nicht. Also sind Kim und ich erstmal abgehauen. Helfen konnten wir dem Jungen sowieso nicht. Sylvia, die etwas von Erster Hilfe versteht, blieb mit Brian zurück. Wir machten aus, daß wir uns irgendwo am Weg nach Süden treffen wollten.

Kim und ich sind zwei oder drei Stunden geritten, bevor wir einen guten Lagerplatz gefunden haben. Dort hielten wir erstmal an. Mir ging es eher schlecht, und das nicht nur geistig: Die Kugel in meinem Arm hatte den einen Knochen zerschmettert und war dann im zweiten steckengeblieben. Also war der Arm wieder gebrochen, aber diesmal war das kein netter, glatter Bruch, sondern eine ziemlich tiefe Wunde, die zu allem Überfluß immer wieder anfing zu bluten. Ach ja, weh getan hat es auch. Ich war allerdings so mit meinem Fehlschuß und Billy beschäftigt, daß ich nicht viel davon gemerkt habe.

Wir schlugen erstmal ein Lager auf, Kim sammelte Holz für ein Feuer, ich kümmerte mich um die Pferde. Irgendwann tauchte Sylvia auf (Brian war zurückgeblieben, um den Weg im Auge zu behalten und unseren Rückzug zu decken). Sie hatte sich zusammen mit dem Arzt aus New Fortune um Billy gekümmert. Die Kugel - meine Kugel, seien wir ehrlich - hatte Lunge und Herz glücklicherweise verfehlt, aber der Junge hatte viel Blut verloren. Es sah also nicht allzu gut für ihn aus.
Kaum war Sylvia da, wollte sie sich natürlich um meinen Arm und meinen Gemütszustand kümmern. Kim fing dann auch noch an, auf mich einzureden - ich weiß, ihr beide habt es nur gut gemeint, aber das war in dem Moment einfach zu viel für mich. Also bin ich weggegangen, in die Wildnis. Habe mir einen ruhigen Platz gesucht und angefangen zu singen.

Irgendwann tauchte ein Koyote auf. Ich war vorsichtig (ich war verletzt und geschwächt, und ich wollte mich nicht unbedingt von einem Raubtier aufessen lassen), aber ich habe nicht aufgehört zu singen. Der Koyote schlich eine Weile um mich herum, kam schließlich ganz nah heran. Dann lief er ein Stück voran, und ich folgte ihm. Nach einer Weile kamen wir auf eine Lichtung mit einem staubigen See und einer kleinen, schäbigen Hütte. Der Hütte meines Großvaters. Ich ging hinein, und wir sprachen eine Weile miteinander. Er gab mir einen Becher Wasser zu trinken, und es ging mir besser. Dann wurde es Zeit für mich, wieder zu gehen.

Ich wachte wieder an dem Platz auf, an dem ich angefangen hatte zu singen. Sylvia war auch da - sie wollte mich zum Lager zurückholen und sich um meinen Arm kümmern. Ich hatte gefunden, was ich gesucht hatte, also ging ich mit.
Auch Brian war mittlerweile aufgetaucht. Bisher hatten die Leute in der Stadt noch kein Aufgebot aufgestellt, um nach uns zu suchen, aber die Stimmung dort war ziemlich häßlich. Verständlicherweise. Brian war ziemlich nervös, weil wir unser Lager direkt am Weg aufgeschlagen hatten - ihm wäre es lieber gewesen, wir wären weiter im Wald, wo man uns nicht sofort sehen kann.
Aber Sylvia meinte, mein Arm hätte jetzt Vorrang. Ich konnte ihr nicht unbedingt widersprechen - jetzt, wo ich nicht mehr ständig an Billy denken mußte, merkte ich erst, wie schlimm der Schmerz war. Klar, der Arm hatte auch vorher ständig wehgetan, aber nicht so. Er stand in einem ganz komischen Winkel ab, nicht nur ein bißchen, sondern richtig verdreht. Und die Kugel war noch drin. Sylvia meinte, sie müsste sie entfernen, ansonsten würde ich eine Bleivergiftung kriegen. Also hab ich sie gelassen.
Das war keine so schöne Sache. Sie hat mit einem Messer in meinem Arm rumgekratzt, und ich konnte den Arm nicht so stillhalten, wie ich gesollt hätte. Es war einfach zu schlimm. Ich weiß, daß ich irgendwann geschrieen habe. Ich konnte einfach nicht anders. Irgendwann meinte Sylvia dann, 'ich hab sie'. Dann wurde es schwarz.

Ich bin nach der Operation in einen Schockzustand gefallen. Zuviel Blutverlust, wahrscheinlich. Sylvia hat es nicht geschafft, die Wunde richtig zu versorgen und einen Druckverband anzulegen. Sie war selber völlig erschöpft, und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß es für sie so lustig war, mit einem Messer in meinem Arm nach einer Kugel zu graben. Brrr. Anderes Thema.
Jedenfalls war sie der Meinung, ich bräuchte einen richtigen Arzt, weil ich sonst sterben könnte. Also hat sich Brian wieder auf den Weg nach New Fortune gemacht, um den Arzt dort zu holen. Er war ziemlich gut bewaffnet: Ein Armeerevolver, zwei Armeegewehre und seine Beretta.

Bad Horse:
Als Brian in New Fortune ankam, konnte er schon aus einiger Entfernung sehen, daß die Einwohner jetzt ein Aufgebot aufgestellt hatten. Die Leute waren bewaffnet und kurz vor dem Aufbruch. Brian hat sein Pferd gewendet und ist losgeritten, um uns zu warnen. Schade, daß er nicht sonderlich gut reiten kann (was kann man aber auch erwarten, wenn er sein Pferd 'Salami' nennt?) und unterwegs zwei- oder dreimal gestürzt ist. So konnte die Meute aufholen. Als Brian bei uns ankam, waren sie schon in Hörreichweite.
Kim schnappte sich die Pferde, und er und Brian ritten weiter den Weg entlang, um unsere Verfolger abzulenken. Ich war kurz vorher wieder zu mir gekommen (mit dem charmanten Gefühl, Sylvias Finger in meinem Arm zu haben), war aber noch ziemlich schwach und desorientiert. Immerhin konnte ich wieder halbwegs laufen, und Sylvia und ich haben uns erstmal in den Wald zurückgezogen und dort versteckt.

Irgendwann sollten wir mal eine längere Pause einlegen und Reiten trainieren. Wirklich. Bei der Verfolgung sind nämlich sowohl Brian als auch Kim vom Pferd gefallen. Brian fiel als erster, er konnte sich in den Wald flüchten, wurde aber weiter verfolgt. Er ist dann eine Klippe hinuntergesprungen ('so vier oder fünf Meter') und hat sich das linke Handgelenk geprellt. Es gelang ihm, sich in einen Bach zu retten und erstmal wegzuschwimmen. Als nächstes hat er sich sorgfältig unterhalb des Weges versteckt. Von dort aus sah er erst das Aufgebot und einige Zeit später eine Rotte Hollow Men vorbeireiten.
Kim hatte nicht soviel Glück: Er wurde von der Meute eingefangen und zurück nach New Fortune gebracht. Als Sylvia und ich sahen, daß sie ihn und unsere Pferde hatten, machten wir uns natürlich auch auf den Weg zur Stadt. Wir hofften, Kim dort irgendwie helfen zu können.

In New Fortune beschlossen wir, erstmal den Priester zu besuchen. Vater Peter war zwar überrascht, uns zu sehen, hatte aber glücklicherweise keinerlei Absicht, uns dem Mob auszuliefern. Statt dessen wollte er uns sogar helfen, Kim zu befreien, der mittlerweile vom Sheriff ins Gefängnis gesperrt worden war. Immerhin hatte es keinerlei Lynchjustiz gegeben.
Da wir Kim erst nach Einbruch der Dunkelheit befreien konnten, hat der Priester noch den Arzt geholt, weil mein Arm so komisch abstand. Der hat sich das angeschaut, den Kopf geschüttelt (erinnerte mich ein bißchen an die Mechaniker, die sich unsere kaputten Autos angesehen haben) und dann angefangen, die Knochensplitter rauszupopeln und den Arm zu richten. Weil die blöde Kirche mitten im Dorf stand, konnte ich nicht mal schreien. Das nächste Mal, wenn mir jemand so weh tut, lach ich einfach.
Jedenfalls hat er es geschafft, den Arm zu richten, zu vernähen und irgendwie zu verbinden. Er sieht aber immer noch komisch aus. Im äußeren Knochen fehlt ein Stück.

Schließlich wurde es dunkel. Vater Peter machte sich auf den Weg, um den Sheriff ein bißchen abzulenken, und Sylvia und ich schlichen uns von hinten an das Office an. Wir hatten ein paar nasse Tücher und Stöcke dabei, um die Gitterstäbe am Fenster aufzubiegen (dank Jackie Chan und 'Shanghai Noon' wußten wir ja, wie das geht). Aber als wir ankamen, war Kim schon aus der Zelle draußen und kam uns durch die Hintertür entgegen. Offenbar hat er den Film auch gesehen.
Blieben nur noch zwei Probleme: Unsere Pferde, die vor dem Sheriff´s Office angebunden waren, und Brian, der einfach nicht da war. Aber weil aller guten Dinge drei sind, tauchten auch noch die Hollow Men auf.

Die ritten mit fünfzehn Mann in New Fortune ein und begannen, willkürlich alles zusammenzuschießen. Männer, Frauen, Kinder - egal. Sie haben einfach wild um sich geballert und dabei gegröhlt und gelacht.
Sylvia, Kim und ich sind erstmal ins Sheriff´s Office geflüchtet, um von dort aus auf die Hollow Men zu schießen. Als ich auf einen von den Kerlen gezielt habe, konnte ich erstmal nicht abdrücken. Ich hätte ihn ja verfehlen und irgendeinen Unschuldigen treffen können. Aber dann sah ich, wie der Typ auf eine Frau mit ihren zwei kleinen Kindern zielte, und das hat gereicht: Ich habe geschossen. Und getroffen. Diesmal den Richtigen. Die Frau und ihre Kinder haben überlebt.
Es war eine richtig üble Schießerei. Die Hollow Men standen auf der Hauptstraße und haben versucht, alles umzubringen, was sich bewegt. Nur ein paar der panischen Einwohner haben es in die Kirche geschafft. Irgendwann gelang es mir, den Anführer der Typen zu erschießen (Kim hat zeitgleich sein Pferd erwischt), und da haben sie sich zurückgezogen. Fünf von ihnen sind in New Fortune auf der Straße liegengeblieben. Und über dreißig der Einwohner waren tot.

Kim, Sylvia und ich verzogen uns erstmal. Wir hatten das Gefühl, die Einwohner könnten uns für den Angriff verantwortlich machen. Obwohl ich es für unwahrscheinlich halte, daß es tatsächlich an uns lag: Die Hollow Men haben nicht nach uns gesucht. Die haben einfach alles erschossen, was ihnen vor den Lauf kam. Und Sylvia hatte am Tag vorher gehört, wie die Kerle Thornton bedrohten. Trotzdem haben wir uns einen Rastplatz in der Nähe von New Fortune gesucht und dort niedergelassen. Kim war nichts passiert, und ich hatte nur einen Streifschuß an der Schulter abbekommen (kaum mehr als ein Kratzer), aber in Sylvias linker Schulter steckte eine Kugel. Hat ihr das Schlüsselbein gebrochen, mal wieder. Fängt die jetzt auch damit an? Laß dich ganz, Sylvia. Ein Krüppel reicht.

Wow. Krüppel. Ganz schön hart, was? Ist aber wahr. Ich kann die rechte Hand nicht mehr bewegen. Gar nicht. Und ich glaube nicht, daß das je wieder besser wird. Verdammt, damit will ich mich aber jetzt nicht befassen. Das hat Zeit. Später vielleicht. Später ist besser.

Sylvia beschloß, den Zorn der Leute zu riskieren und zur Kirche zu gehen. Dort ist es ihr gelungen, die Einwohner einigermaßen zu beruhigen und sich vom Arzt behandeln zu lassen (sie ist tapferer als ich, ich habe nichts von ihr gehört, als er ihr die Kugel aus der Schulter geholt hat). Ich schlich solange im Dorf rum, um mich ein bißchen umzusehen. Kim war vorne am Weg und hielt Wache (mit meiner Pistole).
Irgendwann merkte ich, daß beim Sheriff´s Office jemand war. Eine bewaffnete Gestalt, soviel konnte ich sehen, die sich gerade aufs Dach schlich. Ich dachte, es wäre einer der Hollow Men, der sich dort als Heckenschütze verschanzen wollte. Ich hatte nicht mal eine Schußwaffe, nur noch ein Messer, aber ich wollte nicht warten - schließlich hätte Sylvia jeden Moment aus der Kirche kommen können. Also sprang ich heldenhaft mit meinem Messer von der Außentreppe aufs Dach, ein Schuß krachte an mir vorbei - und dann erkannte ich Brian.
Die Situation eskalierte ein bißchen, weil der Schuß natürlich ein paar Dorfbewohner aus der Kirche lockte. Kim kam ebenfalls angeritten, um zu sehen, was los ist, und Sylvia hatte alle Hände voll zu tun, um zu verhindern, daß die Dörfler Kim erschießen. Oder Kim die Dörfler. Brian schoß ein paar Mal in die Luft, um die Leute zur Besinnung zu bringen, was natürlich nicht weiterhalf. Ich pflaumte Brian an, was das alles sollte, erst die Heckenschützen-Nummer und dann das blöde Geballere. Er war natürlich beleidigt, schließlich wollte er uns nur helfen. Ich war viel zu angespannt, um überhaupt zu merken, was mit ihm los war, und habe ihn nicht aufgehalten, als er sich verkrümelt hat. Irgendwie ging ich davon aus, daß er bei unserem Rastplatz in der Nähe von New Fortune warten würde. Hat er nicht, er ist zu unserem alten Lager am Weg geritten.

Sylvia gelang es, die Leute zu beruhigen. Sie ging davon aus, daß die Hollow Men wiederkommen würden, und versprach den Einwohnern unsere Hilfe, wenn sie uns akzeptieren würden. Da war Brian aber leider schon weg. Kim ritt los, um ihn zurückzuholen.
Ich hatte in der Zwischenzeit den Anführer der Hollow Men durchsucht und dabei drei Zeichnungen gefunden: Von mir, von Brian und von Claire. Alle mit unseren Namen versehen, bei Brian und Claire noch der Vermerk 'Jackson Gang'. Na Klasse. Jetzt darf ich mir auch noch Sorgen um Claire machen. Und ich hatte gehofft, ich würde sie nie wiedersehen.
Ich frage mich, warum da keine Bilder von Kim und Sylvia dabei sind. Vielleicht liegt es daran, daß die beiden in Steamboat Springs keine Interviews gegeben haben.

Irgendwann am nächsten Morgen tauchten Kim und Brian wieder auf. Dann fingen wir an, Pläne für den Angriff der Hollow Men zu machen. Naja, eigentlich hat Brian die meisten Pläne gemacht. Er ist richtig gut mit sowas. Total militärisch.
Es gab in New Fortune ein Dynamitlager. Kein großes, aber ein paar Stangen waren schon da. Und Schießpulver. Brian fing sofort an, Bomben zu basteln und zu verteilen. Molotov-Cocktails hatten wir auch. Wir wollten uns - zusammen mit den überlebenden Dorfbewohnern, die ein Gewehr halten konnten - auf den Dächern der Häuser verschanzen und die Hollow Men auf der Hauptstraße ins Kreuzfeuer nehmen.

Soll ich jetzt lange über die dritte Schießerei berichten? Lieber nicht. Wir haben sie erwischt. Alle fünfzehn Hollow Men, die ankamen. Und einen Großteil ihrer Pferde.
Einige sind durch die Bomben gestorben, andere, als ihre Pferde auf sie fielen oder sie zertrampelt haben. Ein paar haben wir erschossen. Kim hatte die Schrotflinte, und irgendwo muß bei ihm eine Sicherung durchgebrannt sein. Er lief ganz ruhig über die brennende Hauptstraße und erschoss links und rechts Hollow Men. Darunter einen, der direkt vor ihm stand.
Nach der Schlacht (und das war es) ging Kim aus der Stadt. Immer noch ganz ruhig. Brian folgte ihm, weil ihm das unheimlich war. Und er konnte gerade noch verhindern, daß Kim sich seinen eigenen Kopf mit der Schrotflinte wegblies. Danach ist Kim erstmal zusammengebrochen. Konnte nicht mehr aufhören zu schreien. Hier war die Hölle.

Was bleibt noch zu sagen? Die Leute wollten nicht in New Fortune bleiben. Wir haben sie in die Gegend um Kingston geschickt. In Thorntons Safe fanden wir genug Geld, um sie über den Winter zu bringen. Billy hat überlebt, er war am Tag nach seiner Verletzung schon wieder transportfähig. Armer Junge, seine Mutter ist von den Hollow Men erschossen worden. Ich habe dem Arzt unsere gesamten Antibiotika für ihn mitgegeben. Ich kann nur hoffen, daß ich sie nicht selber brauchen werde. Selbst wenn - es ist mir lieber, er hat sie.
Bei einem der Hollow Men haben wir eine American-Express-Karte auf den Namen Thomas O´Leary gefunden. Scheint, als kämen die Jungs auch nicht wirklich aus dieser Zeit.
Kim hat einen Durchschuß im linken Oberarm. Jetzt haben wir nur noch vier funktionstüchtige Arme. Ich glaube, wir brauchen dringend Ruhe.

Später:
So, jetzt haben wir unsere Ruhe gehabt, jetzt brauchen wir mal wieder Aufregung und Abenteuer.

Okay, okay, stimmt natürlich nicht. Schade eigentlich... Jedenfalls sind in der letzten Zeit einige Sachen passiert, und ich schätze, ich sollte sie wirklich mal aufschreiben.

Nach der Schießerei haben wir unser Lager ein gutes Stück von New Fortune aufgeschlagen. Kim hatte aufgehört zu schreien, war aber nicht ansprechbar. Er brauchte dringend irgendeine Art von Hilfe.
Spät in der Nacht wachte ich auf und hatte eine Idee. Vielleicht habe ich auch etwas geträumt, ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls war mir in dem Moment klar, daß Kim eine Vision braucht. Eine, die ihm einen Weg zur Heilung zeigt. Und daß er dabei Hilfe brauchen würde. Also beschloß ich, ein Ritual für ihn zu veranstalten.
Es war ein echtes Risiko. Ich bin kein Heiliger Mann, und mein Wissen über Rituale und die Geister ist - freundlich gesagt - reichlich beschränkt. Es bestand die Gefahr, daß ich mit meinem Herumgepfusche die Geister ernsthaft verärgern würde. Genau das, was wir brauchen konnten - verärgerte Geister.
Also bin ich noch in der Nacht alleine losgegangen, um mit den Geistern zu sprechen und sie zu bitten, mir zu helfen. Das hat soweit auch ganz gut geklappt. Ich habe ein paar Dinge gefunden, die mir helfen konnten - Kräuter, und andere Sachen.

Während ich noch unterwegs war, sind Sylvia und Brian nochmal nach New Fortune zurückgegangen. Wir brauchten neue Kleider und Vorräte. Kim haben sie mitgenommen. Er war immer noch nicht ansprechbar und ist ihnen einfach brav hinterhergetrottet, und in dem Zustand wollten sie ihn wirklich nicht im Lager lassen.

Nachdem ich von meiner Suche zurück war, machte ich mich auch auf den Weg in die Stadt. Kaum hatte ich die ehemalige Hauptstraße betreten, als aus dem Haus von Michael Thornton ein lauter Schrei ertönte - Sylvia.
Ich will es nicht unnötig dramatisch machen. Ihr war nichts passiert (jedenfalls nicht neues), sie hatte nur einen Spiegel gesehen. Und ihr Gesicht, das vom Schlag des Hollow Man am Vortag grün und blau schillerte und von einer langgestreckten Wunde vom Mundwinkel quer über die Wange geziert wurde. Sie sah wirklich erschreckend aus (sorry, Sylvia). Ich glaube, ich hätte auch aufgeschrieen.

Nachdem der Schreck überstanden war, wollten Sylvia und Brian sich noch weiter umschauen. Ich schnappte mir Kim und ging mit ihm zurück zum Lager. Dann habe ich erstmal eine ganze Weile auf ihn eingeredet, bis er überhaupt verstanden hat, was ich von ihm wollte. Schließlich war er einverstanden, die Sache mit dem Ritual zu probieren.
Ich will nicht allzu viel darüber erzählen, was wir genau gemacht haben. Das ist eine ziemlich private Sache. Jedenfalls hat er sich danach hingesetzt und angefangen, auf seiner Gitarre zu spielen. Er schien wieder halbwegs in Ordnung zu sein. Mittlerweile weiß ich, daß er die ganze Sache mit der Schießerei in New Fortune einfach vergessen hat. Vielleicht war es das, was er gebraucht hat. Ich hoffe es jedenfalls. Ganz wohl ist mir dabei nicht, aber die Geister werden schon wissen, warum sie ihm so eine Vision geschickt haben.

Brian und Sylvia hatten sich in der Zwischenzeit noch mal genauer in New Fortune umgeschaut. Dabei stellten sie fest, daß irgendwas mit den Häusern nicht stimmte - es fehlten bestimmte Räume, bestimmte Gegenstände, die hätten da sein sollen (Kleider zum Beispiel). Alles wirkte irgendwie wie eine sorgfältig gemacht Kulisse, wie ein Filmset. Oder vielleicht eine Art Touristenattraktion. Apropos Touristenattraktion: Irgendwo in dem Ort fanden die beiden einen Flyer für ein Restaurant in Tropic, der einen Gutschein für Preisnachlässe beinhaltete. Eindeutig ein modernes Stück Papier. Nicht gerade das, was man in einer Westernstadt erwarten würde.

Brian wollte gleich am Morgen nach dem Ritual weiterreisen, aber Sylvia und mir ging es einfach nicht gut genug. Mir war vom Blutverlust dauernd schwindlig, und bei Sylvia war es auch nicht besser. Nach kurzer Diskussion brach Brian dann allein nach Circleville (der nächsten Stadt) auf, um Medikamente und andere nötige Vorräte zu besorgen, vor allem Antibiotika. Ich schätze ja, er wollte einfach nicht stillsitzen und über die Ereignisse in New Fortune nachdenken. Aber er redet nicht darüber, und zwingen kann ich ihn auch nicht.

Brians Aufenthalt in Circleville war undramatisch, und wir verbrachten ein paar Ruhetage in der Nähe von New Fortune. Dann ging es weiter nach Panguitch, wo natürlich die nächsten Schwierigkeiten auf uns warteten. Diesmal hatten wir sie uns sogar selber eingebrockt...

Bad Horse:
Panguitch - Der Patriot Act

Eigentlich ist das ein sehr schnell erzählte Geschichte, aber wir haben dabei einiges über Bürgerrechte und die nationale Sicherheit gelernt, deswegen kriegt die Sache ein eigenes Kapitel. Ihr könnt mich ja verklagen, wenn euch das nicht passt.

Erstmal - bevor wir überhaupt nach Panguitch kamen - trafen wir in Circleville wieder auf die Hollow Men. Eigentlich wollten wir nur mal asiatisch essen gehen (Stäbchen sind schon praktisch, wenn man nur eine Hand zur Verfügung hat), Kim wollte uns sogar einladen. Leider gibt es offenbar Hollow Men, die auch gern asiatisch essen gehen. Als wir das Restaurant fast erreicht hatten, kamen zwei oder drei von den Kerlen raus. Wir waren weit genug weg und hätten uns ja auch einfach in einer der Nebenstraßen verstecken können, aber Kim wollte sich die Typen mal genauer ansehen und blieb deswegen stehen. Ich wollte Kim nicht allein lassen - wer weiß, wen die von uns alles kennen -, also ging ich zurück und versuchte, ihn wegzuzerren.
Natürlich haben sie uns bemerkt. Ich meine, Kim starrte sie an, ich zerrte an ihm rum - sie müßten schon total blind gewesen sein, um uns zu übersehen. Und, oh Wunder, diesmal erkannten sie uns sogar. Das war der Moment, in dem wir gerannt sind. Glücklicherweise mußten sie wohl noch ausdiskutieren, ob sie uns verfolgen sollten oder nicht, deswegen sind wir mit dem Schrecken davongekommen. Nach dieser Begegnung haben wir Circleville fluchtartig verlassen.

Ein paar Tage später kamen wir in Panguitch an. Da wir eine relativ auffällige Gruppe sind, kam Sylvia auf die Idee, sich die Haare schwarz zu färben. Um ihre Narbe auf der Wange zu verstecken, wollte sie einen Schleier tragen. Als Rechtfertigung für das Ding konnte sie ja immer noch behaupten, Muslimin zu sein. Als sie das erste Mal mit dem Vorschlag kam, machten wir alle noch Witze über den Patriot Act und irgendwelche Anti-Terrorismus-Maßnahmen.
Kaum waren wir in der Stadt, gingen wir erst mal einkaufen. Nur Sylvia kam nicht mit, sie wollte noch zum Friseur. Der Rest von uns hat darauf verzichtet, obwohl wir mittlerweile aussehen wie ein Kommune Späthippies mit unseren langen Haaren. Vor allem Brian hat eine echte Wuschelfrisur (naja, die hatte er auch schon vorher, nur hat er eben lange verwuschelte Haare - vielleicht sollte er mal über Dreadlocks nachdenken, könnte echt gut aussehen).

Bei unserem Besuch im Supermarkt haben wir dann die Hollow Men wiedergetroffen. Sie haben uns nicht gesehen, also konnten wir ungestört beobachten, was sie einkauften: Ein bißchen Alkohol, ein paar Magazine und einen knallroten Teddybär. Vielleicht wollen sie Drogen damit schmuggeln. Oder einer von den Typen hat ein Kind. Klasse. Die Hollow Men waren mir lieber, als sie noch knallharte Typen ohne familiäre Anhängsel waren. (Ja, ich weiß, daß Joe Napier verheiratet war. Aber seine Frau schien eher dankbar zu sein, daß er tot ist, also zählt das nicht. Keine weinenden Witwen und Waisen jedenfalls, von denen wir bisher wußten.)

Als nächstes beschlossen wir, in Panguitch zum Arzt zu gehen. Mein Arm fühlte sich komisch an, ich hatte kein Gefühl in der rechten Hand mehr. Sylvia wollte eine Salbe für die Narbe und einen allgemeinen Check-Up, und Kim hörte immer wieder ein seltsames Klingeln, seit die Schrotflinte direkt neben seinem Ohr losgegangen war. Nur Brian ging es gut, er kam daher nicht mit.

Beim Arzt lief zunächst alles glatt. Naja, eigentlich nicht. Er hat meinen Arm untersucht und festgestellt, daß ein Nervenschaden vorliegt. Wenn kein Wunder passiert, dann kann ich den Arm nie wieder benutzen. Nervenschaden kann die moderne Medizin nicht behandeln, obwohl er sich manchmal spontan regeneriert, warum auch immer.
Das war zwar keine wirklich überraschende Neuigkeit, aber ich mußte trotzdem erstmal schwer schlucken. Es ist eine Sache, zu vermuten, daß man eine Hand nie mehr benutzen kann, aber wenn man es wirklich weiß... nicht lustig.
Allerdings reagiere ich viel gelassener auf diese Sache, als ich es je vermutet hätte. Ich meine, ich bin für mein Leben verkrüppelt, man sollte erwarten, daß ich durchdrehe oder zumindest einen massiven Anfall von Selbstmitleid habe. Aber da ist nichts, zumindest nicht nach der ersten, unmittelbaren 'Oh Scheiße'-Reaktion. Natürlich nervt es, daß der Arm weh tut und die Hand herumhängt wie Holz, aber prinzipiell empfinde ich nicht allzu viel dabei. Schließlich könnte es schlimmer sein.

Die Untersuchung von Kims Ohr verlief vollkommen normal, und dann kam Sylvia an die Reihe. Unsere 'Muslimin' mit ihrer Schußwunde in der Schulter. Irgendwas an ihr stimmte den Arzt mißtrauisch, und er rief den Sheriff an. Die örtlichen Autoritäten haben uns dann erstmal mitgenommen - Verdacht auf terroristische Umtriebe oder so was. Das wäre ja noch nicht so schlimm gewesen. Aber dann kam der CIA, steckte uns in einen Kastenwagen und fuhr mit uns davon. Bürgerrechte? Aber doch nicht bei mutmaßlichen Terroristen! Anwalt? Anruf? Verhandlung? Hey, nicht bei Feinden der Demokratie.

Sie sperrten uns in separate kleine Zellen. Nach ein paar Stunden (ich weiß nicht, wie lange es wirklich gedauert hat, aber es kam mir sehr, sehr lange vor) tauchten einige Agenten auf, die mir ein paar Drogen spritzen wollten. Ich mag keine Spritzen, also habe ich mich gewehrt. Das war natürlich sinnlos, sie haben mir ein paar Schläge versetzt, mich dann festgehalten und mir ihr Zeug verabreicht. Soviel zu den Genfer Konventionen.

In der Spritze war eine Wahrheitsdroge oder etwas ähnliches. Alles war verzerrt, verdreht und auf subtile Weise dämonisch, aber es hatte trotzdem nicht viel mit mir zu tun. Mein Körper hatte höllische Angst, aber meine Gedanken waren abgekapselt und seltsam gleichgültig. Ich kann es nicht besser beschreiben, ich war gleichzeitig voll Schrecken und absolut in Sicherheit. Das ist eine Mischung, in der man - denke ich - auf jede Frage antwortet.
Sie wollten alles mögliche wissen: Ob wir Terroristen sind, was wir vorhaben, wo wir hinwollen (die Antwort 'Bagdad' hat erstmal sicher nicht geholfen, obwohl wir natürlich Bagdad in Arizona meinten), ob wir unser Land lieben und so weiter. Sie haben alle Antworten bekommen, in meinem Fall auf Dakota, weil ich in diesem seltsamen Zustand irgendwie vergessen habe, wie man Englisch spricht. Naja, sie haben einen Übersetzer gefunden. Ich fürchte nur, daß das die ganze Angelegenheit noch weiter verzögert hat.

Schließlich waren sie mit unseren Antworten zufrieden und überzeugt, daß wir keine Terroristen sind. Ich weiß nicht, warum, aber einer von denen hat mich gefragt, warum ich Napier in seiner Zelle erschossen hätte. Er hat dieselbe Antwort gekriegt wie Brian: "Er hat gezetert." Ich schätze mal, damit können sie nicht viel anfangen - die Verhandlung ist schließlich gelaufen. Ich hoffe nur, die wollen mich jetzt nicht rekrutieren, weil ich so ein harter Bursche bin.

Während wir unseren Spaß mit dem CIA hatten, war Brian natürlich in Sorge. Er wußte, warum wir verhaftet worden waren, und daß uns irgendwelche Regierungsjungs mitgenommen hatten. Aber helfen konnte er uns nicht.
Er hielt Kontakt zu Don und meinem Dad, die er über die Situation informiert hatte. Don versuchte natürlich, uns über die gerichtlichen Kanäle herauszuboxen, aber so etwas braucht Zeit. Brian und er hofften nur, daß man uns nicht Guatanamo Bay bringen würde, denn in dem Fall hätte man uns vermutlich ein bis zwei Jahre nicht mehr gesehen.
Also mietete sich Brian auf der Farm von Lars Armstrong ein, kümmerte sich um die Pferde, telefonierte viel und drehte ansonsten Däumchen.

Endlich, nachdem die Spooks uns alles gefragt hatten, was sie interessierte, steckten sie uns wieder in einen Kastenwagen, fuhren uns eine Weile durch die Gegend (dabei drehte Sylvia fast durch, wir wußten ja nicht, wohin man uns brachte) und warfen uns dann auf der Hauptstraße von Panguitch raus. Ich glaube, das war das letzte Mal, daß Sylvia behauptet hat, Muslimin zu sein.

Die ganze Verzögerung (es waren nur vier oder fünf Tage gewesen, aber irgendwie kam es mir länger vor) hatte immerhin den Vorteil, daß die Hollow Men nicht mehr in Panguitch waren. Wir mieteten uns über Nacht dort in einem Motel ein und nutzten die Gelegenheit, endlich mal wieder richtig im Internet zu surfen.
Auf der Homepage der Hollow Men entdeckten wir Steckbriefe von mir, Brian und Sylvia (interessanterweise nicht von Kim) mit dem Hinweis, wir wären die 'Feinde Nummer Eins' der Gang. Ironischerweise wird die Site von einigen Firmen gesponsort, darunter auch von Ferrington Industries, dem Betrieb von Brians Vater.
Brian fand das nicht so ungeheuer witzig und schrieb seinem Vater eine E-Mail, in der er ihn darauf aufmerksam machte, daß er da gerade einen Mordaufruf gegen seinen eigenen Sohn sponsort. Bisher haben wir noch keine Antwort gekriegt.

Ich rief meinen Dad in Chicago an. Schon seit einiger Zeit war mir klar, daß da etwas nicht stimmte - bei einem Anruf in der Kanzlei mußte Mrs. Reynolds, die Chefsekretärin, das Telefonat abbrechen, weil die Polizei das Foyer stürmte. Und ich habe schon seit Wochen nicht mehr mit meiner Mutter geredet.
Dad erzählte mir schließlich, daß sie tatsächlich Schwierigkeiten haben: Die Hollow Men schleichen um die Kanzlei und das Haus herum - sie haben zwar (noch) niemanden angegriffen, aber sie sind da, und sie sind bedrohlich. Außerdem verwendet Mr. Ferrington, Brians Vater, seinen gesamten Einfluß, um Kunden von der Kanzlei fernzuhalten. Ganz zu schweigen von den anonymen Anrufen, den falschen Bombendrohungen und anderen witzigen Sachen, unter denen meine Familie leiden muß. Dad hat meine Mutter und Ricky aus Chicago weggeschickt, irgendwohin, wo sie in Sicherheit sind. Er will mir nicht sagen, wo sie sind, weil er fürchtet, wir könnten abgehört werden.

Ich wünschte, ich könnte einfach nach Hause gehen. Aber was soll das bringen? Soll ich mich von den Hollow Men umbringen lassen? Würde das helfen? Ich habe eher das Gefühl, daß die ganze Sache nur noch mehr eskaliert, wenn ich jetzt nach Chicago zurückkomme. Die Hollow Men scheinen auf dem Weg nach Süden zu sein, vielleicht begegnen wir ihnen in Los Angeles wieder. Vielleicht kommt es da zum Showdown. Würde jedenfalls passen.

Noch was, ich habe Claire angerufen. Sie ist in Ordnung, bisher haben die Hollow Men sie in Ruhe gelassen. Sie meinte, es läge daran, daß sie gute Anwälte hätte, aber das bezweifle ich irgendwie. Immerhin haben wir ein einigermaßen normales - wenn auch sehr förmliches - Gespräch hingekriegt. Ich habe ihr versprochen, mich wieder zu melden. Mal sehen, vielleicht mache ich das sogar.

Oh, und Kim hat seinen Dad angerufen. Er hat versucht, mit ihm zu reden, leider ohne größeren Erfolg. Nach dem, was er erzählt hat - und so, wie ich seinen Dad später erlebt habe - hört Mr. Parker seinem Sohn noch weniger zu als Mr. Ferrington Brian. Ich finde, die sollten alle eine Familientherapie machen.

In Panguitch entschieden wir uns, die östliche Route über den Bryce Canyon National Park und die Navajo Nation zu nehmen, statt im Westen in Richtung Las Vegas zu reiten und dann die Route 66 zu überqueren. Schließlich hatten wir ja noch den Gutschein für eine verbilligte Übernachtung und eine Überraschung im Cleo´s Inn in Tropic (das im Bryce Canyon National Park liegt), den wir in New Fortune gefunden hatten.

Der Aufenthalt in Tropic war tatsächlich eine Überraschung. Ich glaube, wenn wir alle brav die Füße still gehalten hätten, wäre uns da gar nichts passiert. Vielleicht wären wir sogar direkt nach Los Angeles gekommen...

the7sins:
Wow Leonie, das ist schlicht und einfach GROSSARTIG! Ich hab' mir die Geschichte gelesen und hatte das Gefühl einen genialen Roman zu lesen mit wahnsinnig toller ABGEDREHTESTER Handlung, sehr cooler Erzählweise, vielen Wendungen, Anspielungen und packend wie selten was. Wenn das nur annäherend so cool zu spielen ist, wie zu lesen, dann beneide ich dich; wenn's noch cooler zu spielen als zu lesen ist besuch ich dich (und das war eine Drohung) ;D.
Bitte schreib weiter, das ganze ist toll und ich bin schon gespannt wie's weitergeht!

Bad Horse:
Dankeschön *rot anlauf* !  :)

Die UA-Runde ist ziemlich cool... wenn du mal auf einen Con in Stuttgart bzw. Mannheim kommst, bestehen gute Chancen, daß wir auch da sind.  :D

Ich hab noch einige Kapitel auf Vorrat, und die Runde läuft noch (mittlerweile in der zweiten Season).  :)

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