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[Unknown Armies] Road Movie
Bad Horse:
Aber das war zunächst nicht wichtig. Als ich mich umsah, stellte ich fest, daß die Hollow Men mich in einen kleinen, feuchtkalten Kellerraum gesperrt hatten. Sylvia, Brian und Kim waren auch da - sie waren von dem 'Arzt' mit Spritzen betäubt worden und kamen gerade wieder zu sich. Dem getrockneten Blut nach zu urteilen, war seit unserer Gefangennahme schon einige Zeit vergangen (ein Tag, um genau zu sein. Das erfuhren wir natürlich erst später).
Wir saßen eine Weile herum und versuchten, die Tür zu öffnen, hatten aber keinen Erfolg. Immerhin fand Brian eine Büroklammer, mit der er sich am Schloß zu schaffen machte. Er hatte auf die Art und Weise mal einen verkanteten Schrank aufgekriegt, und besonders kompliziert sah das Schloss nicht aus.
Kaum hatte er angefangen, mit seinem Drahtding herumzustochern, als wir Schritte auf dem Gang hörten. Es waren ein paar Hollow Men, und sie waren gekommen, um mich mitzunehmen.
Sie brachten mich raus aus dem Keller. Die Treppe habe ich nicht allein geschafft - ironisch, aber einer der Hollow Jungs mußte mich stützen. Oben sah ich, daß wir uns in einem richtigen Herrenhaus befanden: Marmorboden, eine Eingangshalle, Teppich auf den weißen Stufen, die in den ersten Stock führten, eine Balustrade aus Ebenholz. Geschmackvoll und dezent eingerichtet - nur die Hollow Men in ihren abgewetzten Bikerklamotten störten das Dekor ein bißchen.
Sie brachten mich in ein Arbeitszimmer im ersten Stock, wo ich den Hausherren traf - einen elegant gekleideten Mann mittleren Alters, hager, mit stechenden hellgrünen Augen. Rechts und links flankierten ihn zwei besonders kräftige Hollow Men. Er war sehr höflich, bat mich, Platz zu nehmen, und stellte sich als 'Gilbert Morrison' vor.
Dann stellte er mir einen Haufen Fragen, wo 'er' sei, brabbelte etwas von 'anderen', die er schon hätte, und weigerte sich, irgendwelche Erklärungen zu seinen Fragen abzugeben. Ich sagte ihm (völlig wahrheitsgemäß), daß ich keine Ahnung hätte, wovon er eigentlich redet, und bat ihn relativ höflich, ein bißchen klarer zu werden. Er lächelte verbiestert, meinte, ich wäre ein guter Schauspieler, aber er hätte meine Eltern, und ich sollte mir meine Antworten noch mal überlegen.
Ich geriet natürlich in Panik. Erst dachte ich, er will wissen, wo die Ketten sind, also erzählte ich ihm alles, was ich darüber wußte, aber das war es gar nicht. Ich flehte ihn an, mir zu sagen, was er eigentlich will, aber er sah mich nur aus kalten Augen an. Dann gab er mir einen Tag Bedenkzeit - sonst würde er anfangen, meiner Familie weh zu tun.
Damit war das Gespräch für ihn beendet. Er bedeutete den Hollow Men, mich wieder in den Keller zu bringen. Ich bat ihn noch einmal, mir doch zu sagen, was er eigentlich will, aber er schüttelte nur den Kopf. Er glaubte nicht, daß ich keine Ahnung hatte, was eigentlich los war. Er glaubte es einfach nicht. Ich war so frustriert, daß ich den Stuhl, auf dem ich gesessen hatte, packte und nach ihm warf. Die Schmerzen in meiner Brust waren in dem Moment völlig vergessen.
Ich traf ihn nicht richtig, aber er wurde trotzdem wütend. Einer der Hollow Men schlug mir ins Gesicht, nicht allzu heftig, und Morrison meinte, ich hätte einen bösen Fehler gemacht. Dann nickte er meinen Bewachern zu, und sie brachten mich wieder nach unten.
Kurz danach waren die anderen dran, einer nach dem anderen. Brian schaffte es, noch unten im Keller einen der Hollow Men zu provozieren und sich von ihm die Nase brechen zu lassen. Sylvia forderte daraufhin, daß man uns einen Arzt schicken solle - schließlich ging es mir ja auch nicht besonders gut. Der Kerl, der daraufhin kam, war einigermaßen unheimlich: Ein dürrer kleiner Mann mit den kältesten Augen, die ich je gesehen habe. Während er Brians Nase versorgte, erwähnte er nebenher, daß er Zahnarzt ist. Ich schätze, er hat gesehen, daß mir das Angst machte (ich habe den Marathon-Mann gesehen, und ich fand Zahnärzte schon immer eklig). Er forderte mich mit einem dünnen Lächeln auf, den Mund aufzumachen und ihm mal meine Zähne zu zeigen. Als ich mich weigerte, lachte er nur und ging. Brrr.
Den anderen stellte Morrison genau dieselben Fragen wie mir - und glaubte ihnen genausowenig, daß sie keine Ahnung hätten, wovon er eigentlich redet. Sylvia bekam immerhin einen Tip von ihm - keine Ahnung mehr, was das war, aber es brachte sie zu der Vermutung, daß er auf der Suche nach Bill Toge sein könnte. Morrison erwähnte außerdem noch, daß er Kims Vater, Brians Mutter und Don als Geiseln hätte.
Nach einiger Spekulation in unserer Zelle und einem weiteren Gespräch mit Morrison ging uns auf, daß er wahrscheinlich nicht hinter Bill Toge her war, sondern hinter Don Spending. Das half allerdings nur bedingt weiter, schließlich hatten wir keine Ahnung, wo sich Spending herumtrieb.
Auf einem anderen Gebiet hatten wir mehr Erfolg: Brian bekam das Schloss tatsächlich mit seinem Büroklammer-dings auf. Vorsichtig öffneten wir die Tür, aber der Kellergang war vorerst ruhig. Rechts ging es zur Treppe, die ins Herrenhaus (und vermutlich zu einer Horde Hollow Men) führte, also beschlossen wir, zunächst die linke Seite auszuprobieren. Wir kamen an zwei weiteren Kellertüren vorbei, die wir allerdings nicht öffnen konnten.
Der Gang machte einen Knick nach links. Er endete in einem größeren Raum, dem Weinkeller. Während wir uns noch herumtasteten (wir wollten kein Licht machen), hörten wir von der Treppe vorne Schritte. Hollow Men, drei Stück, und sie merkten sofort, daß wir nicht mehr da waren. Einer von ihnen machte sich auf den Weg nach oben, die anderen beiden bewegten sich vorsichtig auf den Weinkeller zu.
Brian, Sylvia und ich bewaffneten uns mit Weinflaschen, während sich Kim hinter einem Regal versteckte. Als der erste Hollow Man in den Raum kam, schlugen wir alle zu. Mit einem überraschten Ächzen fiel der Kerl zu Boden und stand nicht mehr auf.
Sein Kumpel war ein paar Schritte hinter ihm geblieben und schoss auf uns. Er war kein so schlechter Schütze, aber seine Kugel streifte mich nur und riss mir eine blutige Wunde am rechten Unterarm. Das war keine dramatische Verletzung - ich erwähne sie hier nur der Vollständigkeit halber, bevor ich irgendwann mal vergesse, wo meine ganzen Narben herkommen (ja, ich und Bruce Willis).
Jedenfalls war der Biker kein Problem für Brian (dachte zumindest Brian): Er stürzte sich mit ausgestreckten Armen auf den Gegner. Leider trat der im selben Moment ein Stück zurück, sodaß Brian ihn verfehlte und hinfiel. Das wäre noch nicht so schlimm gewesen, wenn Sylvia und ich nicht dieselbe Idee gehabt hätten. So fiel erst Sylvia auf Brian drauf und dann ich auf Sylvia. Ich bin sicher, diese merkwürdige Taktik hat den Hollow Man gehörig verwirrt - ich meine, seit wann werfen sich Gegner denn vor ihm auf den Boden, noch dazu alle aufeinander?
Aber das war ja nicht das Ende unserer Verwirrungstaktik. Nein... Kim war in der Zwischenzeit hinter seinem Regal hervorgekommen und hatte sich die Pistole des bewußtlosen Hollow Man geschnappt. Jetzt zielte er auf unseren Gegner, und da wir alle am Boden lagen, hatte er auch freies Schußfeld. Das wäre fast eine gute Taktik gewesen, wenn Kim unseren Gegner getroffen hätte. Immerhin hat er es geschafft, mit nur einem Schuß gleich drei Leute zu erwischen: Bei mir durchschlug die Kugel den Oberschenkel, streifte danach Sylvias Hüfte und blieb zuletzt in Brians Rücken stecken.
(Sorry, Kim. Ich wollte eigentlich gar nicht viel dazu sagen, aber die Situation war so absurd, daß ich mir das einfach nicht verkneifen konnte.)
Leider war der Hollow Man nicht ganz so verwirrt, wie man vielleicht erwarten sollte. Er nutzte die Gelegenheit, Kim - der ja offen da stand - über den Haufen zu schießen. So clever war das allerdings auch nicht: Eine Sekunde später rammte ihm Brian eine Weinflaschenscherbe in den Unterschenkel, Sylvia zog ihm das andere Bein weg, ich warf mich auf ihn und drückte ihm mit meiner Schiene die Kehle ab. Er zappelte noch ein bißchen, und dann war er still.
Das war der Moment, in dem der dritte Hollow Man mit Verstärkung auftauchte. Der Kerl, auf dem ich lag, war tot (wahrscheinlich), also zogen wir uns in den Weinkeller zurück. Auf dem Weg nahm ich mir eine herumliegende Scherbe und schnitt Mr. Bewußtlos, der noch vor dem Eingang lag, die Kehle durch. Warum? Ein Feind weniger. (Der große 'Warum ich wehrlose Feinde umgebracht habe'-Monolog kommt später, aber tatsächlich ist das hier die ehrlichste Antwort.)
Sylvia kümmerte sich um Kim. Er war offenbar schwer verwundet, aber Brian und ich hatten keine Zeit, darauf zu achten: Wir stellten uns am Eingang zum Weinkeller in Position, jeder einen Revolver in der Hand, bereit, unsere Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. Meine Schmerzen in der Brust, selbst die neuen Schmerzen in meinem rechten Bein, waren wie verflogen. Sollten die feigen Schweine nur kommen!
Der Schrei einer Frau riss mich brutal aus meinem Adrenalinrausch heraus. Ich kannte diese Stimme, kannte sie besser als jede andere. Morrison hatte nicht geblüfft. Sie hatten meine Mutter.
Einer der Hollow Men befahl uns, aufzugeben und herauszukommen, sonst würden sie meine Mutter töten. Ich ließ die Pistole fallen, sofort, und hinkte mit erhobenen Händen um die Ecke. Dort standen über einige Hollow Men, und einer von ihnen hielt meiner Mutter ein Messer an die Kehle. Ich brach in die Knie. Meine Stärke war jäh verschwunden, und ich merkte jede einzelne Wunde.
Brian und Sylvia diskutierten im Weinkeller noch herum. Sylvia wollte Kim nicht allein lassen, und Brian versuchte verzweifelt, sich einen Plan auszudenken, wie wir das alle überleben könnten.
Schließlich schnitt einer der Hollow Men meine Mutter in die Kehle, nur ein flacher, schmaler Schnitt, aber es reichte - ich flehte Sylvia und Brian an, herauszukommen, und schließlich, nach einer halben Ewigkeit, kamen sie.
Die Hollow Men steckten meine Mutter wieder in den zweiten Raum auf dem Gang, ohne daß ich auch nur ein Wort mit ihr hätte wechseln können.
Brian, Sylvia und ich kamen in dieselbe Zelle wie vorher. Kim brachten sie nicht wieder herein. Wir hörten, wie sie auf dem Gang darüber sprachen, daß er die Wunde ohnehin nicht überleben würde.
Dann war es erstmal wieder still. Brians Wunde war schwerer, als es zunächst aussah, und er lag still auf dem Boden, um wieder Kraft zu sammeln (glaube ich zumindest). Sylvia betete. Ich wußte gar nicht, daß sie religiös ist, aber die Situation war wirklich verzweifelt. Ich sang, ein altes Kinderlied, das mir meine Mutter beigebracht hatte. Ich konnte mich jetzt nicht hinlegen und schlafen. Ich glaube, ich wäre nie wieder aufgewacht. Es war für mich einfach undenkbar, jetzt die Hoffnung aufzugeben. Das ging einfach nicht. Die Konsequenzen wären zu schrecklich gewesen.
Es verging einige Zeit, ich weiß nicht, wieviel. Und dann öffnete sich die Tür, ganz sanft und leise. Musik drang herein. Unverkennbar Kims Musik, die uns vorsang, daß es eine Chance gäbe, daß wir siegen konnten, wenn wir uns ihr nur hingeben würden, hingeben mit Körper und Seele (ist das arg dramatisch? So kam es mir zumindest vor...).
Brian sprang auf die Füße, seine Wunden waren vergessen. Er hatte die Hoffnung schon aufgegeben und sah jetzt nur die Chance, möglichst viele Gegner in den Tod mitzunehmen. Ohne sich noch einmal umzudrehen stürmte er aus dem Raum und rannte die Treppe hinauf.
Sylvia gab sich ebenfalls der Musik hin und rappelte sich mit neuer Kraft auf. Ich stand schon, bevor ich überhaupt merkte, was los war - und dann fing ich an, mich zu wehren. Ich wollte schon in Hill Rose kein Musik-Zombie werden. Das Gefühl, das die Musik mir vermitteln wollte, kam nicht aus mir selbst, und das gefiel mir nicht. Niemand sagt mir, was ich fühlen soll. Diese fremden Gefühle in meinem Kopf waren mir zuwider, ich fühlte mich instinktiv übernommen, vergewaltigt. Ja, das ist das richtige Wort. Das ist das Wort, das ich nicht sagen konnte - wahrscheinlich immer noch nicht sagen kann - aber genauso hat es sich für mich angefühlt. Als würde jemand meinen eigenen Willen einfach wegfegen und mich für seine Zwecke benutzen. Das konnte ich einfach nicht hinnehmen, also wehrte ich mich, so gut es ging. Die Schmerzen in meiner Brust und meinem Bein waren dabei extrem nützlich.
Sylvia lief zu den anderen Gefangenen im Nebenraum. Da ihr die Tür hinderlich erschien, riss sie sie einfach aus den Angeln. Eine feste Eisentür. Ich kämpfte noch gegen den fremden Einfluß in meinem Kopf an, und in dem Moment war mir Sylvia extrem unheimlich. Ich meine, ich wußte, sie rettet gerade meine Familie, aber trotzdem... Ich hatte ein paar Schwierigkeiten, einzuordnen, was ich gerade selber fühlen wollte, und was nicht, deswegen habe ich da wohl überreagiert. Entschuldigung, Sylvia.
Mein Dad, meine Mutter und Don waren in dem ersten Raum gefangen, Kims Vater im zweiten (Sylvia öffnete auch diese Tür). Ich sagte meinen Eltern und Don, sie sollten sich in Sicherheit bringen und Mr. Parker mitnehmen. Meine Mutter nickte - sie ist nicht so leicht einzuschüchtern, und sie ist schon früher durch Kugelhagel durchgelaufen -, schnappte sich die anderen, und gemeinsam liefen sie nach oben.
Sylvia und ich folgten ihnen. Was auch immer Brian tat - wir wollten ihm helfen. Und Kim finden, denn wenn seine Musik spielte, konnte er ja wohl schlecht tot sein (hoffte ich zumindest). Sylvia war ein bißchen schneller als ich, und schon halb die Treppe in den ersten Stock hinaufgestiegen, als wir die Schüsse aus dem Garten draußen hörten. Auf einmal wurde ich sehr viel schneller. Das war nicht die Musik, das war pures Adrenalin. (Und vielleicht lüge ich mir hier selber einen vor. Aber Adrenalin hatte mich schon vorher auf die Beine gebracht, warum nicht hier auch?)
Die Wand der Vorhalle war mit diversen altmodischen Waffen dekoriert, darunter auch einer schönen doppelköpfigen Kriegsaxt. Ich machte einen kleinen Umweg, um sie mitzunehmen. In dem Moment fiel mir von oben ein toter Hollow Men vor die Füße - woher der kam, wußte ich nicht, aber er hatte seinen Revolver noch. Im Lauf griff ich mir die Waffe und stürmte nach draußen.
Dort feuerten über ein Dutzend Hollow Men auf die Flüchtenden. Glücklicherweise war es mitten in der Nacht, die Jungs waren nicht mehr ganz nüchtern, und - wie schon erwähnt - meine Mutter hat Erfahrung mit Kugelhageln. Keiner von den Bikern traf jemanden.
Dafür traf ich die Biker. Ich kam von hinten, sie sahen mich in der Dunkelheit nicht, und ich blieb in Bewegung. Neue Waffen nahm ich mir von den toten Bikern. Irgendwann war Sylvia neben mir, und wir schossen die Biker zusammen, als wären wir Helden in einem Tarantino-Film. Ich weiß nicht mal, ob sie versucht haben, auf uns zu schießen - ich nehme es an - aber keiner von ihnen traf.
Nicht alle unsere Kugeln trafen genau das Ziel: Einige der Biker wurden nur verletzt und fielen stöhnend zu Boden. Ich habe sie getötet, jeden einzelnen. (Nein, auch hier kommt der Monolog noch nicht. Später, ehrlich.) Mein Vater hat mich dabei gesehen, und ich denke, die anderen Ex-Geiseln auch. Während des Kampfes habe ich kaum auf sie geachtet, außer aufzupassen, daß meine Kugeln nicht in ihre Richtung fliegen. Diesmal kein Kollateral-schaden.
Nachdem Sylvia und ich die Hollow Men draußen erledigt hatten, machten wir uns auf den Weg zurück zum Haus, Sylvia natürlich schneller als ich.
Dort hatte sich Brian mittlerweile durch eine Horde Hollow Men die Treppe hinaufgekämpft. Seine einzige Waffe dabei war eine Tür, die er benutzt hat, um die Biker an den Wänden platt zu quetschen - wie Insekten. Einige hat er wohl auch von der Balustrade geworfen. Das war nicht mehr Tarantino, das war einfach nur noch übel.
Brian hat Morrison und seine zwei Leibwächter erwischt. Ich weiß nicht, was mit den Leibwächtern passiert ist, aber Morrison flog aus dem Fenster (oder? ich kann mich nicht erinnern, seine Leiche vor der Balustrade gesehen zu haben, aber so sehr habe ich auch nicht darauf geachtet).
Als Sylvia ins Haus kam, stand Brian gerade dem Arzt gegenüber, der seiner Mutter eine Spritze gegen den Hals presste und drohte, sie umzubringen.
Das war der Moment, in dem die Musik ebenso plötzlich aufhörte, wie sie begonnen hatte. Brian verließen die Kräfte, und auf einmal merkte er alle seine Wunden wieder (irgendwann im Laufe der Kämpfe hatte ihn noch ein Streifschuss am Kopf erwischt).
Sylvia dachte wohl, sie wäre immer noch Superwoman, und schoss auf den Arzt. Und Brians Mutter. Sie traf auch tatsächlich, aber nicht ganz so gut, wie sie vorhatte: Ihre Kugel streifte Mrs. Ferrington an der Schultern und traf den Arzt erst dann. Brian nutzte den Moment, in dem er abgelenkt war, aus und sprang ihn an. Es gelang ihm, den Kerl von seiner Mutter wegzuzerren, aber dann gingen bei ihm die Lichter aus.
Zu diesem Zeitpunkt war ich auch schon im Haus angekommen, hatte die paar Hollow Men, die nach dem Sturz von der Balustrade noch lebten, entsorgt und kam oben an. Genau rechtzeitig, um dem Spritzenfan mit meiner Axt den Schädel abzuschlagen. Ich gebe zu, das war etwas mittelalterlich, aber es war effektiv, und das war alles, worauf es mir in dem Moment ankam.
Bad Horse:
Mrs. Ferrington rannte schreiend aus dem Haus. Ich kann es ihr nicht verdenken - ihr blutverschmierter Sohn lag bewußtlos am Boden, die Irre, die sie angeschossen hatte, beugte sich über ihn, um irgendwas mit ihm anzustellen, und ein wahnsinniger Axtschwinger rannte herum und köpfte Leute. Mann, was rede ich da, aber genauso muß es für sie ausgesehen haben. Genau so. Brian meinte, in dem Film wären wir die Monster gewesen, und wenn ich an diese Szene denke, hat er Recht. Ich glaube, ich geh jetzt erstmal eine Runde um den Block. Bin gleich wieder da.
Um ehrlich zu sein, bin ich erstmal aufs Klo gegangen, um mich zu übergeben. Danach war ich eine Weile ausreiten, um meinen Kopf wieder halbwegs klar zu kriegen. Gerade jetzt eben, als ich das ganze noch mal niedergeschrieben habe, ist mir klargeworden, was in dem Haus passiert ist. Worte reichen nicht aus, um das zu beschreiben, aber die Wahrheit ist, daß ich schon Schwierigkeiten habe, das zu lesen, was ich da oben geschrieben habe. Ich habe auch Schwierigkeiten zu schreiben, weil meine Hand gerade jetzt so zittert, aber ich muß irgendetwas sagen.
Verdammt. Verdammt. Nein, das hilft auch nicht. Laß es raus, Junge. Mach schon.
Also, weiter im Text. Irgendwie beruhigt es mich fast, daß ich das alles nicht ganz so cool ertragen kann. Scheint, als wäre ich doch noch menschlicher, als ich dachte.
Tschuldigung. Ihr wolltet ja Fakten von mir hören. Wo war ich? Weg, nochmal. Diese letzte Szene, mit dem toten Arzt... das geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Aber die Worte, in die ich das fassen muß, gehören nicht hierher.
Sylvia kümmerte sich um Brian, der aus seiner Kopfwunde heftig blutete. Ich machte mich auf die Suche nach Kim, den ich auch ziemlich schnell fand. Hier drinnen war die Musik wieder zu hören, wenn auch nicht ganz so laut und penetrant wie vorher.
Kim saß in einem Gästezimmer auf dem Bett und spielte auf seinem Instrument. Oder? Wie war das nochmal genau? Ich kann mich kaum noch erinnern, die ganze Geschichte erscheint mir teilweise bruchstückhaft und zusammengestückelt, wie Sequenzen aus einem Alptraum.
Um mal zu erzählen, was Kim passiert war: Er wurde von dem Schuss getroffen und es wurde schwarz um ihn herum. Er erzählte mir, daß er ein Licht gesehen hätte, auf das er zuschwebte, bis er plötzlich hinter sich Musik hörte. Er drehte sich um, und dann sah er Bill Toge (?), der ihm mit seinem Musikinstrument winkte. Keine Frage - Kim kam zurück, um weiter seine Musik zu spielen.
Und dann fand er den perfekten Groove (das ist Kims Wortwahl, nicht meine!) und spielte selbstvergessen vor sich hin, bis ihn Don Spending aus der Konzentration riss. "Das reicht jetzt wohl, oder?", fragte er und nickte Kim gönnerhaft zu. Kim war nicht so begeistert von der Unterbrechung - er spielte doch gerade seinen Groove! -, aber er kam nicht wieder auf den Level, den er vorher gehabt hatte.
Irgendwann in dieser Geschichte (die Kim vielleicht noch mal selber erzählen sollte, wenn er sie bis dahin noch weiß) tauchte ich auf. Kim war nicht weiter verletzt, von einer schweren Schußwunde war keine Spur zu sehen. Als ich hörte, daß Spending tatsächlich kurz vorher da gewesen war, machte ich mich auf die Suche nach ihm. Ich hatte da einige Fragen, und ich dachte, Spending wüßte vielleicht ein paar Antworten. Kim folgte mir.
Draußen sahen wir, wie Spending in ein Auto stieg, freundlich winkte und losfuhr. Nach der ganzen Geschichte, die sich ja zumindest teilweise um ihn gedreht hatte, wollte ich ihn nicht einfach wegfahren lassen, und schoss ihm in einen seiner Reifen (und ja, ich treffe auch Sachen, wenn mich keine Musik beeinflußt!). Spending stieg aus und schien eher amüsiert als verärgert - so, als wäre ich ein kleiner Junge, der seinen Lieblingsonkel nicht nach Hause gehen lassen will.
Ich fragte ihn, was hier los wäre, was dieser ganze übernatürliche Scheiß eigentlich zu bedeuten hatte, was Morrison von ihm wollte, und - keine Ahnung - vermutlich auch noch, warum das Universum eigentlich existiert. Ich dachte einfach, irgendwer wäre uns mal eine Erklärung schuldig, und Spending wußte, was los war. Er war vielleicht nicht daran schuld, aber er wußte es, und er ließ uns verdammt noch mal im Dunkeln tappen. Und dann kam er auch noch mit dieser onkelhaften 'Ach-mein-Junge-das-verstehst-du-nicht'-Tour, die jetzt nicht unbedingt geeignet war, mich auch nur ansatzweise zu beruhigen.
Das ging eine Weile hin und her: Ich fragte, er wich aus, meinte, er könnte das nicht erklären, er müsse jetzt weiter, blablabla. Und die ganze Zeit hatte er so ein kleines scheiß-freundliches Lächeln im Gesicht. Ich sagte ihm, ich würde ihn nicht gehen lassen, bis ich nicht eine Erklärung hatte.
Er zuckte die Schultern und streckte die Hand nach mir aus. Ich wich zurück und fragte ihn, was das jetzt wieder sollte. Er meinte, er könne das nicht mit Worten erklären und müsse es mir zeigen. "Worte reichen mir vollkommen aus, danke", sagte ich. Nach der Geschichte mit Bill Toge lass ich mich doch nicht einfach von einem von diesen... übernatürlichen Typen anfassen. Ich war einfach mißtrauisch.
Kim natürlich nicht. Er meinte, er wäre gern bereit, sich irgendwas zeigen zu lassen. Spending fasste ihn an, Kim fiel um und regte sich nicht mehr. Dann kam Spending auf mich zu, die ganze Zeit immer noch mit diesem kleinen Lächeln auf dem Gesicht.
Ich schoß ihm vor die Füße und sagte ihm, er solle verdammt noch mal stehenbleiben. Er kam weiter auf mich zu, und bevor er mich berühren konnte, schoß ich noch einmal. Er fiel rückwärts um. Tot. Besonders überrascht sah er allerdings nicht aus. Eher zufrieden. Das blöde kleine Lächeln war jedenfalls noch da. (Das ist jetzt absolut mein persönlicher Eindruck, und es kann gut sein, daß ich mir das nur einbilde. Aber so kam es mir vor.)
Kim kam ziemlich schnell wieder zu Bewußtsein. Als er erfuhr, daß ich Spending erschossen hatte, war er entsetzt und reichlich verärgert. Er meinte, er wüßte nicht, ob wir überhaupt auf derselben Seite stehen. Das weiß ich doch auch nicht. Ich weiß ja nicht mal, was es für Seiten gibt, auf denen man stehen kann.
Gemeinsam machten wir uns auf die Suche nach den befreiten Geiseln. Meine Eltern, Don und Mr. Parker hatten in der Zwischenzeit Mrs.Ferrington aufgegabelt und versuchten, sie zu beruhigen. Sie waren immer noch im Garten. (Warum eigentlich, verdammt noch mal? Sollten die nicht abhauen, statt herumzustehen und sich die Show anzusehen?!?)
Als wir auf sie zugingen, sah ich den Blick meines Vaters: Entsetzt. Schockiert. Abgestossen. Mir wurde jäh bewußt, daß ich von oben bis unten mit Blut besudelt war. Nicht nur meins, ganz und gar nicht. Ganz und gar nicht. Und er wußte, was ich getan hatte - er hatte es gesehen. Nicht alles, aber genug. Er sah mich an, als würde er mich nicht kennen. In diesem Moment verließ mich alle Kraft, meine Hand sank herunter, die Waffe fiel zu Boden. Ich schloss die Augen und gab mich der tröstlichen Finsternis hin.
(Ich verspüre gerade den Drang, mich für meine blumige Prosa zu entschuldigen, aber warum sollte ich? Genauso hat es sich angefühlt - als würde ich alle Last von mir werfen, indem ich mich für eine Weile dem Nicht-Sein, dem Nicht-Fühlen hingab. Tröstlich, geborgen. Wenn ich wieder ein Licht gesehen hätte, ich glaube, alle Visionen der Welt hätten mich nicht davon abgehalten, dorthin zu gehen. Oder, um es anders zu sagen: Ich war einfach müde bis auf die Knochen, und ich wollte nur noch schlafen. Ja, das gefällt mir besser. Ignoriert die Sätze ab "Ich schloss...".)
Ich wachte im Krankenhaus wieder auf. Diesmal schien es ein richtiges Hospital zu sein, mit piepsenden Dingern, effektiven Krankenschwestern, Ärzten und allem Drum und Dran. Wir waren alle in einem Zimmer untergebracht, Sylvia, Kim, Brian und ich.
Meine Eltern, Mrs. Ferrington, Mr. Parker und Don waren auch da, saßen an unseren Betten und warteten darauf, daß wir wieder aufwachten. Sie schienen ganz in Ordnung zu sein, auch wenn ich ein paar Verbände sah.
Brians Mutter flehte ihn an, wieder nach Hause zu kommen, sein Vater werde das mit den Hollow Men schon regeln - die würden nie wieder irgendwen entführen. Brian meint, seine Mutter sei naiv, wenn sie dächte, daß Mr. Ferrington den Hollow Men ernsthaft an den Karren fahren könnte. Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht ist auch Brian naiv, wenn er die Verbindungen seines Vaters unterschätzt (ich sage nur "Onkel Charlie"). Jedenfalls wollte er immer noch nicht wieder nach Hause gehen. Schließlich gab seine Mutter es auf und ging (glaube ich zumindest, allzu viel habe ich davon ja nicht mitbekommen).
Mr. Parker drückte seinem Sohn eine goldene Kreditkarte in die Hand und sagte ein paar markige Worte. Für seine Verhältnisse kam das einem tränenreichen Gefühlsausbruch gleich. Kim beschloss, ein paar Tage mit ihm nach New York zu fliegen, damit sie ein wenig Zeit miteinander verbringen konnten. Daß Brian und ich noch dringend Ruhe brauchten, war ja offensichtlich.
Don sprach mit Sylvia, ich weiß nicht, worüber. Vielleicht erzählt sie es ja noch.
Ich selbst hatte ein sehr schwieriges Gespräch mit meinem Dad. Er erzählte mir, daß die Hollow Men ihn und meine Mutter noch auf dem Weg zum Flughafen abgepasst und nach Iowa verschleppt hätten. Dort stellte man ihnen Fragen nach den Ketten - mein Vater meint, sie wären gefoltert worden. Seine Stimme klang so emotionslos, als er das erzählte. So, als wäre das alles gar nicht ihm passiert, sondern irgendeiner Gestalt in irgendeiner Geschichte. Das ist nicht seine Art - Dad hat seine Gefühle nie versteckt - aber ich nehme an, daß er... ich weiß nicht, was ich annehme. Ich hoffe nur, daß er nicht versucht, auf diese Art damit klarzukommen. Andererseits bin ich vielleicht auch nicht gerade derjenige, mit dem er darüber reden will. Verstehe ich auch, aber trotzdem...
Er hat nichts über die Befreiung gesagt. Gar nichts. Mein Dad ist Pazifist, mit Leib und Seele, und ich weiß, daß er gesehen hat, wie ich die Hollow Men ermordet habe. Ich wünschte, er hätte mich angeschrieen. Aber er sah mich nur aus diesem verwundeten, leeren Augen an, als würde er mich nicht mehr richtig kennen.
Ich sagte ihm, ich hätte das Gefühl, es sei meine Schuld, daß er und meine Mutter mit in diese Sache hineingezogen worden sind. Er widersprach nicht. Verdammt. Also hatte er das Gefühl auch. Aber ich weiß auch nicht, wie ich das ganze hätte vermeiden können - wenn man mal davon absieht, daß ich die Motorräder vielleicht nicht hätte umwerfen sollen, fällt mir nur eine Möglichkeit ein: Ich hätte sterben können, bevor es soweit kommt. Und das kann er doch nicht gemeint haben. Oder?
Vielleicht bin ich unfair. Mein Dad ist auch nur ein Mensch, und er hat schreckliches mitgemacht. Es war ja deutlich zu sehen, daß er das Ganze kein bißchen verkraftet hatte. Und trotzdem, trotzdem habe ich irgendwie erwartet, daß er mich tröstet und mir Kraft gibt. Ganz schön kindisch, eigentlich.
Letzten Endes hat er mich dann doch in den Arm genommen, als ich anfing zu weinen. Ich konnte seinen Blick voller unausgesprochener Vorwürfe einfach nicht mehr ertragen. Und den Gedanken daran, was ihm diese... diese toten Leute angetan hatten. Ich habe ihm mal gesagt, wenn sich jemand an ihm oder meiner Mutter vergreift, dann würde ich sie alle umbringen. Er hat mich damals schon so seltsam angesehen - so, als wüßte er nicht genau, wer ich bin. Verdammt, jetzt muß ich schon wieder weinen.
(Wenn ich dieses Ding nicht mit dem Laptop verfassen würde, wären die letzten Seiten mittlerweile völlig unleserlich. Wäre vielleicht auch besser so...)
Ich weiß jedenfalls nicht, wie es mit mir und meinem Dad weitergeht. Ich hoffe, er erholt sich von der ganzen Geschichte. Ich hoffe, wir können irgendwann über alles reden. Mein Dad und ich standen uns immer sehr nahe. Haben wir das jetzt verloren? Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht. Ich schätze, er auch nicht.
Er fragte mich, ob ich nicht mit ihm und Ina nach Hause zurückkommen will. Ich wurde melodramatisch und gab ein paar filmreife Sprüche von mir, daß ich nicht nach Hause gehen könnte, blablabla. Was soll ich sagen - es ging mir nicht gerade gut, und meine Gedanken waren ein wilder Wirrwarr. Sonst hätte ich das anders formuliert. Aber es ist nun mal so, daß ich mich verändert habe, und ich kann das nicht rückgängig machen. Auch nicht für meinen Dad. Ich hoffe, er wird das irgendwann verstehen.
Mit meiner Mutter war das ganze nicht so dramatisch. Sie hat mir bei meiner Geburt den Namen ihres Großonkels gegeben, der vier Männer aus Rache für seine kleine Schwester umgebracht hat - sie hat keine Probleme damit, daß ich jemanden getötet habe (zumindest nicht so viele wie mein Dad). Klar, sie macht sich Sorgen um mich, und sie würde mich gerne öfter sehen, aber ich glaube, sie versteht mich im Augenblick einfach besser als mein Vater. Früher war das oft anders.
So, jetzt reicht´s aber mit der Analyse meines Gefühlslebens. Oder? Ach ja, da war ja noch der 'Ich habe verwundete Leute ermordet'-Monolog, den ich euch versprochen hatte.
Was soll ich dazu sagen? Ich kann jetzt Tausende von Entschuldigungen, Erklärungen und Begründungen anführen, aber die Wahrheit ist eigentlich ganz einfach: Ich wollte keine Feinde in meinem Rücken, auch keine verwundeten. Es braucht nicht viel Kraft, den Abzug einer Waffe durchzudrücken. Außerdem erholen sich verwundete Feinde irgendwann wieder, und dann muß man sich noch mal mit ihnen herumschlagen. Jeder, den ich jetzt töte, ist jemand, mit dem ich nie wieder Schwierigkeiten haben werde.
Ja, das ist kalt. Ich weiß. Wenn ich kämpfe, dann gerate ich nicht in einen rotumschleierten Blutrausch, in dem außer Wut und Hass nichts mehr Platz in meinem Kopf hat. Ganz im Gegenteil, es wird alles ganz kalt und klar, die Dinge reduzieren sich aufs Wesentliche: Feind oder Freund, Leben oder Tod. Für Gefühle ist da kein Platz, nur für eiskalte Berechnung. Das war bei Joe Napier so, den ich erschossen habe, weil mich sein Gezeter gestört hat (und in einem Kampf auf Leben und Tod kann so eine Ablenkung durchaus fatal sein); das war in New Fortune so, als ich versucht habe, den Boss zu erwischen, als er gehen wollte (und wenn ich ihn getroffen hätte... hm, dann wären wir das Primärziel der Hollow Men geworden, ja, aber dann hätten sie vielleicht darauf verzichtet, die Dörfler abzuschlachten. Vielleicht auch nicht. Verschlimmert hätte es die Situation jedenfalls kaum); und das war auch diesmal wieder so.
Okay. Soweit die Erklärung. Was halte ich davon, wenn ich nicht gerade eine kaltherzige Kampfmaschine bin? Schwer zu sagen. Damit meine ich nicht, daß das besonders schwierig in Worte zu fassen ist, sondern daß es mir schwerfällt, diese Worte auszusprechen. Die Antwort ist eigentlich einfach: Nichts. Ich halte gar nichts davon. Verdammt, es gab eine Zeit, da habe ich geglaubt, daß niemand das Blut eines anderen vergießen muß, daß man immer einen anderen Weg finden kann, daß Worte die Lösung sind, nicht Gewalt. Das ist noch gar nicht so lange her, und ein Teil von mir glaubt das immer noch. Ein anderer Teil ist nicht mehr ganz so idealistisch, aber selbst der fragt mich, wie weit ich eigentlich bereit bin, zu gehen? Gute Frage. Ich wünschte, ich hätte eine gute Antwort.
Ich habe tatsächlich überlegt, zur Polizei zu gehen und mich zu stellen. Ich bin ein Mörder, daran ändern schöne Worte auch nichts mehr. Aber es gibt viele Gründe, die dagegen sprechen (ich habe keine Lust, alle aufzuführen, wenn es euch interessiert, dann fragt mich einfach - oder fragt Brian, dem fallen bestimmt noch ein paar zusätzliche ein), und außerdem bin ich dafür zu feige.
Dazu noch eine Sache am Rande: Keiner der Hollow Men, die ich ermordet habe, hat mich gebeten, es nicht zu tun. Ich weiß nicht, ob ich inne gehalten hätte (und ja, es tut weh, das zugeben zu müssen), aber außer Flüchen und zusammengebissenen Zähnen war da nichts. Keiner hat angefangen, mir von Frau und Kind zu erzählen oder sich zu entschuldigen oder ganz einfach zu sagen, daß er weiterleben möchte. Das entschuldigt natürlich gar nichts, aber ich finde es einfach sehr merkwürdig.
Was die polizeiliche Seite der ganzen Angelegenheit angeht: Meine Eltern, Don und Mr. Parker haben uns vier und Mrs. Ferrington vom Gelände gebracht, bevor die Polizei dort überhaupt auftauchte. Mr. Parker hat seinen Einfluß geltend gemacht (ich nehme an, das heißt, er hat säckeweise Geld verteilt), um zu verhindern, daß allzu genaue Nachforschungen angestellt werden. Offiziell hat bei der Villa eine Art Bandenkrieg stattgefunden. Die Verdächtigen sind alle tot, und die Ärzte in der kleinen Privatklinik werden den Mund halten (irgendwie könnte ich mir vorstellen, daß Mr. Ferrington diese Klinik empfohlen hat, ich weiß gar nicht, warum). Der Cop, der uns an die Hollow Men verraten hat, kommt davon. Das stört Brian übrigens ganz immens, aber ich weiß nicht, was wir jetzt deswegen machen sollen. Ich habe keine Lust, hinzugehen und ihn zusammenzuschlagen.
Die Webpage der Hollow Men ist aus dem Internet verschwunden. Ich weiß nicht, was das heißt - aber die Gang hat mittlerweile über die Hälfte ihrer Mitglieder und etliche Anführer verloren. Vielleicht hat der Rest jetzt endlich die Schnauze voll. Hoffentlich, aber irgendwie glaube ich noch nicht so recht dran. Und selbst wenn - irgendwer wird doch bei den bisherigen Kämpfen einen Bruder oder Freund verloren haben, oder?
Noch was? Ach ja, Don Spending. Im Krankenhaus erzählte uns Kim, was ihm Spending per Visionen in jener Nacht zu verstehen gegeben hatte: Der Kerl ist ein Unsterblicher, der schon seit der Antike unterwegs ist und über die "Gabe der Wiedergeburt" verfügt oder so. Kim ist vollkommen davon überzeugt und ziemlich sauer, weil ich Spending erschossen habe. Ich gebe ja zu, daß das strategisch nicht besonders klug war: Der 'Unsterbliche' hat uns ein paar mal echt geholfen - laut eigener Aussage war er derjenige, der in jener Nacht Kim 'angestupst' hat, damit die Musik diese Auswirkungen hatte. (Ich glaube, ich habe oben vergessen, das zu erwähnen.) Aber der Kerl war mir einfach unheimlich, und ich fühlte mich von ihm bedroht. Ich will nicht behaupten, daß ich keine Schuldgefühle deswegen habe. Habe ich. Trotzdem würde ich mich auch jetzt nicht von dem Typ anfassen lassen.
Ich bin mir nicht sicher, inwieweit ich diese Geschichte mit dem 'Unsterblichen', der durch die Zeiten wandert, glauben soll. Klingt für mich ein bißchen nach den 'Unknown Reading Objects' und Dr. Sylvias Ufo-Sekte. Hey, vielleicht ist Spending ja dieser Comte de St. Germain. Oder Ahasver, der Ewige Jude. Oder vielleicht Kain, der Erste Mörder. Oder dieser Knilch mit der Lanze, der Jesus in die Seite gepiekst hat. Oder etwa ein *gasp* Highlander?!? Na sicher.
Okay, andererseits haben wir ein paar seltsame Sachen gesehen und gehört. Aber Unsterbliche? Nur weil es tatsächlich übernatürliches Zeugs gibt, heißt das nicht, daß wir jeden Scheiß glauben müssen. Und Spending traue ich nicht so weit, wie ich King Kong werfen kann. (Nein, ich glaube irgendwie nicht, daß er wirklich tot ist. Muß Don noch mal fragen, ob seine Leiche bei der Villa rumlag.)
Oh Mann, das ist ja mittlerweile ganz schön lang hier. Ich mach jetzt einfach ein neues Kapitel auf.
Bad Horse:
Hier passiert nichts spannendes. Die Actionfreaks können gleich zum nächsten Kapitel springen.
Zwischenspiel - eine echte Pause
Nachdem unsere ganzen Besucher irgendwann mal wieder weg waren und wir eine Weile über Don Spending geredet hatten, überlegten wir, wie es jetzt eigentlich weitergehen sollte. Keiner von uns hatte größere Lust, noch mal von Tucson, Iowa, aus nach Los Angeles zu starten. Außerdem brauchten Brian und ich - wie schon erwähnt - noch ein bißchen Zeit, um von unseren Wunden zu erholen. Sylvia hatte "nur" den Streifschuss an der Hüfte, und Kim war gesundheitlich vollkommen fit. Seine Begegnung mit Spending hatte nicht nur die aktuelle Wunde sondern auch alle anderen, älteren Verletzungen geheilt.
Wir beschlossen, ein bißchen Zeit auf der Ranch meiner Tante Rose zu verbringen und dort neue Kräfte zu sammeln. Kim wollte vorher noch ein paar Tage bei seinem Vater in New York verbringen, ich hatte vor, meinen Großvater im Reservat zu besuchen (Santee ist nicht sooo ewig weit von Des Moines weg).
Sylvia und Kim brachen am nächsten Tag auf, Brian und ich blieben noch zwei Tage länger, um noch ein bißchen ärztliche Pflege zu bekommen. Dann gingen wir auch, auf eigene Verantwortung. Meine Ärztin war nicht sehr begeistert von meiner Entscheidung, das Krankenhaus zu verlassen, und schärfte mir ein, mich ja zu schonen. Ich nickte brav, obwohl das, was ich vorhatte, vermutlich nicht so ganz ihrer Definition von "schonen" entsprach. Sie gab mir noch ein paar Schmerztabletten mit, die im nächstbesten Mülleimer landeten (sorry, Kim).
Als nächstes suchte ich mir einen Waffenladen, um mir eine neue Halbautomatik (eine Beretta 92F; ich wollte meinen Dad aus offensichtlichen Gründen nicht nach meiner alten Glock fragen) und ein paar Messer (na gut, fünf Messer verschiedener Größen) zu besorgen. Auf die Axt habe ich erstmal verzichtet.
Von Des Moines aus fuhr ich mit dem Greyhound nach Yankton, South Dakota, und stieg dort in den uralten Ruckelbus, der einmal am Tag nach Santee und wieder zurück fährt. Es war okay - am Anfang meinten ein paar Halbstarke, sie müßten den blöden Indianer (also mich) anstressen, aber die verkrümelten sich schnell wieder. Hey, ich hab sie nur angesehen.
Für meine Rippen war der Trip nicht so lustig: Die Federung des Busses war völlig im Eimer, die Straße nach Santee ist voller Schlaglöcher (die der Busfahrer auch alle mitnehmen mußte) und die Sitze sind allenfalls für Pygmäen oder zarte kleine Frauen gemütlich.
Als nächstes mußte ich noch durchs halbe Dorf hinken, um von der Bushaltestelle bis zum Haus meines Onkels zu kommen. Klar, der Fahrer hätte mich auch da absetzen können, aber er hatte seinen Fahrplan und "für eine lausige Rothaut fährt er doch keine Extratouren". Seine Wortwahl, nicht meine. Gut, daß ich viel zu unfit war, um einen Streit anzufangen. Aber tatsächlich ging mir die Meinung dieses kleinkarierten Rassisten ziemlich am Arsch vorbei.
Es war gegen Abend, als ich endlich am Haus meines Onkels ankam. Es ist eigentlich ein kleines Haus, gedacht für die Standardfamilie mit Mama, Papa, anderthalb Kindern und einem Hund. Da dort aber außer meinem Onkel, seiner Frau und ihren drei Kindern auch noch die Halbschwester meines Onkels mit ihrer Mutter, ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern wohnt, haben sie ein paar Zwischenwände eingezogen und einen neuen Raum angebaut (es hat fast zehn Jahre gedauert, bis die Regierung dafür die Einwilligung gegeben hat - Baulizenzen und Kram).
Hmm, ich glaube, ich höre lieber auf damit, jedes Detail zu beschreiben, sonst kommen wir spätestens bei den Pferden nicht mehr weiter. (
Was wollte ich eigentlich sagen? Keine Ahnung. Es tat nur mal wieder gut, bei meiner Familie zu sein - noch dazu einem Teil der Familie, der keine Ahnung hat, wie sehr ich mich verändert habe. Obwohl ich glaube, daß mein Onkel Maza Topa (der Vietnamveteran) es gemerkt hat.
Außerdem wollte ich mich über meinen Cousin aufregen. Das könnte ich stundenlang tun, und das war auch schon immer so. Gut, mittlerweile hat sich mein Fokus etwas verschoben, aber trotzdem... Vielleicht sollte ich erstmal erzählen, wer der Kerl überhaupt ist, sonst macht das nicht allzu viel Sinn.
Mein Cousin, Calvin Foster, Inyan Nape, ist der größte Mensch, den ich kenne. Er ist sechs Fuß und knappe elf Inches groß (es sind eigentlich nur zehn, aber es ist sinnlos, darüber mit ihm zu diskutieren), und besteht eigentlich nur aus Sehnen, Knochen und Muskeln. Vielen Muskeln. Sehr vielen Muskeln. Er sieht nicht mal aus wie ein Bodybuilding-Monster - er ist drahtig, zäh und der stärkste Kerl, den ich kenne. Er kann das Telefonbuch von Des Moines zerreißen. Ehrlich. Ich hab´s gesehen.
Außerdem ist er der härteste Kerl, den ich kenne. Seit er sechzehn ist, geht er jedes Jahr zum Sonnentanz. Er hat vor zwei Jahren einen Geländemarsch über viele, viele Meilen mit einer gebrochenen Rippe absolviert - und ja, sie mußten dabei auch kriechen und robben. Jedesmal, wenn ich ihn sehe, hat er irgendwo einen Verband, und es ist immer nur ein "Kratzer".
(Einwurf: Komisch, das kam mir früher immer so unglaublich tough vor. Ich dachte zeitweise, daß er vielleicht eine nervöse Störung hat und den Schmerz gar nicht bemerkt. Nach unserer Reise durchs Wunderland... naja... ist das alles irgendwie nicht mehr sooo beeindruckend. Ich meine, ich habe einen Geländemarsch über viele, viele Meilen mit einem gebrochenen Arm, einem Streifschuß am Bein und einer zeternden Ex absolviert.)
Wer es jetzt noch nicht mitgekriegt hat: Inyan Nape ist Berufssoldat. Er ist bei der regulären Army, nicht bei den Marines wie sein (jüngerer) Bruder. Das liegt hauptsächlich daran, daß er nicht sonderlich diszipliniert und stur wie ein Maulesel ist. Außerdem hat er ein fürchterliches Temperament (daher auch die ständigen Verbände - er torkelt von einer Schlägerei in die nächste). Er ist kein schlechter Kerl, versteht mich nicht falsch - er regt sich nur schnell auf.
So. Habt ihr ein Bild von ihm? Ach ja, gut aussehen tut er natürlich auch. Sehr indianisch.
Bevor ich zu den Sachen komme, die mir bei ihm so sehr auf die Nerven gehen, sollte ich vielleicht sagen, daß ich ihn trotz allem ganz gerne mag. Er ist nicht nur mein Cousin, er ist auch grundehrlich, bedingungslos loyal und unglaublich großzügig. Manchmal neigt er dazu, auf Schwächeren herumzuhacken, aber nur auf Kerlen. Frauen und Kindern würde er kein Haar krümmen.
ABER - er tötet mir einfach jeden Nerv. Womit? Mit seinem ständigen Actionheld-Getue! Hah, er ist ja so hart! Ein echter Mann! Wenn jemand dies und das tun würde (füge irgendwas beliebiges ein, was ihm gerade auf die Nüsse geht), denn würde er ihn umpumpen (wahlweise auch kaltmachen, abknallen, vernichten, wegblasen... etc. ad nauseam)! Das kann er, denn er ist bei der Army! Yo!
Unnötig, hinzuzufügen, daß er noch nie bei einem echten Einsatz dabei war. Einmal mußte er mit ausrücken, um einen Damm zu flicken, aber selbst da blieben die Leben-und-Tod-Situationen irgendwie aus. (Aber wenn einer seiner Kameraden in den Fluß gefallen wäre, dann hätte er ihn natürlich gerettet! - Und wahrscheinlich ein paar Flußgeister umgepumpt...)
Das ging mir früher auf den Nerv, weil ich Pazifist war und Leute wegblasen für die falsche Lebensstrategie hielt. Das geht mir heute auf den Nerv, weil ich schon in den Situationen war, die er sich so gerne ausmalt, und das eigentlich nicht sonderlich spaßig fand. Aber wenn ich ihm das erzähle, dann glaubt er mir das wahrscheinlich nicht. Oder er fängt an, mich als Helden zu verehren, was ich noch schlimmer fände. Also habe ich nichts gesagt...
Tja, was war denn diesmal konkret? Es ging damit los, daß er reinkam und mir mit voller Wucht auf den Rücken schlug. Das macht er immer - damit ich härter werde, meint er -, aber diesmal hatte ich ein paar gebrochene Rippen. Als er erfuhr, daß mich jemand zusammengeschlagen hat (ich war ziemlich vage, was die Details anging), wollte er sofort losfahren, um demjenigen gründlich die Fresse zu polieren. Davon konnte ich ihn nur mit Mühe abhalten (schließlich wollte ich nicht unbedingt sagen, daß die Kerle alle tot sind).
Danach fing er an, ich sollte doch zur Army gehen, die würden einen Mann aus mir machen. Klar. Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, war ich schon ein Mann. Schließlich wollte er noch, daß ich Liegestützen mache (das will er immer - wahrscheinlich nur, um mir zu zeigen, daß er viel mehr machen kann). Ich zeigte ihm den kaputten Arm. Soviel zu dem Thema.
Als nächstes kam sein übliches Waffengesülze. Einer seiner Kumpel hat jetzt eine Bla-Waffe, die supertoll ist, gaaaanz viele Leute auf einmal umpumpen kann (ja, grade ist das Wörtchen "umpumpen" bei ihm sehr beliebt) und nicht mal Rückstoß hat. Früher fand ich das immer vollkommen öde, aber diesmal ertappte ich mich dabei, daß ich aufmerksam lauschte und mir überlegte, ob ich mir nicht so ein Teil leisten könnte. Ich habe sogar sein "Home Defense"-Magazin durchgeblättert - gar nicht so uninteressant... *seufz*
Dann hat er mir von seinen hypothetischen Heldentaten erzählt - was er getan hätte, wenn er da und dort gewesen wäre. Ja, das Mirage wurde auch erwähnt. Der Zwischenfall war ja doch durch die Medien gegangen. Muß ich dazu sagen, daß er alle Hollow Men im Alleingang umgepumpt hätte? Ich hatte eine alte Matratze in seinem Zimmer (Pech, das er genau zu dem Zeitpunkt Urlaub hatte) und wollte eigentlich nur schlafen. Statt dessen mußte ich mir anhören, wie er einen Hollow Men nur mit einem Würfel getötet hätte - wenn er da gewesen wäre. Naja, an Fantasie mangelt es ihm nicht. Obwohl ich nicht glaube, daß das so geklappt hätte, wie er sich das ausmalt.
Beim Frühstück am nächsten Tag war ich ziemlich übernächtigt. Inyan Nape kommt ja gut mit zwei oder drei Stunden Schlaf in der Nacht aus. Wunderbar. Dann bot er noch an, mich zu meinem Großvater zu begleiten, weil "es mir ja nicht so gut ginge". Das hatte mir gerade noch gefehlt. Ich behauptete kühn, halbwegs fit zu sein, spielte die gebrochenen Rippen herunter, erklärte, ich würde wegen einer Prellung hinken und schaffte es schließlich, ihn zu überzeugen, daß ich allein reiten könnte.
(Eigentlich hatte ich ja vor, meinen Onkel oder meine Cousine Waniyetu Wi zu bitten, mit mir zu kommen. Ich fühlte mich nämlich kein Stück fit. Aber jetzt mußte ich doch allein los.)
So, das war´s jetzt mit Inyan Nape. Sorry für den langen Exkurs, aber aaaaarrrrrggggghhhhhh!!!!! Irgendwo mußte ich das rauslassen.
(Nur um noch eins klarzustellen - Inyan ist eigentlich nicht direkt ein Aufschneider. Ich denke, wenn er tatsächlich mal in so eine Situation kommen würde, würde er auch versuchen, sich heldenhaft zu verhalten - und dabei wahrscheinlich draufgehen.)
Als nächstes ritt ich also zu meinem Großvater. Es dauerte ziemlich lange, bis ich bei ihm war. Ich weiß nicht, ob das nur an meiner schlechten Gesundheit lag, oder ob es andere Gründe hatte. Aber irgendwann gegen Nachmittag kam ich bei seiner Hütte an.
Ich war aus einem bestimmten Grund hierher gekommen, nicht nur, um meinen alten Großvater zu besuchen. Ich hatte das Gefühl, es sei an der Zeit, eine Hanbleceya - grob übersetzt, eine Visionssuche - zu machen. Dafür brauchte ich den Rat und Beistand eines wicasa wakan. Großvater stimmte zu. Ich glaube, er hat schon ziemlich lange darauf gewartet, daß ich ihn darum bitte.
Ich will hier, an dieser Stelle, nicht allzu viel darüber erzählen. Nur ein paar Fakten am Rande: Die Hanbleceya dauerte vier Tage (sie dauert immer vier Tage). Während dieser Zeit durfte ich weder etwas essen noch etwas trinken. Ich verbrachte die ganze Zeit an einem bestimmten Ort, den mein Großvater ausgewählt hatte, und wartete auf meine Vision.
Ich sah viele Dinge in diesen vier Tagen. Viele Visionen, aber eine davon hob sich ab, war viel realer als alle anderen, die eher Träume waren. Ich werde euch irgendwann erzählen, was ich gesehen habe, aber jetzt noch nicht.
Nach den vier Tagen blieb ich noch eine Weile bei meinem Großvater, um mich zu erholen und über alles zu sprechen. Einen neuen Namen habe ich nicht bekommen, aber mein Großvater bestätigte, daß ich den Namen meines Großonkels tragen darf.
(Ja, das habe ich bisher auch schon getan, aber bis ein wicasa wakan ihn bestätigt hat, war das mehr so eine Idee von meiner Mutter - nicht mein richtiger Name. Aber irgendwie mußten meine Verwandten mich ja anreden, und ein englischer Name klingt mitten im Satz einfach blöde. Mein Großvater hat mich bis heute immer nur "Enkel" genannt.)
So, jetzt aber weiter im Text. Was denn, ich bin immer noch nicht fertig mit Sülzen? Nö, das kann ich stundenlang machen... ( Aber es ist nicht mehr viel. Ehrlich. Bald kommt wieder Action. Mit Mexikanern, okay?
Nachdem ich mich wieder erholt hatte, verließ ich meinen Großvater. Mein Cousin Inyan fuhr mich zum Flughafen in Yankton, erzählte mir, was er im Falle einer Entführung machen würde (kleiner Tipp: Es hat etwas damit zu tun, die Entführer umzupumpen. - Hätte er mal lieber seine Klappe gehalten) und kriegte plötzlich ganz große Augen, als ich beiläufig das Messer aus der Schiene zog und in meine Reisetasche legte. Konnte das Ding schließlich schlecht mit ins Flugzeug nehmen. Glücklicherweise mußte ich mich sofort danach einchecken.
Bad Horse:
Ein paar Stunden später kam ich in Phoenix an, wo mich meine Cousine Molly O´Hara abholte und zur Mayfair-Ranch fuhr.
Dort traf ich Sylvia, Brian und Kim wieder. Auch die Forrester-Pferde und Smith und Jones waren da - Tante Rose hatte sie von Vegas aus herbringen lassen.
Alle sahen schon viel fitter aus - Brian hatte einen Großteil der Zeit damit verbracht, sich zu erholen, Sylvia war viel ausgeritten und hatte über alles mögliche nachgedacht. Don war auch da. Scheint ja was zu werden mit den beiden. Ich muß Sylvia mal den Tipp geben, Don zu erzählen, wie blöd sie Tennis im allgemeinen und schmierige Tennislehrer im besonderen findet. (
Kim tauchte kurz nach mir auf der Ranch auf. Er war besorgt: Offenbar hat er mit seinem letzten Wunsch auf Tropicana ein Zeitparadoxon hervorgerufen. Ich weiß nicht, ob ich es schon erzählt habe - er hatte sich gewünscht, daß seine Mutter damals nicht gestorben und für ihn erreichbar ist. Als er in den letzten Tagen versuchte, mit seinem Vater über seine Mutter zu reden, wehrte der ab und erklärte, sie hätte sie beide nur wenige Tage nach Kims Geburt verlassen. Mehr wollte er dazu nicht sagen, aber er schien wütend und verletzt zu sein. Davon, daß sie gestorben ist, war keine Rede mehr. Nirgends.
Es ging noch weiter: Laut Aussage von Kims Vater hat Kim selber nie größeren Kontakt zur Familie seiner Mutter gehabt. Aber woher kann er dann koreanisch? Und warum erinnerte er sich lebhaft an Urlaubsreisen nach Korea?
Da hat er sich ein ganz schönes Süppchen eingebrockt. Von seiner Mutter fehlt natürlich trotzdem jede Spur. Aber ich wette, wir werden ihr begegnen. Irgendwie glaube ich nur nicht, daß das so lustig für Kim wird.
(Ehrlich, Kim, hast du die Geschichte mit der Affenpfote nie gelesen? Man sollte vorsichtig sein mit dem, was man sich wünscht...)
Wir blieben eine Weile auf der Ranch. Natürlich mußte ich meiner Tante Rose, meiner Cousine Molly und meinem Cousin Colin erzählen, was wirklich passiert ist - nicht alle Details, aber sie hatten mitgekriegt, daß Dad, meine Mutter und Don entführt worden waren. Außerdem war ziemlich offensichtlich, daß ich recht böse verletzt worden war. Bei meinen Verwandten auf der Rez war ich ohne Erklärungen durchgekommen, weil es unter den Dakota als unhöflich gilt, drängende Fragen zu stellen. Man wartet, bis derjenige bereit ist, von sich aus zu erzählen. Nur bei Rose, Molly und Colin konnte ich mit solcher Zurückhaltung kaum rechnen.
Das war kein einfaches Gespräch. Vor allem Colin wollte sich nicht mit ein paar mageren Fakten zufrieden geben. Wir sind zusammen groß geworden (ich bin nur vier Monate älter als er) und wir waren unzertrennlich, bis er vor elf Jahren aus Chicago weggezogen ist. Selbst danach haben wir uns häufig genug gesehen.
In gewisser Weise war es ganz gut, daß ich mit ihm geredet habe. Im Gegensatz zu Sylvia, Kim und Brian kannte er mich schon vor der Reise und merkte sofort, wo und wie ich mich verändert habe. Ich meine damit nicht nur die offensichtlichen Sachen, sondern auch Kleinigkeiten - er behauptet, ich würde jetzt weniger reden als früher. Hah, hat der eine Ahnung. Der muß ja das Ding hier nicht lesen! (
So, noch zwei letzte Sachen: Erstens habe ich zugenommen. Ich weiß echt nicht, wo, aber ich wiege jetzt mehr als am Anfang unserer Reise. Als ich Brian davon erzählt habe (leicht besorgt - ich meine, ich bin schlank und selbst mit dem neuen Gewicht keineswegs übergewichtig, aber trotzdem...), hat er mich ausgelacht und behauptet, ich wäre total fett. Manchmal versteh ich ihn einfach nicht.
Wo wir gerade bei Brian sind: Er und ich sind irgendwann spät abends bei einem gepflegten Glas Saft ins Spekulieren gekommen - über Spending, über Brown... über alles mögliche eigentlich, von bösen kleinen Alienkindern bishin zu Sylvias (noch) nicht verlorenem Auge. Ich werde nett sein und euch einen Großteil des Gelabers ersparen, aber eine Sache ist hängengeblieben:
Wir hatten ja schon öfter spekuliert, daß wir immer noch in einem Film 'stecken' - oder vielleicht in einer Fernsehserie. Brian grübelte herum, wie wir Brown finden sollten, und was wir machen würden, wenn er einfach alles abstreitet. Ich erklärte ihm, daß - wenn das mit der Serie stimmt - es eine gewisse dramatische Notwendigkeit gibt, die uns zu ihm führen und dafür sorgen wird, daß bei der Begegnung etwas passiert, daß die Situation auf die eine oder andere Art und Weise eskaliert.
Okay, von da aus kamen wir zu der Erkenntnis, daß einige von uns bestimmten Archetypen entsprechen, die man aus vielen Vorabendserien und Actionfilmen kennt:
KIM ist der Rockstar. Er lebt für seine Musik und in seiner Musik. Außer Musik interessieren ihn Drogen (zumindest Betäubungs- und Schmerzmittel) und Groupies (möglicherweise sogar minderjährige). Wenn er so weitermacht, könnte es passieren, daß er in die "Live fast, die young"-Ecke gerät...
BRIAN ist der nerdige Wissenschaftler. Das passt nicht mehr hundertprozentig, dafür ist er einfach hin und wieder sozial zu kompetent. Und er hat keine so schlechte Mädchenquote. Aber ansonsten liebt er es, Fakten zu zitieren, lustig-bunte Substanzen zusammenzumischen und Erklärungen für alles mögliche zu suchen.
Ich (keine Großbuchstaben, das ist doch albern) bin der Actionheld. Hurra. Toll. Wollte ich schon immer sein. Und das, nachdem ich so über meinen Cousin, den Möchtegern-Actionheld, hergezogen bin.
Aber Fakten sind Fakten: Ich kämpfe viel und erledige meine Gegner. Dauernd bin ich verwundet, aber ich schleppe mich trotzdem weiter. Wenn mich jemand um Hilfe bittet, ziehe ich mein Hemd aus und versuche mein Bestes (naja, das mit dem Hemd stimmt nicht so ganz). Ich habe mehr Waffen, als ich (wahrscheinlich) brauche. Und wenn man mich reizt, dann werde ich sehr, sehr böse. Fein. Das passt eigentlich viel zu gut. So richtig wohl fühle ich mich damit nicht.
SYLVIA ist gar kein Archetyp (sorry, Sylvia). Am Anfang war sie vielleicht mal die Lehrerin (ihr wißt schon, die etwas ältere, kompetente Frau, die sich um die ganzen Jungspunde kümmert und nutzlose Warnungen ausspricht), aber dieser Archetyp stirbt leider meistens schon im ersten Drittel des Films (oder am Ende des Pilotfilms) grausam. Und die Lehrerin stürmt nicht unbewaffnet in eine Horde Hollow Men, um dem Anführer die Augen auszukratzen. Viel zu unvernünftig. (
Also sind Brian und ich zu der Überzeugung gekommen, daß in der letzten Konfrontation (oder was-auch-immer) Sylvia die ganz entscheidende Rolle spielt, weil man sie eben nicht in so eine nette Archetyp-Schublade stecken kann. (Und du hast gedacht, es wäre schlecht, kein Archetyp zu sein, oder, Sylvia?)
Naja, das ist jedenfalls eine Theorie, die wir hatten. Vielleicht war aber auch nur der Saft schlecht, und wir spinnen beide. (Wenn jemand Don fragt, spinne ich sowieso - das behauptet er schon seit Jahren.)
Okay, fast fertig. Ich habe von meinem (fast) letzten Geld Edgar Forrester die Stute Moses abgekauft. Sie bleibt erstmal bei Tante Rose, aber auf Dauer werde ich sehen, daß ich sie bei meinem Großvater unterstelle.
Sylvia hat sich auch in ihr Pferd verguckt, aber sie wollte ihr Geld nicht dafür ausgeben (oder sie hatte keins mehr). Jedenfalls habe ich Don einen Tipp gegeben, und jetzt gehört das Pferd ihr. (Aber ich spinne, ja? Ich habe Claire nie ein Pferd geschenkt! Naja, er verdient ja auch mehr als ich.)
Nach zwei, drei Wochen ging es uns allen besser, also wollten wir unsere Reise fortsetzen. Diesmal mit dem Flugzeug. Ich war ja für den Zug, aber die anderen haben mich überstimmt.
Und jetzt kommen wir zum nächsten Kapitel. Es hat einen Untertitel: "Wir hätten den Zug nehmen sollen!"
Apropos Fernsehserie: Hier endet ungefähr die erste Season. Die zweite geht mit der nächsten Folge los. Danke fürs Einschalten.
Bad Horse:
Okay, wer kann sich jetzt noch nicht denken, was im Flugzeug passiert ist? Na klar, wir sind entführt worden... was auch sonst.
Über den Wolken - Die Entführung
Drei Wochen verbrachten wir auf der Ranch meiner Tante, dann brachen wir wieder auf. Ich war ja dafür, den Zug zu nehmen, aber Brian, Sylvia und Kim hatten es eilig, also fuhren wir zum Flughafen in Phoenix und stiegen in einen Flieger nach Los Angeles. Unterwegs versicherten mir die drei ständig, daß nichts passieren würde, und wenn, dann nur etwas ganz harmloses. Nein, ich habe ihnen auch nicht geglaubt.
Ungefähr zehn Minuten, nachdem das Flugzeug den Boden verlassen hatte, standen vier mexikanisch aussehende Typen auf und zogen ihre Waffen. Zwei hatten Pistolen, einer ein fies aussehendes Messer und der letzte eine Handgranate. (Ja, klar, nach dem elften September sind die Flugzeuge viiieeel sicherer geworden... Ich meine, eine verdammte Handgranate!)
Der erste Pistolenkerl ging nach vorne ins Cockpit, die anderen drei beschäftigten sich damit, die Fluggäste auszurauben. Bei Kim fiel ihnen die goldene Kreditkarte seines Vaters auf, und sie beschlossen, ihn mit in die Erste Klasse zu nehmen. Vielleicht hofften sie, noch ein bißchen Geld erpressen zu können.
Brian und mir kam die ganze Situation völlig absurd vor. Ich meine, hier waren wir, Veteranen der Hollow-Men-Kriege, und da waren sie, drei magere Mexikaner, die trotz ihrer Waffen auf uns so bedrohlich wirkten wie Toastbrot. Entsprechend verhielten wir uns dann auch - wir blödelten herum, hielten nicht die Klappe, als die Entführer uns dazu aufforderten und warfen ihnen coole Sprüche entgegen. Nachdem sie Kim mitgenommen hatten, stand für uns ohnehin fest, daß wir sie lieber überwältigen wollten.
Also schön: Ich machte einen der Typen (den mit dem Messer) auf spanisch an, der schlug mir eine ins Gesicht, kam mir zu nahe und ich warf mich auf ihn. Brian sprang von seinem Sitz aus den Mexikaner mit der Handgranate an.
Dem Anführer, der noch frei dastand, kam das bedrohlich vor. Er zog seine Schußwaffe und - statt einen von uns abzuknallen - schoß in die Luft. Ein brilliantes Manöver in einem Flugzeug, aber daran hatte er wohl nicht gedacht. Die Kugel durchschlug die Außenhülle und das Loch begann sofort, weiter aufzureißen. Es gelang mir, Brian und Sylvia gerade noch, uns irgendwo festzuklammern, bevor der Unterdruck (oder Überdruck?) uns hinaussaugen konnte.
Andere hatten nicht soviel Glück: Die drei Mexikaner und sechs andere Passagiere wurden aus der Kabine gezerrt und verschwanden nach draußen.
Mit etwas Mühe gelang es Brian und mir, zum Cockpit zu gelangen. Dort hatte der vierte Mexikaner ein Loch in die Frontscheibe geschossen (warum auch immer), der Copilot kämpfte mit der Steuerung und der Pilot hing beinahe schon draußen. Nur seine Gurte hielten ihn noch. Brian und ich zogen ihn nach drinnen, dann ging ich Sylvia holen, damit sie sich um den Verletzten kümmern konnte.
Danach war nicht mehr viel für uns zu tun. Das Flugzeug kam langsam tief genug, daß wir wieder halbwegs atmen konnten (schönes Gefühl, wenn keine Luft mehr da ist und man durch ein abstürzendes Flugzeug krabbelt), und der Copilot schien das Ganze halbwegs unter Kontrolle zu haben. Eine knappe Viertelstunde später schlidderten wir in den Flughafen von Tijuana. Keine sanfte Landung, aber alle Insassen blieben einigermaßen heil. Wunderbar. Alles prima - bis auf die sechs Leute, die es aus dem Flugzeug gesaugt hatte. Ich weiß nicht mal, ob man die gefunden hat. Oder welche Teile von ihnen.
Die ganze 'Hei, wir sind Helden'-Aktion war ganz schön blöde. Schließlich war niemand unmittelbar bedroht. Vielleicht hätten wir mit unserem kleinen Aufstand lieber noch mal abwarten sollen. Andererseits: Wer konnte schon damit rechnen, daß Mr. Flugzeugentführer so doof sein würde, in die Luft zu schießen??? Ich weiß nicht, ob das eine Ausrede ist oder nicht. Jedenfalls werde ich irgendwelche Leute mit Waffen von jetzt an nicht mehr auf die leichte Schulter nehmen, auch wenn sie mir nicht bedrohlich erscheinen.
Hallo? Was schreib ich da eigentlich? Leute mit Waffen, die mir nicht bedrohlich erscheinen? Sagen wir lieber: Leute mit Waffen, von denen ich den Eindruck habe, ich könnte sie überwältigen.
Nein, eigentlich trifft es das 'nicht bedrohlich erscheinen' viel besser. Die Mexikaner erschienen mir/uns nicht bedrohlich. Im Gegensatz zu den Hollow Men waren das reine Witzfiguren. Aber nur weil eine Witzfigur eine Waffe abfeuert, ist der Kerl, den er trifft, deswegen nicht weniger tot. Oder die Katastrophe, die er auslöst, nicht weniger tragisch.
Gut, damit erst mal genug von dem Beinahe-Absturz. Von Tijuana aus flogen wir dann nach Los Angeles. Ich hätte ja den Zug vorgezogen. Aber als ich vorschlug, wir könnten uns ja auch trennen, wenn die anderen unbedingt fliegen wollten, guckten sie mich alle so betreten an, daß ich doch mit ins Flugzeug stieg.
Dort hatte ich dann eine kleine Flugangstattacke. Ich bin ja noch nie so wahnsinnig gern geflogen, aber diesmal war es ein bißchen schlimmer. Ständig hatte ich das blöde Gefühl, gleich keine Luft mehr zu kriegen. Die freundlichen Sprüche der Stewardess und einiger Mitreisender haben auch nicht wirklich geholfen. ("Fliegen ist ja sooo sicher").
Trotzdem kamen wir wohlbehalten in Los Angeles an. Das sollte natürlich nicht lange anhalten....
Edit: Was für ein Zufall, das ausgerechnet dieser Post der 666. Zugriff auf diesen Thread ist... ;) >;D
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