Das Tanelorn spielt > [FS] Sinful Stars Archiv

[Tag 3] Raumstation Bazaar

(1/21) > >>

Denize Noy:
(Gildenquartiere. 9.30 h imperiale Standardzeit)

Unter der dünnen Wolldecke lief ein Schauer durch Denize als sie spürte, dass sie angestarrt wurde.
Obgleich ihr völlig bewusst war, dass es sich wieder um einen Alptraum handelte,  konnte sie sich nicht von dem Bild lösen, das ihr Geist heraufbeschwor.
Es war ein Bild des einäugigen Ukari-„Gottes“ Anikrunta. Ein Relief auf einer Steinwand. An einem finsteren Ort, den sie im Wachen noch nie betreten hatte. Im eisblauen Flackern ihrer ersterbenden Fusionsgasfackel schien es, als verzerrte sich seine Miene zu einem rachsüchtigen Grinsen. Sein einzelnes Auge heftete sich tadelnd auf ihre zitternde Gestalt.

„Scraver... Räuber. Nicht hier? Um zu stehlen? Nicht wahr? Hier, um dein Urteil zu empfangen. Kind.“

Die Zunge versagte ihr den Dienst.
Nein.

Eine Lähmung hatte sie befallen, gegen die sie verzweifelt ankämpfte. Die Luft war zäh wie Halawa.
Verdammt dazu, zu lauschen, trieb sie näher und näher auf den rauhen Fels zu, der sie kalt musterte.

„Wo du auch hingehst, sterben die Menschen.“

Nein!

Die Stimme wurde lauter, dröhnender. Wurde zu der des Allschöfpers selbst, als er tat, was er nicht tun durfte und ein zweites Auge öffnete. Es war strahlend blau. Eisig bohrte sich sein Blick in sie. Ihr Herz schlug so heftig, als wolle es zerspringen.

„Du hast nie einen Finger gerührt.“

Nein. Hör auf.

„Du hättest diese Leben retten können.“

Nein...

“Todesbotin. Deine geheuchelte Mitleidlosigkeit ist nichts als Feigheit. Schwäche. Du bist nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach...“

Die blauen Augen des Herrn näherten sich weiter, bereit ihr den letzten Stich ins Herz zu versetzen, sie den Geistern auszuliefern, die sie verfolgten.

Ein Keuchen floh über ihre Lippen, zerriss endlich den dünnen Schleier zwischen Traum und Wirklichkeit.

Denize saß mit einem Schlag senkrecht im Bett. Mwerron neben ihr unterbrach sich in seinem Satz und schenkte ihr jenen abschätzigen Blick, der sie immer traf, wenn sie auf diese Art erwachte.

Ein großes Paar strahlend blauer Augen richtete sich interessiert auf sie.
Es gehörte zu einem von blonden Strähnen umrahmten Kindergesicht, das mindestens ebensoviel natürliche Fröhlichkeit in sich trug, wie das der Mutter. Bis eben musste dieser Sprößling Suzannahs gebannt an Monns Lippen gehangen haben. Der Ukar saß auf der Bettkannte und hielt ein Springmesser in der Rechten, mit dem er scheinbar seine Worte unterstrichen hatte.  Ein ebenso klassisches wie furchteinflößendes Bild.
Ungläubig blinzelte Niz von den blauen zu den schwarzen Augen und wieder zurück.

Azzu:
Die Berührung riss ihn unbarmherzig aus dem Schlaf. Zurück in die kalte Wirklichkeit. Mit einem ungehaltenen Brummlaut wälzte er sich auf dem Bett herum, an dem zerbrechlichen Gebilde seines Traumes festhaltend. Und erstarrte. Finger auf seiner Haut. Kein Traum. Und nicht die Berührung von...

Unbekannter Geruch. Ein Fremder! Mwerron hörte das Schnappen des Springmessers, noch bevor er sich selbst völlig bewusst war, es gezogen zu haben. Unter der Decke jeder Muskel gespannt. Sprungbereit. Das Gesicht dem Eindringling zugewandt, öffnete er die Augen.

Die kleine, blonde Gestalt zuckte kurz zurück, die blauen Augen weit aufgerissen. Dann siegte die Neugier. Ein Menschenkind. Seine kleine Hand berührte die rituellen Narben auf Mwerrons Stirn. "Hat das weh getan?", fragte es. Ein leichtes Lispeln in der hellen Stimme.

Es dauerte eine Weile, bis Mwerron sich errinerte, wo er sich befand. Im Quartier des Suzannah-Wesens. Dies hier war eines ihrer Kinder. Schätzungsweise ein Junge. Mit dem Alter von Menschenkindern hatte Mwerron keine Erfahrung, aber diesem hier fehlten einige Zähne. Noch sehr jung. Keine Bedrohung. Mwerron setzte sich auf. Verbarg die Hand mit dem Messer hinter seinem Rücken.

"Ja. Sehr."

Das kleine Geschöpf trat einen Schritt zurück, das fremdartige Wesen mit den schwarzen Augen und den wulstigen Narben kritisch musternd. "Aber warum hast du es dann gemacht?", wollte es wissen.

Über sich selbst erstaunt, hörte er sich antworten: "Schmerzen. Machen stark. Nur wer Schmerz kennt. Kann. Ein Krieger sein." Kein Hohn in den naiven Kinderfragen. Nur Neugier. Mwerron deutete auf seine Stirn und die Tätowierung auf seiner Brust. "Dies hier. Zeigt. Wer ich bin. Und dass ich. Den Schmerz kenne. Und das..."

"Ich bin auch stark!", erklärte der Menschling unbeeidruckt. "Papa hat gesagt, ich soll aufpassen, dass ihr nix anstellt!"

"Sssshhhh", zischte der Ur Ukar, den Zeigfinger über den Mund gelegt. "Du wirst. Sie. Aufwecken."

Dieser kleine Junge wusste nichts von Schmerz, Entbehrungen und Stärke. Musste nichts davon kennen. Die Menschwesen schonten ihre Kinder. Lebten nicht auf einer Welt, die alles Leben hasste. Die Schwachen ohne Gnade tötete. Nein. Menschenkinder lebten beneidenswert. Glücklich. Und wurden schließlich zu weichlichen Schwachköpfen. Wie der Vater des Kleinen, der Gefährte des Suzannah-Wesens. Er hatte sein kleines Kind in Mwerrons Nähe geschickt. Vor wenigen Jahren noch hätte der Ur Ukar angegriffen, ohne zuvor die Augen zu öffnen. Ein Vater, der seine Familie nicht beschützte. Großer Krieger.

"Soll euch aber aufwecken", protestierte der Junge. "Gibt Kaa-fee!"

Ohnehin zu spät! Keuchend schreckte Denize aus dem Schlaf auf. Ein Alptraum. Mwerron beobachtete sie eine Weile, gab ihr etwas Zeit, den Mantel des Traumes abzuschütteln, ins hier und jetzt zurückzukehren.

Dann berührte er sie sanft an der Stirn, ließ die Fingerspitzen über Wangen und Hals gleiten. Ohne Ba'amon auf ihrer Haut eigentlich eine sinnlose Geste. Aber schon sein ganzes Leben lang hatte er die Seinen auf diese Weise begrüßt. Familie, Freunde, Waffenbrüder. Er würde sich nicht mehr umgewöhnen. Nicht ganz, zumindest. Die Haut unterhalb des Halses war tabu. Das musste er respektieren.

"Guten Morgen," sagte er leise. Noch ein Gruß ohne Sinn, diesmal einer der Menschwesen. Wozu sich einen guten Morgen wünschen, wenn der Morgen doch schon fast vorbei war? 'Guten Tag' hätte Mwerron passender gefunden. Aber so war es nicht Brauch.

"Kaa-fee!", wiederholte der blauäugige Menschling mit auffordernder Stimme.

Jack Hawkins:
Das linke Auge klappte zuerst auf. Klapp.
Das rechte kämpfte gegen das Kissen, auf das es gedrückt lag.

Da war ein fader, pelziger Geschmack in seinem Mund und ein dumpfes Rauschen in den Ohren.
Dann, als er den Kopf hob und das zweite Auge – klapp – dafür sorgte, dass die Sicht langsam dreidimensional wurde, erwachten auch die zwanzig Derwische wieder, die ohne Zweifel die ganze Nacht munter durch sein Hirn getanzt waren. Und setzten ihr Werk gewissenhaft fort.
Jack stöhnte und ließ seinen gepeinigten Kopf wieder in das Kissen der Couch sinken.
Bar. Drinks. Schlägerei. Zelle. Dazwischen noch irgendwo Denize und Monn. Ja.
Da war es wieder, das Gefühl, dass man nach manchen Nächten besser nicht aufwachen sollte.

Er drehte den Kopf. Es war dunkel im Quartier. Zu dunkel für – seine Augen brauchten eine Sekunde um sich auf die Entfernung zum gegenüberliegenden Regal scharfzustellen – 9:47. Er hätte damit gerechnet, dass Shawn die Quartierbeleuchtung um diese Zeit bereits auf "Tag" programmiert hatte.
Er richtete sich auf, gähnte und zuckte von dem jähen Schmerz in seinem Kiefer zusammen. Ächzend und stöhnend wie ein altes Weib kämpfte er sich aus den weichen Tiefen der Couch empor und stand auf. Ein kurzer Schwindel und das dringende Bedürfnis, etwas gegen den Geschmack im Mund zu unternehmen.

Seine Klamotten lagen wild auf Boden und Sessel verteilt und gaben der ansonst klinisch aufgeräumten Wohneinheit seines Bruders einen liebenswert anarchistischen Touch. Jack grinste und stellte sich Shawns missbilligendes Gesicht vor, als er heute Nacht heim gekommen war und den schnarchenden Bruder auf der Couch vorgefunden hatte. Dann fiel ihm ein, dass er ohne Shawn die Nacht weit weniger gemütlich verbracht hätte, und das Grinsen verflog.

"Shawn?" rief er zaghaft in Richtung des angrenzernden Raumes. "Kaffee?"
Wann war er wohl nach hause gekommen? Er hatte irgendwas von Nachtschicht gesagt. Jack hatte nichts gehört. Nach der Schlägerei von gestern hatten wohl sämtliche empyrianischen Engel inklusive dem vollständigen Pantheon der Heiligen seinen Schlaf gesegnet...

Er strubbelte seine Haare in das, was er für eine präsentable Form hielt, und machte sich auf den Weg zur Küchenzeile. Kaffee. Guuut.
Als die Maschine zwei Tassen ausgespuckt hatte, sah er nach Shawn und stellte fest, dass seine Koje unberührt war. Jacks Augenbrauen rutschten nach oben. Hatte er eine Doppelschicht eingelegt?
"Na toll, dann hätte ich auch in deinem Bett schafen können", raunzte er und nippte an seinem Kaffee. Wahrscheinlich wollte Shawn ihm aus dem Weg gehen und zog es vor, die Nacht auf seiner geliebten Brücke zu verbringen, ehe ihn sein dämlicher Bruder wieder in Schwierigkeiten brachte. Jack verzog die Lippen und schnaubte verächtlich. Bitte. Wenn er es so haben wollte.
Er leerte den Kaffee, ließ den zweiten Becher auf der Anrichte stehen und packte seine Sachen in den Seesack.
Seine Tasche fehlte, und ihm fiel siedendheiß ein, dass sie, sammt Inhalt, wohl noch in der Sicherheitszentrale lag. Oder bei Shawn. Verflucht.

Nun, es half nichts. Jack warf sich den Seesack über die Schulter und machte sich auf den Weg. Erst mal nach Niz und ihrem einsilbigen Begleiter sehen. Frühstück. Dann ihre Sachen holen. Und dann – seine Miene erhellte sich. Mit einem verschmitzten Grinsen stieg er in den Aufzug und gab das Ziel ein.
Dann Commander Lindsey treffen, ihr das Artefakt verkaufen und auf ihrem Schiff anheuern.

Na, wenn das mal kein Plan war.   

Denize Noy:
Gildenquartiere. Monn und Denize.

„Guten Morgen.“ Denize wiederholte die Geste im Gesicht des Ukar. Das Ritual beruhigte die Nerven, sagte ihr, dass alles in Ordnung war, und brachte sie allmorgendlich zum Grinsen. Erinnerungen an die ersten Missverständnisse. Mittlerweile war sie der Meinung, dass es klüger war, sich die Hand abzubeißen, als überstürzt auf Alienverhalten zu reagieren. 

„Kaffee klingt sehr verlockend, junger Mann. Aber eine Dusche wäre erstmal viel verlockender. Würdest du mir eine Ration Wasser verkaufen?“
Der Kleine nickte geschäftstüchtig. Klar, so machte man sich unter Bazaar-Kindern Freunde.
„Du siehst auch ganz schön fertig aus, Miss.“
-„Danke, das war genau das, was ich hören wollte.“
„Seid ihr Scraver? Ihr seht aus wie welche.“
-„Ja.“
„Cool. Habt ihr schon viele Raumschiffe überfallen?“
-„Das is der Job von Piraten, nicht von Scravern. Wer setzt dir solche Flöhe ins Ohr?“
„Mein Papa. Mein Papa lügt nie.“
-„Lobenswert. Wie heißt du?“
„Roger. Wie Piraten seht ihr auch aus.“
-„Nein. Wir haben keine Waffen. Ich bin Denize Noy.“
„Angenehm. Trotzdem...“
-„Wir haben keine Plappervögel auf der Schulter. Und keine Augenklappen. Wobei...das wär ne richtig gute Idee.“
„Ich kann dir eine verkaufen.“
-„Ne Augenklappe?“
„Japp.“
-„Her damit. Tut scheißweh.Vielleicht beruhigt’s etwas.“
„Scheiße darf man nich sagen.“
-„Bitte vielmals um Verzweiflung.“
„Hä?“
-„Schon gut. Mach das Schott zu, Roger. Ich kann alleine duschen.“

Der Inbegriff eines Bazaar-Görs. Beschwingt sang sie das Lied vom Piratenkönig, während die feinen Düsenstrahlen Dreck und alkoholbedingte Kopfschmerzen davon spülten. Der schmutzstarrende Haufen Kleidung am Boden hatte mit einem Mal etwas Grauenerregendes. 
Neeein. Heute darf es Feiertagskleidung sein.
Fröhlich malte sie sich angesichts ihres verwegen anmutenden Spiegelbildes aus, wie Chief Brad um Gnade winselnd vor ihr kroch, weil er sie für einen ominösen Auftrag von dem lukrativen Job auf Medoc abgezogen hatte. Ja, das klang gut.

Kurze Zeit später lehnte sie lässig im Eingang des Koch-Ess-Wohnzimmers, um sich dem kritischen Blick des Naseweis zu stellen, der dazu übergegangen war, Monn Löcher in den Bauch zu fragen.
„Na, is das repräsentabel?“

Ihr Ersatz- und Kirchgangsoutfit bestand aus einem hochgeschlossenen braunen Gouvernantenkleid, zu dem ein passender langer Umhang und ein breitkrempiger Hut gehörten. Biedere Bürgerinnenkleidung, hergestellt aus  gut isolierendem und schmutzabweisendem Leminlinon. In Verbindung mit der Augenklappe erhielt der ganze Aufzug einen Touch von Abenteuer, der ihr immer daran gefehlt hatte.

Jack Hawkins:
Der Aufzug entließ Jack auf einem mittleren Deck der Arkaden. Nicht die Route, die er geplant hatte, aber eine Laufsschrift im Inneren der Kapsel hatte darauf hingewiesen, dass die unteren Ebenen von Sektor B zur Zeit nur über die Nebenschächte zu erreichen waren.
Also ein kleiner Umweg. Nicht der Rede wert.
Der Kaffee hatte seine Lebensgeister geweckt, und nach ein paar Tabletten gaben auch der schmerzende Kiefer und die Rippen Ruhe.
Es war noch früh, zu früh für das verabredete Treffen im Coffee Garden. Trotzdem – vielleicht waren Niz und Monn schon wach, und er konnte sie ja auch abholen.
Wohlgelaunt schlenderte er in Richtung des Portals von dem ein breiter Korridor in den B-Sektor hinein führte.

Von Fernem bemerkte er, dass sich mehr Menschen als sonst vor den Hauptaufzugsschächten jenseits des Portals drängten. Ein zweiter Schacht war ausgefallen. Jack lenkte seine Schritte zum Rand der Plattform und blickte über das Geländer nach unten, neugierig ob sich die Ursache für den Defekt ausmachen ließ.

Die Ebenen des Handelssektors reihten sich in Ovalen abwärts, wie das Herz eines Bienenstocks, und nicht weniger betriebsam. Im Zentrum schwebten einige Fassadengroße Reklametafeln träge in einem Antigravitationsstrahl, die beeindruckenste natürlich die des Imperiums auf der das strenge Gesicht des Imprators dazu aufrief, sich den Truppen an der Symbiotenfront anzuschließen.
Warme, verbrauchte Luft blies Jack von unten ins Gesicht, wurde von den gewaltigen Venitlationsanlagen hoch über ihm emporgesogen und dem Wiederverwertungsprozess zugeführt. Die bunten Punkte, die wie Ameisen auf den Plattformen hin und her wuselten, wurden überschwemmt von braunen und grauen Punkten – Pilger, die in breiten Bahnen zu oder von den Hangaren her strömten. Ein vertrautes Bild.
Nur weit unten sah er etwas Tumult. Leute von der Stationssicherheit hatten einen Teil der Ebene abgesperrt. Jack zündete sich eine Zigarette an und sah sich die Szene eine Weile an, stieß sich dann aber vom Geländer ab und ging weiter.
Sollte in der Nacht irgend etwas spannendes vorgefallen sein, würde er es spätestens von Shawn erfahren. Er wusste ja immer, was auf seiner Station vor sich ging. Jack zog die Lippen zu einem zynischen Grinsen zurück und trat unter dem Portal hindurch in den B-Korridor.     

Zu Fuß dauerte es länger, als gedacht, aber schließlich erreichte Jack das Schott mit der Quartiersbezeichnung B-84-213 und drückte seine Hand flach auf den Türsummer. Augenblicke später öffnete sich das Schott und das schmale Gesicht von Jennah, der zweitältesten Tochter der Picketts, erschien in der Öffnung – gefolgt von einer wohlriechenden Wolke frisch gebrühten Kaffees.

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

Zur normalen Ansicht wechseln