Autor Thema: [Offen] Inkohärenz in Spielverhalten und System  (Gelesen 6022 mal)

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Offline Fredi der Elch

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Ich will diesen Thread einmal mit einer These beginnen: Inkohärenz ist schlecht.

Und damit niemand sich unnötig aufregen muss, werde ich diese These zunächst etwas weiter erläutern und dann auch einschränken.

Wie ich bereits in mehreren anderen Threads erwähnt habe, ist das Feedback der Spieler untereinander besonders wichtig. Das Feedback, dass der aktive Spieler von den Zuschauern Spielern bekommt, bildet die Basis für den Spielspaß des aktiven Spielers, genau so wie die Art des Inputs des aktiven Spielers die Basis des Spielspaß für die Zuschauer bildet. Da beim Rollenspielen jeder Spieler sowohl die Rolle des aktiven Spielers als auch die des Zuschauers einnimmt, bildet die durch die Interaktion der Spieler entstehende (oder eben nicht entstehende) Feedbackschleife die Basis für den Spielspaß der gesamten Gruppe. (ein paar Threads dazu: [Forge] Creative Agenda – Was ist das?, [Forge] Analyse der CA - praktische Probleme und [Offen] Akteure und Zuschauer im Rollenspiel)

Anderes formuliert wird ein befriedigendes Spielerlebnis dann erreicht, wenn ein aktiver Spieler auf seinem kreativen Input möglichst oft positive Rückmeldung der restlichen Spiele der Gruppe bekommt und umgekehrt ein Spieler als Zuschauer möglichst oft kreativen Input vorgesetzt bekommt, der ihm gefällt (und auf den er dann auch positives Feedback geben kann). Dies liegt einfach daran, dass Menschen im Allgemeinen gerne positives Feedback bekommen. Ein Spiel, bei dem dies oft der Fall ist, wird dementsprechend mit höherer Wahrscheinlichkeit als positiv erlebt werden.

Positives Feedback bedeutet dabei nicht zwingend, dass der kreative Input eines Spielers kommentarlos in den gemeinsamen Vorstellungsraum integriert wird. Bedeutet auch nicht, dass sich kein Widerspruch gegenüber dem Input äußern darf. Es bedeutet allerdings, dass die Ebene auf der der Input stattfindet und die grobe Art des Inputs von den anderen Spielern begrüßt wird. Es geht also um Typen kreativen Input.

Was ist nun Inkohärenz im Spielverhalten? Es gibt zwei Arten von Inkohärenz: Inkohärenz zwischen Spielern und Inkohärenz über eine bestimmte Zeit.

Inkohärenz zwischen Spielern
bedeutet, dass ein Spieler einen bestimmten kreativen Input vorschlägt und dafür negatives Feedback von anderen Spielern erhält. Umgekehrt bedeutet das natürlich auch immer, dass ein Spieler kreativen Input fortgesetzt bekommt, der ihm nicht gefällt. Insgesamt spielen die Spieler bei dieser Form der Inkohärenz aneinander vorbei: sie liefern kreativen Input, der den anderen Spielern nicht gefällt.
Eine weitere Form dieser Art von Inkohärenz besteht dann, wenn sich Untergruppen der gesamten Gruppe bilden und diese Untergruppen sich zwar untereinander den richtigen kreativen Input liefern sich die Untergruppen miteinander aber nicht gut verstehen.

Wenn man die Tatsache bedenkt, dass eine funktionierende Feedbackschleife die Basis für ein positives Spielerlebnis bildet, dann ist Inkohärenz zwischen Spielern grundsätzlich schlecht, denn sie bedeutet, dass sehr oft negatives Feedback geliefert wird.

Inkohärenz über eine bestimmte Zeit bedeutet, dass sich das Feedbackverhalten der Spieler zwischen verschiedenen Zeitpunkten unterscheidet. Das heißt, dass sie zu verschiedenen Zeiten sowohl verschiedene Typen von kreativem Input liefern als auch verschiedene Typen von kreativen Input mit positiver Rückmeldung versehen. Grob gesagt finden die Spieler als Gruppe also mal den einen Typ kreativen in kurz gut und mal einen anderen.

Diese Inkohärenz über eine bestimmte Zeit ist nicht per se schlecht. Solange sich das Feedbackverhalten der Spieler zu einem bestimmten Zeitpunkt untereinander als kompatibel erweist, werden sich die Spieler gegenseitig hauptsächlich positives Feedback geben und damit für ein positives Spielerlebnis sorgen.

Allerdings birgt Inkohärenz über eine bestimmte Zeit auch gewisse Risiken. So ist nicht gewährleistet, dass das Feedback Verhalten der gesamten Gruppe zu einem Zeitpunkt immer zusammen passt. Wenn die Spieler aus irgendeinem Grund zu einem Zeitpunkt unterschiedliche kreative Inputs preferieren oder nicht wissen, welcher kreative Input zu einem Zeitpunkt angemessen ist (also welche in Input sie geben sollen bzw. welche Art von Input sie als positiv bewerten sollen), dann entsteht aus Inkohärenz über eine bestimmte Zeit Inkohärenz zwischen den Spielern. Inkohärenz über eine bestimmte Zeit beinhaltet also immer die Gefahr der Unklarheit und damit die Gefahr von Inkohärenz zwischen den Spielern.

Damit man vermeiden kann, dass die Spieler durch innerhalb einer Sitzung wechselnde Präferenzen oft aneinander vorbei reden, bedarf es deutliche Hinweise für die Spieler welcher kreative Input zu einem bestimmten Zeitpunkt angemessen (also zu geben oder positiv zu beurteilen) ist. Die Spieler brauchen also Hinweise dafür, wann sie sich gewisse Grenzen für den kreativen Input auferlegen sollen.

Eine mögliche Quelle für diese Art von Hinweisen ist das System. Das System kann für alle Spieler verdeutlichen, welche Kategorie von Input im Moment erwünscht ist. Ein Beispiel dafür bietet z.B. D&D: das taktische Kampfsystem inklusive dem Aufstellen von Figuren auf der Karte und Ähnlichem bietet für die Spieler einen starken Hinweisreiz dafür, dass jetzt taktisches Denken und entsprechender kreativer Input gefragt ist. Somit setzt sich bei D&D der Kampf und der dort angemessene kreative Input relativ deutlich vom Rest des Spiels und dem dort angemessenen kreativen Input ab.

Es gibt sicher noch andere Möglichkeiten, den Spielern Hinweisreize für den angemessenen kreativen Input zu liefern, als das System. Allerdings würde ich doch meinen, dass das System einen großen Anteil beim liefern dieser Hinweise haben sollte. Insofern ist dies Überlegung auch ein Plädoyer dafür, dass in Systemen, die eine gewisse Abwechslung in den Typen kreativen Inputs erreichen wollen (und damit automatisch Inkohärenz zwischen verschiedenen Zeitpunkten fördern), deutliche Hinweise dafür enthalten sind, zu welchen Zeitpunkten welche Art kreativen Input zu angemessen ist. Das erleichtert den Spielern den richtigen Input zu geben bzw. ihre Erwartungen an den kreativen Input durch die anderen Spieler anzupassen und so den richtigen kreativen Input mit positivem Feedback zu versehen. Wenn diese Hinweise in System fehlen, also mit dem System zu jedem Zeitpunkt zu ziemlich alles möglich ist, legt man den Spielern die komplette Verantwortung dafür auf, über die Angemessenheit von kreativem Input zu entscheiden. Und wie die Spielpraxis zeigt, geht dies doch des öfteren in die Hose und die Spieler spielen aneinander vorbei, was dann zu einem äußerst unbefriedigenden Spielerlebnis führt. Systeme, die Inkohärenz zwischen verschiedenen Zeitpunkten fördern ohne dabei gleichzeitig Maßnahmen zu ergreifen, die es den Spielern erleichtern den richtigen kreativen Input zu erkennen, sind meiner Meinung nach also schlecht.

Alles in allem ist dies ein weiteres Plädoyer für Systeme, die den Spielern gewisse Grenzen auf verlegen, damit der kreative Input aller Spieler zu einer stabilen positiven Feedbackschleife führt.

Um auf die Ausgangsthese zurückzukommen: Inkohärenz zwischen Spielern ist schlecht. Inkohärenz über die Zeit ist gefährlich. Systeme, die letzteres fördern ohne Gegenmaßnahmen gegen ersteres zu bieten sind ebenfalls schlecht.
« Letzte Änderung: 5.01.2006 | 09:18 von Fredi der Elch »
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Eulenspiegel

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Re: [Offen] Inkohärenz in Spielverhalten und System
« Antwort #1 am: 11.09.2005 | 23:28 »
Das Inkohärenz zwischen Spielern schlecht ist stimmt. Und Inkohärenz in der Zeit kann gefährlich sein. Aber es kann auch einen Nutzen haben.

Wenn man die ganze Zeit über kohärent spielt, macht das sicherlich Spaß, kann aber mit der Zeit langweilig werden. Natürlich kann man sagen, heute spielen wir ein System, dass diesen Spielstil unterstützt und das nächste Mal spielen wir ein System, das einen anderen Spielstil unterstützt.
Aber die meisten Leute, die ich kenne, haben auch während eines Abends keine Lust, einen Spielstil zu 100% zu spielen. Auch innerhalb eines Abends möchten sie, verschiedene Spielstile mischen. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass das nicht unbedingt ein Problem ist. Der Akteur gibt vor, welcher Spielstil momentan dominiert. Und der Zuschauer reagiert dann darauf. Er wird solange auf Spielstil A ein positives Feedback geben, bis dieser zulange ausgespielt wurde. In einer aufeinander eingespielten Gruppe trifft dies aber selten ein, da der Akteur rechtzeitig den Spielstil wechselt.

OK, jetzt so ganz abstrakt hört sich das etwas trocken an. Ich erkläre das gesagte Mal an einem Beispiel:
Spieler wollen eine Höhle stürmen, um die Banditen darin festzunehmen. Aber bevor sie die Höhle stürmen, überlegen sie sich erstmal einen Plan. Die nächste halbe Stunde verbringen die Spieler also damit, sich eine Taktik auszudenken. (Bei einer kohärenten Gruppe macht Pläne schmieden allen Spaß. - Oder niemanden und dann lassen sie das sein.)
Nach einer halben Stunde steht der Plan zwar erst zur Hälfte, aber einem Spieler wird das genug, und sein SC drängt die anderen, endlich anzugreifen und zu improvisieren. (Die anderen Spieler haben langsam auch genug von der Taktik und wollen ebenfalls endlich ein bißchen Action.)
Daraufhin greift man die Banditenhöhle an und es kommt zum Kampf. Nach ein paar Runden hat der SL genug Action und er lässt irgendein Ereignis eintreten, auf das die Spieler reagieren können. (Einer der Banditen ist der Bruder des SCs. Oder der Räuberhauptmann bietet den SCs an, sich die Beute mit ihnen zu teilen, oder oder.)
Jetzt haben die Spieler entweder die Möglichkeit, auf den Stil-Wechsel einzugehen und mit den Banditen in Verhandlungen zu treten oder aber das Ereignis des SLs weiter zu ignorieren und den Kampf (also die Action) fortzusetzen. - Da Spieler und SL in einer kohärenten Gruppe aber auf gleicher Wellenlänge liegen, werden sie meistens auf das Ereignis des SLs eingehen.

Zur Erläuterung, welche verschiedenen Spielstile verwendet wurden: (Leute, die von GNS keine Ahnung haben, können diesen Abschnitt gerne überlesen.)
Ich sehe die Planungsphase als gamistisch an, der Kampf war eher simulationistisch und die Verhandlung zum Schluss narrativisisch. (OK, kommt natürlich darauf an, wie man es spielt, man kann auch in die Planungsphase bereits ein bißchen Sim oder Nar hineinpacken. Aber nach meiner Erfahrung läuft sie größtenteils gamistisch ab. Ebenso kann man die anderen Phasen sicherlich irgendwie anders spielen, aber auch darauf würde sich dann die restliche Gruppe einstellen.)

Mir würde ein System, das einen bestimmten Spielstil erzwingt, nach ein paar Stunden zu langweilig werden. Und deswegen spreche ich mich für Systeme aus, die inkohärenz ermöglichen. (Sie können ruhig Schwerpunktmäßig bei einem Spielstil liegen, sollten die anderen aber nicht verdrängen.)

Offline Lord Verminaard

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Re: [Offen] Inkohärenz in Spielverhalten und System
« Antwort #2 am: 12.09.2005 | 09:33 »
Lasst doch bitte die GNS aus dem Spiel! Eulenspiegel, ich glaube Fredi meinte etwas fundamentaleres als „gerade kämpfen wir, und gleich verhandeln wir“. Das ist noch keine Inkohärenz, sondern das sind einfach nur unterschiedliche Spielsituationen. „Zeitliche“ Inkohärenz tritt dann auf, wenn unterschiedliches Verhalten der Spieler vorliegt. Also: „Heute planen wir zwei Stunden, bevor wir angreifen, morgen stürmen wir einfach mit gezogener Waffe rein.“ Oder: „Heute interessiert es uns, was für Menschen unsere Feinde sind, und morgen wollen wir sie einfach nur totschlagen.“

Das D&D-Beispiel ist nicht deswegen ein gutes Beispiel, weil zwischen Kampf und anderen Situationen unterschieden wird. Sondern deswegen, weil im D&D-Kampf vor allem Regelkenntnis, geschickter Einsatz der Regeln und „Spielen um zu gewinnen“ gefragt ist, während in D&D außerhalb des Kampfes eher Setting-Kenntnis und „richtige“ Darstellung des Charakters erwartet werden.
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Eulenspiegel

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Re: [Offen] Inkohärenz in Spielverhalten und System
« Antwort #3 am: 12.09.2005 | 10:09 »
Aber auch da gilt das gleiche:
Wenn bis jetzt immer vorher geplant wurde und ein Spieler hat eines Tages keine Lust mehr auf Planen, sondern will spontan handeln, dann gibt es 2 Möglichkeiten:
1) Die anderen Spieler sehen das genau so. Dann ist das in Ordnung und trübt nicht den Spielspaß.
2) Die anderen Spieler sehen das nicht so. Dann haben wir eine Inkohärenz zwischen den Spielern. Und das diese schlecht ist, habe ich bereits geschrieben.

Zur zeitlichen Inkohärenz ist aber noch zu Sagen:
Wenn sie sich innerhalb eines Spielabends ändert, so halte ich das für normal. Und ich sehe darin auch keine großen Probleme. (Begründung siehe 1. Post.)

Wenn man aber jeden Spielabend seinen Spielstil ändert (der Spielstil während eines Abends aber gleich bleibt), dann ist es problematisch eine passende Gruppe zu finden:
Nach langem Suchen habe ich endlich eine Gruppe gefunden, die den gleichen Spielstil wie ich hat. Wenn ich am nächsten Abend aber meinen Spielstil wechsele, ist es sehr unwahrscheinlich, dass die anderen Spieler ihren Spielstil ebenfalls gewechselt haben.
Wenn ich meinen Spielstil also häufig ändere, ist die Gefahr groß, dass eine Inkohärenz zwischen Spielern auftritt. Dem könnte man vorbeugen, indem man in mehreren verschiedenen Gruppen spielt. (Wenn man dann Lust auf Action hat, spielt man in der einen und wenn einem eher nach Romantik zumute ist, spielt man in der anderen.)

Alles in allem sehe ich die Inkohärenz zwischen Spielern als ursächliches Problem an. Die Inkohärenz über die Zeit aber nicht unbedingt.

wjassula

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Re: [Offen] Inkohärenz in Spielverhalten und System
« Antwort #4 am: 12.09.2005 | 12:17 »
Hallo Fredi,

du hast Recht und mein ungeteiltes Mitleid  ;).

Davon ab ist das ein Posting zu dem mir nicht viel einfällt. Höchstens noch die Frage nach der Gewichtung von System und anderen Teilen des Regelwerks als Anreiz für einheitlichen Input. Ich denke etwa an "Kill Puppies for Satan" oder (schlag mich) "UA", wo der Ton halt viel die Musik macht. Hm, mir fällt gerade auf, dass egal, was man von UA hält, das aber ein ganz gutes Beispoiel für das ist, was ich meine: Das System liefert nur begrenzt Anreize, einen ganz bestimmten kreativen Input zu liefern, aber die Schreibe bringt es ziemlich genau rüber.

Oder Breaking the ice: Das trägt das Setup viel dazu bei. Zwei Spieler. Die aufeinander angewiesen sind. Und die spielen ein Date. Neulich war im Schwatzforum mit dem F vorne im BtI - Bereich die Frage, ob die Autorin mit Absicht das Charakterblatt so gestaltet hat, dass man sich gemeinsam da drüber beugen muss und womöglich Körperkontakt bekommt.

Geht jetzt alles ein bisschen von deinem Beitrag weg, aber wie gesagt, den fand ich erstmal nur richtig.

Offline Fredi der Elch

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Re: [Offen] Inkohärenz in Spielverhalten und System
« Antwort #5 am: 12.09.2005 | 16:32 »
Das D&D-Beispiel ist nicht deswegen ein gutes Beispiel, weil zwischen Kampf und anderen Situationen unterschieden wird. Sondern deswegen, weil im D&D-Kampf vor allem Regelkenntnis, geschickter Einsatz der Regeln und „Spielen um zu gewinnen“ gefragt ist, während in D&D außerhalb des Kampfes eher Setting-Kenntnis und „richtige“ Darstellung des Charakters erwartet werden.
Genau das meinte ich. Bei D&D wird üblicherweise die korrekte Charakterdarstellung erwartet sowie ein Folgen der Geschichte des Spielleiters. Dabei wird meistens relativ wenig gewürfelt oder sonstwie das System (im Sinne von geschriebenem System) verwendet.
Im Kampf wird dann ein ganz anderer Stil von den Spielern erwartet. Da geht es eher um Regelkenntnis Taktik und Gewinnen. Und die Tatsache, dass der Kampf vorbereitet wird (Miniaturen und so), erinnert alle Spieler daran, dass nun ein anderer Input erwartet wird. So wird zwar zeitlich inkohärentes Spiel gefördert (es findet ein Wechsel des erwünschten kreativen Input zwischen zwei Zeitpunkten Stadt) aber die Kohärenz zwischen den Spielern wird durch diesen deutlichen Hinweisreiz, der ins System eingebaut ist, aufrechterhalten.

Die Tatsache, dass der Kampf bei D&D oft als "Spiel im Spiel" bezeichnet und wahrgenommen wird, mag zwar Gefühls mäßig von vielen Leuten als negativ bewertet werden, bringt meiner Meinung nach aber den Vorteil, dass eben gerade die Kohärenz zwischen den Spielern gewahrt wird.


Und Inkohärenz in der Zeit kann gefährlich sein. Aber es kann auch einen Nutzen haben.
Das will ich nicht bezweifeln. Abwechslung kann durchaus zu größerem Spielspaß führen, wenn alle Spieler an dieser Abwechslung interessiert sind und sie eben nicht zur Inkohärenz zwischen den Spielern führt. Ich persönlich bin kein besonders großer Fan von starken Wechseln im kreativen Input während einer Sitzung, aber das ist wahrscheinlich einfach Geschmackssache.

Außerdem darfst du tatsächliche wie Vermi gesagt hat nicht verschiedene Spiele Inhalte mit verschiedenen Spielstil in im Sinne von verschiedenen Mustern von Feedbackschleifen verwechseln. Ich würde behaupten, dass die verschiedenen Spielstil auf einer Ebene liegen, die deutlich über der Ebene verschiedene Spielinhalte liegt. Will sagen: verschiedene Spiele in halte können durchaus noch zum selben Muster von Feedback gehören und sind somit noch gar nicht zeitlich inkohärent.

Zitat
Da Spieler und SL in einer kohärenten Gruppe aber auf gleicher Wellenlänge liegen, werden sie meistens auf das Ereignis des SLs eingehen.
Und genau hier sehe ich sehr das Problem. Mit dieser daran ins weiße würdest du der Gruppe die gesamte Arbeit für kohärentes Spiel auf. Wenn eine Gruppe kohärent ist, braucht sie natürlich keine zusätzliche Hilfestellung vom System. Allerdings braucht so eine Gruppe, die sowieso so gut zusammen harmoniert, sowie so kein System. (ich würde natürlich behaupten, dass ein System natürlich trotzdem Vorteile bringen kann)
Der Punkt ist, dass es normalerweise ziemlich lange dauert, bis eine Gruppe so weit kohärent ist, dass sie keine weiteren Hinweise benötigt und ohne Probleme bei zeitliche Inkohärenz die Kohärenz zwischen den Spielern aufrecht erhalten kann. Zum einen steckt da also viel Arbeit drin, bis man eine Gruppe erst einmal so weit hat, zum anderen bleibt das Risiko, dass die Gruppe irgendwann doch aneinander vorbei redet, erhalten.

Meiner Meinung nach hat ein System, das zum einen in zeitliche Inkohärenz ermöglicht oder fördert, zum anderen aber die im Kohärenz zwischen den Spielern (die ja wie gesagt durch die zeitliche Inkohärenz gefördert wird) nicht sinnvoll unterbinden kann, sein Ziel verfehlt. Denn dieses System überlässt der Gruppe die komplette Arbeit leistet selber keinen sinnvollen Beitrag zu einem positiven Spielerlebnis (wenigstens im Bereich Kohärenz). Und so ein System kann nicht nur als objektiv unzureichend bezeichnen.

Und weil das Ganze hier ja auch eine gewisse Lobpreisung von kohärenten Minimalsystemen sein soll, jetzt noch eine Beobachtung am Rande:
Auf The Forge liest man oft, dass die Minimalsysteme (im Forge-Stil) auf Cons sehr gut ankommen. Ein paar Leute setzen sich zusammen und finden innerhalb von 10 Minuten genau die harmonische Wellenlänge, die zu einem sehr positiven Spielerlebnis nötig ist. Und dies liegt allein an den Hinweisen und Grenzen, die das System bereitstellt. Die Tatsache, dass das System deutliche Grenzen für den kreativen Input vorgibt und somit deutlich macht, welcher kreative Input erwünscht ist, führt dazu, dass die Gruppe sehr viel schneller ein stabiles Muster einer positiven Feedbackschleife entwickeln kann.

Und genau da liegt meiner Meinung nach die große Stärke von Minimalsystemen: sie reduzieren die Zeit, die eine Gruppe braucht, bis sie sehr erfolgreich miteinander spielen kann. Bei klassischen Systemen braucht man sehr, sehr viele Sitzungen (meist mehrere Monate) bis man sich wirklich gut versteht und gut und sinnvoll auf den Spielstil der anderen Spieler eingehen kann (und oft klappt das nicht mal nach Jahren!). Bei Minimalsystemen fällt durch die Grenzen ein Großteil dieses Aufwands weg und man kann direkt in das positive Feedbackmuster einsteigen.

Also "Yay" für Minmalsysteme!! :D


Ich denke etwa an "Kill Puppies for Satan" oder (schlag mich) "UA", wo der Ton halt viel die Musik macht. Hm, mir fällt gerade auf, dass egal, was man von UA hält, das aber ein ganz gutes Beispoiel für das ist, was ich meine: Das System liefert nur begrenzt Anreize, einen ganz bestimmten kreativen Input zu liefern, aber die Schreibe bringt es ziemlich genau rüber.
Du hast natürlich Recht. Der "Ton" eines Systems ist sicherlich auch sehr wichtig. Er bietet schließlich ebenfalls Hinweise darauf, welcher kreative Input erwartet wird und bringt somit die Gruppe auf eine gemeinsame Linie. Wenn ich "System" sage meine ich auch immer alles: Regeln, Flavortext, direkte Anweisungen und Tipps und so weiter.
« Letzte Änderung: 12.09.2005 | 16:55 von Fredi der Elch »
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Offline Minne

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Re: [Offen] Inkohärenz in Spielverhalten und System
« Antwort #6 am: 12.09.2005 | 16:47 »
Hey, das macht sinn, und enthällt viel von dem, was ich in irgend einer form schon gedacht, aber nie zuende gedacht habe.

Ich glaube, mir wird darüber auch bewusst, wie meine freiform-rollenspiele funktionieren. Ich als Spielleiter schaffe über meine Vorbemerkungen und meine Interaktion mit den Spielern, also über das Feedback, die gemeinsame erwartugnshaltung, und damit die Koherenz. Ich trete im prinzip zunächst als haupt feedback-geber auf.

Im prinzip ist jedes meiner freiform abenteuer für sich gesehen sowas wie ein eigenes minimalsystem.
« Letzte Änderung: 12.09.2005 | 16:59 von Minneyar »

Offline Lord Verminaard

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Re: [Offen] Inkohärenz in Spielverhalten und System
« Antwort #7 am: 12.09.2005 | 17:33 »
Das klassische Beispiel für inkohärentes Systemdesign, das auf der Forge ja immer genannt wird, ist Vampire. Und tatsächlich sieht man dort, dass der „Ton“ eines Regelwerkes, die „Schreibe“, wie Wjassula es so schön nennt, oft relativ wenig Eindruck hinterlässt. Wenn man sich das Regelwerk durchliest, müsste man eigentlich erwarten, in den Vampire-Runden dieser Welt nur innere Konflikte, Sinnkrisen und prickelnde Erotik vorzufinden. Das ist aber bekanntlich nicht der Fall.

Wenn ich lese, wie Vampire auf der Forge zerrissen wird, kriege ich die Krise. Aber hier ist ein Punkt: Das Spiel ist wie Wackelpudding. Es bringt ein interessantes Thema („du bist ein Vampir“) auf und deckt die Spieler dann mit einer Salve von Anreizen ein, die teilweise in sehr unterschiedliche Richtungen gehen.

Da haben wir zum einen die Disziplinen und sonstigen Vampir-Kräfte, die stark Regel-geprägt sind und den Spieler als Regel-Kenner und -Optimierer herausfordern.

Wir haben die Persönlichkeits-Werte (Nature + Demeanor, Virtues, Humanity etc.) und die vielen Flavor-Texte, die tiefes, anspruchsvolles Charakterspiel beschwören.

Wir haben umfangreiche Setting-Informationen, inklusive Splat-Books und Szenario-Bänden, die eine ausführliche Erforschung des Settings inklusive Metaplot nahe legen.

Man sollte in der Tat meinen, dass diese drei Dinge in ziemlichem Gegensatz zueinander stehen. Und so mancher frustrierter Con-Spieler wird sicherlich von Runden zu berichten wissen, die gar grauslig waren. Vampire wird unter diesen Runden überproportional oft vertreten sein. Korrespondierend wird man finden:

Den Spieler, der so stolz auf seinen mega-effektiven Tremere war und die Krise gekriegt hat über dieses Mädchen mit dem männlichen Toreador OHNE CELERITY, der nur auf irgendwelche Partys ging und dort rumflirtete.

Den Spieler, der sich diesen genialen inneren Konflikt zwischen Loyalität und Gerechtigkeitssinn ausgedacht hatte – was seine Mitspieler allerdings überhaupt nicht mitbekamen, da sie viel zu sehr damit beschäftigt waren, über das Schicksal Salubris zu spekulieren und den Spielleiter auf die Fehler in seinem Abenteuer hinzuweisen.

Und dann natürlich den Spieler, der mit seinem Clanbook Nosferatu diesen tollen hintergründigen Charakter entwickelt hatte, um dann gnadenlos unterzugehen, weil er vergessen hatte, den Charakter für den Nahkampf zu optimieren.
   
So weit, so gut. Jetzt kommt das „Aber“: Aber du wirst auch viele Runden finden, die mit Vampire einen riesen Spaß haben, ohne dass einer von diesen drei Aspekten dominiert. In diesen Gruppen wechseln sich die genannten drei Aspekte munter ab oder überschneiden sich sogar. Und es funktioniert wunderbar. Ich hatte mal so eine Gruppe.

Das ist eben die Krux mit der Kohärenz. Sie ist zwar ein ganz nettes Modell, aber in der Praxis überhaupt nicht zwingend. Problematisch wird Inkohärenz nur dann, wenn sie zu unüberwindlichen Widersprüchen führt. Das lässt sich durch kohärentes Systemdesign bis zu einem gewissen Grad vermeiden. Aber damit legt man sich eben auch auf einen ganz bestimmten kreativen Input fest. Dann kann man sich selbst als die „Cutting Edge“ des Rollenspiels feiern, aber das ändert nichts daran, dass die nWoD allein in meinem Spieleladen in Hamburg wahrscheinlich öfter über den Tisch geht als Sorcerer weltweit. Und das ändert auch nichts daran, dass Degenesis 1000 Exemplare in einem Monat verkauft hat, während ich überlege, ob ich 100 Exemplare von BARBAREN! in einem Jahr loswerden kann.

Es gibt Leute, die haben wenig Zeit und Lust, sich umfangreiche neue Settings und komplexe Regelwerke anzueignen. Die haben keine feste Runde, sondern spielen auf Cons und sonstigen Treffen mit den verschiedensten Leuten, oft One-Shots oder sehr kurzlebige Runden. Für diese Leute sind Forge-Spiele sehr geeignet.

Und dann gibt es Leute, die haben ihre Runde zu Hause, die ihren Spielstil bereits gefunden hat und auf jedes Spiel, das sie neu anfängt, implementiert. Die sind es gewohnt und haben auch Zeit und Nerv, sich jede Menge Setting und Regeln reinzuziehen und dann diese neuen Vorgaben auf die altbekannte Art und Weise umzusetzen. Wenn sie dabei an Grenzen stoßen, die das System ihnen setzt, erfinden sie Hausregeln. Wenn sie zu viele Hausregeln brauchen, gefällt ihnen das System nicht. Auf die Idee, sich den Grenzen zu fügen, würden sie nicht kommen. Für solche Leute sind Forge-Spiele wahrscheinlich eher ungeeignet. Für die brauchst du ein dickes Buch, wo viel drinsteht, und schöne Bilder.

Edit: P.S. @ Fredi: Spracherkennungssoftware? Musst du sprechen deutlicher! ;)
« Letzte Änderung: 12.09.2005 | 17:40 von Lord Verminaard »
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Offline Fredi der Elch

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Re: [Offen] Inkohärenz in Spielverhalten und System
« Antwort #8 am: 12.09.2005 | 17:58 »
Das ist eben die Krux mit der Kohärenz. Sie ist zwar ein ganz nettes Modell, aber in der Praxis überhaupt nicht zwingend.
Forge mit ihrer Definition ist mir jetzt erst einmal egal. Mir geht es primär um meine eigene Definition. Und nach der ist Inkohärenz zwischen den Spielern immer (naja fast immer) schlecht. Denn wenn du in 50 Prozent aller Fälle auf deinen kreativen Input die Rückmeldung "so eine Scheiße!" bekommst, wird das Spielerlebnis für dich nicht positiv sein - wenigstens nicht so positiv, wie es sein könnte.

Warum gibt es also doch so viele Spielgruppen, die mit (meiner Meinung nach) inkohärenten Systemen zufrieden sind und gute Spielerlebnisse erzielen?

Dafür gibt es meiner Meinung nach drei Gründe:
1. Wie du schon gesagt hast gibt es Gruppen, die einen gemeinsamen Spielstil entwickelt haben. Diese Gruppen spielen meist schon sehr lange zusammen, kennen sich gut und können dementsprechend ganz ohne die Hilfe eines Systems sinnvoll auf den kreativen Input der anderen Spieler eingehen. Diese Leute haben eventuell ein Muster entwickelt, das über die Zeit inkohärent aber zwischen den Spielern durchaus kohärent ist. In so einem Fall werden die Leute mit dem Spielerlebnis zufrieden sein. Allerdings (wie bereits erwähnt) braucht es dazu viel Zeit, etwas Arbeit und eine eingespielte Gruppe. Hat man das nicht, so wird es nicht funktionieren.
2. Leute können ebenfalls einen Spielstil entwickelt, den unabhängig von ihn auch andere Leute selbst entwickelt haben. Ich würde eben davon ausgehen, dass es nicht so extrem viele unterschiedliche Stile gibt, dass man nicht per Zufall (oder durch gezieltes Suchen) auf einer Con passende Mitspieler findet. So kann man durchaus auch auf einer Con positive Spielerfahrungen mit zeitlicher Inkohärenz haben. Die Chancen dafür sind allerdings leider nicht besonders gut.
3. Leute sind im Allgemeinen sehr oft mit Mittelmaß zufrieden. Ein "gutes" Spielerlebnis muss dabei nicht unbedingt wirklich "gut" und vor allem nicht "das Beste" sein. So gibt es durchaus Spieler, den es schon völlig ausreicht, wenn sie mit Freunden zusammen spielen und das Spiel wenigstens manchmal ein kleines bisschen Spaß macht. So kann ein Prozent von Feedback, bei dem in 50 Prozent der Fälle sehr negatives Feedback gegeben wird bereits als ausreichend "gut" empfunden werden. Dysfunktionale Spielgruppen, die sich aus Gewohnheit oder weil sie es nicht besser kennen mit einer relativ schlechten Spielerlebnis zufrieden geben und dies sogar für gut halten, gibt es sicher in großen Mengen.

Und warum sich ein System, das Charaktertiefe propagiert und Optimierungs-Metzelspaß liefert so gut verkauft ist doch klar: da können sich die Munchkins wunderbar als tiefsinnige Philosophen sehen. Und das ist gut für das Selbstbild. ;D

Zitat
Edit: P.S. @ Fredi: Spracherkennungssoftware? Musst du sprechen deutlicher! ;)
Nee, muss ich lesen nochmal durch! Aber dazu bin ich zu faul. ;D
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Offline Arbo

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Re: [Offen] Inkohärenz in Spielverhalten und System
« Antwort #9 am: 12.09.2005 | 19:12 »
Ich sehe es ähnlich wie Eulenspiegel. Denn einem Verhalten geht ein bestimmtes Bedürfnis bzw. eine Motivation voraus. Und ich bezweifle, dass sich alle Spieler auf ein Bedürfnis konditionieren lassen.

Abgesehen davon ist das etwas, was VOR dem Spiel geklärt wird. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Spieler zusammen spielen können, die so unterschiedliche Interessen/Bedürfnisse haben. Wenn man trotzdem zusammen spielen möchte, müssen Kompromisse gemacht werden. Und genau das lässt sich nicht mit einem „System“ erzwingen. Das ist auch nicht die Aufgabe eines Systems!

Entsprechend wird ein ganz wichtiger Punkt unterschlagen: Rollenspiel besitzt auch ein „soziales“ Element. Denn es wird ja auch um Ideen „gekämpft“. Setze ich mich durch oder nicht? Bin ich jemand, der gut überzeugen kann? Wie gut sind meine Argumente? Diesen verbalen Wettstreit kann es nur geben, wenn auch unterschiedliche Interessen da sind. (Freilich, das Interesse, gemeinsam spielen zu wollen, sollte schon da sein ;) .)

Und dann muss auch mal gesagt werden, dass Konflikte äußerst produktiv sein können. Sowohl für das System, für den Stil (Art und Weise) als auch für die Geschichte, die gespielt wird. Letztlich gilt das auch auf der ganz persönlichen Ebene.

Denn klar, wenn ich ein negatives Feedback bekomme, muss das nicht motivierend sein. Das gilt erst recht, wenn dies oft passiert. Nur ... wer zur Selbstkritik fähig ist, wird dies nutzen, um sich zu fragen, WARUM das Feedback negativ ist. Dafür kann es nämlich verschiedene Gründe geben, bspw. kann es an der eigenen Kommunikation liegen. Entsprechend können Konflikte zu Verbesserungen führen.

Eine homogene Spielmasse mag zwar Konflikte vermeiden, wird aber sehr stark Gefahr laufen, „im eigenen Saft“ zu schwimmen. Ein „Ausbrechen“ wird erschwert, Fehler oder Mängel werden zementiert. Und das kann auch demotivieren. Im gleichen Maße wie Inkohärenz also "schädlich" empfunden werden kann, kann es auch extrem postive Effekte haben.

-gruß,
Arbo

P.S.: Nicht ohne Grund befindet sich übrigens in vielen Regelwerken der Hinweis, dass Regeln „nur Vorschläge“ sind. Man behält sich also vor, ggf. auch mal die Art und Weise des Spiels zu ändern und damit auch auf anderes Spielverhalten eingehen zu können.

P.P.S.: "Inkohärenz" ist nur ein umständlicher Ausdruck dafür, dass Interessenkonflikte vorliegen.
« Letzte Änderung: 12.09.2005 | 19:15 von Arbo Moosberg »
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Re: [Offen] Inkohärenz in Spielverhalten und System
« Antwort #10 am: 20.09.2005 | 18:13 »
Ich habe übrigens gerade endlich mal den ganzen "Bricolage"-Kram auf der Forge aufgearbeitet, und das passt sehr gut ins Thema. Mir ist klar, dass das hier ein offener Thread ist, und ich will bestimmt nicht anfangen, hier Levi-Strauss zu erklären, den ich nicht mal selbst gelesen habe. Aber ich finde das, was ich oben über Vampire geschrieben habe, in den Bricolage-Passagen sehr schön wieder.

Die Idee dabei ist, dass Spieler sich aus einem Sammelsurium von "Dingen" (Techniken, Regeln, Setting-Elementen etc.) durch Modifikation, Erweiterung, Weglassen einzelner Elemente usw. ihre "Maschine" zusammenschneidern. Und dass dieser Prozess weitgehend unbewusst abläuft. Je besser die Gruppe aufeinander eingespielt ist, desto besser funktioniert das.

Die umgekehrte Methode ist diejenige, die von einem abstrakten Blickwinkel kommt, zuerst Ziele definiert und dann Methoden entwickelt, um diese zu erreichen. Die interessante Beobachtung ist, dass letztere Methode letztlich

a) von dem ablenkt, was man eigentlich will, nämlich spielen und

b) nicht notgedrungen schneller zu guten Ergebnissen für eine gegebene Gruppe führt.

Das ist jetzt überhaupt kein Widerspruch zu Fredis "Kohärenz"-Definition. Aber allemal ein interessanter Denkanstoß zu der Frage, was für Schlussfolgerungen man daraus zieht. Denn jedes Modell ist ja ohne Schlussfolgerungen letztlich wertlos.

Die Schule des kohärenten Spiel-Designs geht davon aus, dass der beste Weg, Kohärenz zwischen Spielern zu erreichen, ein Design ist, das das Spiel in ganz bestimmte Bahnen lenkt. Das also der Bricolage gerade Grenzen setzt, damit nicht jeder Beteiligte wie wild an der Maschine herumbastelt, sondern alle verdammt noch mal die Maschine so benutzen, wie es vom Erbauer der Maschine vorgesehen ist. Es kann ja dabei immer noch eine verdammt flexible Maschine sein. Dieses Lied singt Fredi, wenn er im Rollenspieldesign "reduce to the max" vorschlägt oder im Spiel "playing as written". Baue die Maschine so, dass sie das perfekt macht, was sie soll, und sonst nichts. Benutze die Maschine für das, wofür sie gebaut wurde.

Führt das nun zu einer positiven Feedbackschleife? Ja, wenn allen Beteiligten die Maschine gefällt. Und dann auch sehr zuverlässig. Führt es zu einer besseren Feedbackschleife als Bricolage? Weiß nicht.

Bricolage ist eine Sache, die kurz- und langfristig funktioniert, wobei sie wahrscheinlich über lange Sicht eine Konvergenz hin zu einem optimierten Spielerlebnis für alle Beteiligten ermöglichen kann, während ihr Effekt bei einem One-Shot eher begrenzt ist. Sie ist aber nicht auf komplexe Systeme und Settings beschränkt, sondern ein allgemeines Prinzip. Zwar ist es richtig, dass Veränderungen an der Maschine zu ungewollten Nebeneffekten führen können, doch diese "zerbrechen" die Maschine nicht notgedrungen, sondern machen nur weitere Veränderungen erforderlich. Richtig ist, dass manche Maschinen leichter zu zerbrechen sind als andere.

Worauf will der Vermi eigentlich hinaus? Okay, hier sind ein paar provokante Thesen:

1) Ein sogenanntes kohärentes Spiel funktioniert dann, wenn die Vorstellungen der Spieler sich auf dieser Linie in Einklang bringen lassen, sonst nicht.

2) Bricolage funktioniert nicht, wenn die von den Spielern vorgenommenen Änderungen an der "Maschine" sich widersprechen.

3) Wenn Spieler widersprüchliche Änderungen an der Maschine vornehmen, würden sie sich auch nicht auf eine fertige Maschine einigen können, die sie ohne Veränderung benutzen.

4) Daraus folgt: Eine Gruppe, die mit einem kohärenten System Spaß hat, wird auch mit Bricolage einen Weg finden, Spaß zu haben. Womöglich sogar mehr Spaß. Eine Gruppe, die mit Bricolage keinen Weg findet, wird auch durch ein kohärentes System nicht zu heilen sein.


Was bleibt, ist Fredis Zeit-/Anstrengungsargument. Wenn man das System gleich - zack - nehmen und verwenden kann, ohne etwas verändern zu müssen, spart das natürlich Zeit und Nerv. Andererseits ist Bricolage gerade nicht "ich überlege mir vor der Sitzung diese und jene Hausregel, weil mir das System nicht gefällt". Sondern es ist: "Ich löse eine konkrete Situation, die im Spiel auftaucht, so wie sie mir gefällt, statt so wie die Regeln es sagen, und sehe wohin mich das führt." Das ist in der Regel ein Schritt hin zu Kohärenz zwischen Spielern, der allerdings durch ein sehr fokussiertes Design erheblich erschwert wird.

Hat irgendjemand verstanden, was ich sagen will? ;)
« Letzte Änderung: 20.09.2005 | 18:15 von Lord Verminaard »
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Offline 1of3

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Re: [Offen] Inkohärenz in Spielverhalten und System
« Antwort #11 am: 20.09.2005 | 18:21 »
Jup. Und danke, dass du mir erspart hast das Bricolage-Zeug zu lesen.

wjassula

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Re: [Offen] Inkohärenz in Spielverhalten und System
« Antwort #12 am: 21.09.2005 | 12:40 »
Hi Frank,

ich verstehe dich  :). Aber ich weiss auch grob, was Bricolage ist...

Ich schätze, der Grund, im Moment ein bisschen begeisterter von kohärentem Minimaldesign zu sein, ist schlicht, dass Bricolage die althergebrachte Methode ist, die zu viel langweiligem, unfokussiertem Spiel und vermutlich verletzten Gefühlen geführt hat. Es ist denkbar, mit einem bewussten Konzept von Bricolage noch mal anders an die Sache ranzugehen, vor allem, wenn es schon einen fuktionierenden Gruppenvertrag gibt. Sagst du ja selbst schon: gut für längerfristig angelegte Gruppen, die sich untereinander gut verstehen. Aber in solchen Gruppen geht vermutlich auch beides, Einstieg ins Spiel mit kohärenten Design, Anpassung an die eigenen Bedürfnisse mit Bricolage. Ich glaube, wir müssen jetzt nich diskutieren, was "beser" oder " schlechter" in einem absoluten Sinn ist; der Hinweis, was wann vermutlich funktionaler ist reicht ja.