Angeregt durch den Smalltalk-Thread, habe ich mir gedacht, man könnte vielleicht einen Faden eröffnen, in dem Leute, die irgendwelche Erfahrungen mit Linux gemacht haben, schildern, wie diese ausgesehen haben, um denen, die mit dem Gedanken spielen, es auszuprobieren, Anhaltspunkte zu geben, ob sich die Mühe für sie lohnt. Es soll nicht darum gehen, wie man Windows findet oder was an Linux besser oder schlechter ist, sondern ausschließlich darum, wie die Erfahrungen aussehen, ob positiv oder negativ, was beim Umstieg geklappt hat, was man trotzdem vermisst oder warum man nicht mit Linux warm werden konnte. Dabei bitte ich, von Übertreibungen und Vorurteilen abzusehen, damit man sich ein möglichst objektives Bild machen kann.
Und natürlich fange ich einfach mal an.
Ich bin seit 16 Jahren in der IT-Branche, wenn auch mit ständig wechselndem Aufgabengebiet. Bis 2003 war das DOS/Windows only, mit einem kurzen OS/2-Ausflug. Allerdings bekam die Firma, bei der ich um 2002 herum arbeitete, einen Anschluss an eine Standleitung, die von einem Provider im gleichen Haus betreut wurde, und von diesen wurde ein Netzwerkserver auf Mandrake-Basis eingerichtet - keine grafische Oberfläche, nur die Bereitstellung von Online-Diensten und Fileserver. Ich fand das damals recht beeindruckend, wenn auch unglaublich kompliziert, und ich fasste damals den Entschluss, mir Linux privat auch mal näher anzuschauen.
Ich bin kein Spieler; insbesondere interessiere ich mich nicht für grafikintensive 3D-Spiele, mein derzeitiger Rechner kommt mit schnöder SiS-Onboard-Grafik aus. Ich mache allerdings recht gern kreative Sachen (oder habe das zumindest viel gemacht, bevor ich Kinder hatte...) mit Grafikprogrammen (Bitmap, Vektor) und Musikprogrammen wie Music Maker. Dazu kommt Textverarbeitung ohne größere Ansprüche, Online Banking und verschiedenes. Drucker, Scanner, Grafiktablett mussten letztendlich funktionieren, Fotos von der Digitalkamera mussten übertragbar sein und ein USB-Stick für Daten sollte auch funktionieren.
Ursrpünglich hatte der Rechner noch ein gemischtes SCSI / IDE System für Festplatten. Ausprobiert habe ich zuerst Mandrake 8 und 9 mit einigem Erfolg, dann Redhat 7 (ließ sich nicht installieren, war aber zu dem Zeitpunkt auch schon wieder etwas veraltet), dann SuSE 9.0. Dieses System war produktiv, das heißt, ich konnte alles machen, was ich oben erwähnt habe, natürlich in Falle der Software mit nativen Linuxprogrammen, nicht mit Windowsprogrammen, abgesehen von Painter (läuft gut im Wine-Layer, einer Windows-Emulationsschicht) und ein paar kleineren Tools wie Irfanview und StarCalc (eine Planetariumssoftware).
Das Update auf SuSE 9.1 habe ich auch noch mitgemacht, und unter diesem System habe ich den Löwenanteil des Linux-Lernens bewältigt. Ja, manchmal war das frustrierend, und einmal habe ich für ein, zwei Monate die Flinte ins Korn geworfen, aber ich sehe sowas eher als Herausforderung an. Irgendwann habe ich den Punkt erreicht, an dem ich mich nicht mehr auf SuSE-Updates und Software-Repositorien verlassen habe und meine Programme selbst kompiliert habe. Zuletzt (Ende 2005) hatte das System nicht mehr viel Ähnlichkeit mit SuSE 9.1, so dass viele Dinge, die speziell für SuSE ausgelegt waren, nicht mehr funktionierten. Weil dann im Dezember leider die SCSI-Festplatte, auf der das System lag, endgültig den Geist aufgab, habe ich mich um Weihnachten herum an Gentoo Linux herangewagt.
Gentoo ist ein wesentlich kompliziertes System als SuSE oder die anderen, üblicherweise für Einsteiger gedachten Systeme. Wie gesagt, ich liebe die Herausforderung und will relativ genau Bescheid wissen, was vor sich geht. Das heißt nicht, dass ich Quellcodes lesen könnte (oder gar verstehen könnte), aber ich will trotzdem so viel wissen und einstellen können wie möglich. Gentoo kommt allein mit 95 Seiten Installationsdokumentation für das Grundsystem. Ich kann verstehen, wenn das nichts für jeden ist...
Aber es hat wunderbar geklappt, und jetzt habe ich ein System, das wie geölt funktioniert (ca. 2-3x schneller als mein SuSE, das wiederum etwa so schnell war wie das parallel installierte Win 98 SE). Kernels konfigurieren und kompilieren gibt mir nun mal ebenso einen Kick wie anderen ein geschafftes Level in einem Ego Shooter.
So, hier eine kurze Liste, was geht:
- HP PSC 1510 Multifunktionsdrucker: klappt wie ne Eins. Allerdings gibt es kein gescheites OCR-Programm (brauche ich zwar nicht wirklich, aber gelegentlich könnte ich mir vorstellen, eins zu benutzen)
- Digitalkameras von Kodak und Nikon: volle Unterstützung
- Onlinebanking per Software (nicht Browser) und HBCI-Chipkarte im Towitoko-Kartenleser: klappt wie ne Eins, allerdings war für den Towitoko ein wenig Gefrickel nötig. Die Software ist moneyplex, kein Open Source, lag aber SuSE 9.0 und 9.1 bei, Kobil-Leser werden direkt unterstützt. Moneyplex kann in dieser Version im Funktionsumfang nicht mit Star Money, was ich ursprünglich von der Sparkasse bekommen hatte, mithalten, aber für die Verwaltung eines Girokontos reicht es allemal. Moneyplex klappt auch gut unter Gentoo, ist also nicht an SuSE gebunden.
- Grafikbearbeitung: Gimp, Irfanview und Painter (in Wine), Inkscape für Vektoren erfüllen alle meine Anforderungen, und ganz spannend: Xara Xtreme kommt als Open Source, Xara wurde seinerzeit unter Windows mal von Corel angeboten, Funktionen wie Schatten und Transparenz wurden dann in Corel Draw integriert. Hier tut sich was. Beim gimp würde ich mir eine brauchbare CMYK-Unterstützung wünschen, aber für den Hausgebrauch ist das nicht notwendig.
- Das serielle Wacom Grafiktablett klappt ebenfalls gut unter gimp und auch unter Painter, also auch im Wine-Layer. Auch das ist mit etwas Gefrickel verbunden.
- Textverarbeitung: Ich benutze Open Office, obwohl der Funktionsumfang viel größer ist, als ich ihn brauche. Es gibt genügend kleinere Produkte, mit denen ich ebenfalls zurecht käme. Außer dem ziemlich guten Draw-Modul für Vektorgrafik benutze ich die anderen Komponenten nur selten.
- DTP: habe ich schon lange nicht mehr benötigt, aber Scribus sieht sehr komfortabel und leistungsfähig aus.
- Musik: ich hatte länger keine Zeit mehr, mich damit zu beschäftigen, denn ich musste mir erst mal eine Soundkarte mit Synthesizer einbauen (der Onboard-Sound hat keinen). Das habe ich kürzlich gemacht, jetzt werde ich mir demnächst Midi-Programme und andere zu Gemüte führen. Audacity als Wave-Editor ist sehr gut, um gesampelte oder mitgeschnittene Musik zu editieren, k3b brennt jede Art von CD (und vermutlich auch DVD, aber ich habe keinen DVD-Brenner). Shoutcast und Streamripper dienen zum Internet-Radiohören und -Mitschneiden. Xmms spielt so ziemlich alle Mediadateien ab, auch Videos dank Verwendung der Mplayer-Schnittstelle.
- Internet: Firefox als Browser zusammen mit mplayer Plugin kommt mit so ziemlich allen Mediadaten inkl. Windows-Formaten zurecht, allerdings kein DRM, was ich als Feature und nicht als Bug betrachte, weil DRM ... aber ich will ja nicht ranten. E-Mail läuft über Thunderbird. Webseitendesign würde (wenn ich noch dazu käme, aber wozu hat man Familie) über NVU oder vielleicht Quanta Plus laufen. Das ist nicht WYSIWYG wie Dreamweaver, aber trotzdem recht praktikabel.
- USB-Stick, MMC und SD-Karten im Kartenleser: klappen, hatten aber etwas Gefrickel nötig.
- Spielerei: ich habe ein USB-Mikroskop, das über einen Okularaufsatz Fotos von Objekten machen kann, und ich habe es mit Gefrickel (exotische Webcam, ich musste erst mal rausfinden, was überhaupt in dem Okular werkelt) nicht nur zum Laufen gekriegt, sondern die unter Linux erhältliche Software ist sogar noch leistungsfähiger als die beigelegte Windows-Software, da letztere für solche Dinge wie Helligkeit, Kontrast usw. keinerlei Einstellmöglichkeiten bietet. Allerdings habe ich das Mikroskop unter SuSE zuletzt benutzt, unter Gentoo habe ich das noch gar nicht versucht.
So, ich denke, das ist eine ziemlich vollständige Übersicht. Ich kann seit einiger Zeit alles, was ich privat am Computer machen will, unter Linux machen. Ich habe dennoch ein Dual-Boot-System mit Win98SE, weil darunter ein paar Kinderspiele für meine Jungs laufen. Ich habe auch noch ein paar Spiele für mich im Schrank, die ich vielleicht irgendwann noch einmal unter Win98SE installieren werde, wenn ich dafür mehr Zeit und Lust habe. Allerdings würde ich es natürlich erst mal unter Wine probieren...
Nachtrag: mir ist noch was zur Internet-Verbindung eingefallen. Zu Anfang hatte ich eine DSL-Verbindung mit einem Eagle-DSL-Modem am USB-Anschluss. Das habe ich dank eines extra für dieses Modem eingerichteten Forums zum Laufen bekommen, wobei ich damals noch ziemlich unbeleckt war. Die Linux Community im Internet ist nämlich extrem gut und hilft, wenn man seine Fragen vernünftig zu stellen weiß und gelegentlich durchblicken lässt, dass man auch mal in die Dokumentation geschaut hat, auch kompetent weiter. Das soll nicht heißen, dass es solche Communities nicht auch für Windows gäbe, aber es passiert (mir bei meinem Wissensstand) sehr häufig, dass auf ein Windows-Problem nur ratloses Schweigen folgt - weil es eben eine Menge Windows-Probleme gibt, die nicht einfach (oder einfach nicht) zu lösen sind, denn zu guter Letzt weiß man nicht, was unter der Haube los ist. Unter Linux ist mir das bisher nur sehr selten passiert.
Heute habe ich eine Fritz Box als DSL-Router, die klappt sofort auch mit jedem Live-Linux von CD.
Robin