Ich denke, ein zentraler Punkt ist zu erkennen, was sich das System selbst vorgibt zu sein (Spielstil, Core Story, TODOs für die Spieler) und dann zu vergleichen, ob die Regeln dem wirklich gerecht werden.
Verfehlt ein Regelwerk die eigenen Ziele, dann ist dieses objektiv schlecht: es verwirrt die Spieler und weckt falsche Erwartungen, zwingt die Spieler die Regeln zu ignorieren.
Sind die Ziele eines Systems (vor allem bei den Universalspielen anzutreffen) zu ungenau und diffus beschrieben, so ist das auch ein Manko, und als Bewerter kann man nur erraten, welchen Spielstil die Regeln vorgeben. Ich würde sowas aber auch eher als Negativ-Punkt sehen.
Bei Universal-Systemen würde ich erwarten, dass das System eine Methode vorschlägt, wie die Spieler sich auch ohne Vorhandensein eines Default-Stils, -Story, -Hintergrunds auf diese wichtigen Elemente einigen sollen.
Wichtig ist mir, dass das Regelwerk ohne "Goldene Regel" funktionieren muss. Ein Regelwerk sollte ohne vorherige Umbauarbeiten (Regeln ignorieren, verändern, ergänzen) aus der Schachtel spielbar sein.
Ausser passenden Regelmechanismen (Werte, Würfel, Ressourcenströme) erwarte ich desweiteren explizite Anleitungen für Spieler und SL, wo nötig.
Denn ganz schlimm finde ich Spiele, die irgendwie nicht funktionieren, und bei Anfragen beim Autor nur zu hören bekommt: "Komisch, bei mir klappt es, wir spielen seit 20 Jahren so." Der Autor darf solche wichtigen Antworten nicht unterschlagen und sollte das Entwickeln einer Spielanleitung nicht auf den Leser und Anwender abwälzen ("Macht mal wie ihr denkt!").
Zur Verständlichkeit sind Beispiele wichtig. Vor allem aber nicht nur Beispiele für Einzelmechanismen, sondern Beispiele für komplette Situationen, wo man erkennt, wie verschiedene Elemente des Spiels ineinander greifen.
Schwierig zu bewerten werden Dinge, die dann wieder subjektiv sind. z.B. bei dem letzten Fall meiner Rollenspielrunde "Mortal Coil" ist der Konfliktmechanismus zunächst von mir positiv bewertet worden: er ist detailiert, bietet taktische Möglichkeiten, ist gebalanct und es gibt keine ungeklärten Sonderfälle. Doch beim richtigen Spiel bemerkt man, wie langsam der Mechnanismus eigentlich ist, und diese Zähflüssigkeit geht mir subjektiv gegen den Strich.
Wie bewertet man sowas?
Balancing ist wichtig, jeder Spieler sollte seinen gerechten Anteil an den Erzählrechten bekommen und nicht durch eine ungeschickte Wahl zum Looser verdammt werden. Und Powergaming darf die Regeln nicht kaputt machen. Im Gegenteil, wer PG betreibt, muss zwangsläufig das Spiel so spielen, wie es gedacht ist.
Regelwerke, die dafür geschrieben sind, mal eine längere Kampagne zu spielen, in denen sich ein Charakter auch mal weiterentwickelt oder verbessert, sollten diese Langzeit-Effekte berücksichtigen. Ich finde es schlecht, wenn ein Kampagnen-Spiel nach einer gewissen Zeit unmöglich mit den Vorgaben weitergespielt werden kann (z.B. bei DSA, der Übergang von der Low-Fantasy zur High-Fantasy, oder Original-Donjon, wo man in hohen Leveln Horden an d20 würfeln muss).
Auch hier im Charakterentwicklungssystem sollte das Balancing auf lange Sicht weiter funktionieren und dem PG keinen unfairen Vorteil gegenüber dem Spieler geben, der mit weniger Berechnung seinen Charakter verbessert.
Aufgrund von schlechten Erfahrungen (Cheap and Cheesy) würde ich Zufallsmechanismen, die besonders hohe Varianzen aufweisen, als schlecht gemacht bewerten. Die Wahrscheinlichkeiten, die auftreten, sollten einigermassen verlässlich und für den Normalspieler einschätzbar sein. Es killt den Spielspass, wenn man auf dem Blatt einen hohen Wert hat, das System einem auch sagt "das ist ein guter Wert" und dann aber trotzdem häufig versagt.
Das Bild vom eigenen Charakter oder vom Spielgeschehen, das durch die Spielwerte suggestiv vermittelt wird und im Kopf des Spielers entsteht, sollte also nicht zu weit von der Spielrealität entfernt sein.
Sollte das Spiel einen Spieler mit einer Sonderposition vorraussetzen (sprich: Spielleiter), dann erwarte ich einen brauchbaren Anleitungsteil speziell nur für ihn. Vor allem sollte dieser Teil der Regeln ihm Arbeit abnehmen und ihn bei seiner speziellen Aufgabe unterstützen. Pauschale Aufgabenzuteilung wie "Das [insert: <gewaltige Liste von Verantwortung>] macht der SL" oder "Alles was nicht geregelt ist, entscheidet der SL" oder gar "Der SL ist Gott" disqualifizieren mMn ein gutes Regelwerk.
Also Spiele mit stark ungleicher, ungerechter Arbeitsteilung würde ich schlecht bewerten, denn sie setzen vorraus, dass ein Spieler (der SL) weit grössere Opfer (Zeit, Geld etc.) aufbringt als die anderen Spieler, und sie lagern Verantwortung für ein funktionierendes, spassiges Spiel aus den Regeln und Anleitungen hinaus auf eine Person, die u.U. der Aufgabe garnicht gewachsen ist.