So, ich habe Jörg ein Diary zu unserer Reign-Runde am letzten Freitag versprochen. Immerhin war ich so scharf auf das Spiel, dass ich den weiten Weg nach RD auf mich genommen habe, um mit Jörg, Chaos Aptom und zwei weiteren MitspielerInnen zu zocken. Und eins vorweg: Es hat sich gelohnt.
Jörg hatte die Idee von Harald aufgegriffen, Freeport (die Piratenstadt von Green Ronin) und Reign von Greg Stolze zusammen zu bringen. Die Company Rules drängen sich förmlich auf, um Piratenschiffe, Händlerfamilien und alle möglichen anderen Interessengruppen in der Stadt abzubilden. Und das Rest-System lässt sich auch gut draufpfropfen. Wir haben die Magie aus Heluso und Milonda verwendet und gehen davon aus, dass die Stadt irgendwo in der Reign-Welt liegt, aber von den einzelnen Reichen aus dem Regelwerk haben wir bisher noch nichts mitbekommen. Bis auf Weiteres ist es einfach eine Piratenstadt in einer Fantasy-Welt, Punkt. Reicht.
Die Charaktere waren ausgewürfelt. Jörg gab vor, dass wir alle zum Haus Atremie gehören (als richtige Kinder oder als Angestellte), dass vor 10 Jahren durch einen Verrat alles verloren hat und nun bereit ist, es sich zurück zu holen. Ich baute mir aus den Würfelergebnissen einen Charakter, der erst Wachführer auf der „Insel der Unzucht“ war, wo er von seinen dekadenten Herrn unter anderem auch viel über Kunstgeschichte und -gegenstände lernte („squad leader“, „served the decadent rich“, „unusual expertise“), dann von einer fremden Magierin aufgrund eines seltsamen Mals fast ermordet wurde („birth mark“), auf seiner Flucht auf einer einsamen Insel strandete („stranded“), dann unerkannt nach Freeport zurückkehrte und sich dort zunächst als Bettler durchschlug („lowly beggar“), um dann zu einiger Bekanntheit als Barde zu gelangen („travelling bard“).
Jörg eröffnete das Spiel nach einem Blick auf die Karte von Freeport bei Kerzenlicht mit einem ausgespielten/beschriebenen Teil, in dem die Charaktere den alten Gärtner Gilpetto trafen, den Strippenzieher hinter den Machenschaften des Hauses Atremie. Dann war da noch eine Piratenkapitänin, als beste Freibeuterin von Freeport Mitglied des Stadtrates (oder so), die zum Haus gehörte. Und irgendwann tauchte noch die kleine Salva auf, eine Spionin (und vermutlich auch Attentäterin), die seit ihrem siebten Lebensjahr bestimmte Kräuter eingenommen hatte, um ein weiteres Wachstum zu unterbinden – was sie jedoch nicht daran gehindert hatte, gewisse weibliche Attribute zu entwickeln, was später noch wichtig werden sollte.
Die Anfangsphase war das übliche Geplänkel einer neuen Runde, jeder sucht seinen Charakter und den Plot. Jörg hatte als Ziel vorgegeben, dass die Atremies ihr Anwesen zurück erobern wollten, das ein gewisses anderes Haus (Greyard?) ihnen weggenommen hatte. Wie wir das anstellen, blieb uns überlassen. Ich witzelte, dass die NSCs uns eigentlich gar nicht brauchten. Es kam der Vergleich zu Bauern in einem Schachspiel auf, wobei ja auch ein Bauer zu einer Dame werden kann. Das fand ich in Ordnung. Also: Gilpetto & Co. benutzen uns als Bauern, schicken uns vor, um sich nicht die Hände schmutzig zu machen, und wenn wir uns als nützlich erweisen, umso besser.
Wir schossen uns dann schnell auf den ehemaligen Verräter, ebenfalls einen Piratenkapitän, ein. Das Ziel war, die Loyalität seiner Crew zu untergraben, ihn nach und nach zu isolieren und so richtig fertig zu machen. Jörg griff das, und meine Kunstgeschichte-Expertise, auf und gab uns eine Steilvorlage: Dieser Kapitän, dessen Namen ich schändlicher Weise vergessen habe, nahm sich von der Beute gern irgendwelche Statuen und anderen Tand und ließ seinen Männern das Gold. Doch diese Statuen waren in Wirklichkeit viel mehr wert als das ganze Gold zusammen.
Bald schon fanden wir jedoch heraus, dass er selber gar keine Ahnung von Kunst hatte, sondern dass sein Sohn dahinter steckte. Dieser war den schönen Künsten (und, Achtung Klischee, schönen Knaben) zugetan. Doch sein Vater stand zu ihm und versuchte, ihm seine Wünsche zu erfüllen, indem er ihm die ganzen Statuen etc. schenkte, auch wenn er bei Gelegenheit durchblicken ließ, dass ihm ein rechtes Raubein als Sohn doch lieber gewesen wäre. Er schien auch ein guter Kapitän zu sein. An sich kein schlechter Kerl. Was die Frage aufwirft: Warum hat er damals sein Haus verraten? Aber diese Frage werden wir später klären.
Zunächst galt es, seine Crew in Zweifel zu stürzen. Ich verdiente mir den buchstäblichen Applaus meiner Mitspieler, als ich in Verkleidung den trotteligen Kunsthändler mimte, um die Crew mit der Nase drauf zu stoßen. Die Szene auszuspielen, statt nur zu würfeln, war ein echter Gewinn, es hat total Spaß gemacht und war auch eine echte Herausforderung. Hinterher ließ Jörg mich trotzdem würfeln. Wenn der Wurf in die Hose gegangen wäre, hätte mich das schon frustriert. Ging er aber nicht, ich würfelte immerhin zwei 6en. Weniger als die geforderten zwei 7en, die eine ziemlich heftige Schwierigkeit darstellten. Vielleicht etwas hoch, aber darüber kann man geteilter Meinung sein und wir alle lernen ja das System erst kennen.
Genauso cool war die vorherige Szene, in der die kleine Salva mich schminkte und herrichtete und sich mit mir schlagfertige Wortgefechte lieferte. Ich hatte beschlossen, dass mein Charakter (Ricardo) ein ziemlich abgefuckter, zynischer Kerl war. Kein fröhlicher Barde, sondern ein Typ mit bösen Liedern und bösen Scherzen. Wenig, das ihm etwas bedeutet, daher wenig, das er fürchtet. Getrieben von Rachsucht. So halt.
Salva war ebenfalls ganz schön zynisch drauf. Hatte ja auch kein tolles Schicksal, im Verborgenen lebend bzw. als Kind maskiert durch die Gegend laufend, aber doch eine erwachsene Frau, usw. Sie verpasste mir dann am Ende des Gespräches den zweiten Schlag in die Weichteile, nachdem ich sie dazu provoziert hatte. Auch hier: Ausspielen ist einfach schöner. Ist ja schön und gut zu sagen: „Ich baue jetzt eine Beziehung zu Salva auf.“ Aber hier war es gar nicht so geplant, Jörg hat mir einfach den Ball zugeworfen und ich habe ihn aufgefangen, und es entwickelte sich halt im Spiel.
Der Charakter einer Mitspielerin diente ebenfalls den dekadenten Reichen, in diesem Fall einem äußerst arroganten und affektierten (von Jörg perfekt verkörperten) Händler namens Umbra(?). Dieser gab ein großes Fest vor seiner Abreise in seine Winterresidenz. Wir wollten ihn für unsere Pläne einspannen, ich hatte einen neuen Auftritt als „Kunsthändler“ und begegnete dabei dummerweise der fiesen Magierin, die mich seinerzeit hatte töten wollen wegen meiner „birth mark“. Diese stellte sich als intrigante Schlange und schamloses Sex-Luder heraus. (Jörg hat nicht mit schamlosen versauten Frauen gegeizt.
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Die anderen Charaktere hatten auch ihre Szenen, aber die schreibe ich jetzt nicht alle auf, dann werde ich ja nie fertig. Alles kulminierte zum Höhepunkt der Spielsitzung in dem bombastischen Fest des Herrn Umbra nebst Orgie (recht explizit beschrieben), und dann gab es auch noch einen Kampf (mit dem ersten Maat unseres Verräter-Kapitäns, der mich als Schwindler erkannt hatte). Ich bekam zwei Treffer ab, gar nicht ohne, das. System ist gritty. Mag ich. Chaos Aptoms Kampfsau-Charakter prügelte den Maat dann vor sich her, ich floh ins Lotos-Zelt, schnappte mir eine Kohle-Pfanne – und würfelte mit vier Würfeln vier 7en. Aua. Der Maat war gegrillt. Ein total bekiffter reicher Sack dachte, das sei eine kulinarische Spezialität, und bediente sich. Very Melnibonéan.
Wir verließen dann die Feier etwas eiliger und beendeten die Spielsitzung.
Reine Spielzeit waren ca. 4 Stunden. In der Zeit haben wir richtig Plot geschafft und trotzdem viele Szenen ausgespielt. Mit der richtigen Schnitttechnik kein Problem. Das Bild der Spielwelt vor meinen Augen war richtig lebhaft, natürlich begünstigt dadurch, dass es sich um mein Leib- und Magengenre handelte: Richtig brutal dreckige Fantasy, mit jeder Menge Sex und moralischen Grauzonen.
Jörg hat den Plot aus seinen und unseren Ideen geflochten. Er gab uns Steilpässe, statt uns Steine in den Weg zu legen. Manche Spieler hätten es vielleicht „zu leicht“ gefunden, aber ich fand das gut, denn so konnten wir richtig vorankommen und sogar schon in so was wie Charakterentwicklung einsteigen. Erwähnte ich, dass ich natürlich noch die kleine Salva flachgelegt habe?
Um auch was kritisches zu sagen: Ich glaube, die Werte, die Jörg für unsere Company (Haus Atremie) gewählt hat, sind zu niedrig für die Organisation, die er uns tatsächlich beschrieben hat. Er steht halt auf perfekt ausgerüstete und durchorganisierte Truppen, der Jörg. Mir soll’s recht sein. Rauf mit den Werten!
(Denen der Gegner natürlich auch.)
Schlusswort: Auf der Fahrt von der Arbeit nach RD war ich am Gähnen. Auf der Rückfahrt war ich hellwach. Das sagt eigentlich alles. Das war mal echt ne geile Runde!