Erstmal müssen wir unterscheiden: Die Auswirkungen sind negativ für die Charaktere. Aber sind die Auswirkungen auch negativ für die Spieler?
Du vielleicht, ich nicht.
Du unterscheidest nicht zwischen Spielerschaden und Charakterschaden?
Wenn deinem Charakter etwas schlimmes zustößt, bist du als Spieler sofort persönlich verärgert?
Und wenn dir als Spieler etwas sauer aufstößt, dann bedeutet dass, dass auch deinem Char etwas Schlimmes passiert ist?
Dann bist du damit ziemlich alleine. Die meisten Gruppen, die ich kenne (und in denen ich spiele), trennen zwischen Spieler und Charakter.
Einfach gesagt, wer mit mir spielt, spielt ehrlich (das bedeutet: Man nimmt die Würfel wie sie fallen) oder nicht.
Und warum?
Welchen Vorteil versprichst du dir davon? Wieso willst du die anderen Spieler bevormunden und ihnen vorschreiben, wie sie zu spielen haben?
Nein. Eben nicht. Denn das Ergebnis ist nicht zentraler Inhalt des Spiels. Dann kann man auch gemeinsam eine Kurzgeschichte lesen. Inhalt des Spiels (nein, nicht nur des Spiels, sondern sogar von Spielen allgemein, vom Puppenspiel über Mensch-ärgere-dich-nicht über Fußball bis zum Rollenspiel) ist das Erreichen des Ergebnisses, der Weg, kurz das Spiel. Die Verhandlung über einen fiktiven Inhalt.
Also man muss zwischen Spielen unterscheiden, wo man gegeneinander kämpft und wo das Ziel ist zu gewinnen. Und da muss man wider zwischen Glücksspielen (z.B. Mensch-ärger-dich-nicht), Strategiespielen (z.B. Schach) und Hybriden (z.B. Poker, Doppelkopf oder minimal bei Might&Magic) unterscheiden. (Sport habe ich mal komplett außen vor gelassen, da hier imho die körperliche Aktivität im Vordergrund steht.)
Und dann gibt es Spiele, wo man nicht gegeneinander kämpft, sondern zusammen etwas erreichen will. (z.B. die meisten Rollenspiele und einige wenige Brettspiele wie z.B. HeroQuest oder StarQuest)
a) Bei reinen Glücksspielen kann ich nicht viel mitreden. Da gebe ich offen zu, dass ich nie verstanden habe, wieso Leuten diese Form des Spielens Spaß macht. Um diese Spiele mach ich immer einen großen Bogen. (Aber wenn mir irgend jemand den Spielspaß solche Spiele näher bringen würde,würde ich es evtl. mal spielen.)
b) Bei Hybriden sorgt der Zufallsfaktor für zwei Sachen:
1) Man hat unterschiedliche Anfangsbedingungen und startet nicht immer mit der gleichen Konfiguration. Dies kann man aber auch durch eine kleine Regelverkomplizierung umgehen. (Beim Pokern zum Beispiel: Jeder Spieler darf sich eine Kombination aus einem Pokerdeck selbst zusammensuchen. - Dabei gibt es gewisse Regeln: zum Beispiel darfst du in einem Spiel keine Karten doppelt verwenden. Und du musst ähnlich wie beim TableTop gewisse Punkte bezahlen, um diese Karten zu bekommen.
2) Damit man nicht über komplette Informationen verfügt. (Aber dies kann man ja auch dadurch umgehen, dass man sich wie bei Stratego seine Startposition heimlich wählt und es auch einige andere heimliche Züge gibt.)
c) Bei Strategiespielen gibt es kein Zufallselement. (Und bei Sportspielen in der Regel auch nicht.)
d) Bei Nichtkombatativen Spielen (z.B. den meisten RPGs) geht es nicht darum, gegen den Mitspieler zu gewinnen, sondern durchaus darum:
- Bei Simulationisten, eine spannende Story zu erleben und sich in seinen Char hineinzuversetzen. (Hier sind zuviele Überlegungen auf der Regelebene sogar eher hinderlich.)
- Bei Gamisten, eine Herausforderung zu meistern. (Doch das RPG bezieht imho seine Faszination daraus, dass man ingame versucht, die Herausforderung zu meistern und die Herausforderung nicht unbedingt auf die Regelebene trägt.
- Bei Narrativisten, moralische Entscheidungen zu treffen. (Dafür sind Zufallselemente auch nicht notwendig. Man kann hier die Willkür des Würfels ohne Probleme durch die Willkür des SLs ersetzen.)
Diese Verhandlung gehört zu der von mir genannten Spielsphäre (daher Spiel- und nicht Ergebnissphäre), die in die der anderen eingreift. Durch Schummeln, also durch Bruch des heimlichen Verhandlungsweges, habe ich in die Spielfreiheit des anderen eingegriffen.
Nein. Der andere kann noch immer genau das tun, was er will. Er wäre doch auch sonst durch den Würfel eingeschränkt gewesen.
Es ist ja nicht so, dass der Spieler 2 plötzlich eine Aktion sinnloserweise gemacht hat, dadurch, dass ich geschummelt habe. Und es ist auch nichts so, dass der Spieler plötzlich etwas nicht tun kann, nur weil ich geschummelt habe.
Auch auf der Spielebene schränke ich den anderen Spieler kein bisschen ein. (Man könnte sagen, der andere Spieler schränkt mich ein, indem er mir das Schummeln verbieten will.)
Diesen Freiheitskonflikt gibt es immer. Daher wird gemeinsam ausgehandelt, wie er zu behandeln ist (=Spielregeln). Da es ausgehandelt ist und die Spieler verhandlungsfrei sind, bleibt die Freiheit gewahrt. Das ist nicht mehr der Fall, wenn ich mich nicht mehr an die Aushandlung halte. Dadurch verletze ich die Freiheit der anderen.
OK, dann stoppen wir also das Spiel und ich sage:
"So, ich bin dafür, dass ich (und auch jeder andere, der es will) seinen Würfel drehen kann. Irgendwelche Einwände?"
Von mir aus, kann ich diese Frage auch am Anfang des Spieles stellen, bevor das Spiel auch überhaupt gestartet hat.
Hättest du irgendwelche Einwände? Und wenn ja: mit welcher Begründung wärst du dagegen, dass die Spielregeln um diese spezielle Regel erweitert werden?
Den Disclaimer lass ich übrigens nicht gelten Wenn man Würfeldrehen allein als Schummelei begreift, muss man erstmal einen Unterschied zwischen Würfeldrehen und anderen Arten des Schummels definieren.
Nein. Ich sehe durchaus ein, dass es auch andere Arten von Schummeln gibt. Auf diese anderen Schummelarten gehe ich aber nicht ein. Da mag ich mit dir evtl durchaus konform gehen.
Mir geht es nur um "Würfel drehen". Falls du "offizielles Würfel drehen" ist keine Schummelei siehst, dann ist das ja in Ordnung. Dann sehen wir "offizielles Würfel drehen" sogar ziemlich ähnlich.
Aber ich habe in vielen Spielgruppen die Erfahrung gemacht, dass Würfel drehen eben immer als Schummelei aufgefasst wird, egal, ob man das jetzt offiziell oder inoffiziell machen will.
"a) Ich ziehe kein Full House und lege es auch nicht auf den Tisch; b) Ich ziehe kein Full House, schüttle mir eins aus dem Ärmel und lege daher trotzdem eins auf den Tisch; c) Ich ziehe ein Full House und lege es auf den Tisch. Näher beieinander sind b) und c)... "
Akzeptierst Du das wirklich?
1) Ja, für mich ist es egal, ob der andere jetzt durch Zufall oder durch gutes Schummeln ein gutes Blatt auf der Hand hat. - Ich würde den Falschspieler sogar mehr Achtung entgegenbringen als dem Gustav Gans Spieler. (Denn der Falschspieler hat ja eine Leistung erbracht, so es niemand bemerkt hat. - Der Gustav Gans Spieler hat im Prinzip überhaupt nichts geschafft.)
Aber man kann wiegesagt auch andere Regeln einführen, um das Zufallselement beim Pokern durch ein taktisches Element zu ersetzen.
Also nimm's mir nicht übel, wenn ich mit Dir niemals "Mensch-ärgere-dich-nicht" spielen werde
Ach, iwoh. Wiegesagt finde ich Mensch-ärgere-dich-nicht super langweilig und würde es sowieso nie spielen wollen. (Das letzte mal musste ich das auf dem Kundergeburtstag meines Neffen spielen und wäre fast eingeschlafen dabei, so langweilig war es.)
Wenn dem so wäre, dann wäre im Rollenspiel doch nur das Resultat entscheident, und dann könnte der Spielleiter die Spieler 8 mal würfel lassen, verkünden: "Also, Ihr habt heute einen Drachen getötet, eine Prinzessin befreit, den Ursupator gestürzt und fette Beute gemacht! Bis nächste Woche!" und alle würden zufrieden und glücklich nach Hause gehen, da das Resultat zufriedenstellend war.
Nein. Du hast den Fehler gemacht und die Story weggelassen. Aber anstatt die Story hättest du die Würfel weglassen können.
Also anstatt:
keine Story, aber 8mal würfeln --> Resultat
sollte man lieber folgendes machen
keine Würfel, aber spannende Story --> Resultat
Rollenspiel macht aber zwei Dinge zum Hauptinhalt: Das Erlebnis und die Gestaltungsmöglichkeit
Soweit stimme ich dir zu. Das Problem ist jetzt: Die Würfel klauen mir die Gestaltungsmöglichkeit: Plötzlich habe nicht mehr ich selber, sondern meine Würfel die Gestaltungsmöglichkeit in den Händen.
Bei der Gestaltungsmöglichkeit in der Handlung ist es aber auch von entscheidender Bedeutung, dass die Charaktere Grenzen in ihren Möglichkeiten haben. Bricht einer die Spielregeln (durch Schummelei) dehnt er seine Gestaltungsmöglichkeiten aus.
Und diese Ausdehnung geschieht auf Kosten der Gestaltungsmöglichkeiten Mitspieler.
Der erste Satz ist Ansichtssache. Man kann so oder so spielen, es ist beides möglich.
Dem zweiten Satz stimme ich prinzipiell zu.
Dem dritten Satz muss ich aber widersprechen: Dehne ich meine Gestaltungsmöglichkeiten durch "Würfel drehen" aus, so geschieht dies auf auf Kosten der Gestaltungsmöglichkeiten des Würfels. Meine Mitspieler waren davon nie betroffen. Sie hatten nie die Möglichkeit, in die Gestaltung einzugreifen. Die Frage ist hier nur: "Bestimme ich oder bestimmt der Würfel, wie hier etwas gestaltet wird?" Die anderen Spieler können es aber in keinen der beiden Fälle bestimmen.
Im optimalsten Fall haben alle Spieler Charaktere mit vergleichbarer Kompetenz und dabei besitzt noch jeder Charakter ein besonderes Fachgebiet, wo er gefragt ist. Dadurch haben alle ungefähr die gleichen Gestaltungsräume innerhalb des Spiels.
Dehnt jetzt ein Spieler seine Gestaltungsmöglichkeiten aus, werden die der anderen eingeschränkt.
1) Jain. Es kommt darauf an, wie der Spieler seine Gestaltungsmöglichkeiten ausdehnt: Dehnt er seine Gestaltungsmöglichkeiten auf ein Fachgebiet eines Mitspielers aus, so wird unter Umständen dessen Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt. (Was auch nicht notwendigerweise sein muss. Nur wenn man seinen eigenen Spieler kompetenter als den Spezialisten der Gruppe anlegt, ist das der fall. Legt man ihn jedoch nur mittelmäßig kompetent an, so unterstützt er den Spezialisten evtl. sogar in seinen Aktionen und eine Ausweitung meines Gestaltungsraumes führt dazu, dass auch die Gestaltungsmöglichkeiten des Spezialisten ausgeweitet wird.)
Wenn man seinen Gesaltungsmöglichkeiten jedoch in seinem eigenen Spezialgebiet vergrößert, so schränkt man niemanden dadurch ein.
2) Würfelglück oder -pech können ebenfalls die Gestaltungsmöglichkeiten eines Spieler vergrößern oder verkleinern. Wieso stellt das auf einmal kein Problem da?
Nehmen wir im extremsten Fall an, dass ein Spielercharakter plötzlich alles könnte, dann wären die anderen Charaktere plötzlich überflüssig und deren Spieler hätten überhaupt keine Gestaltungsmöglichkeiten.
Zustimmung.
Und jetzt stelle dir mal vor, dass ein Spieler plötzlich saugutes ehrliches Würfelglück hat und nur lauter Einsen würfelt. (Sehr unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.) Dann könnte sein Charakter im Endeffekt auch alles und die anderen Spieler wären irgendwie überflüssig.
Dementsprechend ist das Schummeln durchaus kontraproduktiv - denn es beschneidet den Mitspieler durchaus in seinen Optionen auf das Geschehen einzuwirken.
Wie ich schon schrieb: Es gibt Formen des Schummelns, die sind durchaus kontraproduktiv. Und ich heiße auch nicht alle Formen des Schummelns gut.
Es geht mir hier nur um Methoden, die den Zufall eliminieren. (Und die von vielen Spielern als "Schummeln" bezeichnet werden, obwohl ich persönlich den Ausdruck "Würfel drehen" oder "Zufallselimination" bevorzugen würde.)
Wenn du sagst, "Würfel drehen und Zufallselimination ist kein Schummeln.": Hervorragend. Dann sind wir einer Meinung. Aber ich habe halt die Erfahrung gemacht, dass viele Spieler das anders sehen.
Auf der anderen Seite steht das Erlebnis - welches möglichst interessant sein soll.
Das wird es aber nur, wenn das Erlebnis zunächst einmal ergebnisoffen und auch mit einem gewissen Verlustrisiko behaftet ist.
1) Wir haben zwei Spieler. Dich und mich.
Für dich wird das Erlebnis spannend, wenn es ergebnisoffen und mit einem gewissen Verlustrisiko behaftet ist.
Angenommen, ich ziehe meinen Spielspaß aus anderen Quellen. (z.B. gute Taktik, Immersion etc.) und verzichte daher auf ein Zufallselement bei meinen Charakterhandlungen:
Dann ist das Erlebnis für dich trotzdem noch Ergebnisoffen und mit einem Verlustrisiko behaftet, da du nicht weißt, wie ich mich verhalte.
Das heißt, du erhältst deinen Spielspaß, weil es für dich ergebnisoffen ist und ich erhalte meinen Spielspaß, weil es für mich nicht ergebnisoffen ist.
Das gleiche ist mit dem Verlustrisiko: Du kannst dich freuen, weil du dein Verlustrisiko hast und ich kann mich freuen, weil ich kein Verlustrisiko habe:
Wir haben also eine win-win Situation.
2) Schach oder Go kommt zum Beispiel komplett ohne Zufallselement aus und trotzdem ist das Spiel extrem ergebnisoffen. (Und auch ein Verlustrisiko kann man für die Leute, die es haben wollen einbauen, ohne dass man dafür auf ein Zufallselement zurückgreifen muss.)
Schummeln ist also keineswegs "victimless crime". Der Gedanke ist sehr kurzsichtig gedacht.
Wiegesagt: Es kommt halt auf die Art des Schummelns an:
Es gibt Schummelarten, da gibt es ein Opfer und es gibt Schummelarten, da gibt es kein Opfer.
(Und bevor jetzt das Argument wieder kommt: "Das wäre auch passiert, wenn mein Wurf geklappt hätte" - Hier verweise ich auf meine letzten drei Beiträge ).
Und ich verweise auf meinen letzten Beitrag, um zu sagen: "Das wäre auch passiert, wenn mein Wurf geklappt hätte."
Wenn einer nicht mit dem Würfelergebnis leben kann, soll er nicht würfeln.
--> Kindergarten.
Also wenn ich mal Mensch-ärgere-dich-nicht mit Schach vergleiche, dann komme ich zu dem Ergebnis:
Wenn er nicht würfeln will:
--> Schach
--> Erwachsenenspiel.
Wenn er unbedingt Würfel braucht:
--> Mensch-ärgere-dich-nicht
--> Kindergarten
Und genau so sehe ich es auch beim Rollenspiel.