Hallo,
heute habe ich in meiner Mittagspause kurz Gelegenheit dazu gehabt, mir in der neuesten (und offiziell "letzten") Ausgabe des ENVOYER (Nr. 12/2008) den Artikel über den Niedergang des Rollenspielhobbys von Frank Heller durchzulesen.
Ich wollte hier nun mal interessehalber in die Runde hineinfragen, was ihr so von Hellers Meinungen in diesem Artikel haltet.
Gerade nach den ersten zwei, drei Seiten dieses Artikels müsste man eigentlich ähnlich wie der Verfasser (und andere Autorem auch) zu dem Schluss gelangen, das
Pen & Paper Hobby läge unweigerlich in den letzten Zügen, alles werde immer schlimmer und immer schlechter und...
überhaupt sterben wir alten Pen & Paper Rollenspieler ja aus.Hier noch einmal für alle die wesentlichen Punkte aus dem Artikel von Frank Heller:
- Die Rollenspielerszene ist insgesamt eine winzig kleine Welt: Nach Hellers Ausführungen gibt es nur eine niedrige fünfstellige Zahl von richtigen P&P-Rollenspielern in ganz Deutschland, sagen wir mal 20.000 oder 30.000 (?). Wörtlich steht in dem Text, "es würde mich wundern, wenn es mehr als ein paar zehntausend wären". Die richtig aktive Fan-Szene, die auf Cons geht, im Internet postet, usw., beschränkt sich dagegen auf wenige hundert Personen. Angeblich sieht man, laut Heller, "immer nur die gleichen Gesichter" auf Cons.
- Die Rollenspielerszene, einschließlich DSA, ist schon lange nicht mehr "Mainstream": RPGs sind aus den regulären Spielwarengeschäften verschwunden, seitdem Schmidt Spiele sie nicht mehr unterstützt. Demzufolge entdeckt fast niemand mehr ein RPG einfach so durch Zufall...
Auch sind die tollsten und engagiertesten Erzeugnisse im Rollenspiel-Journalismus von vornherein sehr inzestuös: Rollenspiel-lastige Magazine werden nur von Leuten gelesen, die ohnehin schon Rollenspieler sind (und zwar eingefleischte Rollenspieler, die oft schon seit Jahren im Hobby sind). Ebenso werden Rollenspiel-Websites (wahrscheinlich auch dieses Forum) nur von Leuten frequentiert, die ohnehin schon Rollenspieler sind... und auf Fan-Treffen gehen dann Leute, die ohnehin... na ja, das wisst ihr ja schon.
Im Übrigen werden natürlich auch alle Indie- und Kleinverlags-Rollenspiele von Personen produziert, die selber passionierte Hobbyspieler sind und auch nie ernsthaft vor hatten, ganz von Rollenspielen zu leben oder eine Firma allein auf RPGs aufzubauen. Also auch wieder eine "inbreeding" Situation, wenn man es genau nimmt.
- Ähnlich wie es um 1994/95 einen deutlichen "Knick" durch das Aufkommen von Magic: The Gathering gab, gab es 2005 einen World of Warcraft-Knick in den Verkaufszahlen der RPGs: Online-Rollenspiele wachsen immer weiter, die Verkäufe von Pen & Paper gehen immer weiter zurück. Wenn jemand heute in ein Fantasy-bezogenes Hobby einsteigen möchte, greift er oder sie nach aller Wahrscheinlichkeit gleich zu WoW!
- Die jungen Kids und auch erfahrenere Spieler wollen MMORPGs online spielen, gerade weil man wesentlich schneller mitten im Spiel ist als bei einem herlömmlichen Pen & Paper. Die üblichen Argumente werden aufgelistet: nicht erst riesige Regelbücher kaufen und durchlesen, keine jahrelange Arbeit, um sich mit der Spielwelt vertraut zu machen, man hat sofort einen spielbereiten Charakter, man braucht keinen Spielleiter und keine festen Zeitfenster zum Spielen, und es gibt eine lebendige und weltweit aktive Fan-Community, etc. Wieso dann überhaupt (noch) Pen & Paper spielen?
- Viel schlimmer noch als die Tatsache, dass die jüngere Generation halt WoW spielt, ist wohl, dass die ALTEN Gamer jetzt quasi auf WoW (oder auf ein anderes MMORPG) umsteigen: Die Zeit, die man in das Online-Hobby steckt, fehlt dann eben für das P&P-Hobby; das Geld, das man ansonsten vielleicht in Pen & Paper investiert hätte, fließt jetzt auch in Online-Sachen. Um mal eine persönliche Anmerkung machen zu dürfen: Ich habe einen guten Bekannten, Ex-Rollenspieler, der zu Hause ständig vor der PS2-Konsole sitzt oder Computer-Kram zockt, und er hat auch nie Zeit, zu seinem alten Rollenspiel-Hobby zurückzufinden. Bekannteste Ausrede, "Das kostet doch bloß alles so viel Zeit..."
- Die Rollenspielszene macht sich selbst immer mehr Konkurrenz. Es gibt eigentlich "zu viele" Verlage mit zu vielen verschiedenen neuen Produkten. Wer jetzt ein neues RPG herausbringt, macht praktisch den älteren etablierten Verlagen das Geschäft kaputt... weil es nur so wenige Rollenspieler gibt, und was der Rollenspieler eben für das eine Spiel ausgibt, kann er parallel nicht auch noch für ein anderes Spiel ausgeben. Oder wie Heller es suggeriert: Veröffentliche ich hier und heute ein neues Indie-Rollenspiel, mache ich die Situation für das P&P-Hobby insgesamt eigentlich nur schlimmer anstatt besser und sorge dafür, dass die Umsatzzahlen insgesamt gerechnet noch weiter sinken.
Na ja, fürs erste werde ich die Schwarzseherei hier nicht weiter ausbreiten. Ich wollte eigentlich nur erzählen, was in dem Artikel steht.
Richtig interessant finde ich an der allerletzten Envoyer-Ausgabe übrigens etwas Anderes: Da kann ich auch nicht sagen, das Magazin hätte mich im letzten Jahr seines Bestehens nicht noch mal überrascht. André "Lodland" Wiesler hat ein eigenes Abenteuer verfasst, und das ist außerdem für das über 17 Jahre alte Spiel "TORG - The Possibility Wars" aus den Früh-90ern. Passt zu keinem gegenwärtigen Trend, keinem Film, keiner Modewelle, noch nicht mal einer besonders angesagten Spielwelt. Zudem ist es endlich mal ein Kurzabenteuer, das im Envoyer auf deutlich weniger als 20 Seiten passt. Und ich werde es bei nächster Gelegenheit gern lesen!