Also, leider bin ich mir nicht ganz sicher, ob das, was ich jetzt schreibe, die passende Antwort auf Deine Frage ist.
Zuerstmal, um mich zu outen, ich bin im Moment ein 4E-(nicht?)-Rollenspieler. Aber meine eigentlichen "prägenden" Erfahrung im Fantasyrollenspielsektor habe ich nicht von D&D (und auch nicht DSA), deshalb trete ich an D&D-Versionen nicht mit so einer Hoffnung und Leidenschaft heran, wie sie ein eingefleischter D&Dler empfinden kann. Entsprechend geringer ausgeprägt waren meine Erwartungen bezüglich 4E.
Außerdem gehöre ich in den viel besprochenen Kreis derer, die nach Enttäuschungen ihrer 3.xE-Hoffnungen und Erwartungen wieder die Finger von D&D gelassen haben, sich zurück zu traditionelleren Systemen (bei mir Midgard und Warhammer) begeben haben und eigentlich vorhatten, D&D nicht mehr anzurühren. Trotzdem habe ich mich entschlossen, 4E eine Chance zu geben, auch weil so viele eingefleischte D&D-Spieler so am System herumgemotzt haben.
Hier ein paar Veränderungen in 4E, die ich persönlich begrüße.
1) Fertigkeiten
An Fantasyrollenspielen gefallen mir solche, bei denen großer Wert auf Fertigkeiten gelegt wird, mit denen man brenzlige Situationen außerhalb des Kampfes ausspielen kann, oder Kämpfe um Terrainfaktoren bereichern kann - also quasi "Jump&Run" Ergänzungen zum "gewöhnlichen" Angriffswurf. D&D war - aus meiner Sicht leider - nie ein fertigkeitslastiges System, daran hat auch - sehr zu meiner Enttäuschung -3.xE nichts wirklich geändert. Von 4E erhoffe ich mir Verbesserungen hinsichtlich der Bedeutung der Fertigkeiten (obwohl die Anzahl der Skills reduziert wurde!). Noch bin ich mit meiner Gruppe am Ausprobieren, ob wir etwas mit dem Skillchallenge System anfangen könnern, ob man einige Ergänzungen vornehmen muss (hier gibts irgendwo threads dazu), oder ob es sich am Ende als enttäuschte Hoffnung herausstellt.
2) Magie
Fertigkeiten wurden bei D&D traditionell durch Zauber ersetzt. Zwar konnten nicht alle Klassen klettern, aber der Gruppenmagier konnte alle mit Spinnenklettern oder Fliegen nach oben bringen. Magische Gegenstände waren Allerweltsware, Zauberei eine Selbstverständlichkeit. DAs neue Design schränkt die Zauberklassen und die magischen Gegenstände ein, wodurch Fertigkeiten aufgewertert werden (siehe 1) und Magie wieder den Hauch des Besonderen erhält. Kurzum, man kann mit Megie viel machen, aber man kann Ziele auch anders erreichen. Sowas gefällt mir.
3) Klassengleichgewicht
Das für und wieder von Klassensystemen (im Rollenspiel!!) mal außen vor gelassen, wenn ich ein Rollenspiel mit Unterteilung nach Klassen (Abenteurertypen, Karrieren etc.) spiele, dann hoffe ich auf ein a) ungefähres Gleichgewicht der Klassen nach Vorgabe der Regeln und b) eine funktionale Differenzierung nach Aufgaben. Durch die funktionale Differenzierung soll Zusammenspiel in der Gruppe gefördert werden. 3.xE hat da zwar Schritte in die richtige Richtung versucht, es aber schließlich durch Einknicken vor der Casterlobby verhauen. Die funktionale Differenzierung wurde nur in Ansätzen verwirklicht, das Gleichgewicht war schnell hinfällig. Von 4E verspreche ich mir da eine bessere Verregelung meiner Wünsche.
4) Klassenauswahl & Entwicklung
Gehört eventuell noch zum Gleichgewicht. Jedenfalls sehe ich in 4E eine breitere Auswahl an Klassen als in 3.xE. Alle Grundklassen sind durchweg spielbar, und auch für Leute offen, die gerne im Spiel "was reissen" möchten.
Ja, es gab in 3.xE die hunderttausend Prestigeklassen, die aber in ihrer Mechanik starken Qualitätsschwankungen unterlagen (um nicht zu sagen, einige waren grottig, wenn ich mich dunkel an "Song&Silence" zurückerinnere). Jetzt gibt es die Legendären Klassen, die alle relativ gleichwertig zu sein scheinen, und der Spieler kann anhand seiner persönlichen Vorlieben seinen Charakter entwickeln, ohne sich wegen der relativen Stärke Gedanken machen zu müssen (oder gar von der Gruppe auf eine Klassenentwicklung gedrängt zu werden, weil ansonsten die Überlebenschance der Gruppe drastisch sinken würde).
5) Kampfsystem: einfach, aber abwechslungsreich
Ich möchte mich nicht auf die Diskussion einlassen, ob der Kampf in 4E "taktisch anspruchvoll" ist, oder ob 4E-Kampf überhaupt eine taktische Kompenente hat. Nur so viel zur Anmerkung: es gibt Systeme, da graut es mir davor, einen Kampf auszuwürfeln, aus unterschiedlichen Gründen. Es gibt Systeme mit riesigen Lücken in den Kampfregeln, es gibt Systeme, da sind Kämpfe langatmig und immer das Gleiche (DSA1: AT/PA/AT/PA...), es gibt Systeme, da sind einige Klassen nur Randfiguren in Kämpfen , und es gibt Systeme, da braucht man ein Diplom, um hinter die Kampfregeln zu steigen. D&D 4E scheint mir bislang in keine dieser Fallgruben zu fallen.
Da für mich Kämpfe das Salz der Erde im Fantasyrollenspiel sind, suche ich mir Rollenspiele mitlerweile auch danach aus, ob das Kämpfen Spaß macht. (Ach was, "auch", das ist eins der zentralen Entscheidungskriterien für oder gegen ein System.) Bisher ist niemand in meiner gruppe eine Randfigur im Kampf (wie es einem Kämpfer meiner Gruppe in 3.xE ging, oder einem Schurken in einer Behausung voller Untoter), und bislang kommten auch die weniger gründlichen Leser der Regelbücher mit den Kräften zurecht (im Gegensatz zu 3.xE). Dadurch verläuft der Kampf flüssiger, es wird weniger Unzufreidenheit geäussert, die Entscheidungen der Spieler am Tisch gewinnen an Bedeutung. Das ist eine neue Konzeption bei D&D, die mir zusagt.
Zu den Kämpfen gehören die Monster. Da bin ich mir noch uneinig, ob es leichter ist als zu 3.xE Zeiten, encounter zu entwickeln und Monster im Kampf auszuspielen. Wahrscheinlich wird das wieder genausoviel Zeit bei Abenteuervorbereitungen fressen wie zu 3.E Zeiten, da man sich diesmal mehr den Kopf ums Terrain machen muss.
Es mag sein, dass D&D sich wieder stärker auf seine traditionellen Wurzeln besinnt, vor der Casterlobby wieder einknickt und zurück zu einem Spiel für Zauberer und Splatbuchwälzer entwickelt. Dann werde ich mich rollenspielerisch auch wieder umorientieren müssen. Aber momentan kann meine Gruppe mit 4E ihre Spielbedürfnisse verwirklichen.
Tümpelritter