Gestern Abend habe ich mich mit drei Spielerinnen in das Playtesting für dieses Projekt gestürzt.
Weil mich vorher zwei von ihnen nach dem Mridangam-Spielsystem aus der Push! gefragt hatten, hatte ich das als ausgedruckte A4-Seiten mitgebracht. Allerdings haben wir über Mridangam bloß eine Weile gesprochen, was auch nicht anders geplant war, weil ich die 25 Handgesten aus dem System selber noch nicht auswendig wusste und mir schon gedacht hatte, dass die Spielerinnen und Spieler die auch nicht spontan lernen würden.
Ich habe versucht, den Inhalt und die Idee von Mridangam mündlich zu erläutern. Damit stieß ich aber letztlich nur auf verwirrte Gesichter und alle meinten einstimmig, "Das ist aber kompliziert, das kann doch keiner spielen."
Eine andere Schwierigkeit war dann, dass nach meiner Schilderung von Mridangam und der Beispielaktionen in dem 16-Seiten-Text der Eindruck entstand, die Spieler würden dort nicht als Team zusammen, sondern gegeneinander spielen (da ja kein Spielleiter vorhanden ist und jeder Spieler "Threats" gegen die Pläne seiner Mitspieler einfügen kann). Das gefiel niemandem. Die Spieler sagten, "Dann spielt man da ja gar nicht als Gruppe", und "Das ist dann doch ein Gesellschaftsspiel, wie Monopoly, kein Rollenspiel". Damit war die Idee eigentlich schon abgeschrieben.
Was mir an Mridangam auch aufgefallen war, ist, dass der gesamte Text aus "Push!" eigentlich nur als akademischer Aufsatz interessant sein dürfte. Für ein Regelsystem fehlen Angaben zu typischen Charakteren. Es gibt weder eine konkrete Charaktererschaffung, noch gibt es eine ausformulierte Welt. Shreyas Sampat (Autor von Mridangam) ist offensichtlich davon ausgegangen, dass alle Beteiligten schon von vornherein wissen, in welcher Epoche und welcher Welt (antikes Indien) man spielt und welche Geschichten gespielt werden. Darüber sagt der Text nämlich kein Wort. Eine Spielerin gestern Abend meinte, "Dann könnte ich damit doch auch Star Wars spielen."
Als wir schließlich Sampats Indie-Regelwerk unter der Rubrik "Schön, dass wir mal drüber gesprochen haben" abgelegt hatten, machten wir uns wacker an die Charaktererschaffung, so wie ich sie bereits vorgehabt hatte--mit Hero System 6th-Regeln! Da zeigte sich wieder das, was sich bei Hero eigentlich immer zeigt:
Hero System 6th Ed. ist super geschrieben, aber ist bei der Char-Gen der unangefochtene Meister im Spielspaß-Killen!
Den Spielerinnen wurde unglaublich viel abverlangt, als man auf dem Charakterbogen schon zwischen den drei Spalten für "Value", "Points" und "Roll" unterscheiden musste. Auch verwirrte einige Leute, dass die Zeilen zum Eintragen der Charakterpunkte auf der ersten Seite die Überschrift "Points" tragen, auf der zweiten Seite allerdings die Überschrift "Cost". Das war aber leicht aufzuklären, dass "Cost" und "Points" das Gleiche bezeichneten. Ganz schwierig wurde es aber, als ich von "Active Points" erzählte, weil ich das einfach nicht ordentlich auf Deutsch erklären kann, obwohl es schriftlich im Buch eigentlich super-logisch aussieht. Active Points sind die Punkte, die aktiv in einer Power wirksam sind. Gewissermaßen sind das die Punkte, die die Power eigentlich kosten WÜRDE, bevor man die Einschränkungen in Betracht zieht. Aber meine Spielerinnen dachten, "Active Points" bedeutet "was man tatsächlich dafür gezahlt hat". Das musste ich auch mehrmals erklären, aber bei jedem Mal Erklären wurden die Leute noch durcheinanderer.
Nächstes Mal sage ich dann einfach, "Active Points sind die Kosten ohne Limitations."
Wieso aber fiel nun unsere Wahl auf das schwere, massive Hero System?
- Erstens waren alle meine anderen Spielsysteme Comic-Systeme (Hearts & Souls, BASH) und bereits für andere laufende Kampagnen vorgesehen.
- Zweitens kann man in dem System wunderbar heroische Attribute, Fertigkeiten und Talente simulieren und alle Attribute sind bereits gegeneinander ausgewogen.
- Drittens eignen sich die Powers-Regeln aus Hero sehr gut zum Simulieren von Yogi- und Fakir-Fähigkeiten, was mehrere Spielerinnen auf Anhieb interessiert hat.
- Viertens habe ich das Hero System mit Ausnahme von Lucha Libre Hero nie wirklich aktiv benutzt und wollte es gern mal auf einen historisch angehauchten Hintergrund übertragen, statt damit Champions oder einen anderen Hintergrund zu bespielen.
Abgesehen von den verwendeten Regeln haben wir uns darauf geeinigt, dass unser Indien-Setting sich an der
Gupta-Epoche (4. bis 6. Jh. n. Chr.) orientiert und dass sich diese Spielwelt in etwa so zum realen Indien verhält wie das arthurische Britannien aus Pendragon zum realen Britannien. Ich weiß noch nicht genau, wie ich diese Art Kampagnen-Setting eigentlich nennen sollte. "Traumwelt" trifft es vielleicht am ehesten. Für die Spieler wirkt diese Welt niemals vollkommen real oder realistisch und sie kann in kleineren Punkten von einem historisch nachweisbaren Zeitalter abweichen (siehe Pendragon, Castle Falkenstein). Egal was passiert, es liegt immer eine Art "Weichzeichner" über der Welt. Sie behält immer den Charme einer filmischen Welt, den Schleier des Märchenhaften.
Mich beschleicht nun aber das Gefühl, dass ich die gleichen Charaktere und den gleichen Hintergrund auch durchaus mit H&S-Regeln spielen könnte und dann nur ein Viertel der Zeit für die leidige Charaktererschaffung brauchen würde.