Pen & Paper - Spielsysteme > Rolemaster
Rolemaster noch zeitgemäß?
D. M_Athair:
--- Zitat von: Feuersänger am 5.03.2010 | 11:26 ---Die Tabellen suggerieren nämlich nicht nur Präzision, sondern auch Realismus.
--- Ende Zitat ---
Wirklich? Beim Lesen des GRW schien mir das nicht so.
Ist es nicht vielmehr so, dass der Sinn der Tabellen oft wenig verstanden wird und bei der Frage nach dem Mehrwert die Alibi-Antworten von Präzesion & Realismus gezogen werden?
Markus:
Für den Fall, dass ich mich nur missverständlich ausgedrückt habe, ein Beispiel:
Der Ork Gurknatz der Grausame greift einen SC an. Hier ein paar Dinge, die die Tabelle nicht weis:
- Der Boden ist mit naßem Herbstlaub bedeckt und zum SC hin etwas abschüssig. Wie rutschig ist das genau, wie oft haben Gurknatz und der Held schon auf solchem Terrain gekämpft, wie griffig ist ihr Schuhwerk, wieviel Vorteil verschafft der abschüssige Boden dem Ork (in Abhängigkeit von dessen Körpergröße und der des SC) wie verändert sich der Untergrund nach ein paar Kampfrunden?
- Wie lange lag Gurknatz auf der Lauer, wie steif ist er dementsprechend oder ist er vielleicht so geübt, dass ihn das kaum behindert? Wie wahrscheinlich ist es, dass er sich eine Zerrung o.ä. zuzieht, wann hat er zuletzt gekämpft und gegen welche Art von Feinden hat er die meiste Erfahrung? Wie gut ist er in der Lage, die Fähigkeiten der SCs einzuschätzen und wie taktisch klug entscheidet er demnach, wen er zuerst angreift? Wie gut war der Schmied, der seine Waffe gefertigt hat, welche Materialien hatte er zur Verfügung, wie lange kämpft Gurknatz damit schon (Bruchfaktor vs. Gewöhnung), wie sorgfältig pflegt er sie? Wie ist seine Beziehung zu den SCs, und wie wirkt sich das in Abhängigkeit von seiner Persönlichkeitsstruktur auf sein Kampfverhalten aus?
und so weiter und so fort.
Das sind alles Dinge, die in praktisch jeder Rollenspielrunde zu 100% innerhalb weniger Augenblicke alleine von der SL festgelegt werden und deren Auswirkung und Relevanz er abschätzt. Tabellen können dabei eine wertvolle Stütze sein, aber ihre wichtigste Stützfunktion ist, die SL überhaupt erst auf einen relevanten Faktor aufmerksam zu machen (Im Baukastensystem entscheidet dann allerdings - in der Regel - die SL, was überhaupt relevant ist, aber lassen wir das). Diese Funktion wird aber von einem System mit "wichtigsten Modifikatoren" genauso gut erledigt. Spätestens bei Interaktionen (Laub x Erfahrung x Kampfverlauf) kann die Tabelle nicht mehr helfen und wir sind wieder beim Gefühl der SL. Wohlgemerkt, dem Gefühl für eine von ihm vollständig selbst geschaffene Situation. Wenn wir ihm das zutrauen, warum sollte er nicht auch in der Lage sein, Gurknatz Vorteil in einen summarisch geschätzten Modifikator zu gießen? Und dann das Ergebnis einer Probe abzuschätzen.
Bei der Regelanwendung haben auch "rules light" Systeme den Vorteil der formalen Festlegung. Der darüber hinausgehende gefühlte Vorteil in der Festlegung ist angesichts der Kontrolle der SL über die Spielwelt und konkrete Situationen größtenteils illusorisch (siehe oben). Genau genommen besteht er nur darin, dass man mit dem schlichten Satz "Wir spielen Rolemaster" auf einen Schlag mehr darüber abgesprochen hat, wie sich die Spielwelt verhält, als das bei einem schlankeren System der Fall ist. Wenn man RM allerdings als Baukasten nutzt verschwindet dieser Vorteil wieder, weil man dann ja absprechen müsste, wie sich das auf die Spielwelt auswirkt.
Was die Spieler und die Flexibilität der Aufgabenverteilung angeht: Naja, bei Savage Worlds (nicht weil das so supertoll ist, sondern weil ich's halt gerade gelernt habe) bin ich nach zwei Spielsitzungen und insgesamt 4 Stunden Regellektüre ungefähr so regelsicher wie die SL. Geht das bei Rolemaster auch?
Maarzan:
Vielleicht zur Erläuterung und Tabellenverständnis.
Rolemaster verpackt nicht all diese Effekte in Tabellen. Es hat wie andere Systeme auch entsprechende Modifikatorlisten, zum Teil Fertigkeiten, welche dazu etwas aussagen, Waffenqualitätseinflüsse ... und welche auf die Grundwerte gerechnet werden können und dann mit einem Würfelwurf ein Zahlenergebnis erzielt wird. Dieses Ergebnis wird dann gegen eine Schwierigkeit bzw. die Rüstungsklasse im Kampf aufgetragen und ein Ergebnis abgelesen. Was die Tabellen also lediglich machen ist eine Auflistung des Ergebnisraums, eine Interpretation in Wort und Wert des Zahlenergebnisses nach Berücksichtigung von Modi und Wurf.
(über die Qualität der Umsetzung dieser Lösung kann man streiten. Ich bin auch nicht mehr zufrieden. Andere Lösungen sind aber noch schlechter d.h. für meinen Geschmack unbefriedigender)
Die gewählten Optionen im Baukastensystem sind natürlich vorher bekannt zu geben und damit für den Spieler wieder nachvollziehbar. Es gibt sogar entsprechende Checklisten.
Regeln sind halt wie eine Sprache zur Beschreibung des Spiels. Je komplexer und umfangreicher die Sprache, desto mehr kann sie beschreiben, aber um so länger dauert auch eine komplette Beherrschung. Die Frage müßte also heißen, dauert es länger die im SW geregelten Effekte in Rolemaster zu lernen oder nicht (Was ich jetzt nicht beantworten kann)
Feuersänger:
@Markus: das ist durchaus das, was ich auch meine. Es spielen in jede Situation so viele Faktoren mit rein, die einfach kein noch so hoch auflösendes System berücksichtigen und abdecken KANN, und wenn du noch zehnmal so viele Tabellen hättest und zwanzig Würfe pro Aktion abwickeln würdest.
@Dealgathair: aha, und was meinst du, was der eigentlich beabsichtigte Sinn ist? Und spielt die ursprüngliche Intention überhaupt eine Rolle, wenn sie doch von der Mehrheit der Spieler/Anhänger nicht so verstanden, sondern anders aufgefasst wird?
Markus:
--- Zitat von: Maarzan am 5.03.2010 | 13:24 ---(über die Qualität der Umsetzung dieser Lösung kann man streiten. Ich bin auch nicht mehr zufrieden. Andere Lösungen sind aber noch schlechter d.h. für meinen Geschmack unbefriedigender)
--- Ende Zitat ---
Mein Punkt ist eben, dass die Güte im Sinne von Realismus großteils illusorisch ist. Unabhängig von der Qualität der Tabellen. Im Beispiel: Sagen wir mal, du hieltest bei "feuchtes Laub" einen Modifikator von 17% für angemessen, "glitschig" wären für dich 20% und "rutschig" 30%. Deine SL würde vielleicht andere Modifikatoren darunter verstehen. Darüber könnt ihr euch super schnell einigen, wenn ihr sagt "wir nutzen Tabelle A234", das ist definitiv ein Vorteil. Aber, in der Situation beschreibt die SL die Szene halt mit den Worten, die ihr in den Sinn kommen, und versucht so gut es geht, das Bild in ihrem Kopf in Worte zu fassen, um bei den Spielern ein möglichst ähnliches Bild im Kopf zu erzeugen. Dieser Vorgang ist an sich so schwierig und so fragil, dass dagegen die Genauigkeit der Tabelle Erbsenzählerei ist.
Wenn mich die Details inhaltlich interessieren muss ich sowieso nachfragen, das geschieht unabhängig vom System. Bei "rules light" kann ich es mir aber aussuchen, und darauf verzichten, wenn ich mal nicht interessiert bin. Für die Abwicklung kommt es in beiden Systemen letztlich nur auf den Modifikator "unterm Strich" an, und dessen wichtigste Determinante ist die SL, die die Situation festlegt.
Wenn es Unstimmigkeiten gibt hilft die Tabelle auch nur in einem Fall: wenn ich "gesagt gilt" vereinbart habe, und die SL im Zweifelsfall auf "feucht" festlegen kann. Darf sich die SL nachträglich korrigieren, weil sie eigentlich "rutschig" meinte komme ich unterm Strich auch nur zu dem Ergebnis, dass die SL durch die Beschreibung festgelegt hat.
Deine "Befriedigung" müsste nach meinem Eindruck also primär daher kommen, dass das System SL und Spieler zwingt, sich auch um die Details zu kümmern. Das ist eine für den Spielverlauf wahnsinnig wichtige Festlegung, die IMO unbedingt Teil des Gruppenvertrags sein sollte. Und völlig klar, wenn zwei Leute gern Rolemaster spielen sind sie sich in diesem Aspekt mit ihren Vorlieben wahrscheinlich schon recht nahe. Da spart einem die Einigung auf das Regelsystem eine lange Verhandlung und dort wo verhandelt wird gibt es eine klare Struktur (Tabellenauswahl) vor. Das ist besser als sich Freiform darüber zu einigen, wo man wieviel Realismus möchte und eindeutig eine Leistung des Regelsystems. Nur, nach diesem Einigungsprozess hängt dann im Spiel doch wieder so viel am Szenenaufbau durch die SL, dass die Tabellen nicht mehr viel Zusätzliches beizutragen haben.
--- Zitat ---Regeln sind halt wie eine Sprache zur Beschreibung des Spiels. Je komplexer und umfangreicher die Sprache, desto mehr kann sie beschreiben, aber um so länger dauert auch eine komplette Beherrschung.
--- Ende Zitat ---
Im Falle von RM müsst es IMO heißen "zur Beschreibung der Physik" des Spiels. Das ist klar eine Frage der Vorlieben, aber ich bin an der Physik von Spielwelten deutlich weniger interessiert, als an den coolen Sachen, die es da so gibt. Spielzeit ist endlich und so gut ich verstehen kann, wie geil es ist, sich in ein komplexes Magiesystem einzudenken, im Spiel will ich möglichst viel Zeit mit der Geschichte und den Charakteren verbringen und interessiere mich weniger für die Physik. YMMV.
--- Zitat --- Die Frage müßte also heißen, dauert es länger die im SW geregelten Effekte in Rolemaster zu lernen oder nicht (Was ich jetzt nicht beantworten kann)
--- Ende Zitat ---
Ich hab auch keine Ahnung. Aber für meinen zweiten Punkt oben genügt es festzustellen, dass ich bei SW mit weniger Lernaufwand (und Verwaltungsaufwand) alle Regeln selbstständig anwenden kann. Und damit schneller die Möglichkeit habe, Aufgaben zu übernehmen. Das muss man nicht wollen und es hat auch seinen Preis. Aber dieses Bedürfnis ist manchen eben so wichtig wie anderen der Detailgrad. Und moderne Systeme sind diesbezüglich tendenziell flexibler, befriedigen also ohne Störungen und großen Aufwand mehrere Bedürfnisse.
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