Autor Thema: [Opus Anima] Grauen grotesker Natur  (Gelesen 1294 mal)

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Offline Darkling ["beurlaubt"]

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[Opus Anima] Grauen grotesker Natur
« am: 23.01.2010 | 14:39 »
Wenn ich mich nun nicht grob vertue ist Mitte/Ende 2008 Opus Anima rausgekommen.
Ende 2008 war es jedenfalls, dass ich unten stehenden Artikel geschrieben habe, damals mit dem Ziel, dass dieser an den Ruf gehen sollte, welcher (zu meinem Bedauern) mittlerweile aber sanft entschlafen scheint. Da wäre es auch noch zeitnah am Erscheinen von OA gewesen...
Ob ich das alles heute noch genau so schreiben würde weiß ich nicht, aber damals merkte man mir wohl die Begeisterung leicht an. ;)
Dennoch oder auch grade deswegen hab ich den Artikel aber auch nicht mehr überarbeitet, bevor ich ihn nun hier poste.

Nun denn:


Grauen grotesker Natur
Überlegungen, wie man Horror in der Welt von Opus Anima betonen kann


Ich persönlich bin ja der Meinung, dass man jedes Rollenspiel mit genau so viel Horror verfeinern kann, wie man möchte, aber dass manche Systeme sich dafür einfach besser eignen als andere...und sich dafür auf seine ganz eigene Art und Weise zu eignen hat sich eine Neuerscheinung auf dem deutschen Rollenspielmarkt auf die Fahnen geschrieben:

Opus Anima - Ein Rollenspiel um grotesken Horror

Aber was ist grotesker Horror? Opus Anima hat es sich nicht zum Ziel gesetzt, das Rad neu zu erfinden, sondern Altbekanntem neue Facetten hinzuzufügen, Gewohntes zu verdrehen und ihm so  groteske und unbehagliche Perspektiven hinzuzufügen. Dadurch bietet das Setting um Seelenlose in einer Welt viktorianischer Benimmregeln und Dampftechnik – man verzeihe das Wortspiel – genug Schrauben, um daran zu drehen, so dass der Horror so abstrakt oder persönlich sein kann, wie es der jeweiligen Gruppe gefällt.

Ich erzähle wohl nichts Neues, wenn ich sage, dass ein Gefühl von Horror und Fremdartigkeit zumeist dann entsteht, wenn das Verstehen aufhört. Unsicherheit und auch Furcht kommt oftmals dann zustande, wenn man auf Unbekanntes trifft oder die Umgebung nicht mehr nachvollziehen kann. Kurip-Aleph, das erste Setting Opus Animas bietet auf den ersten Blick eine Menge bekannter Klischees, genug, um sich sofort zurechtzufinden, bricht aber mit bekannten Konventionen bereits von Anfang an durch die zum Teil seltsamen Spezies wie die mutierten Brunad, die künstlich geschaffenen Abara oder die Alien-Mensch-Hybriden Tel`Pathar. Grade diese Mischung aus Bekanntem und Neuem erlaubt klassische Horrorabenteuer wie in jedem anderen Rollenspiel auch, seien es nun mysteriöse Mordfälle, geheime Kulte etc., aber noch eine Menge settingspezifischer Szenarien darüber hinaus, um die es nun gehen soll.

Die Schrecken der gesunden Welt

Schon durch die präsentierten Spezies und die auf Kurip-Aleph herrschenden Konventionen gibt Opus Anima Spielleitern Möglichkeiten in die Hand, bei Bedarf Horror in Form auf den ersten Blick nicht unbedingt sichtbarer Paradoxa ins Spiel zu bringen. Ein Beispiel dafür wäre, dass Sitte und Moral eine so große Rolle in der Welt spielt, dass dem sogar auch in der Rechtsprechung Sorge getragen wird, aber dennoch praktisch die ganze Bevölkerung über institutionalisierte und staatlich zumindest tolerierte Vergewaltigungen hinweg sieht, wenn dadurch der Fortbestand und die Reinheit der Spezies Tel`Pathar sichergestellt werden soll...

Ein anderes Mittel, welches Opus Anima bereitstellt ist die so genannte „Verzerrung“, ein Phänomen unbekannten Ursprungs, welches es dem Spielleiter erlaubt, kurzzeitig in gewissem Maße die Naturgesetze der Welt außer Kraft zu setzen und die Realität der Spielwelt nach Belieben zu verändern, so dass sich die Charaktere mit plötzlich im Augenwinkel zu sehenden lebendigen Schatten, für Sekundenbruchteile auftretenden Veränderungen ihrer Körper oder einer ins groteske verdrehten Umwelt auseinander setzen müssen.

Die Grauen der verzerrten Welt

Auch wenn das innerhalb der Spielwelt nicht allgemein bekannt ist, wird diese Verzerrung durch den Hintergrund des Spiels erklärt, denn der eigentliche Kern Opus Animas ist, dass es nicht nur tatsächlich Seelen gibt, sondern dass diese auch geraubt werden können und dies Einfluss auf die Gesundheit der Welt haben kann. Insbesondere dieser Hintergrund erlaubt es nun, Horroraspekte ganz auf den Geschmack der Spieler zurecht zu schneidern.

Wenn es der Gruppe gefällt, kann man hierbei philosophisch motiviertes Grauen in den Mittelpunkt rücken, denn innerhalb der Spielwelt wird beim Raub der Seele genau genommen nicht nur diese, sondern auch der Glaube der Charaktere zerstört. Ob man zuvor an so etwas wie eine Seele geglaubt hat oder nicht, wird schlagartig irrelevant, denn was zuvor reine Annahmen waren wird nun durch eine unangenehme Gewissheit ersetzt: Ja, es gibt tatsächlich Seelen als das Zentrum dessen, was einen ausmacht, doch genau diese Basis wurde einem genommen. Abwarten als eine mögliche Lösung steht allerdings nicht zur Verfügung, denn früher oder später wird einem jedem Spielercharakter ein Seelenrequiem erklingen, also das nicht zu ignorierende Bewusstsein, dass irgendwo ein Splitter der eigenen Seele zu vergehen beginnt. Man steht in doppelter Hinsicht unter Zeitdruck. Nicht nur, dass die einzelnen Teile der zersprungenen Seele nur eine begrenzte Lebenserwartung haben, man selbst bleibt ebenso sterblich. Wie auch immer mögliche Vorstellungen eines Lebens nach dem Tod aussehen mögen, man ist gezwungen, sich damit auseinander zu setzen, welchen Einfluss der Verlust der Seele oder zumindest von Teilen davon darauf haben wird.

Von diesem philosophischen Ansatz aus ist es kein weiter Weg, diesem Thema einen weiteren quasi-religiösen Aspekt hinzuzufügen, denn schließlich sind es gottähnliche Wesen, die den Charakteren nach dem Raub ihrer Seele gegen einen gewissen Preis ein Weiterleben gestatten. Dieser Preis ist Gefolgschaft und zugleich ein Instrument für den Spielleiter, eine weitere Facette des Grauens zu betonen. Anfangs mag es den Charakteren vielleicht als ein geringer Preis erscheinen für die Zeitlosen gegen die Seelenräuber vorzugehen, denn das würde ja mit der Option auf Rache Hand in Hand gehen, doch wird dem Spielleiter bei Opus Anima auch nahe gelegt, die Zeitlosen stets so aufzufassen, dass sie die Spielercharaktere wie die restlichen Seelenlosen auch nur als Dienerschaft oder Werkzeuge in einem äonenalten Konflikt betrachten, als Soldaten, die um den Krieg zu gewinnen, auch mal geopfert werden können...
Die Zeitlosen sind es, die den seelenlosen Maata einen Teil ihrer Macht zur Verfügung stellen, den diese brauchen, um ihre Seelensplitter wieder einsammeln zu können. Spielleiter können dies nutzen, um stets den unterschwelligen Horror einer Bedrohung aus den eigenen Reihen aufrecht zu erhalten, indem sie thematisieren, was wohl passiert, wenn den Zeitlosen ein Scheitern der Charaktere längerfristig einen größeren Nutzen brächte. Ebenso können sie der Verbindung der Maata und der Zeitlosen den Charakter eines faustschen Paktes geben, wenn den Spielercharakteren bewusst wird, dass ihnen immer dann am meisten geholfen wird, wenn sie sich freiwillig ein Stück abhängiger von ihren Göttern machen.

Auch psychologischer Horror kann das Thema werden, wenn es der Spielgruppe gefällt, die Makel, unter denen die Spielercharaktere nach dem Raub ihrer Seelen zu leiden haben, in den Mittelpunkt zu stellen. Die Zeitlosen stellen den Maata nicht nur Ersatzseelen zur Verfügung, sondern übertragen dabei auch immer einen Nachteil, mit dem sie selbst geschlagen sind, auf die Seelenlosen. So müssen sich die Charaktere nun der Situation stellen, auf einmal tagsüber blind zu sein, ununterbrochen Schmerzen erdulden zu müssen oder als einzige Konstante ihres Gefühlslebens die Gewissheit zu haben, nicht zu wissen, was sie eigentlich ausmacht... Nachteile solcherart gibt es zwar auch in anderen Rollenspielen, aber bei Opus Anima wird es dem Spielleiter leicht gemacht, das Grauen, welches die Charaktere dadurch erleben, immer aufrecht zu erhalten. Bei Opus Anima ist der Ausweg aus dieser Situation durch das Auffinden der eigenen Seelensplitter nicht nur theoretisch erreichbar, sondern auch immer direkt absehbar. Es dürfte kaum den bequemen Ausweg geben, sich hoffnungslos mit dem eigenen Zustand abzufinden, solange der Spielleiter Sorge trägt, dass die Maata schrittweise immer mal wieder ein wenig Besserung ihres Leidens erfahren. Die greifbare Hoffnung auf Heilung ist zugleich auch immer Erinnerung daran, zur Zeit noch durch den Makel eingeschränkt zu sein.

Eine andere Variante individuellen Horror ins Spiel einzubringen bestünde darin, das Selbstbild der Charaktere zu thematisieren, wenn im Spiel bekannt wird, wie der schon erwähnte Zusammenhang zwischen der Seelenlosigkeit und der Verzerrung eigentlich genau aussieht. Zwischen der Fähigkeit der Maata, die Energie der Zeitlosen zu nutzen und ihrem Makel besteht eine Wechselwirkung, denn je mehr Energie eines Zeitlosen sich – zum Beispiel durch einen Charakter – an einem Ort konzentriert, um so stärker prägt der jeweilige Makel die Umwelt. Mit anderen Worten ist dem Spielleiter durch diesen Umstand ein Mittel gegeben, den Charakteren vorzuführen, dass sie, je mehr Möglichkeiten sie bekommen, ihre eigene Seele zurückzufordern und so von dem Makel zu gesunden auch immer mehr ein Teil des Problems werden, an dem die Welt insgesamt krankt.

Gerade diese Wechselwirkung ist es auch, die einen weiteren Horroraspekt, den man auch aus anderen Rollenspielen schon kennt mit einer neuen Facette versieht. Auch in anderen Spielen kann man für Horror sorgen, indem man die Frage in den Mittelpunkt des Spiels stellt, wie wohl die eigene Familie und der Freundeskreis auf das, was einem zugestoßen ist reagieren wird. Bei Opus Anima macht es die Verzerrung jedoch noch problematischer, da es für das sich daraus ergebenden  moralischen Dilemma keine einfache Lösung gibt: Eine möglichst vollständig restaurierte Seele ist notwendig, um wieder in ein halbwegs normales Leben zurückfinden zu können, doch je mehr man sich bemüht, dies zu erreichen, um so gefährlicher wird man dabei beinahe zwangsläufig für die, die einem etwas bedeuten.

Die Bedrohungen von außen

Bei all den mehr oder weniger abstrakten Möglichkeiten, Grauen zu erzeugen, verzichtet Opus Anima dennoch nicht darauf, auch geradezu klassischen Horror und Bedrohungen durch zum Teil monströse Gegenspieler anzubieten. Auch wenn hierbei eigentlich zuallererst die Seelenräuber in all ihren Gestalten und Erscheinungsformen genannt werden könnten oder wie in anderen Rollenspielen auch die gesichtslose Masse der unwissenden, normalen Bevölkerung der Schollenwelt, so wird Spielleitern bei Opus Anima oft nahe gelegt, gerade dadurch Horror zu erzeugen, dass man Gegenspieler auftreten lassen kann, die groteskerweise eigentlich keine wirklichen Feinde sind. Gut, auch diese Idee scheint nicht neu, doch macht es Opus Anima Spielleitern auch hierbei einfach, wenn man sich zum Beispiel die Bizarromanten anschaut, zwischen denen und den Seelenlosen - wie es die Spielercharaktere ja in der Regel sind - eine Verbindung zu bestehen scheint. Erstere sind aus unerfindlichen Gründen in der Lage, über die gleiche Art von Energie verfügen zu können wie die Maata, wenn auch auf gänzlich andere Weise. Gerade durch diese Fähigkeit stellen Bizarromanten eine direkte Bedrohung für Spielercharaktere dar, ohne dass sie dies wollen oder sich dieses Umstands überhaupt bewusst sein müssen.

Fazit

Nach all diesen Überlegungen muss ich zu dem Schluss kommen, dass Opus Anima in der Tat hält, was es verspricht. Es erfindet das Genre nicht neu, aber wird seinem selbst gestellten Anspruch gerecht, eigentlich Bekanntem durch neue Perspektiven und Impulse wieder ein Stück Grauen zurückzugeben, das über die Jahre hinweg in anderen Systemen zu Gewohnheit verkommen ist. Die Welt Kurip-Aleph bietet genug Möglichkeiten, Horror genau auf den Geschmack der jeweiligen Gruppe skalieren zu können. Wer Horror im Rollenspiel erleben möchte, sei es nun durch bedrohliche Mörder a la Jack the Ripper, echte Monster wie halbmaschinelle, blutrünstige Asmodei oder den Schrecken, zu erleben, wie man sich mehr oder weniger unwillentlich immer weiter von den Menschen entfremdet, die einem am meisten bedeuten, der sollte Opus Anima mit seinem Ansatz bezüglich Horror grotesker Natur eine Chance geben.
Der Weg zum Herzen eines Menschen führt durch den Brustkorb!

I`m just a soul whose intentions are good.
Oh Lord, please dont`let me be misunderstood!