So, und jetzt kurz (oder auch etwas länger) zur "Geschichte".
Ich habs oft genug versucht den Leuten beizubringen, das Erzählonkelspiel weder Spielerentscheidungen entwertet, noch für den SL langweilig ist, bei manchen Themen is einfach nix, das muss man akzeptieren. Daran arbeite ich zumindest gerade.
Du wirst sehen, wie dieses Abenteuer Spielerentscheidungen entwertet UND warum es trotzdem den SL im Regen stehen lässt, wenn es mal freier sein will.
So, jetzt nochmal zur EINEN Geschichte. Wie gesagt ist das Abenteuer ein Ablaufplan. Die Spieler haben an manchen Stellen die scheinbare Möglichkeit, unterschiedlich zu handeln - aber das Abenteuer sagt, was richtig ist und demnach geschieht, ja sogar geschehen muss. Beispiel: Den Spielern wird von einem NSC ein unmoralisches Angebot unterbreitet, nämlich
wird ihnen vorgeschlagen, das Lösegeld in Höhe von 1000D, das die "armen Wirtsleute"(!) zusammengekratzt haben, einfach zu mopsen und nicht dem Seeoger zu bringen
. Das Abenteuer geht davon aus, dass die Spieler nicht darauf eingehen, und unterbreitet in einem der grauen Anfängerkästen, wie damit zu verfahren ist, wenn die Spieler dies nicht tun:
Wir wollen hier noch einmal auf die hässliche Möglichkeit eingehen, dass Ihre Spielrunde es wahnsinnig originell findet, sich tatsächlich mit Sinvey zu verbünden, um das Lösegeld zu stehlen; in diesem Fall sollten Sie das Abenteuer stark beschleunigen: Noch am selben Abend bricht der Zug auf. Hinter der ersten Wegbiegung schlägt Sinvey Frau Kupferfeld nieder. Die Beute wird geteilt, und Sie verkünden: "Damit ist das Abenteuer beendet. Nächste Woche spielen wir die Fortsetzung: Die Helden ziehen nach Gareth und klauen dort einem Achtjährigen seine Zuckerstange. Das wird sicher auch wieder sehr spannen.
Damit dürfte den Spielern klar geworden sein, dass man in Aventurien als Fiesling zwar schnell reich werden kann, aber wohl kaum spannende Abenteuer erleben wird. Also schlagen Sie vor, dass Sie die Zeit noch einmal zurückdrehen und wiederum an der Stelle einsetzen, wo die Helden von dem üblen Plan erfahren haben. Nun kann man ja mal schauen, wie sich die Geschichte entwickelt, wenn die Helden sich dafür entscheiden, die Rolle der "Guten" zu übernehmen.
So. Das ist auf Seite 18 von 52. Was lernen wir hier?
Der SL ist dazu angehalten, die Spieler zu "richtigem", d.h. autorengewünschtem oder charaktergerechtem Spiel zu zwingen. Wollen sie nicht, ist das Abenteuer vorbei. Ja, und zwar das Abenteuer, das sie spielen sollten - kein Gedanke wird daran verschwendet, ob die Spieler jetzt nicht erst recht in einem Abenteuer gelandet sind. Was machen die Betrogenen? Will die gute Sinvey sie vielleicht auch noch um ihren Anteil erleichtern? Wollen vielleicht sogar die Spieler Sinvey übers Ohr hauen? Wird alles nicht einmal angedacht, weil es "falsch" ist fürs Abenteuer. Warum das inkonsequent ist, zeige ich gleich noch.
DSA bietet den "Bösen" keinen Spielplatz. Selbst "graue" Charaktere haben gut zu sein. Wären in der Gruppe Streuner oder Söldner, ich wäre mir ziemlich sicher, sie würden ernsthaft über das Angebot nachdenken - erst recht, wenn man mit charaktergerechtem Spiel argumentiert. Was lernen wir daraus? Wenn man nicht will, dass die Helden etwas tun, dann biete ihnen nicht die Möglichkeit und hau ihnen eins über die Rübe, wenn sie sich tatsächlich frei entscheiden. An dieser Stelle wird eine Spielerentscheidung von vornherein entwertet.
Nächste Szene dieser Art: Die Helden reisen - nachdem sie den Auftrag annehmen mussten (s.o.) - und werden von Senvey und ein paar anderen Ganoven überfallen. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Haben die Spieler keine Wache, werden sie in der Nacht überwältigt, ohne dies verhindern zu können. Der graue Boxtext sagt dazu, dass an dieser Stelle der SL nicht zögern sollte, SC sterben zu lassen, wenn sie etwas dagegen tun wollen - und zwar einfach so. Kein Würfeln, gar nichts. Der Dolch der Wegelagerer reicht aus, den Helden zu töten. Zitat Box:
Falls der Spieler [nach einer vom SL verlangten MU- und KL-Probe, um ihn zur Einsicht zu bringen, dass er keine Chance hat,] weiterhin auf seinem Plan [sich zu wehren] beharrt, haben Sie tatsächlich keine andere Möglichkeit, als seinen Helden für tot zu erklären. Hier ist hartes Durchgreifen erforderlich. Wir raten keinem Spielleiter, unnötige Härte gegen die Helden anzuwenden und sind selbst jederzeit geneigt, beide Augen zuzudrücken, Wahrscheinlichkeiten und Würfelzahlen zu fälschen, wenn es darum geht, einem Helden, der in der Patsche steckt, das Leben zu retten, aber einem Spieler, der seinen Helden in absurde Selbstmordaktionen stürzt, können Sie nicht nachgeben. Das gesamte Spiel Ihrer Runde wäre fortan verdorben (...)
Was lernen wir daraus? Würfeldrehen und Wahrscheinlichkeiten ändern ist okay, solange es im Sinne des SL ist. Widerspricht es der Story, lassen sie notfalls den Helden über die Klinge springen, sonst lernt es der Spieler nie, sich an die Geschichte zu halten. Und daran ändert sich auch nichts, wenn sie gar nicht anders konnten als in die Bredouille zu geraten, weil es ja so geskriptet ist.
Ach ja, für den Fall, dass die Spieler eine Wache haben, kann die den Überfall in der Nacht verhindern, dafür werden die Spieler am nächsten Tag von 6 Wegelagerern überfallen. Auch wenn hier die Möglichkeit besteht, dass die Helden siegreich sind, so geht das weitere Abenteuer davon aus, dass die Spieler noch Senvey suchen, weil sie ja das Geld wiederfinden müssen.
So, und jetzt der Abschnitt, in dem freies Spiel möglich ist, aber auch nur bedingt: Die Lösegeldübergabe bzw. Befreiung des Gefangenen.
Die Spieler haben verschiedene Möglichkeiten, die auch teilweise dargelegt werden - und tatsächlich kann die Szene hier sehr spannend werden, weil es einige interessante NSC-Verwicklungen geben kann, die ich jetzt hier nicht darlegen will. Nur soviel: Die Spieler haben tatsächlich eine Wahl. Einige der Folgen werden dargelegt, es gibt ein "was passiert, wenn" für mehrere Versionen (leider im Fließtext, aber wir wollen ja nicht so sein) und in dem Sinne kein richtiges Finale, weil es mehrere Enden gibt. (Anmerkung: Es gibt eine sehr hübsche Bemerkung in den Meisterinformationen, wie man NSC spielen und gestalten sollte. Zitat: "Außerdem mögen Spieler es nicht, wenn sich Meisterpersonen im entscheidenden Moment als überlegen erweisen und etwa im Finale des Abenteuers als Retter auftreten." Eine Meisterperson solle höchstens ebenbürtig, besser noch unterlegen sein; für berühmte aventurische Heroen gelte das zwar nicht, aber die würden sie ja auch nicht ein komplettes Abenteuer begleiten...)
Aber: Eine der Möglichkeiten, die durchaus an mehreren Stellen eintreten kann, wenn die Helden versuchen, als echte Helden zu agieren - nämlich die Gefangennahme durch den Seeoger -, bleibt erschreckend schwammig, obwohl sie die weitestreichenden Folgen hat: Die SC müssen dann in Diensten des Seeogers schuften, werden niemals allein gelassen bzw. nur in verschiedenen Grüppchen aufgeteilt aus dem Lager gelassen und bekommen gesagt, dass ihre Daheimgebliebenen Mitstreiter getötet werden, wenn sie fliehen. Es wird sogar explizit gesagt, dass die Helden mindestens ein Jahr(!) in Diensten des Seeogers sein müssen, bevor der ihnen vertraut und sie wieder als Gruppe losziehen lässt! Wie jedoch dieses Jahr gefüllt werden soll, was die Spieler tatsächlich als Seeräuber alles anstellen müssen, das bleibt außen vor. Als Alternative können sie sich jedoch vom Seeoger gleich bei Gefangennahme töten lassen.
Ist also auch blöd. Die Helden dürfen nicht fliehen, das wär ja unheldenhaft, vor allem gegenüber ihren Mitstreitern (auch hier gäbe es ja durchaus Konzepte, die das anders sehen dürften als der Autor). Wenn mir das aber als ernsthafte Konesequenz von Spielerentscheidungen präsentiert wird, dann erwarte ich, dass mir da auch mehr geboten wird als ein "ein Jahr müssen Sie das schon durchhalten". Sicher, man kann einen Zeitsprung machen (der vom Abenteuer nicht erwähnt oder nahegelegt wird!), aber dass die SC nach einem Jahr erzwungenem Piratentum noch dieselben sind und danach (Zitat Abenteuer) "endlich wieder das Leben eines aventurischen Abenteurers aufnehmen" können, wage ich zu bezweifeln.
Und jetzt sag(t) mir bitte einmal, wie ich als Spieler diese Flaschenhälse toll finden soll - oder gerade die Option der Gefangennahme mit dem Zwangsdienst, wenn ich heldenhaft sein und den Gefangenen befreien will, als Spieler einfach als meistergegeben hinnehmen soll/kann, wenn sie mir doch so ziemlich alles versaut, was ich gern spielen würde, wenn ich z.B. Magier oder aufrechter Krieger bin (oder irgendetwas anderes, was mit Seefahrt und Räubertum nichts am Hut hat).
Fakt ist, ich kann in diesem Ablauf an vielen Stellen keine freien Entscheidungen fällen - treffe ich Entscheidungen, werden die entwertet. Wie zieht ihr da Spaß heraus?
Als Buch wär das ja okay, da hab ich als Leser keinen Einfluss auf die Figuren, aber wenn ich eine der Figuren kontrolliere, kann ich trotzdem nichts machen?
EDIT: Ich werde heut Abend mal schauen, was die Einsteiger-Abenteuer der DSA4-Box in dieser Hinsicht bieten. Kann aber auch morgen werden.