Autor Thema: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?  (Gelesen 15815 mal)

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Achamanian

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #100 am: 9.04.2010 | 16:24 »
Das heisst ihr drei seit im Grunde sowas von komplett am Thema des eigentlichen Threads vorbei?

Weil hier geht es darum ob Rollenspiel Literatur ist oder nicht.


Das Problem ist eben, dass diese Ist-Fragen in den Geisteswissenschaften kaum losgelöst vom Erkenntnisinteresse diskutiert werden können. Was Literatur "ist", ist eine Übereinkunft, und ob diese Übereinkunft in einer gewissen Form sinnvoll ist, kann sich erst klären, wenn man mit der entsprechenden Definition arbeitet.
Das ist ja nicht mal nur in den Geisteswissenschaften so: Je mehr ein Mikrobiologe über Genetik weiß, desto weniger wird er dir sagen können, was nun genau ein Gen ist.

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #101 am: 10.04.2010 | 01:03 »
Aber woher wissen Yvo und WeepingElf das nun? Aus augustinischer Innenschau?

Daraus, was ich unter "Literatur" verstehe.  Aber ich bin kein Literaturwissenschaftler, und kann daher auch nicht so genau sagen, was denn die gültige Definition von "Literatur" ist.  In der Postmoderne ist es ja in, alles was nicht niet- und nagelfest ist, zum "Text" zu erklären, was auch immer das für einen Sinn ergeben soll.

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Offline carthinius

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #102 am: 10.04.2010 | 01:24 »
Weil hier geht es darum ob Rollenspiel Literatur ist oder nicht.
Ich dachte, die Frage war, ob das Ergebnis von Rollenspiel Literatur ist, nicht Rollenspiel selbst?!

Daraus, was ich unter "Literatur" verstehe.
:bang:
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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #103 am: 10.04.2010 | 01:34 »
Ich dachte, die Frage war, ob das Ergebnis von Rollenspiel Literatur ist, nicht Rollenspiel selbst?!

Bad Horse hat diese Frage gestellt, ja. Allerdings war der Ursprung meine Aussage, daß Rollenspiel Literatur sei, nicht der Ausfluß (daran hab ich noch nicht mal gedacht). Insofern, Chapeau, und zwar zweimal, vor Korknadel, der die Mühe auf sich nahm, auf orale Literaturtraditionen hinzuweisen und hier einiges an Definitionsarbeit zu leisten. Ich hatte wirklich weder Zeit noch Lust, eigentlich Selbstverständliches auszuführen.

Ich möchte auch noch ergänzen, daß sich der Literaturbegriff nur außerhalb auf "Dinge zwischen Buchdeckeln" beschränkt, und (auch wenn Callisto das vielleicht nicht mag), in Disziplinen wie Sprachwissenschaft, Kulturanthropologie, Ethnologie, Geschichte und, ja, auch Literaturwissenschaft sehr viel weiter gefaßt Verwendung findet, je nach Kontext, wie Achamanian ausführte. Vielen Dank an all die, die die Definitionsstarre hier aufgebrochen haben. (EDIT/ Und nein, das ist kein Phänomen der Postmoderne.)

Ja Rollenspiel-Sitzungen sind eine moderne, kooperative Variante erzählender Literatur.
« Letzte Änderung: 10.04.2010 | 01:40 von Tearmaster »
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Zitat von: korknadel
Rollenspiele sollen bei Dir im besten Fall eine gewisse Schwermut, Resignation und Melancholie hervorrufen.

Zitat von: Dolge
Auf Diskussionen, was im Rollenspiel realistisch ist und was nicht, sollte man sich nie unter gar keinen Umständen absolut gar überhaupt vollständig nicht einlassen.

Eulenspiegel

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #104 am: 10.04.2010 | 03:56 »
@ Tearmaster
Literatur muss nicht unbedingt schriftlich sein. Insofern stimme ich mit dir überein. Aber Literatur muss fixiert sein. (Ob jetzt schriftlich fixiert oder mündlich fixiert oder auf einem Video fixiert, ist egal. Hauptsache es ist in einer festen Form.)

Ansonsten:
Autoren, die sich zusammensetzen und ein Buch schreiben, sind keine Literatur.
Das Buch, das dabei herauskommt, ist dagegen Literatur.

Das heißt, du könntest beim RPG höchstens sagen: "Es erschafft Literatur.", aber es ist selber keine Literatur. Und damit es Literatur erschafft, muss das Ergebnis (also die Rollenspielsitzung) auch irgendwie festgehalten werden. Man muss die Rollenspielsitzung nicht unbedingt schriftlich fixieren. Man kann die Rollenspielsitzung auch filmen, dann wäre der Film Literatur. Oder jemand macht sich die Mühe, die Rollenspielsitzung auswendig zu lernen. Dann wäre seine Rezitation der Rollenspielsitzung Literatur.

Egal, ob du einen Sachverhalt nun schriftlich, mündlich oder per Videokamera übermittelst: Wichtig ist, dass der Sachverhalt fixiert ist. (Wenn ich also ein und die gleiche Literatur zwei verschiedenen Menschen an zwei verschiedenen Orten zu zwei verschiedenen Zeiten vorlege, dann müssen beide den gleichen Inhalt erfahren.)
Und wichtig ist ebenfalls, dass die Erschaffung von Literatur selber keine Literatur ist.

Offline Hróđvitnir (Carcharoths Ausbilder)

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #105 am: 10.04.2010 | 04:02 »
Das spezielle in diesem Falle ist, daß die Erschaffung eben doch die Literatur ist (beim Romanschreiben etc. stimme ich Dir natürlich zu). Ganz einfach: Du, ich und zwei weitere Hansels haben eine Session. Jeder erschafft für die drei anderen eine Erzählung, die Prozesse von Schöpfen und Rezipieren fließen ineinander, sie sind nicht mehr getrennt.

Das ist das Besondere und Einmalige. Jeder Rezipient ist Schöpfer, Schöpfung und Rezeption sind eins.

EDIT/ Falls die Geschichte, die bei einer Sitzung für die Beteiligten (für diese und nur diese) herauskommt, für Dich keine Literatur ist, wie würdest Du die Geschichte sonst bezeichnen?
« Letzte Änderung: 10.04.2010 | 04:13 von Tearmaster »
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Zitat von: korknadel
Rollenspiele sollen bei Dir im besten Fall eine gewisse Schwermut, Resignation und Melancholie hervorrufen.

Zitat von: Dolge
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Eulenspiegel

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #106 am: 10.04.2010 | 04:14 »
Wie du schon sagst: Sie erschaffen eine Erzählung. (RPG kann eine Erzählung erschaffen, aber es kann keine Erzählung sein.)

Das ist das gleiche wie mit dem Roman schreiben:
Wenn der Autor einen Roman schreibt und der Lektor ihm dabei über die Schulter schaut, ist das keine Literatur. (Auch wenn der Lektor die Entstehung der Literatur mitbekommt.)

Und das gleiche beim Rollenspiel:
Wenn wir einen Erzählonkel-SL haben, der den Spielern seinen Plot präsentiert, in dem die gerailroadeten Spieler ihre SCs spielen dürfen,dann erleben sie die Entstehung der Literatur zwar hautnah mit. Aber die Sache an sich ist noch keine Literatur. (Hierbei wäre der SL dann der Autor und die Spieler wären die Lektoren.)

Wenn du jetzt ergebnisoffener und ohne Railroading spielst, kann quasi jeder Spieler die Autorenrolle einnehmen. Aber trotzdem erschaffen sie dabei höchstens eine Literatur, aber die Sitzung selber ist keine.

Offline Bitpicker

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #107 am: 10.04.2010 | 07:45 »
Meine Güte, schon fünf Seiten. Ich sage dazu nur Folgendes: ich habe meine Magisterarbeit im Fachbereich der Anglistik über das Thema "Das Rollenspiel als interaktive Erzählform - ein neuartiges Genre der Literatur?" geschrieben und dafür eine Eins bekommen, ich konnte also auch meine Prüfer von meiner Ansicht, dass es sich um eine Literaturform handelt, überzeugen.

Das ist bald zehn Jahre her, aber die heutigen von den klassischen Rollenspielen abweichenden Erzählspiele wie Prime Time Adventures usw., die da natürlich noch keine Rolle spielten (no pun intended), würden heute ihr eigenes Kapitel darin erhalten und die Annahme eher stützen als widerlegen.

Wenn als Argument angeführt wird, dass das Rollenspiel keine Literatur sei, weil die Erzählung nicht fixiert wird, oder weil irgend ein anderes Element des Rollenspiels nicht in einer anderen Literaturform vorkommt, dann muss ich erwidern, dass es doch etwas geben muss, was dieses literarische Genre von den anderen unterscheidet.

Beispiel: als es noch keine Romane gab, gab es bereits Theaterstücke. Theaterstücke sind Literatur. Als die ersten Romane erschienen, wichen sie deutlich von der etablierten Gattung 'Theaterstück' ab. Sie bestanden nicht nur aus Dialogen und Regieanweisungen, waren nicht dazu bestimmt, vorgespielt zu werden, und trotzdem gehören sie heute mit zur Literatur.

Auch die mündliche Erzählung gehört zur Literatur. Märchen sind ein gutes Beispiel, sie sind nicht erst durch die schriftliche Fixierung zu Literatur geworden. Nein, sie haben dadurch sogar einen wesentlichen Bestandteil, nämlich ihre Veränderbarkeit, verloren. Niedergeschriebene Märchen sind eine andere Literaturform als erzählte Märchen.

Es gibt auch heute noch Kulturen, in denen mündliches Erzählen die primäre Literaturform ist. Es gibt Erzähler, die dieselbe Geschichte in völlig unterschiedlicher Form und Länge präsentieren. Sie schmücken aus, lassen weg, folgen dabei allgemeinen und persönlichen Regeln. Und alle sind Literaturschaffende.

Im Falle des Rollenspiels (damit meine ich jetzt die Spielsitzung, nicht die Regelwerke und nicht Diaries usw., die ganz klassisch lesbar sind) liegt die Sache so: statt einen überlieferten Stoff weiterzutragen, wird -ganz postmodern- einfach ein neuer erschaffen oder existierende Versatzstücke werden neu zusammengesetzt. Dabei fließt die Information nicht von einem Erzähler zu einer Zuhörerschaft, sondern jeder Anwesende ist, wenn auch meist in unterschiedlichem Maße, sowohl Erzähler als auch Zuhörer. Das Werk wird für die einmalige gleichzeitige Rezeption erschaffen. Es ist unwiederholbar, und selbst dasselbe Abenteuer ist mit zwei unterschiedlichen Gruppen nicht identisch. Erschafunng und Rezeption dieser Literaturform sind eins. Diaries, mündliche Nacherzählungen, das sind eher klassische Literaturformen, die sich dazu verhalten wie z.B. 'das Buch zum Film' - ein Spin-Off.

Wenn also etwas am Rollenspiel anders ist als in einer bereits etablierten Literaturform, dann ist das kein Argument dagegen, sondern ein definierendes Element für eben diese Gattung zur Abgrenzung von den anderen.

Robin
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Eulenspiegel

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #108 am: 10.04.2010 | 13:41 »
Beispiel: als es noch keine Romane gab, gab es bereits Theaterstücke. Theaterstücke sind Literatur.
Theaterstücke sind auch fixiert:
Du kannst das gleiche Theaterstück an zwei verschiedenen Orten zu zwei verschiedenen Zeiten vorspielen und es transportiert den gleichen Inhalt.

Zitat
Auch die mündliche Erzählung gehört zur Literatur. Märchen sind ein gutes Beispiel, sie sind nicht erst durch die schriftliche Fixierung zu Literatur geworden. Nein, sie haben dadurch sogar einen wesentlichen Bestandteil, nämlich ihre Veränderbarkeit, verloren.
1) Märchen waren vorher mündlich fixiert.
2) Es ist egal, ob etwas schriftlich oder mündlich fixiert wurde, es lässt sich beide Male verändern. (Alleine die Märchen von den Gebrüdern Grimm wurden später auch häufig aufgegriffen und als GuteNacht Geschichte bzw. als Verfilmung geändert.)

Zitat
Es gibt Erzähler, die dieselbe Geschichte in völlig unterschiedlicher Form und Länge präsentieren. Sie schmücken aus, lassen weg, folgen dabei allgemeinen und persönlichen Regeln. Und alle sind Literaturschaffende.
Wenn zwei verschiedene Erzähler die gleiche Geschichte in unterschiedlicher Form und Länge präsentieren, dann sind es zwei verschiedene Literaturen:
Das ist wie der Walt Disney Film Robin Hood und "Robin Hood-Helden in Strumpfhosen":
Beides behandelt zwar die gleiche Geschichte, aber trotzdem sind beides zwei unterschiedliche literarische Werke.

Ein literarisches Werk wird eben nicht nur über die Geschichte (z.B. Robin Hoods Taten) definiert,sondern auch über die Art und Weise, wie diese präsentiert wird.
Wenn ich Robin Hoods Geschichte jetzt einmal als Zeichentrick-Version und einmal als Spielfilm präsentiere, sind das zwei verschiedene literarische Werke.(Beide Filme sind Literatur, aber es ist nicht die gleiche Literatur, obwohl sie die gleiche Geschichte beinhalten.)

Zitat
Wenn also etwas am Rollenspiel anders ist als in einer bereits etablierten Literaturform, dann ist das kein Argument dagegen, sondern ein definierendes Element für eben diese Gattung zur Abgrenzung von den anderen.
Wenn irgendetwas anders wäre, würde ich dir ja zustimmen.
Wenn aber das definierende Element anders ist, dann ist es per definitionem keine Literatur.

(Sonst kommt noch jemand und behauptet, Fußball sei Literatur: Fußball unterscheidet sich zwar von der klassischen Literatur, aber das dient nur dazu, die Fußball-Literatur von der klassischen Literatur abzugrenzen.)

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #109 am: 10.04.2010 | 13:43 »
Theaterstücke sind auch fixiert:
Du kannst das gleiche Theaterstück an zwei verschiedenen Orten zu zwei verschiedenen Zeiten vorspielen und es transportiert den gleichen Inhalt.

Vorsicht! Du hast es mit einem "cunny linguist" zu tun! Der sagt dir, dass es einen geschriebenen Text so oft gibt, wie er Leser hat. Das gilt natürlich für Theaterstücke noch locker mit!
Visionär: "Geht weg ihr Rabauken mit eurer Rockmusik und den Rauschgifthaschischspritzen!"

Coldwyn: "Hach, was haben die Franzosen für schöne Produkte, wir haben irgendwie nur Glgnfz. Wie unfair."

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #110 am: 10.04.2010 | 13:57 »
1. Habe ich in irgendeiner Form behauptet, dass Theaterstücke nicht fixiert seien?

2. Nein, Märchen waren mündlich nicht fixiert. Jeder Erzähler erzählte seine persönliche Variante. Von späterer Abwandlung eines Werkes war nicht die Rede, das geht natürlich immer.

Es ist ganz einfach: wenn ein Literaturwissenschaftler sich im Rahmen seiner Tätigkeit mit etwas auseinandersetzt, ist es Literatur, sonst ist er am Thema vorbei. Fußball ist am Thema vorbei. Rollenspiel nicht.

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Achamanian

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #111 am: 10.04.2010 | 14:05 »
Sorry, Eulenspiegel, aber jetzt verwickelst du dich völlig in Widersprüche. Wenn Märchen mündlich "fixiert" sein können, dann gilt das Gleiche für Rollenspielsitzungen. Und ein Märchen, das zwei mal unterschiedlich erzählt wird, stellt das keine zwei "Literaturen" dar, sondern höchstens zwei verschiedene Werke.
Und das definierende Element von Literatur ist nunmal nicht Fixiertheit. Vielleicht kann man noch sagen, dass irgendeine Form der Tradierung nötig ist, und dann hast du RSP potentiell schon wieder mit im Boot ...

Wie gesagt: es hilft wenig, sich einfach selbst eine Definition auszudenken.

Achamanian

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #112 am: 10.04.2010 | 14:49 »
Ich glaube, die diskussion ist tatsächlich sinnlos. Es kommt eben darauf an, ob man ein Begriff als Arbeitswerkzeug versteht oder ob als Schublade. Ich finde eben ersteres sinnvoller, aber dann muss man mit einer gewissen Unschärfe und mit themenbezogener Neuaushandlung der genauen Bedeutungen leben. Das betrifft ja nicht nur die Geisteswissenschaften, sondern auch Hard Sciences: Das "Gen" des Molekularbiologen ist etwas anderes als das "Gen" des Evolutionsbiologen, und das "Gen" des populären Diskurses ist noch mal was anderes.

Mal anders gefragt: Würdest du sagen, eine Arbeit, die RSP als Literaturform behandelt, ist von vorneherein automatisch Bullshit, weil RSP eben keine Literatur ist? Oder würdest du nicht vielleicht doch eher sagen: "Hm, bin ja mal gespannt, welche Literatur-Aspekte der da im RSP findet?"

Und um dann doch noch mal selber Schubladen aufzumachen: Von "Literaturen" im Plural wird für gewöhnlich gesprochen, wenn man damit eingrenzbare Literaturtraditionen meint (wie z.B. angloamerikanische Literatur, deutschssprachige Literatur ...)

Eulenspiegel

  • Gast
Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #113 am: 10.04.2010 | 14:50 »
1. Habe ich in irgendeiner Form behauptet, dass Theaterstücke nicht fixiert seien?
Jain. Du hast geschrieben:
"Wenn als Argument angeführt wird, dass das Rollenspiel keine Literatur sei, weil die Erzählung nicht fixiert wird,[...]
Beispiel: als es noch keine Romane gab, gab es bereits Theaterstücke."


Du hast es zwar nicht explizit geschrieben, aber die Tatsache, dass du Theaterstücke als Beispiel für "weil die Erzählung nicht fixiert wird", nennst, lässt den Schluss zu. (Falls du das anders meinst: Wofür war die Sache mit den Theaterstücken dann ein Beispiel?)

Zitat
2. Nein, Märchen waren mündlich nicht fixiert. Jeder Erzähler erzählte seine persönliche Variante. Von späterer Abwandlung eines Werkes war nicht die Rede, das geht natürlich immer.
Wenn jeder Regisseur/Autor also in der Lage ist, ein Werk abzuwandeln, dann war im Mittelalter auch jeder Erzähler in der Lage, ein Stück abzuwandeln.

Wiegesagt: Das abwandeln im Mittelalter unterscheidet sich nicht wirklich vom Abwandeln in der Moderne: In beiden Fällen hat der Rezipient ein literarisches Werk gehört und ist der Meinung, dass es mit ein paar Abänderungen noch besser rüberkommt.
Der Rezipient wird also selber zum Autoren, indem er das gehörte Stück abändert und sein abgeändertes Stück dann unters Volk bringt.
Kein Unterschied zwischen Moderne und Mittelalter.

Zitat
Es ist ganz einfach: wenn ein Literaturwissenschaftler sich im Rahmen seiner Tätigkeit mit etwas auseinandersetzt, ist es Literatur, sonst ist er am Thema vorbei. Fußball ist am Thema vorbei. Rollenspiel nicht.
Und wieso kann sich der Literaturwissenschaftler im Rahmen seiner Tätigkeit nicht mit Fußball auseinandersetzen?

Ansonsten: War das tatsächlich die Begründung deiner Magisterarbeit?
"Rollenspiel ist Literatur, weil sich ein Literaturwissenschaftler (nämlich ich) mit diesem Thema auseinandersetzt?"

Falls das wirklich die Begründung deiner Magisterarbeit war, wäre das ein ziemlicher Zirkelschluss.

Sorry, Eulenspiegel, aber jetzt verwickelst du dich völlig in Widersprüche. Wenn Märchen mündlich "fixiert" sein können, dann gilt das Gleiche für Rollenspielsitzungen. Und ein Märchen, das zwei mal unterschiedlich erzählt wird, stellt das keine zwei "Literaturen" dar, sondern höchstens zwei verschiedene Werke.
1) Ja, es sind zwei verschiedene literarische Werke.
Und was der Unterschied zwischen "literarischem Werk" und "Literatur" ist, muss du mir erklären. Ich benutze diese beiden Begriffe synonym. (Aber ich bin durchaus lernwillig, falls du mir den Unterschied erklärst.)

2) Der Unterschied zwischen RPG und Märchen liegt im Wort "fixiert":
Bei einem Märchen ist die Geschichte fixiert. (Ich kann das Märchen an zwei verschiedenen Orten zu zwei verschiedenen Zeiten erzählen und es kommt das gleiche dabei heraus.)

Bei einem RPG ist die Geschichte nicht fixiert: (Wenn ich das RPG an zwei verschiedenen Orten zu zwei verschiedenen Zeiten erzähle, dann kommen zwei völlig verschiedene Sachen dabei heraus.)

Disclaimer: Ausnahme sind Railroading-Abenteuer. Diese würde ich durchaus als Literatur bezeichnen, da diese tatsächlich fixiert sind. (Im Sinne von: Wenn ich das Railroading-AB an zwei verschiedenen Orten zu zwei verschiedenen Zeiten spiele, kommt beide Male das gleiche dabei heraus.)
In diesem Fall ist aber nicht das RPG selber die Literatur, sondern das Railroading-AB ist die Literatur. Und das RPG selber ist eher eine Art Lesung, in der ich die Literatur dann präsentiere.

Zitat
Und das definierende Element von Literatur ist nunmal nicht Fixiertheit.
Sondern? Was ist dann das definierende Element von Literatur?
Was unterscheidet Literatur von z.B. einem Gespräch? Oder was unterscheidet Literatur von einer Schulstunde? (Was ja im Prinzip ein Gespräch zwischen Lehrern und Schülern ist.)

Imho hat RPG mehr mit einem Gespräch als mit Literatur gemein.

Zitat
Wie gesagt: es hilft wenig, sich einfach selbst eine Definition auszudenken.
Ich denke mir keine Definition aus,sondern ich benutze die Definition von Wikipedia.
Aber du kannst mir ja gern deine Definition von Literatur nennen. (Bzw. was das Merkmal ist, dass Literatur von einem gewöhnlichen Gespräch unterscheidet. - Oder sind für die Gespräche zwischen zwei Leuten auch Literatur?)

EDIT:
Hmm, irgendwie ist mein Post beim editieren hinter Achamanians gerutscht.
Zum Verständnis: Achamanians letzter Post #112 bezieht sich eigentlich auf diesen Post hier.
« Letzte Änderung: 10.04.2010 | 14:53 von Eulenspiegel »

Achamanian

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #114 am: 10.04.2010 | 14:58 »
Wiegesagt: Das abwandeln im Mittelalter unterscheidet sich nicht wirklich vom Abwandeln in der Moderne: In beiden Fällen hat der Rezipient ein literarisches Werk gehört und ist der Meinung, dass es mit ein paar Abänderungen noch besser rüberkommt.
Der Rezipient wird also selber zum Autoren, indem er das gehörte Stück abändert und sein abgeändertes Stück dann unters Volk bringt.
Kein Unterschied zwischen Moderne und Mittelalter.

Ich glaube, der Autorenbegriff ist bei Volkserzählungen doch nur sehr schwer anzuwenden. Dass Literatur unbedingt einen Autor haben muss, ist doch eher eine Idee, die mit dem Roman aufgekommen ist. Von daher ist nicht viel gewonnen, indem man dieseb Begriff auf eine Literatur rückprojiziert, die ihn in dieser strengen Form überhaupt nicht kannte.

Offline Bitpicker

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #115 am: 10.04.2010 | 15:31 »
@Eulenspiegel: du hast das Theaterzitat aus dem Zusammenhang gerissen. Das Beispiel diente dazu, zu illustrieren, wie man beim Aufkommen des Romans auch hätte argumentieren können, dass das keine Literatur sei, weil Literatur ja in Dialogform mit Szenen- und Regieanweisungen daherkommt (Theaterstück). Dem Rollenspiel wurde vorgeworfen, Nicht-Fixiertheit sei ein Ausschlusskriterium, was ich für genau so falsch halte - nicht zuletzt weil Literaturwissenschaftler über mündliche Erzählkunst ganze Regalmeter geschrieben haben. Und egal, was du behauptest (hast du eigentlich was fürs Thema Relevantes studiert oder rätst du hier nur?), mündliche Erzählkunst ist nicht fixiert.

Und was den Zirkelschluss angeht - die Urkunde an meiner Wand beweist, dass andere Literaturwissenschaftler meine These zumindest für diskussionswürdig hielten und nicht am Thema vorbei, sonst hätte ich den Titel nicht.

Mir liegt übrigens auch eine wissenschaftliche Arbeit über das Rollenspiel-Charakterblatt als neuartige Textgattung vor, es gibt also noch jemanden, der das Thema im Rahmen der Literaturwissenschaft interessant genug fand.

Ich weiß nicht, wieso so viele Leute allergische Reaktionen bekommen, wenn man dem Rollenspiel unterstellt, Kunst oder Literatur zu sein. Vielleicht liegt es an dem kranken elitären Begriff, den wir in Deutschland von Kunst haben - wenn die Masse es mag, ist es trivial, keine Kunst, und wenn es Kunst ist, darf man es nicht mögen, sonst gehört man zu diesen Idioten aus dem Elfenbeinturm. Igitt.

Die Diskussionen hier sind übrigens auch literaturwissenschaftlich auswertbar. Wer also mit dem Vorwurf, Literatur zu schaffen, nicht leben kann, der lösche bitte sofort sein Benutzerkonto.

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Eulenspiegel

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #116 am: 10.04.2010 | 16:02 »
Mal anders gefragt: Würdest du sagen, eine Arbeit, die RSP als Literaturform behandelt, ist von vorneherein automatisch Bullshit, weil RSP eben keine Literatur ist? Oder würdest du nicht vielleicht doch eher sagen: "Hm, bin ja mal gespannt, welche Literatur-Aspekte der da im RSP findet?"
Also von vornherein würde ich nichts als Bullshit bezeichnen. (Von vornherein würde ich als Fußballfan auch sagen: "Hm, bin ja mal gespannt, welche Literatur-Aspekte der da im Fußball findet.")
Ich gebe Neuem grundsätzlich eine Chance. Ich bezweifle bloß, dass viel damit gewonnen wird, wenn man krampfhaft versucht, irgendwelchen literarischen Aspekte aufs RPG übertragen zu wollen. (Ich will nicht sagen, dass es überhaupt keine literarischen Aspekte gibt. Irgendwelche Gemeinsamkeiten lassen sich immer zwischen zwei beliebigen Sachen finden.)

Gegenfrage: Würdest du eine Arbeit, die einen mittelalterlichen Geschichtenerzähler als Autoren behandelt als Bullshit bezeichnen? Oder würdest du sagen: "Hm, bin ja mal gespannt, welche Autoren-Aspekte der da im mittelalterlichen Geschichtenerzähler findet?"

Ansonsten: Es gibt sicherlich auch sportliche Aspekte, die man aufs RPG übertragen kann. Trotzdem ist RPG ken Sport.
Es gibt auch eine Menge psychologischer Aspekte, die man aufs RPG übertragen kann. Trotzdem ist RPG keine Psychologie.
Und es gibt sogar ein paar politische und staatstheoretische Aspekte, die man aufs RPG übertragen kann. Trotzdem ist RPG kein Staat.
Nur weil ich also literarische Aspekte auf das RPG übertragen kann, ist es noch lange keine Literatur.

Zitat
Ich glaube, der Autorenbegriff ist bei Volkserzählungen doch nur sehr schwer anzuwenden. Dass Literatur unbedingt einen Autor haben muss, ist doch eher eine Idee, die mit dem Roman aufgekommen ist. Von daher ist nicht viel gewonnen, indem man dieseb Begriff auf eine Literatur rückprojiziert, die ihn in dieser strengen Form überhaupt nicht kannte.
Wieso ist der Autorenbegriff auf Volkserzählungen schlecht anzuwenden?
Man muss eine Sache nicht unbedingt schriftlich fixieren, um ein Autor zu sein. Um Autor zu sein, muss man ein sprachliches Konstrukt fixieren. Ob das schriftlich oder mündlich erfolgt, ist dabei irrelevant.

Wichtig bei Literatur und Autor sind zwei Sachen:
a) Es handelt sich um Sprache
b) Diese wird fixiert.

Falls diese beiden Sachen zutreffen gilt: Die Sache, die fixiert wird, wird als "Literatur" definiert und derjenige, der die Fixierung vornimmt, wird als "Autor" definiert.

Ansonsten finde ich es etwas seltsam:
Bei Literatur predigst du, dass man den Begriff nicht so eng sehen soll sondern diesen möglichst weit sehen soll.
Und bei Autor predigst du das Gegenteil, dass man diesen Begriff möglichst eng sehen soll.

Und was den Zirkelschluss angeht - die Urkunde an meiner Wand beweist, dass andere Literaturwissenschaftler meine These zumindest für diskussionswürdig hielten und nicht am Thema vorbei, sonst hätte ich den Titel nicht.
Deswegen glaube ich ja auch, dass das Argument für deine These nicht war:
"Ein Literaturwissenschaftler hat sich mit Rollenspielen beschäftigt, also ist Rollenspiel Literatur."

Ich hoffe inbrünstig, dass du ein besseres Argument in deiner Magisterarbeit vorgebracht hast.

Zitat
Mir liegt übrigens auch eine wissenschaftliche Arbeit über das Rollenspiel-Charakterblatt als neuartige Textgattung vor, es gibt also noch jemanden, der das Thema im Rahmen der Literaturwissenschaft interessant genug fand.
Und wie hat dieser jemand begründet, dass Rollenspiel Literatur sei?
Bitpicker: "RPG ist Literatur, weil Mr. X Naturwissenschaftler ist und sich damit beschäftigt."
Mr. X: "RPG ist Literatur, weil Mr. Bitpicker Literaturwissenschaftler ist und sich damit beschäftigt."

Waren dass die Begründungen für eure Thesen in eurer Magistearbeit oder gab es noch weitere Begründungen?

Zitat
Ich weiß nicht, wieso so viele Leute allergische Reaktionen bekommen, wenn man dem Rollenspiel unterstellt, Kunst oder Literatur zu sein.
Also allergische Reaktionen sind es nicht.
Ich schaue mir halt nur die Definition von Wikipedia an, vergleiche diese Definition mit RPG und sage: "Nee, passt nicht."

Zitat
Die Diskussionen hier sind übrigens auch literaturwissenschaftlich auswertbar. Wer also mit dem Vorwurf, Literatur zu schaffen, nicht leben kann, der lösche bitte sofort sein Benutzerkonto.
Ja, dieser Thread hier ist Literatur. Hier wird schließlich auch etwas fixiert. (Im Gegensatz zum Beispiel zu einem Chatgespräch, wo keiner ein Log mitlaufen lässt: In diesem Fall findet keine Fixierung statt und daher ist ein ungelogter Chat auch keine Literatur sondern ein Gespräch.)

Merke: Sprachlicher Austausch ohne Fixierung --> Gespräch
Sprachlicher Austausch mit Fixierung --> Literatur

Dabei ist es irrelevant, wie der sprachliche Austausch stattfindet und ob er mündlich, schriftlich oder optisch erfolgt.
Wichtig für die Unterscheidung zwischen Gespräch und Literatur ist die Fixierung.

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #117 am: 10.04.2010 | 16:14 »
Zitat
Und egal, was du behauptest (hast du eigentlich was fürs Thema Relevantes studiert oder rätst du hier nur?), mündliche Erzählkunst ist nicht fixiert.

Ich kenne mich mit mündlicher Literatur nicht wirklich aus (habe ja auch noch nicht fertig stuidert ;) )  und habe daher eine Nebenfrage, die jetzt nichts mit der Entscheidung darüber, ob Rollenspiel nun Literatur ist oder nicht, zu tun hat: Könnte man bei mündlicher Literatur nicht argumentieren, sie sei mental fixiert? Das ist es eben, wo ich zumindest einen Unterschied zwischen Rollenspiel und einer tradierten Erzählung machen würde, denn im einen Fall entsteht der Inhalt der Erzählung im spielerischen Prozess, während im anderen Fall in der Regel ein vorhandener Stoff vorgetragen wird, der vielleicht variiert und ausgeschmückt wird, jedoch in der Regel ganz charakteristische Merkmale hat, wenn er nicht sogar bloß vers für vers rezitiert wird.

@Korknadel

Habe gerade leider keine Zeit, meine Idee präziser zu fassen. Werde sie mir noch nehmen.

Achamanian

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #118 am: 10.04.2010 | 16:22 »
Wieso ist der Autorenbegriff auf Volkserzählungen schlecht anzuwenden?
Man muss eine Sache nicht unbedingt schriftlich fixieren, um ein Autor zu sein. Um Autor zu sein, muss man ein sprachliches Konstrukt fixieren. Ob das schriftlich oder mündlich erfolgt, ist dabei irrelevant.

Wichtig bei Literatur und Autor sind zwei Sachen:
a) Es handelt sich um Sprache
b) Diese wird fixiert.

Falls diese beiden Sachen zutreffen gilt: Die Sache, die fixiert wird, wird als "Literatur" definiert und derjenige, der die Fixierung vornimmt, wird als "Autor" definiert.

Ansonsten finde ich es etwas seltsam:
Bei Literatur predigst du, dass man den Begriff nicht so eng sehen soll sondern diesen möglichst weit sehen soll.
Und bei Autor predigst du das Gegenteil, dass man diesen Begriff möglichst eng sehen soll.

Ich sage gar nicht, dass man den Autorenbegriff möglichst eng definieren soll, ich glaube nur, wenn man ihn unbedacht auf Volkserzählungen anwendet, entsteht ein falsches Bild - dass es nämlich darum ginge, bei jedem schöpferischen Moment immer den Urheber benennen zu können. Das war nun mal nicht so, und die Leute haben sich ja auch oft ein Dreck um die Werkintegrität geschert, wenn da einer da z.B. was übersetzt hat, hat er es auch gleich zensiert, aufpoliert, gekürzt, ausgeweitet ...
Die Kunsthistoriker haben da doch ganz oft ähnliche Schwierigkeiten mit den Werken irgendwelcher großer Meister, die letztlich in erster Linie Werkstätten betrieben haben und bei denen gar nicht mehr ermittelbar ist, bei welchen Werken sie selbst konkret mitgearbeitet haben.

Diese sehr feste Verbindung von Autor und Werk ist nun mal eher eine Sache der Moderne (und vielleicht der Antike, da kenne ich mich nicht so aus), fürs Mittelalter kommt man damit einfach nicht weit. Und mit der Fixierung ist es ähnlich. Es gibt eben von vielen tradierten Texten keine kanonische, "richtige" Fassung, weshalb es oft auch wenig Sinn ergibt, den Autor klar benennen zu wollen. Wenn man dann darauf ausweicht, jede Variante als neues Werk zu behandeln und die Autoren der jeweiligen Variationen zu suchen ... tja, wahrscheinlich kann man das machen, aber ich wüsste tatsächlich nicht, warum das von Interesse sein sollte, weil das ja gerade am Charakter dieser Literatur vorbeigeht.

Es hat auch keinen Sinn, den als Autor zu definieren, der ggf. das Fixieren besorgt. Wenn du eine Geschichte erzählst und ich das Diktiergerät dazu anstelle, bin ich dann der Autor?

Es geht mir im Prinzip auch überhaupt nicht darum, bestimmte Begriffe möglichst eng oder weit zu fassen ("Literatur" weit und "Autor" eng, etwa), sondern darum, dass man sich bewusst ist, dass in der Wissenschaft (und d.h. in jeder eingehenderen Auseinandersetzung) die Verwendung von Begriffen auch immer mit Definitionsarbeit verbunden ist. Deshalb fangen wissenschaftliche Arbeiten ja oft mit Begriffsklärungen an, um deutlich zu machen, warum sie welche Begriffe wie anwenden. Wenn man dagegen glaubt, "Autor", "Werk" und "Literatur" seien klar einzugrende und allgemeingültig definierbare Begriffe mit überhistorischen Bedeutungen, dann produziert man zwangsläufig Missverständnisse.

Offline Bitpicker

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #119 am: 10.04.2010 | 16:24 »
Diese Fixierung auf Fixierung ist diskussionsunwürdiger Blödsinn. Musik ist auch Musik, wenn man sie nicht aufnimmt.

@ nnhndrtzwlf

Zitat
Könnte man bei mündlicher Literatur nicht argumentieren, sie sei mental fixiert? Das ist es eben, wo ich zumindest einen Unterschied zwischen Rollenspiel und einer tradierten Erzählung machen würde, denn im einen Fall entsteht der Inhalt der Erzählung im spielerischen Prozess, während im anderen Fall in der Regel ein vorhandener Stoff vorgetragen wird, der vielleicht variiert und ausgeschmückt wird, jedoch in der Regel ganz charakteristische Merkmale hat.

Einige Punkte sind beim mündlichen Erzählen in der Regel traditionell fixiert, es gibt aber auch Erzähler, die aus dem Stegreif Geschichten produzieren. Ebenso wie es z.B. Stand-Up Comedy mit festem Programm und solche mit Improvisation gibt. Aber einer der interessanten, postmodernen Aspekte beim Rollenspiel ist es, dass die Funktion der Überlieferung (die einer Fixierung zugrunde liegt) heute nicht mehr wichtig ist. In Kulturen mit mündlicher Überlieferung dient diese Überlieferung dem Transport der traditionellen Kultur. In unserer Zeit, in der (nach Margaret Mead, ich will jetzt nicht alles über post-, ko- und präfigurative Kulturen zusammenfassen, wenn du vom Fach bist und meine Arbeit lesen magst, schreib mir ne PM) Erzählung, egal ob schriftlich oder mündlich, nicht mehr dem Erhalt von Überlieferung dient, weil Überlieferung an sich an Wert verloren hat, ist eine Erzählkultur ohne jede Fixierung eine neue Ausprägung von Literatur.

Wenn das Rollenspiel dasselbe wäre wie mündliche Überlieferung, bräuchten wir keine Diskussion. Es muss einen Unterschied zwischen der mündlichen Erzählkunst und dem Rollenspiel geben. Er liegt darin, dass keine Traditionen vermittelt werden, weshalb keinerlei Fixierung notwendig ist, und darin, dass die Erschaffung des literarischen Werkes eine Gemeinschaftsarbeit aller Beteiligten ist und keine Einbahnstraße vom Erzähler zum Zuhörer oder vom Autor zum Leser.

Übrigens komme ich da gerade auf die Idee, dass das Wiki ebenfalls ein Vehikel für eine Literaturform ist, fiktional und nichtfiktional, die nicht fixiert ist. Wiki-Texte sind verschriftlicht, aber wandelbar, und ja, es gibt Literaturprojekte auf dieser Basis.

Robin
« Letzte Änderung: 10.04.2010 | 16:31 von Bitpicker »
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Eulenspiegel

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #120 am: 10.04.2010 | 18:29 »
Ich sage gar nicht, dass man den Autorenbegriff möglichst eng definieren soll, ich glaube nur, wenn man ihn unbedacht auf Volkserzählungen anwendet, entsteht ein falsches Bild - dass es nämlich darum ginge, bei jedem schöpferischen Moment immer den Urheber benennen zu können.
Oh, das ist nicht der Fall: Jeder schöpferische Akt hat einen (oder mehrere) Urheber. Aber es kann durchaus sein, dass diese Urheber unbekannt sind.

Zitat
Das war nun mal nicht so, und die Leute haben sich ja auch oft ein Dreck um die Werkintegrität geschert, wenn da einer da z.B. was übersetzt hat, hat er es auch gleich zensiert, aufpoliert, gekürzt, ausgeweitet ...
Tja, damals waren Plagiate halt legal. (Die Leute damals wussten wahrscheinlich nichtmal, was ein Plagiat ist.)

Du musst halt unterscheiden zwischen "Es gibt einen Urheber." und "Der Urheber ist bekannt."
Nur weil der Urheber unbekannt ist, heißt das noch lange nicht, dass er nicht existiert. (Und Autor ist letztendlich nichts anderes als eine Abkürzung für "literarischer Urheber")

Zitat
Und mit der Fixierung ist es ähnlich. Es gibt eben von vielen tradierten Texten keine kanonische, "richtige" Fassung, weshalb es oft auch wenig Sinn ergibt, den Autor klar benennen zu wollen.
1) Ich habe nie gesagt, dass ich den Autoren nennen will. Ich habe gesagt, dass der Autor existiert. (Auch wenn er evtl. unbekannt ist.)

2) Auch bei modernen Sachen gibt es keine "richtige Fassung".
Ist jetzt die Zeichentrickserie Batman die richtige Fassung oder sind die Spielfilme zu Batman die richtige Fassung? (Und wenn ja: Welche Spielfilme sind die richtige Fassung?)
Das gleiche könnte ich dich zu Spider Man oder zu Robin Hood fragen.

Wenn ein Werk sich großer Beliebtheit erfreut, wird es unwiderbringlich zu Remakes kommen.
Der Unterschied war halt der, dass im Mittelalter ein Remake sozusagen Standard und an der Tagesordnung war, während es heutzutage nur noch bei sehr berühmten Geschichten zu Remakes kommt.

3) Alleine die Tatsache, dass du sagst: "Der Übersetzer hat gleich zensiert, aufpoliert, gekürzt, ausgeweitet etc.", besagt doch, dass da etwas Fixiertes vorhanden war:
- Es gab ein Werk, das er übersetzen konnte.
- Es gab ein Werk, das er aufpolieren konnte.
- Es gab ein Werk, das er kürzen konnte.
- Es gab ein Werk, das er ausweiten konnte.

Sprich, es war etwas vorhanden, das sich verändern ließ.

Das ist bei einer RPG-Sitzung aber nicht der Fall.
- Du kannst keine zweite RPG-Sitzung machen, die eine Übersetzung einer alten RPG-Sitzung ist.
- Du kannst keine RPG-Sitzung aufpolieren, falls dir die ursprüngliche RPG-Sitzung nicht gefällt.
- Du kannst keine RPG-Sitzung kürzen.
- Du kannst keine RPG-Sitzung ausweiten.

Es ist einfach kein Werk, keine Fixierung vorhanden, n dem du das machen konntest.
Bei mittelalterlichen Geschichten war das anders: Dort existierte ein Werk, das du übersetzen, aufpolieren, kürzen, erweitern etc. konntest.

Bei einer mittelalterlichen Geschichte konnte der Rezipient, nachdem er die Geschichte gehört hatte, sagen: "Die Geschichte an sich ist gut, die erzähle ich weiter. Aber da sind ein paar Details, die ändere ich ab, wenn ich sie weitererzähle."
Das funktioniert bei einem (ergebnisopffenen) RPG nicht. Da kann weder der SL noch der Spieler sagen: "Der RPG-Abend an sich war super. Aber da waren ein paar Details, die ändere ich ab, wenn ich den RPG-Abend das nächste Mal mache."

Disclaimer:
Selbstverständlich gibt es auch bei einem RPG ein paar "fixierte" Elemente, die regelmäßig auftauchen: Sei es, dass man nur eine Viertelstunde auf Nachzügler wartet und dann ohne sie anfängt, dass man immer das gleiche Regelsystem verwendet, dass man um 16:00 Uhr eine kleine Essenspause einlegt, dass der Gastgeber bestimmt, wie lange die Spielsitzung dauert etc.
Das sind natürlich alles fixierte Elemente, die sich ändern lassen. Aber diesen Elementen fehlt die sprachliche Komponente, weshalb diese keine Literatur sind.

Zitat
Wenn man dann darauf ausweicht, jede Variante als neues Werk zu behandeln und die Autoren der jeweiligen Variationen zu suchen ... tja, wahrscheinlich kann man das machen, aber ich wüsste tatsächlich nicht, warum das von Interesse sein sollte, weil das ja gerade am Charakter dieser Literatur vorbeigeht.
Es muss nicht jede Variante ein neues Werk sein.
Wenn der Lektor sich dein Geschreibsel anschaut und dort ein paar Korrekturen vornimmt, ist das noch kein neues Werk, sondern immer noch das alte Werk mit kleinen Veränderungen.

Wenn man sich jedoch Robin Hood von Walt Disney anschaut und sich anschließend den Film "Robin Hood - Helden in Strumpfhosen", dann ist es ein neues Werk.

Bei der Frage, ob etwas ein neues Werk ist oder nicht, kommt es also darauf an, wie groß die Veränderungen sind: Nimmt man nur minimale Veränderungen vor (Beispiel: Lektor korrigiert), dann ist es noch das alte Werk.

Nimmt man jedoch tiefgreifendere Veränderungen vor (Beispiel: Robin Hood als Zeichentrickfilm zu Robin Hood als Spielfilm), dann ist es ein neues Werk.

Sicherlich ist der Übergang fließend und man kann nicht exakt sagen, wieviel Veränderungen ein Werk verkraftet, bevor es zu einem neuen Werk wird.

Aber grundsätzlich lässt sich sagen: Je mehr Veränderungen ein Werk widerfährt und je tiefgreifender die Veränderungen sind, desto wahrscheinlicher ist es anschließend ein neues Werk. (Aber wenn du genaueres wissen willst, müsstest du dich mit ein paar Juristen kurzschließen, die sich darauf spezialisiert haben. Die Frage, was noch als altes Werk und was bereits als neues Werk gilt, ist überaus komplex.)

Zitat
Es hat auch keinen Sinn, den als Autor zu definieren, der ggf. das Fixieren besorgt. Wenn du eine Geschichte erzählst und ich das Diktiergerät dazu anstelle, bin ich dann der Autor?
Nein, derjenige, der den schöpferischen Akt hat, ist der Autor. In diesem Fall also: Derjenige, der sich die Geschichte ausgedacht hat, ist der Autor. (Es sei denn, ich habe die bereits ausgedachte Geschichte so weit abgeändert, dass sie als eigenständiges Werk gilt. Dann wäre ich der Autor.)

Aber du mit deinem Diktiergerät bist nicht der Autor, sondern der Rezipient.

Und du müsstest nichtmal ein Diktiergerät mitlaufen lassen. Wenn du dich entschließen würdest, die Geschichte, die ich dir erzählt habe weiterzuerzählen, wäre es ebenfalls Literatur.
Oder wenn ich mich entschließen würde, die Geschichte, die ich dir erzählt habe, irgendwann später jemand anderem ebenfalls zu erzählen, wäre das ebenfalls Literatur.
Wichtig ist, dass die Geschichte den Augenblick übersteht. Ob nun mit Diktiergerät oder als Bereitschaft, sie irgendwo anders wiederzuerzählen, ist dabei egal.

Wenn diese Bereitschaft jedoch nicht besteht, dann ist das keine Literatur, sondern nur ein Gespräch.

Zitat
Es geht mir im Prinzip auch überhaupt nicht darum, bestimmte Begriffe möglichst eng oder weit zu fassen ("Literatur" weit und "Autor" eng, etwa), sondern darum, dass man sich bewusst ist, dass in der Wissenschaft (und d.h. in jeder eingehenderen Auseinandersetzung) die Verwendung von Begriffen auch immer mit Definitionsarbeit verbunden ist. Deshalb fangen wissenschaftliche Arbeiten ja oft mit Begriffsklärungen an, um deutlich zu machen, warum sie welche Begriffe wie anwenden.
Klar steht es einem Wissenschaftler frei, zu Beginn einer Arbeit zu schreiben: Ich definiere für meine Arbeit das Wort Literatur" wie folgt: ...
Und dann kann man innerhalb der Arbeit anhand dieser Definition messen, ob etwas Literatur ist oder nicht.
Wenn diese Definition aber nicht kommt, dann wird davon ausgegangen, dass man den Begriff so verwendet, wie er auch sonst üblich verwendet wird.

Das gleiche gilt auch hier:
Hätte der Threadstarter geschrieben, wie er Literatur definiert, hätte ich mich an diese Definition gehalten.
Da er das nicht getan hat, verwende ich die Definition aus Wikipedia.
Wenn du jetzt sagst, dass Wikipedia sich irrt und man in der Literaturwissenschaft eine andere Definition verwendet, nämlich [insert definition], dann würde ich diese Definition verwenden.

Diese Fixierung auf Fixierung ist diskussionsunwürdiger Blödsinn. Musik ist auch Musik, wenn man sie nicht aufnimmt.
Ja richtig.
Aber Musik ist keine Musik, wenn keine Schallwellen dabei vorkommen.

Ein definierendes Merkmal von Musik ist, dass Schallwellen erzeugt werden. Werden keine Schallwellen erzeugt, ist es keine Musik.

Und ein definierendes Merkmal von Literatur ist, dass es fixiert wird. Ist es nicht fixiert, ist es keine Literatur.

Niemand hat behauptet, dass Literatur Schallwellen erzeugen muss. Und niemand hat behauptet, dass Musik fixiert sein muss.
ABER: Musik muss Schallwellen erzeugen und Literatur muss fixiert sein.

Pouint taken?

Achamanian

  • Gast
Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #121 am: 10.04.2010 | 19:38 »

Du musst halt unterscheiden zwischen "Es gibt einen Urheber." und "Der Urheber ist bekannt."
Nur weil der Urheber unbekannt ist, heißt das noch lange nicht, dass er nicht existiert. (Und Autor ist letztendlich nichts anderes als eine Abkürzung für "literarischer Urheber")
1) Ich habe nie gesagt, dass ich den Autoren nennen will. Ich habe gesagt, dass der Autor existiert. (Auch wenn er evtl. unbekannt ist.)

[...]

Wenn ein Werk sich großer Beliebtheit erfreut, wird es unwiderbringlich zu Remakes kommen.
Der Unterschied war halt der, dass im Mittelalter ein Remake sozusagen Standard und an der Tagesordnung war, während es heutzutage nur noch bei sehr berühmten Geschichten zu Remakes kommt.

3) Alleine die Tatsache, dass du sagst: "Der Übersetzer hat gleich zensiert, aufpoliert, gekürzt, ausgeweitet etc.", besagt doch, dass da etwas Fixiertes vorhanden war:
- Es gab ein Werk, das er übersetzen konnte.
- Es gab ein Werk, das er aufpolieren konnte.
- Es gab ein Werk, das er kürzen konnte.
- Es gab ein Werk, das er ausweiten konnte.

Sprich, es war etwas vorhanden, das sich verändern ließ.


Wenn wir schon wikipedia hernehmen: Schau dir mal den Beitrag dort zum "Autor" an, besonders den Abschnitt zu "Geschichte", da steht in sehr knappen Worten, worum es mir geht:

http://de.wikipedia.org/wiki/Autor

Die Vorstellung von der schöpferischen Einzelperson (dem Autorengenie) kommt historisch erst spät auf. und es gibt auch eigentlich keinen Grund anzunehmen, dass etwas "originelles", neuartiges nicht auch in einem Interaktionsprozess heraus entstehen kann, bei dem sich keine Urheberschaft zuordnen lässt. Schon beim Zitieren oder bei Collagetechniken stößt der Begriff des Autors als kreativer Einzelurheber an seine Grenzen. Eigentlich schon beim Übersetzen oder Lektorieren. Wie kann jemand Autor eines Textes sein, der in einer Sprache verfasst ist, die er nicht mal beherrscht? Ist trotzdem möglich. Allein deshalb kann es doch nicht sinnvoll sein, Literatur darüber definieren zu wollen, dass sie einen Autor hat, der als fixierende Instanz auftritt.

Offline Teylen

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #122 am: 10.04.2010 | 19:39 »
Ich dachte, die Frage war, ob das Ergebnis von Rollenspiel Literatur ist, nicht Rollenspiel selbst?!
Stimmt.

Wobei eine normale Rollenspiel Runde doch gar kein Ergebnis hat?
Das jemand sich danach hinsetzt und sich über den Inhalt der Rollenspielrunde textuell oder sprachlich verbreitet dürfte doch eher die Ausnahme sein. Nun und gerade im Gespräch richtet man sich doch eher an seine Gegenüber, die mit teilgenommen haben, und es ergibt nur einen partiellen Bericht,..
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Eulenspiegel

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #123 am: 10.04.2010 | 21:18 »
@ Achamanian
Die Vorstellung von Atomen kam auch erst sehr spät auf. Trotzdem gab es auch schon früher Atome.
Und die Vorstellung von Autoren kam auch erst sehr spät auf, trotzdem gab es schon früher Autoren.

Und den Wikipedia-Artikel kenne ich. (Dort wird der begriff Autor auch so verstanden, wie ich ihn verstehe.)

Schon beim Zitieren oder bei Collagetechniken stößt der Begriff des Autors als kreativer Einzelurheber an seine Grenzen.
Also beim zitieren ist doch eindeutig ein Autor zuordbar.
Und bei Collagetechniken haben wir genau das Problem, das ich angesprochen habe: Hier ist der Übergang zwischen "Veränderung des alten Werkes" und "neues Werk" fließend und im Zweifelslfall muss ein Richter entscheiden, ob die Collage jetzt ein neues Werk ist oder bloß Veränderung von alten. (Wobei im Normalfall die Collage als neues Werk gesehen wird.)

Zitat
Eigentlich schon beim Übersetzen oder Lektorieren. Wie kann jemand Autor eines Textes sein, der in einer Sprache verfasst ist, die er nicht mal beherrscht? Ist trotzdem möglich. Allein deshalb kann es doch nicht sinnvoll sein, Literatur darüber definieren zu wollen, dass sie einen Autor hat, der als fixierende Instanz auftritt.
1) Wieso solltest du nicht Autor eines Textes sein, der in einer Sprache verfasst ist, die du nicht kennst? Wenn jemand deine Ideen wortwörtlich übersetzt ohne kreativen Eigenprozess, bist du der Autor des übersetzten Textes.

Ich sehe da kein Problem. Aber ich sehe auch nicht, was das noch mit dem Thema "Ist RPG Literatur" zu tun hat.

2) Du hast mich falsch verstanden: Ich definiere Literatur nicht über den Autoren, ich definiere Autor über die Literatur.
Das heißt, erst wird geguckt, ob etwas Literatur ist oder nicht. Und anschließend wenn man zu dem Schluss gekommen ist, dass es Literatur ist, wird der Urheber dieser Literatur Autor genannt.

Die Eigenschaft "Autor" spielt bei der Frage, ob etwas Literatur ist oder nicht, also keine Rolle. Erst nachdem diese Frage geklärt ist, kommt der Begriff des Autoren ins Spiel.

Aber verrate mir doch mal, was deiner Meinung nach der Unterschied zwischen Literatur und Kommunikation ist. Oder benutzt du diese beiden Begriffe synonym?

Offline Merlin Emrys

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #124 am: 10.04.2010 | 22:43 »
Das gleiche gilt auch hier:
Hätte der Threadstarter geschrieben, wie er Literatur definiert, hätte ich mich an diese Definition gehalten.
Hat er denn nicht? Komisch, ich dachte, er hat:
Ist das Ergebnis einer Rollenspielsitzung Literatur im weitesten Sinn?
Wenn Literaturwissenschaftler also weiter definieren als jemand anderes, meint er wohl deren Definition...